Grundsätzliche Erheblichkeit - Kritische
Würdigung und mögliche Korrektive
Daniel Emch / Anna Gottret *
Das Gaba-Urteil des Bundesgerichts vom 28. Juni 2016 brachte eine
wesentliche Neuerung im schweizerischen Kartellrecht. Gewisse
Wettbewerbsabreden gelten seither alleine aufgrund ihres
Gegenstandes als erheblich und damit als unzulässig, sofern
nicht ausnahmsweise eine Effizienzrechtfertigung gelingt. Eine
einzelfallweise Erheblichkeitsprüfung anhand quantitativer
Kriterien soll bei derartigen Wettbewerbsabreden anders als bis
anhin nicht mehr durchgeführt werden. Dieser konzeptionelle
Ansatz entspricht u.E. nicht dem Willen des Gesetzgebers. Mit einer
Rückkehr zur alten Praxis ist jedoch nicht zu rechnen.
Stattdessen ist das Augenmerk auf eine massvolle Umsetzung des
neuen Konzepts und auf erforderliche Korrekturen bei der Anwendung
anderer Tatbestandsmerkmale zu richten. Die Einführung einer
Bagatellschwelle, eine sorgfältige Prüfung der
Tatbestandsmerkmale von Art. 4 Abs. 1 KG in Anlehnung an die
EU-Praxis, eine restriktive Auslegung der
Vermutungstatbestände gemäss Art. 5 Abs. 3 und 4 KG sowie
eine wohlwollendere Handhabung der
Rechtfertigungsmöglichkeiten würden die über das
Ziel hinausschiessende Schärfe des neuen Konzepts zumindest
relativieren.
Zitiervorschlag: Daniel Emch/Anna Gottret, Grundsätzliche
Erheblichkeit - Kritische Würdigung und mögliche Korrektive,
in: sui-generis 2018, S. 374
URL: sui-generis.ch/81
DOI:
https://doi.org/10.21257/sg.81
* Dr. iur. LL.M. Rechtsanwalt und Partner bei Kellerhals Carrard in Bern (daniel.emch[at]kellerhals-carrard.ch). Dr. iur. LL.M. Rechtsanwältin und Senior Associate bei Kellerhals Carrard in Bern (anna.gottret[at]kellerhals-carrard.ch).
I. Einleitung
Das
Gaba-Urteil[1]
des Bundesgerichts hat in der Rechtslehre und -praxis hohe Wellen geworfen.
Gemäss dem Urteil sollen Wettbewerbsabreden, die unter die
Vermutungstatbestände von Art. 5 Abs. 3 und 4 KG[2]
fallen (d.h. zum einen alle horizontalen Abreden über Preise, Mengen
und die Aufteilung von Gebieten und Kunden und zum anderen alle vertikalen
Abreden über absoluten Gebietsschutz oder Preisbindungen zweiter Hand)
neu in jedem Fall zumindest eine erhebliche Beeinträchtigung des
wirksamen Wettbewerbs im Sinne von Art. 5 Abs. 1 KG darstellen und
mit direkten Sanktionen geahndet werden können, wenn sie sich nicht
ausnahmsweise durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz
rechtfertigen lassen. Mit anderen Worten soll von einer
«grundsätzlichen» oder per-se-Erheblichkeit
aufgrund des Gegenstandes der Abrede ausgegangen werden. Eine
einzelfallweise Erheblichkeitsprüfung anhand quantitativer Kriterien
soll bei solchen Wettbewerbsabreden abweichend von der früheren Praxis
nicht mehr erforderlich sein.
Der vorliegende Beitrag enthält vorab einige kritische Gedanken zu
dieser Praxisänderung. Mithin wird aufgezeigt, dass die vom
Bundesgericht mit dem Gaba-Urteil neu eingeführte per-se
-Erheblichkeit gewisser Wettbewerbsabreden nicht dem Willen des
Gesetzgebers entsprochen haben dürfte (Ziff. II). Zugleich soll der
Beitrag konkrete Vorschläge für einen möglichen
künftigen Umgang mit dem Konzept der grundsätzlichen
Erheblichkeit liefern. Schliesslich muss angesichts der expliziten
Bestätigung des Konzepts in drei weiteren Urteilen (BMW[3], Baubeschläge[4], Altimum[5]) doch damit gerechnet werden, dass das Bundesgericht in den nächsten
Jahren daran festhalten und nicht zur alten Praxis zurückkehren wird.
Insbesondere sollen mögliche Korrektive zu dieser u.E. zu rigid
ausgefallenen Auslegung des Erheblichkeitsbegriffs aufgezeigt werden (Ziff.
III). Abgerundet wird der Beitrag schliesslich durch ein Schlussfazit
(Ziff. IV).
II. Konzept der grundsätzlichen
Erheblichkeit entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers
Mit dem Kartellgesetz 95 wollte das Parlament eine Missbrauchsgesetzgebung erlassen. Interventionen sollten nur dann
erfolgen, wenn eine Verhaltensweise erhebliche Auswirkungen auf den
wirksamen Wettbewerb hat. Das belegt unter anderem die folgenden Passage
aus der Botschaft 1994[6]:
«Massgebend ist, ob die Auswirkungen einer
Wettbewerbsbeschränkung volkswirtschaftlich oder sozial schädlich
sind. Nur wenn die Schädlichkeit im Einzelfall festgestellt wurde, ist
die Wettbewerbsbeschränkung unzulässig.»
Zugleich sollte - wie die folgende weitere Passage aus der Botschaft 1994
illustriert - nach dem Willen des Parlaments explizit am bereits im
Kartellgesetz 1985 enthaltenen Erheblichkeitskriterium und der dazu
entwickelten Praxis festgehalten werden:
«Da bereits das geltende Kartellgesetz [i.e. Kartellgesetz von 1985]
die Erheblichkeit als Voraussetzung für die Anwendbarkeit der
materiellen Kartellbestimmung nennt, kann auf die entsprechende Praxis
verwiesen werden, in welcher versucht wird, dem Begriff der Erheblichkeit
Kontur zu verleihen.»[7]
Das Kartellgesetz 1985[8]
hatte zwischen einem zivilrechtlichen (subjektiven) und einem
verwaltungsrechtlichen (objektiven) Erheblichkeitsbegriff differenziert.[9]
Gemäss der damaligen Rechtsprechung war eine Behinderung
«erheblich», wenn sie eine gewisse Intensität aufwies und
von den Betroffenen als solche empfunden wurde.[10]
Somit war nicht die Art der Wettbewerbsbehinderung entscheidend, sondern
deren Auswirkung auf das wirtschaftliche Verhalten des Betroffenen.
Ebenso klar aus den Materialien herauszulesen ist ferner, dass nach dem
Willen des Gesetzgebers für den Fall dass eine Vermutung widerlegt
werden kann, die Wettbewerbsabrede daraufhin zu überprüfen sei,
ob sie eine erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung verursache.[11]
Die Botschaft 1995 führt hierzu zwar aus, dass dies in der Regel der
Fall sein dürfte.[12]
Von einer Überprüfung der Auswirkungen im Einzelfall dispensiert
sie jedoch nicht. Eine Erheblichkeitsfiktion war vom Gesetzgeber nicht
vorgesehen. Das anerkannte ursprünglich auch das Bundesgericht, wies
es im Fall
Sammelrevers[13]
doch beispielsweise noch explizit darauf hin, dass nach Widerlegung der
Vermutung eine erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung vorliege, sofern
die Abrede Güter mit einem wesentlichen Marktanteil betreffe.[14]
Das Gaba-Urteil weicht diametral von dieser früheren Rechtsprechung
ab, ohne dass das Bundesgericht die Praxisänderung in seinen
Erwägungen offenlegt und ohne dass dafür ein äusserer Anlass
auszumachen ist. Mithin hat sich die massgebliche Rechtslage seit dem
Urteil im Fall Sammelrevers nicht geändert. Die kurz nach diesem
Urteil in Kraft gesetzte KG-Revision 2003 beinhaltete keinerlei Anpassungen
der Konzeption des Erheblichkeitsbegriffs. Weder in der Botschaft[15]
noch in den
parlamentarischen Beratungen[16]
findet sich ein Hinweis, wonach das Erheblichkeitskriterium in
Vermutungsfällen gänzlich aufgehoben werden sollte. Die
Beratungen im Ständerat und im Nationalrat waren kurz und knapp. Der
zitierte Bundesgerichtsentscheid zum Sammelrevers lag damals vor. In keiner
Wortmeldung sind Anhaltspunkte dafür zu finden, dass eine
Praxisänderung bei den Horizontalabreden beabsichtigt worden war. Es
gibt auch keine Aussage, wonach in Vertikalfällen auf das Kriterium
der Erheblichkeit verzichtet werden sollte.
Vielmehr führt die Botschaft aus dem Jahr 2001 explizit aus, dass
harte Abreden nicht direkt sanktioniert werden können, wenn sie den
wirksamen Wettbewerb weder beseitigen noch erheblich beeinträchtigen:[17]
«Vom Anwendungsbereich der direkten Sanktionen ausgenommen sind
demnach nach Artikel 5 Absatz 1 unzulässige Verhaltensweisen, welche
keine Preis-, Mengen- oder Gebietsabreden zum Gegenstand haben. Ebenso
wenig können Preis-, Mengen- und Gebietsabreden direkt sanktioniert
werden, die den wirksamen Wettbewerb weder beseitigen noch erheblich
beeinträchtigen beziehungsweise die durch Gründe der
wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt sind.»
Auch mit dieser Botschaftsstelle steht die vom Bundesgericht mit dem
Gaba-Urteil neu eingeführte per-se-Erheblichkeit in Widerspruch, kommt
hier doch deutlich zum Ausdruck, dass es nach Auffassung des Gesetzgebers
durchaus Konstellationen gibt, in denen eine Abrede einen
Vermutungstatbestand zwar erfüllt, aber nicht erheblich ist.
III. Mögliche Korrektive
1. Vorbemerkung
Das vom Bundesgericht mit dem Gaba-Urteil neu eingeführte Konzept der
grundsätzlichen Erheblichkeit birgt die Gefahr, dass inskünftig
auch Abreden und Verhaltensweisen in Konflikt mit dem Kartellrecht geraten
könnten, die bei Lichte betrachtet keine spürbaren Auswirkungen
auf den Wettbewerb haben. Dieser Gefahr muss nach Auffassung der Autoren
dieses Beitrags mit einer massvollen Umsetzung des Konzepts der
grundsätzlichen Erheblichkeit und Praxispräzisierungen bei
anderen Tatbestandsmerkmalen begegnet werden. Insbesondere sollten die
nachstehend aufgeführten Korrektive ins Auge gefasst werden.
2. Einführung einer Bagatellschwelle
In der mündlichen Urteilsberatung zum Gaba-Urteil war von
einer Bagatellschwelle die Rede. Die Bundesrichter hielten dafür, dass
Absprachen zwischen zwei Schreinern im Sinne einer Bagatelle auch weiterhin
noch zulässig sein bzw. nicht aufgegriffen werden sollten. In der
schriftlichen Urteilsbegründung findet sich diese Bagatellschwelle
zwar nicht mehr explizit. Trotzdem sollte dieser mögliche Ansatz zur
sachgerechten Eingrenzung der grundsätzlichen Erheblichkeit
aufgenommen und weiterverfolgt werden. Kleine und unbedeutende Unternehmen
sollten sich nicht mit den schwierigen Abgrenzungsfragen von Art. 5 KG auseinandersetzen
müssen.[18]
Sie haben weder die personellen noch die finanziellen Ressourcen dazu. Die
Gaba-Rechtsprechung lässt durchaus Freiraum für eine
Bagatellklausel. Da die Rechtsprechung bloss «grundsätzlich»
und nicht generell von einer Erheblichkeitsfiktion ausgeht, steht es der
WEKO und den Gerichten frei, den übrig gebliebenen Auslegungsspielraum
mit einer Bagatellklausel auszufüllen.[19]
Die Bagatellklausel müsste im Sinne justiziabler Tatbestandsmerkmale
ausgestaltet werden und nicht bloss als Aufgreifkriterium, dessen Anwendung
im Ermessen der Wettbewerbsbehörden und Gerichte steht.
Naheliegende Instrumente zur Einführung und Definition einer solchen
Bagatellschwelle wären dabei die Bekanntmachung über die
wettbewerbsrechtliche Behandlung vertikaler Abreden
(Vertikalbekanntmachung, VerkBek) oder die dazugehörigen
Erläuterungen der Wettbewerbskommission
(VertBek-Erläuterungen). Bislang wurden diese
Dokumente jedoch bedauerlicherweise nicht um entsprechende
Bestimmungen ergänzt.[20]
Der WEKO bleibt es zudem unbenommen, in ihrer Praxis ein solches Konzept zu
entwickeln und im Einzelfall darauf zu verweisen, dass eine Abrede, welche
zwar formal unter einen Vermutungstatbestand von Art. 5 Abs. 3 oder 4 KG fallen
würde, aufgrund des Bagatellcharakters im konkreten Fall nicht
erheblich sei.
3. Sorgfältigere Prüfung von Art. 4 Abs. 1 KG
Ein weiteres mögliches Korrektiv ist die Anwendung von Art. 4 Abs. 1 KG. Vor dem
Gaba-Urteil hat die Frage, ob eine Abrede eine Wettbewerbsbeschränkung
bezweckt oder bewirkt, kaum eine Rolle gespielt.[21]
Praxisgemäss musste ohnehin eine Erheblichkeitsprüfung
durchgeführt werden. Da Wirkungen nachgewiesen werden mussten, war die
Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung irrelevant. Neu
muss Art. 4 Abs. 1 KG
sorgfältiger angewendet werden.[22]
Insbesondere muss in Analogie zur einschlägigen EU-Rechtsprechung
künftig jeweils unter Mitberücksichtigung der wirtschaftlichen
und rechtlichen Zusammenhänge sowie der Ziele der Parteien in jedem
Einzelfall sorgfältiger geprüft werden, ob tatsächlich von
einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung ausgegangen werden
kann. Wie die EU-Rechtsprechung zeigt, ist dies selbst bei Preisabreden
nicht zwingend der Fall.[23]
Gemäss der Carte-Bancaire-Rechtsprechung des EuGH ist im
Einzelfall zu begründen, weshalb eine Abrede so schädlich ist,
dass sie als «bezweckte» Wettbewerbsbeschränkung betrachtet
werden darf; auch in der EU-Praxis kann mit anderen Worten nicht einfach
behauptet werden, eine gewisse Abredeform sei grundsätzlich
schädlich, es müssen im Einzelfall vielmehr die Marktstruktur und
die darauf bestehenden tatsächlichen Bedingungen analysiert werden.[24]
.
Diese Grundsätze müssen zwingend auch bei der Anwendung des
Schweizer Kartellgesetzes berücksichtigt werden.[25]
Wenn bei Vorliegen eines Vermutungstatbestandes automatisch eine
«bezweckte Wettbewerbsbeschränkung» angenommen würde,
würde das entsprechende Tatbestandselement von Art. 4 Abs. 1 KG seines Sinnes
entleert.
4. Restriktivere Auslegung der
Vermutungstatbestände
Die Wettbewerbskommission hat die Vermutungstatbestände von Art. 5 Abs. 3 und 4 KG sehr weit
ausgelegt.[26]
Bislang wurden bspw. alle Abreden, welche einen irgendwie gearteten Bezug
zu Preisen, Preisbestandteilen oder Preiselementen hatten, als Preisabreden
im Sinne von Art. 5 Abs. 3 lit. a KG
qualifiziert.[27]
So wurden bspw. auch Abreden über Bruttopreise als Preisabreden
qualifiziert, obgleich die an der «Bruttopreisabrede» beteiligten
Unternehmen sich harten Rabattwettbewerb geleistet haben.[28]
Die Erheblichkeitshürde bot bislang ein gewisses Korrektiv zur
äusserst weiten Auslegung von Art. 5 Abs. 3 und 4 KG durch die
Wettbewerbsbehörden. Da dieses Korrektiv nun weggefallen ist, tut eine
kritische Überprüfung der bisherigen Praxis zu diesem Punkt not.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass kartellrechtliche Sanktionen einen
strafrechtsähnlichen Charakter haben und die Verfahrensgarantien der
EMRK in kartellrechtlichen Sanktionsverfahren anwendbar sind.[29]
Entsprechend sind die sanktionsbegründenden Vermutungstatbestände
von Art. 5 Abs. 3 und 4 KG
gemäss dem Bestimmtheitsgebot bzw. dem Grundsatz nulla poena sine lege certa eng auszulegen.[30]
Insbesondere sollte künftig nicht mehr alles, was einen entfernten
Bezug zum Wettbewerbsparameter Preis hat, als horizontale Preisfestsetzung
oder als Preisbindung zweiter Hand qualifiziert werden.[31]
Nur Abreden über Preiskomponenten, die tatsächlich zu einer
einheitlichen Preisfestsetzung führen, gehören unter die
betreffenden Vermutungstatbestände subsumiert. Dieselbe Problematik
besteht auch beim Tatbestand des absoluten Gebietsschutzes nach Art. 5 Abs. 4 KG: Bei Fällen
nach Art. 5 Abs. 4 KG muss
nachgewiesen werden, dass einem ausländischen Distributor
Passivverkäufe in das Gebiet der Schweiz untersagt worden sind. Ein
Vertrag zwischen einem ausländischen Lieferanten und einem Schweizer
Vertriebspartner, wonach sich der Lieferant bemühe, Querlieferungen in
die Schweiz zu verhindern, genügt - entgegen der Praxis der WEKO -
nicht.[32]
5. Grosszügigere Handhabung der Rechtfertigungsmöglichkeit
Schliesslich würde auch eine grosszügigere Handhabung der in Art. 5 Abs. 2 KG vorgesehenen
Möglichkeit, unter die Vermutungstatbestände fallende
Wettbewerbsabreden durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz zu
rechtfertigen, die Auswirkungen der grundsätzlichen Erheblichkeit
etwas entschärfen. Zirkuläre Begründungen, wonach
Hardcore-Abreden nur gerade in absoluten Ausnahmefällen durch
Gründe der wirtschaftlichen Effizienz zu rechtfertigen seien, sind
unter den veränderten Rahmenbedingungen nicht mehr haltbar. Die
Tatsache, dass die Rechtfertigung durch Gründe der wirtschaftlichen
Effizienz neu die einzige Möglichkeit ist, um bei Vorliegen einer
unter Art. 5 Abs. 3 oder 4 KG zu
subsumierenden Wettbewerbsabrede eine direkte Sanktion abzuwenden, bedingt,
dass dieser Punkt künftig detailliert und ergebnisoffen geprüft
wird.[33]
IV. Fazit
Das vom Bundesgericht mit dem Gaba-Urteil neu eingeführte Konzept der
grundsätzlichen Erheblichkeit entspricht u.E. nicht dem Willen des
Gesetzgebers. Mit einer Korrektur des betreffenden Urteils durch das
Bundesgericht ist jedoch nicht zu rechnen. Stattdessen sind Korrektive in
anderen Punkten erforderlich, wie etwa die Einführung einer
Bagatellschwelle, eine sorgfältigere Prüfung des Vorliegens einer
Wettbewerbsabrede im jeweiligen Einzelfall, eine restriktivere Auslegung
der Vermutungstatbestände und/oder eine grosszügigere Handhabung
der Möglichkeit, unter Art. 5 Abs. 3 oder 4 KG fallende
Wettbewerbsabreden durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz zu
rechtfertigen.
Zugleich wäre wünschbar, dass sich sowohl die WEKO als auch die
Gerichte zum Grundsatz bekennen, dass was in der EU erlaubt ist, auch in
der Schweiz erlaubt sein muss. Als es um die Einführung des
Teilkartellverbotes bei der letzten, gescheiterten KG-Revision[34]
ging, hat der Bundesrat den Erlass einer entsprechenden Verordnung im Sinne
von Art. 6 KG in Aussicht
gestellt. Damit sollte die von gewissen Parlamentariern befürchtete
Härte des Teilkartellverbots mit Rechtfertigungsmöglichkeiten
relativiert werden. Angesichts der durch das Gaba-Urteil ausgelösten
Unsicherheiten wäre zu begrüssen, wenn sich das SECO erneut
Gedanken über dieses Instrument machen würde. Mangels
Präzedenzfälle aus der Schweiz orientieren sich die Unternehmen
nämlich an den EU-Gruppenfreistellungsverordnungen und den
entsprechenden Guidelines. Es fehlt aber die erforderliche
Rechtssicherheit, dass ein solches Vorgehen vom Bundesgericht
geschützt würde. Die Ausführungen im Gaba-Urteil zur
Nichtanwendbarkeit der Technologietransfer-GVO[35]
lassen nicht auf eine entsprechende Grundhaltung des Bundesgerichts
schliessen. In diesem Zusammenhang könnte eine Verordnung des
Bundesrates die erforderliche Rechtssicherheit schaffen. Rechtssicherheit
ist für die Unternehmen absolut zentral.
[2]
Bundesgesetz über Kartelle und andere
Wettbewerbsbeschränkungen vom 6. Oktober 1995 (Kartellgesetz,
KG; SR 251).
[6]
Botschaft zu einem Bundesgesetz über Kartelle und andere
Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, KG) vom 23. November
1994 (BBl 1995 I 468), S.
554 f.
[8]
Bundesgesetz vom 20. Dezember 1985 über Kartelle und
ähnliche Organisationen (Kartellgesetz, KG), aufgehoben am 1.
Februar 1996.
[9]
Krauskopf/Schaller, Art. 5 KG in: Basler Kommentar, Kartellgesetz,
1. Aufl. 2010, N. 152.
[15]
Botschaft über die Änderung des Kartellgesetzes vom 7.
November 2001 (BBl 2001 2022).
[16]
Geschäft des Bundesrates (01.071): Kartellgesetz. Änderung, Ratsdebatte Nationalrat,
Herbstsession 2002, fünfte Sitzung, 19. September 2002.
[18]
Bspw. die Fragen, wann eine Preisabrede vorliegt oder wann genau
ein Informationsaustausch als Wettbewerbsabrede qualifiziert werden
kann, sind in der Praxis nicht leicht und nur unter Beizug von
teuren Experten zu beantworten.
[19]
Vgl. auch Bruch David, Entwicklung der Erheblichkeitsprüfung
bei harten Kartellen, sic! 2017, S. 505-509, 509; Baldi Marino, Zur
«Grundsätzlichkeit» der Bundesgerichtsurteile GABA
und BMW, in: AJP 2018 S. 76 f. und 79 ff. m.H.
[20]
Siehe dazu auch Stäuber Richard, Vom Ende der Erheblichkeit,
in: Life Science Recht (LSR) 2018, S. 46-50, 48.
[21]
Vgl. Baldi (Fn. 19), S. 70.
[22]
So auch Gübeli Raffael, Unterschiede in der Qualifikation von
horizontal und vertikal abgestimmten Verhaltensweisen in der
Praxis, in: sic! 2018 S. 229 - 241, 229, oder Baldi (Fn. 19), S.
79.
[23]
Urteil des EuGH C-67/13 P
vom 11. September 2014, CB/Kommission Rz. 53.
[24]
Urteil des EuGH C-67/13 P
vom 11. September 2014, CB/Kommission Rz. 69, vgl. auch Heinemann
Andreas, Die Erheblichkeit bezweckter und bewirkter
Wettbewerbsbeschränkungen, in: Jusletter vom 29. Juni 2015,
Rz. 35.
[25]
Vgl. Heinemann Andreas, Das Gaba-Urteil des Bundesgerichts: Ein
Meilenstein des Kartellrechts, in: ZSR 2018 I, S. 118.
[26]
Vgl. Heinemann (Fn. 25), S. 110.
[27]
So auch Tuchschmid Felix, Die horizontale Preisabrede - Eine
Auslegung des kartellrechtlichen Vermutungstatbestands von Art. 5
Abs. 3 lit. a KG, AJP 2018, S. 848 und Baldi Marino, «Zweimal
hü und zweimal hott» beim Schweizer Kartellgericht, in:
AJP 2016 S. 315-322, 321.
[28]
Verfügung der WEKO vom 29. Juni 2015 i.S. Badezimmer, Rz. 2444
ff. (noch nicht publiziert).
[30]
Zur künftigen Auslegung von Art. 5 Abs. 3 und 4 KG
vgl. Birkhäuser Nicolas/Reinert Mani, Das Gaba-Urteil des
Bundesgerichts: Kritik und künftige Anwendung, in: ZSR 2018 I,
S. 132 und 140
[31]
Vgl. Heinemann (Fn. 25), S. 112.
[32]
So aber die WEKO in: Verfügung der WEKO vom 27. Mai 2013 i.S.
Marché du livre écrit en français, Rz. 207 ff. (noch
nicht publiziert).
[33]
So auch Heinemann (Fn. 25), S. 111 und 118.
[34]
Geschäft des Bundesrats (12.028): Kartellgesetz. Änderung.