I. Einführung
In der Schweiz verfügen aktuell über 1000 Unternehmen über eine Betriebsbewilligung vom Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic[1]. Zahlreiche dieser Betriebe sind im Grosshandel tätig, das heisst sie kaufen Arzneimittel ein und verkaufen diese innerhalb der Schweiz an andere Unternehmen, nicht jedoch an den Endverbraucher, weiter. Um eine Betriebsbewilligung von Swissmedic zu erhalten, muss jedes Unternehmen, das Arzneimittel herstellt oder damit handelt, über eine sog. «fachtechnisch verantwortliche Person» verfügen. Diese ist für die Einhaltung der heilmittelrechtlichen Vorschriften bei der Herstellung von Arzneimitteln und deren Vertrieb verantwortlich. Ihr kommen damit innerhalb des jeweiligen Betriebs nicht nur weitreichende Befugnisse zu, sondern es obliegt ihr auch eine umfassende Verantwortung mit Blick auf die Heilmittelsicherheit. Die fachtechnisch verantwortliche Person ist erste Ansprechperson für sämtliche Belange und Fragen der Heilmittelsicherheit, mögen diese von Angestellten oder Vorgesetzten des Unternehmens, von den Aufsichtsbehörden oder von anderen Pharmafirmen kommen. Sie stellt - auf den Punkt gebracht - das heilmittelrechtliche Rückgrat eines jeden im Pharmabereich tätigen Unternehmens dar[2].
Auf den fachtechnisch Verantwortlichen richtet sich der Fokus in der Regel auch dann, wenn die Abteilung Strafrecht von Swissmedic ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Verdachts auf Widerhandlungen gegen das Heilmittelgesetz und seine Ausführungsverordnungen durch eine Pharmafirma eröffnet hat. Dabei zeigt sich, dass die fachtechnisch verantwortliche Person - wenn denn eine solche überhaupt bezeichnet wurde - häufig auch verurteilt wird, sofern nicht das Unternehmen selbst gebüsst wird. Dieser Beitrag zeigt die Gründe dafür auf.
Zuerst folgt ein Überblick über die Tätigkeiten des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic (II.) Anschliessend werden die Aufgaben der fachtechnisch verantwortlichen Person beleuchtet (III.), bevor letztlich der Frage nachgegangen wird, wie es sich mit ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit verhält (IV.). Ein Fazit rundet die Ausführungen ab (V.).
II. Tätigkeiten des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic
1. Verwaltungsrechtliche Aufsicht über Heilmittel
Der Bund erliess gestützt auf Art. 118 Abs. 2 BV[3] das Heilmittelgesetz[4]. Mit dem Vollzug beauftragte er das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic (Art. 82 Abs. 1 HMG). Dieses hat als Gesundheitspolizeibehörde dafür zu sorgen, dass zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier nur qualitativ hoch stehende, sichere und wirksame Heilmittel (Arzneimittel und Medizinprodukte[5]) in Verkehr gebracht werden (Art. 1 Abs. 1 HMG).
Um den Gesetzeszweck zu erfüllen, erfuhr der Heilmittelmarkt eine starke Regulierung durch den Gesetzgeber. Entsprechend ist eine Tätigkeit im Zusammenhang mit Arzneimitteln ohne kantonale oder Swissmedic-Bewilligung nicht zulässig[6]. Swissmedic erteilt Betriebsbewilligungen an Unternehmen, die Arzneimittel in industriellem Ausmass herstellen (sog. Herstellungsbewilligung[7]), oder damit handeln wollen[8] (Bewilligung für die Ausfuhr[9], die Einfuhr[10], den Grosshandel[11] sowie für den Handel im Ausland[12])[13]. Die Bewilligungen werden erteilt, wenn die erforderlichen fachlichen und betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind und ein geeignetes Qualitätssicherungssystem vorhanden ist[14], wozu auch die Benennung einer fachtechnisch verantwortlichen Person gehört. Ausnahmen von der Bewilligungspflicht durch Swissmedic gibt es insofern, als die Herstellung von Arzneimitteln durch den Bundesrat einer kantonalen Bewilligungspflicht unterstellt (Herstellung von Arzneimitteln in kleinen Mengen für einen bestimmten Personenkreis, z.B. die Kundschaft einer Apotheke[15]) oder ganz von einer Bewilligungspflicht[16] abgesehen werden kann[17]. Auch die Abgabe von Arzneimitteln an die Endabnehmer wie Apotheken, Drogerien, Spitäler und selbstdispensierende Ärzte unterliegt der kantonalen Bewilligungspflicht[18].
2. Strafverfolgung im Heilmittelbereich
Mit dem Inkrafttreten des Heilmittelgesetzes per 1. Januar 2002 wurde der Bund, namentlich Swissmedic, hauptsächlich zuständig für die Strafverfolgung im Heilmittelbereich (vgl. Art. 90 Abs. 1 HMG). Damit stellt Swissmedic eine von wenigen Bundesverwaltungsbehörden dar, denen nebst ihrer aufsichtsrechtlichen Tätigkeit die Aufgabe und Kompetenz zur Strafverfolgung zukommen[19]. Innerhalb des Bereichs Rechts von Swissmedic obliegt die Strafverfolgung der dafür spezialisierten Abteilung Strafrecht[20]. Daneben zeichnen jedoch auch die Kantone für die Strafverfolgung verantwortlich[21]. Die jeweiligen Zuständigkeiten ergeben sich aus den entsprechenden Kompetenzen von Bund und Kantonen im Bereich der Eingriffs- bzw. Leistungsverwaltung[22]. Dabei ist jeweils gestützt auf die konkreten Normen des Heilmittelgesetzes und seiner Ausführungsverordnungen zu bestimmen, ob Swissmedic oder die Kantone für den verwaltungsrechtlichen Vollzug und damit auch für die Strafverfolgung zuständig sind[23]: Swissmedic ist für die Strafverfolgung verantwortlich, wenn es um die Herstellung von Arzneimitteln oder um die Einfuhr, die Ausfuhr oder den Handel im Ausland sowie um den Grosshandel mit Arzneimitteln geht; werden Heilmittel unzulässigerweise an Konsumenten bzw. Patienten abgegeben, sind die kantonalen Staatsanwaltschaften zuständig[24].
Die Strafbestimmungen sind im 8. Kapitel des Heilmittelgesetzes in den Art. 86-90 HMG geregelt. Die Widerhandlungen gegen das Heilmittelgesetz finden sich in den Art. 86 und 87. Die meisten verwaltungsstrafrechtlichen Verfahren[25] werden von Swissmedic gegen Personen geführt, die Sorgfaltspflichten im Umgang mit Heilmitteln verletzen (Art. 86 Abs. 1 lit. a HMG) oder gegen Personen, die Arzneimittel ohne Zulassung, ohne Bewilligung oder entgegen anderen Bestimmungen des Heilmittelgesetzes herstellen, in Verkehr bringen, verschreiben, einführen, ausführen oder damit im Ausland handeln (Art. 86 Abs. 1 lit. b HMG). Bei den Straftaten nach Art. 86 Abs. 1 lit. a-g HMG handelt es sich grundsätzlich um Vergehen[26]. Art. 86 Abs. 1 HMG verlangt in allen Tatbestandsvarianten eine konkrete Gefährdung der menschlichen Gesundheit, was aus dem Wortlaut der Bestimmung hervorgeht: «Sofern keine schwerere strafbare Handlung nach dem Strafgesetzbuch oder dem Betäubungsmittelgesetz vom 3. Oktober 1951 vorliegt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe[27] bestraft, wer die Gesundheit von Menschen gefährdet, indem er oder sie vorsätzlich: ...»[28]. Auch macht dies Art. 87 HMG, in welchem die heilmittelrechtlichen Übertretungen[29] festgehalten sind, in Abs. 1 lit. f deutlich: Danach wird mit Busse bis zu Fr. 50'000.-[30] bestraft, «wer vorsätzlich die Tatbestände nach Artikel 86 Absatz 1 erfüllt, ohne dass dadurch die Gesundheit von Menschen gefährdet wird.»
Die Gesundheitsgefährdung muss dabei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts im Einzelfall konkret nachgewiesen sein. «Eine sehr nahe konkrete Gefahr einer Gesundheitsschädigung»[31] reicht nicht aus[32]. Widerhandlungen gegen einen der in Art. 86 Abs. 1 lit. a-g HMG aufgeführten Tatbestände können aufgrund der strengen Rechtsprechung zum Nachweis der konkreten Gesundheitsgefährdung de lege lata faktisch somit lediglich als Übertretungen[33] im Sinn von Art. 87 Abs. 1 lit. f HMG bestraft werden[34]. Sowohl Art. 86 als auch Art. 87 HMG können fahrlässig begangen werden[35].
Swissmedic als Verwaltungsbehörde des Bundes hat das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafverfahren[36] anzuwenden[37]. Für die Verfahren vor den kantonalen Gerichten gilt die Strafprozessordnung[38], mit Ausnahme der auch für die Kantone einschlägigen Bestimmungen von Art. 6 und 7 VStrR (Widerhandlungen in Geschäftsbetrieben durch Beauftragte)[39].
III. Die fachtechnisch verantwortliche Person
1. Tätigkeitsbereich der fachtechnisch verantwortlichen Person
Sämtliche der vorgenannten Swissmedic-Bewilligungen werden nur erteilt, wenn die Unternehmen u.a. die «erforderlichen fachlichen Voraussetzungen»[40] erfüllen. Damit dies der Fall ist, muss dem Betrieb eine fachtechnisch verantwortliche Person[41] zur Verfügung stehen[42]. Diese übt die unmittelbare fachliche Aufsicht über den Betrieb aus und stellt den sachgemässen Umgang mit Arzneimitteln sicher[43]. Darüber hinaus fallen je nach Art der Bewilligung weitere Aufgaben in ihren Zuständigkeitsbereich, die in der Arzneimittel-Bewilligungsverordnung umschrieben werden: So wird z.B. bei der Herstellungsbewilligung verlangt, dass sie die Verantwortung für die Qualität der hergestellten Arzneimittel trägt und dafür sorgen muss, dass diese den gültigen Spezifikationen entsprechen und nach den Regeln der Guten Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice; GMP[44]) hergestellt werden[45].
Im Zusammenhang mit der Einfuhr-, der Ausfuhr- und der Grosshandelsbewilligung hat der fachtechnisch Verantwortliche sicherzustellen, dass die Arzneimittel nach den Regeln der Guten Vertriebspraxis (Good Distrubution Practice; GDP) vermittelt werden. Anhang 2 der Arzneimittel-Bewilligungsverordnung verweist bezüglich der auch in der Schweiz geltenden Standards insbesondere auf die einschlägigen Leitlinien der Europäischen Kommission vom 5. November 2013 für die Gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln[46]. Im Kapitel 2 unter Ziff. 2.2 wird der Verantwortungsbereich der fachtechnisch verantwortlichen Person umschrieben: So hat sie insbesondere für die Implementierung und Aufrechterhaltung eines Qualitätssicherungssystem zu sorgen (Ziff. i), sie hat Schulungs- und Weiterbildungsanlässe zu organisieren (Ziff. iii), Arzneimittelrückrufe zu koordinieren und durchzuführen (Ziff. iv), sicherzustellen, dass Zulieferer und Kunden über die notwendigen Bewilligungen verfügen (Ziff. vi) und sie hat zu gewährleisten, dass alle in den nationalen Rechtsvorschriften festgelegten zusätzlichen Auflagen für bestimmte Produkte eingehalten werden (Ziff. xii).
2. Ausbildung und Vertrauenswürdigkeit
Die Arzneimittel-Bewilligungsverordnung legt die Anforderungen an die Ausbildung der fachtechnisch verantwortlichen Person fest; diese variiert je nach Art der Betriebsbewilligung[47]. So muss sie für die Herstellung verwendungsfertiger Arzneimittel über ein Apothekerdiplom und die notwendige Erfahrung verfügen[48]. In Bezug auf den Handel im Ausland[49] schreibt die Arzneimittel-Bewilligungsverordnung hingegen «lediglich» vor, dass die fachtechnisch verantwortliche Person die «notwendige Ausbildung, Sachkenntnis und Erfahrung» zu belegen hat[50]. Die Technische Interpretation von Swissmedic zu den Anforderungen an die fachtechnisch verantwortliche Person sieht zudem vor, dass letztere einschlägige Erfahrung von in der Regel einem bis vier Jahren aufweisen muss, um als verantwortliche Person akzeptiert zu werden[51].
Die fachtechnisch verantwortliche Person muss nicht nur hinsichtlich ihrer Ausbildung den Anforderungen der Arzneimittel-Bewilligungsverordnung genügen, sondern sie hat darüber hinaus auch «vertrauenswürdig» zu sein. Die Vertrauenswürdigkeit wird verneint, wenn die Person wegen eines Verstosses gegen das Heilmittelgesetz, gegen das Betäubungsmittelgesetz[52] oder gegen andere mit diesen Erlassen im Zusammenhang stehende Vorschriften rechtskräftig verurteilt wurde[53]. Swissmedic darf zur Überprüfung der Vertrauenswürdigkeit einen Strafregisterauszug verlangen[54].
3. Weisungsbefugnis und Unabhängigkeit
Unabhängig von der Art der Bewilligung schreibt die Arzneimittel-Bewilligungsverordnung vor, dass die fachtechnisch verantwortliche Person in ihrem Bereich «weisungsbefugt»[55] sein muss. Dies bedeutet z.B. mit Blick auf die Herstellung von Arzneimitteln, dass sie unabhängig von der Geschäftsleitung des Unternehmens über die Freigabe einer Charge[56] muss entscheiden können[57]. Die Bewilligungsinhaberin ist verpflichtet, in sog. Standardarbeitsanweisungen («Standard Operation Procedures»; SOP) die Befugnisse, betriebsinternen Aufgaben und Verantwortlichkeiten ihrer fachtechnisch verantwortlichen Person umfassend und schriftlich zu regeln und diese Swissmedic im Rahmen einer verwaltungsrechtlichen Inspektion[58] auf Verlangen vorzuweisen[59].
Während der Geschäftsleiter[60] des Unternehmens die administrativen, personellen und finanziellen Belange des Unternehmens zu besorgen hat, liegt die fachliche Verantwortung für die Herstellung oder den Handel mit Arzneimitteln bei der fachtechnisch verantwortlichen Person. Zwar lässt es Swissmedic mitunter zu, dass die fachtechnisch verantwortliche Person Einsitz in der Geschäftsleitung hat[61]; dass die Funktionen des Geschäftsleiters und der fachtechnisch verantwortlichen Person eines Pharmaunternehmens bei der gleichen Person zusammenfallen, ist im Regelfall jedoch ausgeschlossen: Das Interesse an einem finanziell gesunden bzw. florierenden Unternehmen kann mit den Sicherheitsvorschriften der Heilmittelgesetzgebung konkurrieren und damit zu einer Interessenkollision führen[62], weshalb eine Personalunion von Geschäftsführer bzw. Produktionsleiter und fachtechnisch verantwortlicher Person ausscheidet[63].
4. Präsenzzeiten und Stellvertretung
Die Praxis von Swissmedic zur Arzneimittel-Bewilligungsverordnung lässt es zu, dass die fachtechnisch verantwortliche Person in einem Teilzeitverhältnis arbeitet[64] oder in unterschiedlichen Unternehmen in dieser Funktion tätig ist[65]. Es muss aber sichergestellt sein, dass sie im Bedarfs- oder Notfall das Unternehmen innert kurzer Frist erreicht[66].
Die Stellvertretung der fachtechnisch verantwortlichen Person muss durch Fachleute ausreichender Qualifikation sichergestellt sein[67]. Die fachlichen Anforderungen an die Stellvertretung müssen - um den faktischen Verhältnissen kleinerer Unternehmen Rechnung zu tragen - nicht notwendigerweise denen der fachtechnisch verantwortlichen Person entsprechen[68]. Die Verantwortung dafür, dass nur qualitativ hochstehende, sichere und wirksame Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden, liegt jedoch stets bei der fachtechnisch verantwortlichen Person.
5. Zusammenfassung
Die Funktion der fachtechnisch verantwortlichen Person ist anspruchsvoll und mit weitreichenden Befugnissen bzw. Verpflichtungen verbunden. Entsprechende Berufserfahrung und einschlägige Vorkenntnisse sind daher unabdingbar. Dies gerade auch mit Blick auf die erhöhte strafrechtliche Verantwortlichkeit, die mit der Funktion als fachtechnisch verantwortliche Person einhergeht, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen.
IV. Strafrechtliche Verantwortlichkeit der fachtechnisch verantwortlichen Person
Zur Illustration diene folgender, einfacher Sachverhalt: Die X AG verfügt seit Jahrzehnten über eine Swissmedic-Bewilligung zur Ausfuhr von Arzneimitteln[69]. Da sie die Arzneimittel zu humanitären Zwecken in Entwicklungsländer exportiert, erhält sie von Pharmahändlern vorteilhafte Konditionen und kann die Arzneimittel zu vergünstigten Preisen[70] erwerben. Darüber hinaus betreibt die X AG aber seit Kurzem zusätzlich Grosshandel in der Schweiz: Sie verkauft die für die humanitäre Ausfuhr vorgesehenen Arzneimittel an verschiedene Pharmagrossisten mit Sitz in der Schweiz weiter. Einen Teil des Rabatts, den die X AG für die vermeintlichen humanitären Ausfuhren von den Händlern erhält, gibt sie an ihre Abnehmer, Schweizer Pharmagrossisten, weiter. Letztere können daher Arzneimittel bei der X AG preiswerter einkaufen, als wenn sie diese über ihre bisherigen Lieferanten beziehen würden. Die X AG selbst erzielt mit der Differenz entsprechend einen Gewinn. Allerdings verfügt sie für diese Geschäftstätigkeit nicht über die dafür zwingend notwendige Grosshandelsbewilligung[71] von Swissmedic.
Damit verstösst sie gegen Art. 86 Abs. 1 lit. b HMG, weil sie Arzneimittel ohne Bewilligung in Verkehr bringt[72]. Es fehlt jedoch an einer konkreten Gesundheitsgefährdung: Die Arzneimittel, die die X AG innerhalb der Schweiz vertreibt, sind qualitativ einwandfrei und genügen den heilmittelrechtlichen Vorschriften. Eine konkrete Gesundheitsgefährdung im Sinn des Gesetzes ist folglich zu verneinen. Die X AG bzw. die verantwortlichen Personen machen sich damit nach Art. 86 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. f HMG strafbar, weil sie Arzneimittel ohne Bewilligung in Verkehr bringt, ohne dabei die Gesundheit von Menschen konkret zu gefährden (abstrakte Gesundheitsgefährdung)[73].
Im Zusammenhang mit der Strafverfolgung der fachtechnisch verantwortlichen Person werden in der Praxis häufig folgende Szenarien angetroffen:
1. Handlungsdelikt
Dem Verantwortlichen F obliegt u.a. die Prüfung, ob die von der X AG vorgenommenen Geschäftstätigkeiten mit den von Swissmedic erteilten Bewilligungen übereinstimmen[74]. Angenommen, F überprüft den Bewilligungsumfang seiner Arbeitgeberin und kommt zu Recht zum Schluss, dass der Grosshandel mit Arzneimitteln in der Schweiz von der Ausfuhr-Bewilligung von Swissmedic nicht gedeckt ist; trotzdem genehmigt er den Handel der X AG mit den Pharmagrossisten in der Schweiz. Aus strafrechtlicher Sicht handelt es sich um die einfachste der denkbaren Szenarien: F hat den Tatbestand der illegalen Grosshandelstätigkeit nach Art. 86 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. f HMG in eigener Person vorsätzlich erfüllt und hat sich strafbar gemacht[75].
In der Praxis wird von der fachtechnisch verantwortlichen Person in einer solchen Konstellation häufig geltend gemacht, sie habe die Grosshandelstätigkeit der X AG nur deshalb genehmigt, weil sie davon ausgegangen sei, der Grosshandel in der Schweiz sei durch die Ausfuhrbewilligung mitabgedeckt. Mit anderen Worten habe sie nicht vorsätzlich, sondern «nur» fahrlässig gehandelt[76].
Die fachtechnisch verantwortliche Person ist naturwissenschaftlich ausgebildet und verfügt über mehrere Jahre Berufserfahrung in der Pharmabranche. Es stellt eine ihrer Hauptaufgaben dar, zu gewährleisten, dass sich die Tätigkeiten des Unternehmens innerhalb des von den Aufsichtsbehörden festgelegten Rahmens abspielen. Mit dieser Überwachungsaufgabe sind keine besonderen Schwierigkeiten verbunden: In der Verfügung von Swissmedic werden die bewilligen Tätigkeiten - Herstellung, Einfuhr, Grosshandel in der Schweiz, Ausfuhr, Handel mit Arzneimitteln im Ausland[77] - eindeutig festgelegt. Zudem genügt ein Blick auf die von Swissmedic im Internet publizierte Liste der Bewilligungsinhaber, um sich über den Bewilligungsumfang des Unternehmens Klarheit zu verschaffen. Liegen keine aussergewöhnlichen Umstände vor, wird die fachtechnisch verantwortliche Person mit dem Einwand, sie habe angenommen, auch eine andere als in der Verfügung von Swissmedic bezeichnete Tätigkeit sei von der Bewilligung erfasst, nicht durchdringen.
2. Unterlassungsdelikt (Art. 11 StGB)
Obwohl F im Rahmen seiner Überwachungspflichten festgestellt hat, dass die X AG Grosshandel in der Schweiz betreibt, ohne über die hierfür notwendige Grosshandelsbewilligung zu verfügen, interveniert er nicht. Weder gebietet er der Grosshandelstätigkeit Einhalt noch genehmigt er diese aktiv, er lässt die Geschäftsleitung der X AG schlicht gewähren.
In der ersten Konstellation hat F den objektiven Tatbestand durch eine aktive Handlung erfüllt. An eine aktive Handlung kann hier jedoch gerade nicht angeknüpft werden, weshalb zu prüfen ist, ob F den Tatbestand des illegalen Grosshandels mit Arzneimitteln in der Schweiz durch Unterlassen erfüllt hat. Beim - wie hier vorliegenden - unechten Unterlassungsdelikt ist zu prüfen, ob das Unterlassen einer Handlung gleich behandelt werden soll wie die aktive Begehung eines Delikts[78]. Die Gleichbehandlung ist dann möglich, wenn dem Täter eine spezifische Handlungspflicht obliegt, aufgrund welcher er für den Schutz eines bestimmten Rechtsguts zu sorgen hat[79]. Diese Handlungspflicht ergibt sich aus einer Garantenstellung, die sich aus einer besonderen Rechtspflicht ableitet[80].
Unstrittig ist, dass die hier vorliegende Übertretung grundsätzlich auch durch «pflichtwidriges Untätigwerden»[81] begangen werden kann. Nach dem Gesetz bleibt pflichtwidrig untätig, «wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist»[82]. Mit anderen Worten muss F eine Garantenstellung zukommen, wobei vorliegend eine solche aus «Gesetz» nach Art. 11 Abs. 2 lit. a StGB in Betracht kommt. Allerdings begründet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht jede gesetzliche Pflicht eine entsprechende Garantenstellung[83], vielmehr bedarf es einer entsprechenden «Rechtsstellung» des Betroffenen[84] bzw. eine besondere Rechtspflicht. Letztere ergibt sich für die fachtechnisch verantwortliche Person aus Art. 10 Abs. 1 AMBV. Diese Bestimmung sieht u.a. bezüglich des Grosshandels in der Schweiz vor, dass die fachtechnisch verantwortliche Person die unmittelbare fachliche Aufsicht über den Betrieb auszuüben und insbesondere den sachgemässen Umgang mit Arzneimitteln sicherzustellen hat[85]. Dafür ist das Unternehmen bzw. der vom Unternehmen im Gesuch bezeichnete fachtechnisch Verantwortliche mit Erteilung der Swissmedic-Bewilligung verantwortlich. Mit anderen Worten wird dem Verantwortlichen in einem bestimmten Bereich von Swissmedic die Pflicht überbunden, sicherzustellen, dass die von «seinem» Unternehmen hergestellten oder gehandelten Arzneimittel den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Anhang 2 der Arzneimittel-Bewilligungsverordnung verweist zudem auf die GDP-Leitlinien der EU[86]. In Art. 2.2 dieser Leitlinien sind die Pflichten der fachtechnisch verantwortlichen Person detailliert aufgeführt; dazu gehört es auch, sicherzustellen, dass sie sich auf die «Durchführung genehmigter Tätigkeiten»[87] konzentriert. Sie muss also gewährleisten, dass sich die Tätigkeiten ihrer Arbeitgeberin im Rahmen des heilmittelrechtlich Bewilligten abspielen. Aus diesen Bestimmungen und Pflichten lässt sich eine besondere Rechtsstellung der fachtechnisch verantwortlichen Person und damit eine Garantenpflicht ableiten[88]. Denn zu überwachen, ob die heilmittelrechtlichen Vorschriften bei den einzelnen Handlungen ihrer Arbeitgeberin eingehalten werden, stellt nach dem Gesagten ausdrücklich eine der zentralen Aufgaben der fachtechnisch verantwortlichen Person dar. Entsprechend kommt letzterer eine Garantenstellung aus Gesetz zu, weshalb sie auch bei unterlassener aber hier gebotener wie zumutbarer Intervention den Tatbestand des illegalen Grosshandels mit Arzneimitteln erfüllt.
3. Geschäftsherrenhaftung (Art. 6 Abs. 2 und 3 VStrR)
Angenommen, F gibt im Rahmen der Einvernahme im Verwaltungsstrafverfahren von Swissmedic zu Protokoll, nicht er habe die Grosshandelstätigkeit der X AG genehmigt, sondern sein Mitarbeiter M.
Neben der Bestrafung des Haupttäters M ist zu prüfen, ob F ebenfalls strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden muss, weil er in seiner Funktion als fachtechnisch verantwortliche Person die Tätigkeiten seiner hierarchisch Untergeordneten nicht genügend überwacht hat[89]. Zur Diskussion steht damit die Geschäftsherrenhaftung nach Art. 6 Abs. 2 VStrR, wonach der Geschäftsherr, Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene, der es vorsätzlich oder fahrlässig in Verletzung einer Rechtspflicht unterlässt, eine Widerhandlung des Untergebenen, Beauftragten oder Vertreters abzuwenden oder in ihren Wirkungen aufzuheben, den Strafbestimmungen untersteht, die für den entsprechend handelnden Täter gelten. Für Unternehmen, wobei es sich im Anwendungsbereich des Heilmittelgesetzes in aller Regel um juristische Personen handelt, bestimmt Art. 6 Abs. 3 VStrR, dass als Geschäftsherr u.a. auch Organe und «tatsächlich leitende Personen» gelten. Die vorgesetzten Personen stehen damit in der Pflicht, den rechtmässigen Zustand aufrecht zu erhalten bzw. wenn eine Störung bereits eingetreten ist, diese zu beseitigen[90]. Die Geschäftsherrenhaftung bezweckt, Führungspersonen eines Unternehmens zu bestrafen, die wissen oder annehmen müssen, dass ihre Untergebenen Straftaten begehen und diese Straftaten nicht unterbinden[91]. Sie wurde zum einen deshalb ins Gesetz aufgenommen, weil das Nichtverhindern von Straftaten durch Vorgesetzte als strafwürdig erachtet wurde[92] und, zum anderen, weil sich das Verhalten des Geschäftsherrn nicht klar den vorhandenen Kategorien von Täterschaft und Teilnahme zuordnen lässt[93].
Um gestützt auf die Geschäftsherrenhaftung bestraft werden zu können, muss F im konkreten Fall eine Sonderstellung als Geschäftsherr, Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretener zukommen[94]: F ist weder Arbeitgeber noch Auftraggeber oder Vertretener und steht mit M in keinem (arbeits-)vertraglichen Verhältnis. Was den Begriff des «Geschäftsherrn» betrifft, verstehen Eicker/Frank/Achermann Organe und natürliche Personen darunter, «welchen die Gesamtgeschäftsführung in operativer Hinsicht zukommt, wie z.B. den Mitgliedern eines Verwaltungsrats einer AG»; diese auf den ersten Blick etwas eng anmutende Definition wird in der Folge zu Recht dahingehend ergänzt, dass jede Person, die «gegenüber dem unmittelbaren Täter eine Überwachungspflicht hat», als Geschäftsherr im Sinn des Verwaltungsstrafrechtsgesetzes zu verstehen ist[95]. Nach Burgener ist Geschäftsherr derjenige, dem Entscheidbefugnisse und Überwachungspflichten zukommen[96]. Eine ähnliche Definition findet sich auch bei Gfeller, wonach Geschäftsherr derjenige ist, dem gegenüber dem Täter eine Überwachungspflicht zukommt[97]. Garbarski definiert den Geschäftsherrn als Person, die ihren Untergebenen Anweisungen erteilen kann[98]. Hier ist F gegenüber M in einem bestimmten Bereich direkt und unmittelbar weisungsbefugt sowie hierarchisch übergeordnet[99]. Zudem obliegen ihm als fachtechnisch verantwortliche Person entsprechende Überwachungspflichten, die er völlig unabhängig von der Unternehmensstruktur wahrzunehmen hat. F kommt damit die Stellung eines Geschäftsherrn im Sinn von Art. 6 Abs. 2 (i.V.m. Art. 6 Abs. 3) VStrR zu.
Strafbar macht sich ein Geschäftsherr wegen der Nichtvornahme einer gebotenen und zumutbaren Handlung, womit deutlich wird, dass es sich bei der Geschäftsherrenhaftung um ein unechtes Unterlassungsdelikt handelt[100]. Entsprechend bildet wie bereits unter IV.2. auch hier die Verletzung einer Garantenpflicht[101] eine unabdingbare Voraussetzung für die Bestrafung des Geschäftsherrn[102]. Diesbezüglich wurde bereits aufgrund vorstehender Ausführungen deutlich, dass der fachtechnisch verantwortlichen Person in ihrem Kompetenzbereich eine Garantenstellung zukommt, die sich hier für F aus Art. 10 Abs. 1 AMBV ergibt[103] und nach welcher es ihre Aufgabe ist, in ihrem Zuständigkeitsbereich die öffentliche Gesundheit zu schützen. Einschränkend gilt festzuhalten, dass sich die Garantenpflicht des Geschäftsherrn nur auf diejenigen Risiken beschränken kann, die betriebsspezifisch sind; mit anderen Worten haftet der Geschäftsherr nur für die Verletzung derjenigen Rechtsgüter, die er aufgrund seiner Funktion gerade schützen soll[104], wie vorliegend z.B. die öffentliche Gesundheit. F würde daher für den Diebstahl des M an einem Arbeitskollegen nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Denn als fachtechnisch verantwortliche Person obliegt es ihm, in seinem Tätigkeitsbereich für sichere Heilmittel zu sorgen. Dies beinhaltet selbstredend nicht, für Eigentumsdelikte seines Mitarbeiters M (strafrechtlich) gerade zu stehen[105].
Die Bestrafung gestützt auf Art. 6 Abs. 2 VStrR setzt weiter voraus, dass der Geschäftsherr es unterlassen hat, die Widerhandlung eines Untergebenen abzuwenden oder in ihren Wirkungen aufzuheben[106]. Bei der Frage der Vermeidbarkeit der Widerhandlungen wird der Massstab streng angesetzt, wie das Urteil 6B_444/2010 vom 16.9.2010 des Bundesgerichts illustriert: Pharmazeutische Unternehmen, die (ausschliesslich) über eine Bewilligung zum Grosshandel mit Arzneimitteln verfügen, dürfen Arzneimittel nur an Unternehmen liefern, die ihrerseits entweder über eine Grosshandelsbewilligung verfügen[107] oder die befugt sind, Arzneimittel an den Endverbraucher abzugeben[108]. Letzteres ist z.B. bei Apotheken sowie bei Ärzten der Fall, die über eine kantonale Bewilligung zur Selbstdispensation verfügen. Es ist Aufgabe der fachtechnisch verantwortlichen Person sicherzustellen, dass Arzneimittel nur an bezugsberechtigte juristische oder natürliche Personen abgegeben werden. Im konkreten Fall gelangte ein Arzt mit einer psychiatrischen Allgemeinpraxis an das Unternehmen und bestellte eine grosse Menge an Arzneimitteln aus unterschiedlichsten Gebieten. Der Arzt verfügte jedoch nicht über eine Bewilligung zur Selbstdispensation, sondern ihm wurde von den kantonalen Behörden lediglich erlaubt, Arzneimittel für Notfälle und für die «Direktversorgung» abzugeben. Die vom Arzt beim Pharmaunternehmen bestellte Anzahl an Arzneimitteln überschritt zum einen die durchschnittlich übliche, notfallmässig abgegebene Menge. Zum anderen fanden sich auch Arzneimittel auf der Bestellung, die offensichtlich nicht notfallmässig oder im Rahmen der Direktversorung durch einen Psychiater abgegeben werden, wie Appetitzügler, Abführmittel, Tropfen gegen Haarausfall, Tabletten zur Senkung der Blutfettwerte, gegen Nikotinabhängigkeit und gegen Erektionsstörungen[109]. Das Bundesgericht bestätigte, dass es der fachtechnisch verantwortlichen Person hätte auffallen müssen, dass Art und Umfang der Bestellungen nicht mit einer Bewilligung eines Psychiaters zur Notfall- und Direktversorgung übereinstimmen kann. Insbesondere verwarf es das Argument der beschwerdeführenden fachtechnisch verantwortlichen Person, wonach ihr die persönliche Kontrolle der Medikamentenlieferung nicht zumutbar gewesen sein soll. Letztere hat die Bestellungen weder selbst kontrolliert noch durch entsprechende Weisungen sichergestellt, dass ihr zumindest die umfangreichen, häufigen oder auffälligen Aufträge bzw. jene aus einem Gebiet mit einem grundsätzlichen Abgabeverbot zur Kontrolle vorgelegt wurden. Das Bundesgericht resümierte, dass die Beschwerdeführerin als studierte Apothekerin über das notwendige Wissen verfügt, pro Arztkategorie interne Kontrollmechanismen einzuführen, die die Aufdeckung kritischer Bestellungen erlauben[110]. Entsprechend bestätigte es die Verurteilung der fachtechnisch verantwortlichen Person wegen Widerhandlung gegen das Heilmittelgesetz.
Dieser Fall zeigt eindrücklich, dass die Gerichte an das Pflichtbewusstsein der fachtechnisch verantwortlichen Person hohe Anforderungen stellen, was sich mit Blick auf die potentielle Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung rechtfertigt[111]. Für die betroffene fachtechnisch verantwortliche Person bedeutet dies ein erhebliches Strafverfolgungsrisiko. Diese Rechtsprechung hat denn auch für F zur Folge, dass er mit dem Argument, nicht er selbst, sondern sein Mitarbeiter habe die Grosshandelstätigkeit der X AG genehmigt, einer Strafe nicht entgehen kann. Dies zumindest dann nicht, wenn er nicht darlegen kann, dass er umfassende Vorkehrungen getroffen und griffige Kontrollmechanismen eingeführt hat, um Verstösse gegen das Heilmittelgesetz durch seine Untergebenen zu verhindern und abzuwenden[112].
Schliesslich wird der Vorgesetzte auch dann bestraft, wenn er fahrlässig zulässt, dass ihm hierarchisch Untergeordnete gegen die Heilmittelvorschriften verstossen[113]. Kein strafrechtlicher Vorwurf kann der fachtechnisch verantwortlichen Person hingegen dann gemacht werden, wenn sie um die regelwidrigen Aktivitäten der ihr untergebenen Person weder wissen musste noch bei Aufwendung aller Sorgfalt solche hätte annehmen müssen[114]. Allerdings liegt die Schwelle für das «Annehmenmüssen» von Gesetzesverstössen eines Untergeordneten tief: Für die Strafbarkeit des Vorgesetzten reicht es bereits aus, «wenn die Gefahr der Begehung einer Anlasstat objektiv betrachtet betriebs- und branchentypisch ist»[115]. Weil die Pharmabranche durch das Heilmittelgesetz und seine Ausführungsverordnungen stark reguliert ist, dürfte bei denjenigen Personen, die direkt mit dem Ein- und Verkauf bzw. der Herstellung der Arzneimittel beschäftigt sind, das Risiko einer Anlasstat bzw. eines Verstosses gegen die heilmittelrechtlichen Vorschriften und damit das Risiko einer Haftung des Vorgesetzten grösser sein als bei Personen, die nur indirekt mit Arzneimitteln zu tun haben, wie das z.B. in der Administration oder der Buchhaltung der Fall ist.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie es sich mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Vorgesetzten der fachtechnisch verantwortlichen Person verhält. In kleineren Unternehmen können das die Geschäftsführer sein, in grösseren z.B. der Leiter der Compliance Abteilung. Der fachtechnisch Verantwortliche nimmt eine Sonderstellung innerhalb des Unternehmens ein: Er ist weisungsbefugt und in der Regel von der Geschäfts- und Produktionsleitung unabhängig. Durch die Swissmedic-Bewilligung wird die Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit in einem bestimmten und abgesteckten Bereich dem Unternehmen bzw. der fachtechnisch verantwortlichen Person überbunden. Diese Aufgabe verlangt entsprechendes Fachwissen, welches der Vorgesetzte des fachtechnisch Verantwortlichen gerade in kleineren Unternehmen in der Regel nicht hat. Eine fachliche Kontrolle und Aufsicht scheidet in solchen Konstellationen aus. Allerdings kann der Vorgesetzte dann strafrechtlich verantwortlich gemacht werden, wenn er in Verletzung der gebotenen Sorgfalt z.B. zulässt, dass die fachtechnisch verantwortliche Person nicht regelmässig zur Arbeit erscheint, ihre Stellvertretung nicht (hinreichend) geregelt hat oder der Betriebsablauf durch die Untätigkeit des fachtechnisch Verantwortlichen gestört ist. Wie es sich darüber hinaus mit der Strafbarkeit des Vorgesetzten verhält, muss an dieser Stelle offen bleiben.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Geschäftsherrenhaftung nach Art. 6 Abs. 2 und 3 VStrR für die fachtechnisch verantwortliche Person zu einer «Ausdehnung» ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit führt.
V. Fazit
Die vorstehenden Ausführungen haben aufgezeigt, dass die fachtechnisch verantwortliche Person verwaltungsstrafrechtlich stark exponiert ist[116]. Insbesondere durch die ihr zukommende Garantenstellung wird ihre Strafbarkeit «ausgedehnt» und das Risiko einer Strafverfolgung erhöht. In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass die fachtechnisch verantwortliche Person insbesondere von kleineren in der Herstellung oder im Handel tätigen Pharmabetrieben bei ihrer ersten Einvernahme überrascht reagiert, wenn ihr vom Untersuchungsleiter ihre Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit einem vermuteten Verstoss gegen die Heilmittelvorschriften vor Augen geführt werden. Für die Abwendung einer Verurteilung durch Swissmedic oder die kantonalen Gerichte ist es zu diesem Zeitpunkt zu spät. Die fachtechnisch verantwortliche Person muss sich daher vor Übernahme dieser Schlüsselrolle in einem in der Pharmabranche tätigen Unternehmen umfassende Klarheit über ihre Zuständigkeiten, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten verschaffen - dies nicht zuletzt auch zu ihrem eigenen Schutz.