Menschenrechtsfilm oder Kriegsporno: Was legitimiert
Gewaltdarstellungen?
Vanessa Rüegger
Ist es legitim, in einem Spielfilm die Vergewaltigung einer Frau
darzustellen, um das Publikum über Menschenrechtsverletzungen
aufzuklären? Und fällt die Antwort auf die Frage anders
aus, wenn dieselbe Vergewaltigungsszene zu einem späteren
Zeitpunkt auf einer Pornoseite im Internet auftaucht? Die Frage
nach der Rechtfertigung von Kriegs- und Gewaltdarstellungen ist
mindestens so alt wie die frühen Kinofilme über den
Ersten Weltkrieg und drängt sich auch anlässlich der
jüngst veröffentlichten Bildern aus der Ukraine oder aus
Syrien erneut auf. Die Suche nach einer Antwort führt jedoch
zu einem Legitimationsparadox: Plausible Gründe für und
gegen die Darstellung von Gewalt stehen einander gegenüber.
Wie aber reagiert das Recht? Das Recht setzt sich mit einem
repressiven Grundsatzentscheid über das Legitimationsparadox
hinweg, um sich unter Anwendung einer Ausnahmeklausel dennoch in
jedem Einzelfall die Möglichkeit offen zu halten, auch anders
zu entscheiden. Dadurch behauptet das Recht seine
Souveränität über die Kunst und bewahrt die Illusion
seiner Einheit gegenüber der unkontrollierbaren Vielfalt des
Lebens.
Zitiervorschlag: Vanessa Rüegger, Menschenrechtsfilm oder
Kriegsporno: Was legitimiert Gewaltdarstellungen?, in: sui-generis 2014, S. 70
URL: sui-generis.ch/6
DOI:
https://doi.org/10.21257/sg.6
I. Einleitung
Der berührende Film «As if I am not there» (2010) von
Juanita Wilson (basierend auf dem gleichnamigen Roman von Slavenka
Drakulić) thematisiert das Leben internierter Frauen in einem
Gefangenenlager während dem Jugoslawienkrieg (1992-1995).
Feinfühlig, nuanciert und in überzeugender Bildsprache
erzählt die Regisseurin die Geschichte der jungen Samira, die im
Lager - wie unzählige andere Frauen auch - wiederholt von Soldaten
vergewaltigt wird. Die explizite Darstellung sexueller Gewalt
beschränkt sich auf eine einzige Szene und zeigt die erste
Vergewaltigung Samiras: Drei Soldaten mittleren Alters und von
unvorteilhaftem, ungepflegtem Äusseren drängen die junge Frau
in einen engen Raum. Einer der Soldaten reisst die Knöpfe ihrer
blauen Bluse auf, zückt sein Messer und schlitzt den
Büstenhalter an der engen Stelle zwischen den vollen Brüsten
auf. Nackt steht Samira zitternd im Raum, versucht den Schambereich zu
verdecken. Ein Soldat packt sie, wirft ihren Oberkörper auf einen
alten Holztisch, drückt ihren Kopf auf die Tischplatte. Ein
anderer öffnet seine Gurtschnalle und dringt von hinten lustvoll
in den wehrlosen Körper der Frau ein. Beinahe in Echtzeit folgt
nun die orgastische Befriedigung der drei Männer, während
Samira als Ausweg nur die Flucht des Blicks an eine an der Wand
klebenden Fliege bleibt.
Video Still aus As if I am not there[1]
Obwohl die Szene mit Nacktaufnahmen sparsam umgeht und jegliche Bezüge
zum Erotischen vermeidet, hat sie, nach eigenen Aussagen der Regisseurin,
den Weg auf eine pornografische Internetseite gefunden. Während die
Sequenz also auf die einen Betrachter schockierend wirkt und nur schwer zu
ertragen ist, unterstützt ihre Wahrnehmung unzweifelhaft die
Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse anderer. Dieselbe Szene
erhält also eine grundlegend andere Bedeutung je nach
Betrachtungsweise. Nicht nur, aber auch deshalb, wirft die
Vergewaltigungsszene des Films eine grundsätzliche Frage über die
Darstellung von Krieg und Gewalt in der Kunst auf: Was legitimiert Bilder
von schweren Menschenrechtsverletzungen, insbesondere von sexueller Gewalt,
in einem Spielfilm oder in einer anderen Form bildlicher Darstellung?[2]
II. Krieg und Kunst - ein Legitimationsparadox
Die Frage nach der Rechtfertigung von Kriegs- und Gewaltdarstellungen in
der Kunst ist mindestens so alt wie die frühen Kinofilme über den
Ersten Weltkrieg. Ausgehend vom englischen Film The Battle of the Somme und
dessen deutscher Gegenüberstellung Bei unseren Helden an der Somme
(beide Filme wurden 1916 veröffentlicht) fragt ein unbenannter Autor
in der NZZ vom 25. Mai 1917 «welchem tiefern Zweck diese
Vorführungen dienen sollen, selbst wenn es ihnen gelungen sein sollte,
den Krieg so darzustellen, wie er wirklich aussieht, und im Zusammenfassen
der einzelnen Geschehnisse eine Realität der Darstellung zu
erreichen.» Für den Autor des Beitrags steht denn auch fest, dass
die Darstellung des Kriegs im Kino nicht mit pazifistischen Gründen zu
rechtfertigen ist. Die Darstellung kriegerischer Grausamkeiten vermag zwar
Gefühle zu wecken. Diese verdichten sich jedoch nicht
zwangsläufig zu intellektuellen Argumenten gegen den Krieg und damit
zu deren Ablehnung: «Das, was man sieht, bleibt wesenslos, weil es uns
nicht das vermitteln kann, was den wesentlichen Inhalt ausmacht.» Weil
der Film als Reproduktion einzelner Kriegshandlungen erst dann zu
öffentlicher Aufmerksamkeit gelangen kann, wenn diese bereits der
Geschichte angehören, enthält er - möge er noch so
realistisch inszeniert sein - ein fiktives Moment. Für den Autor ist
es aber genau «jenes Moment spielerischer Bewegungen inmitten, oder
nach bereits überstandener Gefahr - was unter Umständen sogar
anziehend wirken kann, weil es nicht vernichtet und zerstört.»[3]
Ähnlich argumentiert ein knappes Jahrhundert später auch Susan
Sontag. In ihrem Essay Das Leiden anderer betrachten weist sie darauf hin,
dass Fotografien, auch dokumentarische, nicht einfach die Abbildung der
'Realität' sind, sondern bereits eine gewisse Auswahl treffen und das
Geschehene nie, auch nicht nur annäherungsweise darzustellen
vermögen. Fotografien vom Leiden anderer werden von jedem Betrachter
unterschiedlich wahrgenommen und führen zu unterschiedlichen
Reaktionen. Kommunikationsinhalte, die einem Bild entnommen werden,
entziehen sich den ursprünglichen Absichten der Fotografin.
Kriegsbilder motivieren den Betrachter nicht notwendigerweise, gegen Gewalt
zu denken oder handeln, sondern unterstützen unter Umständen auch
Gewalthandlungen. Gewaltbilder befriedigen nach Sontag zudem immer auch
eine voyeuristische Faszination und können trotz, oder gerade auf
Grund des gewalttätigen Umfelds, in dem sie entstanden sind, sexuell
konnotiert sein: «Alle Bilder, die die Verletzung eines anziehend
wirkenden Körpers darstellen, sind bis zu einem gewissen Grade
pornographisch.»[4]
Sontag selbst stellt sich auf den Standpunkt, dass Bilder über die
Auswirkungen von schweren Gewalttätigkeiten uns in Erinnerung halten,
welche Greueltaten Menschen im Stande sind anderen zuzufügen. Nach
Sontag wäre es jedoch vielmehr unbedingt notwendig, sich über die
Betrachtung des Leidens anderer hinaus Gedanken darüber zu machen, wie
weitere Gewalt verhindert werden könnte.[5]
Zwei Argumente für die Darstellung von Krieg und Gewalt in sogenannten
Menschenrechtsfilmen werden gemeinhin angebracht: Erstens sollen die Bilder
dazu dienen, die Öffentlichkeit über die Geschehnisse zu
informieren und aufzuklären. Zweitens sollen die Zuschauer durch
Bilder für die Bedeutung der Menschenrechte und dem aus
Menschenrechtsverletzungen zugefügten Leiden sensibilisiert werden, um
sie zu aktiven Befürwortern der Menschenrechte auszubilden. Diesen
Überlegungen stehen die Argumente gegenüber, wonach bei Filmen
über Krieg und Gewalt auf eine explizite Darstellung zu verzichten
ist, weil sich deren visuelle Reproduktion negativ auf den Betrachter
auswirken könnte, sei es weil ihn die Bilder zu einem
unerwünschten oder gar unrechtmässigen Tun motivieren
könnten, oder weil ihn die Bilder psychisch belasten. Ebenfalls gegen
die Visualisierung von Gewalt spricht das Argument, dass nicht nur der Akt
der Gewaltausübung selber untolerierbare Machtverhältnisse
generiert, sondern dessen Darstellung dieselben Machtverhältnisse mit
jeder Betrachtung reproduziert und damit auch perpetuiert.[6]
Die Suche nach einer Antwort auf die Frage nach der Legitimität
visueller Reproduktionen sexueller Gewalt führt also zu einem Paradox:
Wird der Darstellung von Gewalt eine gewisse Wirkung zugeschrieben, dann
kann deren Verwendung zwar durch den Aufklärungsgedanken
gerechtfertigt werden. Zugleich bedeutet das aber auch, dass
unerwünschte Einflüsse auf den Betrachter nicht ausgeschlossen
werden können, weil die auf einem Bild erkennbaren Formen
unterschiedliche Kommunikationsinhalte übermitteln. Dieselben Bilder
kriegerischer Gewalt, die allenfalls zu Aufklärungszwecken legitimiert
werden können, sind zugleich auch Kommunikationsträger
unerwünschter Kommunikationsinhalte, indem sie beispielsweise zu
weiteren Gewalthandlungen motivieren, sexuelle Bedürfnisse bedienen,
oder für die abgebildeten Opfer oder ihre Familien ein schmerzhafter
Anblick sind. Diese unerwünschten Kommunikationsinhalte unterlaufen
also wiederum die Legitimität visueller Reproduktionen von Gewalt. Die
Frage nach der Legitimität von Kriegs- und Gewaltbildern führt
unter diesen Annahmen zu einem unauflösbaren Dilemma. Wird Bildern
hingegen jegliche Wirkung abgesprochen, wäre ihre Reproduktion mit dem
Aufklärungsgedanken nicht mehr zu rechtfertigen, die Gründe
für deren Unterbindung wären jedoch gleichsam hinfällig
geworden, das Paradox hätte sich in der Indifferenz aufgelöst.[7] Ob sich die Darstellung
sexueller Gewalt wie beispielsweise in der Vergewaltigungsszene in As if I
am not there moralisch rechtfertigen lässt ist folglich erstens davon
abhängig, ob den Bildern zugemutet wird, sich auf ihre Betrachter
auszuwirken, und zweitens, wie man das damit vorliegende
Legitimationsparadox zu umgehen versucht.
III. Legitimation von Bildern sexueller Gewalt im Recht
Die Rechtfertigung von Gewaltdarstellungen führt, sofern den Bildern
Wirkungskraft zugemutet wird, zu einer paradoxen Argumentationsstruktur,
wonach plausible Gründe für und gegen die Darstellung von Gewalt
einander gegenüberstehen. Wie aber geht das Recht mit dem
Legitimationsparadox visueller Darstellungen von sexueller Gewalt um?
Das Recht muss Unentscheidbares entscheiden. Das bedeutet auch, dass das
Recht jeden ihm vorgelegten Fall über die Rechtmässigkeit einer
Gewaltdarstellung mit einem Urteil abschliessen und sich damit unweigerlich
der einen oder anderen Seite des Paradoxes zuordnen muss. Wie also reagiert
das Recht? Es findet einen Ausweg, um den Erwartungen an die
Rechtssicherheit durch die Festlegung eines Grundsatzes zu genügen und
sich dennoch vorzubehalten, auch anders entscheiden zu können. Das
Recht verbietet Gewaltdarstellungen grundsätzlich und fingiert damit
normative Konstanz. Um im Einzelfall dennoch variabel entscheiden zu
können, führt das Recht zusätzlich eine Ausnahmeklausel ein
und setzt den Richter als Wächter an dessen Tor. Das Recht setzt sich
scheinbar mit einem repressiven Grundsatzentscheid des Gesetzgebers
über das Legitimationsparadox hinweg, um sich aber unter Anwendung
einer Ausnahmeklausel dennoch in jedem Einzelfall die Möglichkeit
offen zu halten, anders zu entscheiden.
1. Grundsatzentscheid: Bilder sexueller Gewalt sind verboten
Ohne auf die rechtsdogmatischen Konstruktionen im Detail einzugehen, kann
der gekoppelte 'Konstanz-Varianz-Mechanismus' - so wie er im
schweizerischen Recht vorliegt - in groben Umrissen wie folgt skizziert
werden: Das Recht unterscheidet zwischen dem Akt der Vergewaltigung und
seiner visuellen Darstellung. Das Strafrecht sanktioniert sowohl den Akt
der Vergewaltigung (Art. 190 StGB) als auch dessen visuelle Darstellung
(Art. 135 StGB, respektive Art. 197 Abs. 4 f. StGB (aArt. 197 Ziff. 3 und
3bis StGB[8])). Während
die Vergewaltigung selbst mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren
bestraft wird, weist das Strafrecht der Darstellung der Vergewaltigung eine
mildere Strafe zu (je nach Tatbestand Geldbusse oder Freiheitsstrafe bis zu
drei Jahren). Deutlich zum Ausdruck kommt zudem die Wertung, dass das Recht
gewissen Darstellungen 'tatsächliche' Vorgänge zuordnet, was
wiederum zu einem erhöhten Strafmass führt (vgl. Art. 197 Abs. 4
f. StGB). Implizit folgt daraus, dass das Recht davon ausgeht, das visuelle
Darstellungen sexueller Gewalt nicht notwendigerweise tatsächlichen
Gewalthandlungen entsprechen.[9] Das Recht unterteilt also
die Wahrnehmung sexueller Gewalt in die Kategorien Realität (der Akt
der Vergewaltigung) und Fiktion (die visuelle Darstellung des Akts der
Vergewaltigung), wonach gewisse visuelle Wahrnehmungen nicht der
'Realität' entsprechen, sondern vielmehr als 'Fiktionen' differenziert
zu betrachten sind. Das Recht übernimmt damit die Unterscheidung
zwischen realer und fiktionaler Realität des Kunstsystems und
orientiert damit das Rechtssystem an der Vorstellung einer
Realitätsverdoppelung.[10]
Weiter anerkennt das Recht, dass Bilder beim Betrachter etwas
auslösen. Das Recht mutet dem Bild subversives Potential zu, welches
autoritärer Kontrolle bedarf, um die Allgemeinheit und das Individuum
vor potentiellen Gefahren zu schützen. Das hauptsächlich von Art.
135 StGB, respektive Art. 197 StGB, geschützte Rechtsgut ist nicht die
körperliche Integrität der Dargestellten, sondern der Schutz des
jugendlichen Betrachters vor schädigenden Einwirkungen auf seine
Entwicklung, der Schutz des erwachsenen Betrachters vor seinen
gesellschaftlich unerwünschten Neigungen, wie auch die Prävention
von Nachahmungstaten.[11]
Auch der damit avisierte Schutz der Menschenwürde bezieht sich nicht
primär auf die Würde der Darsteller, sondern auf die Würde
der Betrachter. Deren Menschenwürde wird durch Gewaltdarstellungen
dadurch verletzt, «dass der Mensch als Bestie dargestellt und dem
Betrachter (oder Zuhörer) zugemutet wird, an grausamer Quälerei
Interesse oder gar Lust zu finden - eine im Gegensatz zur Pornographie
gänzlich unmenschliche und jedenfalls höchstens den
schwärzesten Schatten der Seele entspringende Lust. Der Tatbestand
schützt gewissermassen die elementare Würde so empfindender
Menschen gegen ihre eigenen perversen Triebe.»[12] Das Recht
befürchtet als Wirkung visueller Darstellungen beim Betrachter, dass
sich diese «aufdringlich in der Phantasiewelt der Menschen
einnisten», die «menschen- und wertfreundliche, gewaltfeindliche
Geisteshaltung» abstumpfen, einen «verrohenden Einfluss»
ausüben und «womöglich zu einer erhöhten
Gewalttätigkeit» führen.[13]
Bilder bestehen nach dieser rechtlichen Normierung also nicht nur aus
wahrnehmbaren Formen, sondern diese Formen vermögen auch Einfluss auf
ihren Betrachter auszuüben. Zur Erklärung des Handlungen
provozierenden Einflusses eines Bildes auf dessen Betrachter hat sich in
den Kulturwissenschaften in Anlehnung an die Sprechakttheorie der Begriff
des Blickakts entwickelt: Der Betrachter belebt das Bild durch seinen Blick
und tritt damit mit dem betrachteten Bild in eine 'quasi-intersubjektive
Beziehung mit transformativem Potential'. Welche Art von Wirkung dadurch
beim Betrachter ausgelöst wird, lässt sich auch nach der
Blickakttheorie weder voraussehen noch kontrollieren. Dass eine
entsprechende Wirkung jedoch beim Betrachter unter bestimmten
Umständen eine Veränderung auszulösen vermag, wird demnach
angenommen.[14] Ob die
befürchteten Wirkungen des Bildes tatsächlich eintreten ist
für das Recht jedoch ohne Bedeutung: Das subversive Potential des
Bildes ist positivrechtlich als abstrakte Gefährdung definiert, womit
vermieden wird, dass entsprechende Wirkungen tatsächlich nachgewiesen
werden müssen.[15]
2. Ausnahmeklausel: Kunst legitimiert Bilder sexueller Gewalt
Ausschlaggebend für die Frage nach der Legitimation von Bildern
sexueller Gewalt ist nicht der Grundsatzentscheid des Gesetzgebers gegen
Gewaltdarstellungen, sondern, dass das Recht eine Ausnahmeklausel
einführt: Das Recht unterscheidet zwischen Bildern, die sich in der
Darstellung sexueller Gewalt erschöpfen (Art. 135 StGB, respektive
Art. 197 Abs. 4 f. StGB), und solchen, die einem schutzwürdigen
wissenschaftlichen oder kulturellen Wert entsprechen (Art. 135 StGB,
respektive Art. 197 Abs. 9 StGB [aArt. 197 Ziff. 5 StGB[16]]). Während
erstere als unrechtmässig gelten, sind letztere vom Straftatbestand
der Pornographie, respektive demjenigen der Gewaltdarstellung, ausgenommen.
Gewaltdarstellungen kommt nach Rechtsprechung und Lehre dann ein
wissenschaftlicher oder kultureller Wert zu, wenn sie dazu geeignet sind,
die Folgen individueller oder kollektiver Gewalt exemplarisch zu
illustrieren und das kritische Bewusstsein für deren Verwerflichkeit
zu wecken oder zu schärfen.[17]
Die Adoption der Ausnahmeklausel für Bilder mit wissenschaftlichem
oder kulturellem Wert führt dazu, dass das Rechtssystem Bilder, die
das Kunstsystem nach dem systeminternen Code als Kunstwerke anerkennt,
privilegiert behandelt und damit auch die Wertungen des Kunstsystems als
rechtmässig qualifiziert.[18] Für die
Abgrenzung rechtmässiger von unrechtmässigen Bildern stützt
sich das Rechtssystem folglich auf die im Kunstsystem entwickelten
Kriterien. Damit kommt das Recht den Anforderungen aus den grundrechtlich
geschützten Kommunikationsfreiheiten nach und würdigt zugleich
die Verfassungsmässigkeit möglicher strafrechtlicher
Einschränkungen.[19]
Massstab zur Beurteilung, ob der Darstellung wissenschaftlicher oder
kultureller Wert zukommt, ist nicht der Durchschnittsbürger, sondern
der künstlerisch aufgeschlossene Betrachter: «Wann einem Werk
kultureller Wert im Sinne dieser Bestimmung beizumessen ist, lässt
sich nicht in allgemeingültiger Form festlegen. Es liegt im Wesen der
Kunst, dass sie ständig neue Formen annimmt, Normen sprengt und das
Bestehende in Frage stellt, weshalb es nicht möglich ist, sie
abschliessend zu definieren. Der Richter hat daher von Fall zu Fall
über den kulturellen Wert eines Werkes zu entscheiden. Massgebend kann
dabei weder das Selbstverständnis des Kunstschaffenden sein, noch -
wie nach früherer Rechtsprechung zu Art. 204 aStGB - das
Kunstverständnis des Durchschnittsmenschen. Da der Gesetzgeber mit dem
revidierten Sexualstrafrecht nicht mehr den Schutz der Sexualmoral der
Allgemeinheit bezweckte, sondern darum bemüht war, den Schutz auf klar
umrissene Rechtsgüter des Einzelnen zurückzuführen, ist das
Werk mit Blick auf den grundrechtlichen Schutz der Kunstfreiheit (Art. 21
BV; Art. 10 Abs. 1 EMRK; Art. 19 Abs. 2 UNO-Pakt II) vielmehr aus der Sicht
eines künstlerisch aufgeschlossenen Betrachters zu beurteilen. Dies
wird dem Richter in der Regel möglich sein, ohne einen
Sachverständigen beizuziehen.»[20] Damit grenzt sich die
Formulierung bemerkenswert von der Rechtsprechung zu Art. 204 aStGB ab,
welche zur Einschätzung des geschützten Sittlichkeitsgefühls
in geschlechtlichen Dingen den 'normalen Menschen', respektive den 'normal
empfindenden Betrachter' oder den 'normal empfindenden Bürger' als
Massstab nahm.[21]
Aus den Ausführungen des Bundesgerichts im genannten Entscheid kann
umgekehrt gefolgert werden, dass das Recht davon ausgeht, dass sich das
unerwünschte subversive Potential von Gewaltdarstellungen stärker
auf bestimmte Kategorien von Individuen auswirkt. Explizit findet sich
diese Wertung im 'Blutgeil'-Urteil des Zürcher Obergerichts:
«Eine Filmaufführung, welche den Anforderungskriterien eines
Kunstsachverständigen allenfalls zu genügen vermag, kann durchaus
beim Betrachter die Bereitschaft erhöhen, selbst gewalttätig zu
agieren oder doch die Gewalttätigkeit anderer gleichgültig
hinzunehmen. Diese Wirkung ist nicht zuletzt gerade bei demjenigen denkbar,
der selbst über kein Kunstverständnis verfügt und deshalb
eine allfällige - subtil ausgedrückte - Botschaft des
Kunstschaffenden missdeutet oder nicht versteht. Bei der Beurteilung des
schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wertes ist daher
auch dieser Aspekt vor Augen zu halten.»[22]
Damit nimmt das Recht zwar eine Erkenntnis aus der Kunsttheorie auf, wonach
in der Betrachtung von Bildern keine Homogenität in der Interpretation
vorausgesetzt werden kann.[23] Das Recht koppelt
diese Überlegung jedoch mit einer hierarchischen Klassifizierung der
potentiellen Bildbetrachter: Die Gefahr der Auswirkungen visueller oder
literarischer Darstellungen sexueller Gewalt besteht nach impliziten und
expliziten Annahmen im Recht beim durchschnittlichen, nicht aber beim
spezifisch ausgebildeten Betrachter. Besondere gedankliche Anstrengung
verschafft dem Beobachter zudem Distanz zur Materie, womit auch der
Ausschluss von Schriften aus dem Tatbestand von Art. 135 StGB auf Grund der
gedanklichen Anstrengung des Lesens gerechtfertigt wird.[24] Aufklärung in der
Form von kultureller oder wissenschaftlicher Bildung vermag also einen
Betrachter vor den befürchteten Auswirkungen zu schützen. Die
Beobachtung des visuellen Akts der Vergewaltigung ist auch deshalb dann
rechtmässig, wenn er höheren Zwecken als lediglich der
menschlichen Triebbefriedigung dient.
Bemerkenswert ist schlussendlich die Präzisierung der Rechtsprechung,
wonach die Kompetenz zur Grenzziehung zwischen unterschiedlichen
Beobachtungsweisen der zur Frage stehenden Formen nicht etwa, wie auf Grund
der Forderung nach einem 'künstlerisch aufgeschlossenen Betrachter' zu
vermuten wäre, einem zumindest ansatzweise fachkundigen Beobachter
zufällt, sondern dem Richter zugewiesen wird:[25] Die Abgrenzung
zwischen legitimen, weil rational kontrollierten und also juristisch
geschützten Beobachtungen gegenüber illegitimen, weil rational
unkontrollierten und also juristisch nicht schützenswerten
Bildbetrachtungsweisen fällt einem Juristen zu. Während der
Richter diese Position im jüngeren Urteil in BGE 133 IV 16 nach der
zitierten Stelle zu folgern selbstbewusst einnimmt, ist im Blutgeil-Urteil
noch eine gewisse Unsicherheit diesbezüglich erkennbar: «Dem
Richter wird die heikle Aufgabe überbunden, im Einzelfall zu befinden,
was von kulturellem und überdies zu schützendem Wert ist. [...]
Und wenn im weiteren eingewendet wird, der Richter sei mangels
ausreichender kulturgeschichtlicher Bildung regelmässig nicht in der
Lage, etwa über den Wert ungewöhnlicher (z.B. avantgardistischer)
Ausdrucksformen zu entscheiden, so ist dem entgegenzuhalten, dass es nicht
darum geht, isoliert ein Kunstwerk als solches zu beurteilen. Die dem
Richter zugewiesene Aufgabe besteht darin, sich im Sinne einer
Interessenabwägung darüber auszulassen, ob eine
grundsätzlich als schädlich befundene öffentliche
Darstellung brutaler Handlungen im höheren Interesse kulturellen
Schaffens hinzunehmen sei.»[26]
Das Recht geht also davon aus, dass der Jurist in der Form des Richters
oder des Gerichtsschreibers gegenüber moralisch verwerflichen
Betrachtungsweisen von Gewaltdarstellungen immun ist. Damit wird dem
Juristen ohne weiteres zugemutet, dass er gegenüber sexuellen
Darstellungen einen distanzierten Zugang bewahrt und davon, entgegen
anderen Individuen, die vor solchen Darstellungen durch präventive
Zensur zu schützen sind, unberührt bleibt. Der Richter ist vor
sich selbst nicht zu schützen, vielmehr wird er vom Recht zum Schutze
anderer als Wächter an das Eingangstor zur Ausnahmeklausel gesetzt.[27] Bedeutend ist, dass
sich das Recht mit dieser eigenmächtigen Kompetenzzuweisung die
Zäsur über die Grenze zwischen Recht und Unrecht selbst
vorbehält. Das Recht gewinnt damit die eingangs der Kunst abgegebene
Kompetenz über die Abgrenzung zwischen verwerflicher und
schützenswerter, weil künstlerisch wertvoller Visualisierung
zurück. Zwar anerkennt das Recht, dass die Kunst einer differenzierten
Behandlung bedarf, ja eine solche verfassungsrechtlich geboten ist, und die
Beurteilungskriterien des Kunstsystems von denjenigen des Rechtssystems
abweichen. Mit der Figur der 'Schutzwürdigkeit' als Ermessensfrage,
welche in einer Interessenabwägung vom Richter zu entscheiden ist,
überführt das Rechtssystems den anfänglich der Kunst
zugestandenen Freiraum jedoch souverän in den Kontrollbereich des
Rechts zurück.
Durch die Einsetzung des Richters als souveräner Wächter
über die Beurteilung der Schützenswürdigkeit von
Gewaltdarstellungen versucht das Recht seine Unabhängigkeit
gegenüber der Kunst zu gewährleisten und zugleich die
unüberschaubare Vielfalt an der Schnittstelle zwischen möglichen
Fallkonstellationen einerseits und visuellen Beobachtungsweisen
andererseits zu kontrollieren.[28] Letztendlich handelt
es sich also auch um den Versuch, der Utopie der Einheit und
Universalität des Rechts einen Schritt näher zu kommen.[29]
IV. Schlussfolgerungen
Die Rechtfertigung von Gewaltdarstellungen unterliegt einer paradoxen
Argumentationsstruktur, wonach plausible Gründe für und gegen die
Darstellung von Gewalt einander gegenüberstehen. Die als Beispiel
angeführte Vergewaltigungsszene aus dem Film As if I am not there
wirkt auf die einen Betrachter schockierend, ihre Darstellung wird aber als
notwendig zur Aufklärung über die Greuel des Jugoslawienkriegs
erachtet. Zugleich wird die Szene von anderen unzweifelhaft für die
Befriedigung sexueller Bedürfnisse verwendet, was als Argument gegen
die Legitimität von Bildern sexueller Gewalt angeführt wird.
Wie ein Richter urteilen würde, hätte er über die
Vergewaltigungsszene in As if I am not there nach Schweizerischen Recht zu
entscheiden, bleibt auf Grund des 'Konstanz-Varianz-Mechanismus' eine nur
mit Vermutungen zu beantwortende Frage: Ohne sich auf eine detaillierte
strafrechtliche Argumentation einzulassen, deuten die Umstände darauf
hin, dass die genannte Stelle im Film nach Art. 135 StGB zwar als
Gewaltdarstellung klassifiziert werden könnte. Auch wäre es
vorstellbar, dass die Gewaltszene, weil sie in einen differenzierten
Gesamtkontext eingebettet ist, unter die in Art. 135 StGB vorgesehene
Ausnahmeklausel für Gegenstände mit schutzwürdigem
kulturellem oder wissenschaftlichem Wert fällt. Weniger wahrscheinlich
erscheint, dass der Film in einer Gesamtbetrachtung den Tatbestand der
harten Pornographie nach Art. 197 Abs. 4 f. StGB zu erfüllen vermag.
Offen bleibt hingegen, ob die von ihrem Kontext herausgelösten Bilder
der Vergewaltigungsszene allenfalls unter den Tatbestand der harten
Pornographie subsumiert werden könnten. Die Urheber einer derartig
verfremdeten Darstellung der Bilder dürften sich kaum auf die
Ausnahmeklausel von Art. 197 Abs. 9 StGB stützen können.[30] Die Formulierungen
über die Subsumtion verbleiben im Konjunktiv, denn: Was im vorgelegten
Beispielfall Recht und Unrecht ist, kann nur ein richterliches Urteil
abschliessend entscheiden.
Das Recht umgeht das Legitimierungsparadox visueller Darstellungen
sexueller Gewalt unter Anwendung eines gekoppelten Mechanismus, dank dem
das Recht den Erwartungen an die Rechtssicherheit genügt und sich
dennoch vorbehält, auch anders entscheiden zu können: Das Recht
setzt sich mit einem repressiven Grundsatzentscheid des Gesetzgebers
über das Legitimationsparadox hinweg, um sich zugleich unter Anwendung
einer Ausnahmeklausel dennoch in jedem Einzelfall die Möglichkeit
offen zu halten, anders zu entscheiden. Das Recht normiert also Bilder
sexueller Gewalt unterschiedlich, je nachdem ob sich die Darstellung auf
Gewalthandlungen alleine beschränkt und damit - nach Annahmen des
Rechts - einer (irrationalen) Triebbefriedigung dient, oder ob die Bilder
in einen Kontext eingebettet sind, welcher nach Annahmen des Gesetzgebers
eine rational-reflektierte Interpretation der Bilder ermöglichen soll.
Das Recht räumt mit der Ausnahmeklausel der Kunst einen gewissen
Freiraum im Umgang mit Bildmaterial ein. Indem es aber zugleich den Richter
als Wächter vor das Eingangstor zur Freiheit setzt, behauptet das
Recht seine Souveränität über die Kunst und bewahrt die
Illusion seiner Einheit gegenüber einer unkontrollierbaren Vielfalt.
[1]
Mit bestem Dank für Auswahl und Publikationserlaubnis an Juanita Wilson.
[2]
Die Begriffe Bilder und Darstellungen sind im vorliegenden Artikel
im weiten Sinn zu verstehen und umfassen Fotografien, Zeichnungen,
Malereien, Abbildungen und bewegte Bilder. Auch der Begriff Kunst
ist im vorliegenden Artikel im weiten Sinn zu verstehen und umfasst
sämtliche den Künsten zugeteilten Formen wie
beispielsweise die Fotografie, die bildenden Künste, die neuen
Künste, den Film und das Theater.
[3]
Abgedruckt im NZZ Fokus Nr. 56 (2014), 73 (Autor nicht benannt).
[4]
Sontag Susan, Das Leiden anderer betrachten, 5. Aufl., Frankfurt a.
M. 2013, 111.
[5]
Sontag, Das Leiden anderer betrachten, 139 ff.
[6]
Bronkhorst Daan,
The Human Rights Film, Reflection on its History, Principles
and Practices, Amnesty International Film Festival Amsterdam 2004; Tascon Sonia, Considering Human Rights Films,
Representation, and Ethics: Whose Face? in: Human Rights Quarterly,
34/3 (2012) 864, 865 f.; Sontag, Das Leiden anderer betrachten,
insbes. 25 ff., 71 ff. und 121 f.; Foster Hal, Obscene, Abject,
Traumatic, in: Douzinas Costas/Nead Lynda (Hrsg.), Law and the
Image, The Authority of Art and the Aesthetics of Law,
Chicago/London 1999, 240 ff.; Kern Markus,
Kommunikationsgrundrechte als Gefahrenvorgaben (Diss.), Freiburg
2012, 1 f. Siehe auch die aktuelle Diskussion über die Bilder
der Opfer des in der Ukraine verunglückten Passagierflugzeugs
MH17, beispielsweise im Tagesanzeiger vom 31. Juli 2014: Franklin
Stuart,
Wir brauchen mehr Beweise für das Böse - nicht
weniger; und ebenda am 2. August 2014: di Falco Daniel,
Wirklichkeit, Welche Wirklichkeit?. Anlass zu ähnlichen Diskussionen bietet auch Bildverbreitung
von Exekutionen durch islamistische Organisationen, wie
beispielsweise jüngst die Bilder der Enthauptung eines
amerikanischen Journalisten zeigen, siehe beispielsweise
Tagesanzeiger vom 21. August 2014: Widmer Michèle,
Warum darf Youtube dieses Video zeigen?
Einen Überblick über die feministische Diskussion rund um
das Legitimationsparadox in Bezug auf Pornographie und sexuelle
Gewalt vermitteln Büchler Andrea/Cottier Michelle, Legal
Gender Studies, Rechtliche Geschlechterstudien,
Zürich/Baden-Baden 2012, 324 ff. Als Beispiel für einen
nuancierten Zugang zum Thema Krieg und Kunst siehe Halasa
Malu/Omareen Zaher/Mahfoud Nawara (Hrsg.), Syria speaks, Art and
culture from the frontline, London 2014.
[7]
Vertreter der 'Auflösungsstrategie' finden sich auch im
rechtsdogmatischen Diskurs zum Thema, siehe unten Fn. 15.
[9]
BBl 2012 7571, 7620 f.; Weder, in: StGB-Kommentar, Art. 197 N 20;
Heimgartner Stefan, Weiche Pornographie im Internet, AJP 2005 1482,
1483; Urteil Bezirksgericht Zürich vom 16. Januar 1992, SJZ
89/1992, 160, 162 E. 2.3.
[10]
Luhmann Niklas, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1997,
229 ff.
[11]
Stratenwerth Günther/Wohlers Wolfgang, StGB-Handkommentar, 3.
Aufl. 2013, Art. 135 StGB N 1; Donatsch Andreas, in:
StGB-Kommentar, 19. Aufl. 2013, Art. 135 StGB N 1; Weder Ulrich,
in: StGB-Kommentar, 13. Aufl. 2013, Art. 197 N 1, 8, 12; Trechsel
Stefan, StGB-Praxiskommentar, 2008, Art. 135 StGB N 2 f. und Art.
197 StGB N 10; Heimgartner, Weiche Pornographie, 1483; SJZ 89/1992,
160, 162 E. 2.3; Urteil des Zürcher Obergerichts vom 6.
September 1995, in: SJZ 93/1997, 69, 70 E. 2.1.; BGE 117 IV 283 E.
4. c.; Urteil des Bundesgerichts 6B_875/2008 vom 12. November 2008.
[12]
Trechsel, StGB-Praxiskommentar, Art. 135 StGB N 9; SJZ 89/1992,
160. Das Bundesgericht und ein Teil der Lehre sprechen dem
Tatbestand der harten Pornographie indirekt auch schützende
Wirkung gegenüber den Darstellern zu, siehe BGE 128 IV 201, E.
1.4.5; BGE 124 IV 106 E 3.c.aa., gl. M. Stratenwerth/Wohlers,
StGB-Handkommentar, Art. 197 StGB N 1; Weder, in: StGB-Kommentar,
Art. 197 N 12; aus Donatsch, in: StGB-Kommentar, Art. 135 StGB N 5,
lässt sich nicht folgern, ob die Würde des Betrachters
oder diejenige der Darsteller bezeichnet ist. Nach Kern,
Kommunikationsgrundrechte als Gefahrenvorgaben, 181, bezieht sich
der Schutz der Menschenwürde in Art. 135 StGB auf einen
abstrakten Rechtswert.
[13]
Trechsel, StGB-Praxiskommentar, Art. 135 StGB N 2 f. und Art. 197
StGB N 10; kritisch zum Schutzzweck hingegen Gerny Daniel,
Zweckmässigkeit und Problematik eines
Gewaltdarstellungsverbots im schweizerischen Strafrecht (Diss.),
Basel 1994; Riklin Franz, Sinn und Problematik einer
«Brutalonorm» im Strafgesetzbuch, in: Das Menschenbild im
Recht, Freiburg 1990, 405; Hagenstein Nadine, O tempora, o mores!
oder Keine Macht den Killerspielen, AJP 2010 1293, 1301 f.
Ausführlich zum Schutzzweck von Art. 135 StGB auch Junod
Valérie, Interdiction des jeux vidéos violents: Moral
Kombat? Medialex 2012, 3 ff. Zur Umsetzung von Art. 135 StGB oder
Art. 197 StGB durch den Ausschluss entsprechender Filmprojekte von
der Filmförderung siehe Zufferey Nathalie/Aubry Patrice,
Commentaire LCin, 2006, Art. 16 N 49 ff., 69 ff.
[14]
Fischer-Lichte Erika, Performativität, Eine Einführung,
2. Aufl., Bielefeld 2013, 147 ff.; differenziert zur Unterscheidung
zwischen Wahrnehmung (psychisches System) und Kommunikation
(soziales System) und der Konstruktion ihrer strukturellen Kopplung
als Erklärung dafür, dass Bilder unterschiedlichen
Interpretationen zugänglich sind, siehe Luhmann, Kunst, 20 ff.
[15]
BGE 133 II 136, E. 6.5.2; BGE 128 IV 201, E. 1.4.2; BGE 124 IV 106,
E. 3.c. aa.; BBl 1985 II 1009, 1045 ff. Ausführlich zur
empirischen Forschung über die Wirkungen von
Gewaltdarstellungen Kern, Kommunikationsgrundrechte als
Gefahrenvorgaben, 12 ff., insbes. 29 ff., welcher davon ausgeht,
dass Gewaltdarstellungen negative Auswirkungen haben und sich
deshalb deren rechtliche Einschränkung im Grundsatz
rechtfertigen lässt; nach Hagenstein, Keine Macht den
Killerspielen, 1297 f., ist die negative Wirkung von
Gewaltdarstellungen zumindest nicht eindeutig auszuschliessen. Nach
Stratenwerth/Wohlers, StGB-Handkommentar, Art. 135 StGB N 1,
handelt es sich bei Art. 135 StGB wegen dem nicht nachweisbaren
Nachahmungseffekt vielmehr um ein Verhaltensdelikt, mit welchem die
Gesellschaft zum Ausdruck bringen will, dass derartiges Verhalten
zu ächten ist. Kritisch zum Nachweis negativer Auswirkungen
von 'brutalen Videospielen' auch Junod, Interdiction des jeux
vidéos violents, 3ff.; ebenso Cornu Daniel, La violence dans
les médias et ses limites, Medialex 2005, 92, 93 ff. Zur
Negation der Wirkungskraft von Bildern als
'Auflösungsstrategie' des Legitimationsparadox auch oben, Fn.
7.
[16]
BBl 2012 7571, 7622.
[17]
BBl 1985 II 1009, 1045 ff.; BGE 131 IV 64, E. 10.4.; SJZ 89/1992,
160, 161 E. 2.1.; SJZ 93/1997, 69, 72 E. 3.1. und E. 3.2.;
Stratenwerth/Wohlers, StGB-Handkommentar, Art. 135 StGB N 2;
Trechsel, StGB-Praxiskommentar, Art. 135 StGB N 11, und Art. 197
StGB N 19; bezüglich der Legitimation von Gewaltdarstellung in
Informationssendungen siehe die analoge Argumentation im Entscheid
der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und
Fernsehen vom 5. Dezember 2003, Medialex 2004 61.
[18]
Eine Auseinandersetzung mit weiteren Bedeutungsgehalten der Worte
'wissenschaftlich' und 'kulturell' ist nicht Gegenstand des
vorliegenden Beitrags.
[19]
Die Kommunikationsfreiheit steht damit quasi als freiheitlicher
Gegenpol der hier diskutierten strafrechtlichen Restriktion
gegenüber. Die rechtsdogmatische Struktur der
Kommunikationsfreiheiten ist jedoch explizit nicht Gegenstand des
vorliegenden Beitrags, siehe für ausführliche Hinweise
auf die Fachliteratur aber Kern, Kommunikationsgrundrechte als
Gefahrenvorgaben, insbes. 167 ff.; ebenso Peduzzi Roberto,
Meinungs- und Medienfreiheit in der Schweiz (Diss.),
Zürich/Basel/Genf 2004.
[20]
BGE 131 IV 64, E. 10.1.3.; ausführlich auch SJZ 93/1997, 69,
71 f. E 3.1.: «Der dem Richter zugewiesene Entscheid
lässt sich treffen, ohne dass es eines besonderen
Kunstsachverstandes bedürfte, weshalb in der Regel auch kein
Experte heranzuziehen ist; namentlich die Frage der
Schutzwürdigkeit ist rechtlicher Natur und muss vom Richter
selbst beantwortet werden. Mit der Verteidigung darf allerdings
bezüglich dieser Frage gefordert werden, dass nicht einfach
auf das Kunstverständnis eines Durchschnittsmenschen
abgestellt wird, sondern der Massstab eines künstlerisch
aufgeschlossenen Betrachters heranzuziehen ist. Dieser Anforderung
hat der Richter, dem der Gesetzgeber einen entsprechenden
Ermessensentscheid übertragen hat, zu genügen.»
Trechsel, StGB-Praxiskommentar, Art. 135 N 11 und Art. 197 N 19;
Weder, in: StGB-Kommentar, Art. 197 StGB N 29.
[21]
Siehe beispielsweise BGE 83 IV 19, E. 6; BGE 86 IV 19, E. 1; BGE
117 IV 457, E. 2.a.
[22]
SJZ 93/1997, 69, 71 f. E. 3.1.
[23]
Für eine Übersicht über unterschiedliche Theorien
über die Wahrnehmung visueller Darstellungen siehe Bertram
Georg W., Kunst, Eine philosophische Einführung, Stuttgart
2011, 112 ff. und 170 ff.; und spezifisch mit Bezug auf die
Kommunikationsfreiheiten Kern, Kommunikationsgrundrechte als
Gefahrenvorgaben, 71 ff.; zur Heterogenität der Bilddeutungen
auch Vismann Cornelia, Bildregime des Rechts - Rechtsregime des
Bildes, in: Joly Jean-Baptiste/Vismann Cornelia/Weitin Thomas
(Hrsg.), Bildregime des Rechts, Stuttgart 2007, 15 ff. Für
eine systemtheoretische Deutung der Vorgänge siehe Luhmann,
Kunst, 13 ff.
[24]
Stratenwerth/Wohlers, StGB-Handkommentar, Art. 135 StGB N 2;
Trechsel, StGB-Praxiskommentar, Art. 135 StGB N 9; Donatsch, in:
StGB-Kommentar, Art. 135 StGB N 1; ebenso BGE 133 II 136, E. 6.4:
«Das Bild ist konkret, wirkt emotional unmittelbarer,
ganzheitlicher und unentrinnbarer als das Wort.» Das
Zürcher Bezirksgericht hat zudem Abbildungen privilegiert
gegenüber bewegten audiovisuellen Bildern beurteilt, mit der
Begründung, dass die Fotografien des Films Blutgeil (SJZ
93/1997, 69) von ihrer Intensität her nicht mit einem Film
vergleichbar sind, der durch Grossaufnahmen, Wiederholungen und Ton
auf den Betrachter viel suggestiver wirkt, Flückiger Silvan,
Strafbare «Blutgeil»-Filmbilder im Internet, Urteil des
Bezirksgerichts Zürich vom 6. November 2002, Media-lex 2003,
179 f. Nach den angegebenen StGB-Kommentaren fallen Schriften
jedoch unter den Tatbestand von Art. 197 StGB; siehe zur Frage der
Schriftlichkeit unter Art. 204 aStGB zudem ausführlich BGE 83
IV 19.
[25]
BGE 131 IV 64, E. 10.1.3, SJZ 93/1997, 69, 71 f. E 3.1.
[26]
SJZ 93/1997, 69, 71 E 3.1.
[27]
Im Urteil findet bezeichnenderweise das Wort Richter nur in seiner
männlicher Form Verwendung. Für eine ausführliche
Darstellung der richterlichen Funktion als Wächter über
die Legitimität sexuell konnotierter Darstellungen siehe Nead
Lynda, Bodies of Judgment: Art, Obscenity, and the Connoisseur, in:
Douzinas Costas/Nead Lynda (Hrsg.), Law and the Image, The
Authority of Art and the Aesthetics of Law, Chicago/London 1999,
203 ff. Kritisch zur Rolle des Richters auch Hagenstein, Keine
Macht den Killerspielen, 1303.
[28]
Zum Bildregime des Rechts, verstanden als explizite und implizite
Einwirkungen des Rechts auf die Bildgestaltung, auch Vismann,
Bildregime des Rechts, 15 ff., 22: «Auch wenn sich im
Rückblick auf ein intaktes Bildregime des Rechts dieses von
seiner positiven Seite zeigt, als im eigentlichen Sinn bildgebendes
Regime, bleibt die Frage, warum das Recht sich überhaupt der
Bilder bemächtigt. Ein Verdacht liegt nahe: Bilder sind
mehrdeutig und sie schüren Affekte. Beides ist für das
Recht zwar nicht prinzipiell unerträglich, doch fordert es das
Recht zu einer Reaktion heraus. Eindeutigkeit und affektfreie
Rationalität herzustellen, gehört schliesslich zu seinen
Grundoperationen.»
[29]
Zur Utopie 'Einheit des Rechts' ausführlich Kiesow Rainer
Maria, L'unité du droit, 2014. Ausführlich zum
einheitlich-regulativen Anspruch des Rechts über das Bild auch
Douzinas Costas/Nead Linda, Introduction, in: Douzinas Costas/Nead
Lynda (Hrsg.), Law and the Image, The Authority of Art and the
Aesthetics of Law, Chicago/London 1999, 1 ff.
[30]
Siehe beispielsweise die Klassifikation der 'Vergewaltigung einer
Frau durch ihren Ehemann in der Küche' als harte Pornographie
nach Art. 204 aStGB, wobei die Szene nicht in einem Spielfilm,
sondern in einem als weiche Pornographie bezeichneten Film
eingebettet war, BGE 117 IV 283 E 4. c.; Stratenwerth/Wohlers,
StGB-Handkommentar, Art. 197 StGB N 5.