Persönlichkeitsverletzung durch eine
Medienkampagne
Kommentar zu BGE 143 III 297 (Hirschmann II)
Bettina Bacher
In einem neuen Grundsatzurteil hat das Bundesgericht erstmals eine
Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne
festgestellt. Der vorliegende Aufsatz stellt Tatbestandsmerkmale,
Rechtfertigungsgründe und Rechtsfolgen einer solchen
Persönlichkeitsverletzung dar und ordnet den Entscheid in
einen grösseren Kontext ein.
I. Einleitung
Die Rechtsstreitigkeiten rund um Carl Hirschmann beschäftigen die
Gerichte schon seit Langem. Das Verfahren wurde deswegen auch als
«Monsterprozess» bezeichnet.[1]
Anfang Juni 2017 hat das Bundesgericht nun ein weiteres Urteil
gefällt.[2]
Es äusserte sich darin ein zweites Mal zu
persönlichkeitsverletzenden Medienberichten, die insbesondere im
Zusammenhang mit der Verhaftung von Carl Hirschmann im November 2009
veröffentlicht wurden (vgl. zum Sachverhalt unten II.). Das Urteil
führte in ersten Einschätzungen bereits zu kontroversen
Diskussionen. Schwaibold, seinerseits häufiger Vertreter der
Medienseite (allerdings nicht in diesem Verfahren), bezeichnete es als
«Katastrophe».[3]
Anderer Ansicht war Glasl, Vertreter der Klägerseite im vorliegenden
Verfahren, in seiner Replik auf diese Urteilsbesprechung.[4]
In
Hirschmann I
setzte sich das Bundesgericht zu einem grossen Teil mit
verfahrensrechtlichen Fragestellungen auseinander. In Bezug auf den
zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz bot der Entscheid nicht viel
Neues. In
Hirschmann II
erfolgten hingegen einige interessante Weiterentwicklungen im Bereich des
zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes. Insbesondere hielt das
Bundesgericht fest, die Beklagten hätten durch eine Medienkampagne die
Persönlichkeit des Klägers verletzt. Die vorliegende Untersuchung
beschäftigt sich mit den Tatbestandsmerkmalen, der Rechtfertigung und
den Rechtsfolgen der «Persönlichkeitsverletzung durch eine
Medienkampagne» und unternimmt den Versuch, diese Punkte zu
verallgemeinern. Nicht behandelt werden hingegen die Erwägungen zur
Gewinnherausgabe. Sie verdienten eine eigene Untersuchung, zumal aus
verfahrensrechtlicher Sicht.
II. Sachverhalt und Zusammenfassung der Erwägungen
1. Sachverhalt und Prozessgeschichte
Carl Hirschmann (nachfolgend: der Kläger) ist Unternehmer und leitete
bis Ende 2010 einen Club in Zürich. Er verklagte am 24. Februar 2011
die Unternehmen Tamedia AG, 20 Minuten AG, 20 Minutes Romandie SA sowie
Espace Media AG vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich und machte
eine Verletzung der Persönlichkeit durch die Berichterstattung der
Beklagten geltend. Im Vordergrund stand die Berichterstattung über die
Verhaftung des Klägers am 3. November 2009 (er wurde am 6. November
2009 wieder entlassen). Hauptsächlich ging es um Zeitungsberichte,
daneben auch um Beiträge des Fernsehsenders TeleZüri und des
Radiosenders Radio 24 sowie Veröffentlichungen auf den
Online-Newsportalen der Beklagten. Die Berichte betrafen angebliche
Sexualdelikte des Klägers, angebliche Erpressungen, Nötigungen,
Drohungen, Freiheitsberaubungen, angebliche physische Gewalt insbesondere
gegenüber Frauen sowie angebliche Charakterschwächen,
sittenwidriges Verhalten oder psychische Krankheit.[5]
Dabei sei der Kläger mit vollem Namen genannt worden. Darüber
hinaus rügte der Kläger, durch die Verlinkung der zahlreichen
Berichte, Videos und Radiobeiträge hätten die Beklagten eine
Medienkampagne gegen ihn geführt.
Der Kläger verlangte einerseits die Feststellung einer
widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung und das Verbot einer
Weiterverbreitung der beanstandeten persönlichkeitsverletzenden
Inhalte. Andererseits beantragte er die zweimalige Veröffentlichung
des Urteilsdispositivs, die Löschung sämtlicher
persönlichkeitsverletzender Inhalte auch aus sämtlichen Archiven
und Internetsuchmaschinen (Google, inkl. Google-Index und Google-Cache).
Darüber hinaus forderte er Schadenersatz, Genugtuung und Herausgabe
des Gewinns, den die Beklagten mit den Berichten bzw. der Medienkampagne
gemacht hätten.
Das Handelsgericht Zürich hiess die Klage am 26. Juni 2014 teilweise
gut, verneinte aber die eingeklagten Persönlichkeitsverletzungen
mehrheitlich und wies die Begehren um Schadenersatz, Genugtuung und
Gewinnherausgabe ab. Der Kläger wandte sich daraufhin an das
Bundesgericht, das die Beschwerde am 6. Mai 2015 teilweise guthiess und die
Sache zur Neubeurteilung an das Handelsgericht zurückwies (Hirschmann I). Das Handelsgericht fällte am 8. Februar 2016 ein neues Urteil, das
der Kläger wiederum vor Bundesgericht anfocht. Dieses hiess die
Beschwerde des Klägers am 6. Juni 2017 teilweise gut und wies die
Sache erneut an das Handelsgericht Zürich zurück (Hirschmann II).
2. Erwägungen
Der Kläger verlangte die Feststellung, dass die Beklagten «durch
ihre Berichte (Artikel, Bilder, Videos, Radiosendungen; jeweils unter
voller Namensnennung) und deren permanente Verlinkung» in 9 Medien
(print und online) eine «eigentliche Medienkampagne» gegen ihn
geführt haben und ihn damit widerrechtlich in seiner
Persönlichkeit verletzt haben. Das Bundesgericht geht vom Zeitraum vom
4. November 2009 bis zum 2. Oktober 2010 aus.[6]
Die genaue Anzahl Berichte, um die es dabei geht, bleibt jedoch unklar; die
Rede ist von 120 bis 140 Berichten. Jedenfalls handelt es sich um eine
Vielzahl von Berichten, wobei teilweise täglich mehrere Berichte
über den Kläger veröffentlicht worden seien. Dies erfolgte
über verschiedene Medien, d.h. über Zeitungen, Online-Medien,
Newsportale, Radio und Fernsehsender, wobei die Berichte teilweise
miteinander verlinkt wurden. Insgesamt könne der
«Medienhype» als präzedenzlos erachtet werden, der Fall sei
geradezu medial ausgeschlachtet worden.[7]
Das Bundesgericht beurteilte diese Vorgänge gesamthaft als
Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne. Es beginnt in E.
6.4.1 mit grundlegenden Ausführungen zur Persönlichkeit als
«Gesamtheit des Individuellen». Die persönlichen
Verhältnisse erfassten nicht nur die Person selbst, sondern auch
Tatsachen der körperlichen und gesellschaftlichen Aussenwelt, die
Persönlichkeit sei also ein gesellschaftlicher Beziehungsbegriff.
Weiter hält das Gericht in E. 6.4.2 fest, das
Persönlichkeitsrecht verschaffe seinem Träger die Befugnis,
über die persönlichen Güter grundsätzlich frei von
fremder Einwirkung, wie z.B. Presseäusserungen, zu herrschen.
Vorliegend seien die Persönlichkeitsgüter der Privatsphäre
und der Ehre «berührt», wodurch eine
Persönlichkeitsverletzung gegeben sein könne, selbst wenn die
Berichterstattung die Wahrheit wiedergebe. Ausschlaggebend sei nicht der
Wahrheitsgehalt oder die Objektivität medialer Äusserungen,
sondern ob die Berichte in die Geheim- oder Privatsphäre eingreifen
oder die betroffene Person auf unzulässige Weise in ihrem Ansehen
herabsetzen. Das gelte auch in Bezug auf die Unschuldsvermutung. Jede
allein von ihrem Gegenstand her erlaubte Presseäusserung finde ihre
Grenze im Recht des Einzelnen auf Achtung der Privatsphäre, denn
dieser brauche sich eine dauernde Beobachtung nicht gefallen zu lassen.
Jeder solle innerhalb gewisser Grenzen selbst bestimmen dürfen, wer
was über ihn wisse und was über ihn im Verborgenen bleiben solle.
Von diesem legitimen Diskretionsbedürfnis seien Publikationen
beliebiger Art erfasst, die «einen im Einzelfall zu konkretisierenden
schutzwürdigen Bereich des Privaten nicht respektieren», nicht
nur solche, die das Ansehen einer Person in der Öffentlichkeit
beeinträchtigten. So schütze die informationelle Privatheit in
einem weiten Sinne überall dort, wo der Einzelne durch eine Wiedergabe
von Informationen in seiner Persönlichkeit tatsächlich und
spürbar beeinträchtigt werde.
In E. 6.4.3 beschäftigt sich das Gericht mit dem
persönlichkeitsverletzenden Verhalten. Die Verletzung könne in
einem Tun, Dulden oder Unterlassen bestehen, in der Form eines einmaligen
Aktes, von Wiederholungshandlungen oder eines Zustandes erfolgen und das
Medium sei unerheblich. Erforderlich sei eine gewisse Intensität. Zu
beachten sei bezüglich Presseäusserungen, dass diese einen
ungleich grösseren Personenkreis erreichten als private
Äusserungen und auch später erneut zur Kenntnis genommen werden
könnten. So verschiebe sich die Grenze zwischen Gemein- und
Privatbereich zugunsten des von einer Presseäusserung Betroffenen.
Gerade heutzutage liessen sich selbst harmlose Informationen zu einem
schützenswerten Persönlichkeitsprofil verdichten.
In E. 6.5 kommt das Bundesgericht zu seinen Schlussfolgerungen in casu.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sei das Vorliegen einer
persönlichkeitsverletzenden Berichterstattung nicht alleine daran zu
messen, welchen Anschein diese beim Durchschnittsleser unter dem
Blickwinkel des Wahrheitsgehalts oder der Unschuldsvermutung erweckten.
«Losgelöst von diesen Prüfungskriterien» rühre
das, was vorgefallen sei (d.h. der präzedenzlose Medienhype) an das
Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seiner informationellen
Privatsphäre. Trotz der Stellung des Klägers als
Boulevard-Prominenter sprenge die Medienkampagne den Rahmen dessen, was
dieser sich gefallen lassen müsse. Die vorinstanzliche Feststellung,
dass die Medien in überdurchschnittlicher Intensität berichtet
und sich regelrecht auf das Ereignis gestürzt hätten, lasse
keinen anderen Schluss zu, als dass die Beklagten den Beschwerdeführer
in seiner Persönlichkeit verletzt hätten, indem sie ihn seines
privaten Herrschaftsrechts beraubten, selbst darüber zu bestimmen,
welche Informationen die Öffentlichkeit über sein Leben erfahren
soll. Selbst wenn sie in Bezug auf das laufende Verfahren objektiv keinen
falschen Eindruck erweckt haben sollten, hätten die Berichte
Begebenheiten und Ereignisse aus dem Leben des Klägers preisgegeben in
einer Weise, die einer «übermässigen Einmischung in die
Individualität» gleichkomme und den Kläger in den Augen des
Durchschnittskonsumenten blossstelle.
Das Bundesgericht prüft die Rechtfertigung in E. 6.7. Das Gericht
hält in E. 6.7.2 fest, dass ein Interesse einer weiteren
Öffentlichkeit am Milieu, in dem der Kläger in Erscheinung
getreten sei, unbestritten vorliege. Zwar können nach E. 6.7.3 auch
Sensationsberichte, mit denen ein Boulevardblatt oder ein Lokalfernsehen
seinem Publikum die Zeit vertreibe, im «öffentlichen
(Unterhaltungs-)Interesse» liegen. Falls sich eine skandalisierende Berichterstattung
aber als persönlichkeitsverletzend erweise, stelle sich die Frage, ob
«ein reines Unterhaltungsbedürfnis im Streit unter Privaten, das
heisst nach privatrechtlichen Massstäben» das Interesse des
Verletzten auf Achtung seiner Privatsphäre mindestens aufwiege. Bei
dieser Abwägung komme der reinen Unterhaltung als öffentlichem
Interesse nicht das Gewicht des Informierens zu, «verstanden als
aufklärendes Vermitteln von Neuigkeiten aus verschiedensten Bereichen
des Allgemeininteresses». «Je weiter die reine Unterhaltung als
von den Medien bedientes Bedürfnis in den Vordergrund rückt,
desto schwerer fällt es, ein (überwiegendes) öffentliches
Interesse anzunehmen.»
Im konkreten Fall erblickt das Bundesgericht kein nennenswertes
Informationsbedürfnis, da es bei der Medienkampagne nicht darum
gegangen sei, dem Publikum Klarheit über den Fortgang des
Strafverfahrens zu verschaffen, sondern darum sich am Medienrummel zu
beteiligen, indem eine Vielzahl von Berichten zum immer gleichen Thema
publiziert wurde. Diese Art der Berichterstattung vermöge die
Persönlichkeitsverletzung des Klägers nicht aufzuwiegen. Ein
wirtschaftliches (privates) Interesse der Beklagten ist nach Ansicht des
Bundesgerichts ebenfalls erstellt; ob dieses als Rechtfertigungsgrund
dienen kann, bleibt in E. 6.7.4 aber offen. Im Ergebnis stellt das
Bundesgericht die Persönlichkeitsverletzung fest.
Der Kläger erhebt weiter eine Beseitigungsklage. Die Artikel, die
Bestandteil der Medienkampagne gewesen seien, seien weiterhin im Internet
verfügbar, wodurch der Störungszustand fortbestehe. Das
Bundesgericht führt in E. 7.4.2 aus, der Kläger schiesse am Ziel
vorbei, wenn er mit seinem Beseitigungsanspruch eine Vielzahl
unspezifizierter Medienberichte ins Visier nehme, denn «die
Persönlichkeitsverletzung, gegen die sich sein allfälliger
Beseitigungsanspruch richten würde, ist die Medienkampagne
selbst». Dass sich die damaligen Medienberichte heute noch abrufen
lassen, bedeute nicht, dass auch der damals entbrannte Medienhype nach wie
vor andauere und damit eine bestehende Persönlichkeitsverletzung im
Sinne von
Art. 28a Abs. 1 Ziff. 2 ZGB
vorliege. Der Kläger könne nicht «auf einen Streich und ohne
weitere Begründung» sämtliche Medienberichte aus der Welt
schaffen, die in seinen Augen sein Recht auf Privatleben
beeinträchtigten. Das Gericht weist deswegen die Beseitigungsklage ab.
III. Medienkampagne als Persönlichkeitsverletzung - Versuch der Verallgemeinerung
Soweit ersichtlich ist die Persönlichkeitsverletzung durch eine
Medienkampagne eine Premiere in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Mit
Blick auf den konkreten Fall mag das Urteil grundsätzlich stimmig
erscheinen. Seine Bedeutung und Einordnung hängen indes davon ab, ob
eine tragfähige Verallgemeinerung gelingt. Dies wird nachfolgend in
Bezug auf die drei zentralen Aspekte versucht: die Tatbestandsmerkmale
für das Vorliegen einer Persönlichkeitsverletzung durch eine
Medienkampagne, allfällige Rechtfertigungsgründe und schliesslich
mögliche Rechtsfolgen, wobei ich mich auf die negatorischen Klagen
beschränke.
1. Tatbestandsmerkmale
Das Bundesgericht hält die Tatbestandsmerkmale einer
Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne abstrakt nicht
ausdrücklich fest; vielmehr müssen sie aus den verschiedenen
Erwägungen herausgefiltert werden. So dürfte eine
Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne vorliegen, wenn
(1) über einen längeren Zeitraum (2) mit relativ hoher
Intensität (3) zu einer bestimmten Person Medienberichte mit einem
engen thematischen Fokus publiziert werden und (4) diese dadurch
tatsächlich und spürbar in ihrer Persönlichkeit
beeinträchtigt wird. Zentral ist, bei der Formulierung der
Tatbestandsmerkmale nicht bereits eine wertende Abwägung vorzunehmen.
Denn diese gehört zur Rechtfertigung einer
Persönlichkeitsverletzung.
a) Berichterstattung über einen längeren Zeitraum
Festzustehen scheint zunächst, dass eine Medienkampagne nur vorliegen
kann, wenn über einen längeren Zeitraum berichtet wird.
Vorliegend geht das Bundesgericht davon aus, dass der Medienhype knapp 11
Monate angedauert hat.[8]
Ganz allgemein dürfte von einem längeren Zeitraum - und damit von
einer Medienkampagne - erst die Rede sein, wenn sich die fragliche
Berichterstattung zumindest über mehrere Wochen, eher aber Monate
hinzieht. Daraus ergibt sich umgekehrt, dass eine kurzzeitige intensive
Berichterstattung, wie sie in den Medien häufig stattfinden
dürfte, noch keine Medienkampagne darstellt.
b) Hohe Intensität der
Berichterstattung
Weiter ist die hohe Intensität der Berichterstattung ein zentrales
Element für das Vorliegen einer Medienkampagne. Im zu beurteilenden
Sachverhalt wurden teilweise mehrmals täglich weitere Berichte
veröffentlicht. Die konkrete Anzahl der Berichte, die Teil der
Kampagne sein sollen, bleibt aber offen, obwohl dies für eine
Einschätzung der Intensität über die Zeitdauer durchaus
interessant wäre. Es ist aber davon auszugehen, dass diese Berichte
zeitweilig zu einer prägenden Medienpräsenz des Klägers
führten, indem täglich von ihm die Rede war.
Unerheblich scheint für das Bundesgericht, wo die Berichte platziert
waren (Frontseite etc.). Ebenfalls unklar ist, ob die Berichterstattung
während des gesamten Zeitraums von gleichbleibender Intensität
war. Sollte die Zahl von 140 Berichten zutreffen, liesse dies darauf
schliessen, dass während der 11 Monate nicht täglich mehrere neue
Berichte publiziert wurden. Das Urteil bleibt in diesem Punkt relativ vage.
So bleibt es schwierig zu definieren, wann eine Berichterstattung die
Schwelle der hohen Intensität überschreitet und zur
Medienkampagne wird. Die hohe Intensität ist ein rein quantitatives
Kriterium. Wendet man es völlig losgelöst vom Inhalt der
Berichterstattung an, wird nicht genügend berücksichtigt, dass
Medien oftmals über einen längeren Zeitraum einen bestimmten
Sachverhalt und dessen Entwicklung verfolgen. So wäre es seltsam, wenn
beispielsweise die Berichterstattung über ein Unglück, die
komplizierte Suche nach dessen Opfern und deren weiteres Schicksal, die
sich über längere Zeit hinzieht, als Kampagne betrachtet
würde. Deswegen reicht dieses Kriterium alleine noch nicht aus, um
eine Kampagne festzustellen.
Das Bundesgericht geht nicht darauf ein, ob die Kampagne, wie der
Kläger geltend gemacht hatte, durch die Verlinkung der verschiedenen
Berichte ausgelöst oder zumindest mitausgelöst wurde. Die
Verlinkung ist damit kein entscheidendes Kriterium für das Vorliegen
einer Kampagne. Das erscheint zutreffend. Andernfalls würde
nämlich bald jede Online-Berichterstattung zur Kampagne, weil es
heutzutage zum Standard gehört, Berichte zu einem Thema miteinander zu
verlinken oder ein Online-Dossier anzulegen. Massgebend muss daher die
regelmässige erneute Publikation von Berichten sein. Darunter kann
aber auch das Aktualisieren oder Wiederverwerten bestehender Artikel
fallen, z.B. indem diese erneut auf der Frontseite oder am Anfang einer
Website platziert werden.
c) Personenberichterstattung mit engem thematischem Fokus
Damit eine Medienkampagne vorliegt, muss die fragliche Berichterstattung
über eine Person inhaltlich einen relativ engen Fokus aufweisen. Im
vorliegenden Sachverhalt konzentrierte sich die Berichterstattung auf den
Kläger und seine Verhaftung, d.h. ein paar wenige, eng
zusammenhängende Themenkreise. Beide Aspekte dürften
gleichermassen relevant sein. Allein weil regelmässig über eine
bestimmte Person berichtet wird, kann noch keine Kampagne vorliegen; man
denke nur an Bundesräte oder Sportler. Vielmehr muss sich die
Berichterstattung zu einer Person wiederholt auf einen bestimmten
Sachverhalt oder eine eng umrissene Thematik beziehen. Allerdings zeigen
sich rasch Abgrenzungsschwierigkeiten, beispielsweise wenn regelmässig
über einen bestimmten Aspekt einer Person, wie ihre Frisur, berichtet
wird. So wäre es fragwürdig, wenn regelmässige Berichte
über die neueste Frisur einer Schauspielerin als Kampagne betrachtet
würden.
In Bezug auf dieses Kriterium muss hingegen irrelevant bleiben, ob an den
Inhalten der Kampagne bzw. an einer fraglichen Information überhaupt
ein Interesse besteht oder ob sie z.B. lediglich der Unterhaltung dienen.
Diese Frage ist erst bei der Interessenabwägung zur Rechtfertigung
einer Persönlichkeitsverletzung zu prüfen. Sie kann daher nicht
zugleich als Begründung für das Bestehen einer
Persönlichkeitsverletzung herangezogen werden. Es geht mithin nicht
darum, das Informationsinteresse zu prüfen, sondern festzustellen, ob
zwischen den fraglichen Beiträgen ein genügend enger inhaltlicher
Zusammenhang besteht, um von einer Kampagne zu sprechen.
d) Tatsächliche und spürbare Beeinträchtigung der Persönlichkeit
Die persönlichkeitsverletzende Qualität, welche das Bundesgericht
in der Medienkampagne erblickt, macht es an einer Verletzung der Befugnis
fest, über die persönlichen Güter grundsätzlich frei
von fremder Einwirkung zu herrschen.[9]
Dabei spricht das Bundesgericht zwar vom Recht auf Achtung der
Privatsphäre. Aber es versteht diese nicht im Sinne der
Sphärentheorie, wonach Informationen abhängig von ihrer Nähe
zu einer Person verschiedenen Sphären zugeordnet werden.[10]
Demnach ist der Schutz umso umfassender, je persönlichkeitsnäher
eine Information ist: die Gemeinsphäre ist kaum geschützt, die
Privat- und v.a. die Geheimsphäre hingegen intensiv. Sowohl der Schutz
als auch der Eingriff richten sich nach relativen Kriterien.
Vorliegend versteht das Bundesgericht die Achtung der Privatsphäre
hingegen im Sinne der informationellen Selbstbestimmung. Sie gewährt
grundsätzlich ein individuelles Selbstbestimmungs- und
Herrschaftsrecht über persönliche Informationen. Dieses gilt
unabhängig vom Inhalt und damit auch von der
Persönlichkeitsnähe der fraglichen Informationen. Der Schutz ist
mithin nicht relativ, so dass sich auch der Eingriff nicht nach relativen
und damit inhaltsbezogenen Kriterien bestimmt. Vielmehr liegt in jeder
fremden Einwirkung, d.h. in jeder Beeinträchtigung des
persönlichen Herrschaftsrechts, zugleich ein Eingriff. Diese
Konstruktion liegt dem Datenschutzgesetz zugrunde.[11]
Jede Bearbeitung stellt aus dieser Perspektive grundsätzlich ein
Eingriff dar, der eines Rechtfertigungsgrundes bedarf.
Allerdings ist das Konzept der informationellen Selbstbestimmung
umstritten. Im Bereich des Verfassungsrechts legen die Rechtsprechung und
die (wohl) herrschende Lehre
Art. 13 Abs. 2 BV
zwar in diesem Sinne aus.[12]
Es gibt aber Stimmen, welche weniger weit gehen und die Norm lediglich als
Missbrauchsverbot verstehen.[13]
Auch im Bereich des Datenschutzes stellt sich die Frage, ob es in
Anbetracht allgegenwärtiger Datenbearbeitungen noch sinnvoll ist, jede
einzelne mechanisch als Persönlichkeitsverletzung zu betrachten, die
anschliessend ebenso mechanisch mit einem Rechtfertigungsgrund legitimiert
wird. Es besteht die Gefahr, dass sowohl der Begriff der Verletzung als
auch die Bedeutung der Rechtfertigung ausgehöhlt werden, weil sie zu
alltäglichen Vorgängen werden.
Die informationelle Selbstbestimmung ist im Kontext von
Art. 28 ZGB
nicht völlig fremd. So gewährleistet das Recht am eigenen Bild,
das auch durch
Art. 28 ZGB
geschützt wird, die Selbstbestimmung in Bezug auf die
Veröffentlichung von Bildern.[14]
Diese Verfügungshoheit der betroffenen Person besteht unabhängig
vom Inhalt des Bildes.[15]
Das vorliegende Urteil erweitert nun den Anwendungsbereich der
informationellen Selbstbestimmung in Bezug auf
Art. 28 ZGB. Dabei versucht das Bundesgericht, Kritik in der Lehre Rechnung zu tragen.
So wird die Ansicht vertreten, die informationelle Selbstbestimmung
schiesse über das Ziel des Persönlichkeitsschutzes hinaus, indem
jeder noch so harmlose Eingriff einer Rechtfertigung bedürfe.[16]
Art. 28 ZGB
setze vielmehr den Nachweis einer mehr als harmlosen Beeinträchtigung
voraus. Deswegen sei das Bedürfnis des Einzelnen nach informationeller
Privatheit («Privatsphäre» i.S.v. Diskretion) nur soweit zu
schützen, «als der Einzelne durch eine bestimmte Verhaltensweise
[…] in seiner Persönlichkeit tatsächlich und spürbar beeinträchtigt» werde.[17]
Diese Formulierung übernimmt das Bundesgericht in E. 6.4.2.
Das Bundesgericht führt damit im Kontext von
Art. 28 ZGB
nicht einfach generell die informationelle Selbstbestimmung ein, wonach
jeder Eingriff in dieselbe zugleich eine Persönlichkeitsverletzung
darstellen soll. Vielmehr wird eine tatsächliche und spürbare
Beeinträchtigung durch den Eingriff gefordert.
In der Subsumtion in E. 6.5 erblickt das Bundesgericht eine solche
Beeinträchtigung darin, dass durch die intensive Berichterstattung in
der fraglichen Zeit die Beklagten den Kläger seines privaten
Herrschaftsrechts beraubten, selbst darüber zu bestimmen, welche
Informationen über ihn öffentlich seien. In der Medienkampagne
liege eine «übermässige Einmischung in die
Individualität» des Klägers und dieser sei dadurch
blossgestellt worden. Massgebend ist damit im Bereich von
Art. 28 ZGB
nach wie vor, welche konkreten Auswirkungen eine bestimmte Handlung auf die
betroffene Person hat und nicht - wie im Bereich des Datenschutzes - die
Handlung an sich, unabhängig von ihren Auswirkungen.
e) Und der Inhalt?
Der Gegenstand der Kampagne bzw. der fraglichen Berichte scheint für
das Vorliegen einer Persönlichkeitsverletzung durch eine
Medienkampagne irrelevant. Die Inhalte müssen für sich alleine
nicht persönlichkeitsverletzend sein, damit eine
persönlichkeitsverletzende Medienkampagne vorliegt. Dies ist
konsequent. Andernfalls bliebe unklar, worin der spezifische Gehalt einer
persönlichkeitsverletzenden Medienkampagne liegen sollte, wenn bereits
die konkreten Berichte eine Persönlichkeitsverletzung darstellten.
2. Rechtfertigungsgründe
Nachdem erstellt ist, dass eine Persönlichkeitsverletzung durch eine
Medienkampagne vorliegt, ist als Nächstes zu prüfen, ob diese
durch einen Rechtfertigungsgrund legitimiert ist. Es gilt damit
nachzuweisen, dass ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, um über einen
längeren Zeitraum mit relativ hoher Intensität zu einer
bestimmten Person Medienberichte mit einem engen thematischen Fokus zu
publizieren und diese dadurch tatsächlich und spürbar in ihrer
Persönlichkeit zu beeinträchtigen.
Grundsätzlich kommen dabei die üblichen
Rechtfertigungsgründe nach
Art. 28 Abs. 2 ZGB
zur Anwendung: eine Einwilligung, ein überwiegendes öffentliches
oder privates Interesse oder eine gesetzliche Vorschrift. Eine Gesetzesnorm
zur Rechtfertigung einer Medienkampagne dürfte indes wohl kaum zu
finden sein. Theoretisch denkbar ist eine Einwilligung. Im Vordergrund wird
jedoch wie im vorliegenden Urteil die Interessenabwägung stehen.
a) Gegenüberstellung der Interessen
Wie bei jeder Abwägung sind zunächst die sich
gegenüberstehenden Interessen darzulegen. Zur Rechtfertigung der
Persönlichkeitsverletzung ist ein überwiegendes Interesse
nötig. Dies ist der Fall, wenn die Einschränkung auf Seiten des
Opfers gegenüber dem Vorteil, den einer anderen Person oder der
Öffentlichkeit durch die Verletzung entsteht, als weniger bedeutsam
erscheint.[18]
Auf Seiten des Klägers steht das Interesse an der Unversehrtheit
seiner Persönlichkeit sowie an der Wahrung der Entscheidungsfreiheit
über Informationen zu seiner Person. Da vorliegend die
Persönlichkeitsverletzung auf einer Beschränkung dieser
Entscheidungsfreiheit beruht, steht dieser zweitgenannte Aspekt im
Vordergrund. So spricht das Bundesgericht in E. 6.7.2 vom Verlust der
Privatsphäre aufgrund des Umfangs und der Intensität der
Berichterstattung in ihrer Gesamtheit.
Auf Seiten der beklagten Medien steht ganz allgemein das Interesse an der
ungehinderten Ausübung der Kommunikationsgrundrechte. Darunter
fällt auch die freie Entscheidung darüber, wie eine bestimmte
Information publiziert wird.[19]
Dass Medien als gewinnstrebige Unternehmen Informationen
veröffentlichen, steht einem Schutz durch die
Kommunikationsgrundrechte nicht entgegen. Allerdings handelt es sich dabei
um private Interessen der Medienunternehmen. Daneben können sich
Medien auch auf ihren Informationsauftrag und damit auf öffentliche
Interessen berufen. Diese lassen sich unter dem Begriff des
Informationsinteresses zusammenfassen.[20]
b) Boulevard-Prominenz
Das Bundesgericht führt in seinen Erwägungen zum Vorliegen einer
Persönlichkeitsverletzung aus, trotz der Stellung des Klägers als
Boulevard-Prominenter sprenge die Kampagne den Rahmen dessen, was sich der
Beschwerdeführer gefallen lassen müsse (E. 6.5). Es bezieht sich
dabei auf die langjährige Praxis betreffend Personen des
öffentlichen Lebens.[21]
Die Terminologie ist unterschiedlich. Häufig ist von absoluten oder
relativen Personen der Zeitgeschichte die Rede. Das Bundesgericht geht
davon aus, dass zudem ein Zwischenbereich besteht, dem es auch den
Kläger zuordnet.[22]
Das Argument knüpft am öffentlichen Interesse an der
Berichterstattung über eine Person an. Dieses kann dazu führen,
dass die fraglichen Personen Abstriche bei ihrer Privatsphäre
hinnehmen müssen. Obschon das Bundesgericht den Punkt in Bezug auf das
Vorliegen einer Persönlichkeitsverletzung prüft, wäre er der
Rechtfertigung einer Persönlichkeitsverletzung zuzuordnen.[23]
Auch in Bezug auf eine Persönlichkeitsverletzung durch eine
Medienkampagne ist demnach zu prüfen, ob die betroffene Person
aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung eine solche Kampagne hinnehmen
muss oder nicht. Je bedeutsamer eine Person, umso eher kann auch eine
solche sehr intensive Berichterstattung gerechtfertigt sein. Unklar bleibt
aufgrund des vorliegenden Urteils, ob der Bekanntheitsgrad einer Person
alleine ein Rechtfertigungsgrund für eine Medienkampagne darstellen
könnte.
c) Überwiegendes öffentliches Interesse
Die Besonderheit einer Persönlichkeitsverletzung durch eine
Medienkampagne liegt darin, dass die Verletzung primär durch bestimmte
Handlungen ausgelöst wird, die zu einer tatsächlichen und
spürbaren Beeinträchtigung führen. Die Verletzung entsteht
damit nicht durch bestimmte Inhalte, sondern durch die Art und Weise der
Veröffentlichung. Dies ist bei der Abwägung zu
berücksichtigen. Es muss mithin ein öffentliches Interesse an
dieser Form der Publikation vorliegen, nicht einfach daran, die fraglichen
Inhalte zu veröffentlichen.[24]
Ein solches Interesse kann durchaus gegeben sein, beispielsweise wenn es
darum geht, gegen starken (z.B. politischen) Widerstand auf schwerwiegende
Missstände aufmerksam zu machen.
Zentral ist darüber hinaus, auch bei der Abwägung zur
Rechtfertigung einer Persönlichkeitsverletzung durch eine
Medienkampagne die sich gegenüberstehenden Interessen neutral zu
betrachten. Da die Kommunikationsgrundrechte auch die freie Wahl der
Publikationsform schützen, darf es nicht per se ausgeschlossen sein,
eine Medienkampagne zu rechtfertigen. Insgesamt muss die einschneidende
Form der Berichterstattung mit Blick auf den Inhalt der Information und das
Ziel der Publikation angemessen sein, damit die
Persönlichkeitsverletzung gerechtfertigt erscheint.
Das Bundesgericht nimmt diese Abwägung in E. 6.7.3 vor. Es relativiert
dabei seine ständige Rechtsprechung, wonach eine Rechtfertigung stets
nur so weit reichen könne, als ein Informationsbedürfnis bestehe,
indem es ausführt, auch Sensationsberichte könnten im
öffentlichen Interesse der Unterhaltung liegen.
Unklar bleibt jedoch, ob das Gericht eine Medienkampagne stets dem
Sensationsjournalismus zuordnet. Dies lässt insbesondere der
einleitende Satz vermuten, wonach eine Medienkampagne die «kollektive
Klatschsucht» bediene. Eine solche Perspektive würde einer
neutralen Gegenüberstellung der Interessen entgegenlaufen und
wäre darüber hinaus gar nicht nötig. Denn die Frage ist
nicht, ob eine Medienkampagne per se verwerflich ist, sondern ob sie im
vorliegenden Kontext gerechtfertigt ist. Dazu grenzt das Bundesgericht die
reine Unterhaltung von der Informationsvermittlung ab. Es orientiert sich
damit an der Rechtsprechung des EGMR, der jeweils prüft, ob eine
Information einen Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse
leistet.[25]
Das Bundesgericht kommt dabei zum Schluss, dass es vorliegend nicht um die
Informationsvermittlung gegangen sei (Klarheit verschaffen über den
Gang des Strafverfahrens), sondern um «Beteiligung am
Medienrummel» sowie das Aufrechterhalten «des medialen
Karussells» und damit um ein reines Unterhaltungsbedürfnis.
Dieses vermöge die Persönlichkeitsverletzung durch die Kampagne
nicht aufzuwiegen.
d) Überwiegendes privates
Interesse
Das Bundesgericht lässt es in seinem Entscheid offen, ob rein
wirtschaftliche Interessen der Beklagten die Persönlichkeitsverletzung
zu rechtfertigen vermöchten, weil die Beklagten auch kein solches
behauptet hatten. Eine Rechtfertigung mittels wirtschaftlicher Interessen
wäre indes auch kaum denkbar. Es würde bedeuten, dass der
Kläger eine Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne
hinnehmen müsste, weil die Medien damit ihre Verkaufszahlen
erhöhen können. Das wäre wenig sachgerecht. Der Nachweis
eines solchen Interesses dürfte zudem schwerfallen, zumal sich die
Medien in Bezug auf die Gewinnherausgabe regelmässig darauf berufen,
es liesse sich kaum eruieren, ob ein bestimmter Artikel tatsächlich zu
einer Gewinnsteigerung geführt habe.[26]
3. Negatorische Klagen
Gegen eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung sind nach
Art. 28a Abs. 1 ZGB
die Unterlassungs-, Beseitigungs- und Feststellungsklage zulässig. Zu
prüfen ist, ob diese auch im Zusammenhang mit einer
Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne zur Anwendung
kommen können.
Das Bundesgericht stellt in E. 6.8 eine widerrechtliche
Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne betreffend die
Verhaftung des Klägers fest und heisst damit die Feststellungsklage
gut. Die Feststellung einer Persönlichkeitsverletzung durch eine
Medienkampagne scheint insgesamt unproblematisch.
Der Kläger erhebt darüber hinaus eine Beseitigungsklage. Erfolgt
die Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne, bezieht sich
konsequenterweise auch die Beseitigungsklage auf die Kampagne und nicht auf
einzelne Berichte. Dass die Berichte, welche Teil der Medienkampagne waren,
nach wie vor im Internet abrufbar sind, bedeutet für das Bundesgericht
aber nicht, dass die Medienkampagne noch andauert. Diese Überlegung
ist zwar folgerichtig. Sie dürfte aber wohl bedeuten, dass eine
Beseitigungsklage in Bezug auf eine persönlichkeitsverletzende
Medienkampagne nur erfolgreich sein kann, wenn die Kampagne zum Zeitpunkt
der Klageerhebung noch in vollem Gange ist. Denn die Beseitigungsklage hat
in diesem Kontext das Ziel, eine andauernde Medienkampagne zu unterbrechen.
Fraglich ist, ob diese Überlegung bei der Prosequierung vorsorglicher
Massnahmen gegen eine Medienkampagne zu Schwierigkeiten führt.
Eine Unterlassungsklage gegenüber einer Persönlichkeitsverletzung
durch eine Medienkampagne ist hingegen schwer vorstellbar. Wie sollte eine
Person vorab wissen, dass ein Medium plant, über eine längere
Zeit Inhalte zu einem beschränkten Thema über sie zu
veröffentlichen?
IV. Ergebnis
Die vorangehenden Ausführungen zeigen, dass eine Verallgemeinerung der
Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne tragfähig
ist. Das Urteil gehört damit zu einer Reihe von Entscheiden, mit denen
das Bundesgericht den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz
weiterentwickelt, um ihn den Gegebenheiten der neueren Medienlandschaft
anzupassen.[27]
So bezieht sich das Gericht in E. 6.4.3 explizit auf die Digitalisierung
und die Gefahren, welche deren Möglichkeiten für die betroffenen
Personen mit sich bringen können.
Der umstrittenste Punkt des Entscheids dürfte sein, dass das
Bundesgericht an die informationelle Selbstbestimmung anknüpft.
Allerdings relativiert es dies, indem nicht alleine die Handlung, sondern
die tatsächliche und spürbare Beeinträchtigung massgebend
ist. Mit Blick auf eine Medienkampagne scheint es einleuchtend, mit dem
Selbstbestimmungsrecht zu argumentieren. Es wird sich zeigen, ob
künftig auch bei Publikationen, die keine Kampagnen im Sinne des
Urteils darstellen, hauptsächlich auf die informationelle
Selbstbestimmung abgestellt wird.
Selbst mit der vorliegenden Relativierung der informationellen
Selbstbestimmung besteht dabei die Gefahr, dass die sehr differenzierten,
inhaltsbezogenen Abwägungskriterien aus der bisherigen Praxis an
Bedeutung verlieren. So wäre bei der Berichterstattung über die
Privat- oder Geheimsphäre wohl stets von einer tatsächlichen und
spürbaren Beeinträchtigung auszugehen. Dabei entfiele aber die
oft hilfreiche Abgrenzung von Privat- und Geheimsphäre. Das würde
auch die Abwägung beeinflussen, die - wie auch das Urteil zeigt -
primär an inhaltliche Kriterien anknüpft. Dies scheint im
Zusammenhang mit der Medienberichterstattung sachgerecht. Auch sollte die
Rechtsprechung zu
Art. 28 ZGB
dogmatische Fragen sowie Umsetzungsschwierigkeiten aus dem Bereich des
Datenschutzes nicht übernehmen.
Insgesamt scheint es daher sinnvoll, nur in Bezug auf die Medienkampagne
hauptsächlich auf die informationelle Selbstbestimmung abzustellen.
Ebenfalls werden weitere Urteile deren Tatbestandsmerkmale noch
konkretisieren müssen. So bleibt es nach dem vorliegenden Entscheid
noch recht vage, wann eine Berichterstattung die Schwelle zur
Medienkampagne überschreitet. Wichtig ist, dass es sich dabei um eine
qualifizierte Form der Medienberichterstattung handeln sollte.
Eine «Katastrophe» stellt es aber meiner Ansicht nach nicht dar,
wenn die Medien künftig etwas stärker überlegen müssen,
ob bereits die Form der Publikation zu einer Persönlichkeitsverletzung
führt. Das hätten sie nämlich bereits nach der bisherigen
Rechtsprechung tun sollen. Denn obschon die freie Wahl der Form durch die
Kommunikationsgrundrechte garantiert ist, schützen diese doch
primär die Publikation von Inhalten und nicht bestimmte mediale
Geschäftsmodelle.
Unbegründet scheint auch die Befürchtung von Schwaibold[28], das Urteil bedeute das Ende des kritischen Journalismus. In
Hirschmann II
dürfte es wohl kaum um investigativen Journalismus gegangen sein. Vor
allem aber lassen sich die vorgenannten Kriterien so auslegen, dass
kritisch investigative Berichterstattung nicht unter den Begriff der
Medienkampagne fällt, insbesondere weil sie thematisch anders angelegt
ist. Selbst wenn diese Art von Berichterstattung als
Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne eingestuft
würde, werden inhaltsbezogene Kriterien, insbesondere das
Informationsinteresse, bei der Abwägung berücksichtigt. Liegt
tatsächlich investigativer Journalismus vor, wird das
Informationsinteresse regelmässig überwiegen und die betroffene
Person muss die Kampagne hinnehmen.
Noch nicht ganz geklärt scheint jedoch das Verhältnis der
Persönlichkeitsverletzung durch eine Medienkampagne zu
persönlichkeitsverletzenden Inhalten.[29]
Zwar weist das Bundesgericht folgerichtig die Beseitigungsklage ab, mit
denen der Kläger die gesamten Berichte, aus denen die Medienkampagne
bestand, beseitigen lassen wollte. Zugleich heisst das Gericht aber
Beseitigungs- und Feststellungsklagen zu einzelnen Berichten gut, welche
wohl ebenfalls Bestandteil der Medienkampagne waren. Die Schaffung solcher
«doppelrelevanter Tatsachen» erscheint jedoch nicht ideal, zumal
auch zu klären wäre, ob dies auch zu einer Kumulation der
reparatorischen Ansprüche führen kann. Das Bundesgericht scheint
in E. 8.2.2.3 in diese Richtung zu gehen.
V. Schlusswort
Beim Urteil
Hirschmann II
handelt es sich ohne Zweifel um ein Grundsatzurteil für den
zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz. Durch die Bezugnahme auf den
Datenschutz dürfte es auch für andere Bereiche bedeutsam werden,
nicht zuletzt als Konkretisierung grundrechtlicher Ansprüche des
Persönlichkeitsschutzes.
Wie dargestellt, erweist sich die Verallgemeinerung der
Persönlichkeitsverletzung durch die Medien als tragfähig.
Einzelne Punkte bleiben dabei allerdings noch unklar. Das Bundesgericht
wird sicherlich Gelegenheit haben, sich in weiteren Urteilen dazu zu
äussern, wobei nicht auszuschliessen ist, dass es sich dabei um einen
Entscheid Hirschmann III handeln könnte.
[1]
Canonica Simon, 25 Jahre medienrecht: Konstanten und Variablen,
Medialex 2016 S. 3 ff., S. 5.
[2]
Urteil des Bundesgerichts
5A_256/2016
vom 9. Juni 2017, inzwischen auszugsweise publiziert als
BGE 143 III 297 (nachfolgend: Hirschmann II). Der erste Entscheid ist das Urteil des Bundesgerichts
5A_658/2014
vom 6. Mai 2015 (nachfolgend: Hirschmann I). Dagegen wurde erfolglos ein Revisionsgesuch gestellt (Urteil des
Bundesgerichts
5F_8/2015
vom 31. August 2015). Carl Hirschmann seinerseits wurde ebenfalls
wegen Verletzung der Persönlichkeit verurteilt (Urteil des
Bundesgerichts
5A_309/2013
vom 4. November 2013). Auch das Strafverfahren gegen Carl
Hirschmann ging bis vor Bundesgericht (Urteil des Bundesgerichts
6B_215/2013
vom 27. Januar 2014 sowie die Revision in Urteil des Bundesgerichts
6B_1222/2014
vom 20. Januar 2015); er wurde wegen sexueller Nötigung,
mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind, mehrfacher
versuchter Nötigung sowie Tätlichkeiten zu einer
Freiheitsstrafe von 32 Monaten, wovon 20 Monate bedingt, und einer
Busse von Fr. 4000.- verurteilt.
[3]
Schwaibold Matthias, Ein Schrecken ohne Ende, Medialex 6/2017, N 3.
[4]
Glasl Daniel, Medienkampagne und Gewinnabschöpfung - kein
Schrecken ohne Ende, Medialex 7/8/2017.
[5]
Vgl. die nach Themenbereichen geordneten Rechtsbegehren im
Sachverhalt in
Hirschmann I
(Fn. 2).
[8]
Mangels verbindlicher Sachverhaltsermittlungen der Vorinstanz
bleibt offen, ob die Kampagne weitergeführt wurde; vgl. E.
6.6.
[9]
Vgl. zum Ganzen E. 6.4.2.
[10]
Meili Andreas, Kommentar zu Art. 28 ZGB, in: Honsell Heinrich/Vogt
Nedim Peter/Geiser Thomas (Hrsg.), Basler Kommentar,
Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 5. Aufl., Basel 2014, Art. 28
ZGB N 23; Bacher Bettina, Medienfreiheit und
Persönlichkeitsschutz, Zivilrechtliche Auswirkungen der
Lösung eines Grundrechtskonflikts, Diss. Fribourg, Basel 2015,
N 693.
[12]
BGE 138 II 346
E. 8.2; BGE 136 II 508
E. 6.3.1; statt vieler Diggelmann Oliver, Kommentar zu Art. 13 BV,
in: Waldmann Bernhard/Belser Eva Maria/Epiney Astrid (Hrsg.),
Basler Kommentar, Bundesverfassung, Basel 2015, Art. 13 BV N 33
m.w.H.
[13]
Belser Eva Maria/Waldmann Bernhard, Grundrechte
II, Die einzelnen Grundrechte, Zürich 2012, Kap. 2 N 87;
Gächter Thomas/Egli Philipp, Informationsaustausch im Umfeld
der Sozialhilfe, Jusletter 6. September 2010, N 18 ff., N 24
insbes.
[15]
Vgl. Bacher (Fn. 10), N 530, 697 ff.
[16]
Hausheer Heinz/Aebi-Müller Regina, Das
Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 4. Aufl., Bern
2016, N 12.124.
[17]
Hausheer/Aebi-Müller (Fn. 16), N 12.125 (Hervorhebungen im
Original).
[18]
Tercier Pierre, Le nouveau droit de la
personnalité, Zürich 1984, N 671.
[19]
Vgl.
BGE 120 Ib 142
E. 4; Kley Andreas/Tophinke Esther, Kommentar zu
Art. 16 BV, in: Ehrenzeller Bernhard/Schindler Benjamin/Schweizer
Rainer J./Vallender Klaus A. (Hrsg.), Die schweizerische
Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl., Zürich/St.
Gallen 2014, Art. 16 BV N 12.
[20]
Dazu Bacher (Fn. 10), N 680.
[25]
Vgl. z.B. EGMR 40660/08
(v. Hannover/
Deutschland) vom 7.2.2012 (Caroline II), Ziff. 109; EGMR 59320/00
(v. Hannover/Deutschland) vom 24.6.2004 (Caroline I), Ziff. 63 ff.
[26]
Vgl. z.B. Schwaibold (Fn. 3), N 32.
[28]
Schwaibold (Fn. 3), N 22.
[29]
Dazu auch Schwaibold (Fn. 3), N 9, der von einem doppelten
Feststellungsanspruch spricht.