Die Erwägungen verdeutlichen Folgendes: Erstens steht die
Behördenbeschwerde nur für die Behandlung von konkreten Rechtsfragen in
tatsächlich bestehenden Streitsachen zur Verfügung, nicht jedoch für
abstrakte Rechtsfragen; zweitens muss die strittige Rechtsfrage bei der
Behördenbeschwerde von einer gewissen Aktualität sein und für weitere Fälle
mindestens eine potenzielle Relevanz haben. Letztere ergibt sich - gleich
der Praxis bei fehlendem aktuellem und praktischem Interesse bei der
Individualbeschwerde[44]
-, wenn sich die Rechtsfrage unter gleichen oder ähnlichen Umständen
jederzeit wieder stellen könnte, eine rechtzeitige Überprüfung im
Einzelfall kaum je möglich wäre und es sich um eine Grundsatzfrage handelt,
deren Beantwortung im öffentlichen Interesse liegt.[45]
Im oben erwähnten dritten opferhilferechtliche Beispielfall (Urteil des
Bundesgerichts 1C_384/2021 vom 18.
August 2022; Rz. 9) sah das Bundesgericht den hinreichenden Nachweis der
Aktualität und der Relevanz für Behördenbeschwerden im Bereich des OHG als
nicht gegeben - u.a., weil das kantonale Urteil die Bundesrechtswidrigkeit
in Erwägungen und Dispositiv als solche deklariert hatte und insofern das
erforderliche Interesse an der korrekten und einheitlichen Anwendung des
Bundesrechts nicht mehr gegeben sei. So gab es laut Bundesgericht keinen
Hinweis darauf, dass sich die kantonale Entschädigungsbehörde zukünftig
nicht an der Auslegung des Bundesrechts des angefochtenen kantonalen
Entscheids orientieren würde.[46]
Ob diese Argumentation dem Aufsichtsmittel Behördenbeschwerde und dessen
präventiver Wirkung vollumfänglich gerecht wird, lässt sich m.E. bezweifeln,
schliesslich bleibt die bundesrechtswidrige Zahlung bestehen.
Immerhin schloss das Bundesgericht in seinem Urteil
1C_384/2021
die Behördenbeschwerde in Konstellationen wie im dritten Fall nicht generell
aus, sondern forderte von der Bundesbehörde einen spezifischen Nachweis
respektive eine Begründung (vgl.
Art. 106 BGG), inwiefern deren Beschwerde das Interesse an der korrekten und
einheitlichen Anwendung verfolgt, falls dies nicht offensichtlich ist. Sie
müsste z.B. nachweisen, dass Indizien bestehen, wonach die kantonale
Entschädigungsbehörde wohl weiterhin im Widerspruch zum Bundesrecht und zum
angefochtenen Entscheid Kosten sprechen würde.[47]
Hält sich eine kantonale Entschädigungsbehörde wiederholt nicht an die
bundesrechtlichen Vorgaben, bleibt die Behördenbeschwerde weiterhin möglich.
Das Urteil 1C_384/2021 könnte
jedoch einzelne Entschädigungsbehörden in Versuchung führen, in
Einzelfällen - insbesondere im Kontext stark mediatisierter Straffälle z.B.
bei Sexual- und Tötungsdelikten mit Kindern - bundesrechtswidrig hohe
Beträge zu sprechen. Spricht die Entschädigungsstelle einen zu hohen Betrag
zu, wäre eine nachträgliche Korrektur kaum mehr möglich, wenn das kantonale
Prozessrecht das kantonale Gericht an die Parteianträge bindet (Verbot
einer reformatio in peius)[48]
und das Bundesgericht dem Bund die Behördenbeschwerde verwehrt. Für die
Betroffenen zählt es wohl kaum, ob im Dispositiv ein entsprechender
rechtlicher Hinweis steht, solange sie den höheren bundesrechtswidrigen
Geldbetrag erhalten.
Das aktuelle und praktische Interesse knüpft von seiner Grundidee her an
eine konkrete individuelle materielle Beschwer an, weshalb es mitunter als
Teilaspekt des schutzwürdigen Interesses verstanden und zusammen mit der
materiellen Beschwer geprüft wird.[49]
Die materielle Beschwer entfällt jedoch bei der Behördenbeschwerde -
Stichwort «abstrakte Natur der Behördenbeschwerde».[50]
Massgebend für die Befugnis zur Behördenbeschwerde sollte aufgrund deren
Funktion alleine sein, ob das Gericht mit ihrer Beurteilung der Beschwerde
einer Gefährdung der korrekten und einheitlichen Anwendung des Bundesrechts
entgegenwirken kann. Dies kann ein bundesgerichtliches Urteil unabhängig
davon, ob im konkreten Einzelfall ein aktuelles und praktisches
Rechtsschutzinteresse im Sinne der Individualbeschwerde vorliegt oder
nicht.[51]
Das Bundesgericht sollte daher nach hier vertretener Ansicht und abweichend
zur herrschenden Lehre[52]
erwägen, bei Behördenbeschwerden - nicht nur im Opferhilfebereich, sondern
generell - nicht stark an das Erfordernis des aktuellen und praktischen
Rechtsschutzinteresses der Individualbeschwerde anzuknüpfen respektive
dieses begrifflich und dogmatisch abweichend zu erfassen. Ein
entsprechendes Erfordernis sollte im Vergleich zur Individualbeschwerde
grosszügiger zu bejahen sein. Ausreichend wäre, dass die Behörde eine
«vernünftige Veranlassung»[53]
zur Beschwerde hat. Eine gewisse Aktualität und potenzielle Relevanz können
dazu gute Indizien bilden.
d) Zwischenfazit
Das EJPD und seit 1. Mai 2024 auch das BJ sind zur Behördenbeschwerde
im Opferhilfebereich berechtigt, sofern und soweit der angefochtene Entscheid
in Anwendung der Opferhilfegesetzgebung (Bundesrecht) und
damit in dessen Aufgabenbereich erging. Bloss in seltenen Sonderfällen
könnte die Beschwerdelegitimation noch verneint werden. Dies betrifft
Entscheide, bei denen einer Beschwerde die Aktualität fehlt.[54]
Das
BJ entschied bis anhin - namens des EJPD - autonom über die
Beschwerdeerhebung und verfasste die Beschwerde.
2. Beschwerde zugunsten des Opfers (pro Adressat)
möglich
Gemäss Bundesgericht dürfen besondere Beschwerderechte zur Verwirklichung
des objektiven Rechts nicht zur Durchsetzung privater Interessen
benutzt werden.[55]
Vereinzelte Stimmen in der Lehre folgern daraus, dass Behörden keine
Beschwerden «pro Adressat» erheben dürfen.[56]
In Anbetracht der Rechtsprechung und der übrigen Lehre ist diese Ansicht
abzulehnen und für die Bundesbehörde nicht massgebend, wie die
nachfolgenden Ausführungen aufzeigen.
a) Rechtsprechung zu Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
Das Bundesgericht musste die Frage in Opferhilfeangelegenheiten unter dem
revidierten OHG noch nicht behandeln. Ein Blick auf die Rechtsprechung in
anderen Rechtsgebieten (namentlich im Sozialversicherungsrecht) zeigt
jedoch, dass das Bundesgericht auf Behördenbeschwerden «pro Adressat»
eintrat, ohne die Frage zu thematisieren, wie z.B. nachfolgende Urteile
illustrieren:
Das Bundesgericht hat zudem zur Behördenbeschwerde nach
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
mehrfach festgehalten, dass die Bundesbehörden nicht an die Einschränkungen
des Streitgegenstands im kantonalen Beschwerdeverfahren gebunden seien,
sondern mit ihrem Beschwerderecht auch neue Begehren beantragen dürfen,
«insbesondere auch eine reformatio in peius».[58]
Entsprechend müsste eine Beschwerde mit Anträgen, die sich bei
Gutheissung zugunsten des Adressaten auswirken, ebenfalls
zulässig
sein (e contrario).
b) Lehre zu Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
Herzog hält in ihrer VRPG[59]-Kommentierung
unmissverständlich fest, dass auf Behördenbeschwerde hin eine Änderung einer
Verfügung oder eines Entscheids zum Nachteil und zum Vorteil der Parteien
möglich ist, wobei es sich nicht um einen Fall von
reformatio in peius vel in melius
handle.[60]
Dagegen thematisieren die einschlägigen BGG-Kommentare die Frage
kaum. Oft beschränken sie sich auf zwei Aussagen: Zum einen halten sie fest,
die Beschwerdebefugnis nach
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
setze nicht voraus, dass zugleich einer der beteiligten privaten Parteien
Beschwerde erhebt.[61]
Zum andern vermerken sie mit Verweis auf die bundesgerichtliche
Rechtsprechung, dass die Behörde nicht zwingend am vorinstanzlichen
Verfahren teilgenommen haben muss, sie nicht an den dortigen
Streitgegenstand gebunden ist, sondern auch zum Nachteil der Gegenpartei
einen neuen Antrag stellen kann.[62]
Entsprechend sei auf die oben erwähnten Schlussfolgerungen zur
Rechtsprechung verwiesen. Die Kommentare lassen folglich
eine
Beschwerdeführung zu, die sich «pro Adressat» auswirken kann, bzw. schliessen eine solche jedenfalls nicht aus.
Eine Auseinandersetzung mit der Thematik findet sich bei Häner sowie
vertieft bei Pflüger. Erstere wollte - noch unter der alten
Bundesrechtspflege (2000) - Behördenbeschwerden «pro Adressat» nur in
Fällen zulassen,
wenn ein paralleles öffentliches Interesse betroffen ist.
Bei Identität zwischen den öffentlichen Interessen und den privaten
Interessen des Verfügungsadressaten sei die Ausübung des Beschwerderechts
dem Verfügungsadressaten zu überlassen.[63]
Pflüger hält in seiner Dissertation (2013) «Die Legitimation des
Gemeinwesens zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten» zum
Beschwerderecht nach
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
überzeugend Folgendes fest:
Dass dem Adressaten bei einem Entscheid, der zu stark gegen seine
Interessen ausfiel, selbst eine Beschwerde offensteht, darf gemäss Pflüger
keine Rolle spielen: Es treffe zwar zu, dass im Verwaltungsverfahren jedes
Subjekt die eigenen Interessen selbst wahren soll. Bei der
Behördenbeschwerde
nach Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG gehe
es aber gerade nicht um den Betroffenenschutz, sondern allein um die
optimale Verwirklichung des objektiven Rechts, losgelöst von irgendwie
gearteten Betroffenheiten.[66]
Wie erwähnt setzt die Beschwerdebefugnis nach
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
nicht voraus, dass zugleich eine der beteiligten privaten Parteien
Beschwerde erhebt.[67]
Es ist nämlich gut möglich, dass Betroffene trotz der Mangelhaftigkeit des
Entscheids keine Beschwerde erheben, etwa aus Angst vor dem Prozessrisiko
oder vor einer zusätzlichen Verzögerung des Verfahrensabschlusses.[68]
Der mangelbehaftete Entscheid würde rechtskräftig und könnte sich allenfalls
über Jahre auf die erstinstanzliche Praxis auswirken. Die
Beschwerdemöglichkeit Privater vermag m.E. die optimale Verwirklichung des
objektiven Rechts folglich nicht ausreichend zu gewährleisten; dies
entspricht auch nicht ihrem Zweck - will der betroffene Private mit seiner
Beschwerde doch primär einen individuellen Nachteil abwenden. Die
Behördenbeschwerde bleibt insofern notwendig, obwohl Private ebenfalls die
Möglichkeit zur Beschwerde haben.
Verneinte man dagegen eine Behördenbeschwerde «pro Adressat», so müsste der
Staat konsequenterweise auch von Behördenbeschwerden «contra Adressat»
absehen, wenn Drittbetroffene (also Personen mit dem Adressaten
entgegengesetzten Interessen) involviert sind. Die Verwirklichung des
objektiven Rechts wäre - der Logik der Argumentation folgend - ja auch hier
dann bereits durch diese Dritten sichergestellt.[69]
So einfach darf es sich der Bund bei seiner Aufsichts- und Vollzugsfunktion
nicht machen: Wer den Aufgabenträger (i.c. das EJPD mit seinen Aufsichts-
und Vollzugsaufgaben) nämlich von der Beschwerde ausschliesst, da bereits
der Adressat (i.c. das Opfer) gegen das Anfechtungsobjekt
beschwerdeberechtigt ist, verlangt im Ergebnis, dass der Adressat auch die
Aufsichts- und Vollzugsaufgaben wahrnimmt. Abgesehen davon, dass der
Adressat nicht dazu verpflichtet ist, widerspräche ein solches Konstrukt
auch dem Verbot, ohne gesetzliche Ermächtigung in Prozessstandschaft für
den Staat[70]
Beschwerde zu führen.[71]
Zudem besteht in der Praxis das Problem, dass für die Bundesbehörde die
gleiche Beschwerdefrist wie für die Privaten gilt. Die Behörde
kann aber nicht abwarten, ob die Privaten eine Beschwerde machen oder nicht,
da sie sonst die Frist verpassen würde, um selbst zu rekurrieren.
Dagegen vertritt Trüeb in seiner umweltschutzrechtlichen
Dissertation aus dem Jahre 1990 die Ansicht, die Zulassung einer
Behördenbeschwerde zugunsten des Adressaten bedeute
«die uneingeschränkte Anerkennung des Instituts eines öffentlichen
Streithelfers».[72]
Dies stünde dem eigentlichen Motiv der Behördenbeschwerde entgegen, nämlich
dem richtigen Vollzug des objektiven Rechts. Deswegen dürfe die
spezialgesetzlich beschwerdeberechtigte Behörde nicht für die Erlangung
einer Bewilligung oder die Abwendung einer Sanierung zugunsten des
Adressaten eintreten.[73]
Diese Auffassung überzeugt m.E. lediglich dann, wenn die Behörde ihr
gesetzliches Beschwerderecht dazu (miss-)brauchen würde, private Interessen
durchzusetzen. Massgebend für die Erhebung der Behördenbeschwerde ist jedoch
allein die
optimale Verwirklichung des objektiven Rechts; m.a.W. die
Sicherstellung der richtigen und einheitlichen Anwendung des
Bundesverwaltungsrechts.[74]
Dass sich die Beschwerdegutheissung dabei je nach Fall zugunsten oder
zuungunsten des Adressaten auswirken kann, ist als Folge zu akzeptieren,
aber für die Behörde weder ein Hindernis noch ausschlaggebend. Zur Gefahr
der Zweckentfremdung der Behördenbeschwerde halten Kölz, Häner und
Bertschi in ihrem Werk kurz und bündig fest:
«Das Departement bzw. das betreffende Bundesamt muss jedoch sachlich
zuständig sein, und die richtige Durchsetzung von Bundesrecht muss
gefährdet erscheinen. Mit dieser Minimalvoraussetzung wird vermieden,
dass mit der Behördenbeschwerde private Interessen verfolgt werden».[75]
Weitere allgemeine Einschränkungen wie ein Verbot von Beschwerden, deren
Gutheissung sich zugunsten des Adressaten auswirken können, sind demnach
m.E. zu Recht nicht vorgesehen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Bund auch zu
Behördenbeschwerden berechtigt ist, die sich «pro Adressat» auswirken
können. Es darf dabei nicht darum gehen, Privatinteressen durchzusetzen
oder Einzelperson zu helfen.[76]
Solange die Behörde - vorliegend das BJ namens des EJPD und ab 1. Mai 2024
in eigenem Namen - aber
glaubhaft darlegen kann, dass sie die gleichmässige Anwendung des
Bundesrechts gefährdet sieht bzw. diese sicherstellen will, liegt keine Zweckentfremdung (Durchsetzung privater Interessen) des
besonderen Beschwerderechts vor.[77]
c) Schlussfolgerungen für den Opferhilfebereich
Es gibt m.E. keine stichhaltigen Gründe, weshalb die oben dargelegten
allgemeinen Überlegungen zur Behördenbeschwerde nach
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
im Anwendungsbereich der Opferhilfe nicht gelten sollten. So hält auch
Berset Hemmer in einem der wenigen Fachartikel zur
Opferhilfebeschwerde des BJ fest
«L'OFJ est conscient que son droit de recours s'exerce souvent au
détriment de la victime»[78] und
verdeutlicht damit («e contrario»), dass auch
Beschwerden zum Vorteil des Opfers möglich
sind. Sie äussert sich aber nicht weiter zur Beschwerde «pro Adressat»,
sondern zum Miteinbezug der Opfersituation bei Beschwerdeehebung, deren
Gutheissung sich zuungunsten des Opfers auswirken.[79]
In Opferhilfebelangen gibt es oft nur wenige bundesgerichtliche Urteile pro
Jahr. Das EJPD bzw. BJ muss fehlerhafte kantonale Entscheiden zugunsten des
Opfers anfechten können. Verzichten betroffene Opfer trotz der
Mangelhaftigkeit des Entscheids auf eine Beschwerde, etwa aus Angst vor dem
Prozessrisiko oder um persönlich mit dem Fall und der damit verbundenen
Belastung abzuschliessen, so könnte sich der mangelbehaftete Entscheid
allenfalls über Jahre auf die erstinstanzliche Praxis im betroffenen Kanton
oder darüber hinaus auswirken. Die
Sicherstellung der richtigen und einheitlichen Anwendung des
Opferhilferechts
erfordert daher, dass das EJPD bzw. BJ sowohl in Konstellationen
zugunsten wie auch zulasten des Opfers Beschwerde führen kann.
Rechtsprechung und vorherrschende Lehre zur Behördenbeschwerde stützen
diese Position.
3. Auf Bundes- wie auf Kantonsebene
(integrales Beschwerderecht)
Das BJ - früher namens des EJPD und seit 1. Mai 2024 in eigenem Namen - ist
nicht nur berechtigt,
Beschwerde betreffend OHG in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an
das Bundesgericht
zu erheben, sondern kann gemäss Lehre und Rechtsprechung
auch kantonale Rechtsmittel
ergreifen und sich vor jeder kantonalen Instanz am Verfahren beteiligen
(integrales Beschwerderecht; vgl.
Art. 111 Abs. 2 BGG).[80]
Massgebend für die kantonalen Rechtsmittel sind die entsprechenden
Prozessvoraussetzungen gemäss der jeweiligen kantonalen Gesetzgebung zur
Verwaltungsrechtspflege, wobei die Bundesvorgaben gemäss
Bundesgerichtsgesetz gewisse Minimalstandards setzen und die Legitimation
zur Behördenbeschwerde gewährleisten.
Das BJ ist zwar
zur Beschwerde im vorinstanzlichen Verfahren berechtigt, jedoch nicht dazu verpflichtet. Nahm es allerdings an einem
vorinstanzlichen Verfahren im Kanton teil und drang es mit seinen Anträgen
vollumfänglich durch, so ist die Beschwerdebefugnis im nachgelagerten
Rechtsmittelverfahren an das Bundesgericht mangels formeller Beschwer
(Erfordernis des Unterliegens) zu verneinen.[81]
4. Informationspflicht der Kantone und
Beschwerdefrist
Um ihr integrales Beschwerderecht innert Beschwerdefrist nutzen zu können,
muss die zuständige Bundesbehörde - wie vorliegend das EJPD handelnd durch
das BJ - die strittigen Rechtsanwendungen mitbekommen.[82]
Gestützt auf Art. 112 Abs. 4 BGG
hat der Bundesrat die Verordnung über die Eröffnung letztinstanzlicher
kantonaler Entscheide in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten[83]
an die beschwerdeberechtigten Bundesbehörden erlassen. Gemäss dieser
Verordnung müssen kantonale Behörden den beschwerdeberechtigten
Bundesbehörden letztinstanzliche Entscheide umgehend und unentgeltlich
eröffnen (Art. 1). Die
Informationspflicht ist für die Ausübung des Beschwerderechts unabdingbar.
Das BJ rief dies den kantonal letztinstanzlichen Gerichten im
Opferhilfebereich 2014 sowie zuletzt 2022 mittels Schreiben in Erinnerung.[84]
Die Informationspflicht beschränkt sich allerdings auf letztinstanzliche
kantonale Entscheide, was das integrale Beschwerderecht zwar schwächt. Im
Hinblick auf die Verwaltungsökonomie erscheint dies aber verständlich.[85]
Das BJ kann immerhin - wenn aufsichtsrechtlich sinnvoll - spezifisch bei
einer oder mehreren kantonalen Behörden beantragen, ihm eine bestimmte
Kategorie erstinstanzlicher Entscheide bekanntzugeben respektive zu
eröffnen.[86]
Die Verfügungen der kantonalen Entschädigungsbehörden sind insofern nicht
von Verordnungs wegen, sondern aufgrund einer generellen Weisung oder eines
im Einzelfall gestellten Begehrens mitteilungspflichtig.
Die Informationspflicht wirkt zudem verfahrensrechtlich:
Unterlassen es kantonale Behörden, dem BJ einen mitteilungspflichtigen
Rechtsakt zu eröffnen, beginnt die Rechtsmittelfrist für die
Behördenbeschwerde erst ab Kenntnis des Rechtsakts zu laufen.[87]
Der aus Sicht der Parteien vermeintlich rechtskräftige Entscheid ist
folglich weiterhin mittels Behördenbeschwerde anfechtbar, was der
Rechtssicherheit entgegenläuft. Erhält die Behörde erst etliche Monate nach
Erlass des mitteilungspflichtigen Rechtsakts Kenntnis von diesem, so kann
sie eine aufsichtsrechtliche Verfahrenswiedereröffnung verlangen.[88]
Kantonale Behörden - in erster Linie die letztinstanzlichen Gerichte -
müssen ihre Informationspflicht daher wahrnehmen. Die
Beschwerdefrist
bestimmt sich für das kantonale Beschwerdeverfahren nach dem im jeweiligen
Kanton anzuwendenden Verfahrensrecht und beträgt meist 30 Tage gleich der
30-tägigen Beschwerdefrist vor Bundesgericht
(Art. 100 Abs. 1 BGG).
5.
Weder Streitwertgrenze noch Bindung an den Streitgegenstand des
kantonalen Verfahrens
Bei der Opferhilfe geht es nicht um Staatshaftung, weshalb die
Streitwertgrenze nach
Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG
im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht keine Anwendung
findet.[89]
Das EJPD bzw. BJ ist zudem nicht an den Streitgegenstand des kantonalen
Rechtsmittelverfahrens gebunden und kann neue Begehren stellen,
eingeschlossen solche, welche die Position des vorinstanzlich
beschwerdeführenden Opfers verschlechtern.[90]
Die anwaltschaftliche Vertretung von Opfern sollte ihre Klientschaft
entsprechend aufklären. So kann das EJPD bzw. BJ im kantonalen Verfahren
oder vor Bundesgericht gegen Entschädigungen im Sinne von
Art. 19 ff. OHG
intervenieren, bei denen die kantonale Beschwerdeinstanz aufgrund ihrer
kantonalrechtlichen Bindung an die Parteibegehren (Verbot einer
reformatio in peius)[91]
keinen Handlungsspielraum mehr dazu hat oder hatte.[92]
6. Keine Verfahrenskosten und der Parteientschädigungsanspruch
Gemäss Art. 30 OHG erheben
Verwaltungs- und Gerichtsbehörden vom Opfer und seinen Angehörigen
keine Kosten für ihre Verfahren betreffend die Gewährung von Beratung,
Soforthilfe, längerfristiger Hilfe, Entschädigung und Genugtuung
(Abs. 1).[93]
Vorbehalten bleibt eine Kostenauflage bei mutwilliger Prozessführung
(Abs. 2). Die Unentgeltlichkeit
gilt für sämtliche Verfahrensstufen und insofern auch im
bundesgerichtlichen Rechtsmittelverfahren, welches das EJPD respektive das
BJ durch eine Behördenbeschwerde ausgelöst hat.[94]
Das EJPD respektive das BJ verzichtet daher bei OHG-Beschwerden im
Rechtsbegehren grundsätzlich auf den sonst üblichen Zusatz «Unter Kosten-
und Entschädigungsfolge zulasten des Beschwerdegegners». Aber auch dem EJPD
respektive BJ dürfen kantonale und eidgenössische Gerichte im
OHG-Behördenbeschwerdeverfahren grundsätzliche keine Gerichtskosten
auferlegen. Dies ergibt sich aus
Art. 66 Abs. 4 BGG
sowie der zugehörigen Rechtsprechung.[95]
Im opferhilferechtlichen Behördenbeschwerdeverfahren können bloss die
obsiegenden Privatpersonen eine Parteientschädigung für ihre
Rechtsvertretung geltend machen.[96]
Dem Bund können die Gerichte gemäss den einschlägigen Verfahrensordnungen
dagegen in der Regel keine Parteientschädigung zusprechen.[97]
IV. Zusammenfassung
Der Bund überwacht, ob die Kantone das Bundesrecht einhalten
(Art. 49 Abs. 2 BV). Die
Behördenbeschwerde ist dabei eines der zentralen Mittel dieser
Bundesaufsicht. Im Bereich des Opferhilferechts obliegt die
Beschwerdeführung dem Bundesamt für Justiz. Bis anhin führte es diese
Beschwerden im Namen des EJPD. Seit dem 1. Mai 2024 kann es dies gestützt
auf die revidierte OV-EJPD in eigenem Namen tun. Es sichtet die
zugestellten letztinstanzlichen kantonalen Entscheide betreffend
Opferhilfe, überprüft sie hinsichtlich der richtigen und einheitlichen
Anwendung des OHG und erhebt soweit notwendig Behördenbeschwerde. In den
Jahren 2020 bis 2022 war dies dreimal der Fall; häufiger kann das BJ
dagegen Stellung nehmen bei Verfahren vor Bundesgericht, ohne selbst
Beschwerde zu führen. Das BJ entscheidet autonom über Stellungnahme und
Beschwerdeführung. Es ist nicht an den Streitgegenstand des kantonalen
Rechtsmittelverfahrens gebunden und kann neue Begehren stellen,
eingeschlossen solche, welche die Position des vorinstanzlich
beschwerdeführenden Opfers verschlechtern. Es geht nicht darum, für oder
gegen das jeweilige Opfer Partei zu ergreifen oder anstelle der
Beratungsstellen zu prozessieren. Massgebend für das BJ ist bei der
Beschwerdeführung alleine die Sicherstellung der richtigen und
einheitlichen Anwendung der Opferhilfegesetzgebung. Entsprechend kann das
BJ Behördenbeschwerde sowohl in Konstellationen zugunsten wie auch zulasten
des Opfers führen. Lehre und Rechtsprechung zur Behördenbeschwerde in
andern Rechtsgebieten stützen diese Sicht. Verwaltungs- und
Gerichtsbehörden erheben im opferhilferechtlichen Beschwerdeverfahren vom
Opfer keine Kosten (Art. 30 OHG).
Eine Auflage von Gerichtskosten gegenüber dem Bund im
OHG-Behördenbeschwerdeverfahren schliesst die Rechtsprechung ebenfalls aus.
[1] Bundesgesetz über
die Hilfe an Opfern von Straftaten vom 23. März 2007
(Opferhilfegesetz, OHG;
SR 312.5).
[2] Siehe z.B. Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
100.2020.92U
vom 8. April 2021 und dazu die Ausführungen zur Informationspflicht
hinten in Rz. 31 ff.
[3] Bundesverfassung
der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
(Bundesverfassung, BV;
SR 101).
[4] Siehe Yannick
Fuchs / Markus Müller, Behördenbeschwerde als Mittel der
Bundesaufsicht, ZBl 2023, S. 461 f.
[5] Bundesgesetz über
das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (Bundesgerichtsgesetz, BGG;
SR 173.110).
[7] Hansjörg Seiler,
in: Seiler/von Werdt/Güngerich/Oberholzer (Hrsg.),
Bundesgerichtsgesetz (BGG), Stämpflis Handkommentar (SHK), 2. Aufl.,
Bern 2015, Art. 89 N 69 ff. (zit. SHK BGG-Seiler); René Rhinow /
Heinrich Koller / Christina Kiss / Daniela Thurnherr / Denise
Brühl-Moser, Öffentliches Prozessrecht, 4. Aufl., Basel 2021, N
1105 ff.; ausführlich zur Beschwerdelegitimation des Gemeinwesens
Michael Pflüger, Die Legitimation des Gemeinwesens zur Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, Zürich et al. 2013.
[8] Siehe SHK
BGG-Seiler, Art. 89 N 79.
[9] Siehe
Art. 89 Abs. 2 BGG; Regina Kiener / Bernhard Rütsche / Mathias Kuhn, Öffentliches
Verfahrensrecht, 3. Aufl., Zürich et al. 2021, N 1471.
[10]
BGE 140 V 321
E. 2.2; BGE 142 II 324 E.
1.3.1
«Die Rechtsnorm muss aber die Beschwerdebefugnis ausdrücklich
vorsehen; die blosse Tatsache, dass eine Behörde oder
Dienststelle in einem bestimmten Aufgabenbereich zuständig ist
oder Aufsichtsbefugnisse wahrnimmt, ermächtigt sie noch nicht
zur Beschwerde.»
(SHK BGG-Seiler, Art. 89 N 79).
[11] Pflüger (Fn.
7), N 752.
[12] Heinz
Aemisseger, in: Spühler/Aemisegger/Dolge/Vock (Hrsg.),
Bundesgerichtsgesetz, Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich et al. 2013,
Art. 89 N 35 (zit. PraxKomm. BGG-Aemisseger).
[16] Valérie Berset
Hemmer, Subventionner et recourir: deux aspects de l'intervention
de l'Office fédéral de la justice, in: Ehrenzeller/Guy-Ecabert/Kuhn
(Hrsg.), Das revidierte Opferhilfegesetz, Zürich et al. 2009, S.
198 f.
[17] Regierungs- und
Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (RVOG;
SR 172.010).
[20] Siehe allgemein
zur materiellen Beschwer z.B. Kiener/Rütsche/Kuhn (Fn. 9), N 1430
ff. m.w.H.
[21] Siehe Pflüger
(Fn. 7), N 763 mit Verweis auf Fritz Gygi.
[22] Berset Hemmer
(Fn. 16), S. 202.
[24] Berset Hemmer
(Fn. 16), S. 201 f.; siehe allgemein zur richtigen und
einheitlichen Anwendung des Bundesverwaltungsrechts
BGE 135 II 338
E. 1.2 sowie Alfred Kölz / Isabelle Häner / Martin Bertschi,
Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3.
Aufl., Zürich et al. 2013, N 1494, wonach eine Behördenbeschwerde
insbesondere erfolgt, wenn der Entscheid wegen der präjudiziellen
Tragweite oder infolge der Bedeutung des Einzelfalls weitergezogen
und durch das Bundesgericht eine andere Gesetzesinterpretation
erreicht werden soll.
[27] Siehe Urteil
des Oberverwaltungsgerichts des Kantons Genf
ATA/201/2021
vom 23. Februar 2021.
[28] Siehe Urteil
des Oberverwaltungsgerichts des Kantons Genf
ATA/202/2021
vom 23. Februar 2021.
[29] Vgl. dazu z.B.
Hardy Landolt, Genugtuungsrecht, 2. Aufl., Zürich 2020, S. 265.
[31] Siehe Urteil
des Bundesgerichts
1C_184/2021
vom 23. September 2021 E. 3.3 und 5.2.
[32] Siehe Urteil
des Bundesgerichts
1C_184/2021
vom 23. September 2021 E. 5.3.
[34] Siehe zu
Art. 1 Abs. 1 OHG
Dominik Zehntner,in: Gomm/Zehntner (Hrsg.),
Opferhilferecht, Stämpflis Handkommentar (SHK), 4. Aufl., Bern 2020,
Art. 1 N 4 ff. (zit. SHK OHG-Bearbeiter:in).
[35] Siehe Urteil
der 1. Sektion des Oberverwaltungsgerichts des Kantons Genf
ATA/523/2021
vom 18. Mai 2021.
[36] Siehe Urteil
des Bundesgerichts
1C_384/2021
vom 18. August 2022; dazu sogleich Rz. 14 ff.
[38] Vgl. z.B.
Urteil des Bundesgerichts
1C_439/2020
vom 9. September 2021.
[39] Vgl.
Kiener/Rütsche/Kuhn (Fn. 9), N 1476 ff.
[40] Mathias
Kaufmann / Andreas Stöckli, Öffentliches Verfahrensrecht, Zürich et
al. 2022, S. 150.
[41] Vgl. z.B.
BGE 142 I 135
E. 1.3.1 oder BGE 139 I 206
E. 1.1; Bernhard Waldmann, in:
Niggli/Uebersax/Wiprächtiger/Kneubühler (Hrsg.),
Bundesgerichtsgesetz, Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel 2018, Art.
89 N 52a (zit. BSK BGG-Waldmann); ausführlich dazu Pflüger (Fn.
7), N 793 ff.; gemäss Kiener/Rütsche/Kuhn (Fn. 9), N 1478 bedürfen
Behörden eines aktuellen und praktischen Interesses an der
Beschwerdeführung, es sei denn das Spezialgesetz bestimme etwas
anderes.
[42] Siehe allgemein
zum aktuellen und praktischen Interesse Kiener/Rütsche/Kuhn (Fn.
9), N 1446 ff.; BSK BGG-Waldmann, Art. 89 N 17.
[44] Vgl.
Kiener/Rütsche/Kuhn (Fn. 9), N 1449 f.
[45] Vgl.
kritischBSK BGG-Waldmann, Art. 89 N 52a.
[46] Siehe Urteil
des Bundesgerichts
1C_384/2021
vom 18. August 2022 E. 3.3.4 f.
[47] Siehe Urteil
des Bundesgerichts
1C_384/2021
vom 18. August 2022 E. 3.3.4 f.
[48] Siehe zu
reformatio in peius
unten Rz. 34 sowie allgemein Kaufmann / Stöckli (Fn. 40), S. 174 f.
[49] Siehe den
Teilaspekt prüfend z.B. BSK BGG-Waldmann, Art. 89 N 10; dazu
Kiener/Rütsche/Kuhn (Fn. 9), N 1447.
[51] So ähnlich
bereits Lukas Schaub / Giannina Spescha / Karl-Marc Wyss,
Bundesgericht, II. öffentlich-rechtliche Abteilung, 15. März 2022,
2C_1038/2020, ZBl 2022, S. 668.
[52] Siehe
Kiener/Rütsche/Kuhn (Fn. 9), N 1478; BSK BGG-Waldmann, Art. 89 N 45
und N 53.
[53] Vgl. dazu
BGE 114 V 239
E. 3b; Michael Pflüger, in: Herzog/Daum (Hrsg.), Kommentar zum
Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, 2. Aufl.,
Bern 2020, Art. 65 N 53 (zit. Komm. VRPG/BE-Bearbeiter:in).
[54] Ausführlich
Pflüger (Fn. 7), N 842 i.V.m. N 788 ff.
[56] Siehe z.B. Hans
Rudolf Trüeb, Rechtsschutz gegen Luftverunreinigungen und Lärm,
Zürich 1990, S. 170 f.; vgl. Auflistung bei Pflüger (Fn.
7), Fn. 1722.
[57] Siehe Urteil
des Bundesgerichts
8C_54/2016
vom 13. Juli 2016 E. 1.
[59] Gesetz über die
Verwaltungsrechtspflege vom 23. Mai 1989 des Kantons Bern (VRPG/BE;
BSG 155.21).
[60] Komm.
VRPG/BE-Herzog, Art. 73 N 12 sowie Art. 84 N 25.
[61] BSK
BGG-Waldmann, Art. 89 N 53; SHK BGG-Seiler, Art. 89 N 73; Yves
Donzallaz, Loi sur le Tribunal fédéral, Bern 2008, N 3137; Florence
Aubry Girardin, in: Corboz et al. (Hrsg.), Commentaire de la LTF, 2.
Aufl., Bern 2014, Art. 89 N 45 (zit. Commentaire LTF-Aubry
Girardin).
[62] Siehe mit
Verweis auf BGE 136 II 359
SHK BGG-Seiler, Art. 89 N 74; BSK BGG-Waldmann, Art. 89 N 53;
Commentaire LTF-Girardin, Art. 89 N 45a; PraxKomm. BGG-Aemisseger,
Art. 89 N 35; mit Bezug zum Steuerrecht Martin Kocher, Die
bundesgerichtliche Kontrolle von Steuernormen, Bern 2018, N 782.
[63] So zur
Behördenbeschwerde unter der altrechtlichen Regelung von
Art. 103 lit. b aOG
(Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16.
Dezember 1943 [aOG;
SR 173.110]) Isabelle Häner, Die Beteiligten im Verwaltungsverfahren und
Verwaltungsprozess, Zürich 2000, N 971.
[64] Schweizerische
Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO;
SR 312.0).
[65] Pflüger (Fn.
7), N 789 sowie generell zum Begriff «pro Adressat» N 177;
ebenfalls bereits für eine Beschwerde «pro Adressaten» Fritz Gygi,
Zur Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens in der
Bundesverwaltungsrechtspflege, ZSR 1979, S. 455, sowie Alfred Kölz,
Die Vertretung des öffentlichen Interesses in der
Verwaltungsrechtspflege, ZBl 1985, S. 56.
[66] Pflüger (Fn.
7), N 790 i.V.m. N 763.
[67] BSK
BGG-Waldmann, Art. 89 N 53; SHK BGG-Seiler, Art. 89 N 73.
[68] Pflüger (Fn.
7), N 790 mit Verweis auf Biaggini.
[69] Pflüger (Fn.
7), N 675.
[70] Siehe zur
Prozessstandschaft im öffentlichen Recht Kiener/Rütsche/Kuhn (Fn.
9), N 571.
[71] Pflüger (Fn.
7), N 791.
[72] Trüeb (Fn.
56), S. 170 f.; weniger strikt Häner (Fn. 63), N 971; vgl.
auch Pierre Moor, La qualité pour agir des autorités et
collectivités dans les recours de droit public et de droit
administratif, in: Haldy/Rapp/Ferrari (Hrsg.), Etudes de procédure
et d'arbitrage en l'honneur de Jean-François Poudret, Lausanne 1999,
S. 98.
[73] Trüeb (Fn.
56), S. 170 f. Zu Missverständnissen könnte im vorliegenden Kontext
die Kommentierung von Marantelli-Sonani und Huber führen. Sie
halten fest, das Behördenbeschwerderecht setze
«kein schutzwürdiges Interesse im Sinne einer «materiellen
Beschwerde» voraus und erlaubt insb. nicht die Verfolgung
lediglich privater Interessen (z.B. zugunsten belasteter
Verfügungsadressaten).»
(Vera Marantelli-Sonani / Said Huber, in: Waldmann/Krauskopf
[Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl.,
Zürich et al. 2023, Art. 48 N 38 [Hervorhebung durch Autor]). Diese
schliessen damit - mit Blick auf
BGE 123 II 16
nämlich zu Recht - nicht die Behördenbeschwerden aus, die sich
zugunsten belasteter Adressaten auswirken können. Sie schliessen
vielmehr aus, dass Behörden eine Beschwerde nach
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
allein mit dem Zweck erheben, einem belasteten Adressaten zu helfen
und damit lediglich private Interessen durchzusetzen. Der Begriff
«Beschwerde zugunsten des Adressaten oder pro Adressat» ist insofern
etwas unglücklich, als er prima vista den Eindruck erwecken kann,
der Bund führe eine derartige Beschwerde alleine mit dem Ziel, dem
Adressaten zu helfen, was rechtlich unzulässig wäre (Durchsetzung
privater Interessen; siehe zum Begriff «pro Adressat» René
Wiederkehr / Stefan Eggenschweiler, Die allgemeine
Beschwerdebefugnis Dritter, Bern 2018, N 274).
[74] Siehe SHK
BGG-Seiler, Art. 89 N 70 ff.
[75]
Kölz/Häner/Bertschi (Fn. 24), N 1494.
[76] So hält
BGE 125 II 326
zur Legitimation der Eidg. Steuerverwaltung fest,
«die Behördenbeschwerde kann nicht dazu dienen, private
Interessen durchzusetzen oder zu Gunsten des Steuerpflichtigen
benutzt zu werden»
(E. 2c) oder mit den Worten von Commentaire LTF-Girardin, Art. 89
N 45
«le droit de recours de l'autorité fédéral ne doit pas être
utilisé pour favoriser des intérêts purement privés ou dans le
seul but de venir en aide à un particulier».
[77] Pflüger (Fn.
7), N 790.
[78] Berset Hemmer
(Fn. 16), S. 202.
[79] Berset Hemmer
(Fn. 16), S. 202.
[80] Siehe Botschaft
zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001
(BBl 2001 4202),
S. 4350; BGE 148 II 369 E. 3.3.1
f.; Pflüger (Fn. 7), N 845 ff.; ferner Häner (Fn. 63), N 978 ff.
[81] Pflüger (Fn.
7), N 849 mit Verweis auf Urteil des Bundesgerichts
2C_42/2008
vom 14. Mai 2008.
[82] Vgl. dazu
Fuchs/Müller (Fn. 4), S. 460 f.
[83] Verordnung über
die Eröffnung letztinstanzlicher kantonaler Entscheide in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 8. November 2006
(SR 173.110.47).
[85]
Kölz/Häner/Bertschi (Fn. 24), N 1496; anders Fuchs/Müller (Fn. 4),
S. 468 f., die über eine Ausweitung der Verordnung
(Eröffnungspflicht) auf erstinstanzliche Entscheide und Verfügung
nachdenken.
[86] Vgl.
Art. 111 Abs. 2 BGG; das BJ hat dies z.B. bei der Aufsichtstätigkeit zum Bundesgesetz
über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte vom 23. Juni
2000 (Anwaltsgesetz, BGFA;
SR 935.61) so praktiziert (siehe Schaub/Spescha/Wyss [Fn. 51], S.
662 f.).
[87] Aus
mangelhafter (oder fehlender) Eröffnung darf den Parteien gemäss
Art. 38 VwVG
(Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968
[Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG;
SR 172.021]) kein Nachteil erwachsen (vgl. für die letzten kantonalen
Instanzen
Art. 1 Abs. 3 VwVG). Siehe dazu Fuchs/Müller (Fn. 4), S. 465 ff., insb. S.
471.
[88] Siehe zur
aufsichtsrechtlichen Verfahrenswiedereröffnung Fuchs/Müller (Fn.
4), S. 472 ff.
[92] Vgl. Urteil des
Bundesgerichts 1C_184/2021
vom 23. September 2021 E. 4.1.2 (siehe oben Rz. 9).
[93] Siehe SHK
OHG-Zehntner, Art. 30 N 1.
[94] Vgl.
BGE 125 II 265
E. 3; SHK OHG-Zehntner, Art. 30 N 3 sowie Eva Weishaupt ,
Die Ansprüche des Opfers im Adhäsions- und Opferhilfeverfahren, in:
Fellmann/Weber (Hrsg.), Haftpflichtprozess 2008: Dualistisches
Haftungskonzept, Erfolgshonorar und Prozessfinanzierung direktes
Forderungsrecht, Opferhilfe sowie kantonales
Verantwortlichkeitsrecht, Zürich 2008, S. 152 f.
[95] Siehe dazu
BGE 148 II 369
sowie die Kommentierung in Schaub/Spescha/Wyss (Fn. 51), S. 1 ff.
[96] Siehe als
Beispiel das Urteil des Bundesgerichts
1C_384/2021
vom 18. August 2022 E. 4.
[97] Siehe z.B. für
das bundesgerichtliche Verfahren
Art. 68 BGG, wonach Parteientschädigungen nach dem Unterliegerprinzip
auszurichten sind (Abs. 1
und Abs. 2), jedoch Bund,
Kantone und Gemeinde sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben
betrauten Organisationen keinen Anspruch auf Parteientschädigung
haben, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen
(Abs. 3) sowie für das
Verfahren im Kanton Bern
Art. 104 Abs. 3 VRPG/BE, der für die Schweizerische Eidgenossenschaft respektive die mit
dem Beschwerderecht ausgestattete Bundesbehörde sinngemäss gilt
(Komm. VRPG/BE-Herzog, Art. 104 N 32).