I. Fahrplan und Fahrziel
Die Schweiz ist eine Bahnnation; ein einig Volk von Pufferküssern.[1] Doch nicht alle Benützenden sind gewillt, das notwendige Entgelt zu bezahlen.[2] Das nationale Schwarzfahrer-Register ist prall gefüllt.[3] Das Fahren ohne gültigen Fahrschein kann dabei sowohl zivil- wie auch strafrechtliche Folgen haben. Wird der Schwarzfahrer erwischt, muss er den Fahrschein und einen Zuschlag bezahlen. Fährt er wiederholt ohne Fahrschein, droht eine Staffelungsgebühr. Das sind die zivilrechtlichen Folgen. Zusätzlich kann der Verkehrsbetrieb einen Strafantrag stellen, der in einer Busse, ausgesprochen durch die Strafverfolgungsbehörden oder die Gerichte, münden kann.
Gerade auch im Zusammenhang mit der Revision des Art. 353 Abs. 2 StPO[4], durch welche nun bei gegebenen Voraussetzungen auch im Strafbefehlsverfahren über Zivilforderungen entschieden werden kann respektive muss, erhalten die Zivilforderungen der Verkehrsbetriebe verstärkte Relevanz. Diese geltend gemachten Forderungen sind regelmässig beziffert und begründet. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, ob diese Forderungen tatsächlich adhäsionsfähige «zivilrechtliche Ansprüche» im Sinne von Art. 122 StPO darstellen. Judikatur zu diesen Fragen besteht - soweit ersichtlich - nicht.[5]
Nachfolgend werden im ersten Teil (II.) «Vor der Abfahrt» die notwendigen Grundlagen gelegt. «Nach der Abfahrt» folgen im zweiten Teil (III.) die einzelnen Haltestellen (Fahrpreis(pauschale) [1.]; Zuschlag [2.]; Staffelungsgebühr [3.] und Umtriebsentschädigung [4.]. Darin werden der jeweilige Anspruch an sich und dessen Berechnung erläutert sowie rechtlich gewürdigt. Im Endbahnhof (IV.) angekommen, erfolgt dann eine resümierende Durchsage.
II. Vor der Abfahrt
Zunächst ist die notwendige Netzspannung aufzubauen: So ist das Personenbeförderungsrecht und damit insbesondere das Verhältnis zwischen Passagierin und Verkehrsbetrieb kurz darzulegen. Zudem werden Darlegungen zu den für den vorliegenden Beitrag relevanten Aspekten der Zivilklage gemäss Strafprozessordnung gemacht.
1. Gültiger Fahrausweis
Die Personenbeförderung mit dem öffentlichen Verkehr sowie die Nutzung und Verwendung der verwendeten Anlagen werden im Bundesgesetz über die Personenbeförderung[6] geregelt. Art. 20 dieses Gesetzes normiert dann das Reisen ohne Fahrausweis. Das Fahren ohne gültigen Fahrausweis wird auf Antrag mit Busse bestraft (Art. 57 Abs. 3 PBG), wobei sowohl die vorsätzliche als auch die fahrlässige Begehung unter Strafe steht. Stellt der Verkehrsbetrieb einen Strafantrag, droht dem Schwarzfahrer eine Busse, welche durch die zuständige Strafverfolgungsbehörde oder gegebenenfalls durch das Gericht ausgesprochen wird. Dies ist die strafrechtliche Folge seines Verhaltens.
Nebst der Busse im Sinne von Art. 57 Abs. 3 PBG hat Reisen ohne gültigen Fahrausweis regelmässig (weitere) vermögensrechtliche Folgen. Gemäss Art. 20 PBG müssen Reisende, die keinen gültigen Fahrausweis vorweisen, den Fahrpreis und einen Zuschlag bezahlen (Abs. 1). Dieser Zuschlag kann erhöht werden, wenn der Reisende zum wiederholten Mal keinen gültigen Fahrausweis vorweist (Abs. 5).
Diese Forderungen werden in der Praxis von den Verkehrsbetrieben im Strafprozess betreffend die Busse im sog. «Adhäsionsverfahren» geltend gemacht.[7] Im Folgenden werden Schwierigkeiten aufgezeigt, welche bestehen können, wenn Forderungen im Adhäsionsverfahren erhoben werden.
2. Das Verhältnis zwischen Passagierin und Verkehrsbetrieb
Nutzen Reisende die Dienstleistungen eines Verkehrsbetriebs, entsteht zwischen ihnen und dem Verkehrsbetrieb ein Rechtsverhältnis. Beim Billettkauf ist das Schliessen eines entsprechenden Vertrags eindeutig. Beim Schwarzfahren fehlt es hingegen an einer ausdrücklichen Willensbekundung. Zutreffenderweise ist davon auszugehen, dass der Schwarzfahrer mit Inanspruchnahme der Fahrleistungen konkludent in die Nutzungsbedingungen des jeweiligen Verkehrsbetriebs einwilligt.[8] Er unterwirft sich mithin ebenfalls den Bedingungen des Transportvertrags des jeweiligen Verkehrsbetriebs. Art. 56 Abs. 1 PBG bestimmt hinsichtlich des Rechtswegs, dass «vermögensrechtliche Streitigkeiten zwischen Kundinnen und Kunden und Unternehmen» durch den Zivilrichter entschieden würden.[9] Das Bundesverwaltungsgericht ging hinsichtlich gleichlautender Bestimmung des Transportgesetzes davon aus, dass der Gesetzgeber den Transportvertrag damit «stillschweigend dem Privatrecht» zuordne.[10] Zwischen dem Schwarzfahrer und dem Verkehrsbetrieb entsteht damit ein zivilrechtlicher Vertrag.
Zudem sind für das Verhältnis zwischen den Verkehrsbetrieben und den jeweiligen Reisenden die «gemeinsame[n] Tarif-Nebenbestimmungen für den nationalen Direkten Verkehr und die Verbünde», der sog. Tarif600, massgebend.[11] Sowohl der Inhalt des Beförderungsvertrags wie auch der Umgang bei Fahren ohne gültigen Fahrausweis werden im Wesentlichen im Tarif600 festgelegt. Dieser wird von der Alliance SwissPass erarbeitet und publiziert.[12] Auch wenn er Ähnlichkeiten zu den AGB aufweist, bedarf es keines Einbezugs, da er von Gesetzes wegen gilt.[13] Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts untersteht der Transportvertrag dem Privatrecht, auch wenn der Tarif in einem öffentlich-rechtlichen Erlass festgelegt ist, dessen Rechtsnatur öffentlich-rechtlich oder gemischt-rechtlich sein dürfte.[14] Der Bahnkunde ist damit auch ohne Vertragsschluss dem Tarif600 unterworfen.
Es steht den einzelnen Verkehrsbetrieben dann auch offen, selbst Tarife zu erlassen. Strafrechtlich können solche Tarife bedeutend sein, da sie teilweise vorschreiben, dass der Strafantrag wegen Reisens ohne Fahrschein im Sinne von Art. 57 Abs. 3 PBG erst beim dritten Vorfall gestellt wird.[15] Strafbar ist das Reisen ohne Fahrschein selbstredend schon beim ersten Mal, nur verpflichten sich die Transportunternehmen letztlich, einen Strafantrag erst im Wiederholungsfall zu stellen. Gewissermassen auferlegen sich die Verkehrsunternehmen betreffend Erst- und Zweittäter zu einem strafrechtlichen pactum de non petendo, mithin einem Stillhalteabkommen.
3. Zivilklage (Art. 128 StPO)
Das Strafverfahren dient in erster Linie der (strafrechtlichen) Aburteilung der beschuldigten Person. Auf dem Nebengleis fährt sodann die Privatklägerschaft mit, die ihre aus der Straftat entstandenen Forderungen geltend zu machen versucht. Folgend wird auf relevante Einzelheiten der Zivilklage sowie auf die Frage der Schutznormqualität der PBG-Strafbestimmung eingegangen.
a) Allgemeines
Die geschädigte Person kann gemäss Art. 122 Abs. 1 StPO im Adhäsionsverfahren Zivilforderungen geltend machen. Vorausgesetzt sind nach Wortlaut von Art. 122 Abs. 1 StPO «zivilrechtliche Ansprüche aus der Straftat». Öffentlich-rechtlich begründete Forderungen sind damit gemäss klarem Wortlaut und ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts vom Anwendungsbereich des Adhäsionsverfahrens ausgenommen.[16]
Hinsichtlich vertraglicher Ansprüche war sich die Lehre und kantonale Judikatur uneins, ob diese im Adhäsionsverfahren zuzulassen seien.[17] Die stützende Lehrmeinung verwies auf den ihrer Ansicht weiten Wortlaut der StPO, der die «zivilrechtlichen Ansprüche» nicht weiter einschränke.[18] Die gegenteilige Ansicht akzentuierte das Erfordernis des Ableitens aus einer Straftat. Denn wer nur einen vertraglichen Anspruch gegenüber seinem Vertragspartner habe, werde nicht durch die Straftat in seinen Rechten verletzt.[19] Das Bundesgericht liess diese Frage im Urteil 6B_1160/2014 noch explizit offen.[20] Im Leitentscheid BGE 148 IV 432 schloss das Bundesgericht dann vertragliche Ansprüche vom Adhäsionsverfahren aus.[21] So führe die wörtliche, teleologische und systematische Auslegung von Art. 122 Abs. 1 StPO zum Schluss, dass das Adhäsionsverfahren nicht alle privatrechtlichen Ansprüche erfasse, sondern nur diejenigen, die sich aus einer Straftat ableiten liessen, was bei vertraglichen Ansprüchen nicht der Fall sei.[22]
Im Zentrum steht die ausservertragliche Haftung im Sinne von Art. 41 ff. OR[23].[24] Art. 41 OR setzt betreffend Haftung im Sinne der objektiven Widerrechtlichkeitstheorie voraus, dass die Geschädigte in absoluten Rechtsgütern (so körperliche, geistige, sexuelle und seelische Integrität sowie die Persönlichkeit und Leben, Eigentum, Besitz und Immaterialgüterrechte) verletzt wird.[25] Das Vermögen alleine stellt hingegen kein absolutes Rechtsgut dar.[26] Bei reinen Vermögensschäden ist für eine Haftung vorausgesetzt, dass gegen eine Vermögensschutznorm verstossen wird (sog. Verhaltensunrecht).[27] Solche Normen finden sich unter anderem aber insbesondere im Strafrecht.
b) Reise ohne Fahrausweis als Schutznorm
Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass die Verkehrsbetriebe, um ihre Zivilforderungen geltend zu machen, über eine ausservertragliche zivilrechtliche Forderung verfügen müssen, da vertragliche oder öffentlich-rechtliche Ansprüche vom Anwendungsbereich ausgenommen sind. Die Verkehrsbetriebe werden durch den Verstoss gegen Art. 57 Abs. 3 PBG nicht in einem absoluten Rechtsgut verletzt. Die einzig denkbar verbleibende Möglichkeit, um eine adhäsionsfähige Forderung annehmen zu können, ist daher, Art. 57 Abs. 3 PBG Schutznormqualität zuzuerkennen.
Einer Bestimmung die Qualität einer Schutznorm zuzuerkennen, ist abhängig von Lehre und Rechtsprechung.[28] Judikatur zu Art. 57 Abs. 3 PBG besteht nicht.[29] Die Betrugstatbestände gemäss Art. 146 ff. StGB[30] stellen vermögensstrafrechtliche Schutznormen dar,[31] worunter auch der Tatbestand der «Erschleichen einer Leistung» im Sinne von Art. 150 StGB fällt. Art. 57 Abs. 3 PBG stellt einen Auffangtatbestand zu Art. 150 StGB dar.[32] Art. 150 StGB setzt ein eigentliches Erschleichen voraus;[33] während bei Art. 57 Abs. 3 PBG Reisen ohne Fahrschein ausreicht. Diese strafrechtliche Differenzierung wie auch der Umstand, dass es sich bei Art. 57 Abs. 3 StGB um eine Übertretung handelt, sind für die Frage der Schutznormqualität indes irrelevant. Entscheidend ist vielmehr die identische Schutzrichtung der Normen: sowohl Art. 150 StGB und Art. 57 Abs. 3 PBG schützen das Vermögen des jeweiligen Dienstleisters.
c) Fazit
Art. 57 Abs. 3 PBG hat damit Schutznormqualität und kann eine ausservertragliche Haftung begründen. Die Adhäsionsfähigkeit ist also grundsätzlich zu bejahen. Entscheidend ist aber auch, ob die geltend gemachte Forderungen, so wie sie regelmässig erhoben werden, haftpflichtrechtlich oder vielmehr vertraglich begründet sind.
III. Haltestellen
Nach der Abfahrt ist folgende Streckenführung vorgesehen: Die nachfolgenden Ausführungen überprüfen typische Zivilansprüche der Verkehrsbetriebe, die im Rahmen eines PBG-Verstosses geltend gemacht werden. Es sind dies die «Fahrpreis(pauschale)» (1.), «Zuschlag» (2.), «Staffelungsgebühr» (3.) und «Umtriebsentschädigung» (4.).
1. Haltestelle Nr. 1: Fahrpreis(pauschale)
Selbstredend ist beim Schwarzfahren zunächst der eigentliche Fahrscheinpreis zu bezahlen. Dies ist aber nur bei Fahrten mit Zugbegleiterinnen der Fall.[34] Bei Fahrten mit Selbstkontrolle[35] ist bei Reisen ohne gültigen Fahrschein statt des effektiven Fahrpreises eine Pauschale von CHF 10 geschuldet.[36] Beim Anspruch auf die Fahrpreispauschale handelt es sich um einen vertraglichen Anspruch.[37]
Pauschalierungen des Schadens sind im Rahmen des Haftpflichtrechts nur bei «ziffernmässig nicht nachweisbaren Schaden» zulässig (Art. 42 Abs. 2 OR); verlangt ist grundsätzlich vielmehr die konkrete Berechnung des Schadens.[38] Die Pauschalierung durch die Verkehrsbetriebe wird damit begründet, dass bei Strecken mit Selbstkontrollen und vielen Stationen die konkret zurückgelegte Strecke schwer zu eruieren sei.[39] Es ist aber zu bemerken, dass die Verkehrsbetriebe in ihren Strafanträgen die jeweilige Strecke nennen. Zudem ist auch nicht zwingend, die jeweilige Haltestelle zu benennen. Vielmehr reichen die gefahrenen Zonen für die Fahrpreisberechnung in der Regel aus. Streng nach haftpflichtrechtlichen Gesichtspunkten kann einzig der effektive Fahrpreis als Schaden geltend gemacht werden; es sei denn, die Voraussetzungen von Art. 42 Abs. 2 OR sind im konkreten Einzelfall erfüllt. Dies erweist sich angesichts der bundesgerichtlichen Rechtsprechung indes als hohe Hürde. So setzt diese voraus, dass «alle Umstände, die für die Verwirklichung des behaupteten Sachverhalts sprechen, soweit möglich und zumutbar zu behaupten und zu beweisen» sind.[40]
2. Haltestelle Nr. 2: Zuschlag
Zum Fahrpreis respektive zur Fahrpreispauschale kommt bei Reisen ohne Fahrschein der Zuschlag gemäss Art. 20 Abs. 2 PBG hinzu. Dieser beträgt CHF 90.[41] Auch wenn die Pflicht zur Zahlung eines Zuschlags dem Gesetz entspringt, hat die Geltendmachung des Zuschlags keinen Verfügungscharakter im Sinne von Art. 5 VwVG[42].[43] Vielmehr handelt es sich um einen Bestandteil der Tarife und «damit als allgemeine Vertragsbedingung eine kodifizierte privatrechtliche Nebenpflicht des Transportvertrags».[44]
Der Hintergrund des Zuschlags ist die Abfederung der Kosten, die durch die Schwarzfahrer entstehen.[45] So sollen «kostenneutrale Fahrausweiskontrollen» ermöglicht werden.[46] Die Kosten und Verluste sollen durch den Zuschlag gedeckt werden.[47] Gemäss bundesrätlicher Botschaft zum Transportgesetz habe der Zuschlag hingegen keinen Strafcharakter.[48] Der Bundesrat versprach sich aber eine vorbeugende Wirkung gegen das Schwarzfahren durch den Zuschlag.[49]
Die Höhe des Zuschlags wird gemäss Art. 20 Abs. 3 PBG nach dem mutmasslichen Einnahmeausfall, «den Reisende ohne gültigen Fahrausweis verursachen» (lit. a), und dem Aufwand, den die reisende Person verursacht (lit. b), berechnet.
Zunächst ist auf lit. a einzugehen. Gemäss Wortlaut geht es um Aufwände, den «Reisende ohne gültigen Fahrausweis» verursachen. Das Gesetz verwendet bewusst den Plural.[50] Damit wird festgehalten, dass der einzelne Schwarzfahrer nicht nur seine Schwarzfahrt, sondern auch noch gleich an den Gesamtkosten der Schwarzfahrerei beteiligt wird. Er wird verpflichtet, die Kosten der Dunkelziffer mitabzudecken.[51]
Die durch den konkreten Einzelfall verursachten Kosten sollen vielmehr über lit. b berücksichtigt werden. Doch auch dieser Buchstabe ist in sich nicht ganz schlüssig. Sinn und Zweck des Zuschlags ist die Pauschalierung und damit, den Verkehrsunternehmen «ein möglichst einfaches und praktikables Mittel in die Hand zu geben».[52] Wenn aber der konkrete Aufwand im Einzelfall berechnet werden müsste, wäre der Zuschlag kein praktikables Mittel mehr, wozu es geschaffen wurde.[53] Besonders aufwändige Kontrollen können mit einem Zeitzuschlag belegt werden.[54] Die Transportunternehmen können weiter eine Bearbeitungsgebühr für die spätere Rechnungsstellung erheben, wenn der Fahrpreis und/oder Zuschlag nicht gleich vor Ort bar bezahlt wird.[55] Damit ist auch dieser Punkt nicht Teil der Berechnung. Damit geht es hier nicht um die konkreten Kosten der einzelnen Kontrolle, sondern um eine Pauschalierung, wie viel eine Kontrolle eines Schwarzfahrers durchschnittlich verursacht.[56]
Die (haftpflichtrechtliche) Schwierigkeit besteht weiter darin, dass die Kriterien gemäss Art. 20 Abs. 3 PBG zwei Ebenen vermischen. Auf der einen Seite soll der Mehraufwand wegen des Schwarzfahrenden abgegolten werden. Auf der anderen Seite soll der «mutmassliche Einnahmeausfall, den Reisende ohne gültigen Fahrausweis verursachen» beim Zuschlag mitberücksichtigt werden. Dieser von allen Schwarzfahrern verursachte Schaden sprengt die Schadensdefinition im Sinne der Differenztheorie.[57] Denn im Haftpflichtrecht muss es um tatsächlich angefallenen Schaden gehen, da es sich sonst um einen (haftpflichtrechtlich verpönten) Strafschadenersatz («punitive damages») handelt.[58]
In Urteil 6S.77/2003 vom 6. Januar 2004 hatte das Bundesgericht zu beurteilen, ob sich ein Parkplatzeigentümer nach Art. 181 StGB strafbar machte, wenn er vom Falschparkierer eine Umtriebsentschädigung einforderte, ansonsten er einen Strafantrag stelle. Darin hielt es fest, dass Umtriebsentschädigungen, die durch Pauschalierung eine generalpräventive Wirkung bewirken sollen, einer gesetzlichen Grundlage bedürften. Diese läge beim Zuschlag nach Art. 16 des Transportgesetzes (heute: Art. 20 PBG) vor. Das Bundesgericht äusserte sich in diesem Obiter Dictum hierbei nicht über die Rechtsnatur dieser Zuschläge. Eine Klassifikation als haftpflichtrechtlicher Schaden, bei dem die fundamentale Differenztheorie durch das PBG ausser Kraft gesetzt würde, ist aber abzulehnen.[59]
Mit anderen Worten zahlt der Brandstifter eben nicht nur die selbst abgebrannte Scheune, sondern Brandstiftungen von anderen Personen und damit verbunden noch für den Unterhalt der Feuerwehr.[60] Dies ist aus haftpflichtrechtlicher Sicht systemfremd, da das Haftpflichtrecht am konkret entstandenen, nachweisbaren Schaden und nicht an irgendwelchen überindividuellen Kosten ansetzt.
Die in der Botschaft geäusserte und vom Bundesgericht übernommene Ansicht[61] , es handle sich lediglich um die Abgeltung des Kontrollaufwands und nicht um eine Strafe, ist sodann nicht überzeugend. Denn die Zuschläge dienen insbesondere auch der Abschreckung und Prävention.[62] Dies ergibt sich auch daraus, dass die Zuschläge im Falle des Schwarzfahrens in den Zügen gross plakatiert sind. Die Alliance SwissPass erwägt sodann auch die stufenweise Erhöhung der Zuschläge, um insbesondere Wiederholungstäter abzuschrecken.[63] Abschreckung ist im Sinne der negativen Generalprävention ein klassischer Strafzweck. Dass der Zuschlag einen pönalen Charakter hat, ergibt sich auch daraus, dass die Zuschläge je nach Widerhandlung unterschiedlich hoch sind. So beträgt der Zuschlag, wenn ein Ticket gefälscht oder missbräuchlich verwendet wird, CHF 200 respektive CHF 100. Bei Reisen mit teilungültigem Fahrausweis (sog. Graufahren)[64] liegt der Zuschlag lediglich bei CHF 70. Wäre tatsächlich der Kontrollaufwand entscheidend, lässt sich diese Differenz zum Schwarzfahrerzuschlag von CHF 90 nicht erklären. Der Unterschied im Kontrollaufwand, ob ein Ticket nicht vorhanden oder gefälscht ist, respektive missbräuchlich verwendet wird, ist (pauschal gesehen) gering; bei teilungültigem Fahrausweis sind sogar keinerlei Gründe für eine Differenz erkennbar.[65] Durch den Umstand, dass sich der Tarif offensichtlich auch an der Schwere der Widerhandlung orientiert, tritt der strafähnliche Charakter in den Vordergrund. Auch im Volksmund wird dieser Zuschlag als Busse verstanden.[66] Gemäss Hochstrasser/Rusch liegt der Zuschlag (dogmatisch) zwischen Fahrpreispauschale und Busse.[67] Dass er keinerlei punitiven Hintergrund hat, trifft damit nicht zu.[68]
Durch den punitiven Anteil und den Umstand, dass über den konkreten Schaden hinausgegangen wird, verliert die Forderung ihren haftpflichtrechtlichen Gehalt im Sinne der Differenztheorie. Der Zuschlag ist als eine vertragliche Forderung zu qualifizieren, welche der Schwarzfahrer zu zahlen hat, wenn er seine Leistungspflicht (Entgelt) nicht erbringt. Gleichzeitig wird der Schaden vom Einzelfall losgelöst und pauschaliert. Nach richtigem Verständnis stellt der Zuschlag damit eine Konventionalstrafe dar.[69] Denn eine Konventionalstrafe soll zunächst die Gläubigerstellung dadurch verbessern, dass der Gläubiger vom Nachweis des Schadens befreit wird.[70] Die Pauschalierung im Sinne des Zuschlags verfolgt offenkundig ebenfalls dieses Ziel. Die Besonderheit der Konventionalstrafe - und damit im Gegensatz zur Schadenspauschalierung - liegt darin, dass sie - nebst der Straffunktion[71] - keinen Schaden voraussetzt.[72] Auch dies ist gegeben, da vielmehr ein vermuteter und damit nicht nachgewiesener Schaden als Grundlage genommen wird.
Mit der Qualifikation als Konventionalstrafe, welche eine vertragliche Leistungspflicht bedeutet, scheidet der Zuschlag als adhäsionsfähige Zivilforderung aus.[73] Es steht den Verkehrsbetrieben indes frei, den Schaden des konkreten Kontrollaufwands im Sinne von Art. 20 Abs. 3 lit. b PBG geltend zu machen.[74] Nur dieser individuelle, konkrete Schaden ist im Sinne des Haftpflichtrechts relevant.[75] Unzulässig ist aber, Zuschläge zu verwenden, die insbesondere auch Kosten durch andere Schwarzfahrer zum Inhalt haben.[76]
3. Haltestelle Nr. 3: Staffelungsgebühr
Wiederholungstäter stehen in besonderem Fokus der Verkehrsbetriebe, da diese zwei Drittel der Fahrten ohne Fahrschein verursachen und damit auch den Grossteil der finanziellen Einbussen.[77] Seit der Bahnreform 2 wird bei Wiederholungstätern nebst der Fahrpreispauschale und dem Zuschlag auch noch eine Staffelungsgebühr erhoben.[78] Kommt es zu einem Strafantrag wegen Art. 57 Abs. 3 PBG, so bildet auch die Staffelungsgebühr von CHF 70 Teil der Zivilforderung, falls der Strafantrag erst beim dritten Vorfall gestellt wird.[79]
Zur Begründung der Staffelungsgebühr führte der Bundesrat in der Botschaft aus, dass die Wiederholungstäter «nicht bei jeder Fahrt ohne gültigen Fahrausweis kontrolliert werden» könnten, «wodurch dem Transportunternehmen mutmasslich ein erheblicher Einnahmeausfall entsteht. Da dies kaum bewiesen werden kann, kommt die gesetzliche Vermutung zu Hilfe.»[80] Es geht damit nicht um den konkreten Fall.[81] Auch hier kommt es - wie schon beim Zuschlag - zu einer Abgeltung von Kosten, die nicht mit der konkreten Übertretung in einem Zusammenhang stehen. M.a.W. vermutet man beim Brandstifter, der drei Scheunen angezündet hat, dass er auch sonst noch unentdeckt weitere in Brand gesteckt hat. Einen Wiederholungstäter stärker an den «Dunkelziffer-Kosten» zu beteiligen, erscheint möglicherweise statistisch naheliegend, akzentuiert aber die Problematik des überindividuellen Schadens nochmals. Die Staffelungsgebühr ist als vertragliche Abrede zulässig. Haftpflichtrechtlich ist eine solche Abgeltung von (angeblichen) Ereignissen, die nicht im Zusammenhang mit dem konkreten Schadensereignis stehen, aber unzulässig. Vielmehr akzentuiert sich der pönale Charakter der Zuschläge, indem wiederum präventive Überlegungen eingebaut werden.[82] Auch hier geht es nicht um eine reine Schadenspauschalierung, sondern vielmehr handelt es sich um eine Konventionalstrafe.[83] Damit entfällt auch die Adhäsionsfähigkeit der Staffelungsgebühr.
4. Haltestelle Nr. 4: Umtriebsentschädigung
Zuletzt machen die Verkehrsbetriebe in ihren formalisierten Zivilklagen in aller Regel Auslagen für den Strafantrag geltend. Diese Auslagen können unter dem Begriff «Umtriebsentschädigung» zusammengefasst werden.[84] Gemäss dem allgemeinen Personentarif «Tarif610» wird für die Einreichung des Strafantrags CHF 50 berechnet.[85] Vorliegend ist aber zu beurteilen, ob es sich hierbei um eine Zivilforderung handelt.
Da es sich um den Aufwand «für den Strafantrag» handelt, geht es um Kosten, die in direktem Zusammenhang mit dem Strafverfahren stehen.[86] Die Abgeltung hat damit über das Entschädigungsrecht der StPO zu erfolgen.[87] Gemäss Art. 433 Abs. 1 StPO hat die Privatklägerschaft Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für notwendige Aufwendungen im Verfahren, sofern sie obsiegt. Der Entschädigungsanspruch ist dabei auf Auslagen und Umtriebe im Zusammenhang mit dem Strafverfahren beschränkt.[88] Bei diesen Aufwendungen handelt es sich in erster Linie um Anwaltskosten[89]. Die Beteiligung am Strafverfahren muss hierfür kausal gewesen sein. Sodann ist vorausgesetzt, dass der Beizug zur Wahrung der Interessen der Privatklägerschaft notwendig war.[90] Diese Aufwendungen sind zu beantragen, zu beziffern und zu belegen, ansonsten auf den Antrag seitens der Strafbehörde nicht eingetreten wird (Art. 433 Abs. 2 StPO). In der Praxis sind die Verkehrsbetriebe aber nicht anwaltlich vertreten, wenn sie Zivilansprüche geltend machen. Bei den Zivilforderungen handelt es sich dann auch nicht um solche komplexer Natur. Die Notwendigkeit des Beizugs einer Rechtsvertretung wäre also ohnehin fraglich.
Sodann sind aber auch andere wirtschaftliche Einbussen ersatzfähig.[91] So ist auch die anwaltlich nicht vertretene Privatklägerschaft hinsichtlich Lohneinbussen und für das Aktenstudium entschädigungsberechtigt.[92] Vorausgesetzt ist aber, dass dieser konkrete Aufwand begründet und belegt wird, woran es regelmässig fehlt.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es bei der Umtriebsentschädigung nicht um eine Zivilforderung, sondern vielmehr um einen Antrag um Parteientschädigung handelt. Sodann ist ein blosser Verweis im Strafantrag auf den Tarif und den pauschalierten angeblichen Aufwand nicht ausreichend. Vielmehr ist der entstandene Aufwand im Sinne der allgemeinen Regeln der Strafprozessordnung zur Parteientschädigung zu beziffern und zu belegen.
IV. Endbahnhof
Resümierend gilt damit festzuhalten, dass die Zivilforderungen zumindest teilweise auf dem Abstellgleis landen müssten. Diese fehlerhafte Weichenstellung ist aber grösstenteils bereits im Gesetz angelegt. So verbindet die gesetzliche Regelung haftpflichtrechtlich begründete Schadenersatzansprüche mit generalpräventiver Abschreckung sowie Abgeltung von Kosten und Aufwänden, die nicht im Zusammenhang mit dem konkreten Schadensereignis stehen. Zudem sind die Ansprüche pauschaliert, was wiederum haftpflichtrechtlichen Grundsätzen widerspricht. Damit stellte der Gesetzgeber die Weichen hin zur Konventionalstrafe und somit weg vom Haftpflichtrecht sowie damit einhergehend weg vom adhäsionsfähigen Anspruch.
Zivilansprüche sind durch die Verkehrsbetriebe aufgrund der Schutznormqualität von Art. 57 Abs. 3 PBG zwar möglich. Ersetzbar sind aber nur konkrete Schäden im Zusammenhang mit der individuellen Übertretung. Diese Kosten sind belegt und begründet geltend zu machen, sofern dies überhaupt möglich ist. Konkrete Fahrkosten, Kontrollaufwand und belegbare Umtriebe im Zusammenhang mit dem Strafverfahren können im Adhäsionsverfahren geltend gemacht werden. Überindividuelle Schäden und generalpräventive Abschreckungen, wie dies bei der Staffelungsgebühr klarerweise zum Vorschein tritt, sowie pauschal geltend gemachte Kosten und Aufwände hingegen nicht. Diese sind zivilrechtlich von den Verkehrsbetrieben einzuklagen.