I. Ausgangslage
Je nach Rechtsanwendungsgebiet lässt sich in der Praxis ein Blick in die Fussnoten eines Gesetzes oder einer Verordnung kaum vermeiden. Nicht selten trifft man dabei Hinweise auf andere Normen und Regelwerke internationaler, nationaler, staatlicher oder privater Natur an. Insbesondere bei Normen, welche nicht aus der Feder des schweizerischen Gesetzgebers stammen, sondern von Privaten verfasst wurden, findet sich sodann die Information, wo die betreffende Norm konsultiert, abgerufen, bezogen oder gekauft werden kann. Ein kostenpflichtiger Download auf der Website des jeweiligen Normenerzeugers oder ein Gang zum zuständigen Bundesamt müssen von den Rechtsunterworfenen mithin in Kauf genommen werden. Wie verhält sich diese Praxis mit der dem demokratischen Rechtsstaat inhärenten Pflicht zur Publikation rechtsetzender Erlasse? Ist es doch unabdingbare Voraussetzung für die Anwendbarkeit und Verbindlichkeit einer Norm, dass diese für die Rechtsunterworfenen zugänglich ist und dass im Sinne der Rechtssicherheit und der Transparenz eine gewisse Vorhersehbarkeit und Erkennbarkeit der Rechtslage gewährleistet wird.[1] So mutet es auf den ersten Blick etwas seltsam an, wenn rechtsanwendende Personen die sie verpflichtenden und berechtigenden Normen zunächst erwerben müssen, bevor sie diese einsehen und anwenden können. Um diese mittlerweile weit verbreitete Praxis rechtlich einordnen zu können, muss in verschiedener Hinsicht differenziert werden. Die Frage nach der angestrebten Verbindlichkeit, dem Adressatenkreis und dem Preis-Leistungs-Verhältnis stehen dabei im Fokus und sollen im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
II. Staatlich gesteuerte Selbstregulierung
1. Begriff der Selbstregulierung
Werden private Normen in die staatliche Rechtsordnung miteinbezogen, ist von (staatlich gesteuerter) Selbstregulierung die Rede. Eine einheitliche Definition des Begriffs der Selbstregulierung fehlt in der schweizerischen Rechtsordnung. Entsprechend ist eine Abgrenzung und Differenzierung von anderen privaten Normierungsformen, wie bspw. Statuten eines Vereins, oder staatlichem Ausführungsrecht, z.B. Vollziehungsverordnungen, äusserst schwierig und teils auch kaum sinnvoll.[2] Selbstregulierung umfasst jedoch m.E. im Mindesten eine Regelung einer privaten Interessengruppe, wobei diese Regelung primär privaten bzw. gesellschaftlichen Zwecken dient und dabei die - wie auch immer ausgestaltete - staatliche Einflussnahme beschränkt oder gar ausgeschlossen ist. Ausgehend von der Privatautonomie ist die sogenannte reine Selbstregulierung einer privaten Selbstverwaltung gleichzusetzen, die lediglich Wirkung inter partes zu erzeugen vermag und gänzlich ohne hoheitlichen Einfluss auskommt. Sobald der Staat auf die Selbstregulierung einwirkt, wobei diese Einflussnahme bis hin zur paritätischen Kooperation von Staat und Privaten reichen kann, ist von staatlich gesteuerter Selbstregulierung die Rede.[3] Staatlich gesteuerte Selbstregulierung kann in der Praxis die unterschiedlichsten Ausprägungen annehmen. Dabei entspricht sie stets dem demokratisch-liberalen Verständnis des heutigen Gewährleistungsstaates.[4] Zugleich ist sie Folge des sich weiterhin haltenden Vorwurfs der staatlichen Überregulierung und mithin eine Form der Deregulierung.[5]
2. Rechtlicher Rahmen
Mangels einer expliziten Rechtsgrundlage, insbesondere im Hinblick auf die Zulässigkeit von Selbstregulierungen, werden zumeist die Voraussetzungen von Art. 164 BV und Art. 178 Abs. 3 BV sinngemäss herangezogen.
a) Art. 164 BV
Im Sinne des allgemeinen Legalitätsprinzips nachArt. 5 Abs. 1 BV setzt der in Art. 164 Abs. 1 BV statuierte Gesetzesvorbehalt für den Erlass wichtiger Bestimmungen die Form des Bundesgesetzes voraus.[6] Für wichtige Inhalte[7] werden eine hohe Normstufe (Gesetz im formellen Sinne) sowie eine hohe Normdichte (Erfordernis des Rechtssatzes) gefordert.[8] Daraus ergibt sich im Gegenzug ein Delegationsverbot für wichtige Inhalte (Art. 164 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BV). Die Voraussetzungen der Gesetzesdelegation (eigentlich:Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen) sind sodann in Art. 164 Abs. 2 BV verankert.[9] Vom Grundsatz, dass die Gesetzgebungskompetenz bei der Bundesversammlung liegt, kann abgewichen werden, sofern die Delegation nicht durch die Bundesverfassung ausgeschlossen ist[10], sich der Regelungsbereich auf eine bestimmte Materie beschränkt[11], und die Delegationsnorm selbst sowie die Grundzüge der delegierten Materie in einem formellen Gesetz[12] enthalten sind. Über den Adressatenkreis solcher Delegationsbefugnisse schweigt sich die Verfassung bedauerlicherweise aus. Ob Art. 164 Abs. 2 BV - welcher in der Praxis insbesondere Grundlage für die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Kantone sowie an den Bundesrat und dessen Departemente bildet - auch für die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an Private herangezogen werden kann, ist in der Lehre weitgehend umstritten. M.E. ist die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an Private zulässig, sofern sie im Sinne von Art. 164 Abs. 2 BV durch die Verfassung nicht ausgeschlossen ist und die übrigen durch Verfassung und Rechtsprechung geschaffenen Voraussetzungen erfüllt sind.[13] Das Erfordernis eines expliziten Verfassungsvorbehalts[14] zu bejahen, würde nach der hier vertretenen Meinung zu weit gehen.
b) Art. 178 Abs. 3 BV
In Art. 178 Abs. 3 BV wird im Sinne der Dezentralisierung die Auslagerung von Verwaltungsaufgaben auf andere, ausserhalb der Bundesverwaltung stehende staatliche Aufgabenträger geregelt. Zur Auslagerung von Verwaltungsaufgaben ist eine Ermächtigung durch das Gesetz erforderlich, wobei die Anforderungen an die formell-gesetzliche Grundlage nicht in allen Anwendungsbereichen gleich hoch sind und sich nicht alle Verwaltungsaufgaben für eine Dezentralisierung eignen.[15] Des Weiteren muss die Auslagerung im öffentlichen Interesse liegen (Art. 5 BV) und der Rechtsschutz (Art. 29a BV) sowie die Funktionstauglichkeit des neuen Rechtsträgers müssen längerfristig sichergestellt sein. Schliesslich ist eine staatliche Aufsicht erforderlich und die Aufgabenträger haben sich an die Grundrechte zu halten (Art. 35 Abs. 2 BV). Im Hinblick auf die Frage der Selbstregulierung sind jedoch nicht die Voraussetzungen an sich problematisch, sondern die vorgelagerte Frage, was unter einer Verwaltungsaufgabe zu verstehen ist; dies wird in der Verfassung jedoch nicht näher definiert. Je enger der Begriff der Verwaltungsaufgabe ausgelegt wird, desto weniger ist die Subsumierung der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen an Private unter Art. 178 Abs. 3 BV möglich.[16] M.E. gehen Rechtsetzungsbefugnisse in ihren Auswirkungen weiter als die blosse Übertragung einer Verwaltungsaufgabe bzw. die Vollzugsdelegation. Als Grundlage für die staatlich gesteuerte Selbstregulierung kann, je nach deren Ausgestaltung, sowohlArt. 164 BV als auch Art. 178 Abs. 3 BV dienen.
c) Rechtsprechung des Bundesgerichts
Das Bundesgericht hat sich bisher erst in wenigen Fällen mit den Voraussetzungen der Zulässigkeit von Selbstregulierungen befasst:
In BGE 143 II 162 hielt es beschränkt auf den Anwendungsbereich des GwG[17] fest, dass im Rahmen der Selbstregulierung der Erlass technischer Vorschriften zulässig ist, nicht jedoch die Einführung neuer Pflichten.[18]
In BGE 143 II 518 zum Inverkehrbringen von Produkten nach dem THG[19] und dem PrSG[20] stellte es fest, dass die beiden Gesetze auf dem Grundsatz der gesteuerten Selbstregulierung basieren würden, wonach der Staat lediglich den Rahmen setze. Innerhalb dieses Rahmens obliege die Regulierung den Privaten. Auch im Rahmen des Vollzugs sei es nicht Aufgabe des Staates, Lösungen vorzuschlagen, da ansonsten das System der gesteuerten Selbstregulierung qua Vollzug unterlaufen werden würde. [21]
In BGE 136 I 316 hat das Bundesgericht bei der Beurteilung einer SIA[22] -Norm Klärungen in Bezug auf die Verweisungspraxis vorzunehmen versucht und dabei festgehalten, dass statische Verweise, d.h. Verweise auf eine bestimmte Fassung einer Norm,[23] grundsätzlich als unproblematisch anzusehen seien. Dynamische Verweise hingegen, mit welchen faktisch Rechtsetzungsbefugnisse an Private delegiert würden, seien nur zulässig, wenn eine Verfassungsnorm die Privaten als Rechtsetzungssubjekte vorsehe und den notwendigen gesetzlichen Übertragungsakt bezeichne.[24] Wird die Setzung von Normen delegiert, die Gegenstand einer Vollziehungsverordnung bilden, handle es sich dagegen funktional um Verwaltung. Dabei würden nicht Rechtsetzungsbefugnisse delegiert, sondern lediglich Verwaltungsaufgaben im Sinne von Art. 178 Abs. 3 BV auf Private übertragen.[25]
Diese Entscheide zeigen, dass Selbstregulierungen durchaus Einzug in den Rechtsalltag gehalten haben und es in der Praxis vermehrt zu Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten kommen kann. Wünschenswert wäre, wenn sich das Bundesgericht nicht nur beschränkt auf die im Einzelfall untersuchte Norm, sondern sich auch in allgemeiner Weise zur Zulässigkeit der staatlich gesteuerten Selbstregulierung äussern würde.
d) Zwischenfazit
Grundsätzlich ist die staatlich gesteuerte Selbstregulierung als zulässig zu erachten. Mangels einer expliziten Rechtsgrundlage wird im Einzelfall zunächst zu prüfen sein, ob eine bestimmte Norm einen öffentlich-rechtlichen oder privaten Charakter aufweist. Wird sie dem öffentlichen Recht zugeordnet, sind zwingend die oben genannten, im Rahmen von Art. 164 BV geltenden Voraussetzungen einzuhalten. Und auch umgekehrt wird eine Norm nur dem öffentlichen Recht zugeordnet werden können, wenn sie die durch Verfassung und Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen einhält. Wird also eine ursprünglich private Regulierung auf die materielle Ebene des staatlichen Rechts gehoben und als öffentlich-rechtliche Norm qualifiziert, kommt ihr dieselbe Verbindlichkeit zu wie dem durch den hoheitlichen Gesetzgeber geschaffenen Recht. Folglich müsste sie auch auf dieselbe Weise publiziert und zugänglich gemacht werden.
III. Übernahme von Selbstregulierungen in das staatliche Recht
1. Verweisung
a) Verweisung als rechtsetzungstechnisches Instrument
Eine mittlerweile etablierte Praxis um private Normen in das staatliche Recht zu überführen und ihnen Verbindlichkeit zu verleihen, stellt die Verweisung dar. Die Verweisung an sich ist ein rechtsetzungstechnisches Instrument. Der Gesetzgeber verweist dabei in seinem Gesetz oder seiner Verordnung (Verweisungssubjekt) auf eine andere, bereits bestehende Norm (Verweisungsobjekt). Dabei kann der Gesetzgeber nicht nur auf seine eigenen staatlichen Normen verweisen, sondern auch auf private Normen, die durch die Verweisung zu einem integralen, materiellen Bestandteil des staatlichen Erlasses werden. Auf diese Weise können faktisch Rechtsetzungsbefugnisse auf Private übertragen werden, weswegen die Voraussetzungen der Gesetzesdelegation nach Art. 164 Abs. 2 BV zu beachten sind.[26] Problematisch ist dabei sicherlich das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage, zumal in der Praxis die meisten Verweise auf private Regelwerke erst auf Verordnungsstufe zu finden sind. Je nachdem, welchen Charakter das Verweisungsobjekt aufweist und welche Verbindlichkeit es anstrebt, genügt eine Grundlage in einer Verordnung jedoch nicht.[27]
Unterschieden wird zwischen normativen und informativen, direkten und indirekten, dynamischen und statischen sowie zwischen Binnen- und Aussenverweisen.[28] Insbesondere die Unterscheidung von dynamischen und statischen Verweisungen ist aus rechtsstaatlicher Sicht interessant. So wird von einer statischen Verweisung gesprochen, wenn auf eine bestimmte Fassung einer Norm verwiesen wird, z.B. mittels des Zusatzes «in der Fassung vom 01.01.2019». Auf diese Weise wird eine Abänderung des Verweisungsobjekts ohne Zutun des Gesetzgebers verhindert. Entsprechend findet durch den statischen Verweis keine eigentliche Rechtsetzungsdelegation im Sinne von Art. 164 Abs. 2 BV statt, weswegen auch die Anforderungen herabzusetzen sind.[29] Dynamisch sind Verweisungen hingegen, wenn das Verweisungsobjekt, sprich die Selbstregulierung, in der jeweils aktuell geltenden Fassung verbindlich ist. Dies führt dazu, dass die private Norm ohne Zutun des Gesetzgebers verändert werden kann, was faktisch einer Blankoermächtigung für die Privaten gleichkommt. Dynamische direkte Verweisungen sind daher, wie auch bereits vom Bundesgericht festgestellt[30], heikel.
In der Praxis wird des Öfteren auf «anerkannte Regeln» (der Baukunde, der Technik, der Kunst usw.) oder auf den «Stand der Wissenschaft» verwiesen. Solche indirekten, rein informativen Verweise sind nicht als eigentliche Verweise im oben genannten Sinne zu qualifizieren, sondern weisen lediglich auf einen bestimmten Standard und gerade nicht auf ein spezifisches privates Normenwerk hin. Durch die blosse Erwähnung eines solchen Standards in einem Gesetz oder einer Verordnung, wobei Inhalt und Tragweite des Standards der Auslegung durch die Rechtsanwendung unterworfen sind, werden diese jedoch nicht zu verbindlichem Recht.[31]
b) Rechtsnormqualität der Verweisung
Durch die Verweisung wird das ursprünglich private Recht in die Sphäre des staatlichen Rechts gebracht. Ob die privaten Normen auf diese Weise zu staatlichem Recht werden oder nicht, ist umstritten. Dem Verweisungsobjekt die Qualifizierung als staatliches Recht ganz abzuerkennen, wäre wohl am einfachsten und würde zudem die Problematik der Publikation geschickt umgehen: Die privaten Normen, auf die verwiesen wird, würden privat bleiben und daher keiner Publikation bedürfen.[32] Diese Ansicht greift m.E. zu kurz. Die Absicht des Gesetzgebers bei der Verwendung von Verweisungen ist nicht, den Privaten im Sinne der Privatautonomie freien Regelungsspielraum zu lassen, zumal ihm hierfür andere Instrumente wie die Privatisierung zur Verfügung stehen. Er verzichtet zwar zugunsten privater Regulierungen auf den Erlass einer eigenen staatlichen Regelung, nimmt aber durch den Verweis wieder Bezug auf die private Norm und führt diese zurück in seinen Einflussbereich. Dies entspricht gerade dem Charakter der staatlich gesteuerten Selbstregulierung, wonach Private eine Selbstregulierung erlassen können, dabei jedoch weiterhin dem, wie auch immer ausgestalteten, staatlichen Einfluss unterworfen sind. Insofern ist eine Selbstregulierung, auf die das staatliche Recht verweist, nicht privater Natur.
Davon auszugehen, dass private Normen qua Verweis zu staatlichem Recht werden,[33] würde hingegen auch zu weit gehen. Staatlich gesteuerte Selbstregulierungen befinden sich gerade im Schnittbereich von staatlichem und privatem Recht und können nicht gänzlich dem einen oder dem anderen Rechtskreis zugeordnet werden.[34] Nach der hier vertretenen Meinung werden somit die privat entstandenen Normen durch die Verweisung vom Staat anerkannt und erhalten eine gewisse Verbindlichkeit. Dennoch untersteht die staatlich gesteuerte Selbstregulierung nicht per se denselben rechtsstaatlichen Prinzipien wie das vom Gesetzgeber erlassene Recht. Wie so oft, wenn eine klare Rechtsgrundlage fehlt, wird im Einzelfall zu beurteilen sein, ob ein Verweisungsobjekt mehrheitlich staatliches oder privates Recht darstellt.
2. Inkorporierung
Sofern private Normen in ihrer Gesamtheit, mehr oder weniger wörtlich, in einen staatlichen Erlass übernommen werden, ist von Inkorporation oder Inkorporierung die Rede. Die ursprünglich private Natur der Normen ist in der Folge nicht mehr als solche erkennbar und die Normen sind dem hoheitlichen Recht sowohl materiell als auch formell gleichgestellt. Insofern stellen sich auch keine Fragen in Bezug auf deren Verbindlichkeit oder die Publikation.[35]
3. Allgemeinverbindlicherklärung
Durch die Allgemeinverbindlicherklärung werden primär in den Bereichen des Mietrechts (Art. 109 Abs. 2 BV) und des Arbeitsrechts (Art. 110 Abs. 1 lit. d BV) private Normen als allgemeinverbindlich, d.h. für weitere Akteure desselben Wirtschaftszweigs als verbindlich, erklärt. Aufgrund des relativ starken Eingriffs in die Privatautonomie der Betroffenen gelten für die Allgemeinverbindlicherklärungen zusätzliche verfassungsrechtliche Voraussetzungen. Die Problematiken um Verbindlichkeit und Publikation sind begrenzt, da die Wirkung von Allgemeinverbindlicherklärungen von Gesamtarbeitsverträgen in Art. 5 AVEG[36] und deren Publikation in Art. 14 AVEG explizit geregelt sind; für den Bereich des Mietrechts sind die entsprechenden Vorgaben in Art. 5 und 11 des Bundesgesetzes über Rahmenmietverträge und deren Allgemeinverbindlicherklärung[37] zu finden.[38]
4. Branchenvereinbarung
Formulierungen, die den Adressaten z.B. dazu auffordern, «bestimmte Vorschriften soweit möglich und notwendig beim Vollzug zu beachten», weisen auf Branchenvereinbarungen hin. Diese sind grundsätzlich nur für die betreffenden Mitglieder rechtsverbindlich, erhalten aber durch die Anerkennung durch den Bundesrat oder einer anderen Verwaltungsbehörde eine gewisse, wenn auch beschränkte Verbindlichkeit, indem sie zu Mindeststandards erhoben werden und dem Gesetzgeber als Auslegungshilfe dienen. Da Branchenvereinbarungen trotz Anerkennung durch eine staatliche Instanz dem privaten Recht zugehörig bleiben und keine generell-abstrakten Rechtswirkungen zu erzeugen vermögen, ergeben sich auch hier kaum Schwierigkeiten im Hinblick auf deren Publikation und Verbindlichkeit.[39]
IV. Publikation privater Normen
1. Publikation von Rechtsnormen im Allgemeinen
Erst durch die Publikation und somit ermöglichte Kenntnisnahme durch die Rechtsunterworfenen entfalten die in den Rechtstexten statuierten Rechte und Pflichten ihre Wirkung (Art. 8 Abs. 1 PublG). Die Publikation von Erlassen des Bundes[40] erfolgt gestützt auf das Publikationsgesetz[41]. Art. 2 PublG nennt dabei die Erlasse des Bundes, welche in der Amtlichen Sammlung (AS) zu veröffentlichen sind. Im zweiten Halbsatz von Art. 2 lit. e PublG wird ferner die Publikation in der AS vorgesehen für übrige rechtsetzende Erlasse «von Organisationen und Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts[42], die mit Verwaltungsaufgaben betraut sind, jedoch nicht der Bundesverwaltung angehören» (siehe Art. 178 Abs. 3 BV). Von Art. 2 lit. e PublG sind dem Wortlaut nach jedoch nur rechtsetzende Erlasse erfasst. Demnach fällt eine Veröffentlichung nur dann unter Art. 2 lit. e PublG, wenn mit der Übertragung von Verwaltungsaufgaben auch Rechtsetzungsbefugnisse im Sinne von Art. 164 Abs. 2 BV auf die Organisationen und Personen des öffentlichen und privaten Rechts delegiert werden. Zur Publikation privater Normen schweigt sich das Publikationsgesetz ansonsten aus.
2. Publikation durch Verweise im Sinne von Art. 5 PublG
Vom Grundsatz, dass jeder Erlass in seiner Gesamtheit in der AS bzw. auf der Onlineplattform des Bundes (sog. Publikationsplattform) zu publizieren ist, kann nach Massgabe von Art. 5 Abs. 1 PublG ausnahmsweise abgewichen werden, wenn der publikationspflichtige Rechtstext wegen seines «besonderen Charakters» zur Veröffentlichung als Ganzes ungeeignet ist.[43] Dies ist namentlich der Fall, wenn sich der Text nur an einen kleinen Adressatenkreis richtet (lit. a), wenn er technischer Natur ist und sich nur an Fachleute wendet (lit. b), wenn er in einem Format veröffentlicht werden muss, das sich für die Veröffentlichung in der AS nicht eignet (lit. c) oder wenn ein Bundesgesetz oder eine Verordnung die Veröffentlichung ausserhalb der AS anordnet (lit. d). In die Kategorien von lit. a und b fallen insbesondere technische Normen, bspw. Sicherheitsbestimmungen im Bereich des Personentransports, im Baubereich oder im Medizinalbereich.[44] Unter lit. c fallen bspw. Datenbanken[45], die sich in der Form eines Rechtstextes oder eines Anhanges nicht publizieren lassen. Weisen also Rechtstexte im Sinne derArt. 2-4 PublG (Erlasse des Bundes, völkerrechtliche Verträge und Konkordate) einen solchen «besonderen Charakter» nach Art. 5 Abs. 1 PublG auf, wird lediglich ein Verweis, sprich deren Titel und Fundstelle bzw. Bezugsquelle, in die AS aufgenommen.
Art. 5 Abs. 2 PublG sieht eine Ausnahme von der Veröffentlichung in der AS für Rechtstexte vor, die von einem externen Publikationsorgan herausgegeben werden. So sind Rechtstexte, «die in einem anderen in der Schweiz unentgeltlich zugänglichen Publikationsorgan veröffentlicht sind», ebenfalls als Verweis, d.h. mit Titel sowie der Fundstelle in diesem Organ oder der Bezugsstelle, in die AS aufzunehmen. In erster Linie geht es hierbei um Rechtsakte der EU[46] und private Normen, die durch das Schweizerische Recht für anwendbar erklärt wurden.[47] Die Botschaft nennt ausdrücklich staatliche, supranationale und private Trägerschaften und weist darauf hin, dass es insbesondere bei Normen privater Organisationen zu Schwierigkeiten in Bezug auf die geforderte Unentgeltlichkeit und den urheberrechtlichen Schutz[48] kommen kann.
Art. 14 Abs. 3 der Publikationsverordnung[49] führt hierzu konkretisierend aus, dass bei einer Publikation durch Verweis im Sinne von Art. 5 Abs. 2 PublG Folgendes in der AS aufgeführt sein muss: die Internetadresse, über die der Text eingesehen oder bezogen werden kann (lit. a), die federführende Behörde oder allenfalls andere Stellen, bei welchen der Text unentgeltlich eingesehen werden kann (lit. b), sowie die Postadresse, bei welcher der Text bezogen werden kann, wenn die betreffende Stelle über keine Internetadresse verfügt (lit. c). Im Umkehrschluss ist folglich anzunehmen, dass bei Publikationen durch Verweise im Sinne von Art. 5 Abs. 2 PublG die Zugänglichkeit über eine Internetseite sowie bei der Behörde bzw. beim privaten Anbieter gewährleistet sein muss, jedoch lediglich bei Letzterem der Zugang kostenlos zu sein hat.[50] So führt auch die Botschaft zum Publikationsgesetz aus, dass die Verwendung eines Verweises nach Art. 5 Abs. 2 PublG nur zulässig ist, wenn die Kostenlosigkeit der Konsultation der Texte gewährleistet ist. Auch aus dem in der Botschaft angeführten Beispiel der Normen, die bei der Schweizerischen Normenvereinigung (SNV) zu beziehen sind,[51] ist zu entnehmen, dass die gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind, solange die Normen bei der Geschäftsstelle einsehbar sind. Ein kostenloser Online-Zugang wird nicht verlangt.[52] Anders als noch in der Publikationsverordnung vom 17. November 2004[53] wird ausserdem keine Veröffentlichung in den erforderlichen Amtssprachen vorausgesetzt, so dass sich die Problematik der nur in englischer Sprache verfügbaren internationalen bzw. EU-rechtlichen Normen oder der nur in einer Landessprache erhältlichen Selbstregulierungen nicht mehr weiter stellen dürfte.[54]
Art. 5 PublG bezieht sich im Übrigen, anders als es der Titel vermuten lässt, nicht per se auf die oben erläuterte Rechtsetzungstechnik der Verweisung, sondern regelt eine besondere Art der Veröffentlichung publikationspflichtiger Texte.[55] Das «Verweisungsobjekt» im Sinne von Art. 5 Abs. 1 und 2 PublG ist stets rechtsverbindlich und wird lediglich aus praktischen Gründen nicht in der Form eines Rechtstexts publiziert, sondern eben ausserhalb der AS bzw. der Publikationsplattform. Im Rahmen von Art. 5 PublG ist der durch Verweis veröffentlichte Text dem in der AS veröffentlichen Rechtstext nicht untergeordnet, sondern ebenso rechtsverbindlich wie dieser.[56] Als allgemeine Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung privater Normen ist Art. 5 Abs. 2 PublG folglich erst dann heranzuziehen, wenn die Selbstregulierung, auf die verwiesen wurde, rechtsverbindlich ist.
3. Beispiele aus der Praxis
a) SIA-Normen
Das wahrscheinlich meist genannte Beispiel, wenn von Verweisungen auf private Normen die Rede ist, ist die Normensammlung des SIA. Der SIA ist ein privatrechtlicher Berufs- und Branchenverband, der für seine Mitglieder und sämtliche weiteren Beteiligten ein umfassendes Normenwerk geschaffen hat. Sowohl in kantonalen wie auch in bundesrechtlichen Erlassen finden sich Verweise auf die SIA-Ordnungen, so z.B. in einer Fussnote zur Lärmschutzverordnung des Bundes: