I. Kriminalpolitische
Erschütterungen
1. Expandierendes Strafrecht
a) Symbolische Steuerung
Die gegenwärtigen rechtspolitischen Entwicklungen in der Schweiz
belegen überaus deutlich - und zwar schon seit einigen Jahren -, dass
das Strafrecht als verheissungsvolles soziales Instrumentarium gilt und
dementsprechend Hochkonjunktur hat. Die Legislative agiert permanent
hektisch, und ein Ende ist vorerst nicht absehbar. Offenkundig setzt der
Staat die Strafe nicht als ultima ratio ein, sondern immer öfters als
bloss symbolisches Steuerungsmittel zur erhofften Bewältigung
(oder pointierter: zur Ablenkung) von gesellschaftlichen
Krisenphänomenen unterschiedlichster Art.[1]
Wir bewegen uns da unaufhaltsam auf dem Weg «zu einem
Interventionsrecht neuer Prägung»[2]
mit nebulösen Umrissen und einer Verwischung der traditionellen Grenze
zwischen Repression und Prävention.
Der beschriebene Trend offenbart sich vorab in einem markanten Zuwachs von
neuen Verboten und Geboten, die in rascher Kadenz entstehen. So
manifestiert sich heute in unserer Gesellschaft (nicht zuletzt auch bei den
Gerichten) ein unerbittlicher Drang nach vergeltenden Reaktionen auf
normwidriges Verhalten.
b) Rechtsdogmatische
Konsequenzen
In rechtsdogmatischer Hinsicht findet beim gegenwärtigen
Kriminalisierungsschub zumeist eine Regelungstechnik Anwendung, die durch
weitgefasste Universalrechtsgüter in Verbindung mit abstrakten
Deliktstatbeständen geprägt ist und zudem die Strafbarkeitsgrenze
auf die Stufe von Vorbereitungshandlungen vorverlegt. Eine derartige
Strategie bringt als Resultat eine flächendeckende Verbotsmaterie
hervor, die auf Lückenlosigkeit abzielt. Solche Gesetzesbestimmungen
entsprechen zumeist keinen materiellen Gerechtigkeitspostulaten. Neben der
Bewältigung prozessualer Beweisprobleme[3]
werden die neuen politischen Erwartungen an das Strafrecht erfüllt.
Die zusätzlichen Verhaltensnormen fungieren demnach nicht nur als
Basis für mehr Bestrafung, sondern ebenso als Anknüpfungspunkt
für präventive Anliegen.[4]
Anstelle der begangenen Tat[5]
bilden der böse Wille und dessen prognostizierte Verwirklichung den
Angelpunkt der Bestrafung. Diese Ausdehnung der Strafbarkeitsgrenze soll
den Behörden erlauben, möglichst frühzeitig einzugreifen. In
den Vordergrund rückt der Blick in die Zukunft, und Bedürfnisse
einer vorbeugenden Verbrechensbekämpfung sind angesprochen.
c) Mehr Sicherheit
Eine derart zukunftsorientierte Ausrichtung gelangt sodann noch wesentlich
stärker im Sanktionenrecht zur Geltung, wo namentlich bei schwerer
Delinquenz das spezialpräventive Ziel der
Rückfallverhinderung vorherrscht. Das zeigt sich insbesondere bei den
therapeutischen und verwahrenden Massnahmen gemäss Art. 59 - 65 StGB.
Diesbezüglich beeinflussen vor allem die geltend gemachten (realen
oder vermeintlichen) Sicherheitsbedürfnisse der
Bevölkerung die gesellschaftlichen Diskussionen und als Folge davon
die Strafgesetzgebung. Dabei dominiert heute allerdings eine einseitige
Sicherheitsoptik, die durch polizeiliches Denken genährt wird. Sie
setzt in einem instrumentell-mechanischen Sinne vorwiegend auf Gefahrenabwehr, und zwar mit Mitteln des Strafrechts. Im Fokus
stehen Einsperren und Isolieren auf unbestimmte Zeit.
Sobald die Sicherheit als Rechtsgut oder gar als Grundrecht
mystifiziert und in den politischen Diskurs unreflektiert eingeführt
wird, fördert das unvermeidbar masslose staatliche Interventionen.[6]
Gleichzeitig werden die verfassungsmässigen Freiheitsrechte der
beschuldigten Personen einer Geringschätzung preisgegeben.[7]
Prävention und Gefahrenabwehr kennen eben keine immanenten
Beschränkungen; das Prinzip der Verhältnismässigkeit muss
vielmehr von aussen her eingeführt werden. Erschwerend kommt sodann
noch hinzu, dass «Sicherheit» begrifflich kaum präzise
definierbar ist und ausserdem ein nie (vollständig) erfüllbares
Ideal darstellt.[8]
Wenn das Strafrecht überbordender Prävention entgegenwirken will,
muss es auf seiner mässigenden Funktion beharren und darf
sich nicht in die polizeiliche Gefahrenabwehr einspannen lassen.
Diesbezüglich sei an das eindrucksvolle Votum von Winfried Hassemer
erinnert:
«Während ein Gefahrenabwehrrecht die Herstellung von Sicherheit
unmittelbar zu seinem Ziel macht, darf das Strafrecht Sicherheit
gleichsam nur vermittelt herstellen: im Rücken gleichmässiger
und angemessener Antwort auf das Verbrechen, im Rahmen
freiheitswahrender und verhältnismässiger Reaktion. Das
Strafrecht muss, wenn es sein Unrechtsurteil rechtfertigen will, der
Person gerecht werden, der gegenüber dieses Urteil gefällt
wird, und es darf diese Verpflichtung auf personale Angemessenheit und
Gerechtigkeit seiner Eingriffe auch in Zeiten präventiver
Weltverbesserung nicht verdrängen. Hoffnung auf und
Bewerkstelligung von Prävention und Gefahrenabwehr sind im
Strafrecht nur akzeptabel im Rahmen einer angemessenen Antwort auf
Unrecht und Schuld.»[9]
2. Der Wandel im Verfahren
a) Neue Schwerpunkte
Die Expansion des materiellen Rechts kann nicht ohne Konsequenzen auf die
Ausgestaltung des Strafverfahrens bleiben. Das grenzenlose
Sicherheitsdenken beim Erlass von Strafnormen und -sanktionen findet seine
Fortsetzung in der Prozessordnung. Zunächst einmal fällt auch bei
einer bloss oberflächlichen Betrachtung des Verfahrensrechts schon
seit längerer Zeit eine unverkennbare Schwerpunktverlagerung
von der richterlichen Hauptverhandlung zur Voruntersuchung auf.
Das ist u.a. eine Folge der erheblichen Ausdehnung und Vorverlegung der
Strafbarkeitsgrenzen im materiellen Recht. Daneben spielt auch die starke
Eigendynamik in der technischen Entwicklung der (geheimen)
Ermittlungsmethoden eine wesentliche Rolle; diese fördert
zwangsläufig den polizeilichen Handlungsbedarf[10]. Die traditionell zentrale Aufgabe einer tatverdachtsbezogenen Wahrheits-
und Rechtsfindung durch unabhängige Gerichte verliert zusehends an
Gewicht. An Bedeutung gewinnt hingegen die Aufgabe einer umfassenden
Informationsbeschaffung. Heute interessiert demnach mehr der Anfang als das Ende des Verfahrens.
Hinzu kommt sodann ein intensives Streben nach Beschleunigung der
Prozesse. Als Mittel hierfür gelangen in erster Linie Vereinfachungen
im Verfahrensablauf zum Einsatz, welche eine zeitliche Verkürzung
erwarten lassen. Gefragt sind rasche und einfache
«Lösungen». Die Strenge gewisser prozessualer Formen wird
gelockert, womit sich eine nicht unerhebliche Zeitersparnis verbindet. Auf
Schritt und Tritt begegnet man in der Schweizerischen Strafprozessordnung
Bestimmungen, welche massiv auf eine Beschleunigung abzielen (ganz
besonders bspw. im Strafbefehlsverfahren gemäss Art. 352 ff. StPO[11]).[12]
Die Vereinfachung der Verfahrensabläufe ist geeignet, rascher ein
Resultat zu erreichen und (im Falle eines Schuldspruchs) den staatlichen
Strafanspruch zu realisieren. Die präventiven Anliegen des
materiellen Rechts sollen möglichst frühzeitig Wirkung entfalten
können. Demgegenüber kommt der Vergeltung einer vor Gericht
sorgfältig ermittelten Tatschuld eine eher untergeordnete Bedeutung
zu.
b) Mehr Zwangsmassnahmen
In ausgeprägter Weise offenbart sich das gewandelte Strafverfahren bei
den zur Verfügung stehenden prozessualen Eingriffsmitteln. So stehen
die «modernen, tendenziell flächendeckenden und überwiegend
geheimen Zwangsmassnahmen»[13]
im Aufwind. Das lässt sich anschaulich daran ablesen, dass die
Schweizerische Strafprozessordnung diesem Bereich weit mehr als hundert (!)
Gesetzesbestimmungen widmet (Art. 196 - 298d StPO).
Erwähnenswert sind etwa die klassischen freiheitsentziehenden
Zwangsmassnahmen (Art. 215 ff. StPO), ausserdem aber
auch etwa die Hausdurchsuchung (Art. 244 f. StPO) und die
Beschlagnahme (Art. 263 ff. StPO).
Darüber hinaus fällt die ungewöhnlich detaillierte Regelung
von neu eingeführten verdeckten Massnahmen auf, beispielsweise die
Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Art. 269 ff. StPO) sowie die
verdeckte Ermittlung und Fahndung (Art. 285a ff. und 298a ff. StPO). Diese
quantitative wie strukturelle Erweiterung des polizeilichen
Ermittlungsarsenals im Dunst der Heimlichkeit stellt erhöhte
Anforderungen an die Legitimation.[14]
c) Überwachung und Kontrolle
Eine vertiefte Beschäftigung mit den beschriebenen prozessualen
Entwicklungen offenbart, dass sich im Verfahren (wie erwähnt) die
Grenzen zwischen Repression und Prävention verwischen. Die
Strafverfolgungsbehörden kümmern sich nämlich in weiten
Bereichen gegenwärtig tendenziell eher um die Aufdeckung (vermuteter)
krimineller Strukturen als um die Tatvorwürfe gegenüber einzelnen
Verdächtigen.[15]
Mit den polizeilichen Vorermittlungen soll vielfach ein konkreter
Tatverdacht überhaupt erst begründet werden. Bezweckt wird hier
«die Gewährleistung der Sicherheit, die Kontrolle über
Personen und Räume insgesamt».[16]
In diesem Rahmen erleben die geheimen Überwachungsmassnahmen (Art. 269 ff. StPO) als «das
wohl populärste Phänomen der strafrechtlichen
Gefahrenabwehr»[17]
einen imposanten Aufschwung.
Ganz generell hat der Strafprozess begonnen, sich zu verselbständigen
und dem Polizeirecht anzunähern. Namentlich das herkömmliche
Konzept strafrechtlicher Prävention ist ohne klar sichtbare
Konturen ausgedehnt worden auf allgemeine polizeiliche
Bedürfnisse der Informationsbeschaffung sowie der Überwachung und Kontrolle von Risiken.[18]
d) Präventive Verseuchung
Die soeben skizzierten rechtspolitischen Schwerpunktverlagerungen lassen
«starke Anzeichen einer präventiven Verseuchung des
Prozessrechts» feststellen.[19]
Eine derart kritische Bemerkung mag vielleicht erstaunen; sie widerspiegelt
jedenfalls ein manifestes Unbehagen gegenüber dem aktuellen
Rechtszustand. Erkennbar wird «eine Funktionserweiterung des
Strafprozesses - eine Aufrüstung zugunsten der Gefahrenabwehr, auch
gerne etwas holprig als ‹Verpolizeilichung› beschrieben -, die
zu einer Beschneidung traditionell eingriffsfreier Bereiche
führt».[20]
Konkret stellt sich nun die Frage, was die hervorgehobene
«Seuche» inhaltlich bedeuten soll und inwieweit dadurch
grundlegende Maximen eines rechtsstaatlichen Strafprozessrechts der Erosion
ausgesetzt sind.
Der hier aufgeworfenen Thematik widmet sich der vorliegende Aufsatz anhand
der heute so bedeutsamen (und teils innovativen) prozessualen Zwangsmassnahmen. Gerade in diesem Rechtsbereich sind
die präventiven Wucherungen samt ihren drastischen Auswirkungen auf
die individuellen Freiheitsrechte evident, und gleichzeitig befinden sich
die davon betroffenen Personen aus prinzipiellen Gründen von
vorneherein in einer geschwächten Position.[21]
Zum besseren Verständnis der angesprochenen juristischen Problematik
bedarf es zunächst einer kurzen Einführung in der Form
allgemeiner theoretischer Überlegungen zu den Funktionen des
Prozessrechts (nachfolgend Ziff. II). Im Anschluss daran folgt eine
weiterführende Analyse bestimmter präventiver Zwangsmassnahmen
(nachfolgend Ziff. III und IV).
II. Funktionen des Prozessrechts
1. Die Verwirklichung materiellen Rechts
Dem Prozessrecht obliegt nach allgemeiner Ansicht alsdienende Aufgabe dieVerwirklichung des materiellen Strafrechts.[22]
Die Prozessordnung regelt die Organisation der
Strafverfolgungsbehörden und schreibt vor, auf welche Weise die
Strafbarkeit einer bestimmten Person im konkreten Fall zu ermitteln ist.
Die materiell-rechtlichen Wertungen des Gesetzgebers bilden zunächst
bloss (abstrakte) «Hülsen»,[23]
die durch entsprechende Ergänzungen auf der Verfahrensebene
aufzufüllen sind. Erst dadurch nimmt das Strafrecht seine konkrete
Gestalt und Geltung in der sozialen Realität an.[24]
Nach traditionellem Rechtsverständnis ist der Strafprozess retrospektiv ausgerichtet und befasst sich mit der durch
rechtliche Normen geleiteten Aufarbeitung von verübten Straftaten
(oder präziser: von mutmasslich begangenem Unrecht). Seine Optik ist
demnach vergangenheitsorientiert, indem es um die Rekonstruktion eines
abgeschlossenen Geschehens geht.[25]
Bezweckt wird damit die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, also im Wesentlichen
ein repressives Anliegen. Den Ausgangspunkt für die
behördlichen Aktivitäten bildet der konkrete Tatverdacht,[26]
der sich inhaltlich stets auf das materielle Recht, d.h. auf einen
bestimmten Straftatbestand, zu beziehen hat. Ohne präzisen Blick auf
die Verbotsmaterie in den Strafgesetzen wäre unklar, «wonach im
Verfahren überhaupt geforscht, was überhaupt ermittelt werden
soll».[27]
2. Eigenständige
Verfahrensinteressen
a) Schutz vor behördlichen
Übergriffen
Trotzdem: Eine derartige Fokussierung des Strafprozessrechts auf seine
untergeordnete, dienende Rolle bleibt einseitig und oberflächlich.
Dessen Funktionen sind nämlich wesentlich umfassender und
beschränken sich nicht auf «die Verlängerung des materiellen
Strafrechts in die Wirklichkeit, in einen Fall».[28]
Vielmehr handelt es sich beim Verfahrensrecht um ein Rechtsgebiet, das
über seine dienende Aufgabe hinaus zusätzlich eigenständige
Interessen und Ziele verfolgt. Dazu gehört u.a.
der Schutz der in das Verfahren involvierten Personen vor
behördlicher Willkür.[29]
Vor diesem Hintergrund versteht sich beispielsweise das Erfordernis eines
sog. Anfangsverdachts für die Einleitung von Strafuntersuchungen, dies
als ein aus dem Prinzip der Unschuldsvermutung (Art. 10 Abs. 1 StPO) abgeleiteter
Schutzfaktor. Der konkrete Tatverdacht löst einen sozialen Konflikt
aus, der durch Aufklärung zu beseitigen ist. Daran haben sich die
staatlichen Ermittlungsbemühungen zu orientieren. Man spricht hier vom
Gebot der Verdachtssteuerung der Behördentätigkeit.
Dieses Gebot bezweckt, «den Beschuldigten und unverdächtige
Dritte vor staatlicher Ermittlungswillkür zu schützen.
Ohne Anfangsverdacht oder allmählich losgelöst von einem
anfänglich bestehenden Tatverdacht unspezifisch nach Verdachtsmomenten
und Beweismitteln zu ‹fischen› ist den
Untersuchungsbehörden verboten.»[30]
Abgesehen davon gilt für die behördliche
Ermittlungstätigkeit gemäss Art. 6 StPO der elementare
einschränkende Grundsatz, dass das angestrebte Ziel nicht alle Mittel
heiligt. Vielmehr darf die Erforschung der Wahrheit nicht um jeden Preis erfolgen,[31]
was beispielsweise in der Statuierung von Beweisverboten nach Art. 140 und 141 StPO erkennbar
wird. Solche Regelungen sind ebenfalls unmittelbar auf den Schutz der
betroffenen Individuen ausgerichtet.
b) Justizförmigkeit des Verfahrens
Soweit das Prozessrecht diese ihm obliegenden Schutzaufgaben übernimmt
und wirksam erfüllt, darf man es als angewandtes Verfassungsrecht bezeichnen. Mit der Orientierung an
der Verfassung verbindet sich das Gebot der Justizförmigkeit des Verfahrens. Dies ist eine Konsequenz aus
der jedem Prozess inhärenten Gefahr eines Missbrauchs staatlicher
Macht. Die Durchsetzung des Strafanspruchs hat demnach gemäss einem
durch das Gesetz genau beschriebenen Ablauf stattzufinden (Art. 2 Abs. 2 StPO).
Die geforderte Justizförmigkeit stellt einen bewusst eingerichteten
Gegenpol zur Effizienz des Strafverfahrens dar. Sie dient «nicht nur
dem Schutz des Individuums, in ihr kommt auch das rechtsstaatliche
Gemeininteresse an der Begrenzung staatlicher Macht zum Ausdruck».[32]
Man spricht im vorliegenden Zusammenhang ebenfalls von den schützenden Formen des Prozessrechts. Solchermassen wird
«zum Ausdruck gebracht, dass die Förmlichkeiten des
Strafverfahrens keine Formsache sind».[33]
Sie bilden keinen Selbstzweck, sondern schützen
verfassungsmässige Grundrechte. Das sollte man sich gerade in der
Praxis immer wieder vergegenwärtigen, obwohl die prozessuale
Formenstrenge den Verfahrensablauf stört und Zeit beansprucht.[34]
III. Präventive Zwangsmassnahmen
im Strafprozess
1. Eine Klage aus der Wissenschaft
In jüngster Zeit beklagen sich einzelne Vertreter der
Rechtswissenschaft:
Die zitierte Klage gibt die Situation in der Praxis zutreffend wieder und
bedarf deshalb im Folgenden einer näheren Erläuterung. Zur
Illustration hierfür werden zwei Beispiele herangezogen, die zu
Eingriffen in die Freiheitsrechte der beschuldigten Personen führen
und überdies präventiv durchdrungen sind. Es handelt sich
einerseits um die präventive Untersuchungshaft (Ziff. III/2) und
andererseits um die präventive verdeckte Polizeitätigkeit (Ziff.
III/3).
2. Die präventive Untersuchungshaft
a) Zur Legitimation von
Untersuchungshaft
Die Berechtigung für die Anordnung einer Untersuchungshaft steht unter
hohen Anforderungen. Denn es handelt sich dabei um einen schwerwiegenden
Freiheitsentzug, der Personen betrifft, die (noch) nicht verurteilt sind
und deshalb von Rechts wegen als unschuldig gelten (Art. 10 Abs. 1 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK). Der
Gesetzgeber bemühte sich, den hier angedeuteten Konflikt mit der Unschuldsvermutung zu beseitigen (oder wenigstens zu
entschärfen), indem er für eine solche Zwangsmassnahme den dringenden Verdacht voraussetzt, ein bestimmtes Delikt verübt
zu haben (Art. 221 Abs. 1 StPO).[36]
Der Tatverdacht bedeutet eine dem Angeschuldigten zurechenbare Störung
der Rechtsordnung. Die störende Wirkung dauert an, solange der
Verdacht nicht entkräftet ist oder auf die begangene Tat keine
staatliche Reaktion folgt. Daraus rechtfertigt es sich, den
Verdächtigen als «Störer» zur Aufklärung des
vorhandenen Verdachtes hoheitlich in Anspruch zu nehmen,[37]
und zwar allenfalls auch mittels Untersuchungshaft. Auf dieser Basis finden
in einem auf Wahrheitssuche verpflichteten Strafverfahren (Art. 6 i.V.m. Art. 196 StPO) die beiden
klassischen Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr ihre
prinzipielle Berechtigung (Art. 221 Abs. 1 lit. a und b StPO).
b) Präventive Haftgründe
Wesentlich anders verhält es sich hingegen bei denjenigen gesetzlichen
Haftgründen, die nicht (primär) die Sicherung eines laufenden
Verfahrens im Visier haben, sondern vielmehr eine Verhinderung
künftiger Straftaten. Für eine solche (verfahrensfremde)
Inhaftierungsmöglichkeit wird argumentativ zuweilen auf die relativen
Strafzwecke verwiesen und daraus die Berechtigung der
Spezialprävention als Haftgrund abgeleitet.[38]
Solchermassen sind «Ziele des materiellen Strafrechts in das formelle
Strafrecht eingewandert und haben sich alsbald breitgemacht».[39]
Zur Beschwichtigung wird oft betont, dass Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK
ausdrücklich die Notwendigkeit anerkenne, Beschuldigte an der Begehung
strafbarer Handlungen zu hindern.[40]
Das genügt indessen nicht, um die Präventivhaft zu legitimieren;
denn die Vereinbarkeit einer bestimmten Gesetzesbestimmung mit den
europäischen Mindeststandards bedeutet nicht automatisch, dass die
betreffende Norm auch sachgerecht und rechtsstaatlich akzeptabel ist. Dies
gilt hier umso mehr, als die Möglichkeiten einer präventiven
Inhaftierung nach der Strassburger Rechtsprechung zur zitierten EMRK-Norm
äussert limitiert sind[41].
Für die Erweiterung des Haftrechts werden sodann auch positive
Schutzpflichten des Staates hervorgehoben, welche sich aus dem verfassungs-
und völkerrechtlich geschützten Recht auf Leben ergeben[42]. So betont denn das Bundesgericht ausdrücklich die staatliche
Pflicht, «präventiv Schutzmassnahmen zu ergreifen, wenn das Leben
einer Person durch Dritte bedroht wird». Falls «von kriminellen
Handlungen eines Dritten reell und unmittelbar eine derartige Gefahr
ausgeht», seien die Behörden «verpflichtet, die in ihrer
Macht stehenden geeigneten Massnahmen zu ergreifen (…)».[43]
Allerdings fehlt hier eine nähere Erklärung, wo im uferlosen
Vorfeld eines konkreten Tatverdachts die Grenzen des erwähnten
Schutzes zu ziehen sind und weshalb er gerade mittels Haftanordnung im
Strafprozess erfolgen soll. Schwer wiegt diesbezüglich insbesondere
die Befürchtung, dass längerfristig eine «Verwischung der
Grenzen zwischen formellem und materiellem Strafrecht» stattfinden und
diese «zu Lasten verfahrensrechtlicher Strenge und
Zurückhaltung» gehen wird.[44]
Somit bleibt es dabei, dass die beschriebene präventive
Zielsetzung den dargelegten Grundsätzeneiner Legitimation von Untersuchungshaft widerspricht.[45]
aa) Fortsetzungs- oder
Wiederholungsgefahr
Zunächst sei einmal auf Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO
verwiesen, wonach Untersuchungshaft gegen eine dringend beschuldigte Person
zulässig ist, «wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass sie
durch schwere Verbrechen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet,
nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt
hat». Dieser Haftgrund versteht sich - gemäss der Intention der
bundesrätlichen Botschaft - ausschliesslich als Gefahrenabwehr; es
handle «sich somit eigentlich um eine sichernde, polizeiliche
Zwangsmassnahme».[46]
Eine solche Inhaftierung bildet jedoch einen dogmatischen Fremdkörper[47]
innerhalb des Prozessrechts und steht im Widerspruch zur Unschuldsvermutung. Denn die Präventivhaft
bezweckt keine Sicherung der Strafuntersuchung. In der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung ist zwar schon mehrfach der Versuch unternommen worden, die
Wiederholungsgefahr als Haftgrund mit Verfahrensargumenten zu
«retten», nämlich mit der Erwägung, dass diese Haft dem
prozessualen Ziel der Verfahrensbeschleunigung diene.[48]
Das Risiko einer blossen Verfahrensverzögerung oder -erschwerung
vermag indessen niemals den Eingriff einer Untersuchungshaft in die
persönliche Freiheit einer beschuldigten Person zu rechtfertigen.[49]
Abgesehen davon ist Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO, wie
sich aus dem Gesetzestext ergibt, ausschliesslich als Präventivhaft
konzipiert, was auch dem Willen des Gesetzgebers entspricht.
Immerhin scheint sich das Bundesgericht (wenigstens prima vista) der
Problematik des hier besprochenen Haftgrundes nicht ganz zu verschliessen,
wenn es in seinen allgemeinen Erwägungen regelmässig eine
restriktive Gesetzesanwendung anmahnt.[50]
Allerdings zeigt eine detaillierte Analyse der neuesten Praxis leider
unmissverständlich, dass trotz verbaler höchstrichterlicher
Beteuerungen von einer Zurückhaltung bei der Annahme einer
Wiederholungsgefahr im Sinne des Gesetzes keine Rede sein kann. Vielmehr
hat der Anwendungsbereich von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO in
einer sehr problematischen Weise eine permanente Erweiterung über den
Wortlaut der Norm hinaus erfahren,[51]
was in der Literatur teilweise auf mehr oder minder deutliche Ablehnung
gestossen ist.[52]
Als völlig inakzeptabel erweist sich, dass das Bundesgericht[53]
ausnahmsweise sogar das im Gesetz ausdrücklich verankerte
Vortatenerfordernis - mittels «einer systematisch-teleologischen
Auslegung» - weginterpretiert. Angesichts solcher Entwicklungen muss
die unermüdlich repetitive Proklamation (in Urteilserwägungen),
dass die Präventivhaft nur als «ultima ratio» zur Anwendung
gelangen dürfe,[54]
für die (gleichwohl) Inhaftierten ziemlich zynisch klingen.
bb)Ausführungsgefahr
Noch einen Schritt weitergehend lockert der Art. 221 Abs. 2 StPO das Band zur
dogmatischen Basis des Strafprozessrechts zusätzlich. Gestützt
auf diese Bestimmung kommt Haftanordnung nämlich auch ohne jeglichen Tatverdacht in Betracht,[55]
«wenn ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre
Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen». Zur
Erläuterung führt die bundesrätliche Botschaft aus:
Solche Erwägungen lassen Zweifel darüber auftauchen, wie ernst es
die Gerichte mit den vom Gesetz verlangten Prognosen wirklich nehmen. Wann
die Einholung einer psychiatrischen Expertise überhaupt erforderlich
ist, lässt das Bundesgericht nämlich vollkommen offen.[78]
Ausserdem gewinnt man leicht den Eindruck, dass es für den
Haftentscheid eigentlich gar nicht so sehr auf eine fundierte individuelle
Prognose ankommt. So ist eine Inhaftierung wegen Ausführungsgefahr (Art. 221 Abs. 2 StPO) u.U. selbst
dann zulässig, «wenn die vorhandenen Fakten keine genaue
Risikoeinschätzung erlauben».[79]
Demnach darf die notwendige Gefahr künftiger Delinquenz ohne Weiteres
angenommen werden, solange diese nicht durch eine gutachterliche
Stellungnahme «widerlegt» ist[80]
. Abgesehen davon besteht bei der Wiederholungsgefahr nach Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO
zuweilen eine gewisse Neigung, vorwiegend abstrakt - etwa aus der Art der
Delinquenz - auf eine erhebliche Gefährdung der Sicherheit zu
schliessen.[81]
cc) Anschein der Gefährlichkeit
Der vertiefte Blick in die gesetzgeberische Ausgestaltung und die
richterliche Anwendung der präventiven Haftgründe führt zur
Einsicht, dass die Gerichtspraxis vom Erfordernis einer Individualprognose
immer wieder abweicht. Anstelle einer möglichst präzisen Aussage
über die allenfalls zu erwartende künftige Delinquenz der
beschuldigten Person begnügt man sich nicht selten mit dem erkennbaren Anschein einer Gefährlichkeit. Es geht der Sache nach jeweils
um die normative Zuordnung zu einer Risikogruppe. Im Fokus steht dabei vor
allem eine dezidierte - teils dramatisierte - Bewertung der Schwere der
Straftaten, mit denen zu rechnen ist. Der Grad der im Einzelfall sehr
schwierig zu ermittelnden Wahrscheinlichkeit deliktischen Verhaltens spielt
hingegen eine untergeordnete Rolle.[82]
Insoweit verfolgt also die Inhaftierung nicht wirklich primär eine
polizeiliche Gefahrenabwehr, sondern erscheint eher als symbolisches Zeichen dafür, dass der Staat die geltend
gemachten Bedrohungsgefühle einer beunruhigten Bevölkerung
aufnimmt und bestrebt ist, deren «Sicherheit» zu schützen.
3. Die präventive verdeckte
Polizeitätigkeit
a) Allgemeine grundrechtliche Problematik
Heute ist generell anerkannt, dass die Tätigkeit verdeckter Ermittler
verschiedene grundrechtliche Positionen und elementare prozessuale Rechte
der Beschuldigten schwerwiegend beeinträchtigt.[83]
Es handelt sich vor allem um Eingriffe in die persönliche Freiheit,
konkret in die Privat- und Geheimsphäre. Daneben wird auch das Recht
der Aussageverweigerung (Selbstbelastungsfreiheit, sog.
Nemo-tenetur-Prinzip) verletzt, indem die Zielpersonen einer Art von
verdecktem Verhör ausgesetzt sind.[84]
Problematisch ist dabei nicht primär die fehlende Offenheit der
Ermittlungen, sondern das täuschende Verhalten der Beamten
gegenüber den Zielpersonen, d.h. den späteren Beschuldigten. Aus
den erwähnten Gründen erfordern sowohl die verdeckte Ermittlung
wie auch die verdeckte Fahndung eine gesetzliche Grundlage.[85]
Hierfür stehen derzeit dieArt. 285a ff. und Art. 298a ff. StPO zur
Verfügung.
Mit der Schaffung einer legalen Basis ist die materielle Problematik der verdeckten Ermittlung und Fahndung
allerdings nicht beseitigt. Allein schon der zum Ausdruck gelangende unheimliche Weg in die Heimlichkeit bietet hinreichenden
Anlass, die rechtsstaatliche Skepsis nicht zu verdrängen. Weil sich
die Betroffenen gegen die verdeckten Massnahmen (naturgemäss) nicht
wehren können, ist das Missbrauchspotenzial hoch einzuschätzen;[86]
das trifft selbst dort zu, wo das Gesetz eine richterliche Genehmigung
verlangt.[87]
Täuschungsmanöver des Staates gegenüber
(tatverdächtigen) Personen bleiben infolgedessen allemal bedenklich,
und zwar unabhängig von dem damit verbundenen Aufwand.
Täuschendes Verhalten seitens der Strafverfolgungsbehörden
widerspricht grundsätzlich den Erfordernissen eines fairen Verfahrens
gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und wird demzufolge allgemein im Gesetz (Art. 140 Abs. 1 StPO)
ausdrücklich als verbotene Methode aufgezählt. Dabei ist
namentlich zu beachten, dass Strafverfahren gegen Personen gerichtet sind,
die aufgrund der Unschuldsvermutung von Rechts wegen als unschuldig gelten
(was in der gegenwärtigen rechtspolitischen Debatte freilich
häufig verkannt wird).[88]
Insbesondere bei den niederschwelligen gesetzlichen Anforderungen an die
verdeckte Fahndung ist die Eingriffsintensität regelmässig
verharmlost worden.[89]
So bedarf es für diese Art der Ermittlung keiner richterlichen
Genehmigung, und sie soll gerade auch - und zwar ungeachtet des Grundsatzes
der Verhältnismässigkeit (Art. 298b Abs. 1 lit. b StPO) - beim Verdacht von Bagatelldelikten zum Zuge kommen (praktisch relevant
vor allem bei Scheinkäufen im Drogenkleinhandel[90]). Ausserdem muss man sich fragen, inwiefern für eine
Strafuntersuchung solche Methoden wirklich unentbehrlich sind.[91]
b) Präventiver Blickwinkel
In der Praxis weisen Polizeikreise immer wieder mit Nachdruck auf die
Unentbehrlichkeit präventiver verdeckter Aktionen hin[92]. Damit stellt sich unweigerlich die Frage, inwiefern eine
(ausschliesslich) auf die Zukunft hin gepolte Sichtweise im geltenden
Prozessrecht verankert ist.
Sowohl die strafprozessuale verdeckte Ermittlung wie auch die verdeckte
Fahndung setzen einen (hinreichenden) Tatverdacht voraus (Art. 286 Abs. 1 lit. a und Art. 298b Abs. 1 lit. a,
jeweils i.V.m. Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO)[93]
und sind insoweit repressiv ausgerichtet. Hingegen enthält die
Prozessordnung «keine Be-stimmungen zur präventiven
Vorermittlung im Sinne eines polizeilichen Tätigwerdens zur
Verhinderung oder Erkennung zukünftiger möglicher Delikte
(…)».[94]
Trotzdem finden bei den beiden erwähnten Zwangsmassnahmen nicht selten
auch präventive Anliegen eine wesentliche Berücksichtigung.
Das wird einmal dort augenfällig, wo die materiell-rechtlichen Normen
ihrerseits zukunftsorientiert ausgestaltet sind. Wenn nämlich
beispielsweise die Strafbarkeit bereits in einem frühen Stadium der
Tatvorbereitung beginnt, sinkt entsprechend auch die Schwelle zum
Tatverdacht, den die prozessualen Zwangsmassnahmen erfordern. Hierfür
sei an die praktisch sehr bedeutsame Bestimmung der strafbaren
Vorbereitungshandlung gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. g BetmG
erinnert. Auch wenn es in solchen Fällen den Behörden häufig
um die Verhinderung des vorbereiteten Betäubungsmittelverkaufs oder
-imports (und nicht um die Bestrafung des Täters) geht, kann - formal
betrachtet - ein hinreichender Tatverdacht für eine verdeckte
Ermittlung vorliegen.
Andererseits muss man sich zusätzlich vergegenwärtigen, dass nach
vorherrschender Ansicht für die verdeckte Fahndung ein bloss
«vager Verdacht» (begangener) strafbarer Handlungen genügen
soll.[95]
Diese Haltung ermöglicht einen frühzeitigen Einsatz der Massnahme
und fördert somit präventiv motivierte Fahndungshandlungen in
einem strafprozessualen «Mantel».[96]
Unbestritten ist heute, dass präventive Vorermittlungen ohne bestehenden Tatverdacht sich nicht auf das Bundesrecht
abstützen können, sondern in den kantonalen Polizeigesetzen zu regeln sind.[97]
Insoweit hat die verfassungsrechtliche Kompetenzvorgabe hier (anders als
bei der Untersuchungshaft[98]) Beachtung gefunden. Allerdings bezweckt die präventive verdeckte
Ermittlung oder Fahndung gemäss den betreffenden Erlassen - entgegen
den sonst üblichen Grundsätzen der Polizeitätigkeit - nicht
die Abwehr unmittelbar drohender Gefahren. Vielmehr geht es dabei ganz
allgemein um die «Verhinderung und Erkennung von Straftaten».[99]. Aus den völlig offen gehaltenen Gesetzestexten ergibt sich nicht,
welche Art von Straftaten behördlich verhindert oder erkannt werden
soll. Der Polizei wird also eine ausgedehnte und rechtlich entgrenzte
Befugnis für verdeckte Aktionen eingeräumt. Damit verbindet sich
das erhebliche Risiko unerlaubter Verdachtsausforschung, namentlich mit
Blick auf die Beweissammlung im Internet (konkret in Chaträumen).[100]
Ausserdem fragt sich hier, wie es den zuständigen Behörden im
Einzelfall überhaupt möglich ist, konkret und zuverlässig
künftige Delikte vorauszusehen (die dann zu verhindern sind).
IV. Schlussfolgerungen
1. Zusammenfassung
Im Mittelpunkt meiner mehrfach geäusserten Bedenken gegen die
präventive Ausrichtung prozessualer Zwangsmassnahmen steht die zunehmende Ausdehnung der Funktionen des Strafprozesses. Die
Untersuchungshaft sowie die verdeckte Ermittlung und Fahndung dienten
bisher in erster Linie der Aufklärung von (vermutlich) begangenen
Straftaten. Demzufolge bildete der konkrete Tatverdacht den
rechtlich massgebenden (vergangenheitsorientierten) Anknüpfungspunkt.
Neuerdings jedoch verlassen die genannten Massnahmen teilweise die
herkömmliche repressive Grundlage. Sie übernehmen immer
öfters auch Aufgaben für die Zukunft, die generell der Polizei
zustehen, nämlich die Verhinderung vermuteter Delikte (als Gefahrenabwehr).
Besonders augenfällig wird die Schwerpunktverlagerung beim Haftgrund
der Ausführungsgefahr (Art. 221 Abs. 2 StPO), wo der
Gesetzgeber auf das Erfordernis eines Tatverdachts bewusst verzichtet hat.
Abgesehen davon verlangen die strafprozessualen Interventionen auf der
Basis präventiver Haftgründe keine konkrete und unmittelbare
Gefahrenlage. Insofern senken sie - abweichend von der polizeirechtlichen
Maxime - die Eingriffsschwelle.[101]
Erschwerend kommt noch hinzu, dass die strafprozessuale Präventivhaft
zu Freiheitsentzug in einem Ausmass führt, das im Polizeirecht bislang
unvorstellbar ist.[102]
Zum andern entfernt sich die kantonale Polizeigesetzgebung ihrerseits
ebenfalls von den eigenen Prinzipien, wenn sie Bedürfnisse der
Strafverfolgung übernimmt und folglich für ihre Massnahmen der
präventiven verdeckten Ermittlung oder Fahndung keine akute Bedrohung
von Rechtsgütern voraussetzt.[103]
Diese legislativen Entwicklungen konvergieren in Richtung einer weit gefassten und konturenlosen Gefahrenabwehr
mit entsprechenden Folgen für die Freiheitsrechte der betroffenen
Personen.
2. Mut zur Lücke!
Die eben geschilderten Funktionserweiterungen sowohl des Strafverfahrens
als auch der Polizeitätigkeit vermitteln deutliche Anzeichen eines
beabsichtigten flächendeckenden Rechtsgüterschutzes.
Ungeachtet der in der Verfassung festgeschriebenen Kompetenzordnung
erhalten die Behörden durch die Gesetzgebung immer mehr Befugnisse,
mittels Zwangsmassnahmen gegen Personen - seien es Tatverdächtige oder
Störer - vorzugehen. Auf diese Weise reduziert sich indessen zwischen
Verdachtsabklärung und Gefahrenabwehr zusehends der Freiheitsspielraum
der Individuen. Die bislang als unverzichtbar erachteten Bollwerke gegen
behördliche Eingriffe erleiden massive Erschütterungen. So werden
einerseits (für das Strafverfahren) der konkrete Verdacht eines
Deliktes und andererseits (für die Polizeitätigkeit) die Abwehr
einer akuten Gefahr als Eingriffsvoraussetzungen abgeschliffen oder gar
ganz beseitigt. Durch die hier zu beobachtenden Verschiebungen in den
Fundamenten der Sicherheitsarchitektur werden die staatsfreien Zonen immer weiter zubetoniert[104].
Wem die Freiheitsidee im Strafrecht ein wirklich ernsthaftes
Anliegen ist, der muss Widerstand leisten gegenüber dem
gegenwärtigen Trend zu einer möglichst lückenlosen Palette
von Zwangsmassnahmen. Diese Instrumente ziehen derzeit ungeordnet kreuz und
quer durch das Strafprozess- und das Polizeirecht - ohne hinreichende
Rücksichtnahme auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben und ohne eine
rechtsdogmatische Konsistenz. Dabei bleibt das elementare Prinzip der
Verhältnismässigkeit (Art. 197 Abs. 1 lit. c und d StPO)
nur allzu oft auf der Strecke. Gerade bei den unter dem Dach der Prävention angesiedelten Interventionen kommt noch hinzu,
dass sie jeweils mit schwer lösbaren Prognoseschwierigkeiten belastet
sind, was leicht willkürliche Entscheide zum Nachteil der betroffenen
Personen bewirkt. Aus liberaler Sicht sollten deshalb die Gesetzgebung und
die Rechtsprechung sich vor einem Sturz in den Strudel einer
unreflektierten Sicherheitspolitik hüten und sich gegen grenzenlose
Freiheitseingriffe einsetzen. Gefordert sind deutlich mehr Resistenz, mehr Mut zur Lücke in der strafprozessualen
Dimension des Rechtsgüterschutzes.[105]
[1]
Siehe Karl-Ludwig Kunz/Martino Mona, Rechtsphilosophie,
Rechtstheorie, Rechtssoziologie, 2. Aufl., Bern 2015, Kp 7, Rn 67;
ferner mit anschaulichen Beispielen aus der Gesetzgebungspraxis
Marcel Alexander Niggli, Vom Repressions- zum
Präventionsstrafrecht: Die Abkehr von der Ahndung begangener
zur Verhinderung befürchteter Delikte, in: Strafverteidigung
und Sicherheitswahn, hrsg. vom Forum Strafverteidigung, Wien 2014,
S. 13 ff.
[2]
Niklaus Oberholzer, Verdeckte Massnahmen und Richtervorbehalt,
forumpoenale 2011, S. 226.
[3]
Grundlegend Detlef Krauss, Zur Funktion der Prozessdogmatik, in:
Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, hrsg. von H. Jung/H.
Müller-Dietz, Köln etc. 1989, S. 9 f.
[4]
Zur Vertiefung des schillernden Begriffs
«Prävention» hinten Ziff. III/2/c.
[5]
Vgl. Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Band I,
4. Aufl., Bern 2011, § 12 N 3: «Sache des Strafrechts
(…) ist allein die Reaktion auf den geschehenen
Rechtsbruch.»
[6]
Siehe Günter Frankenberg, Kritik des Bekämpfungsrechts,
KJ 2005, S. 375 f.; ferner Winfried Hassemer, Warum Strafe sein
muss, Berlin 2009, S. 75 ff.
[7]
Instruktiv z.B. Bernhard Haffke, Vom Rechtsstaat zum
Sicherheitsstaat?, KJ 2005, S. 20 und Erhard Denninger, Freiheit
durch Sicherheit?, KJ 2002, S. 470 ff.
[8]
Erhard Denninger, Prävention und Freiheit, in: Vom Rechtsstaat
zum Präventionsstaat, hrsg. von S. Huster/K. Rudolph,
Frankfurt a.M. 2008, S. 92 und 94 f.
[9]
Sicherheit durch Strafrecht, in: Jenseits des rechtsstaatlichen
Strafrechts, hrsg. vom Institut für Kriminalwissenschaften und
Rechtsphilosophie, Frankfurt a.M. 2007, S. 135; siehe ferner
Ingeborg Zerbes, Spitzeln, Spähen, Spionieren, Wien/New York
2010, S. 244 f.
[10]
Siehe Oberholzer (Fn. 2), S. 227; ferner aus deutscher Sicht Mark
A. Zöller, Heimliche und verdeckte Ermittlungsmassnahmen im
Strafverfahren, ZStW 2012, S. 416.
[11]
Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (SR 312.0).
[12]
Vgl. dazu den Überblick bei Mark Pieth, Schweizerisches
Strafprozessrecht, 3. Aufl., Basel 2016, S. 248 ff., mit
zahlreichen Literaturangaben.
[13]
Pieth (Fn. 12), S. 134.
[14]
Allgemein dazu Pieth (Fn. 12), S. 160 ff. und Sabine Gless,
Heimliche Ermittlungsmassnahmen im Schweizer Strafprozess, ZStW
2012, S. 440 ff.
[15]
Siehe auch Oberholzer (Fn. 2), S. 228; im gleichen Sinne für
Deutschland Edda Wesslau, Waffengleichheit mit dem
«Organisierten Verbrechen»?, KritV 1997, S. 241.
[16]
Mark Pieth, Vom Inquisitionsprozess direkt zum postmodernen
Kontrollmodell?, in: Festschrift für Stefan Trechsel, hrsg.
von A. Donatsch/M. Forster/C. Schwarzenegger, Zürich 2002, S.
428; ebenso Anna Coninx/Martino Mona, Strafprozessualer Zwang und
positive Schutzpflichten - Verbrechensverhütung als
Legitimation von Zwangsmassnahmen, ZStrR 2017, S. 1 f. - Ferner aus
polizeilicher Sicht Christiane Lentjes Meili, Präventiv oder
Repressiv?, in: Liber amicorum für Andreas Donatsch, hrsg. von
A. Cavallo u.a., Zürich/Basel/Genf 2012, S. 437 ff.
[17]
Zerbes (Fn. 9), S. 298.
[18]
Vgl. auch Hassemer (Fn. 6), S. 156 f. und Zerbes (Fn. 9), S. 297.
[19]
Peter Albrecht, Strafrecht ohne Recht?, ZStrR 2013, S. 392;
zustimmend Coninx/Mona (Fn. 16), S. 1 f.
[20]
Ingeborg Zerbes, Geheime Überwachung im Strafprozess:
Sicherheitsgefühl vor Freiheit?, in: Gedenkschrift für
Edda Wesslau, hrsg. von F. Herzog/R. Schlothauer/W. Wohlers, Berlin
2016, S. 468, unter Hinweis auf Wesslau.
[21]
Lehrreich dazu Coninx/Mona (Fn. 16), S. 5 ff.:
«Schutzbedürfnisse der Mehrheit und Freiheitsrechte der
Minderheit».
[22]
Siehe statt vieler Niklaus Schmid/Daniel Jositsch, Handbuch des
schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl., Zürich/St.
Gallen 2017, N 6. - Im Übrigen gilt ebenso das Umgekehrte, was
bedeutet, dass das materielle Recht durchaus auch der
Verwirklichung des Prozessrechts «dient» (zutreffend
Krauss [Fn. 3], 3 ff.). Als ein für unseren Zusammenhang
(siehe hinten Ziff. III/3) instruktives Beispiel sei das Urteil
BGE 131 IV 100
erwähnt, wo die Bedürfnisse einer verdeckten Ermittlung
den materiell-rechtlichen Entscheid über den Beginn eines
strafbaren Versuchs in bedenklicher Weise steuerten (sehr kritisch
dazu Peter Albrecht, Sexuelle Handlungen mit Kindern: Versuch oder
Vorbereitung, AJP 2005, S. 751 ff., insb. S. 755 f.).
[23]
Winfried Hassemer, Einführung in die Grundlagen des
Strafrechts, 2. Aufl., München 1990, S. 119.
[24]
Siehe auch Niklaus Oberholzer, Grundzüge des
Strafprozessrechts, 3. Aufl., Bern 2012, N 3; ferner
ausführlich Klaus Ferdinand Gärditz, Strafprozess und
Prävention, Tübingen 2003, S. 52 ff.
[25]
Vgl. Zerbes (Fn. 9), S. 244 ff. und Gärditz (Fn. 24), S. 60
ff.
[26]
Siehe auch
BGE 140 I 353
E. 5.1 S. 360; weiterführend dazu sogleich Ziff. II/2/a.
[27]
Kurt Seelmann/Christopher Geth, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6.
Aufl., Basel 2016, N 47.
[28]
Hassemer (Fn. 23), S. 119.
[29]
Siehe Oberholzer (Fn. 24), N 9; vgl. auch Gärditz (Fn. 24), S.
73 ff.
[30]
Judith Natterer, Die Verwertbarkeit von Zufallsfunden aus der
Telefonüberwachung im Strafverfahren, Bern 2001, S. 3.
[31]
In diesem Sinne statt vieler z.B. Wolfgang Wohlers, Kommentar zur
Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), hrsg. von A. Donatsch/Th. Hansjakob/V. Lieber, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 6 N 2.
[32]
Pieth (Fn. 12), S. 3.
[33]
Hassemer (Fn. 23), S. 136.
[34]
Allgemein zur gebotenen «Bremse des Verfahrens» Niklaus
Ruckstuhl/Volker Dittmann/Jörg Arnold, Strafprozessrecht,
Zürich/Basel/Genf 2011, N 110 ff.
[35]
Coninx/Mona (Fn. 16), S. 1.
[36]
Ausführlich zur theoretischen Begründung Detlef Krauss,
Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren, in:
Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, hrsg. von H.
Müller-Dietz, Köln etc. 1971, S. 167 ff.; vgl. auch Fabio
Manfrin, Ersatzmassnahmenrecht zur Schweizerischen
Strafprozessordnung, Zürich/Basel/Genf 2014, S. 24 ff.
[37]
Zerbes (Fn. 9), 244.
[38]
Ulrich Weder, Die gefährliche beschuldigte Person und die
Wiederholungs- und Ausführungsgefahr, ZStrR 2014, S. 368 f.;
ferner
BGE 143 IV 9
E. 2.2 S. 11.
[39]
In diesem Sinne mit Blick auf das deutsche Recht kritisch Hassemer
(Fn. 9), S. 109 f.
[41]
Siehe Anna Coninx, Haft wegen Ausführungsgefahr - Notwendige
Beschränkung einer hybriden Rechtsfigur zwischen
Strafprozessrecht und Polizeirecht, ZSR 2016 I, S. 387 f. und
Adrian Dumitrescu, Die Präventivhaft nach Art. 221 Abs. 2
StPO, AJP 2015, S. 449 ff.
[42]
Weder (Fn. 38), S. 369 f. und Dumitrescu (Fn. 41), S. 447 f.
[43]
BGE 139 IV 121
E. 4.6 S. 125 f., unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR. -
Grundlegend zur Problematik der positiven Schutzpflichten im Rahmen
der prozessualen Zwangsmassnahmen Coninx/Mona (Fn. 16), S. 3 ff.
[44]
Hassemer (Fn. 9), S. 111.
[45]
Siehe Hans-Ullrich Paeffgen, in: Systematischer Kommentar zur
Strafprozessordnung, hrsg. von J. Wolter, 5. Aufl., Köln 2016,
Rn 12 vor §§ 112 ff.
[46]
Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21.
Dezember 2005 (BBl 2006 1085), S. 1229.
[47]
Pieth (Fn. 12), S. 143.
[49]
Ebenfalls skeptisch Niklaus Schmid, Zum Haftgrund der
Wiederholungs- und Fortsetzungsgefahr in der neueren
schweizerischen Strafprozessentwicklung, SJZ 1987, S. 228.
[52]
Siehe etwa Andreas Eicker, Zur bundesgerichtlichen Interpretation
des Haftrechts contra legem, in: Festschrift für
Martin Killias, hrsg. von A. Kuhn u.a., Bern 2013, S. 980 ff.;
Manfrin (Fn. 36), S. 42 ff. und 151 ff.; Andreas Donatsch/Eliane
Hiestand, Wortlaut des Gesetzes oder allgemeine Rechtsprinzipien
bei der Auslegung der StPO, ZStrR 2014, S. 10 ff.
[56]
Botschaft (BBl 2006, Fn. 46), S. 1229.
[57]
Siehe Coninx/Mona (Fn. 16), S. 2.
[59]
Ein Verstoss gegen die Verfassung liegt in der fehlenden Kompetenz
des Bundes zum Erlass von Polizeigesetzen; siehe Pieth (Fn. 12), S.
145, mit Literaturhinweisen.
[60]
Nachweise vorne in Fn. 38.
[61]
Im gleichen Sinne Martin Seelmann, Präventive Strafverfolgung
- ein notwendiges Oxymoron?, in: Prävention und freiheitliche
Rechtsordnung, hrsg. von A. Coninx/G. Ege/J. Mausbach,
Zürich/St. Gallen 2017, S. 113; Matthias Härri,
Auswirkungen der Unschuldsvermutung auf das Recht der
Untersuchungshaft, AJP 2006, S. 1219; Manfrin (Fn. 36), S. 142 f.
[62]
Ähnlich auch die Kritik von Härri (Fn. 61), S. 1219.
[63]
So zur Fortsetzungs- oder Wiederholungsgefahr Botschaft
(BBl 2006, Fn. 46), S. 1229 und
BGE 143 IV 9
E. 2.2 S. 12; ferner zur Ausführungsgefahr z.B. Pieth
(Fn. 12), S. 145.
[64]
Zerbes (Fn. 9), S. 243.
[65]
Zerbes (Fn. 9), S. 244.
[66]
Immerhin verlangt aber Dumitrescu (Fn. 41), S. 452 und 454,
für Art. 221 Abs. 2 eine unmittelbare Gefahr der
Tatausführung.
[67]
Anschaulich Coninx (Fn. 41), S. 391 ff.
[68]
Coninx (Fn. 41), S. 388.
[69]
Vgl. die zahlreichen Hinweise bei Schmid/
Jositsch (Fn. 22), N 1024 ff.
[71]
Urteil des Bundesgerichts 6B_990/2013 vom 10. Juni
2014, E. 2.3., mit Praxishinweisen; ebenso Markus Hug/Alexandra
Scheidegger, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung
(StPO), hrsg. von A. Donatsch/Th. Hansjakob/V. Lieber, 2. Aufl.,
Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 221 N 44; kritisch hingegen
Coninx (Fn. 41), S. 394 f. sowie Coninx/Mona (Fn. 16), S. 8 f. und
11 f.
[73]
Ebenso Manfrin (Fn. 36), S. 147 und 150 f.
[74]
Das gilt erst recht, falls man erhöhte Anforderungen an die
Gefahr stellt, etwa eine Unmittelbarkeit derselben (vorne Fn. 66)
oder eine sehr ungünstige Prognose (vorne Ziff. III/2/d/aa)
fordert.
[75]
Paeffgen (Fn. 45), § 112a, Rn 9, der hier etwas polemisch von
«Prognosen» spricht, «die zumeist nur wenig von
Kaffeesatzleserei entfernt sind».
[76]
Allgemein zu den hohen Fehlerquoten der Kriminalprognosen und zur
Überschätzung der Rückfallgefahr Karl-Ludwig
Kunz/Tobias Singelnstein, Kriminologie, 7. Aufl., Bern 2016, §
21, Rn 27 ff.
[78]
Im Übrigen wäre es gewiss lohnend, die richterliche
Auseinandersetzung mit (im Verfahren bereits vorliegenden)
Gutachten bzw. Vor- oder Kurzgutachten einmal vertieft zu
überprüfen. Mir erscheint es jedenfalls, dass das
Bundesgericht tendenziell stark bestrebt ist, aus den
psychiatrischen Stellungnahmen ungünstige Prognosen
herauszulesen: illustrativ z.B.
BGE 143 IV 9
E. 3.3 ff. S. 18 ff. und Urteil des Bundesgerichts 1B_487/2017 vom 1.
Dezember 2017, E. 3.6 ff.
[79]
BGE 140 IV 19
E. 2.1.1 S. 22 und Urteil des Bundesgerichts 6B_990/2013 vom 10. Juni
2014, E. 2.3; kritisch dazu Coninx/Mona (Fn. 16), S. 11 f.; Coninx
(Fn. 41), S. 391; Seelmann (Fn. 61), S. 119.
[80]
So z.B. im Urteil des Bundesgerichts 6B_990/2013 vom 10. Juni
2014, E. 2.4.4, betr. Art. 221 Abs. 2; vgl. ausserdem das Urteil
des Bundesgerichts 1B_174/2013 vom 27. Mai
2013, E. 3.6.
[81]
Ebenfalls kritisch in diesem Punkt Hug/Scheidegger (Fn. 71), Art.
221 N 39b; ähnlich auch Manfrin (Fn. 36), S. 148.
[82]
Ähnlich auch Coninx/Mona (Fn. 16), S. 12.
[83]
So z.B. Pieth (Fn. 12), 181 und Tanja Knodel, in: Basler Kommentar,
Schweizerische Strafprozessordnung, hrsg. von M.A. Niggli/M.
Heer/H. Wiprächtiger, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 285a
N 1, mit Hinweisen; ferner Zerbes (Fn. 20), S. 466.
[84]
Siehe insb. Pieth (Fn. 12), S. 177 und Sabine Gless,
Strafverfolgung im Internet, ZStrR 2012, S. 16; weiterführend
dazu Frank Meyer, Das zulässige Mass beim Zwang - Grenzen
zulässigen Verhaltens bei verdeckter Fahndung und Ermittlung,
ZStrR 2016, S. 453 ff.
[86]
Pieth (Fn. 12), S. 161.
[87]
So deutlich Oberholzer (Fn. 2), S. 229 ff.
[88]
Peter Albrecht, «Veruntreuungsfalle» - eine verdeckte
Ermittlung?, AJP 2012, S. 131, mit Literaturhinweisen.
[89]
Siehe Bericht der Kommission für Rechtsfragen des
Nationalrates vom 3. Februar 2012 zur parlamentarischen Initiative,
Präzisierung des Anwendungsbereichs der Bestimmungen über
die verdeckte Ermittlung (BBl 2012 5591), S. 5591 ff. und 5603 ff.
sowie Lentjes Meili (Fn. 16), S. 450.
[90]
Vgl. Thomas Hansjakob, Die neuen Bestimmungen zu verdeckter
Fahndung und Ermittlung, forumpoenale 2013, S. 221 f.
[91]
Ebenfalls skeptisch Pieth (Fn. 12), S. 181.
[92]
So etwa dezidiert Lentjes Meili (Fn. 16), S. 439.
[93]
Zur verdeckten Ermittlung Botschaft (BBl 2006, Fn. 46), S. 1256 und
zur verdeckten Fahndung Bericht (BBl 2012, Fn. 89), S. 5596.
[96]
Vgl. Hassemer (Fn. 9), 118; ferner daran anschliessend Zerbes (Fn.
9), 248.
[97]
Siehe
BGE 140 I 353
E. 5.5.2 S. 363 sowie Knodel (Fn. 83), Art. 286 N 17a und Art. 298 b N 6.
[98]
Vorne Ziff. III/2/b.
[99]
So im Kanton Zürich § 32e Abs. 1 des Polizeigesetzes (PolG, 550.1); ähnlich auch z.B. im Kanton SG §§ 52quater und 52septies des Polizeigesetzes ( PG, 451.1) oder im Kanton
Basel-Stadt §§ 33a Abs. 1 und 33b Abs. 1 des
Polizeigesetzes (PolG, 510.100).
[100]
Dazu Pascal Ronc/Sandra van der Stroom, Das Ende der verdeckten
Ermittlung im Internet - Besprechung des Urteils
BGE 143 IV 27, forumpoenale 2017, S. 346.
[101]
Siehe vorne Ziff. III/2/c/bb.
[102]
Siehe vorne Ziff. III/2/c/bb.
[103]
Siehe vorne Ziff. III/3/b.
[104]
Sehr instruktiv dazu Denninger (Fn. 8), S. 90 und Zerbes (Fn. 9)
246.
[105]
Parallel dazu steht auf der materiell-rechtlichen Ebene die
Forderung nach einem fragmentarischen Strafrecht.