Zunächst aber gehe ich in Ziffer II auf einige technische Aspekte der
indirekten Nutzung ein. Kartell- und AGB-rechtliche Fragen sind nicht
Gegenstand dieses Beitrags. Für ein besseres Verständnis
erläutere ich die indirekte Nutzung anhand eines Beispiels, das in
Ziffer II beschrieben ist.
II. Beispiel: Indirekte Nutzung von Computerprogrammen
bei
Enterprise Resource Planning Software (ERP)
Die meisten Unternehmen setzen Computerprogramme verschiedener Hersteller
ein. Die Programme erledigen unterschiedliche Aufgaben. Dafür
müssen sie miteinander interagieren. Sie greifen z.B. auf die in
anderen Programmen gespeicherten Daten zu oder lösen Funktionen dieser
Programme aus. Dazu ein Beispiel: Eine Enterprise Resource Planning
Software (ERP) steuert die wichtigsten Prozesse eines Unternehmens. Dazu
gehören das Rechnungswesen, die Logistik oder das Personalwesen. Das
bekannteste ist «SAP ERP». Ein Programm, das oft mit dem ERP
zusammen eingesetzt wird, ist das Customer Relationship Management System
(CRM). Mit dem CRM verwalten viele Unternehmen ihre Kundenbeziehungen.
Unternehmen, die ein CRM einsetzen, verbinden es mit bestehenden
Geschäftsprozessen. Weit verbreitet ist das CRM von Salesforce. Es
greift z.B. auf die im ERP gespeicherten Kundendaten zu, wenn ein
Kundenbetreuer eine Bestellung für einen Kunden erfasst. Der
Bestellprozess wird zwar durch das CRM ausgelöst, die Bestellung
selbst aber im ERP abgewickelt. So wird oft etwa der Preis für eine
Bestellung zuerst im ERP berechnet und darauf an das CRM bzw. den
Kundenberater weitergereicht. Oder die Verfügbarkeit des bestellten
Produkts wird über das Logistik-Modul des ERP überprüft. Je
nach Konfiguration können sogar Kunden des Anwenders das CRM direkt
nutzen und eine Bestellung auslösen, die über das ERP
ausgeführt wird. Solche Zugriffe werden als «indirekte
Nutzung» bezeichnet. Diesem Beispiel liegt der Entscheid «SAP UK
Limited vs. Diageo Great Britain Limited» zugrunde.[1]
Darin kommt ein englisches Gericht zum Schluss, dass externe Kunden, die
über das CRM von Salesforce auf SAP ERP zugreifen, Nutzer sind, die
der Lizenznehmer des ERP lizenzieren muss.[2]
Fragen zur indirekten Nutzung stellen sich nicht nur beim Gebrauch eines
ERP. In komplexen Systemlandschaften interagieren Computerprogramme auf
vielseitige Weise miteinander. Kontrovers diskutiert wird die indirekte
Nutzung, weil ihre Auswirkungen sehr unterschiedlich sein können:
Prüfen Besucher eines Online-Shops die Verfügbarkeit eines
Produktes, lösen sie damit eine Anfrage im ERP aus. Es können
damit Tausende von Nutzern sein, die indirekt auf das ERP zugreifen. Muss
der Anwender alle diese Nutzer lizenzieren? Anders ist die Situation im
folgenden Beispiel: In der Praxis richtet der Anwender oft einen
«fiktiven» Nutzer des ERP ein, der korrekt lizenziert ist und
über den er alle Zugriffe abwickelt, die im Rahmen der indirekten
Nutzung erfolgen. Anstatt alle Nutzer des CRM zu lizenzieren, die indirekt
auf das ERP zugreifen, löst der Lizenznehmer nur eine einzige Lizenz.[3]
Software-Integratoren verbinden das ERP und das CRM auf unterschiedliche
Weise miteinander. Sie können auf der Ebene des User Interface, der
Daten- oder der Applikationsebene integriert werden.[4]
Bei der Integration über das User Interface wird die
Benutzeroberfläche eines der beiden Programme im anderen aufgerufen,
und die Funktionen des aufgerufenen Programms stehen zur Verfügung.
Dabei handelt es sich um einen direkten Zugriff auf das Programm und damit
nicht um eine indirekte Nutzung. Diese Form der Nutzung lasse ich hier
ausser Acht. Im zweiten Fall tauschen die Programme die Daten aus. Im Fall
der Integration auf Applikationsebene schliesslich ruft das eine Programm
die Funktionen des anderen über eine Schnittstelle auf (also z.B. das
CRM Funktionen des ERP).
III. Betroffene Nutzungsrechte bei der indirekten Nutzung
1. Ausgangspunkt
Gegenstand der Verwertung im Urheberrecht ist das Werk, hier das
Computerprogramm. Der Urheber hat das Recht, darüber zu bestimmen, wie
das Werk verwendet wird (Art. 10 Abs. 1 URG). Das
Urheberrecht erfasst jede Verwertung, bei der die schutzfähigen Teile
des Werkes wiedergegeben werden.[5]
Der Umfang des Schutzobjektes definiert damit die Grenzen des
Ausschliesslichkeitsrechts des Urhebers.[6]
Meistens prägt die Persönlichkeit des Programmierers die
Softwareentwicklung nicht. Das Urheberrecht schützt aber die
materiellen Interessen des Rechteinhabers. Der Urheber soll an jeder
Verwertung seines Werkes partizipieren. Aus diesem Grund bestimmt in der
Regel das Partizipationsinteresse des Urhebers den Umfang der
Nutzungsrechte im Softwarebereich.[7]
Im Folgenden behandle ich zuerst den Austausch der Daten zwischen ERP und
CRM (Ziffer III.2) und dann die Vervielfältigung des ERP (Ziffer
III.3). Beide Formen des Zugriffs stellen keine besonderen
urheberrechtlichen Probleme dar. Anders sieht es aus, wenn der Anwender das
ERP seinen Nutzern zugänglich macht. Darauf gehe ich daher in der
Ziffer III.4 ausführlich ein.
2. Zugriff auf Daten
ERP und CRM können Daten austauschen. In diesem Fall greift der Nutzer
des CRM auf Daten zu, die auch durch das ERP verarbeitet werden. Funktionen
im ERP löst er aber keine aus. Es wird weder vervielfältigt noch
sonst wie wiedergegeben. Eine urheberrechtliche Nutzung des ERP erfolgt in
diesem Fall nicht.[8]
3. Vervielfältigungen
Je nach technischer Konfiguration vervielfältigt der Nutzer des CRM
beim Zugriff auf das ERP Teile davon. Sie werden in den Arbeitsspeicher des
Nutzers geladen.[9]
Dies ist eine Vervielfältigung und damit eine urheberrechtlich
relevante Verwertung des Programmes (Art. 10 Abs. 2 lit. a URG).[10]
In vielen Fällen vervielfältigt der Anwender allerdings das ERP
bei der indirekten Nutzung nicht.[11]
4. Öffentliches Zugänglichmachen
a) Hintergrund
Nur der Urheber hat das Recht, das Werk direkt oder mit Hilfsmitteln
anderswo wahrnehmbar oder so zugänglich zu machen, dass Personen von
Orten und zu Zeiten ihrer Wahl dazu Zugang haben (Art. 10 Abs. 2 lit. c URG). Findet
dieses Verwertungsrecht auf die indirekte Nutzung Anwendung?
Art. 10 Abs. 2 lit. c URG
beinhaltet das sogenannte On-Demand-Recht gemäss
Art. 8 des WIPO-Urheberrechtsvertrages[12]
(WIPO Copyright Treaty/WCT). Der Gesetzgeber hat die Bestimmung 2008 im
Zuge der Umsetzung desWIPO-Urheberrechtsvertrages in das URG aufgenommen. Auch die EU hat
die Vorgaben dieses Abkommens umgesetzt, und zwar in Art. 3 der Urheberrechtsrichtlinie.[13]
Im Schweizer Legislativprozess wurde betont, dass sich die Anpassung in Art. 10 Abs. 2 lit. c URG an die
EU-Gesetzgebung anlehne.[14]
Für eine öffentliche Wiedergabe gemäss Art. 10 Abs. 2 lit. c URG
müssen drei Voraussetzungen gegeben sein:[15]
Erstens macht der Anwender das Programm zugänglich (Ziffer III.4.b),
und zweitens der Öffentlichkeit (Ziffer III.4.c); und schliesslich
erfolgt der Zugang drittens von einem Ort und zu einem Zeitpunkt nach Wahl
des Nutzers (Ziffer III.4.d). Im Folgenden gehe ich auf diese drei
Voraussetzungen ein.
b) Zugang zum Programm
Als erste Voraussetzung muss der Anwender einem Dritten Zugriff auf das
Computerprogramm oder einen urheberrechtlich geschützten Teil davon
geben. Art. 10 Abs. 2 lit. c URG
verwendet dafür in der deutschen Fassung den Begriff
«Zugang» zum Werk.[16]
Der Tatbestand wird meines Erachtens erfüllt, wenn der Nutzer Zugang
zu Funktionen des Programmes erhält. Es ist daher nicht
nötig, dass der urheberrechtlich geschützte Code des Programmes
selbst für den Nutzer zugänglich ist.[17]
Dies ergibt sich erstens daraus, dass sowohl im WCT als auch im URG der Begriff «Zugang»
technologieneutral auszulegen ist.[18]
Es spielt daher keine Rolle, wie der Nutzer auf das Programm zugreift und
ob der Code selber zugänglich ist. Zweitens spricht das
Partizipationsinteresse des Urhebers für dieses Verständnis.
Durch das Zugänglichmachen der Funktionalität - und nicht durch
den Zugang zum Code - erschliesst sich der Anbieter einen zusätzlichen
Nutzerkreis. Im oben genannten Beispiel sind dies einerseits die
zusätzlichen Mitarbeiter des Anwenders und andererseits seine Kunden.
Beide können die Funktionen des ERP nutzen, ohne selbst als Nutzer
lizenziert zu sein, weil sie über das CRM auf das ERP zugreifen.
Wie weit geht der lizenzpflichtige Zugriff? Ein ERP läuft in einer
Systemumgebung mit verschiedenen Programmen. Beim Abruf von Funktionen des
ERP werden auch Programme aus der Systemumgebung verwendet. Dazu
gehören z.B. das Betriebssystem, auf dem das ERP läuft, die
Datenbank oder die Middleware, die die Interoperabilität zwischen den
Programmen ermöglicht. Werden alle diese Programme beim Abruf einer
Funktion des ERP zugänglich gemacht und damit im Sinne des
Urheberrechts verwertet?
Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage ist wiederum das
Partizipationsinteresse des Software-Herstellers. Es stellt sicher, dass
der Urheber von jeder urheberrechtlichen Nutzung des Programms profitieren
kann. Die übliche Verwertung des zugänglich gemachten Programmes
(oder des entsprechenden Teiles) darf durch die indirekte Nutzung nicht
beeinträchtigt werden. Mit anderen Worten darf es durch die indirekte
Nutzung nicht substituiert werden.[19]
Wie kann dies festgestellt werden? Die Mikroökonomie unterscheidet
zwischen Substitutions- und Komplementärgütern.[20]
Güter, die dieselben oder ähnliche Bedürfnisse stillen und
sich deshalb gegenseitig ersetzen können, sind
Substitutionsgüter. Das sind z.B. CD und Streaming im Musikmarkt.[21]
Demgegenüber sind
Güter, die gemeinsam nachgefragt werden, weil sie sich in ihrem Nutzen
ergänzen, Komplementärgüter.[22]
Dazu gehören z.B. Hammer und Nagel.[23]
Im oben genannten Beispiel sind das CRM und das ERP im Hinblick auf die
Bestellfunktion Substitutionsgüter. Sie decken diesbezüglich die
gleichen Bedürfnisse ab. Daher wird das Partizipationsinteresse des
Herstellers des ERP verletzt, wenn ein Mitarbeiter oder ein Kunde des
Anwenders über die Bestellfunktion des CRM die Bestellung im ERP
abwickelt.
Anders ist es aber bei Programmen, die bezüglich der indirekt
genutzten Funktionen keine Substitutionsgüter sind. Dies gilt z.B.
für das Betriebssystem. Löst der Nutzer des CRM die
Bestellfunktion aus, werden keine Funktionen im Betriebssystem angestossen,
die der Bestellfunktion entsprechen und sie substituieren. Mit anderen
Worten ergänzen die Funktionen des Betriebssystems diejenigen des CRM
- CRM und Betriebssystem sind keine Substitutionsgüter. Damit
wird das Verwertungspotenzial des Betriebssystems bei der indirekten
Nutzung durch das CRM nicht tangiert. Im oben genannten Beispiel
umfasst die indirekte Nutzung damit den Gebrauch des Betriebssystems nicht.[24]
Diese Überlegung gilt auch für die Datenbanksoftware: Sie ist
kein Substitutionsgut zum CRM und ihre indirekte Nutzung wird daher nicht
von Art. 10 Abs. 2 lit. c URG
erfasst.
Die gleiche Wertung liegt Art. 11 des TRIPS-Abkommens[25]
zugrunde. Die Mitgliedstaaten des Abkommens müssen sicherstellen, dass
der Urheber darüber entscheiden kann, ob sein Werk vermietet wird.
Diese Verpflichtung gilt bei einem Computerprogramm allerdings nur, wenn es
der wesentliche Gegenstand der Vermietung ist. Sie findet z.B. auf die
Vermietung eines Autos keine Anwendung, in dem Computerprogramme
installiert sind. Der Vermieter des Wagens darf die Programme mitvermieten,
und zwar ohne das Einverständnis des Urhebers der Programme. Dies gilt
allerdings nur, wenn das Auto das wesentliche Objekt der Vermietung ist.
Begründen lässt sich die Ausnahme auch hier wie folgt: Die im
vermieteten Fahrzeug installierte Software ist kein Substitutionsgut
für die Programme.[26]
c) Öffentlichkeit
Das Computerprogramm wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Dies ist die zweite Voraussetzung für die Anwendung von Art. 10 Abs. 2 lit. c URG. In
diesem Fall kann eine grössere Anzahl von Nutzern ausserhalb eines
Kreises von Personen, die eng miteinander verbunden sind, darauf zugreifen
(Art. 9 Abs. 3 URG). Entscheidend
ist die Anzahl der Personen.[27]
Es genügt, dass sie Zugang zum Programm haben und von ihm Kenntnis
nehmen können.[28]
Allerdings liegt «Öffentlichkeit» nur vor, wenn mehr als
eine Person Zugriff hat.
Sobald ein grösseres Unternehmen Mitarbeitern den Zugang zu einem
Programm ermöglicht, ist es öffentlich zugänglich.[29]
Sie sind in der Regel nicht eng miteinander verbunden. In unserem Beispiel
wird das ERP damit sowohl für die Mitarbeiter des Anwenders, die
über das CRM darauf zugreifen, als auch für die Kunden des
Anwenders öffentlich zugänglich.
d) Zugang von Ort und Zeitpunkt nach Wahl des Nutzers
Schliesslich setzt drittens das Recht auf Zugänglichmachung voraus,
dass die Nutzer von einem Ort und zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl auf das
Computerprogramm zugreifen können. Diese Voraussetzung ist für
die Mitarbeiter und die Kunden des Anwenders ebenfalls gegeben.
e) Zwischenfazit
Im eingangs genannten Beispiel greift der Anwender bei einer indirekten
Nutzung in zwei Fällen in das Verwertungsrecht des Urhebers ein:
Erstens bei einer Vervielfältigung des ERP, zweitens, wenn ein
Mitarbeiter oder ein Kunde des Anwenders über das CRM auf Funktionen
des ERP zugreift und diese Funktionen durch das CRM substituiert werden.[30]
Der Mitarbeiter oder der Kunde sind dazu aber befugt, wenn die Nutzung
durch eine Schrankenbestimmung gedeckt ist oder wenn der
Software-Hersteller sein Einverständnis dazu gegeben hat. Auf diese
beiden Punkte gehe ich im Folgenden ein.
IV. Gebrauchs- und Weiterveräusserungsrecht als Schranke?
1. Umfang
Die im URG vorgesehenen
Schrankenbestimmungen erlauben es dem Anwender, Nutzungsbefugnisse
auszuüben, die sonst dem Urheber vorbehalten sind. Die wichtigste
EDV-rechtliche Schranke im Urheberrecht ist das Gebrauchs- und
Weiterveräusserungsrecht. Gemäss Art. 12 Abs. 2 URG darf der
Erwerber des Werkexemplars dieses gebrauchen oder
weiterveräussern (Erschöpfungsprinzip). Damit wird
sichergestellt, dass ein Werkstück frei von urheberrechtlichen
Bindungen gehandelt werden kann. Zudem hat der Urheber bei der ersten
Verbreitung das ihm zustehende Entgelt erhalten. Er hat kein berechtigtes
Interesse, an weiteren Verbreitungshandlungen zu partizipieren.[31]
Art. 12 Abs. 2 URG
beschränkt damit das Verwertungsrecht des Urhebers, während es
den Anwender berechtigt, das Programm ohne das Einverständnis des
Urhebers bestimmungsgemäss zu nutzen.
Der Umfang des Gebrauchsrecht ergibt sich aus dem Vertrag zwischen dem
Urheber und dem Anwender, der Art des Programmes, den Funktionen oder dem
Zweck, für das es überlassen wurde. Der Anwender darf daher das
Programm so gebrauchen, wie es für die vereinbarte Nutzung
erforderlich ist.[32]
Haben die Parteien keine Vereinbarung zur Nutzung getroffen, finden die
gesetzlichen Bestimmungen von Art. 17 Abs. 1 lit. a URV als
dispositives Recht Anwendung.[33]
Das Gebrauchsrecht beinhaltet aber einzig ein auf den Gebrauch
beschränktes Vervielfältigungs- und ein limitiertes Bearbeitungs-
und Fehlerbehebungsrecht. Es umfasst das in Art. 10 Abs. 1 lit. c URG genannte
Recht zum öffentlichen Zugänglichmachen des Computerprogrammes
nicht.[34]
Das Gebrauchsrecht enthält einen zwingenden Kern, von dem die Parteien
im Vertrag nicht abweichen dürfen. Dazu gehört z.B. das Recht,
das Programm zu installieren - sofern dies für die Nutzung notwendig
ist - und die für den Gebrauch notwendigen Vervielfältigungen
vorzunehmen.[35]
a) Indirekte Nutzung mit
Vervielfältigung des ERP
Kopiert der Nutzer das ERP bei der indirekten Nutzung, so kann dies vom
bestimmungsgemässen Gebrauch gedeckt sein. Dies gilt z.B., wenn der
Hersteller das Programm bei der Auslieferung bereits für die indirekte
Nutzung vorbereitet hat. In diesem Fall ist der Anwender befugt, das ERP im
dafür notwendigen Umfang zu kopieren.
b) Indirekte Nutzung bei
öffentlichem Zugänglichmachen
Wie oben ausgeführt, umfasst das Gebrauchsrecht das öffentliche
Zugänglichmachen gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. c URG nicht.
Für die indirekte Nutzung kann sich der Anwender daher nicht auf das
Recht zum bestimmungsgemässen Gebrauch berufen. Dafür braucht der
Anwender die Zustimmung des Rechteinhabers, die ich in der folgenden Ziffer
behandle.
V. Einwilligung des Urhebers
(Einräumung Nutzungsbefugnis)
1. Grundsätzliches
Der Anwender darf das Programm nutzen, wenn er das Einverständnis des
Rechteinhabers hat. Dies ist die dritte Möglichkeit, wie er die
indirekte Nutzung rechtfertigen kann. Art und Umfang der eingeräumten
Nutzungsbefugnisse richten sich wie bei anderen Verträgen nach dem
Verpflichtungsgeschäft. Der Hersteller kann die Einwilligung
ausdrücklich einräumen, z.B. indem die Parteien die
Nutzungsbefugnis im Vertrag regeln. Ist die Vereinbarung unklar, muss sie
ausgelegt werden. Nicht die einzige, aber die wichtigste Auslegungsregel
ist die Zweckübertragungstheorie. Für die Bestimmung des Umfangs
der eingeräumten Nutzungsbefugnisse ist der Vertragszweck massgeblich.[36]
Oft ergibt er sich aus den Funktionen des lizenzierten Softwareprogramms,
wenn sie im Vertrag vereinbart sind. Oder er resultiert aus den im Vertrag
beschriebenen Umsystemen. Der Vertragszweck kann sich aber auch aus den
vereinbarten Leistungen des Herstellers ergeben. Verpflichtet sich der
Hersteller z.B., das gelieferte ERP über eine Schnittstelle an den
Online-Shop anzubinden, gehört zum Vertragszweck auch die indirekte
Nutzung über den Onlineshop.
2. Nutzungsbeschränkungen im
Vertrag
Es steht den Parteien allerdings frei, das Vervielfältigungsrecht oder
das Recht auf Zugänglichmachen zu beschränken, zum Beispiel auf
eine bestimmte Anzahl von Nutzern, die auf das Programm direkt oder
indirekt zugreifen. Dabei haben die Parteien den zwingenden Kern des
Gebrauchsrechts zu beachten.[37]
So machte bis vor kurzem SAP in ihren Vertragsbedingungen die Höhe der
Lizenzgebühr für die Nutzung des ERP von der Anzahl «Named
User» abhängig.[38]
Named User sind registrierte Nutzer. Sie werden unabhängig davon, ob
sie zu einem bestimmten Zeitpunkt auf das lizenzierte Programm zugreifen,
für die Berechnung der Lizenzgebühr mitgezählt.[39]
Ausdrücklich bestimmte SAP auch, dass die indirekte der direkten
Nutzung gleichgestellt sei. Im eingangs erwähnten englischen Urteil
führte dies dazu, dass die Richterin die Mitarbeiter und die Kunden
des Anwenders als lizenzpflichtige Nutzer wertete; dementsprechend musste
der Anwender SAP nachträglich Lizenzgebühren von über 54
Millionen Pfund nachzahlen.[40]
VI. Fazit
Sofern der Anwender das indirekt genutzte Programm vervielfältigt oder
er es Mitarbeitern oder Dritten zugänglich macht, greift er in das
Urheberrecht des Herstellers der Software ein. Beschränkt sich die
indirekte Nutzung auf den Austausch der Daten, gilt dies nicht. Zur
Vervielfältigung kann der Anwender je nach den Umständen aufgrund
des gesetzlichen Gebrauchsrechts jedoch befugt sein, nicht aber zum
öffentlichen Zugänglichmachen. Manchmal ergibt sich aber aus dem
Zweck des abgeschlossenen Vertrages, dass der Hersteller dem Anwender die
indirekte Nutzung erlaubt hat.
[1]
Urteil des Court of Appeal - Technology and Construction Court HT-2015-000340 vom 16.
Februar 2017.
[2]
Die Richterin beurteilte den Fall allerdings nicht unter
urheberrechtlichen Aspekten.
[3]
Sogenanntes «Multiplexing» oder «Pooling»
(Metzger Axel/Hoppen Peter, Zur Zulässigkeit von
Nutzungsbeschränkungen in Lizenzverträgen bei Verwendung
von Drittanbietersoftware, CR 2017, S. 625).
[5]
Dreier Thomas/Schulze Gernot, Urheberrechtsgesetz: UrhG, 6. Aufl.,
München 2018, Rz. 16 zu § 15.
[6]
Vgl. dazu auch Brändli Sandra, Die Flexibilität
urheberrechtlicher Schrankensysteme, Diss., Bern 2017, Rz. 12 sowie
Gasser Christoph/Oertli Reinhard, in: Müller Barbara K./Oertli
Reinhard (Hrsg.), Handkommentar zum Urheberrecht, 2. Aufl., Bern
2012, Rz. 3 zu Vorbemerkungen zu Art. 19.
[7]
Vgl. zum Partizipationsinteresse bei der Auslegung des Umfangs der Verwertungsrechte im Softwarebereich
exemplarisch Widmer Ursula, Der urheberrechtliche Schutz von
Computerprogrammen, Zeitschrift für Schweizerisches Recht
(ZSR) 112 I 1993, S. 15 und 19, Rauber Georg, Computersoftware, in:
Streuli-Youssef Magda (Hrsg.), Urhebervertragsrecht, Zürich
2006, S. 137 und 146 sowie Straub Wolfgang, Softwareschutz,
Zürich 2011, Rz. 127. Straub plädiert für einen
Ausgleich der Interessen auf allen Ebenen des Softwareschutzes,
also auf der Ebene der Schutzvoraussetzungen, derjenigen des
Schutzinhalts oder der zeitlichen Dauer (Straub, Rz. 150).
[8]
Metzger/Hoppen (Fn. 3), S. 626; Oelschlägel Kay/Schmidt
André, Lizenzpflicht für indirekte Nutzung von
SAP-Software, ITRB 2015, S. 73.
[9]
Das können Teile von Bibliotheken des ERP, Standardroutinen
oder Module sein. Dazu ausführlich Metzger/Hoppen (Fn. 3), S.
627 ff.
[10]
Fröhlich-Bleuler Gianni, Softwareverträge, 2. Aufl., Bern
2014, Rz. 1706 (mit Hinweisen zur herrschenden Lehre).
[11]
Metzger/Hoppen (Fn. 3), S. 628 ff.
[12]
WIPO-Urheberrechtsvertrag, Abgeschlossen in Genf am 20. Dezember
1996 (WCT; SR 0.231.151).
[13]
Richtlinie 2001/29/EG
zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der
verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft.
[14]
Vgl. z.B. Votum Müller Thomas, AB 2007, N. 1198; Votum
Bundesrat Blocher Christoph, AB 2007, N. 1202.
[15]
Dreier/Schulze (Fn. 5), Rz. 6 ff. zu § 19a.
[16]
In der französischsprachigen Fassung wird dafür
«accès» und der italienischen «accedervi»
verwendet; Art. 8 WCT spricht von «making available».
[17]
Dreier/Schulze (Fn. 5), Rz. 36 ff zu § 69c; Spindler Gerald,
Rz. 67 zu Vor §§ 69a ff., in Schricker Gerhard/Loewenheim
Ulrich (Hrsg.), Urheberrecht, 5. Aufl., München 2017; a.M.
Straub, Rz. 133; Grützmacher Malte, in: Wandtke
Artur-Axel/Bullinger Winfried, 4. Aufl., München 2010, Rz. 66
zu § 69c UrhG.
[18]
Für das WCT: Von
Lewinski Silke, The WIPO Treaties on Copyright - A Commentary on
the WCT, the WPPT, and the BTAP, 2. Aufl., Oxford 2015, Rz. 7.8.32
zu Article 8. Generell zur Technikneutralität des URG:
BGE 140 III 616
E. 3.4.1; Barrelet Denis/Egloff Willi, Das neue Urheberrecht, 3.
Aufl. 2008, Rz. 7a zu Art. 10 URG; Brändli (Fn. 6), Rz. 116;
vgl. zur Technikneutralität des
«Zugänglichmachens» auch Dreier/Schulze (Fn. 5), Rz. 6 zu § 19a.
[19]
Vgl. dazu Gasser/Oertli (Fn. 6), Rz. 8 zu Vorbemerkungen zu Art.
19.
[20]
Vgl. dazu Landes William M./Posner Richard A., The Economic
Structure of Intellectual Property Law, Cambridge 2003, S. 89, die
den Test dafür verwenden, urheberrechtlich relevante Kopien
von der freien Nutzung zu unterscheiden.
[21]
In der Microökonomie werden zwei Güter als vollkommene
Substitutionsgüter betrachtet, wenn die Grenzrate der
Substitution des einen durch das andere Gut eine Konstante ist
(Pindyck Robert S./Rubinfeld Daniel L., Mikroökonomie, 8.
Aufl., München 2015, S. 118).
[23]
Landes/Posner (Fn. 20), S. 154.
[24]
Meyer Oliver, Aktuelle vertrags- und urheberrechtliche Aspekte der
Erstellung, des Vertriebs und der Nutzung von Software, Diss.,
Karlsruhe 2008, S. 303 und S. 325 (allerdings mit anderer
Begründung); a.M. Koch, Grid Computing im Spiegel des
Telemedien-, Urheber- und Datenschutzrechts, Computer und Recht
2006, S. 117; Giedke Anna, Cloud Computing: Eine
wirtschaftsrechtliche Analyse mit besonderer Berücksichtigung
des Urheberrechts, Diss., München 2013, S. 404.
[25]
Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation, abgeschlossen
in Marrakesch am 15. April 1994 (SR 0.632.20), Anhang 1.C: Abkommen
über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum
(TRIPS).
[26]
Ähnlich Rauber und Straub, die beide davon ausgehen, dass die
Bestimmung Anwendung findet, wenn die vermieteten Programme im
Fahrzeug technisch und wirtschaftlich nicht selbstständig
genutzt werden können (Rauber [Fn. 7], S. 139; Straub [Fn. 7],
Rz. 140).
[27]
Neff Emil/Arn Matthias, Urheberrechtlicher Schutz der Software, in:
von Büren Roland/David Lucas (Hrsg.): Schweizerisches
Immaterialgüter -und Wettbewerbsrecht, Bd. II/2,
Basel/Frankfurt a.M. 1998, S. 210.
[28]
Neff/Arn (Fn. 27), S. 210.
[29]
Fröhlich-Bleuler Gianni, Urheber- und vertragsrechtliche
Aspekte der Open Source Software, in: Jörg Florian S./Arter
Oliver (Hrsg.), IT-Verträge, Bern 2007, S. 212; Dreier/Schulze
(Fn. 5), Rz. 7 zu § 19a (Intranet).
[30]
A.M. ein Teil der Literatur in Deutschland: Sie taxiert die
indirekte Nutzung - insbesondere im Fall von SAP ERP - nicht als
öffentliche Wiedergabe. Sie prüft die indirekte Nutzung
im Wesentlichen nur unter dem Aspekt, ob eine nicht erlaubte
Vervielfältigung durch den Nutzer vorliegt, was in der Regel
nicht der Fall ist (Metzger/Hoppen [Fn. 3], S. 633; Schneider
Jochen, in: Schneider Jochen [Hrsg.], Handbuch EDV-Recht, 5. Aufl.,
Köln 2017, Rz. 332 ff. zu G.; Barnizke Benno, Zur indirekten
Nutzung von Software - Komplex, intransparent und unwirksam?
K&R 2018, S. 457). Anders demgegenüber die deutsche
Literatur, die die indirekte Nutzung im Zusammenhang mit
Application Service Providing oder Cloud Computing behandelt (siehe
dazu die Nachweise in Fn. 24).
[31]
Fröhlich-Bleuler Gianni, Urheberrechtliche Nutzungsbefugnisse
des EDV-Anwenders, Aktuelle Juristische Praxis (AJP) 6/1995, S.
570.
[32]
Fröhlich-Bleuler (Fn. 10), Rz. 154 sowie 156.
[33]
Gemäss Straub handelt es sich dabei um den Mindestinhalt von
Befugnissen, die dem Erwerber der Programmkopie zustehen (Straub
[Fn. 7], Rz. 177).
[34]
Dreier/Schulze (Fn. 5), Rz. 10 zu § 69d; Fröhlich-Bleuler
(Fn. 10), Rz. 158 ff.; Kotthoff Jost, Rz. 3 zu § 69d, in:
Dreyer Gunda/Kotthoff Jost/Meckel Astrid (Hrsg.), Urheberrecht, 2.
Aufl., Heidelberg 2008; a.M. Straub (Fn. 7), Rz. 170 sowie wohl
Grützmacher für unternehmensinternen öffentlichen
Zugang (Grützmacher [Fn. 17], Rz. 13 zu § 69d).
[35]
Vgl. dazu und für weitere Nutzungsbefugnisse
Fröhlich-Bleuler (Fn. 10), Rz. 163 f.
[36]
Barrelet/Egloff (Fn. 18), Rz. 20 zu Art. 16; Laux Christian,
Vertragsauslegung im Urheberrecht, Diss., Bern 2003, S. 83 f.; vom
vertragsgemässen Gebrauch des Computerprogramms ist der oben
genannte bestimmungsgemässe Gebrauch zu unterscheiden, der
sich - teilweise - aber ebenfalls aus dem Überlassungsvertrag
ergibt (siehe dazu Fröhlich-Bleuler (Fn. 10), Rz. 154 ff.).
[37]
Vgl. dazu oben Ziffer IV.1.
[38]
In der Zwischenzeit hat SAP die Nutzungsbedingungen angepasst. Die
Anwender können wählen, ob sie das alte Lizenzregime
beibehalten oder zum neuen wechseln. Letzteres unterscheidet
zwischen «Human Access» und
«Digital Access», das die indirekte Nutzung umfasst
(Söbbing Thomas, Neue SAP-Lizenzbedingungen, ITRB 2018, S.
161).
[39]
Fröhlich-Bleuler (Fn. 10), Rz. 1759.
[40]
Urteil des Court of Appeal - Technology and Construction Court HT-2015-000340 vom 16.
Februar 2017, Rz. 8.