Unschuldsvermutung und Amtsgeheimnis

Gedanken zur Öffentlichkeitsinformation der Staatsanwaltschaft im Fall Rupperswil

Marc Thommen / Martin Seelmann

Welches sind die strafrechtlichen Grenzen staatsanwaltschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit? Der vorliegende Beitrag lotet den kommunikativen Handlungsspielraum aus, welchen Staatsanwaltschaften im Rahmen laufender Strafverfahren haben. Im Zentrum stehen hierbei die Unschuldsvermutung sowie die Amtsgeheimnisverletzung. Als konkretes Beispiel wird der Fall Rupperswil untersucht.

Zitiervorschlag: Marc Thommen/Martin Seelmann, Unschuldsvermutung und Amtsgeheimnis, in: sui-generis 2018, S. 333

URL: sui-generis.ch/78

DOI: https://doi.org/10.21257/sg.78


I. Einleitung

Eine Untersuchung zur Frage, wie weit Strafbehörden in ihrer Kommunikation gehen dürfen, setzt am besten bei demjenigen Fall an, der in den letzten Jahren die grösste mediale Aufmerksamkeit erfahren hat: Am 21. Dezember 2015 wurden in einem Einfamilienhaus in Rupperswil/AG eine Mutter, ihre 13- und 19-jähri­gen Söhne sowie die Freundin des älteren Sohnes getötet. Kurz bevor sie ermordet wurde, hob die Mutter bei zwei Banken grössere Geldbeträge ab. Nach dem Tötungsdelikt wurde im Haus Feuer gelegt.

Am Donnerstag 18. Februar 2016 fand eine erste grosse Pressekonferenz in Schafisheim statt, an der über den vorläufigen Stand der bis zu jenem Zeitpunkt erfolglosen Ermittlungen berichtet, Details der Tatbegehung (Stückelung Bargeldbeträge, Fesselungen und Verletzungen der Opfer etc.) geschildert und eine Belohnung von Fr. 100'000 für entscheidende Hinweise ausgelobt wurde.[1]

Erst fünf Monate nach den Tötungsdelikten, am 12. Mai 2016, konnte ein Tatverdächtiger festgenommen werden, welcher sogleich ein Geständnis ablegte. Am 13. Mai 2016 fand wiederum in Schafisheim eine Pressekonferenz statt. Dabei bezeichnete unter anderem die zuständige Staatsanwältin den Festgenommenen konsequent als «Täter».[2] Im Rahmen der Pressekonferenz hat der Leiter der Sonderkommission der Kantonspolizei Aargau den Tatablauf detailliert erläutert. Zur Dauer der Fahndung führte er aus: «Im Rahmen der umfangreichen, akribischen Ermittlungshandlungen ist es uns gelungen, den Täter zu eruieren. Zum Täter sind weder Hinweise aus der Öffentlichkeit eingegangen, noch gab es vorab einen DNA- oder anderen Spurenhit».

In den Medien wurde der Beschuldigte fortan meist «Thomas N.» genannt; es fanden sich in der Presse aber auch Bezeichnungen wie die «Bestie von Rupperswil», «Monster», «Mörder» und «Barbar».[3] Ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben sich neben den beiden Fotos, welche die Mutter beim Geldabheben erkennen lassen, auch das immer wieder abgedruckte Bild[4] welches «Thomas N.» als Fussballtrainer in schwarzem Pullover und Schal zeigte.[5]

In der Folge soll es nicht um die Litigation-PR der Staatsanwaltschaft in einem umfassenden Sinne gehen.[6] Dazu würden z.B. auch Erörterungen zu Leaking, Hintergrundgesprächen, Agenda Setting oder Inszenierungsstrategien der Behörde gehören, welche hier alle ausgeklammert bleiben. Es wird nur untersucht, wie weit die Staatsanwaltschaft gehen darf, wenn sie die Öffentlichkeit über laufende Verfahren informiert.

Bei den Pressekonferenzen im Fall Rupperswil ging es grundsätzlich um proaktive Kommunikation der Untersuchungs­behörden. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob die Staatsanwaltschaft einen Beschuldigten auch dann nicht als «Täter» bezeichnen darf, wenn dieser ein Geständnis abgelegt hat. Dabei ist vertieft auf die Unschuldsvermutung einzugehen (II.). Ferner wird zu untersuchen sein, inwiefern die Strafbehörden Details der Untersuchung preisgeben dürfen. Insbesondere die Information der Polizei hatte nämlich auch reaktiven Charakter, zumal die Strafbehörden unter massivem Druck gestanden hatten, das Verbrechen aufzuklären. Hier stellt sich die Frage, wie viel Untersuchungs­internas preisgegeben werden dürfen, um die Dauer der Untersuchung verständlich zu machen. Es sind deshalb der Tatbestand der Amtsgeheimnisverletzung und die einschlägigen Rechtfertigungsgründe näher zu untersuchen (III.). Dabei wird sich zeigen, dass die Strafbehörden die Öffentlichkeit de lege lata in sehr grossem Umfang über Strafverfahren informieren dürfen.

Der Beitrag geht von folgenden zwei Thesen aus: Erstens hat der Schutz der Unschuldsvermutung auch für geständige Beschuldigte zu gelten. Zweitens hat der Gesetzgeber den Untersuchungsbehörden Informationsbefugnisse auch für Konstellationen eingeräumt, in denen nicht klar ist, auf welche öffentlichen Interessen sich eine solche Kommunikation abstützen kann.

II. Unschuldsvermutung

Darf ein geständiger Beschuldigter als Täter bezeichnet werden? Das ist erstens eine Frage nach dem Umfang der Unschuldsvermutung und zweitens danach, ob auf deren Schutz verzichtet werden kann.

Die Unschuldsvermutung ist ein strafprozessuales Grundrecht, welches in Art. 6 Ziff. 2 EMRK und Art. 32 Abs. 1 BV explizit garantiert wird. Auf Gesetzesstufe statuiert Art. 10 Abs. 1 StPO, dass jede Person bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt. Zivilrechtlich gilt die Unschuldsvermutung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.[7]

Die Unschuldsvermutung schützt unter anderem vor Vorverurteilung.[8] Die Strafbehörden dürfen vor einer Verurteilung nichts unternehmen, was den Anschein erwecken könnte, eine verdächtigte Person sei schuldig. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gebietet somit Zurückhaltung bei der Formulierung von Verdächtigungen gegenüber Personen; voreilige juristische Qualifikationen einer Tat und Schuldzu­weisungen sind zu unterlassen.[9] Den Schutz der Unschuldsvermutung geniesst die tatverdächtige Person solange sie beschuldigte Person ist.

Wie bereits erwähnt wurde im Fall Rupperswil die beschuldigte Person, die kurz nach der Festnahme ein Geständnis abgelegt hatte, in der Pressekonferenz vom 13. Mai 2016 von der Staatsanwaltschaft sowie der Polizei konsequent als «Täter» bezeichnet. Es stellt sich die Frage, ob «Thomas N.» auf den Schutz der Unschuldsvermutung verzichtete, als er sein Geständnis ablegte.

Es ist erstens zu untersuchen, ob ein Verzicht auf die Unschuldsvermutung überhaupt möglich ist. Sollte dies bejaht werden, stellt sich zweitens die Frage, ob ein solcher Verzicht bereits durch ein Geständnis der beschuldigten Person erfolgen kann.

Ob auf den Schutz durch die Unschuldsvermutung verzichtet werden kann, ist umstritten.[10] Trechsel bejaht dies und vertritt die Meinung, dass ein solcher Verzicht auch durch ein Geständnis erfolgen könne.[11] Er verweist darauf, dass auch in Strafbefehlsverfahren und beim vorzeitigen Strafantritt auf die Vermutung der Schuldlosigkeit verzichtet werde.[12]

Verfahrensgrundrechte sind grundsätzlich verzichtbar.[13] Gleichwohl ist ganz generell fraglich, ob alle objektiven Verfahrensgarantien in subjektiv verzichtbare Rechte umgedeutet werden sollen.[14] Auch wenn man mit der wohl herrschenden Lehre davon ausgeht, dass auf die Unschuldsvermutung verzichtet werden kann, ist im Einzelfall sehr genau zu prüfen, ob eine Verfahrenshandlung als solcher Verzicht interpretiert werden kann. Wenn im Strafbefehlsverfahren auf Einsprache verzichtet wird, mündet dies nach zehn Tagen in eine rechtskräftige Verurteilung. Ab diesem Zeitpunkt gilt die Unschuldsvermutung nicht mehr. Insofern ist Trechsel zuzustimmen. Wer hingegen ein Geständnis ablegt, der gibt damit lediglich zu erkennen, dass der in Frage stehende Sachverhalt zutrifft. Ein Verzicht auf die Unschuldsvermutung liegt darin noch nicht.[15] Viel­mehr wäre neben dem Geständnis ein expliziter Verzicht zu fordern.

Auch sprechen weitere Gründe dagegen, die Unschuldsvermutung nicht mehr anzuwenden, sobald ein Beschuldigter ein Geständnis abgelegt hat: Erstens stellt die Bundesverfassung in Art. 32 Abs. 1 eindeutig klar, dass jede Person bis zu deren rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt. Zweitens ist mit dem Geständnis der Schuldnachweis ja noch nicht abgeschlos­sen. Die Strafbehörden müssen es auf seine Glaubwürdigkeit hin überprüfen (Art. 160 StPO). Eine Vorverurteilung verbieten drittens die empirischen Befunde zu falschen Geständnissen.[16] Viertens kann ein Geständnis jederzeit widerrufen werden.[17] Auch ein geständiger Beschuldigter darf daher vor einem rechtskräftigen Urteil nicht als Täter bezeichnet werden. Zulässig wäre es hingegen, auf ein Geständnis hinzuweisen, wobei jedoch nach wie vor deutlich zu machen ist, dass eine (rechtskräftige) Verurteilung noch aussteht.[18]

Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, dass «Thomas N.» mit seinem Geständnis auch auf den Schutz der Unschuldsvermutung verzichten wollte.

III. Amtsgeheimnisverletzung (Art. 320 StGB)

Verletzten die Strafbehörden ihr Amtsgeheimnis, wenn sie Details der Untersuchung preisgeben? Der strafrechtliche Schutz des Amtsgeheimnisses erfüllt eine Doppelfunktion: Er dient dem Schutz von staatlichen und privaten Geheimhaltungsinteressen.[19] Das deutsche Recht kennt hier zwei systematisch getrennte Tatbestände.[20]

Ein staatliches Geheimhaltungsinteresse besteht, wenn Behörden «an ihrem Vermögen, ihrer Ehre oder ihrem Ansehen geschädigt werden oder wenn ihnen daraus andere Schwierigkeiten entstehen.»[21] Die Geheimhaltung dient hier der ungehinderten Erfüllung der Aufgaben des Gemeinwesens, mithin seiner Funktionstüchtigkeit.[22] In Strafverfahren ist hier an das Untersuchungs- und Aufklärungsinteresse zu denken. So hat der Staat ein manifestes Interesse daran, dass verfahrenstaktische Informationen nicht publik werden, oder daran, die Kollusionsgefahr zu minimieren.[23] Die Information, dass der Beschuldigte im Fall Rupperswil weder durch Hinweise aus der Bevölkerung noch durch Spurenhits überführt worden sei, legt e contrario nahe, dass ihm die Polizei über andere Methoden wie z.B. Antennensuchläufe oder andere rückwirkende Rasterfahndungen auf die Schliche gekommen ist.[24] Hierbei handelt es sich um verfahrenstaktische «staatliche» Geheimnisse.

Ein privates Geheimhaltungsinteresse besteht, wenn es für den Betroffenen nachteilig sein kann, dass eine Behörde Tatsachen bekannt gibt.[25] Eine betroffene Person hat einen solchen Nachteil, wenn ihre Persönlichkeitsrechte (Art. 28 ZGB) verletzt werden.[26] Dies kann bei einem laufenden Strafverfahren besonders dann eintreten, wenn die Unschuldsvermutung verletzt wird, die sich auch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergibt.[27] Ein Betroffener hat nicht nur ein Interesse daran, seine Tat geheim zu halten, er will auch nicht, dass offizielle Verdächtigungen bekannt werden.

Im Fall Rupperswil ist jedoch fraglich, ob «Thomas N.» durch die Bezeichnung als «Täter» in einem privaten Geheimhaltungsinteresse verletzt wurde. Im Rahmen der Pressekonferenz vom 12. Mai 2016 gaben die Straf­ver­folgungs­behörden über die Person des «Täters» nämlich lediglich preis, dass er 33 Jahre alt, ledig, Schweizer Bürger ohne Migrationshintergrund, ein Student ohne Vorstrafen sowie in Rupperswil wohnhaft sei.[28] Die Information der Öffentlichkeit erfolgte entsprechend in anonymisierter Form, wodurch keine unmittelbare Identifizierung von «Thomas N.» möglich war.[29] Damit steht aber noch nicht fest, ob mit der Kommunikation nicht andere private oder staatliche Geheimnisinteressen verletzt wurden, was nachfolgend näher zu untersuchen ist.

1. Tatbestandsmässigkeit

Zentral im vorliegenden Kontext ist, ob bei der Preisgabe von Details der Strafuntersuchung überhaupt schützenswerte Geheimnisse vorliegen. Ein Geheimnis zeichnet sich durch folgende vier Punkte aus: (a.) Es muss sich um Tatsachen handeln, (b.) die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind, (c.) deren Verbreitung der Geheimnisherr nicht wünscht (subjektiver Geheimhaltungswille) und (d.) an denen ein berechtigtes Interesse der Geheimhaltung besteht (objektives Geheimhaltungsinteresse).[30]

a) Tatsache

Als Tatsachen gelten objektiv feststehende Umstände. Nach der Rechtsprechung und ganz herrschender Lehre sollen auch blosse Vermutungen sowie Informationen, die sich als unrichtig erweisen, vom Geheimnisbegriff umfasst sein.[31] Dies ist vor allem für Feststellungen in hängigen Strafverfahren relevant, beruhen diese doch oftmals auf Mutmassungen, die sich nachträglich als falsch herausstellen können.[32] Diese im Fall Elisabeth Kopp (BGE 116 IV 56) begründete Ausdehnung des Geheimnisbegriffs von Tatsachen auf blosse Mutmassungen wird man de lege lata als geltende Praxis hinnehmen müssen; überzeugend ist sie freilich nicht. Geheimnisse sind sensible tatsächliche Informationen über eine Person oder einen Sachverhalt. Unwahrheiten sind bereits begrifflich keine Geheimnisse.[33] Zwar ist dem Bundesgericht insoweit zuzustimmen, dass gerade bei unzutreffenden Mutmassungen «ein dringendes Interesse an ihrer Geheimhaltung» besteht.[34] Subjektiv hat die (meistens davon betroffene) beschuldigte Person ein Interesse daran, dass keine falschen Gerüchte über sie in Umlauf gebracht werden.

Ein objektives Geheimhaltungsinteresse besteht indes nur an wahren Tatsachen. Werden Unwahrheiten über eine Person verbreitet, so ist nicht die Geheimhaltung, sondern die Ehre betroffen.

Im Einzelnen sind folgende Konstellationen denkbar: Gibt die Behörde eine inhaltlich wahre, aber kompromittierende Information über eine beschuldigte oder verurteilte Person an die Presse weiter, begeht sie keine Ehrverletzung im Sinne der üblen Nachrede. Wer eine Information weitergibt, die «der Wahrheit entspricht», macht sich nach Art. 173 Ziff. 2 StGB nicht strafbar. Erweist sich die weitergegebene Information im Nachhinein als falsch, durfte die Behörde indes nach bestem Wissen und Gewissen davon ausgehen, dass sie wahr sei, begeht sie ebenfalls keine Ehrverletzung. Art. 173 Ziff. 2 StGB bestimmt nämlich, wer «ernsthafte Gründe hatte, [die Äusserung] in guten Treuen für wahr zu halten», nicht strafbar ist. Sie begeht aber auch objektiv keine Geheimnisverletzung. Dies wäre etwa der Fall gewesen, wenn die Strafbehörden die anfänglich gehegte Vermutung kommuniziert hätten, dass der Partner der ermordeten Mutter der Täter sein könnte.[35] Hier hätte bloss ein untauglicher, aber stets strafbarer Versuch einer Amtsgeheimnisver­letzung vorgelegen (Art. 22 Abs. 1 StGB). Stellt die Behörde Mutmassungen an, die auch sie selbst bereits im Vornherein für möglicherweise falsch hält, stellt dies eine üble Nachrede dar. Mangels guten Glaubens kann sie sich hier nicht exkulpieren, wenn sich die Mutmassungen im Nachhinein als falsch herausstellen. Erweisen sie sich als wahr, so liegt objektiv eine Geheimnisverletzung vor, die subjektiv für möglich gehalten wurde und bei Inkaufnahme auch[36] zur Strafbarkeit nach Art. 320 StGB führen kann.

b) Unbekannt

Eine Tatsache ist nur einem beschränkten Personenkreis bekannt bzw. relativ unbekannt, wenn sie zwar einem eingeweihten Kreis als sicher bekannt, aber nicht in aller Munde ist.[37] Nach der Rechtsprechung trifft dies etwa auf die Anzeigeerstattung zu.[38] Vorstrafen können, obwohl strafrechtliche Verurteilungen öffentlich zu verkünden sind (Art. 6 Abs. 1 EMRK), im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten und somit wieder zu Geheimnissen werden.[39] Nur einem beschränkten Personenkreis bekannt war bis zum Fall Rupperswil wohl auch der Umstand, dass die Strafbehörden nötigenfalls in grossem Ausmass Rasterfahndungen einsetzen (können).

c) Subjektiver Geheimhaltungs­wille

Die Verbreitung der relativ unbekannten Tatsache muss dem Geheimnisherrn unerwünscht sein (subjektiver Geheimhaltungswille). Wie bereits dargelegt, schützt Art. 320 StGB private und behördeninterne Geheimnisse.

Informationen über Straftaten gehören meist zum Geheim-, mindestens aber zum Privatbereich einer beschuldigten Person. In aller Regel wird sie diese nicht preisgeben wollen.[40] Ein privater Ge­heim­haltungswille wird etwa dann aufgegeben, wenn sich die Betroffenen direkt an die Öffentlichkeit wenden.[41]

Der Staat kann etwa in Bezug auf verfahrenstaktische Informationen Geheimnisherr sein. Ob es bei staatlichen Geheimnissen auch einen subjektiven Geheimhaltungswillen der Behörde braucht, oder ob hier nur relevant ist, dass objektiv berechtigte Geheimhaltungsinteressen be­­ste­hen, wurde in der schweizerischen Literatur bisher nur wenig thematisiert. Immerhin weist Michlig darauf hin, dass sich das Geheimhaltungsinteresse aus Gesetz (z.B. Art. 73 StPO) ergeben kann.[42] In Deutschland wird bei der Dienstgeheimnisverletzung nach § 353b StGB lediglich eine (objektive) Geheimhaltungsbedürftigkeit vorausgesetzt.[43] Auf einen Geheimhaltungswillen soll es nicht ankommen.[44]

In der Tat spricht einiges dafür, dass es für die Bejahung eines staatlichen Geheimnisses nicht auf die rein subjektive Einschätzung der Behörde ankommen kann. Nach Art. 320 Ziff. 2 StGB ist die subjektive Einschätzung der vorgesetzten Behörde jedoch entscheidend. Sie kann einer Offenbarung zustimmen und damit den Geheimnischarakter im Ergebnis aufheben. Wie unten noch zu zeigen sein wird, liegt dieser Zustimmungsentscheid nicht im Belieben der vorgesetzten Behörde, sondern hat aufgrund einer Interessenabwägung zu erfolgen.[45] In Bezug auf die Informationen der Polizei vom 13. Mai 2016 zur Ermittlung des «Täters» ist wohl davon aus­zugehen, dass die vorgesetzte Behörde, in diesem Fall die Staatsanwaltschaft (Art. 15 Abs. 2 StPO), mit der Bekanntgabe einverstanden war.

d) Objektive Geheimhaltungs­bedürftigkeit

An den veröffentlichten Tatsachen muss ein objektiv schützenswertes Interesse der Geheimhaltung bestehen (Geheimhaltungsbedürftigkeit).[46] Ein solches Interesse kann bei Privatgeheimnissen bestehen, welche Privatper­sonen z.B. Steuer- oder Sozialbehörden anver­trauen müssen oder die Strafverfolgungsbe­hörden aufgrund verdeckter Zwangsmassnah­men bekannt sind. Die Schutzwürdigkeit dieser Geheimnisse ergibt sich aus dem Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen.[47] Die grundsätzliche Schutzwürdigkeit von Privatgeheimnissen entfällt nicht deshalb, weil sie möglicherweise eine Straftat betreffen. Entgegenstehende Interessen, wie das immer wieder angerufene Informationsinteresse der Öffentlichkeit,[48] beseitigen nicht den Geheimnischarakter, sondern haben allenfalls Einfluss auf die Offenbarungsbefugnis.[49] Auch schwere Straftaten wie sie «Thomas N.» vorgeworfen wurden, sind somit Geheimnisse.[50]

Bei den Behördengeheimnissen geht es darum zu verhindern, dass Verfahrensinterna an die Öffentlichkeit gelangen und dadurch der Untersuchungsfortgang gestört wird. Die Schutzwürdigkeit solcher Geheimnisse wird man wohl nur mit dem allgemeinen Interesse an der Funktionstüchtigkeit der Strafverfolgungsbehörden begründen können.[51] Neben Informationen zum Verfahren in einem konkreten Einzelfall gehören dazu etwa auch allgemeine verfahrenstaktische Informationen, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen, um auch künftige Untersuchungen nicht zu erschweren. Zu denken wäre hier z.B. an behördliche Aussagen, dass gewisse Kommunikationsmittel aufgrund ihrer Verschlüsselung von der Staatsanwaltschaft nicht überwacht werden können. Eine Interessenabwägung zwischen dem Geheimhaltungs- und Informationsinteresse findet beim Geheimnisbegriff auf der Tatbestandsebene nicht statt, sondern erst bei der Rechtswidrigkeit. Darauf ist im Folgenden einzugehen.

2. Einwilligung

Wie bereits im objektiven Tatbestand ist auch bei der Einwilligung nach der Art der betroffenen Geheimnisse zu unterscheiden.

a) Privatgeheimnisse

Soweit es um reine Privatgeheimnisse geht, wirkt ein Einverständnis der betroffenen Privatpersonen bereits tatbestandsausschliessend. Soweit diese mit der Offenbarung der sie betreffenden Tatsachen einverstanden sind, liegt mangels subjektiven Geheimhaltungswillens bereits kein Geheimnis vor.[52] Wäre «Thomas N.» etwa damit einverstanden gewesen, dass die Strafbehörden über seinen bloss vorgetäuschten Studienabschluss an der Universität Luzern orientierten,[53] hätte ein solches Einverständnis tatbestandsausschliessend gewirkt.

b) Behördengeheimnisse

Die Preisgabe reiner Behördengeheimnisse (z.B. verfahrenstaktische Erwägungen) steht zwar nicht im Ermessen des betroffenen Beamten, wohl aber seiner vorgesetzten Behörde: Nach Art. 320 Ziff. 2 StGB ist der Beamte nicht strafbar, wenn er das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde offenbart hat. Liegt diese Einwilligung vor, dann ist der offenbarende Beamte von jeglicher strafrechtlichen Verantwortlichkeit befreit.[54] In diesen Fällen darf der Beamte davon ausgehen, dass keine Geheimhaltungsbedürftigkeit besteht. Er handelt beim Offenbaren insoweit ohne Geheimnisverletzungsvorsatz. Es stellt sich dann nur noch die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der vorgesetzten Behörde als mittelbare oder, falls sie die Kommunikation in die eigenen Hände nimmt, unmittelbare Täterin.

Die Zustimmung der vorgesetzten Behörde ist in ihren strafrechtsdogmatischen Konsequenzen nicht identisch mit jener des privaten Geheimnisträgers. Bei der vorgesetzten Behörde stellt bereits der Gesetzestext von Art. 320 Ziff. 2 StGB klar, dass es sich um eine «Einwilligung» handelt. Dass ein rein faktisches Einverständnis nicht ausreicht, sondern eine informierte, wohl abgewogene und vor der Tat[55] schriftlich erteilte Einwilligung der vorgesetzten Behörde vorliegen muss, ergibt sich ferner aus der Sache selbst: Andernfalls könnte sich die vorgesetzte Behörde für die von ihr zu billigende Informationspreisgabe immer gleich selbst die Absolution erteilen. Nach zutreffender Auffassung ist sie in ihrer Zustimmungsentscheidung nicht völlig frei.[56] Sie hat vielmehr nach pflichtgemäss auszuübendem Ermessen eine Abwägung zwischen den involvierten öffentlichen Interessen zu treffen.[57] Hierbei ist das Interesse des Staates an der Geheimhaltung behördeninterner Tatsachen dem öffentlichen Interesse an deren Bekanntgabe gegenüberzustellen. Welche öffentlichen Informationsinteres­sen eine Preisgabe rechtfertigen können, ist für die Strafverfolgungsbehörden in Art. 74 Abs. 1 lit. a.-d. StPO geregelt (dazu unten III.3.).

c) Gemischte Geheimnisse

Gemischte Geheimnisse betreffen Tatsachen, an denen sowohl ein privates als auch ein behördliches Geheimhaltungsinteresse besteht. Ein ge­mischtes Geheimnis wäre im Fall Rupperswil etwa betroffen gewesen, wenn die Behörden z.B. die Bewegungsprofile von «Thomas N.» veröffentlicht hätten, die aus Antennensuchläufen rekonstruiert werden kön­nen.[58] Hier wäre einerseits seine Privatsphäre (z.B. Dauer des Aufenthalts zu Hause) betroffen gewesen, zugleich wäre durch eine Veröffentlichung aber bekannt geworden, in welchem Ausmass solche Fahndungsmethoden eingesetzt werden können, was ermittlungstaktische, behördliche Geheimhaltungs­in­te­res­sen berührt hätte.

Bei gemischten Geheimnissen führt das Einverständnis der Privaten nicht dazu, dass der Geheimnischarakter entfällt. «Besteht (auch) ein selbständiges öffentliches Geheimhaltungsinteresse, scheidet eine rechtfertigende Einwilligung des betroffenen Einzelnen aus.»[59] Deutlich relevanter ist bei gemischten Geheimnissen indes die umgekehrte Frage, ob nämlich die Zu­stimmung der vorgesetzten Behörde alleine die Rechtfertigung trägt. Nach dem Wortlaut von Art. 320 Ziff. 2 StGB, wonach der Täter nicht strafbar ist, «wenn er das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde geoffenbart hat», kommt es auf das Einverständnis der Privaten nicht an.[60] Private können die Veröffentlichung von sie betreffenden Geheimnissen somit (wohl) nicht verhindern; sie haben lediglich einen Anspruch (Art. 29 Abs. 2 BV) auf vorgängige Anhörung.[61]

Im Übrigen gilt jedoch das zu den Behördeninterna (b.) Ausgeführte: Die vorgesetzte Behörde kann nicht völlig frei entscheiden, ob sie einem zuständigen Beamten erlaubt, ein Geheimnis zu offenbaren. Vielmehr hat sie die für die Veröffentlichung sprechenden öffentlichen Informationsinteressen[62] sowohl den Interessen des Staates, dass gewisse behördeninterne Informationen nicht preisgegeben werden, als auch den sich aus dem Persönlichkeitsrecht ergebenden Geheimhaltungsinteressen der Privaten gegenüberzustellen und sorgfältig abzuwägen, ob die Preisgabe geeignet und notwendig ist, das angestrebte Informationsziel zu erreichen.

3. Information der Öffentlichkeit (Art. 74 StPO)

Als weiterer Rechtfertigungsgrund kommen ge­setzlich erlaubte Handlungen in Frage (Art. 14 StGB). Art. 74 StPO regelt das Recht der Strafbehörden, die Öffentlichkeit entgegen der sonst geltenden Pflicht zum Stillschweigen (Art. 73 StPO) über laufende Strafverfahren zu orientieren.

a) Aufklärung/Fahndung (lit. a)

Nach Art. 74 Abs. 1 lit. a StPO kann die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit über hängige Verfahren orientieren, wenn dies erforderlich ist, damit die Bevölkerung bei der Aufklärung von Straftaten oder bei der Fahndung nach Verdächtigen mitwirkt. Die Staats­anwalt­schaft nutzt die Medien hier «als Mittel zum Zweck», um die Mithilfe der Bevölkerung bei der Fahndung zu erreichen.[63] Eine Orientierung der Öffentlichkeit erfolgt somit gestützt auf ein Ermittlungsinteresse der Behörde («Straf­ver­fol­gungs­­interesse»[64]). Bei der Presse­kon­ferenz in Schafisheim vom 18. Februar 2016 haben die Aargauer Strafbehörden die genaue Stückelung der vom Opfer abgehobenen Bargeldbeträge be­kannt gegeben, weil sie sich davon Aufklärungs­hinweise erhofften. Des Weiteren hatte die Polizei wenige Tage nach der Tat in Rupperswil und den umliegenden Gemeinden Flugblätter verteilt, um von der Bevölkerung Hinweise auf die Täterschaft zu erhalten.[65]

b) Warnung/Beruhigung (lit. b)

Art. 74 Abs. 1 lit. b StPO erlaubt die Orientierung der Öffentlichkeit, wenn ein sicherheitspolizeiliches Interesse vorliegt.[66] Es darf informiert werden, wenn dies zur Warnung oder Be­ruhigung der Bevölkerung erforderlich ist. Bei der ersten Variante geht es in der Regel um die Warnung der Bevölkerung vor gefährlichen «Straftätern»,[67] mithin um Verdächtige, die noch nicht gefasst wurden.[68] Möglich ist es aber auch, die Bevölkerung vor neuartigen Deliktsformen oder Tatmodi (z.B. Phishing, Trickbetrügereien etc.) zu warnen.[69]

Zur Beruhigung der Bevölkerung kann nach der zweiten Variante die Öffentlichkeit etwa dann orientiert werden, wenn bei einem schweren Delikt die tatverdächtige Person ermittelt bzw. festgenommen werden konnte.[70] Eine Rolle spielt hier auch die positive und negative Generalprävention.[71] Der Normgeltungsschaden kann behoben und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Strafjustiz gestärkt werden, wenn es gelingt, Tatverdächtige zu fassen und einer Verurteilung zuzuführen. Werden Delikte erfolgreich aufgeklärt, kann dies des Weiteren andere potentielle Täter abschrecken.

Das Ziel der zweiten Pressekonferenz in Schafisheim vom 13. Mai 2016 war klarerweise, die Bevölkerung zu beruhigen und das Vertrauen in die Behörden wiederherzustellen. So eröffnete der Regierungsrat sie mit den Worten: «Die Zeit der Unsicherheit ist vorbei. Der Täter ist gefasst.»[72]

c) Richtigstellung (lit. c)

Art. 74 Abs. 1 lit. c StPO erlaubt die Orientierung der Öffentlichkeit «zur Richtigstellung un­zutreffender Meldungen oder Gerüchte».[73] Die Bestimmung soll unter anderem Transparenz schaffen und das Bedürfnis der Allgemeinheit nach neutraler Information decken, indem unzutreffende Meldungen oder Gerüchte richtiggestellt werden.[74] Am Tag nach der Tat wurde im Blick - wie sich herausstellte unzutreffend - spekuliert: «Drehte der Ex-Mann durch?»[75]. Hier hätte eine Orientierung dem Zweck dienen können, falsche Verdächtigungen zu zerstreuen.[76] Wenn Mitarbeiter von Strafbehörden zu Unrecht angegriffen werden, kann die Information erfolgen als Ausprägung der allgemeinen arbeitgeberischen Fürsorgepflicht.[77] In jedem Fall soll einer einseitigen Information bzw. polemischer Stimmungsmache entgegengetreten und durch Informationen aus erster Hand ein sachlicher Diskurs ermöglicht werden.[78]

Während bei Informationen zu Fahndungs- (lit. a) und Warnungszwecken (lit. b) die verfolgten öffentlichen Polizei- und Generalpräventionsinteressen klar bezeichnet werden kön­nen, ist bei der Richtigstellung weniger ein­deutig, welchen über das in seiner Fundierung sehr zweifelhafte «Bedürfnis der Allgemeinheit nach neutraler Information» hinausgehenden öffentlichen Interessen die Information hier dienen soll. Nicht angerufen werden kann jedenfalls ein öffentliches Interesse an objektiver Wahrheit hinsichtlich des in einem Strafverfahren abzuklärenden Sachverhalts. Die Formulierung der «Richtigstellung unzutreffender Meldungen oder Gerüchte» erweist sich in einem solchen straf­pro­zessualen Kontext nämlich insofern als besonders heikel, als in einem Straf­verfahren bis zum Zeitpunkt eines rechts­kräftigen Urteils nicht feststehen kann, ob ein Tatverdacht berechtigt ist oder nicht.[79] Anders stellt sich dies z.B. dar, wenn eine Richtigstellung über die durch die Strafverfolgungsbehörden vorgenommenen Verfahrensschritte erfolgt.

Im weitesten Sinne geht es bei Art. 74 Abs. 1 lit. c StPO somit wohl um die «Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege»[80] resp. darum, dass die Behörde - für den Fall, dass sie selber angegriffen wird - qua richtigstellender Kommuni­kation ihr Ansehen in der Öffentlichkeit soll wahren können. Diese Interessen gehen jedoch bestenfalls mittelbar aus Art. 74 StPO hervor und stehen daher zumindest nach h.L. im öffentlichen Recht auf unsicherem Fundament. Damit solche Zwecke als legitime öffentliche Interessen anerkannt werden können, müs­sen sie sich direkt aus dem Gesetz ergeben.[81] Die strafprozessuale Literatur sieht im Berichtigungsanspruch nach lit. c aber wohl ein selbständiges öffentliches Interesse.[82] Nach dem Gesagten kann der «Richtigstellung» allenfalls die Aufgabe zukommen, die (subjektive) Sicht der Behörden in den öffentlichen Diskurs einzubringen.

Es gilt in Bezug auf diese Bestimmung daher zu unterscheiden, welche Meldungen oder Gerüchte über­haupt einer «Richtigstellung» zugänglich sind. Keine Aussage darf vor einem rechtskräftigen Urteil darüber getroffen werden, dass ein bestimmter Tatbestand durch eine Person verwirklicht wurde bzw. die Täterschaft der betroffenen Person erwiesen sei. Solche Aussagen führen zur Befangenheit[83] und möglicherweise sogar zum Ausstand (Art. 56 lit. f StPO) der mit dem Fall befassten Strafverfolgungsbehörde.[84] «Richtiggestellt», mithin aus Behördensicht dargestellt werden, können jedoch die relevanten Verdachtsmomente sowie die bis anhin vorgenommenen Verfahrensschritte.[85]

d) Bedeutung des Falls (lit. d)

Art. 74 Abs. 1 lit. d StPO erlaubt schliesslich, die Öffentlichkeit zu orientieren «wegen der beson­deren Bedeutung eines Straffalles». Die Bestimmung ist zugeschnitten auf sog. causes célèbres sowie auf Präjudizien.[86] Wie bereits bei der Richtigstellung unzutreffender Meldungen stellt sich auch hier die Frage, weshalb die Behörden in besonders bedeutsamen Straffällen sollen berichten dürfen. Generell wird davon ausgegangen, dass die Bestimmung Transparenz schaffen und damit dem Informationsbedürfnis der Allgemeinheit dienen soll.[87] Damit ist indes bei genauerem Hinsehen nur gesagt, dass informiert werden darf, weil informiert werden soll.

Man könnte sich daher auch hier fragen, ob Art. 74 Abs. 1 lit. d StPO überhaupt selbständige Bedeutung hat und nicht erst andere öffentliche Interessen (z.B. Sicherheit, Generalprävention etc.) die Preisgabe legitimieren. In der Sache geht es auch hier wohl vorrangig um Reputationsinteressen der Behörde. In der Lehre wird jedoch einhellig davon ausgegangen, dass mit Art. 74 Abs. 1 lit. d StPO ein eigenständiges öffentliches Informations­­interesse begründet wird.[88]

Immerhin gilt es einen Gesichtspunkt zu beachten, der im Schrifttum soweit ersichtlich bisher nicht thematisiert wurde: Wenn Strafverfolgungsbehörden in bedeutenden Straffällen, die ohnehin ein Medienecho nach sich ziehen, nicht selbst (proaktiv) kommunizieren, entsteht ein grosser Raum für Spekulationen und Gerüchte, die dann wiederum über Mitteilungen nach Art. 74 Abs. 1 lit. c StPO berichtigt werden müssen. Die - in ihrer Legitimation fragwürdigen - Kommu­nikationsbefugnisse nach lit. c und d geben den Strafbehörden damit die Möglichkeit, von allem Anfang an in einem Ausmass zu berichten, welches zugleich Mutmassungen das Wasser abgräbt und das mediale Interesse zu befriedigen vermag.

Ein besonders bedeutsamer Straffall könnte zum einen dann vorliegen, wenn gewichtige Rechtsgüter verletzt sind, z.B. bei schwereren Straftaten gegen Leib und Leben oder bei erheblichen Wirtschaftsdelikten.[89] Vereinzelt wird sogar vertreten, dass nur schwere Straftaten Anlass zur Orientierung der Öffentlichkeit geben sollten, um dem Grundsatz der Geheimhaltung Rechnung zu tragen.[90] Die Ratio einer solch engen Begriffsauslegung ist wohl, dass schwere Delikte die «Volksseele» zum Kochen bringen und deshalb eine Art «Befriedung über Information» betrieben werden soll, indem mit generalpräventivem Fokus z.B. über die Festnahme einer tatverdächtigen Person berichtet wird. Wäre dieses Befriedungs­bedürfnis jedoch das einzige hinter diesem Rechtfertigungsgrund stehende Interesse, könnte die Orientierung der Öffentlichkeit bereits über lit. b (Beruhigung der Bevölkerung) erfolgen und lit. d wäre insoweit überflüssig.

Überzeugender sind deshalb diejenigen Stimmen in der Lehre, welche sich dafür aussprechen, dass ein Straffall von besonderer Bedeutung vorliegt, wenn unabhängig von der Schwe­re des betroffenen Rechtsguts ein grosses Inter­esse seitens der Öffentlichkeit vorliegt («causes célèbres»).[91] Neben schweren Delikten kann Auf­merksamkeit auch erregt werden, wenn Straf­taten begangen werden gegen oder von Personen des öffentlichen Lebens[92] oder ein Verfahren lange andauert.[93]

Schliesslich kann ein öffentliches Interesse an einem Straffall auch dadurch überhaupt erst evoziert werden, dass die betroffene Person aus eigener Initiative die Öffentlichkeit sucht und sich selbst an die Medien wendet.[94] Zwar ist der Fall Rupperswil schon aufgrund des enormen Medieninteresses eine «cause célèbre» i.S.v. Art. 74 Abs. 1 lit. d StPO, doch konnte sich die Information der Öffentlichkeit wegen der Schwere des Falls auf lit. b (Beruhigung) stützen.

4. Konkurrenzen

Abschliessend stellt sich noch die Frage, wie sich die dargelegten Rechtfertigungsgründe der Einwilligung (III.2.) und der gesetzlich erlaubten Handlungen (III.3.) zueinander verhalten.[95] Die Einwilligung der vorgesetzten Behörde in Art. 320 Ziff. 2 StGB ist ein direkt auf die Amtsgeheimnisverletzung in Ziff. 1 zugeschnittener Rechtfertigungsgrund, welcher der allgemeiner gefassten Orientierung der Öffentlichkeit (Art. 74 StPO) wohl vorgeht. Bei der Zustimmungserteilung hat die vorgesetzte Behörde je­doch die in Art. 74 Abs. 1 StPO positivierten Abwägungsgesichtspunkte wie folgt miteinzubeziehen:

Bei der Preisgabe reiner Behördengeheimnisse (z.B. Verfahrenstaktik) sind die sich gegenüberstehenden öffentlichen Interessen gegeneinander abzuwägen: Das Interesse an der Geheimhaltung von Behördeninterna auf der einen und die öffentlichen Informationsinteressen nach Art. 74 Abs. 1 StPO auf der anderen Seite.[96] Bei der Preisgabe von privaten und gemischten Geheimnissen greift der Staat in grundrechtlich geschützte Positionen ein (persönliche Freiheit, Art. 10 Abs. 2 BV; Unschuldsvermutung Art. 32 Abs. 1 BV). Hier folgt die Abwägung grundsätzlich[97] der Logik von Art. 36 BV. Im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung sind wiederum die sich aus Art. 74 Abs. 1 StPO ergebenden öffentlichen Informationsinteressen gegen die privaten Geheimhaltungsinteressen der Betrof­fenen abzuwägen.

Somit zeigt sich, dass die beiden Rechtfertigungsgründe in den meisten Fällen zueinander nicht in einem Verhältnis der Konkurrenz, sondern der Komplementarität stehen. Abweichen­des gilt nur bei der Frage, ob der direkt mit der Sache befasste Staatsanwalt sich bei seiner Kom­munikation - ohne Zustimmung der vorgesetzten Behörde - direkt auf Art. 74 Abs. 1 StPO stützen kann. Dies ist zu bejahen, da keine Anzeichen dafür ersichtlich sind, dass der Gesetzgeber mit Art. 320 Ziff. 2 StGB einen Rechtfertigungsgrund mit Exklusivitätsanspruch schaf­fen wollte, der die Rechtfertigungsregelungen des allgemeinen Teils derogieren soll.[98] Insbesondere, wenn es zur Wahrung polizeilicher Sicherheitsinteressen angebracht ist, muss es dem direkt befassten Staatsanwalt auch möglich sein, in eigener Kompetenz private und behördliche Geheimnisse preiszugeben.[99]

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass in Bezug auf die Informationen der Polizei und der Staatsanwaltschaft vom 18. Februar 2016 zum vorläufigen Stand der Ermittlungen sowie vom 13. Mai 2016 zur Ermittlung des Tatverdächtigen die jeweils vorgesetzte Behörde mit der Bekanntgabe i.S.v. Art. 320 Ziff. 2 StGB einverstanden war. Selbst bei fehlender Einwilligung wäre die Orientierung der Öffentlichkeit - nach Vornahme einer sorgfältigen Interessenabwägung - aufgrund von Art. 74 Abs. 1 lit. a. und b. StPO gerechtfertigt gewesen.

IV. Fazit

Zusammenfassend wurde gezeigt, dass viele Informationen, welche Strafbehörden im Rahmen von Pressekonferenzen oder im direkten Kontakt mit Medienvertretern offenbaren, zwar schützenswerte private und/oder staatliche Geheimnisse betreffen, die Behörden in ihrem Handeln jedoch in aller Regel gerechtfertigt sind, weil ihnen Art. 74 Abs. 1 StPO umfassende Orientierungsbefugnisse einräumt. Die Befugnisse zur Richtigstellung und zur Kommunikation in «causes célèbres» stehen dabei auf wackligem Fundament, da nach wie vor unklar ist, auf welche öffentlichen Interessen sich eine solche Kommunikation abstützen kann. Im Fall Rupperswil spielte dies aber keine Rolle, da die Öffentlichkeit zunächst zum Zwecke der Fahndungsmithilfe informiert werden durfte und nach der Aufklärung die Entwarnung und Beruhigung im Zentrum standen. Hierbei handelte es sich um legitime sicherheitspolizeiliche Informationsbefugnisse. Somit bleibt einzig die Vorverurteilung «Thomas N.s» zu kritisieren. Auch geständige Beschuldigte stehen unter dem Schutz der Unschuldsvermutung und dürfen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens nicht als «Täter» bezeichnet werden.



[1] Tagesanzeiger online vom 18. Februar 2016 ( Die drei wichtigsten Aussagen der Pressekonferenz).

[2] Ebenso der zuständige Regierungsrat und der verantwortliche Polizei-Hauptmann, vgl. Matthias Chapman/Lea Koch/Stefania Telesca, Tat, Täter, Schreckenspläne - das Grauen von Rupperswil in 6 Fragen, Tagesanzeiger online vom 13. Mai 2016; die Pressekonferenz wurde auch auf Video aufgezeichnet.

[3] Angelika Hardegger, Die Unschuldsvermutung für die «Bestie» wurde missachtet, NZZ online vom 7. August 2017.

[4] Die teilweise mit schwarzem Balken abgedeckten Augen des Beschuldigten wurden dabei als «geheuchelte Seriosität» kritisiert, Rainer Stadler, Als News getarnter Voyeurismus, NZZ online vom 17. Mai 2016.

[5] S. zur (Medien-)Berichterstattung im Fall Rupperswil auch die Masterarbeit von Alex Dutler «Die Unschuldsvermutung in der Medienberichterstattung über das Vorverfahren - untersucht am Fall Rupperswil» vom 7. Juni 2017.

[6] Dazu umfassend Christoph Bentele, Zulässigkeit und Grenzen von Litigation-PR durch die Staatsanwaltschaft, Marburg 2016.

[7] Kristian Kühl, Persönlichkeitsschutz des Tatverdächtigen durch die Unschuldsvermutung - Ein Beitrag zu den Grenzen der Kriminalberichterstattung, in: Hans Forkel/Alfons Kraft (Hrsg.), Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistungen, Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag, Frankfurt a.M. 1985, 250 f.; auch hat die konkret für das Strafverfahren geltende Geheimhaltungspflicht nach Art. 73 StPO unter anderem zum Ziel, die Unschuldsvermutung bzw. die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person sicherzustellen (Urs Saxer/Simon Thurnherr, in: Marcel Alexander Niggli/Marianne Heer/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, 2. Aufl., Basel 2014, [fortan BSK StPO-Bearbeiter], Art. 73 N 4).; vgl. auch Joachim Bornkamm, Die Berichterstattung über schwebende Strafverfahren und das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten, NStZ 1983, 104 ff.; Daniel Aeschbach, Litigation-PR und der Court of Public Opinion, Justice - Justiz - Giustizia 2013/1 Rz. 43.

[8] BSK StPO-Tophinke (Fn. 7), Art. 10 N 26.

[9] Daniela Brüschweiler, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl., Zürich/Ba­sel/Genf 2014 (fortan ZK StPO-Bearbeiter), Art. 74 N 4; Niklaus Schmid/Daniel Jositsch, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2018 (fortan zit.: StPO PK), Art. 74 N 8; BSK StPO-Saxer (Fn. 7), Art. 74 N 23; bei schweren Delikten gilt es die Unschuldsvermutung umso stärker zu beachten, hat eine Vorverurteilung bei solchen Straftaten doch eine unweit grössere Auswirkung auf das Leben der betroffenen Person als beim Vorwurf weniger schwer wiegender Delikte.

[10] Andreas Eicker, Die Schweizerische Strafprozessordnung im Überblick - Anknüpfung an Bestehendes, Vereinheitlichung und hohe Regelungsdichte, recht 2010, 193; diff. Walter Gollwitzer, Menschenrechte im Strafverfahren, MRK und IPBPR, Kommentar, Berlin 2005, Art. 6 N 115; bejahend Stefan Trechsel/Sarah Summers, Human Rights in Criminal Pro­ceedings, Oxford 2005, 161; schwankend BSK StPO-Tophinke (Fn. 7), Art. 10, N 15 ff.

[11] S. etwa Stefan Trechsel, Struktur und Funktion der Vermutung der Schuldlosigkeit, Ein Beitrag zur Auslegung von Art. 6, Ziff. 2 EMRK, SJZ 1981, 336.

[12] Trechsel (Fn. 11), SJZ 1981, 336.

[13] Zhuoli Chen, Der Verzicht auf Verfahrensrechte durch die beschuldigte Person im Schweizerischen Strafprozess, Diss., Zürich 2014, 33 ff.; Sven Zimmerlin, Der Verzicht des Beschuldigten auf Verfahrensrechte im Strafprozess, Zürich 2008, N 538 f.

[14] Diesen Hinweis verdanke ich meinem geschätzten Kollegen Prof. Dr. Frank Meyer, LL.M.

[15] August Wimmer, Unschuldsvermutung - Verdacht - Freispruch, ZStW 1980.

[16] Karl Peter, Fehlerquellen im Strafprozess (1. Band), Karlsruhe 1970, 260 ff., 485; Renate Volbert/Len­nart May, Falsche Geständnisse in polizeilichen Vernehmungen - Vernehmungsfehler oder immanente Gefahr?, Recht & Psychiatrie, Sonderheft 2016 «Fehlerquellen im Strafprozess», 4 ff.; Max Steller, Falsche Geständnisse bei Kapitaldelikten: Praxis - Der Fall Pascal Eugen Weschke: Prävention und Kriminalpolitik, in: Henning Müller/Günther Sander/Helena Vál­ková (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag, München 2009, 213 ff.; Bernhard Beneke, Das falsche Geständnis als Fehlerquelle im Strafverfahren unter kriminologischen, speziell kriminalpsychologischen Aspekten, Frankfurt et al. 1990, 24 ff.; Brandon Garrett, The substance of false confessions, Stanford Law Review 2010, Volume 62, Issue 4, 1051 ff.; Saul Kassin, Why Confessions Trump Innocence, American Psychologist 2012, Vol. 67, No. 6, 431 ff.; s.a. die Website des Innocence Project zu «False Confessions or Admissions»; Daniel Gerny, Deals in Strafverfahren häufen sich - Kritiker befürchten, dass Beschuldigte unter Druck falsche Geständnisse ablegen, NZZ vom 29. März 2016, 9; Hans Vest, Aspekte des strafprozessualen Rechtsmissbrauchs, ZBJV 2016, 387 ff.; Stephan Bernard, Unschuldig Verurteilte, NZZ vom 10. Oktober 2013, 21; vgl. auch Gisli Gudjonsson, Memory distrust syndrome, confabulation and false confession, Cortex 2017, 156 ff.

[17] Vgl. Dutler (Fn. 5), 27; Daniel Glasl/Lucien Müller, Die Unschuldsvermutung in der Medienberichterstattung, ZSR 1/2013, 103; Fabienne Schober, Der Anspruch der Öffentlichkeit auf Informationen während des Vorverfahrens, ZStrR 2015, 325.

[18] So auch Glasl/Müller (Fn. 17), 103.

[19] BGE 141 I 201 E. 4.5; Andreas Donatsch/Marc Thommen/Wolfgang Wohlers, Strafrecht IV - Delikte gegen die Allgemeinheit, 5. Aufl., Zürich 2017, 577; Anna Maria Grossmann, Die Verletzung des Amtsgeheimnisses auf Grund des Art. 320 des schweizerischen Strafgesetzbuches, Diss., Zürich 1946, 13; Niklaus Oberholzer in: Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger (Hrsg.), Strafrecht II, Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel 2013, (fortan: BSK StGB II-Bearbeiter), Art. 320 N 1 ff.; Mark Pieth, Strafrecht Besonderer Teil, 2. Aufl., Basel 2018, 128; Franz Martin Spillmann, Begriff und Unrechtstatbestand der Verletzung der Amtsgeheimnisse nach Art. 320 des Strafgesetzbuches, Diss., Zürich 1984, 29; Günter Stratenwerth/Felix Bommer, Schweizerisches Strafrecht - Besonderer Teil II: Straftaten gegen Gemeininteressen, 7. Aufl., Bern 2013, § 61 N 5; Günter Stratenwerth/Wolfgang Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch - Handkommentar, 3. Aufl., Bern 2013, Art. 320 N 2; Elisabeth Strebel, Grenzen medialer Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft - Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der beschuldigten Person im Vorverfahren, Diss., Bern 2011, 158 f.; Stefan Trechsel/Hans Vest, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2017 (fortan StGB PK-Bearbeiter), Art. 320 N 1; Matthias Michlig, Öffentlichkeitskommunikation der Strafbehörden unter dem Aspekt der Amtsgeheimnisverletzung (Art. 320 StGB), Diss., Zürich 2013, 187, spricht von einer «Zwitterstellung»; vgl. bereits die Botschaft vom 23. Juli 1918 zu einem Gesetzesentwurf enthaltend das schweizerische Strafgesetzbuch (BBl 1918 IV 1), 65.

[20] § 353b StGB/D (Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht) und § 203 StGB/D (Verletzung von Privatgeheimnissen), vgl. dazu Theodor Lenckner/Jörg Eisele sowie Walter Perron, in: Adolf Schönke/Horst Schröder/Albin Eser (Hrsg.), Strafgesetzbuch: Kommentar, 29. Aufl., München 2014 (fortan S/S-Bearbeiter), § 203 bzw. § 353b.

[21] LGVE 1991 III Nr. 14, E. 2; StGB PK-Trechsel/Vest (Fn. 19), Art. 320 N 5.

[22] Walter Buser, Information und Amtsverschwiegenheit, ZBJV 1967, 221 ff.; BSK StGB II-Oberholzer (Fn. 19), Art. 320 N 1; kritischer zur «Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege» als legitimierender Rechtsbegriff, Winfried Hassemer, Die «Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege» - ein neuer Rechtsbegriff?, StV 1982, 275 ff.

[23] BSK StPO-Saxer/Thurnherr (Fn. 7), Art. 73 N 4.

[24] Vgl. dazu Sven Altermatt, Indizien verdichten sich: Handydaten führten die Aargauer Ermittler zu Thomas N., Aargauer Zeitung online vom 11. Mai 2018.

[25] LGVE 1991 III Nr. 14, E. 2; StGB PK-Trechsel/Vest (Fn. 19), Art. 320 N 5.

[26] Vgl. LGVE 1991 III Nr. 14, E. 4; Roland Fankhauser, Wider die Boulevardisierung der Verbrechen - ein Denkanstoss zugunsten von Betroffenen, recht 2/2018, 77 f.

[27] S. dazu oben II.

[28] Dutler (Fn. 5), 29 f.

[29] Auch wenn nicht identifizierend informiert wurde, gilt es jedoch einzuräumen, dass bei einer so kleinen Gemeinde wie Rupperswil eine Person aufgrund der Angaben verhältnismässig leicht identifizierbar war; so auch Dutler (Fn. 5), 30.

[30] BGE 114 IV 44 E. 2; Donatsch/Thommen/Wohlers (Fn. 19), 576 ff.; StGB PK-Trechsel/Vest (Fn. 19), Art. 320 N 3; Stratenwerth/Bommer (Fn. 19), § 61 N 5; vgl. auch Karl Lackner/Kristian Kühl, Strafgesetzbuch: StGB, Kommentar, 28. Aufl., München 2014, § 203 StGB N 14.

[31] BGE 116 IV 56 E. II.1. a); Donatsch/Thom­men/Wohlers (Fn. 19), 576; BSK StGB II-Oberholzer (Fn. 19), Art. 320 N 8; Stratenwerth/Wohlers (Fn. 19), Art. 320 N 2.

[32] BGE 116 IV 56 E. II.1.a i.S. Elisabeth Kopp et al.

[33] Grundsätzlich umfasst der Geheimnisschutz auch im deutschen Recht nur Tatsachen, vgl. etwa Michael Heuchemer, in: Bernd von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Beck Online-Kommentar StGB, 38. Ed. 1. Mai 2018, § 353b N 8; doch gilt auch dort: «unbestätigte Gerüchte beseitigen den Geheimnischarakter nicht», S/S-Perron (Fn. 20), § 353b N 4.

[36] Daneben bleibt üble Nachrede strafbar, wenn der Entlastungsbeweis ausgeschlossen (Art. 173 Ziff. 3) ist; BSK StGB II-Riklin (Fn. 19), Art. 173 N 26 ff.

[37] Pieth (Fn. 19), 118.

[38] BGE 114 IV 44 E. 2; vgl. dazu auch Stratenwerth/Wohlers (Fn. 19), Art. 320 N 2.

[39] BGE 127 IV 122 E. 3; gleich für die deutsche Praxis Lackner/Kühl (Fn. 30), § 203 StGB N 14.

[40] BGE 118 IV 41 E. 4; Andreas Meili, in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Thomas Geiser (Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 5. Aufl., Basel 2014, Art. 28 N 24 ff.; vgl. auch Michlig (Fn. 19), 203; Spillmann (Fn. 19), 44.

[41] Vgl. hierzu etwa einen deutschen Fall, DerWesten vom 1. Februar 2018 ( Jugendbande terrorisiert seit Wochen Kinder und Jugendliche: Jetzt spricht einer der Täter): «Nun sprach einer der Täter. […]. Er bestätigte den Vorfall mit dem Baumpfahl.»

[42] Michlig (Fn. 19), 202 f.

[43] S/S-Perron (Fn. 20), § 353b N 5.

[44] Lothar Kuhlen, in: Urs Kindhäuser/Ulfrid Neumann/Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar Strafgesetzbuch, 5. Aufl., Baden-Baden 2017, § 353b N 10; relativierend S/S-Perron (Fn. 20), § 353b N 5.

[45] Nach der Rechtskommission des Nationalrats soll die vorgesetzte Stelle eine Interessenabwägung vornehmen und die entsprechende Verantwortung tragen, vgl. Sandra Hadorn, Gesetzgebung, fp 4/2017, 276 m.H.a. die Medienmitteilung der Rechtskommission vom 4. November 2016 (Kommission möchte keine Schwächung des Amtsgeheimnisses); siehe schon AB 1931 S 673, Votum Baumann.

[46] S/S-Perron (Fn. 20), § 353b N 5.

[47] Vgl. dazu oben bei Rn. 19.

[48] Statt vieler (indes auch ohne weitere Begründung) ZK StPO-Brüschweiler (Fn. 9), Art. 74 N 2.

[49] BGE 127 IV 122 E. 3b)cc); Donatsch/Thom­men/Wohlers (Fn. 19), 576; BSK StGB II-Oberholzer (Fn. 19), Art. 320 N 8.

[50] S/S-Lenckner/Eisele (Fn. 20), § 203 N 7.

[51] Kritisch zur «Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege» als Rechtsbegriff, Hassemer (Fn. 22), 275 ff.

[52] Im Ergebnis gl.M. Stratenwerth/Bommer (Fn. 19), § 61 N 10 unter Verwerfung früherer Lehrmeinungen, wonach bei Amtsgeheimnissen stets nur der Staat einwilligungsberechtigt sein soll; StGB PK-Trechsel/Vest (Fn. 19), Art. 320 N 13 gehen immerhin davon aus, dass die vom betroffenen Individuum geäusserte «Einwilligung bei rein privaten Geheimnissen wirksam ist»; a.M. noch Grossmann (Fn. 19), 48.

[55] Grossmann (Fn. 19), 45.

[55] BGE 124 IV 258 E. 3; Kurt Seelmann/Christopher Geth, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl., Basel 2016, Rz. 120; Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht - Allgemeiner Teil I: Die Straftat, 4. Aufl., Bern 2011, § 10 N 23.

[56] Statt vieler BSK StGB II-Oberholzer (Fn. 19), Art. 320 N 15.

[57] Vgl. bereits AB 1931 S 673, Votum Baumann.

[58] Zur Ermittlung des Tatverdächtigen siehe Sven Altermatt, Die lange Datenspur: Wie die Polizei dem Mörder von Rupperswil auf die Schliche kam, watson.ch vom 11. Mai 2018.

[59] StGB PK-Trechsel/Vest (Fn. 19), Art. 320 N 13; gleich Stratenwerth/Bommer (Fn. 19), § 61 N 10 i.f.

[60] So auch StGB PK-Trechsel/Vest (Fn. 19), Art. 320 N 13.

[61] I.d.S. apodiktisch StGB PK-Trechsel/Vest (Fn. 19), Art. 320 N 13; s. auch Donatsch/Thommen/Wohlers (Fn. 19), 584; Michlig (Fn. 19), 211; immerhin könnten Private, welche aufgrund vorgängiger Anhörung von der bevorstehenden Geheimnispreisgabe erfahren haben, versuchen, die Zustimmung der vorgesetzten Behörde auf verwaltungsrechtlichem und -gerichtlichem Weg provisorisch zu verbieten.

[62] Diese sind für die Strafverfolgungsbehörden in Art. 74 Abs. 1 lit. a.-d. StPO geregelt; dazu sogleich unter 3.

[63] Strebel (Fn. 19), 91, 93; vgl. auch Art. 211 StPO.

[64] Simona Künzli, Internetfahndung, Diss., Zürich 2017, 81.

[66] BSK StPO-Saxer (Fn. 7), Art. 74 N 12.

[67] StPO PK (Fn. 9), Art. 74 N 4.

[68] Vgl. etwa die Warnung vor dem flüchtigen verurteilten Vergewaltiger, der in Genf eine Sozialtherapeutin umgebracht hatte, in: Hannes Lauber/Peter Disch, Mörder weiterhin auf der Flucht - noch keine heiße Spur, Badische Zeitung online vom 13. September 2013.

[69] Weisungen der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich für das Vorverfahren (WOSTA), Stand: 1. April 2018, Ziff. 15.3.2.2.; s. auch die Empfehlungen für die Medienarbeit der Schweizerischen Konferenz der Informationsbeauftragten der Staatsanwaltschaften (SKIS), 3.

[70] Hans Schultz, Der Grundsatz der Öffentlichkeit im Strafprozess, SJZ 1973, 130.

[71] Vgl. Seelmann/Geth (Fn. 55), Rz. 67 ff.

[73] S.a. WOSTA (Fn. 69), Ziff. 15.3.2.2.

[74] So auch BSK StPO-Saxer (Fn. 7), Art. 74 N 9, der im Übrigen wohl aber zu weitgehend postuliert, dass die Bestimmung auch Informationsbedürfnissen der Behörden dienen soll. Es geht bei Art. 74 StPO ja gerade darum, ob ein bestehendes Informationsbedürfnis der Behörden befriedigt werden darf oder nicht.

[75] Ralph Donghi/Lea GnosRätsel, Drama in Rupperswil AG, Drehte der Ex-Mann durch?, Blick online vom 22. Dezember 2015.

[76] Schultz (Fn. 70), SJZ 1973, 130.

[77] Vgl. Art. 328 OR und etwa § 39 Personalgesetz (PG) des Kantons Zürich vom 27.9.1998.

[78] BSK StPO-Saxer (Fn. 7), Art. 74 N 13; ZK StPO-Brüschweiler (Fn. 9), Art. 74 N 2.

[79] Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl., Bern 2012, Rz. 13 ff.; BSK StPO-Saxer (Fn. 7), Art. 74 N 14.

[80] Z.R. krit. Hassemer (Fn. 22), 275 ff.

[81] Vgl. Martin Wyss, Öffentliche Interessen - Interessen der Öffentlichkeit? Das öffentliche Interesse im schweizerischen Staats- und Verwaltungsrecht, Habil., Bern 2001, 24.

[82] BSK StPO-Saxer (Fn. 7), Art. 74 N 9 ff.; Schultz (Fn. 70), 130 und ZK StPO-Brüschweiler (Fn. 9), Art. 74 N 2.

[83] Vgl. Art. 6 Abs. 2 StPO.

[84] BSK StPO-Saxer (Fn. 7), Art. 74 N 14.

[85] StPO PK (Fn. 9), Art. 74 N 5; BSK StPO-Saxer (Fn.7), Art. 74 N 14.

[86] BSK StPO-Saxer (Fn. 7), Art. 74 N 16.

[87] BSK StPO-Saxer (Fn. 7), Art. 74 N 16.

[88] Statt vieler (indes auch ohne weitere Begründung) ZK StPO-Brüschweiler (Fn. 9), Art. 74 N 2.

[89] StPO PK (Fn. 9), Art. 74 N 6; vgl. auch Schultz (Fn. 70), 130 unter Verweis auf Ernst Jünger: «Ein Mord bringt selbst unter der Bevölkerung einer Grossstadt eine gewisse Familienstimmung hervor.»; Empfehlungen SKIS (Fn. 69), 3.

[90] ZK StPO-Brüschweiler (Fn. 9), Art. 74 N 1.

[91] BSK StPO-Saxer (Fn. 7), Art. 74 N 16; Eliane Welte, Information der Öffentlichkeit über die Tätigkeit der Strafjustiz, Diss., Zürich 2016, 23.

[92] Schultz (Fn. 70), 130; vgl. auch WOSTA (Fn. 69), Ziff. 15.3.2.2.

[93] Urteil des Bundesstrafgerichts BB.2008.20 vom 20. Juni 2008, E. 3.1.

[94] Urteil des Bundesstrafgerichts BB.2008.20 vom 20. Juni 2008, E. 3.4; Welte (Fn. 91), 23 Fn. 63.

[95] S. zur Thematik des Verhältnisses verschiedener Rechtfertigungsgründe zueinander Kurt Seelmann, Das Verhältnis von § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgründen, Heidelberg 1978.

[96] Zur Abwägung gegensätzlicher öffentlicher Interessen s. Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl., Zürich/St. Gallen 2017, Rz. 500 ff.

[97] Cum grano salis handelt es sich bei der Unschuldsvermutung nach Art. 32 Abs. 1 BV um ein Verfahrens(grund)recht. In der Lehre ist umstritten, ob die Bestimmung zur Einschränkung von Grundrechten (Art. 36 BV) nur auf Freiheitsrechte oder auch auf die übrigen Grundrechte anwendbar ist, vgl. Ulrich Häfelin/Walter Haller/Helen Keller/Daniela Thurnherr, Schwei­zerisches Bundesstaatsrecht, 9. Aufl., Zürich 2016, Rz. 303 m.w.H., im Ergebnis besteht insoweit Einigkeit, dass auch die übrigen Grundrechte eingeschränkt werden können, soweit sie keine absolute Geltung beanspruchen.

[98] Vgl. zu Art. 284 Ziff. 2 StGB/1918, in: BBl 1918, 1 ff. 191; dazu hält die Botschaft vom 23. Juli 1918 zu einem Gesetzesentwurf enthaltend das schweizerische Strafgesetzbuch (BBl 1918 IV 1), 65 einzig fest: «Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 284), gleichviel, ob das Geheimnis seinem Inhalte nach Staatsgeheimnis oder Privatgeheimnis sei.»; s.a. AB 1931 S 673, Votum Baumann. Abweichend einzig für den Fall von Offenbarungs pflichten, AB 1929 N 612, Votum Seiler: «Die Offenbarung darf aber nur mit Zustimmung der vorgesetzten Behörde erfolgen.»

[99] So auch StGB PK-Trechsel/Vest (Fn. 19), Art. 320 N 11; Michel Dupuis et al. (Hrsg.), Petit Commentaire, CP - Code pénal, Basel 2017, Art. 320 N 42.