I. Einleitung
In einer Generalaudienz[1]
hat Papst Franziskus am 10. Oktober 2018 auf dem Petersplatz zum
fünften Gebot «Du sollst nicht töten» eine teilweise
vom Blatt, teilweise frei gesprochene Rede gehalten. Darin thematisierte er
auch den Schwangerschaftsabbruch, den er mit Auftragsmord verglich.
Wörtlich sagte der Papst[2]:
«Un approccio contraddittorio consente anche la soppressione della
vita umana nel grembo materno, in nome della salvaguardia di altri diritti.
Ma come può essere terapeutico, civile o semplicemente umano un atto
che sopprime la vita innocente e inerme nel suo sbocciare? Io vi domando:
È giusto fare fuori una vita umana per risolvere un problema? Cosa
pensate voi, è giusto? E giusto o no? [Gut vernehmbarer Zuruf aus dem
Publikum: No.] È giusto affittare un sicario per risolvere un
problema? [Gut vernehmbarer Zuruf aus dem Publikum: No.] Non si può,
non è giusto fare fuori un essere umano - benché piccolo - per
risolvere un problema. È come affittare un sicario per risolvere un
problema.»
In der deutschen Übersetzung lautet die Passage wie folgt:
«Eine widersprüchliche Ansicht erlaubt auch die
Unterdrückung des menschlichen Lebens im Mutterleib, unter dem Titel
der Wahrung anderer Rechte. Aber kann eine Handlung, die unschuldiges und
wehrloses Leben bei seinem Aufblühen vernichtet, als therapeutisch,
zivil oder gar menschlich bezeichnet werden? Ich frage Euch: Ist es
richtig, ein menschliches Leben aus der Welt zu schaffen, um ein Problem zu
lösen? Was denkt Ihr, ist es richtig? Ist es richtig, ja oder nein?
[Gut vernehmbarer Zuruf aus dem Publikum: Nein.] Ist es richtig, einen
Auftragsmörder zu engagieren, um ein Problem zu lösen? [Gut
vernehmbarer Zuruf aus dem Publikum: Nein.] Das geht nicht, es ist nicht
richtig, ein Menschenwesen - und sei es noch so winzig - aus der Welt zu
schaffen, um ein Problem zu lösen. Es ist so, als würde man einen
Auftragsmörder engagieren, um ein Problem zu lösen.»[3]
Auch wenn der Papst auf Italienisch spricht, sind seine Worte aus seiner
Sicht wohl an alle Menschen, mindestens aber an alle Katholiken und
Katholikinnen der Welt gerichtet. Betroffen sind vom letzten Satz
allerdings primär Frauen, da sie pro futuro nicht wissen, ob sie
jemals in die inkriminierte Situation kommen.[4]
Es ist festzuhalten, dass sich auch Männer durch den Papst-Vergleich
(Abtreibung sei so, als würde man einen Auftragsmörder
engagieren) beleidigt fühlen können, sei es als Väter, die
ihren Töchtern helfen wollen, als Ehemänner, die den Entscheid
ihrer Frau unterstützen, als verständnisvolle Arbeitskollegen,
als Angestellte einer medizinischen Einrichtung etc. Allerdings sind sie
insofern weniger betroffen, als Schwangerschaft und Abtreibung sie nicht
körperlich betreffen. Männer können weder (z.B. ungewollt
durch Vergewaltigung) schwanger werden, noch müssen sie den Entscheid
über ihren Körper treffen und die Einwilligung zum Eingriff
geben, sondern (hoffentlich!) die Frau. Der päpstliche Vergleich ist
zudem pauschal und differenziert nicht zwischen strafbaren und straflosen
Abbrüchen.[5]
Letztere meint er sogar explizit mit, wenn er sagt: «Un approccio
contraddittorio consente anche la soppressione della vita umana nel grembo
materno, in nome della salvaguardia di altri diritti.»
Der drastische Vergleich wurde in der in- und ausländischen Presse
aufgegriffen und verbreitet. Vielfach wurde er auch unter Empörung
zurückgewiesen.[6]
Auch wenn die «Tathandlung» in Vatikanstadt[7]
in Rom erfolgte, soll hier untersucht werden, ob es sich bei diesen
Aussagen um eine strafbare Ehrverletzung nach schweizerischem Recht handeln
könnte. Immerhin wurde die Aussage des Papstes auch von offiziellen
katholischen Medien in der Schweiz weiterverbreitet.[8]
Dabei wird auch ein vergleichender Blick auf die
«Soldaten-sind-Mörder»-Urteile des deutschen
Bundesverfassungsgerichts von 1994 und 1995 geworfen. Die dort im Zentrum
stehenden Fragen, ob eine Äusserung an sich diffamierend oder
«bloss» gesellschaftskritisch und damit von der
Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt ist, und ob Gruppen
ehrverletzungsfähig sind, stellen sich auch bei einer strafrechtlichen
Würdigung des päpstlichen Vergleichs.
II. Meinungsäusserungsfreiheit und ihre Grenzen
Das Grundrecht der Meinungsäusserungsfreiheit wird in Art. 16 der Bundesverfassung
ausdrücklich garantiert, nachdem es zuvor seit 1965 vom Bundesgericht
als ungeschriebenes Freiheitsrecht anerkannt worden war.[9]
Im internationalen Recht wird es in Art. 10 EMRK[10]
und Art. 19 UNO-Pakt II[11]
gewährleistet. Die Meinungsäusserungsfreiheit wird mit einer
Reihe anderer Grundrechte, wie etwa die Medienfreiheit, die Kunstfreiheit
und die Versammlungsfreiheit, als Teil der Grundrechte freier Kommunikation
verstanden.[12]
Wegen der elementaren Bedeutung der freien Kommunikation in einer
demokratischen Gesellschaft stehen die
Meinungsäusserungsfreiheit und die anderen Kommunikationsgrundrechte
«unter besonderem verfassungsrechtlichen Schutz.»[13]
Bereits in einem Urteil von 1976 hielt der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte fest: «Das Recht der freien
Meinungsäusserung (…) gilt (…) nicht nur für die
günstig aufgenommenen oder als unschädlich oder unwichtig
angesehenen Informationen, oder Gedanken, sondern auch für die, welche
den Staat oder irgendeinen Bevölkerungsteil verletzen, schockieren
oder beunruhigen. So wollen es Pluralismus, Toleranz und
Aufgeschlossenheit, ohne die es eine demokratische Gesellschaft nicht
gibt.»[14]
Hier kommt zum Ausdruck, dass die Kommunikationsfreiheiten geradezu im
öffentlichen Interesse einer freiheitlichen Gesellschaft liegen.[15]
Deshalb sind «Einschränkungen von Äusserungen, die an den
Inhalt der Kommunikation anknüpfen (…) an einem strengen
Massstab zu messen.»[16]
Müller/Schefer weisen darauf hin, dass sonst die Gefahr bestehe,
«dass mit den strafrechtlichen Ehrverletzungstatbeständen weniger
das Ansehen und die Würde» der angegriffenen Personen
geschützt, «sondern missliebige Kritiker zum Schweigen gebracht
werden sollen.»[17]
Gleichwohl ist im schweizerischen und internationalen Recht anerkannt, dass
es unter klar formulierten Voraussetzungen auch Grenzen für die
Meinungsäusserungsfreiheit gibt. So verfügen
Kommunikationsinhalte über einen entsprechend geringeren
Grundrechtsschutz, wenn sie rassistische, Religionsüberzeugungen
verletzende, pornografische und ehrverletzende Elemente aufweisen. Es gibt
ein öffentliches Interesse an der Verhinderung oder Einschränkung
solcher Äusserungen, weshalb sie unter Beachtung des
Verhältnismässigkeitsprinzips entsprechend unterbunden werden
können.[18]
Illustrativ ist etwa das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts aus
dem Jahr 2006, wo Kritiker von Abtreibungskliniken einen Arzt als
«Tötungs-Spezialist[en] für ungeborene Kinder»
bezeichneten. Eine solche Äusserung ist durch die Meinungsfreiheit
geschützt. Nicht geschützt wurde jedoch die Bezeichnung der
Arbeit desselben Arztes als «Babycaust» unter Bezugnahme auf den
Holocaust.[19]
Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Äusserung als Angriff auf die
Menschenwürde des betroffenen Arztes qualifiziert. In der
Begründung hielt es fest, dass bei wertenden Äusserungen der
Persönlichkeitsschutz gegenüber der Meinungsfreiheit
zurücktrete, es sei denn die Äusserung ziele ausschliesslich auf
Beleidigung ab oder stelle einen Angriff auf die Menschenwürde des
Adressaten dar.[20]
In der Schweizer Rechtsprechung wurde etwa zugunsten des strafrechtlichen
Ehrverletzungsschutzes entschieden, wenn beim Pressebericht über einen
noch nicht rechtskräftig verurteilten Straftäter zusätzlich
die Unschuldsvermutung zu beachten war (BGE 116 IV 31), oder wenn bei
einem Presseerzeugnis die Kombination von verschiedenen Elementen der
grafischen Darstellung und des textlichen Inhalts in seiner Gesamtheit
ehrverletzend war.[21]
Besonders geschützt werden durch das Bundesgericht[22]
und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte[23]
auch kritische bzw. verletzende Äusserungen, wenn sie sich an
öffentliche Personen aus Politik und Wirtschaft richten. Gewählte
Politiker und Politikerinnen müssen sich intensivste Kritik, auch
verletzende, gefallen lassen.[24]
Wenn die angegriffene Person zwar nicht Inhaberin eines politischen Amts
ist, aber doch eine gewisse Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit auf
sich zieht, darf sie «ebenfalls intensiver kritisiert werden als
Privatpersonen».[25]
III. Diffamierung von Frauen als Verbrecherinnen: eine Ehrverletzung?
1. Vorbemerkung
Der Fokus dieses Beitrags liegt auf der Frage, ob die päpstliche
Äusserung eine strafrechtliche Ehrverletzung darstellt oder ob sie von
der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Auf die Frage nach Jurisdiktion und
Immunität und auf die Qualifizierung der päpstlichen Aussage als
Werturteil oder Tatsachenbehauptung wird deswegen nur im Rahmen dieser
Vorbemerkungen kurz eingegangen.
a) Jurisdiktion
Das Schweizer Strafrecht ist auf den Papst und seine Aussage in der Schweiz
aus zwei Gründen nicht anwendbar:
Erstens geniesst der Papst grundsätzlich Immunität vor nationalen
Gerichten.[26]
Zweitens zeitigt seine Aussage wohl keinen Erfolg im Sinne von Art. 8 Abs. 1 StGB in der Schweiz,[27]
was Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Schweizer Strafrechts
wäre. Sinnvollerweise ist dem Bundesgericht folgend ein Erfolg im
Sinne von Art. 8 StGB nur
anzunehmen, wenn (ehrverletzende) Äusserungen aus dem Ausland an
individuell bestimmte Personen in der Schweiz gerichtet und von diesen zur
Kenntnis genommen werden.[28]
Ob auch bei ehrverletzenden Äusserungen, die im Ausland ins Internet
gestellt und nicht zielgerichtet an eine individuell bestimmte Person in
der Schweiz gerichtet, aber in der Schweiz zur Kenntnis genommen werden,
ein Erfolg i.S.v. Art. 8 StGB
vorliegt, ist unklar.[29]
Wird er bejaht, würde die Schweiz zum virtuellen Weltpolizisten, und
wer im Ausland Inhalte ins Netz stellt, müsste vorher
Rechtsauskünfte in der Schweiz (und jedem anderen Land, das den
räumlichen Geltungsbereich seines Strafrechts extensiv auslegt)
einholen, selbst wenn die Inhalte nach ausländischem Recht legal
wären.[30]
Auch ein Abstellen auf die Wahrscheinlichkeit der Kenntnisnahme aufgrund
konkreter Umstände, wie Sprache und Ausrichtung der Äusserung,
erscheint uns zu weit,[31]
zumal der Papst in der übers Web übertragenen Generalaudienz zwar
italienisch spricht, sie aber weltweit auch von nicht italienisch
sprechenden Menschen zur Kenntnis genommen wird.
Dennoch ist es interessant, die Strafbarkeit der Äusserung in der
Schweiz zu prüfen. Denn sie könnte auch von einem Schweizer
Bischof wiederholt werden, der sich die Äusserung zu eigen macht.
b) Werturteil oder Tatsachenbehauptung?
Welcher Ehrverletzungstatbestand betroffen sein könnte, ergibt sich
aus der Qualifikation der Aussage, die der Papst gleichzeitig
allfälligen Betroffenen und Dritten gegenüber macht. Man
unterscheidet zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen.
Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten können den Tatbestand der
üblen Nachrede (Art. 173 StGB) oder der Verleumdung (Art. 174 StGB) erfüllen.
Werturteile gegenüber Dritten können den Tatbestand der
Beschimpfung (Art. 177 StGB)
erfüllen. Bei den Äusserungen des Papstes ist fraglich, welche
Variante vorliegt.
Tatsachenbehauptungen sind gemäss BGE 118 IV 41 m.w.Nw.
«Ereignisse oder Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit [...],
die äusserlich in Erscheinung treten und dadurch wahrnehmbar und dem
Beweise zugänglich werden.»
Eine Tatsachenbehauptung wäre etwa die Aussage: «Frau X hat einen
Auftragsmörder engagiert.» Es wäre eine Tatsache, die sich
überprüfen liesse. Bei der Aussage des Papstes, Abtreibung sei
so, als würde man einen Auftragsmörder anheuern, meint der Papst
generell, dass ein Schwangerschaftsabbruch dasselbe ist, wie einen
Auftragsmörder zu engagieren. Er bezieht sich dabei nicht nur auf
vergangene oder gerade erfolgende Schwangerschaftsabbrüche, sondern
auch auf künftige. Damit scheidet eine Tatsachenbehauptung aus. Der
Papst gibt eine Wertung zum Schwangerschaftsabbruch ab, indem er diesen mit
einem Auftragsmord vergleicht.[32]
Die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen ist auch
für die Beurteilung der Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit
relevant. Dabei qualifiziert der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte Vergleiche regelmässig als Werturteile.[33]
Auch das Deutsche Bundesverfassungsgericht qualifiziert im Babycaust-Urteil
die Aussage «Kinder-Mord im Mutterschoss» als «ein das
Persönlichkeitsrecht beeinträchtigendes Werturteil».[34]
Ebenso ging das Deutsche Bundesverfassungsgericht im
«Soldaten-sind-Mörder»-Urteil[35]
von 1995 von einem Werturteil aus. Es führte aus: «Meinungen sind
im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung
des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung
gekennzeichnet […]. Sie enthalten sein Urteil über
Sachverhalte, Ideen oder Personen.»[36]
«Die Beschwerdeführer haben mit ihren Äußerungen,
Soldaten seien Mörder oder potentielle Mörder, nicht von
bestimmten Soldaten behauptet, diese hätten in der Vergangenheit einen
Mord begangen. Sie haben vielmehr ein Urteil über Soldaten und
über den Soldatenberuf zum Ausdruck gebracht, der unter
Umständen zum Töten anderer Menschen zwingt.»[37]
Ähnlich lässt sich auch bei der Aussage des Papstes
argumentieren, dass er nicht von einer bestimmten Frau behauptet hat, dass
sie einen Mord in Auftrag gegeben hätte, oder von einem bestimmten
Arzt oder einer bestimmten Ärztin, dass er oder sie einen Auftragsmord
ausgeführt hätte. Stattdessen bewertet der Papst den
Schwangerschaftsabbruch als Mord. Seine Äusserung ist damit als
Werturteil zu qualifizieren und als strafrechtlich relevanter
Straftatbestand kommt Art. 177 StGB (Beschimpfung) in
Frage.
2. Meinungsfreiheit vs. Schutz der Ehre
Ob das Werturteil strafbar ist, hängt ab von einer
Güterabwägung zwischen der verfassungsrechtlich geschützten
Meinungsäusserungsfreiheit und dem strafrechtlichen Schutz der Ehre,
der seinerseits Ausdruck von Grundrechten ist (Achtung der
Menschenwürde, Art. 7 BV, und
Schutz der Privatsphäre, Art. 13 BV).[38]
Laut Bundesgericht spielt es keine Rolle, ob aus einem Grundrecht (wie der
Meinungsäusserungsfreiheit) ein Rechtfertigungsgrund hergeleitet wird,
oder die gleichen Gesichtspunkte an einem anderen Ort einfliessen.[39]
Zentral ist, dass die Güterabwägung jeweils anhand der gesamten
konkreten Umstände vorzunehmen ist. Generelle Regeln sind schwierig
aufzustellen. Um diese Güterabwägung für den Papst-Vergleich
vorzunehmen, lohnt es sich, zunächst einen Blick über die Grenze
auf die «Soldaten-sind-Mörder»-Urteile zu werfen. Denn auch
die deutsche Praxis nimmt bei der Beurteilung von verletzenden
Äusserungen eine Güterabwägung zwischen den Interessen an
der Meinungsfreiheit und den Interessen am Schutz der persönlichen
Ehre vor.
3. «Soldaten-sind-Mörder»-Urteile (1994, 1995)
a) Sachverhalte
1994 und 1995 hob das deutsche Bundesverfassungsgericht in den sogenannten
«Soldaten-sind-Mörder»-Urteilen vor-instanzliche
Strafurteile wegen Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 5 Grundgesetz Deutschland)
auf. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte schon 1992 im gleichen
Sinn entschieden, als eine Rubrik in der satirischen Zeitschrift Titanic im
Zentrum stand, in der eine Einzelperson, die trotz Querschnittslähmung
in den Wehrdienst wollte, als «geb. Mörder» bezeichnet wurde
und im Begleittext die Bezeichnung eines Soldaten als «potentieller
Mörder» erschien.[40]
Im Folgenden soll die Argumentation des letzten
«Soldaten-sind-Mörder»-Urteils von 1995
(Soldaten-Mörder II) näher angeschaut werden, dem vier
unterschiedliche Sachverhalte zur Beurteilung vorlagen.[41]
Die nähere Betrachtung bezweckt, die relevanten Parallelen zum
Papst-Vergleich und allfällige unterschiedliche Schlussfolgerungen
herauszuarbeiten. Spezifische strafrechtstechnische Besonderheiten werden
dabei weggelassen, soweit sie für das Aufsatzthema nicht von Belang
sind.[42]
Die Fallkonstellationen waren die folgenden:
b) Erwägungen
Wie bereits unter Ziff. 2 festgehalten, kann Kritik an gesellschaftlichen
Verhaltensweisen im Rahmen der Meinungsäusserungsfreiheit auch in
krasser Form vorgebracht werden. Wer gegen Abtreibung ist, darf dies
unverblümt äussern. Auch eine überzogene oder gar
ausfällige Kritik mache eine Äusserung für sich genommen
noch nicht zur Schmähung, wird in «Soldaten-Mörder II»
ausgeführt. Es müsse vielmehr hinzukommen, dass «bei der
Äusserung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die
Diffamierung der Person im Vordergrund»[44]
stehe. Die Aussage müsse «jenseits auch polemischer und
überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung
bestehen».[45]
Dabei sei der objektive Sinn der Aussage zu ermitteln, und zwar nach dem
«Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen
Publikums».[46]
Das Gericht kam zum Ergebnis, dass die Gleichsetzung mit einem Mörder
einen schwerwiegenden Angriff auf die Ehre und eine tiefe Kränkung
eines Soldaten darstelle. Diese wiege besonders schwer, wenn die
Bezeichnung im strafrechtlichen Sinn aber auch umgangssprachlich verwendet
werde, «denn auch in diesem Fall bezeichnet er eine Person, die in
einer sittlich nicht zu rechtfertigenden Weise zur Vernichtung menschlichen
Lebens beiträgt oder bereit ist.»[47]
Soweit jedoch eine verletzende Aussage eine weitere, gesellschaftskritische
Aussageebene habe, müsse geprüft werden, ob diese Ebene im
Vordergrund stehe, also überwiege. Bei den
«Soldaten-sind-Mörder»-Urteilen musste sich das Gericht
damit befassen, dass die Aussage «Soldaten sind Mörder» auf
ein satirisches Zitat von Kurt Tucholsky[48]
zurückgeht, das auch als Kritik am Krieg bzw. der Pflicht der Soldaten
gemeint ist und damit eine zweite Ebene des Pazifismus hat. Das Gericht
folgerte: Aus dem Kontext und den aussertextlichen Umständen der
konkreten Fälle ergebe sich, dass es beim
Soldaten-Mörder-Vergleich «nicht um Kritik an einem besonders
verwerflichen Individualverhalten oder gar an charakterlichen Mängeln
von Soldaten» gehe, sondern um die problematischen Folgen von
Soldatentum und Krieg.[49]
Aufgrund dieses überwiegenden gesellschaftskritischen Duktus der
Äusserungen waren diese vom Bundesverfassungsgericht als zulässig
bzw. als durch die Meinungsäusserungsfreiheit geschützt
betrachtet worden.
Hinsichtlich der Frage, ob ein Kollektiv beleidigungsfähig sei, kam
das Bundesverfassungsgericht zum Ergebnis, dass die an eine Gruppe
gerichtete verletzende Äusserung unter Umständen auch als
«Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des
Kollektivs»[50]
gesehen werden könne. Je grösser das Kollektiv sei, desto
schwächer werde allerdings die persönliche Betroffenheit des
einzelnen Mitglieds, «weil es bei den Vorwürfen an grosse
Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle
Merkmale der Mitglieder» gehe.[51]
Im Vordergrund könnte dann «die Kritik an sozialen Einrichtungen
oder Phänomenen» stehen.[52]
Bei der Beleidigungsfähigkeit von Kollektiven stellt sich somit die
Frage, wie sehr die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds
im Zentrum steht.
4. Anwendung der Kriterien auf den Papst-Vergleich
Im Folgenden stellt sich die Frage, ob die Argumentationslinie des Urteils
auf das päpstliche Diktum übertragen werden kann. Es sind zwei
Aspekte, die «Soldaten-Mörder II» für das vorliegende
Thema interessant machen. Zum einen setzt sich das deutsche
Bundesverfassungsgericht ausführlich mit der Stossrichtung bzw.
Diffamierungsstärke der verletzenden Äusserungen auseinander. Bei
der Stossrichtung oder bezweckten Wirkung der verletzenden Äusserung
geht es darum, ob sie einzig auf Diffamierung abzielt, oder ob sie auch in
einem anderen (zulässigen gesellschaftskritischen) Sinn zu verstehen
ist. Zum anderen befasst sich das Gericht mit der Problematik, dass die
Adressaten der verletzenden Äusserungen ein Kollektiv darstellen.
Damit hängt insbesondere die Frage zusammen, ob ein Kollektiv
beleidigungsfähig ist.
Beide Aspekte spielen beim Papst-Vergleich von Abtreibung mit Auftragsmord
eine Rolle: Einerseits die Frage, ob mit dem Vergleich die Verunglimpfung
von betroffenen Frauen oder die Gesellschaftskritik des Vatikans an der
Abtreibung überwiegt. Andererseits ob die betroffenen Frauen als
Kollektiv beleidigungsfähig sind.
a) Diffamierung von Frauen oder Gesellschaftskritik?
Wenn der Papst Frauen, insbesondere auch solche, die gemäss ihrem
nationalen Recht legal abtreiben, in einem Vergleich als Anheuernde von
Auftragsmördern darstellt, so könnte darin eine Unterstellung von
schwerstem kriminellem Verhalten gesehen werden. Denn wer einen Auftragsmörder engagiert, begeht strafrechtlich eine
Anstiftung zu Mord, die grundsätzlich gleich zu bestrafen ist wie die
Haupttat. Der Papst wirft den betroffenen Frauen dabei eine besonders
abgefeimte Tat vor, indem sie sich die Hände nicht selber schmutzig
machen, vielmehr einen Auftragsprofi anheuern, der den Mord gegen
Entlohnung und ohne Skrupel ausführt.[53]
Auch die heraufgesetzte Duldung von verletzender Kritik gegenüber
Personen des öffentlichen Interesses greift hier nicht. Der Papst
richtet seinen Vorwurf nicht etwa an eine Politikerin, die sich mit ihrer
politischen Autorität für legale Abtreibung einsetzt.[54]
Vielmehr werden alle betroffenen Frauen durch den Papst-Vergleich
angesprochen und verunglimpft. Der Vergleich erfolgt auch nicht in einer
hitzigen politischen Diskussion, sondern anlässlich der
Generalaudienz, in welcher nur der Papst Zugang zum Mikrophon hat.
Ob beim päpstlichen Vergleich eine zweite gesellschaftskritische
Referenzebene überwiegt, in dem Sinne, dass der Papst die teilweise
Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen kritisiert und dazu
aufruft, Frauen bzw. werdende Mütter so zu stärken, dass sie
nicht zum Mittel der Abtreibung greifen müssen, ist zumindest
fraglich. Für eine entsprechende Interpretation gibt es kaum
Anhaltspunkte; vielmehr sprechen gewisse Umstände klar dagegen: Aus
dem Wortlaut der Papst-Rede ist zu erkennen, dass die Gleichstellung von
strafloser Abtreibung, zu der schon von Gesetzes wegen[55]
nicht leichtfertig[56]
gegriffen wird, mit Auftragsmord nicht nur darauf abzielt, die teilweise
Legalisierung von Abtreibungen zu kritisieren. Aufgrund der appellativen
Botschaft, die in einen notorisch bekannten kirchenmoralischen Kontext
eingebettet ist, kann der Vergleich nach objektiven Kriterien so verstanden
werden, dass es vor allem auf den Einzelentscheid einer schwangeren Frau
ankommt, niemals einen «Auftragsmörder zu engagieren». Der
Fokus des Vorwurfs liegt somit schon auf dem inneren Entscheid einer Frau,
eine (legale) Abtreibung vornehmen zu lassen.
Demgegenüber besteht beim Soldaten-Mörder-Vergleich eine andere
Ausgangslage, indem der einzelne Soldat zunächst einmal nur einer
allgemeinen Bürgerpflicht gehorcht, nämlich der Ableistung des
ihm obliegenden Wehrdienstes. Er kann eine bewusste Entscheidung treffen
und den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigern, so dass er nie im
Krieg eingesetzt wird. Im Gegensatz dazu wird eine Frau nicht von alleine
schwanger. Sie kann es unter Umständen nicht verhindern und steht dann
vor der Situation, dass der Papst ihr, wenn sie eine Abtreibung vornehmen
lässt, ein individuelles Fehlverhalten vorwirft, ohne ihr eine
Lösung aufzuzeigen.[57]
Ob es beim päpstlichen Vergleich von Abtreibung mit Auftragsmord
tatsächlich primär um den Schutz werdenden Lebens geht oder ob
solche Aussagen auch Ausdruck der fehlenden Gleichstellung von Frauen und
Männern in der römisch-katholischen Amtskirche sind, ist eine
weitere Frage, die je nach Antwort gegen das Vorliegen einer zweiten
Referenzebene sprechen würde. Tendenziell ist die Gleichstellung der
Frauen zumindest nicht prioritäres Thema der römisch-katholischen
Amtskirche.[58]
Der Heilige Stuhl hat seit 1970 Beobachterstatus im Europarat,[59]
hat die EMRK jedoch nicht unterzeichnet. Das von praktisch allen Nationen
der Erde unterzeichnete Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau (CEDAW-Übereinkommen[60]) hat der Vatikan ebenfalls nicht unterzeichnet.
Ein weiterer Umstand akzentuiert noch die Vehemenz der vergleichenden
Bewertung von Abtreibung und Auftragsmord durch das Oberhaupt einer
Weltkirche: Beim Papst (in seiner Funktion[61]) handelt es sich um eine universal anerkannte Autorität in Fragen der
Moral, deren Verlautbarungen eine eminente Tragweite zukommt. Nicht ein
Satiriker formuliert eine zugespitzte Aussage, die von unbekannten
Zeitgenossen (Kriegsdienstverweigerern oder Leserbriefschreibenden) zitiert
wird, sondern der Vertreter einer universalen Institution mit
zweitausendjähriger Tradition stellt Frauen, die eine legale
Abtreibung vornehmen, in die Nähe von Tätern und Täterinnen,
die einen Auftragsmörder anheuern. Seine Äusserungen können
von Abtreibungsgegnern als Aufforderung verstanden werden,
Beschädigungen an Abtreibungskliniken vorzunehmen, Ärzte zu
bedrohen, betroffene Frauen zu diffamieren.[62]
Sie wiegen deswegen besonders schwer.
Man kann sich somit beim päpstlichen Diktum zumindest fragen, ob mit
der Formulierung «einen Auftragsmörder engagieren» nicht die
Grenze von «scharfe[r] Kritik zur polemischen Diffamierung»[63]
überschritten wird, und dadurch die Äusserung zumindest die
Ränder einer Ehrverletzung berührt.
b) Strafbare Kollektivbeleidigung?
Bei der Aussage des Papstes ist zu beachten, dass sie nicht an eine,
sondern an viele Einzelpersonen gerichtet war und somit die Frage einer
Kollektivbeleidigung im Raum steht.[64]
Indem der Papst mit den beiden rhetorischen Fragen - die von Stimmen aus
dem Publikum beantwortet wurden - die Zuhörerschaft bewusst einbezogen
hatte, machte er klar, dass seine Äusserungen alle Menschen angehen,
nicht nur einzelne, besonders hervorgehobene. Betroffen sind primär
Frauen.[65]
Es liegt somit eine sehr grosse Gruppe vor, deren
Beleidigungsfähigkeit aufgrund der Rechtsprechung nur mit
Zurückhaltung angenommen werden kann.[66]
Doch auch hier legen Redestil, Autorität des Papstes und die
Einzelfallsituation einer Frau im Kontext einer Abtreibung nahe, dass
gerade auch individuelles Fehlverhalten gemeint ist, und sich somit jede
Frau bewusst sein muss, dass eine Abtreibung, die sie an sich vornehmen
lässt, der Anheuerung eines Auftragsmörders gleichkommt. Die
Brüskierung durch den Vergleich von Abtreibung und Auftragsmord ist
für die einzelne Frau augenscheinlich vehement.[67]
Diese diffamierende Provokation kommt insbesondere durch das
unausgesprochene, aber für ein allgemeines Publikum problemlos
erkennbare Mitgemeintsein der individuellen Fehlleistung, zustande.
Demgegenüber dürfte das Mitgemeintsein eines einzelnen Soldaten
gegenüber einem Tucholsky-Zitat, das von mehr oder weniger unbekannten
Pazifisten und Pazifistinnen auf Flugblättern oder Transparenten
veröffentlicht wird, wohl kaum so stark sein. Auch in diesem Punkt
rückt der päpstliche Vergleich zumindest in eine problematische
Nähe zur Ehrverletzung, auch wenn er alle betroffenen Frauen
einbezieht.
Bei der Beurteilung der Strafbarkeit der Kollektivbeleidigung ist aber auch
zu beachten, dass Ehrverletzungsdelikte im Wesentlichen die Austragung
privater Fehden zum Inhalt haben.[68]
Geschützt wird die individuelle Ehre und nicht etwa wie bei der
Rassendiskriminierung der öffentliche Friede.[69]
Bei der Güterabwägung zwischen Meinungsäusserungsfreiheit
und dem strafrechtlichen Schutz der Ehre ist deshalb zu unterscheiden, ob
es um eine private Auseinandersetzung geht, dann ist die Ehrverletzung
höher zu gewichten, oder ob es um die Bildung der öffentlichen
Meinung geht, dann überwiegt die Meinungsfreiheit.[70]
Bei einer Kollektivbeleidigung kommt es deswegen darauf an, dass es eine
Beziehung zwischen dem Täter und den Opfern gibt, die nahe legt, dass
es um eine persönliche Konfrontation geht. Dies kann jeweils nur bei
einem überschaubaren Personenkreis der Fall sein.[71]
«Wird […] ein weiteres, ,unüberschaubares' Kollektiv
angegriffen, so nähert sich die Äusserung demjenigen Bereich, der
die ‚Öffentlichkeit wesentlich berührt', und kommt folglich
mit demjenigen Aspekt der Meinungsfreiheit in Berührung, der
unantastbar ist: mit dem Recht, an dem ständigen Meinungskampf, der
‚das Lebenselement der freiheitlichen demokratischen Grundordnung'
ist, teilzunehmen.»[72]
Entsprechend bejaht auch das schweizerische Bundesgericht die Strafbarkeit
bei einer Kollektivbeleidigung nur, wenn erkennbar einzelne Personen
betroffen sind.[73]
Die Aussage des Papstes war nicht an individuell bestimmte Personen,
sondern an einen unüberschaubaren Personenkreis gerichtet. Es geht
damit nicht um eine persönliche Auseinandersetzung zwischen dem Papst
und einzelnen Personen, sondern im Kern um den Meinungskampf zwischen
Pro-Life- und Pro-Choice-Bewegungen. Seine Äusserung ist deswegen nach
dem Gesagten nicht als strafrechtliche Ehrverletzung zu qualifizieren.
c) Fazit
Die Äusserungen des Papstes wiegen insbesondere aus zwei Gründen
schwer: Erstens wirft er Frauen, die eine (straflose) Abtreibung vornehmen
lassen direkt ein strafbares (Anstiftung zum Mord), moralisch verwerfliches
und feiges Handeln vor, und zweitens nimmt der Papst weder als Politiker
(auch wenn er ein Staatsoberhaupt ist) an einer politischen Diskussion
teil, noch vertritt er seine rein persönliche Meinung. Vielmehr
äussert er sich als Oberhaupt einer Weltkirche und kann für sich
kraft seines Amtes in Anspruch nehmen, besser als andere Menschen zu
wissen, was aus einer christlichen Perspektive heraus richtig und was
falsch ist. Der Papst-Vergleich könnte deswegen die Ränder einer
Ehrverletzung berühren. Allerdings schützen die strafrechtlichen
Ehrverletzungsdelikte die individuelle Ehre. Ehrverletzungen, die gegen
ganze Gruppen gerichtet sind, sind deswegen nur strafbar, wenn erkennbar
einzelne Personen betroffen sind.
IV. Sollte Geschlechterdiskriminierung strafbar sein?
Von der hier untersuchten Aussage des Papstes ist eine grosse Zahl von
Personen betroffen. Nicht alle, die sich beleidigt fühlen, sind aber
auch in ihrer strafrechtlich geschützten Ehre verletzt.[74]
Dieser Befund kann unbequem sein. Der Ehrverletzung ähnliche Angriffe
auf Gruppen bleiben aber nicht grundsätzlich straflos. Sind
Angehörige einer Rasse, Ethnie oder Religion betroffen, kommt eine
Strafbarkeit wegen Rassendiskriminierung (Art. 261bis StGB) in
Frage. Geschützt wird damit der öffentliche Friede. Die Strafnorm
wird künftig möglicherweise auf die Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung
ausgeweitet.[75]
Es stellt sich die Frage, ob er auch auf Geschlechterdiskriminierung bzw.
generell auf Diskriminierung verschiedener Gruppen ausgedehnt werden
sollte. Prima vista spricht gegen eine weitere Ausdehnung, dass
Strafrecht generell als ultima ratio eingesetzt werden sollte.
Zudem wären die Grenzen zur Meinungsäusserungsfreiheit noch
schwieriger zu ziehen als bei der Kollektivbeleidigung, da als Rechtsgut
nicht mehr «nur» die individuelle Ehre, sondern der
öffentliche Friede geschützt wäre. Für eine Ausdehnung
spräche, dass auch im Meinungskampf nicht alles erlaubt sein soll, und
dem Meinungskampf ohnehin mehr geholfen ist, wenn er mit sachlichen
Argumenten und nicht durch Diffamierung von Meinungsgegnern ausgetragen
wird. Die Aussage des Papstes bietet aber zumindest Anlass, über einen
generelleren Diskriminierungstatbestand nachzudenken.
V. Fazit
Der Papst-Vergleich von Abtreibung und Auftragsmord ist eine
«schockierende Aussage»[76], sie erfüllt jedoch die (strengen) Tatbestandsvoraussetzungen der
Ehrverletzungsdelikte nach schweizerischem Recht nicht. Denn geschützt
wird dort die individuelle Ehre in der persönlichen
Auseinandersetzung. Eine Kollektivbeleidigung ist deswegen nicht strafbar,
solange keine Beziehung zwischen dem Täter und den Opfern besteht, die
nahe legt, dass es um eine persönliche Konfrontation geht.
Ein Vergleich mit den deutschen
«Soldaten-sind-Mörder»-Urteilen zeigt hingegen auf, dass bei
der Aussage des Papstes zumindest eine problematische Nähe zu einer
strafrechtlich relevanten Diffamierung vorliegt. Denn während beim
Tucholsky-Zitat «Soldaten sind Mörder» die (pazifistische)
Kritik an Kriegsführung und dem damit verbundenen obligatorischen
Militärdienst im Vordergrund stehen, wird beim Papst-Vergleich gerade
auch das angeblich individuelle Fehlverhalten der einzelnen Frau
angeprangert.
Bei der Frage, ob der bisherige Rassismusstraftatbestand von Art. 261bis StGB um das Kriterium der Geschlechterdiffamierung zu
erweitern wäre, ist zu beachten, dass bei diesem Strafdelikt
zusätzlich noch eine Gefährdung des öffentlichen Friedens
vorliegen muss. Dies stellt ein eigenes Thema dar und sprengt den Rahmen
des vorliegenden Aufsatzes. Zu erwähnen ist immerhin, dass der
öffentliche Friede auch durch die global vorhandene Problematik der
massiven Gewalt an Frauen tangiert sein kann. Dabei besteht ein
Zusammenhang zwischen Gewalt an Frauen und dem Absprechen von
Selbstbestimmung in Fragen der weiblichen Körperlichkeit, wie es beim
Abtreibungsthema zum Ausdruck kommt. Die Schweiz ist davon nicht
ausgenommen, zumal Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt auch
hierzulande «ein gravierendes Problem [darstellen]: Täglich
werden 11 Personen, 9 davon Frauen und Mädchen, in ihrer sexuellen
Integrität geschädigt.»[77]
Das einschlägige statistische Material ist ebenfalls aufschlussreich.[78]
Insoweit wäre eine Ausweitung von Art. 261bis StGB
zumindest prüfenswert.
[1]
Die Generalaudienzen des Papstes finden in der Regel jeden Mittwoch
um 10 Uhr auf dem Petersplatz vor dem Petersdom in Rom statt.
Einlass bei der Audienz ist mit einer kostenlosen Eintrittskarte
möglich, die man online bestellen kann.
[3]
Übersetzung durch die Autorinnen.
[4]
Nicht alle betroffenen Frauen müssen sich persönlich
beleidigt fühlen. Es können aber auch Frauen betroffen
sein, an die man nicht zuallererst denkt, wie etwa Nonnen. Siehe
dazu den Dokumentarfilm von Eric Quintin und Marie-Pierre
Raimbault, Gottes missbrauchte Dienerinnen, Frankreich 2017. Verfügbar bis zum 16.04.2019. Ebenso spricht der Vergleich des Papstes ein Unwerturteil
über Frauen aus, die zwar nie abgetrieben haben, aber - unter
Umständen - dazu bereit gewesen wären oder einen
Schwangerschaftsabbruch zumindest nicht jederzeit kategorisch
abgelehnt haben.
[7]
Die Vatikanstadt bzw. der Vatikan ist ein Völkerrechtssubjekt
(aber seine Staatlichkeit ist fraglich). Der Heilige Stuhl mit dem
Papst als Inhaber ist ebenfalls Völkerrechtssubjekt und vom
Vatikan zu unterscheiden. Beide können jedoch
grundsätzlich völkerrechtliche Verträge
unterzeichnen; Matthias Herdegen, Völkerrecht, 17. Aufl.,
München 2018, S. 97 Rn. 1; Volker Epping/Wolff Heintschel von
Heinegg (Hrsg.), Völkerrecht, Ein Studienbuch, 7. Aufl.,
München 2018, S. 437 Rn. 1 ff.; Anne Peters, Völkerrecht,
Allgemeiner Teil, 4. Aufl. Zürich/Basel/Genf 2016, Kap. 10 Rn.
5 ff.
[9]
Siehe dazu: Jörg Paul Müller/Markus Schefer, Grundrechte
in der Schweiz, Im Rahmen der Bundesverfassung, der EMRK und der
UNO-Pakte, 4. Aufl., Bern 2008, S. 437.
[10]
Die europäische Menschenrechtskonvention (SR 0.101) ist für die
Schweiz 1974 in Kraft getreten.
[11]
Der internationale Pakt über bürgerliche und politische
Rechte (SR 0.103.2) ist
für die Schweiz 1992 in Kraft getreten.
[12]
Müller/Schefer (Fn. 9), S. 347 ff.; Giovanni Biaggini, BV
Kommentar, 2. Aufl., Zürich 2017, Art. 16 Rz. 3; zum Begriff
auch BGE 140 III 616, 630.
[13]
Müller/Schefer (Fn. 9), S. 348.
[14]
Urteil des EGMR 5493/72
vom 7.12.1976 (Handyside v. Vereinigtes Königreich), §
49; deutsche Übersetzung aus EuGRZ 1977, S. 38 ff., 42
(Übersetzung).
[15]
Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
seither immer wieder betont. Siehe z.B. Urteil des EGMR 20261/12 vom 23.6.2016
(Baka v. Ungarn), § 158.
[16]
Müller/Schefer (Fn. 9), S. 383. Man kann sich noch die Frage
stellen, in welchem Verhältnis die Meinungsfreiheit (Art. 16 BV) und das
Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 und 3 BV)
stehen. Beides sind gleichrangige Grundrechte, d.h. man darf
beispielsweise die Meinung vertreten, dass das
Diskriminierungsverbot falsch sei. Erst wenn sich die Art und Weise
einer solchen Meinungsäusserung zu einer Ehrverletzung
verdichtet, kommt man wieder an die Grenze der Meinungsfreiheit.
[17]
Müller/Schefer (Fn. 9), S. 391.
[18]
Müller/Schefer (Fn. 9), S. 383 ff. mit ausführlichen
Angaben zur EGMR-Rechtsprechung. Siehe in neuerer Zeit z.B. Urteil
des EGMR 18597/13 vom
9.1.2018 (GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus v.
Switzerland); der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte hob darin ein Urteil des Bundesgerichts auf, das es
einer Stiftung verboten hatte, die Aussagen eines SVP-Politikers im
Zusammenhang mit der Minarett-Initative als «verbalen
Rassismus» zu bezeichnen. Der Gerichtshof in Strassburg
betonte die mit der Presse vergleichbare Rolle der Stiftung als
«public watchdog».
[19]
Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 49/00 (2006). Im gleichen Verfahren wurde ein zivilrechtlicher
Unterlassungsanspruch in Bezug auf die Formulierung
«Kindermord im Mutterschoss» bejaht (Urteil des BVerfG, 1 BvR 49/00, Rn. 66, 67).
[20]
Urteil des BVerfG, 1 BvR 49/00 (Fn.
19), Rn. 57. Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte schützte diesen Entscheid und sah die
Meinungsäusserungsfreiheit einstimmig nicht als verletzt an
(Urteil des EGMR 397/07 und 2322/07 vom
13.1.2011 [Hoffer und Annen v. Deutschland]). Auch in den meisten
weiteren Urteilen betreffend denselben Beschwerdeführer und
ähnliche Fälle (meist betreffend zivilrechtliche Urteile)
schützte der EMRK die Urteile der deutschen Gerichte und sah
jeweils einstimmig keine Verletzung der
Meinungsäusserungsfreiheit (Urteil des EGMR 3682/10 vom 20.9.2018
[Annen v. Germany Nr. 2]; Urteil des EGMR 3687/10 vom 20.9.2018[Annen v. Germany Nr. 3]; Urteil des EGMR 9765/10 vom 20.9.2018
[Annen v. Germany Nr 4]; Urteil des EGMR 70693/11 vom 20.9.2018
[Annen v. Germany Nr. 5]; Urteil des EGMR 3779/11 vom 18.10.2018
[Annen v. Germany Nr. 6]). Nur im Urteil des EGMR 3690/10, vom 26.11.2016
(Annen v. Deutschland), hat Annen betreffend eines anderen Flyers
Recht bekommen, weil fünf von sieben Richtern unter anderem
auf eine zweite Referenzebene im Flyer verwiesen: «In fact,
the applicant's statement according to which the killing of human
beings in Auschwitz had been unlawful, but allowed, and had not
been subject to criminal liability under the Nazi regime, may also
be understood as a way of creating awareness of the more general
fact that law may diverge from morality» (Rn. 63). Zwei
Richterinnen widersprachen in einer joint dissenting opinion diesem
Urteil, da Annen mit dem Flyer nicht nur an einer moralischen und
ethischen Debatten teilgenommen habe, sondern explizit zwei
Ärzte exponierte, um ihrem Ruf zu schaden.
[22]
Siehe dazu Müller/Schefer (Fn. 9), S. 391 f. mit zahlreichen
Rechtsprechungsangaben. Ein illustratives Beispiel für
satirische Ehrverletzung stellt das Urteil des Bundesgerichts 5A_553/2012 vom 14. April
2014 dar, in dem es um Nacktdarstellungen in Bildmontagen von
bekannten Managern wie etwa Daniel Vasella ging. Ein weiteres
Beispiel, das grosse mediale Beachtung fand, ist die
«Schmähkritik» über den türkischen
Staatspräsidenten, die im Rahmen einer Fernsehsendung in
Deutschland vorgetragen wurde. Siehe dazu Klaus
Hoffmann-Holland/Johannes Koranyi, ZStW 2018, S. 82-105. Die
Autoren plädieren für einen strafrechtsfreien Raum
für die Satire. Betroffene sollen vielmehr einen in die
Zukunft gerichteten zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend
machen. Freilich bleibt damit dennoch ein Damoklesschwert über
der Satire hängen: Wenn beispielsweise ein vorläufiger
Unterlassungsanspruch erfolgreich ist, kann dies den Abbruch einer
ganzer Theatersaison bewirken, was den Künstler einem
doppelten Kostenrisiko aussetzt.
[23]
Siehe Urteil des EGMR 20261/12 vom 23.6.2016
(Baka v. Ungarn), §§ 159, 168, 170 f. (hier ging es um
die Kritik eines entlassenen Gerichtspräsidenten an der
Gerichtsreform der regierenden Fidesz-Partei in Ungarn).
[25]
Müller/Schefer (Fn. 9), S. 392. Müller/Schefer
führen als Beispiele Förster, Gefängniswärter,
Polizisten oder Offiziere der Armee an.
[26]
Joanne Foakes, The Position of Heads of State and Senior Officials
in International Law, Oxford 2014, S. 30. In den USA hatte aber ein
Bundesgericht entschieden, in einem Missbrauchsskandal die
Immunität des Heiligen Stuhls aufzuheben. Dieser Entscheid wurde 2010 vom obersten Gerichtshof in
Washington gestützt Der internationale Strafgerichtshof
(IStGH) hat sich mit der Immunitäts-Frage nicht
auseinandergesetzt: Laut dessen Ankläger unterlag eine von
SNAP (Survivors Network of those abused by priests) im September
2011 eingereichte Klage gegen den damaligen Papst Benedikt nicht
der Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs. Siehe dazu die Pressemittelung von SNAP.
Zur Frage der Beachtlichkeit völkerrechtlicher
Immunitäten für den IStGH siehe Helmut Kreicker,
Immunität und IStGH, ZIS 2009, S. 350-367.
[27]
Als Erfolg gilt eine Veränderung in der Aussenwelt: BGE 105 IV 326; Sabine
Gless, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., Basel 2015, Rn. 156.
Ob Erfolg im Sinne von Art. 8 StGB und Erfolg im
Sinne der Dogmatik der Deliktscharakterisierung gleich sind, ist
eine andere Frage. Dazu Gless (Fn. 27), Rn. 159.
[28]
BGE 125 IV 177, E. 2 und 3. Hier ging es um ehrverletzende Äusserungen in
einem Brief aus dem Ausland, der zielgerichtet an individuell
bestimmte Personen in der Schweiz versandt und von den Adressaten
in der Schweiz zur Kenntnis genommen wurden.
[29]
Franz Riklin, in: Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, 4. Aufl.,
Basel 2018, vor Art. 173 N 50a; Stefan Trechsel/Viktor Lieber, in:
Schweizerisches Strafgesetzbuch. Praxiskommentar, 3. Aufl.,
Zürich 2017, vor Art. 173 N 12a; Gless (Fn. 27), Rn. 157 ff.,
Rn. 162; Christian Schwarzenegger, Der räumliche
Geltungsbereich des Strafrechts im Internet. Die Verfolgung von
grenzüberschreitender Internetkriminalität in der Schweiz
im Vergleich mit Deutschland und Österreich, ZStrR 118 (2000),
S. 124; Jann C. Six, Die Beschimpfung im Internet, in:
Jürg-Beat Ackermann (Hrsg.), Strafrecht als Herausforderung,
Zürich 1999, S. 328 ff.
[30]
Six (Fn. 29), S. 329.
[31]
So aber etwa Six (Fn. 29), S. 330 f.
[32]
Dieser Vergleich ist anders gelagert als der Sachverhalt, der BGE 128 IV 53 zugrunde
lag. Das Bundesgericht ging dort aufgrund der Gesamtumstände
von einer Tatsachenbehauptung aus (nicht von einem Werturteil): Die
Beschuldigten hatten über bestimmte Befürworterinnen
einer Fristenregelung auf einem Plakat geschrieben, «Elles
veulent une culture de la mort en Suisse!» und unter dieser
Aussage einen blutigen etwa 20 Wochen alten Fötus abgebildet
mit der Bildunterschrift «L'empoisonner, le découper
à la curette ou le laisser mourir dans une poubelle?».
Das Bundesgericht äusserte sich dazu folgendermassen :
«L'accusation de vouloir une culture de la mort, à
l'appui de la photo figurant sur l'affiche, revient à
alléguer que les intimées souscrivent au découpage,
à l'empoisonnement ou à l'abandon dans une poubelle de
foetus bien développés. Par ailleurs, l'expression
'culture de la mort' ne contient pas d'invective et n'est pas non
plus un terme grossier dont il conviendrait de déterminer s'il
est propre à attaquer la victime dans son honneur.
L'expression litigieuse constitue par conséquent une
allégation de fait et non un jugement de valeur.» (BGE 128 IV 53, E. 1.f/bb).
[33]
Siehe dazu Florian Zihler, Tatsachenaussagen und Werturteile: Eine
überholte Kategorisierung?, in: Jusletter 15. August 2005, Rn.
14 und 16 mit Beispielen zur Rechtsprechung. Neuere Urteile, in
denen diese Unterscheidung angesprochen wird, sind das Urteil des EGMR 38450/12 vom 25.10.2018
(E.S. v. Austria); Urteil des EGMR 3779/11 vom 18.10.2018,
(Annen v. Germany [Nr. 6, siehe Fn. 20]); Urteil des EGMR 27447/07 vom 8.10.2015
(Kharmalov v. Russia); Urteil des EGMR 26671/09 vom 22.1.2015
(Pinto Pinheiro Marques v. Portugal).
[40]
Urteil des BVerfG, 1 BvR 514/90
(1992). Im Potentielle-Mörder-Urteil von 1992 lag dem
deutschen Bundesverfassungsgericht folgender Sachverhalt vor: Die
satirische Zeitschrift Titanic enthielt die ständige Rubrik
«Die sieben peinlichsten Persönlichkeiten». Darin
wurden jeweils meist öffentlich bekannte Personen mit einem
schlagwortartigen Namenszusatz genannt. In der März-Ausgabe
1988 wurden drei Namen mit dem Zusatz «geb.»
ergänzt, darunter der damalige Bundespräsident als
«Richard von Weizsäcker (geb. Bürger)»
aufgeführt. Danach folgte der Kläger des
Ausgangsverfahrens mit Vor- und Zunamen und mit dem Klammerzusatz
«geb. Mörder». Bei diesem Kläger handelte es
sich um einen querschnittsgelähmten jungen Mann, dem es
gelang, in die Bundeswehr aufgenommen zu werden.
[41]
Urteil des BVerfG, 1 BvR 1476/91 (Fn.
36). Das Soldaten-sind-Mörder-Urteil von 1994 ist publiziert
in: EuGRZ 1994, S. 463-465. Bei diesem Urteil ging es um einen
ähnlichen Sachverhalt wie 1995: Ein anerkannter
Kriegsdienstverweigerer hatte während des Golf-Krieges im Jahr
1991 auf der Rückseite seines Autos einen Aufkleber mit der
Aufschrift «Soldaten sind Mörder» angebracht. Das
«t» in dem Wort «Soldaten» war als Kreuz
stilisiert. Unter dem Satz befand sich die faksimilierte
Unterschrift «Kurt Tucholsky».
[42]
Beispielsweise die Besonderheiten der in der deutschen Lehre
entwickelten Rechtsfigur von sogenannter Schmähkritik.
[43]
Auf die Besonderheit, ob eigentlich «Murderer» gemeint
war, wird im Urteil eingegangen, Urteil des BVerfG, 1 BvR 1476/91 (Fn. 36),
Rn. 7 ff.
[48]
Publiziert in der Glosse
«Der bewachte Kriegsschauplatz»
(1931). Der verantwortliche Redaktor der Zeitschrift
«Weltbühne», Carl von Ossietzky, wurde 1932 wegen
«Beleidigung der Reichswehr» angeklagt, jedoch
freigesprochen.
[53]
Papst Franziskus fällt damit noch hinter die differenzierten
Äusserungen von Papst Johannes Paul II. zurück. Dieser
hatte in seinem
«Brief von Johannes Paul II. an die Frauen»
vom 29.6.1995 ausgeführt: «Wieviel Hochachtung verdienen
angesichts solcher Entartungen hingegen die Frauen, die mit
heroischer Liebe zu ihrem Kind eine Schwangerschaft austragen, die
durch das Unrecht ihnen gewaltsam aufgezwungener sexueller
Beziehungen zustande gekommen ist; was nicht nur im Rahmen der
Greueltaten vorkommt, die sich leider im Zusammenhang mit den auf
der Welt noch immer so häufigen Kriegen ereignen, sondern auch
in Situationen des Wohlstandes und des Friedens, die oft durch eine
Kultur eines hedonistischen Permissivismus verdorben sind, in dem
nur allzu leicht auch Tendenzen eines aggressiven Männertums
gedeihen. Unter solchen Umständen ist die Entscheidung zur
Abtreibung, die freilich immer eine schwere Sünde bleibt, eher
ein Verbrechen, das dem Mann und der Mitwirkung des Umfeldes
anzulasten ist, als eine den Frauen aufzuerlegende Schuld.»
[54]
Als Margrith Bigler-Eggenberger anfangs 1970er-Jahre als erste
Richterin ans Bundesgericht gewählt werden sollte, titelte
eine Zeitung aus der Ostschweiz, «Eine Mörderin ins
Bundesgericht», weil sich Bigler-Eggenberger öffentlich
für die Legalisierung der Abtreibung eingesetzt hatte (siehe
dazu: Nina Fargahi, Margrith Bigler-Eggenberger:
Mann schimpfte sie Mörderin, ZEIT Schweiz Nr. 36/2017, 31. August 2017).
20 Jahre später, 1993, wurde SP-Bundesratskandidatin
Christiane Brunner angefeindet, indem behauptet wurde, sie sei an
einer illegalen Abtreibung beteiligt gewesen.
[56]
Z.B. Schwangerschaft nach Vergewaltigung, Gefährdung des
Lebens der Mutter, drückende wirtschaftliche Not einer
Familie.
[57]
Erwähnt sei hier, dass es keine Lösung, sondern eine von
der Natur vorgesehene Folge der Schwangerschaft ist, das Kind zu
gebären. Gerade wenn das eigene Leben der betreffenden Frau in
Gefahr ist, lösen auch das Gebären und eine Freigabe zur
Adoption das Problem nicht.
[58]
Dies, trotz der berühmten Textstelle aus dem Brief des
Apostels Paulus an die Gemeinde in Galatien: «Denn ihr alle,
die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand)
angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und
Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer' in
Christus Jesus.» Galater 3, 27 f. (Einheitsübersetzung).
Darin wird auch auf theologischer Seite ein idealistischer
Gleichstellungsansatz für die Gleichberechtigung der
Geschlechter gesehen. Schüssler Fiorenza bezeichnet
die Stelle als «theologischen Schlüsseltext», vgl.
Elisabeth Schüssler Fiorenza, Grenzen überschreiten: der
theoretische Anspruch feministischer Theologie, Münster 2004,
S. 167 ff. Vgl. zur Thematik auch: Denise Buser, Die unheilige
Diskriminierung, Eine juristische Auslegeordnung für die
Interessenabwägung zwischen Geschlechtergleichstellung und
Religionsfreiheit beim Zugang zu religiösen
Leitungsämtern, Münster 2014, S. 60; dies., Dürfen
Religionsgemeinschaften Frauen beim Zugang zu religiösen
Ämtern diskriminieren? Zur Anwendbarkeit des
CEDAW-Übereinkommens bei diskriminierenden religiösen
Praktiken in der Ämterbesetzung, in: Anne Kühler et al.
(Hrsg.), Quae Caesaris Caesari, quae Dei Deo? Bezüge von Recht und
Religion im Wandel, Festschrift für Felix Hafner, Zürich/St. Gallen 2018,
S. 61 ff.
[60]
UNO-Übereinkommen von 1979, das 1997 in der Schweiz in Kraft
trat (Wortlaut auf Deutsch in der Systematischen Rechtssammlung, SR 0.108).
[61]
Hier wird nicht einem Täterstrafrecht das Wort geredet,
sondern es geht um den Papst in seinem Amt als Stellvertreter
Christi in der Welt; nicht um seine persönliche Meinung als
Privatperson.
[62]
So hält auch Urteil des EGMR
3687/10
vom 20.9.2018 in (Annen v. Deutschland [Nr. 3, siehe Fn. 20]) in
§ 31 (letzter Satz) fest, dass Werturteile zu Hass und
Übergriffen führen können. Zu erwähnen ist hier
auch, dass in katholischen Ländern zuweilen, auch wenn
nationales Recht unter gewissen Voraussetzungen einen Abbruch
zulässt, nicht garantiert ist, dass Betroffene Zugang zu den
notwendigen ärztlichen Leistungen haben. Siehe dazu etwa das Urteil des EGMR 25579/05 vom 16.12.2010
(A, B and C v. Ireland). Zuweilen werden sie wie im „Fall
Agata" gemobbt: Urteil des EGMR 57375/08 vom 30.10.2012
(P. und S. v. Polen). Siehe dazu Gabriele Lesser, Abtreibungsverbot in Polen, taz 31.10.2012. Es ist deswegen relevant, wie sich der Papst
positioniert.
[64]
Mit Kollektivbeleidigung ist die Beleidigung mehrerer
Einzelpersonen, nicht die Beleidigung einer Kollektiveinheit
gemeint. Siehe dazu etwa Nikolaos Androulakis, Die
Sammelbeleidigung, Darmstadt 1970, S. 9, der in diesem Zusammenhang
den Begriff Sammelbeleidigung benutzt; Riklin (Fn. 29), vor Art.
173 N 52.
[65]
Siehe 1. Einleitung.
[66]
Für die Schweiz siehe etwa BGE 124 IV 262, E. 2.a;
Trechsel/Lieber (Fn. 29), vor Art. 173 N 12a; Riklin (Fn. 29), vor
Art. 173 N 52 je m.w.Nw. Für Deutschland siehe etwa BVerfG, 1 BvR 1476/91 (Fn. 36),
Rn. 139. Im französischen und angelsächsischen Recht wird
Sammelbeleidigung auch nur mit grosser Zurückhaltung bejaht.
Siehe dazu Androulakis (Fn. 64), S. 82 ff. mit rechtsvergleichenden
Erläuterungen.
[68]
Androulakis (Fn. 64), S. 88.
[69]
Entsprechend liegt keine Ehrverletzung vor, wenn behauptet wird,
bestimmte Politiker hätten das Laufenthal verkauft, die
Laufenthaler verseggelt und das Laufenthal dürfe nicht weiter
von solchen Vasallen vertreten werden (BGE 116 IV 146).
Ebensowenig ist die Bezeichnung «militante Gruppe», die
an der Sache vorbei politisiere, die Behörden
übermässig beschäftige und den Steuerzahler sehr
viel Geld koste, ehrverletzend (Urteil des BGer 1C_438/2014 vom 19.3.2015,
E. 3.5).
[70]
Androulakis (Fn. 64), S. 87 mit Verweis auf Urteil des
Bundesverfassungsgerichts, 7, 212.
[71]
Androulakis (Fn. 64), S. 104.
[72]
Androulakis (Fn. 64), S. 105 f.
[73]
Das Bundesgericht hat beispielsweise die Strafbarkeit einer Ehrverletzung,
die 73 Nationalräte betraf, bejaht (BGE 80 IV 166).
[74]
Androulakis (Fn. 64), S. 104.
[76]
Siehe dazu die Medienmitteilung vom 19.
November 2018 von prominenten Katholikinnen, die auch aufgrund des
Papst-Vergleichs aus der katholischen Kirche ausgetreten sind. Der
Papst-Vergleich spiegle «die Grundhaltung der
römisch-katholischen Amtskirche: Abtreibung ist in jedem Fall
eine schwere Sünde, die mit Exkommunikation bestraft werden
kann.» In der Medienmitteilung heisst es weiter, über
Abtreibung könne man geteilter Meinung sein, empörend sei
jedoch, Frauen in einer Notlage zu Kriminellen zu stempeln,
während gleichzeitig Verhütungsmittel streng verboten
seien. Werde eine Frau dann ungewollt schwanger, sei der Schutz des
«ungeborenen Lebens» sakrosankt, die Lebenssituation der
betroffenen Frauen werde dagegen komplett ausgeblendet.
[77]
Medienmitteilung
des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von
Frau und Mann vom 13.11.2018. So erscheint es nur folgerichtig,
dass die Schweiz am 1. April 2018 das Übereinkommen des
Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen und häuslicher Gewalt (die sogenannte
Istanbul-Konvention, SR 0.311.35) übernommen
hat.