I. Ausgangslage
1. Ziele der Revision des Datenschutzgesetzes
Am 1. April 2015 beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement mit der Ausarbeitung eines Vernehmlassungsentwurfs
für die Revision des Datenschutzrechts.[1]
Am 21. Dezember 2016 wurde das Vernehmlassungsverfahren eröffnet; die
Frist endete am 4. April 2017.[2] Am 15. September 2017 wurde schliesslich die Botschaft des Bundesrates zu
diesem Rechtssetzungsvorhaben publiziert.[3]
Hauptziele der (Total-)Revision sind namentlich die Stärkung des
Schutzes von Personendaten bzw. der datenschutzrechtlichen Stellung der
Bevölkerung sowie der Nachvollzug der Entwicklungen des
Datenschutzrechts auf europäischer Ebene.
In Art. 80 der Datenschutz-Grundverordnung DSGVO (oder General Data
Protection Regulation GDPR) der Europäischen Union[4]
ist zur verbesserten Durchsetzung des Rechtsschutzes im
Datenschutzbereich eine Öffnungsklausel für ein
Verbandsklagerecht enthalten.[5]
Die in dieser Bestimmung aufgeführten Rechtsbehelfe können somit
von den Organisationen unter dem Vorbehalt geltend gemacht werden, dass ein
entsprechender kollektiver Rechtsdurchsetzungsmechanismus im nationalen
Recht der EU-Mitgliedstaaten vorgesehen ist; dies ist derzeit
beispielsweise nach schwedischem Recht oder im Rahmen des
niederländischen «Gruppenvergleichsverfahrens» der Fall.[6]
Nicht zulässig ist es gemäss Art. 80 Abs. 2 DSGVO, ohne entsprechenden Auftrag
der unmittelbar betroffenen Person die Geltendmachung von
Schadenersatzansprüchen durch Verbände zuzulassen. Bei auf Abwehr
von Datenschutzverletzungen gerichteten Ansprüchen können diese
jedoch unabhängig von der Zustimmung der Betroffenen vorgehen.[7]
Dies entspricht den Regelungen bestehender kollektiver
Rechtsdurchsetzungsmechanismen im schweizerischen Recht.[8]
Auch die Anforderungen, welche an die Verbände zur Erlangung der
Legitimation gestellt werden - namentlich die Tätigkeit im fraglichen
Rechtsbereich, hier also im Datenschutz -, finden sich bereits heute
ähnlich in schweizerischen Spezialgesetzen.[9]
Der Bundesrat hat sich trotz der Bestimmung in Art. 80 DSGVO dazu entschlossen, kein
Mittel zur kollektiven Rechtsdurchsetzung - das heisst zur Geltendmachung
von Datenschutzinteressen durch Organisationen, welche vom
Anfechtungsobjekt nicht selbst materiell beschwert sein müssen - in
den Entwurf zum totalrevidierten Datenschutzgesetz aufzunehmen; vielmehr
bezeichnet er die Festschreibung eines solchen Mechanismus im Erlasstext
als nicht opportun.[10]
Dies versteht sich nicht von selbst. Schon im Rahmen der parlamentarischen
Beratungen im Jahr 1990 zum Erlass des DSG[11]
wurde über die Aufnahme eines Verbandsbeschwerde- oder
Verbandsklagerechts in den Gesetzestext debattiert,[12]
und die Schwierigkeiten von Einzelpersonen, ihre datenschutzrechtlichen
Ansprüche ohne Unterstützung durchzusetzen, haben seither
kaum abgenommen.[13]
2. Forderungen nach kollektiven Rechtsdurchsetzungsmechanismen
Vor dem Hintergrund des vorstehend Ausgeführten wurden im
Vernehmlassungsverfahren zur aktuellen Revision von
verschiedenen Seiten Verbands- und Sammelverfahren gefordert - so
unter anderen von der Grünen Partei Schweiz[14]
und vom Verein «Digitale Gesellschaft»[15]. Letzterer schlägt in seiner
Vernehmlassungsantwort
für das sechste Kapitel des Gesetzes betreffend Datenbearbeitung durch
Bundesorgane einen Art. 34 Abs. 3bis DSG[16]
mit dem folgenden Wortlaut[17]
vor:
Bei einer Bestimmung mit diesem Wortlaut würde es sich um eine
Spezialnorm handeln, welche ein ideelles Verbandsbeschwerderecht
betreffend die Datenbearbeitung durch Bundesorgane - nicht hingegen durch
kantonale Organe, auf kantonaler Ebene besteht im Verwaltungsrecht keine
Datenschutzgesetzgebungskompetenz des Bundes - beinhaltete.[18]
Ideelle Verbandsbeschwerderechte, das
heisst die Befugnis zur Erhebung eines Rechtsmittels im Bereich des
öffentlichen Rechts durch Organisationen, ohne dass diese durch den
angefochtenen Entscheid oder die angefochtene Anordnung selbst beschwert
sein müssen, können spezialgesetzlich vorgesehen werden und
dienen grundsätzlich der Durchsetzung öffentlicher Interessen;[19]
dies kann allerdings durchaus durch die Unterstützung von
Einzelpersonen geschehen, auch in solchen Fällen können
öffentliche Interessen (mit)betroffen sein. Die im schweizerischen
Recht bestehenden ideellen Verbandsbeschwerderechte haben sich, namentlich
im Bereich des Umweltschutzes, grundsätzlich als wirksame Mechanismen
zur Rechtsverwirklichung bewährt.
Regelmässig werden deutlich über 50 % der von Verbänden
erhobenen Rechtsmittel gutgeheissen.[20]
Ein Verbandsklagerecht als kollektiver
Rechtsdurchsetzungsmechanismus betreffend Rechtsbeziehungen zwischen
Privaten wäre dagegen im fünften Kapitel des Gesetzes
festzuschreiben (bspw. in einem Absatz von Art. 28 E-DSG). Gewisse derartige
Klagemöglichkeiten[21]
ergeben sich jedoch bereits aus Art. 89 ZPO[22]. Zudem erarbeitet der Bundesrat aktuell einen Vorentwurf für ein
Gesetz, das die kollektive Rechtsdurchsetzung im Privatrecht
flächendeckend regeln soll.[23]
Die folgenden Ausführungen beschränken sich mit Blick
darauf hauptsächlich auf das ideelle
Verbandsbeschwerderecht, da der verwaltungsrechtliche
Rechtsschutz deutlich weniger stark ausgebaut ist. Es ist jedoch darauf
hinzuweisen, dass auch im Bereich des Privatrechts gewisse
Verbandsklagerechte spezialgesetzlich normiert sind.[24]
II. Eignung der ideellen Verbandsbeschwerde für den
Datenschutzbereich
1. Entwicklungen seit den 1990er-Jahren
a) Häufigere Datenschutzverletzungen durch mehr
Technologisierung…
Im Rahmen der Vorarbeiten zur Gesetzesrevision wurde das in den
1990er-Jahren entstandene DSG
einer Evaluation unterzogen.[25]
Dabei hat sich herausgestellt, dass von allfälligen Rechtsverletzungen
betroffene Personen ihre Rechte selten wahrnehmen. Dies dürfte auf die
«nicht gleich langen Spiesse» von Datenbearbeitenden und
betroffenen Personen zurückzuführen sein. Namentlich im Bereich
des Privatrechts sind seit Erlass des DSG im Zuge der zunehmenden
Technologisierung diverse Grossunternehmen entstanden, die in finanzieller
sowie organisatorischer Hinsicht um ein Vielfaches bessere Voraussetzungen
für das Führen von Prozessen haben als Einzelpersonen. Es ist
eine typische Funktion von kollektiven Rechtsdurchsetzungsmechanismen,
derartige Chancenungleichheiten bis zu einem gewissen Grad aufzufangen,
indem Einzelpersonen durch die Unterstützung eines Verbandes der
Zugang zum Gericht vereinfacht oder gar erst ermöglicht wird.[26]
Weiter lohnt sich ein Blick auf die Art der von Rechtsverletzungen
betroffenen Datenschutzinteressen. In diesem Rechtsbereich kommt es vor,
dass von einem Schadensereignis bzw. von einer einzelnen Ursache wie einer
grösseren Datenpanne bzw. einem Systemfehler eine Vielzahl von
Personen betroffen ist;[27]
diese Gefahr hat sich infolge der fortschreitenden Technologisierung und
Datenverbreitung via Internet seit Erlass des DSG massiv vergrössert. Bei
derartigen Massenschäden ist namentlich auch das Phänomen des
«Streuschadens» zu beachten, bei dem die Geschädigten nur
einen relativ geringen Schaden erleiden oder nur vergleichsweise unwichtige
Interessen betroffen sind. In derartigen Fällen lohnt sich ein Gang
vor die Rechtsmittelinstanzen für betroffene Private vielfach nicht,
da die verletzten Datenschutzinteressen nicht
«beschwerdewürdig» sind[28]: Der finanzielle und organisatorische Aufwand sowie das Risiko eines
Rechtsmittelverfahrens sind hier im Verhältnis zum allfälligen
Prozessgewinn zu hoch.[29]
In ihrer Summe sind die verletzten Interessen in derartigen Konstellationen
jedoch häufig nicht mehr marginal und könnten mittels eines
kollektiven Rechtsdurchsetzungsmechanismus gebündelt
werden.[30]
Zweck des Rechtsschutzes ist grundsätzlich nicht nur die Durchsetzung
individueller Interessen, sondern auch die objektive Verwirklichung der
Rechtsordnung an sich; mit Blick auf das vorstehend Ausgeführte
könnte ein Verbandsbeschwerde- oder -klagerecht im Bereich des
Datenschutzes einen Beitrag hierzu leisten.[31]
b) … aber auch bessere Vertretung der Datenschutzinteressen
Um zur ideellen[32]
Verbandsbeschwerde berechtigt zu sein, benötigen die betreffenden
Organisationen eine Bestimmung in einem Spezialgesetz, welche ihnen dieses
Recht einräumt.[33]
Typischerweise verlangen derartige Spezialnormen von den Verbänden,
dass sie sich statutengemäss dem Rechtsbereich widmen, in
welchem sie mittels Verbandsbeschwerde prozessieren möchten. Weiter
wird regelmässig verlangt, dass die betreffende Organisation
seit längerer Zeit besteht oder einen gewissen geografischen
Wirkungskreis hat.[34]
Damit soll ein allzu grosser Kreis von Beschwerdeberechtigten vermieden
werden.[35]
Im Gesetzgebungsprozess zum DSG
vor inzwischen rund 25 Jahren wurde festgestellt, dass es an geeigneten
Organisationen, welche von einem Verbandsbeschwerderecht Gebrauch machen
könnten, mangelte.[36]
Seither haben sich jedoch - da die Thematik namentlich im Zusammenhang mit
der Entstehung grosser datenverarbeitender Technologiekonzerne zunehmend
relevanter wurde - einige Verbände gebildet, welche in ihren Statuten
explizit die Wahrung von Datenschutzinteressen aufführen und eine
gewisse Bedeutung erlangt haben.[37]
2. Information der Verbände
Da heute, wie oben ausgeführt, geeignete Verbände für die
Ausübung eines Beschwerderechts vorhanden wären, stellt sich die
Folgefrage, auf welchem Weg diese über Verletzungen des
Datenschutzrechts oder laufende Verfahren Kenntnis erhalten könnten.
Ideelle Verbandsbeschwerderechte zeichnen sich (im Gegensatz zur
egoistischen Verbandsbeschwerde; bei den Verbandsklagerechten gibt es beide
Varianten sowie Mischformen[38]) dadurch aus, dass die Organisationen bzw. ihre Mitglieder gerade nicht in
ihren eigenen Interessen betroffen sein müssen. Daher müssen sich
die Verbände die nötigen Informationen für die
Prozessführung auf anderem Weg beschaffen.
Im Datenschutzbereich ist im Gesetzesentwurf ebenso wie im bisherigen
Erlasstext vorgesehen, dass der oder die Eidgenössische
Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) die
Öffentlichkeit - und entsprechend auch die Verbände - in
Fällen von allgemeinem Interesse sowie über seine bzw. ihre
Verfügungen[39]
informiert (Art. 48 Abs. 2E‑DSG; Art. 30 DSG). Diese
Informationspflicht ist für die Verbandsbeschwerde relevant, da mit
dieser grundsätzlich gerade Fälle von allgemeinem Interesse
geklärt bzw. eine (potenzielle) Grosszahl von Betroffenen vertreten
werden soll; sie soll in der Regel zur Schaffung von Präjudizien
eingesetzt werden.[40]
Verschiedene im Gesetzesentwurf vorgesehene Meldepflichten sollen zudem
gewährleisten, dass dem oder der EDÖB die Informationen, welche
im Datenschutzbereich von allgemeinem Interesse sind und der
Öffentlichkeit kommuniziert werden müssen, zur Kenntnis gebracht
werden (bspw. bei einer «flächendeckenden» Bekanntgabe von
Daten ins Ausland)[41]. Auch die Privaten sollen unaufgefordert über sie betreffende
Datenverarbeitungen informiert werden.[42]
So gewonnene Erkenntnisse können sie den Verbänden anschliessend
zur Kenntnis bringen.
Es bestehen im Datenschutzbereich folglich diverse Möglichkeiten, wie
legitimierte Verbände an die nötigen Informationen gelangen
könnten, um die in Art. 37 E-DSG angesprochenen Verfahren
anzustossen bzw. die entsprechenden Ansprüche[43]
geltend zu machen.
3. Das Datenschutzrecht
als Querschnittsmaterie
Nicht in allen Rechtsgebieten bietet sich die Statuierung eines
Verbandsbeschwerderechts gleichermassen an. Typischerweise findet man
solche im Bereich von sogenannten Querschnittsthemen[44].
Die in diesen Bereichen vorliegenden Rechtsnormen zeichnen sich dadurch
aus, dass sie in verschiedensten Kontexten zu beachten sind; ihre
Durchsetzung kann daher nicht oder nur eingeschränkt zentral
organisiert werden und ist mithin tendenziell geschwächt. Unter
derartigen Umständen kann eine Verbandsbeschwerde ein geeignetes
Mittel zur Unterstützung der Rechtsdurchsetzung darstellen.[45]
Weiter betreffen Querschnittsthemen oft eine Vielzahl von Personen - die
Verbandsbeschwerde soll in der Regel in derartigen Fällen ergriffen
werden, und nicht, um einer Einzelperson in einem spezifischen Einzelfall,
der keinen präjudiziellen Charakter hat, zu ihrem Recht zu verhelfen.[46]
Beim Datenschutzrecht handelt es sich um einen typischen
Querschnittsbereich, gelten seine Bestimmungen doch sowohl bei der
Wahrnehmung verschiedenster Staatsaufgaben sowie im Verhältnis
zwischen Privaten in unterschiedlichsten Kontexten. Damit
zusammenhängend ist zu beachten, dass das DSG ein Rahmen- bzw. ein
Grundsatzgesetz ist; es regelt die Zulässigkeit von Datenbearbeitungen
nicht für spezifische Einzelbereiche, sondern enthält
Bestimmungen wie beispielsweise, dass Bundesorgane[47]
für die Bearbeitung von Personendaten eine gesetzliche Grundlage im
jeweiligen Spezialgesetz benötigen (Art. 27 E-DSG). Ein kollektiver
Rechtsdurchsetzungsmechanismus kann unter solchen Umständen für
eine gewisse Einheitlichkeit bei der Durchsetzung der Grundsätze[48]
eines Rahmengesetzes sorgen.
4. Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Materie des
Datenschutzes für eine Rechtsdurchsetzung mittels Verbandsbeschwerde
grundsätzlich eignet und dass die praktischen Voraussetzungen
hierfür gegeben wären. Zudem ist die Einführung kollektiver
Rechtsdurchsetzungsmechanismen im Bereich des Datenschutzes infolge der
zunehmenden Technologisierung tendenziell dringlicher geworden.
III. Zusätzliche Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung
1. Behördenbeschwerde
Gleich wie die ideelle Verbandsbeschwerde kann auch die
Behördenbeschwerde in einer Spezialnorm vorgesehen werden, um die
Vertretung von sonst allenfalls vernachlässigten Interessen zu
verbessern.[49]
Dieses Instrument hat den Vorteil, dass es eingesetzt werden kann, wenn
keine geeigneten Organisationen für das ideelle
Verbandsbeschwerderecht zur Verfügung stehen - dadurch kann
gewährleistet werden, dass nicht organisierte Interessen ebenfalls
vertreten werden.[50]
In verschiedenen Erlassen sind allerdings beide
Beschwerdemöglichkeiten nebeneinander vorgesehen.[51]
Die beiden Instrumente sind meines Erachtens nicht als Alternativen zu
betrachten; vielmehr können sie ergänzend eingesetzt werden.
In Art. 46 Abs. 3 E-DSG ist das
Recht des oder der EDÖB vorgesehen, Beschwerdeentscheide des
Bundesverwaltungsgerichts betreffend die von ihm bzw. ihr erlassenen
Verfügungen anzufechten (vgl. Art. 27 Abs. 6 und Art. 29 Abs. 4 DSG zum bisherigen
Beschwerderecht). Partei im Verfahren ist im Übrigen nur diejenige
Person bzw. dasjenige Bundesorgan, der oder dem eine Datenschutzverletzung
vorgeworfen wird - nicht aber die in ihren Interessen verletzte Person
(Art. 46 Abs. 2 E-DSG).[52]
An dieser Stelle könnte ein Verbandsbeschwerderecht nützlich sein
und das Behördenbeschwerderecht gemäss Art. 46 Abs. 3 E‑DSG ergänzen: Es ist
denkbar, dass eine Verfügung der oder des EDÖB nach Abschluss des
Untersuchungsverfahrens (allenfalls einseitig) zu Gunsten der Person oder
des Bundesorgans ausfällt, welcher oder welchem eine
Datenschutzrechtsverletzung vorgeworfen wird. Weder die
Letztgenannten noch die bzw. der EDÖB werden jedoch hiergegen
Beschwerde vor Bundesverwaltungsgericht führen - und die betroffene
Person ist nicht Partei in diesem Verfahren. Ein ideelles
Verbandsbeschwerderecht gegen die im Untersuchungsverfahren ergehenden
Verfügungen könnte diese Rechtsschutzlücke schliessen.[53]
2. Weitere Instrumente
Neben dem Verbands- und dem Behördenbeschwerderecht gibt es auch
verschiedene Möglichkeiten, Einzelpersonen selbst den Gang vor die
gerichtlichen Instanzen zu vereinfachen. Denkbar wären unter anderen
die Mittel der Beweislastumkehr oder der vereinfachten[54]
oder kostenlosen[55]
Verfahren. Einige solche Optionen wurden geprüft, aber schliesslich
verworfen.[56]
Namentlich wurde auch kein Recht auf Datenportabilität[57]
eingefügt; dieses hätte den Betroffenen die Prozessführung
allenfalls vereinfachen bzw. ihnen die Grundlagen hierfür
bereitstellen können. Insgesamt stellt der Gesetzesentwurf den
betroffenen Einzelpersonen wenige Mittel bereit, welche ihnen die
Beschreitung des Rechtsmittelwegs erleichtern könnten.
Schliesslich kann danach gefragt werden, ob die Tätigkeit der bzw. des
EDÖB - abgesehen vom Behördenbeschwerderecht - die Durchsetzung
des Datenschutzes verbessern kann. Der Vergleich zwischen dem geltenden
Erlasstext und dem Gesetzesentwurf lässt erkennen, dass die Position
des bzw. der EDÖB, namentlich seine bzw. ihre Unabhängigkeit[58], gestärkt werden soll (wenngleich selbstverständlich nur schon
im Hinblick auf die Ernennung sowie die organisatorische Stellung innerhalb
der Bundesverwaltung nicht der gleiche Grad an Unabhängigkeit von den
Bundesorganen erlangt werden kann, wie ihn Verbände typischerweise
innehaben). In Art. 43 ff. E-DSG
finden sich die Kompetenzen des oder der EDÖB, von Amtes wegen oder
auf Anzeige hin Untersuchungen zu eröffnen und Verfügungen zu
erlassen sowie vorsorgliche Massnahmen anzuordnen - im geltenden
Recht beschränken sich die Befugnisse über weite Strecken
auf das Aussprechen von Empfehlungen. In der Auflistung der Kompetenzen
nicht enthalten ist hingegen die Anordnung von Verwaltungssanktionen; zudem
besteht eine Aufsichtsmöglichkeit des oder der EDÖB nur
gegenüber Bundesorganen, nicht aber gegenüber Privaten (Art. 3 E-DSG). Nichtsdestotrotz ist
jedoch eine eindeutige Aufwertung der Stellung der bzw. des EDÖB
festzustellen, was der Durchsetzung von Datenschutzanliegen sicherlich
dient.
IV. Ergebnis
Dank der gestärkten Position des bzw. der EDÖB kann mit dem
revidierten Datenschutzrecht das im Rahmen der Evaluation des bestehenden
Gesetzes festgestellte Rechtsdurchsetzungsdefizit wohl in verschiedenen
Bereichen aufgefangen werden. Abgesehen davon sieht das Gesetz jedoch nicht
viele Instrumente zur Beseitigung dieses Defizits vor. Namentlich bleibt es
für Einzelpersonen aus verschiedenen Gründen weiterhin schwer,
ihre Rechte selbst geltend zu machen; zudem vermag auch die vorgesehene
Behördenbeschwerde nicht in sämtlichen Fällen Abhilfe zu
schaffen.
Meines Erachtens ist es bedauerlich, dass der Gesetzesentwurf im Hinblick
auf kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten hinter dem Recht der
Europäischen Union zurückbleibt und solche Instrumente im
Gesetzgebungsverfahren bislang nicht eingehender geprüft wurden.
Namentlich wäre die Aufnahme eines ideellen Verbandsbeschwerderechts
in den Erlasstext zu erwägen; dies vor dem Hintergrund, dass es sich
beim Datenschutzrecht als Querschnittsmaterie um einen hierfür
geeigneten Rechtsbereich handelt und qualifizierte Organisationen zur
Wahrnehmung eines Beschwerderechts bestehen würden.
[1]
Bericht des Bundesamtes für Justiz vom 10. August 2017 zum
Vorentwurf für das Bundesgesetz über die Totalrevision
des Datenschutzgesetzes und die Änderung weiterer Erlasse zum
Datenschutz (Bericht DSG),
S. 4.
[3]
Botschaft vom 15. September 2017 über die Totalrevision des
Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung
weiterer Erlasse zum Datenschutz, BBl 2017 6941 ff.
(Botschaft DSG) sowie BBl 2017 7193 ff. (E-DSG).
[4]
Verordnung (EU) 2016/679
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016
zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung
personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung
der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119
vom 4. Mai 2016; Inkrafttreten am 25. Mai 2018.
[5]
Es sind Konstellationen denkbar, in denen kollektive
Rechtsdurchsetzungsmechanismen auf dem Weg des schweizerischen
internationalen Privatrechts Eingang in Prozesse vor Schweizer
Gerichten finden könnten.
[6]
Vgl. hierzu Jan D. Lüttringhaus, Das internationale
Datenprivatrecht: Baustein des Wirtschaftskollisionsrecht des 21.
Jahrhunderts, ZVglRWiss 1/2018 S. 70.
[7]
Siehe auch Erwägungsgrund Nr. 142 zur DSGVO.
[8]
Es ist denn auch sicherlich sinnvoll, dass für niemanden gegen
seinen Willen ein geldwerter Vorteil erstritten wird; andererseits
ist es nachvollziehbar, dass die Geltendmachung von
Abwehransprüchen namentlich im Fall von Massen- oder
Streuschäden mit einer unüberblickbaren Anzahl
Betroffener ohne deren jeweilige separate Zustimmung
ermöglicht werden soll; siehe hierzu Regina Meier, Das ideelle
Verbandsbeschwerderecht, 2015, S. 7, 135 f.
[9]
Vgl. den Normvorschlag sogleich unten in Kap. I.2. sowie die
Ausführungen in Kap. II.1.b.
[11
Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1).
[12]
Amtl. Bull. 1990 S 157 f.
[13]
Siehe unten Kap. II.1.a.
[16]
Die Ansprüche und Verfahren im Zusammenhang mit der
Datenbearbeitung durch Bundesorgane waren im Vorentwurf in Art. 34
enthalten; im Entwurf finden sie sich in Art. 37 E-DSG.
[17]
Der Wortlaut ist eng angelehnt an vergleichbare Bestimmungen,
beispielsweise in Art. 7
des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die
Gleichstellung von Frau und Mann (GlG; SR 151.1) oder in Art. 55 des Bundesgesetzes
vom 7. Oktober 1983 über den Umweltschutz (USG; SR 814.01).
[18]
Eine Definition des Begriffs «Datenbearbeitung» findet
sich in Art. 4 lit. d E-DSG: Damit gemeint ist
jeder Umgang mit Personendaten, unabhängig von den angewandten
Mitteln und Verfahren, insbesondere das Beschaffen, Speichern,
Aufbewahren, Verwenden, Verändern, Bekanntgeben, Archivieren,
Löschen oder Vernichten von Daten. Die heute geltende
Definition des Begriffs findet sich in Art. 3 lit. e DSG.
[19]
Die einzelnen Voraussetzungen und Besonderheiten der ideellen
Verbandsbeschwerde, wie beispielsweise hierfür geeignete
Rechtsbereiche oder die Anforderungen, welche die Organisationen
typischerweise erfüllen müssen, werden in der Folge im
Rahmen der einzelnen Kapitel separat erläutert.
[20]
Vgl. die Statistik
abgeschlossener Beschwerdefälle und der Verfahren vor
Bundesgericht sowie die Ergebnisse von Alexandre
Flückiger/Charles-Albert Morand/Thierry Tanquerel, Evaluation
du droit de recours des organisations de protection de
l'environnement, SRU Nr. 314, Bern 2000.
[21]
Vgl. zu den zulässigen Ansprüchen Markus Kern/Astrid
Epiney, Durchsetzungsmechanismen im EU-Recht und ihre Implikationen
für die Schweiz, in: Epiney/Nüesch (Hrsg.), Durchsetzung
der Rechte der Betroffenen im Bereich des Datenschutzes,
Zürich/Basel/Genf 2015, S. 19 ff., 48.
[22]
Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO; SR 272).
[23]
Vgl. Motion Prisca Birrer-Heimo (13.3931): Förderung und Ausbau der Instrumente der kollektiven
Rechtsdurchsetzung.
[24]
So beispielsweise in Art. 10 des Bundesgesetzes
vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG; SR 241).
[25]
Vgl. die Hinweise in der Botschaft DSG (Fn. 3),
6954; 7071. Im Bericht des Bundesrates über die Evaluation des
DSG vom 9. Dezember 2011 wird eine Stärkung der kollektiven
Rechtsdurchsetzung als Mittel zur Verbesserung der Datenkontrolle
und -herrschaft erwähnt (BBl 2012 350).
[26]
Jean-Philippe Walter, L'effectivité des mécanismes de
mise en œuvre de la protection des données, in:
Epiney/Nüesch (Hrsg.), Durchsetzung der Rechte der Betroffenen
im Bereich des Datenschutzes, Zürich/Basel/Genf 2015, S. 115
ff., 117; Meier (Fn. 8), S. 4 f.
[27]
Bei einem derartigen konzeptionellen Fehler in der
Datenbearbeitung, bei dem beispielsweise ein unzulässiger
Zugriff auf eine umfangreiche Datensammlung o.ä. erfolgt,
sollen nicht sämtliche einzelnen Betroffenen separat den
Rechtsweg beschreiten müssen; vgl. Bruno Baeriswyl, in:
Kommentar zum Datenschutzgesetz (DSG), 2015, N. 12 f. zu Art. 29.
[28]
Kern/Epiney (Fn. 21), S. 40.
[29]
Vgl. Bericht des Bundesrates vom 3. Juli 2013, Kollektiver
Rechtsschutz in der Schweiz - Bestandesaufnahme und
Handlungsmöglichkeiten, VPB 2/2013 vom 20.
Dezember 2013, S. 70.
[30]
Kern/Epiney (Fn. 21), S. 43; dieses Ziel verfolgte auch die Motion
Schwaab (13.3052): Recht zur Sammelklage bei Datenschutzverletzungen, insbesondere
im Internet.
[31]
Meier (Fn. 8), S. 6.
[32]
Neben der ideellen existiert auch die sogenannte egoistische
Verbandsbeschwerde. Diese hat jedoch eine vergleichsweise geringe
Bedeutung. Sie dient zur Durchsetzung der Interessen der Mitglieder
eines Verbandes und kann - ohne dass dies in einem Spezialgesetz vorgesehen werden müsste - dann
erhoben werden, wenn eine grosse Zahl von Mitgliedern selbst
legitimiert wäre; dies ist bei der ideellen Verbandsbeschwerde
nicht Voraussetzung (vgl. statt vieler Alfred Kölz/Isabelle
Häner/Martin Bertschi, Verwaltungsverfahren und
Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 962 ff.).
[34]
Vgl. Kap. I.: Die vom Verein «Digitale Gesellschaft» im
Vernehmlassungsverfahren vorgeschlagene Norm verlangte von den
Organisationen eine gewisse geografische Bedeutung, um zum
Verbandsbeschwerderecht legitimiert zu sein.
[35]
Meier (Fn. 8), S. 177 ff.
[36]
Isabelle Häner, Die Beteiligten im Verwaltungsverfahren und
Verwaltungsprozess, Rz. 1066.
[38]
Häner (Fn. 36), Rz. 777; Meier (Fn. 8), S. 7, mit weiteren
Hinweisen.
[39]
Gegen diese Verfügungen wäre eine Verbandsbeschwerde
ähnlich derjenigen in Art. 21 des
Preisüberwachungsgesetzes vom 20. Dezember 1985 (PüG; SR 942.20), welche sich
gegen Verfügungen des Preisüberwachers bzw. der
Preisüberwacherin richtet, denkbar; vgl. Kap. III.1.
[40]
Vgl. bspw. zum Verbandsbeschwerderecht in Art. 7 GlG, Meier (Fn. 8),
S. 135.
[41]
Vgl. bspw. Art. 14 Abs. 2, Art. 22 oder Art. 43 Abs. 3 E-DSG.
[42]
Vgl. bspw. Art 17 E-DSG;
siehe auch die diesbezügliche Strafandrohung in Art. 54 E-DSG für den
Unterlassungsfall.
[43]
Immer wichtiger wird der Anspruch auf Löschung oder
Vernichtung gewisser Daten (insbesondere das «Recht auf
vergessen werden» im Internet); die diesbezügliche
Rechtslage - aus der ein solcher Anspruch allenfalls bereits
abgeleitet werden kann, ihn jedoch anders als das europäische
Recht nicht wörtlich vorsieht - ändert sich mit der
Gesetzesrevision nicht (siehe Botschaft DSG [Fn. 3],
6982). Neu sollen hingegen die Begrifflichkeiten in den Regelungen
betreffend private Datenbearbeitungen und solche durch Bundesorgane
vereinheitlicht werden (vgl. Art. 28 und Art. 37 E-DSG).
[44]
Meier (Fn. 8), S. 203, mit weiteren Hinweisen.
[45]
Häner (Fn. 36), Rz. 1025.
[46]
Meier (Fn. 8), S. 193 ff.
[47]
Das DSG betrifft die
Datenbearbeitung durch Bundesorgane sowie durch Private, nicht
jedoch durch die Kantone; in diesem Bereich besteht keine
Gesetzgebungskompetenz des Bundes (vgl. auch Kap. I.2.).
[49]
So werden beispielsweise in Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
neben Organisationen auch Behörden als mögliche
spezialgesetzlich Beschwerdelegitimierte aufgeführt.
[50]
Häner (Fn. 36), S. 515.
[51]
So beispielsweise in Umweltschutzerlassen, namentlich im USG.
[52]
Die betroffene Person wird auf den Zivilweg (Art. 28 E-DSG) verwiesen; siehe Botschaft DSG (Fn. 3),
7093.
[53]
Ein damit vergleichbares ideelles Verbandsbeschwerderecht gegen die
Verfügungen des Preisüberwachers bzw. der
Preisüberwacherin findet sich in Art. 21 PüG.
[55]
Art. 23 Abs. 1 E-DSG sieht
immerhin vor, dass Auskunftsbegehren betreffend die Bearbeitung von
eigenen Personendaten grundsätzlich kostenlos sind.
[57]
Datenportabilität bedeutet, dass die betroffene Person im
Rahmen einer Auskunftserteilung ihre Daten in einem strukturierten,
gebräuchlichen und maschinenlesbaren Format erhält und
sie auf ein anderes System übertragen kann (vgl.
ausführlich Botschaft DSG [Fn. 3],
6984 f.).