Psycholog:innen als Sachverständige für Gutachten zur
Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation im Erwachsenenstrafrecht
Falsifikation der bundesgerichtlichen Thesen in BGE 140 IV 49
Thierry Urwyler / Marcel Aebi / Cornelia Bessler / Stephan Bernard /
May Beyli / Friederike Boudriot / Philippe Delacrausaz / Monika Egli
Alge / Jerôme Endrass / Evi Forgo / Eric Francescotti / Irina Franke /
Françoise Genillod / Christopher Geth / Marc Graf / Ronald Gramigna /
Elmar Habermeyer / Henning Hachtel / Marianne Heer / Lutz-Peter
Hiersemenzel / Friederike Höfer / Alain Joset / Katrin
Klein / Benjamin Krexa / Michael Liebrenz / Josianne Magnin / Claudia
Massau / Thomas Noll / Valerie Profes / Ineke Pruin / Astrid Rossegger /
Karin Schilling / Stefan Schmalbach / Volker Schmidt / Matthias Stürm /
Marc Thommen / Fanny de Tribolet Hardy / Leonardo Vertone / Jürg
Vetter / Julian Voss / Theres Wehrhold *
Nach aktueller Rechtsprechung ist die Begutachtung der Schuldfähigkeit
und Massnahmenindikation Personen mit Facharzttitel für Psychiatrie und
Psychotherapie vorbehalten. Der damit verbundene Ausschluss von
Psycholog:innen ist angesichts der Entwicklungen in den letzten zehn
Jahren nicht gerechtfertigt. Die Autor:innen zeigen auf, unter welchen
Weiterbildungsbedingungen Psycholog:innen als Sachverständige geeignet
sind.
Selon la jurisprudence actuelle, seules des personnes détenant un titre de médecin spécialiste en psychiatrie et psychothérapie sont autorisées à réaliser les expertises en matière de responsabilité et d’indication de mesures. L’exclusion des psychologues, qui en découle, ne se justifie pas au vu des évolutions de ces dix dernières années. Les auteur·e·s expliquent quelles sont les formations postgrades nécessaires pour que des psychologues soient aptes à effectuer de telles expertises.
Zitiervorschlag:
Thierry Urwyler et al., Psycholog:innen als Sachverständige für
Gutachten zur Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation im
Erwachsenenstrafrecht, sui generis 2024, S. 101
DOI:
https://doi.org/10.21257/sg.256
* Thierry Urwyler, Dr. iur., MSc. Forensische Psychologie, Senior
Researcher Forschung & Entwicklung, Justizvollzug und Wiedereingliederung
Zürich / Universität Zürich (thierry.urwyler@zh.ch). Marcel Aebi, PD Dr. phil.,
Senior Researcher Forschung & Entwicklung, Justizvollzug und
Wiedereingliederung Zürich / Vorstand Sektion forensische Psychologie
der Schweizerischen Gesellschaft für Forensische Psychiatrie und
Psychotherapie. Cornelia Bessler, Dr. med., ABJ-Forensik. Stephan Bernard, Dr. iur., Fachanwalt Strafrecht, Advokatur
Aussersihl / Universität Freiburg. May Beyli, MSc., Leitung Fachstelle
Forensic Assessment & Risk Management, Psychiatrische
Universitätsklinik Zürich. Friederike Boudriot, Dr. med.,
Klinikleiterin und Chefärztin, PDAG / Vorstand Schweizerische
Gesellschaft für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie. Philippe
Delacrausaz, Prof. Dr. med., Institut de psychiatrie légale (IPL) CHUV
Lausanne / Universität Lausanne / Vorstand Schweizerische Gesellschaft
für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie. Monika EgliAlge, lic.
phil., Forio/Vorstand Sektion forensische Psychologie der
Schweizerischen Gesellschaft für Forensische Psychiatrie und
Psychotherapie. Jérôme Endrass, Prof. Dr. phil., Leitung Forschung
& Entwicklung, Justizvollzug und Wiedereingliederung
Zürich / Co-Leitung Arbeitsgruppe Forensische Psychologie, Universität
Konstanz / Co-Forschungsleitung Lehrstuhl für Forensische Psychiatrie
Universität Basel / Vorstand Schweizerische Gesellschaft für
Rechtspsychologie / Vorstand Schweizerische Gesellschaft für
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie / Vorstand Sektion
forensische Psychologie der Schweizerischen Gesellschaft für
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie. Evi Forgo, Dr. phil.,
Leitung Adoleszentenforensik Psychiatrisch-Psychologischer Dienst,
Justizvollzug und Wiedereingliederung Zürich. Eric Francescotti, lic.
phil., Vorstand Schweizerische Gesellschaft für Rechtspsychologie.
Irina Franke, PD Dr. med., Chefärztin Forensische Psychiatrie / Stv.
Ärztliche Direktorin Erwachsenenpsychiatrie PDGR Chur / Universität Ulm,
Deutschland. Françoise Genillod, lic. phil., Vorstand Schweizerische
Gesellschaft für Rechtspsychologie. Christopher Geth, Prof. Dr. iur.,
Professor für Strafrecht, Universität Basel. Marc Graf, Prof. Dr. med.,
Direktor der Klinik für Forensik UPK Basel / Lehrstuhl für Forensische
Psychiatrie Universität Basel / Präsident & Vorstand Schweizerische
Gesellschaft für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie. Ronald
Gramigna, Dr. phil., Präsident und Vorstand Schweizerische Gesellschaft
für Rechtspsychologie. Elmar Habermeyer, Prof. Dr. med., Direktor
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Psychiatrische
Universitätsklinik Zürich / Präsident Sektion Erwachsenenforensik &
Vorstand Schweizerische Gesellschaft für Forensische Psychiatrie und
Psychotherapie. Henning Hachtel, PD Dr. med., Chefarzt der Klinik für
Forensik, stv. Direktor der Klinik für Forensik UPK Basel / Universität
Basel / Vorstand Schweizerische Gesellschaft für Forensische
Psychiatrie und Psychotherapie. Marianne Heer, Prof. Dr. iur., ehem.
Oberrichterin / Universität Freiburg. Lutz-Peter Hiersemenzel, Dr.
med., MBA, Chefarzt Forensische Psychiatrie, Psychiatrische Dienste
Solothurner Spitäler / Vorstand Schweizerische Gesellschaft für
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie. Friederike Höfer, Dr. med.,
Stv. Chefärztin Zentrum für Ambulante Forensische Therapien,
Psychiatrische Universitätsklinik Zürich / Vorstand Schweizerische
Gesellschaft für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie. Alain
Joset, Advokat und Fachanwalt SAV Strafrecht, Advokatur und Notariat
Neidhart Joset Bürgi / Lehrbeauftragter Universität Basel. Katrin Klein,
Dr. med., Chefärztin Bereich Kindeswohl und Kinder- und Jugendforensik
UPD Bern / Vorstand Schweizerische Gesellschaft für Forensische
Psychiatrie und Psychotherapie. Benjamin Krexa, MSc.,
Chefpsychologe / MGL Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie
PDGR / Vorstand Schweizerische Gesellschaft für Rechtspsychologie.
Michael Liebrenz, Prof. Dr. med., Leitung Forensisch-Psychiatrischer
Dienst der Universität Bern. Josianne Magnin, Dr. iur., Rechtsanwältin,
Schärer Rechtsanwälte Aarau / Lehrbeauftragte Universität Luzern.
Claudia Massau, Dipl.-Psych., Leiterin Abteilung Ambulante
Erwachsenenforensik Psychiatrisch-Psychologischer Dienst, Justizvollzug
und Wiedereingliederung Zürich. Thomas Noll, PD Dr. iur. / Dr. med.,
Geschäftsleitungsmitglied Forschung & Entwicklung, Justizvollzug
und Wiedereingliederung Zürich / Universität St. Gallen. Valerie Profes,
MSc. Forensische Psychologie, Rechtsanwältin, Geschäftsleitungsmitglied
Forschung & Entwicklung, Justizvollzug & Wiedereingliederung
Zürich. Ineke Pruin, Prof. Dr. iur., Professorin für Kriminologie,
Universität Bern. Astrid Rossegger, PD Dr. rer. nat., Co-Leitung
Forschung & Entwicklung, Justizvollzug und Wiedereingliederung
Zürich / Co-Leitung Arbeitsgruppe Forensische Psychologie, Universität
Konstanz / Co-Forschungsleitung Lehrstuhl für Forensische Psychiatrie,
Universität Basel / Vorstand Schweizerische Gesellschaft für
Rechtspsychologie / Vorstand Sektion forensische Psychologie
Schweizerische Gesellschaft für Forensische Psychiatrie und
Psychotherapie. Karin Schilling, Dipl.-Psych., Leitung Forensische
Psychologie UPK Basel / Vorstand Sektion forensische Psychologie
Schweizerische Gesellschaft für Forensische Psychiatrie und
Psychotherapie. Stefan Schmalbach, Dipl.-Psych., Leitung Abteilung
Evaluation & Entwicklung, Psychiatrisch-Psychologischer Dienst,
Justizvollzug und Wiedereingliederung Zürich / Vorstand Sektion
forensische Psychologie Schweizerische Gesellschaft für Forensische
Psychiatrie und Psychotherapie. Volker Schmidt, Dr. med., Ärztliche
Leitung und Geschäftsführung zebt. - Zentrum für Begutachtung und
Therapie / Vorstand Schweizerische Gesellschaft für Forensische
Psychiatrie und Psychotherapie. Matthias Stürm, lic. phil., Leitung
Psychiatrisch-Psychologischer Dienst, Justizvollzug und
Wiedereingliederung Zürich. Marc Thommen, Prof. Dr. iur.,
Rechtsanwalt / Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht,
Universität Zürich. Fanny de TriboletHardy, MSc., Leitung
Präventionsstelle Pädosexualität, Forensische Psychiatrie und
Psychotherapie, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich. Leonardo
Vertone, lic. phil., Chefpsychologe und Co-Leiter des Zentrums für
Kinder- und Jugendforensik ZKJF Psychiatrische Universitätsklinik
Zürich / Mitglied der Fachkommission der
Jugendstrafrechtspflege / Vorstand SGRP. Jürg Vetter, lic. phil.,
Vorstand Schweizerische Gesellschaft für Rechtspsychologie. Julian
Voss, Msc., Leiter Bereich Stationäre Erwachsenenforensik
Psychiatrisch-Psychologischer Dienst, Justizvollzug und
Wiedereingliederung Zürich. Theres Wehrhold, MSc., Leiterin Abteilung
Schwerpunkt Qualitätsmanagement und Digitalisierung
Psychiatrisch-Psychologischer Dienst, Justizvollzug und
Wiedereingliederung Zürich.
Interessenbindungen: Mit Ausnahme der Jurist:innen (T. Urwyler, S.
Bernard, C. Geth, I. Pruin, M. Heer, A. Joset, M. Thommen) gehören alle
Autor:innen zur psychologischen oder psychiatrischen Disziplin.
Insofern würden Psycholog:innen durch die im Beitrag vorgeschlagene
Praxisänderung zum Begutachtungsmarkt zugelassen und umgekehrt wird
dadurch der Begutachtungsmarkt für Psychiater:innen kompetitiver.
I. Einleitung
Gutachten sind die Grundlage für zentrale Weichenstellungen im
Sanktionenrecht. Ob eine Person mittels Strafe zur Verantwortung gezogen
werden kann (Schuldfähigkeit) und ob strafrechtliche Massnahmen indiziert
sind, lässt sich nur mit Hilfe von Sachverständigen beantworten
(Art. 20 StGB,[1]
Art. 56 ff. StGB). Für die
Sachverhaltsfeststellung ist bei den besagten Beweisthemen von zentraler
Bedeutung, dass Fachpersonen mit ausreichender Qualifikation mandatiert
werden.[2]
Derzeit geht das Bundesgericht im Erwachsenenstrafrecht davon aus, dass nur
Fachärzt:innen für Psychiatrie und Psychotherapie eigenverantwortlich
Gutachten zur Schuldfähigkeit oder Massnahmenindikation erstellen können.
Psycholog:innen dürfen diese Rolle im Status quo nicht wahrnehmen (dazu Rz.
3 f.).
Diese Position ist angesichts der Entwicklungen der letzten zehn Jahre
überholt. Nachfolgend wird sich zeigen, dass die bundesgerichtliche Praxis
auf unzutreffenden Prämissen zur Begutachtungsqualität (Rz. 6 ff.) beruht,
die Notwendigkeit somatischer Abklärungen zu Unrecht mit der
Sachverständigenrolle verknüpft (Rz. 10 ff.) und ungerechtfertigte Annahmen
hinsichtlich der Aus- und Weiterbildung von Psycholog:innen enthält (Rz. 17
ff.). Psycholog:innen weisen die erforderlichen Fähigkeiten für die
Begutachtung der Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation auf, sofern sie
das «Zertifikat Forensische Psychologie SGFP» mit «Schwerpunkt Begutachtung
im Strafrecht SGFP» erlangen (IV.). Der Beitrag zeigt in diesem Kontext
auf, dass die Vorstellung einer geeigneten sachverständigen Person für die
Beantwortung aller Fragen in diesem Kontext aufgegeben werden muss: Die
Komplexität der Fragestellungen bei
Art. 20
und 56 StGB erfordert vielmehr eine
intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit, um stets eine evidenzbasierte
Begutachtung gewährleisten zu können.
II. Rechtliche Ausgangslage
In BGE 140 IV 49 führte das
Bundesgericht aus, dass an die Qualität von Gutachten hohe Anforderungen zu
stellen seien (Zweck von Art. 20
und Art. 56 Abs. 3 StGB). Daher
müssten Gutachten zur Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation in aller
Regel durch Fachärzt:innen für Psychiatrie und Psychotherapie erstellt
werden. Das kantonale Recht könne zudem weitergehende Bestimmungen vorsehen
(z.B. Erfordernis zusätzlicher forensischer Weiterbildungen).
Nicht-ärztliche Sachverständige könnten zwar nicht-krankhafte Störungen
(z.B. Persönlichkeitsstörungen etc.) diagnostizieren. Allerdings stelle nur
die medizinische Ausbildung sicher, dass eine körperliche Ursache der
jeweiligen Störung verlässlich festgestellt oder ausgeschlossen werden könne.
Namentlich müsse die in der Regel erforderliche körperliche Untersuchung
von ärztlichen Sachverständigen vorgenommen werden. Die fachärztliche Aus-
und Weiterbildung gewährleiste einen gewissen Qualitätsstandard. Hingegen
müsse bei nichtärztlichen Sachverständigen stets überprüft werden,
«ob sie im konkreten Fall die Anforderungen an die Sachkunde erfüllen».
Zwar sei es angesichts der interdisziplinären Fragestellung
«zulässig und erstrebenswert»,
Psycholog:innen für Teilfragen beizuziehen. Für die Gutachtenerstellung
würden aber die psychiatrischen Sachverständigen verantwortlich bleiben.[3]
Dieser Leitentscheid wurde zwischenzeitlich mehrmals bestätigt[4]
und prägt die Rechtslage in den Kantonen,[5]
welche die Qualifikation von forensischen Sachverständigen über den
bundesrechtlichen Minimalstandard hinaus reguliert haben. Weite Teile des
strafrechtlichen Schrifttums[6]
haben BGE 140 IV 49 rezipiert, ohne
erkennen zu lassen, ob sie dem Urteil zustimmen oder nicht.[7]
Demgegenüber gelangten Autor:innen, die sich näher mit
BGE 140 IV 49
auseinandersetzten, ganz überwiegend zur Auffassung, dass der Ausschluss
von psychologischen Sachverständigen von Schuldfähigkeits- und
Massnahmengutachten in verschiedener Hinsicht Angriffsfläche
bietet.[8]
Die kritischen Lehrmeinungen sowie die Veränderungen des
(forensisch-)psychologischen Fachgebiets in den letzten zehn Jahren bieten
Anlass, die Tragfähigkeit der Bundesgerichtspraxis kritisch zu
hinterfragen.
III. Thesen von BGE 140 IV 49 und Falsifikation
Das Bundesgericht stützt seine Rechtsprechung im Kern auf drei Thesen,
welche die Gutachtenqualität (1.), die Relevanz der Somatik für die
Sachverständigenrolle (2.) sowie die Aus- und Weiterbildung von
Psycholog:innen (3.) betreffen. Nachfolgend ist zu prüfen, ob diese Thesen
eine hinreichende Stabilität aufweisen.
1. Gutachtenqualität
a) These: Qualitätsvorteil psychiatrischer Gutachten
BGE 140 IV 49 strebt die
Sicherstellung einer adäquaten Begutachtungsqualität an. Da das
Bundesgericht nur Psychiater:innen zur Begutachtung zulässt, vertritt es
implizit die Auffassung, dass psychiatrische Sachverständige eher Gewähr
für eine rechtskonforme Begutachtungsqualität bieten als psychologische
Sachverständige.
b) Falsifikation
Das Bundesgericht führte für seine Qualitätsargumente keine empirischen
Befunde an.
Zur Sicherstellung einer evidenzbasierten Rechtsprechung ist es indes
erforderlich, den einschlägigen Wissensstand zu beleuchten. Zwar fehlen in
der Schweiz Studien mit Qualitätsvergleichen beider Disziplinen bei
erwachsenenstrafrechtlichen Gutachten zur Schuldfähigkeit und
Massnahmenindiktion aus offensichtlichen Gründen: Psycholog:innen sind im
Erwachsenenstrafrecht wegen
BGE 140 IV 49
nicht als Sachverständige zugelassen. Allerdings ist bereits die Hypothese
angreifbar, wonach der Einsatz von psychiatrischen Sachverständigen Gewähr
für eine hinreichende Begutachtungsqualität bietet. Eine explorative
Gutachtensqualitätsstudie von Bevilacqua et al. gelangte nach Analyse von
58 psychiatrischen Gutachten zur Feststellung, dass die Qualität sowohl im
Hinblick auf die psychiatrische Diagnostik sowie der Risikoeinschätzung
unbefriedigend ausfiel.[9]
Zwar ist die Pilotstudie aufgrund methodischer Gesichtspunkte sowie der
kleinen Stichprobe zurückhaltend zu interpretieren. Gleichwohl ergeben sich
aus ihr Hinweise darauf, dass der disziplinäre Hintergrund für sich
genommen keine Garantie für qualitativ hochwertige Gutachten darstellt.
Darüber hinaus zeigt ein Blick in die internationale Evidenz, dass die
These eines höheren Qualitätsstandards von psychiatrischen gegenüber
psychologischen Einschätzungen empirisch nicht gestützt ist.
Qualitätsvergleiche zwischen psychiatrischen und psychologischen
forensischen Einschätzungen für die hier relevanten Themen der
Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation ergeben vielmehr keinen
systematischen Unterschied zugunsten bzw. zulasten einer Disziplin:
Teilweise fiel die Gutachtensqualität zugunsten von psychologischen
Sachverständigen aus[10], teilweise zugunsten der ärztlichen
Sachverständigen[11]
und bei weiteren Studien[12]
ergaben sich keine professionsbezogenen Qualitätsdifferenzen. Diese
Resultate fügen sich nahtlos in die Befundlage zur Qualität der
psychiatrisch-psychologischen Diagnostik ausserhalb der Forensik ein, die
ebenfalls keine systematischen Qualitätsvorteile einer Disziplin erkennen
lassen.[13]
Die empirische Sachlage spricht damit für eine gleichberechtigte Stellung
beider Professionen.[14]
Was die hier referierte Evidenz allerdings nicht beantwortet, ist, ob andere
Kriterien wie das Erfordernis einer somatischen Abklärung oder die Aus- und
Weiterbildung von Psycholog:innen Gründe darstellen könnten, dieser
Berufsgruppe den Zugang zur Sachverständigenrolle zu verwehren. Diesen zwei
Aspekten ist in den folgenden Abschnitten nachzugehen.
2. Somatische Diagnostik
a) These: Somatische Abklärungen bedingen Psychiater:innen in der
Sachverständigenrolle
Ein zweiter Pfeiler der bundesgerichtlichen Rechtsprechung stellt die Rolle
der Somatik im diagnostischen Prozess dar. Psycholog:innen seien lediglich
in der Lage, «nicht krankhafte» Störungsbilder (z.B.
Persönlichkeitsstörungen etc.) zu diagnostizieren.[15]
Bei «krankhaften seelischen Störungen» bzw.
«exogenen oder endogenen Psychosen»
sei jedoch ärztlicher Sachverstand erforderlich. Nur dieser gewährleiste,
dass körperliche oder organische Störungsursachen ausgeschlossen werden
können. Die in der Regel erforderliche körperliche Untersuchung könne nur
von Mediziner:innen vorgenommen werden. Das Bundesgericht leitet somit aus
der Erforderlichkeit somatischer Abklärungen ab, dass nur Psychiater:innen
als Sachverständige i.S.v. Art. 20
und 56 ff. StGB tätig sein können.
b) Falsifikation
Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die terminologische Anknüpfung in
BGE 140 IV 49 («krankhafte»
vs. «nicht-krankhafte» Störungen)[16]
nicht mehr aktuell ist.[17]
Dreh- und Angelpunkt des diagnostischen Prozesses sind die Befunderhebung
auf Grundlage eines operationalisierten psychopathologischen
Dokumentationssystems (z.B. AMDP) sowie die Diagnosestellung nach einer
anerkannten psychiatrischen Nosologie wie der International Statistical
Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD) der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder dem Diagnostic and Statistical
Manual of Mental Disorders (DSM) der American Psychiatric Association
(APA).[18]
Die Grundlagen der Diagnostik und die dabei eingesetzten Methoden sind für
Psycholog:innen und Psychiater:innen gleichermassen einschlägig.[19]
Eine methodenkonforme Begutachtung setzt eine umfassende
Sachverhaltsabklärung voraus, in der sowohl psychiatrisch-psychologische
(z.B. das Erheben eines psychopathologischen Befundes) als auch somatische
Befunde eine Rolle spielen. Die integrative Würdigung sämtlicher Befunde
ist Schlüssel eines möglichst akkuraten diagnostischen Prozesses. Am
Beispiel der Schizophrenie (ICD-11 / Code: 6A20) illustriert: Für das
Stellen dieser Diagnose sind auf psychopathologischer Ebene Aspekte des
Denkens, des Wahrnehmens, des Selbsterlebens, der Kognition, des Affekts
und des Verhaltens für die Diagnosestellung relevant.[20]
Diese Symptome sind mittels Beobachtung der Person, ihrem Verhalten sowie
ihrer Schilderung des eigenen Erlebens zu beurteilen. Diagnostisch
hinreichend geschulte Personen beider Professionen (zur Aus- und
Weiterbildung nachfolgend Rz. 17 ff.) können solche Informationen nach
sorgfältiger Aktenanalyse, Exploration, allfälligen Fremdanamnesen usw.
erheben.
Eine kunstgerechte Diagnostik setzt darüber hinaus eine
indikationsgeleitete und professionell durchgeführte somatische
Untersuchung voraus (vom Bundesgericht in
BGE 140 IV 49
«körperliche Untersuchung» genannt),[21]
bei der auch der Indikation und Wirkung pharmakologischer Interventionen
Rechnung zu tragen ist. Am Beispiel der Schizophrenie illustriert: Für die
Diagnose ist auszuschliessen, dass die vorangehend erwähnten Symptome
«Ausdruck eines anderen Gesundheitszustands (z. B. eines Hirntumors)»
bzw.
«auf die Wirkung einer Substanz oder eines Medikaments auf das zentrale
Nervensystem (z. B. Kortikosteroide)…»
oder «auf einen Entzug (z. B. Alkoholentzug)» zurückzuführen sind.[22]
Entsprechend wird man BGE 140 IV 49
nicht mit dem Argument kritisieren können, somatische Ursachen seien im
forensischen Kontext selten und es würden andere Störungsbilder
überwiegen.[23]
Selbst wenn Letzteres zuträfe (Seltenheitshypothese), müsste auch für diese
Fälle eine adäquate Abklärungsqualität gewährleistet sein.[24]
Daran ändert nichts, dass somatische Untersuchungen in der Praxis entgegen
den fachlichen Vorgaben selten veranlasst werden.[25]
Aus der Erforderlichkeit somatischer Abklärungen folgt indes in keiner
Weise, dass nur Psychiater:innen als Sachverständige geeignet sind. Die
Rechtsprechung lässt ausser Acht, dass sich die Humanmedizin (inkl.
Psychiatrie) sowie die Psychologie stark ausdifferenziert haben: Allgemein
geeignete Generalist:innen gibt es in beiden Disziplinen nicht. Es kann
folglich immer nur darum gehen, dass die jeweilige Fachperson in der Lage
ist zu erkennen, welche weiterführenden Untersuchungen für eine
kunstgerechte Diagnostik notwendig sind (z.B. Bildgebung, internistische
Untersuchung, neuropsychologische Untersuchung etc.).[26]
Wiederum am Beispiel der Schizophrenie illustriert: Für diese Diagnose ist
auf somatischer Ebene u.a. die Präsenz eines Hirntumors auszuschliessen.
Für die Feststellung und Lokalisation eines Hirntumors ist eine Bildgebung
von Bedeutung. Diese wird aber nicht durch Psychiater:innen durchgeführt,
sondern durch eine spezialisierte Radiolog:in. Der so erhobene somatische
Befund erlaubt wiederum keine direkte Beantwortung der Sachverhaltsfragen
im Kontext der Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation. Erstens müssen der
radiologische Befund und die Lokalisation des Tumors mit den
psychopathologischen Einschränkungen in Verbindung gebracht werden.
Zweitens kommt es für die gutachtensrelevanten Fragen auf das Ausmass der
psychischen Funktionseinschränkungen an.[27]
Hier können neuropsychologische Untersuchungen Aufschluss
vermitteln.[28]
Diese erfordern wiederum Spezialqualifikationen, welche nicht jede
psychologische Fachperson aufweist, weswegen auch hier die Situation
eintreffen kann, dass psychologische Sachverständige für diesen
Untersuchungsschritt Spezialist:innen innerhalb ihrer Disziplin beiziehen
müssen.
Das Geschriebene zeigt: Psychiater:innen und Psycholog:innen fehlen immer
gewisse Wissensbestände, um in allen Konstellationen eine umfassende
Abklärung sämtlicher begutachtungsrelevanter Bereiche in eigener Person zu
gewährleisten. Daher geht es bei der differenzierten diagnostischen
Beurteilung um den sachgerechten Einbezug notwendiger Expertise. Künstliche
Grenzziehungen zwischen den Disziplinen sind vor diesem Hintergrund nicht
zielführend.[29]
Entsprechend kann man Psycholog:innen nicht mit dem Argument von der
Sachverständigenfunktion ausschliessen, dass ihnen die Fähigkeiten zur
somatischen Diagnostik fehlen, weil themenspezifische Wissensdefizite auch
bei psychiatrischen Sachverständigen normal sind und dort nicht zu deren
Ausschluss von der Sachverständigenrolle führen.[30]
Ungeachtet der Profession ist die klinische und diagnostische Weiterbildung
und Erfahrung der sachverständigen Person entscheidend, um Wissenslücken zu
identifizieren[31]
und über die Auswahl notwendiger delegierter Zusatzuntersuchungen durch
Spezialist:innen zu entscheiden und die entsprechenden Befunde in die
gutachterliche Diagnostik einzubetten.[32]
Vor diesem Hintergrund muss die zweite These des Bundesgerichts
zurückgewiesen werden: Psycholog:innen können die erforderlichen
somatischen Abklärungen delegiert von spezialisierten Mediziner:innen
vornehmen lassen, ohne dass dies ihre Eigenverantwortlichkeit bei der
Begutachtung im Rahmen der Gesamtbeurteilung negativ tangiert.[33]
3. Aus- und Weiterbildung
Da weder die Empirie zur Begutachtungsqualität noch die somatische
Diagnostik für den Ausschluss von Psycholog:innen von der
Sachverständigenrolle sprechen, lautet die Schlüsselfrage, welche Aus- und
Weiterbildungsstandards bei Psycholog:innen erforderlich sind, um Gewähr
für eine adäquate Begutachtungsqualität zu bieten.
a) These: Unzureichende Standards bei Psycholog:innen
Nach BGE 140 IV 49 gewährleistet
die fachärztliche Weiterbildung «einen gewissen Qualitätsstandard».
Hingegen müsse
«bei nichtärztlichen Sachverständigen stets überprüft werden, ob sie im
konkreten Fall die Anforderungen an die Sachkunde erfüllen».[34]
Das Bundesgericht erachtete mit anderen Worten die Aus- und
Weiterbildungsstandards von Psycholog:innen im Entscheidungszeitpunkt[35]
für unzureichend, um die Mindestanforderungen nach
Art. 20
und 56 ff. StGB zu erfüllen.
b) Falsifikation
Dem Bundesgericht ist zuzustimmen, dass es nicht zielführend wäre, die
Qualifikation einer sachverständigen Person im konkreten Verfahren im
Einzelfall feststellen zu müssen. Verfolgte man diesen Ansatz, müsste die
Verfahrensleitung neben dem Gutachten zur Schuldfähigkeit und
Massnahmenindikation oft ein weiteres zur Qualifikation der sachverständigen
Person einholen, weil sie die Eignung mangels Fachwissens kaum selbständig
beurteilen kann.[36]
Zu fordern sind insofern Aus- und Weiterbildungsabschlüsse, welche
generell-abstrakt nachweisen, dass eine Person als sachverständige Person
geeignet ist.[37]
Auf den ersten Blick liegt es nahe, den Aus- und Weiterbildungswerdegang
von Psychiater:innen[38]
im Detail mit dem Werdegang von Psycholog:innen zu vergleichen, da erstere
bereits zur Begutachtung zugelassen sind. Der medizinische Werdegang könnte
dann als Zielgrösse verstanden werden, dem die Aus- und Weiterbildung von
Psycholog:innen möglichst zu entsprechen hat. Ein solches Vorgehen ist
jedoch nicht zielführend. Die beiden Disziplinen weisen naturgemäss gewisse
Unterschiede auf, ansonsten sie nicht in verschiedenen Studiengängen
angesiedelt wären. Während Mediziner:innen auf ihrem Weg mehr somatisches
Wissen erlangen, gilt dasselbe für Psycholog:innen hinsichtlich
statistisch-methodischer Kenntnisse.[39]
Bei beiden Bereichen handelt es sich um gleichermassen
begutachtungsrelevante Kompetenzen (vgl. Rz. 21). Beide Berufsprofile
haben entsprechend ihre spezifischen, für den Begutachtungskontext
relevante Stärken, ohne dass dies die jeweilige Disziplin automatisch für
die Sachverständigenrolle (dis-)qualifizieren würde (dazu auch Rz. 10
ff.).
Wichtiger ist daher die Frage, ob Psycholog:innen auf Basis ihrer
Aus- und Weiterbildung die begutachtungsrelevanten Kompetenzen erlangen, um
qualitativ hochwertige Gutachten zur Schuldfähigkeit und
Massnahmenindikation zu verfassen. Dafür sind in einem ersten Schritt die
erforderlichen Begutachtungskompetenzen zu definieren. Nur mit dieser
Zielgrösse sind Diskussionen über die hinreichende Aus- und Weiterbildung
von Psycholog:innen im Hinblick auf die Sachverständigenrolle sinnvoll zu
führen.
aa) Begutachtungsrelevante Kompetenzen
Die Begutachtung der Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation erfordert
Kompetenzen in unterschiedlichen Bereichen.[40]
Sowohl für das Eingangsmerkmal von
Art. 19 StGB
als auch im Massnahmenrecht nach
Art. 56 ff. StGB
sind diagnostische Kenntnisse erforderlich. Die sachverständige
Person muss in der Lage sein, Befunde sachgerecht zu erheben und Diagnosen
nach ICD-10/11 oder DSM-5 zu stellen. Im Kontext der Massnahmenindikation
sind darüber hinaus Kenntnisse bezüglich
Behandlungs- und Risikoevidenz
vonnöten.[41]
Wichtig sind sodann praktische Kenntnisse des (forensisch)
psychiatrisch-psychologischen Versorgungssystems, um die Realisierbarkeit
von Interventionsempfehlungen angemessen beurteilen zu können.[42]
Schliesslich findet die Sachverständigentätigkeit im juristischen Kontext
statt, weswegen strafrechtliche Kenntnisse zwingend notwendig
sind. Dies bedeutet namentlich ein Grundlagenverständnis zum Konzept der
Schuldfähigkeit[43],
zu massnahmenrechtlichen Grundlagen[44]
sowie verfahrensrechtliche
Wissensbestände[45].
Nachfolgend wird sich zeigen, dass Psycholog:innen dieses
Fähigkeitsportfolio im Rahmen der Aus- und Weiterbildung erlangen.
bb) Psychologieberufegesetz (PsyG)
Im Entscheidungszeitpunkt von
BGE 140 IV 49
im Jahr 2014 war das PsyG erst drei Jahre lang in Kraft
(2011). Mittlerweile sind über zehn Jahre vergangen, in denen das Gesetz
seine qualitätssichernde Wirkung entfalten konnte. Durch das PsyG soll
namentlich der Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleistet werden.[46]
Während vor diesem Erlass die Bezeichnung als Psycholog:in allenfalls
(kantonal) fragmentarisch geschützt war, ist die Sachlage de lege lata
anders beschaffen. Nach
Art. 4 PsyG
darf sich in der Schweiz nur jene Person als «Psycholog:in» bezeichnen, die
«einen nach diesem Gesetz anerkannten Ausbildungsabschluss in
Psychologie erworben hat».
Als inländische Hochschulabschlüsse sind die von einer nach dem
Universitätsförderungsgesetz beitragsberechtigten oder nach dem
Fachhochschulgesetz akkreditierten schweizerischen Hochschule erteilten
Master-, Lizentiats- und Diplomabschlüsse in Psychologie anerkannt.[47]
Es stellt sich somit die Frage, welche begutachtungsrelevanten Kompetenzen
dadurch erworben werden (dazu sogleich).
cc) Psychologiestudium
Das Psychologiestudium gliedert sich in ein Bachelor- und Masterstudium und
dauert im Regelfall fünf Jahre. Das Bachelorstudium weist eine Regeldauer
von drei Jahren auf, in dem 180 ECTS (European Credit Transfer and
Accumulation System)[48]
erworben werden. Während dieser Phase erlernen Psycholog:innen im Rahmen von
mind. 30 ECTS Methodenlehre (Statistik, Forschungsmethodik) und absolvieren
mind. 54 ECTS zu «Grundlagen und Anwendung», wobei in diesem Zusammenhang
namentlich Kenntnisse zu forensisch relevanten Bereichen wie klinische
Psychologie (= Psychopathologie, Diagnostik von psychischen Störungen
anhand ICD bzw. DSM), Neuropsychologie, Entwicklungspsychologie,
Persönlichkeitspsychologie oder Kognitions-, Emotions- und
Motivationspsychologie erworben werden.[49]
Darüber hinaus sind praktische Kompetenzen zu erlangen, wobei in diesem
Rahmen namentlich der Erwerb diagnostischer Kompetenzen eine wichtige Rolle
spielt.[50]
Im Masterstudium (120 ECTS) werden diese Wissensbestände ausgebaut und
sowohl im Rahmen von Lehrveranstaltungen als auch Praktika vertieft.[51]
Durch das Psychologiestudium werden in verschiedenen Bereichen
(Psychopathologie, Diagnostik, Statistik, Forschungsmethodik inkl.
Beurteilung der Evidenzqualität etc.) Wissensbestände und praktische
Fähigkeiten aufgebaut, die im Bereich der strafrechtlichen Begutachtung von
Bedeutung sind. Der Abschluss des Psychologiestudiums qualifiziert indes
noch nicht dazu, Gutachten zur Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation
verfassen zu können. Dafür ist der Erwerb von breiter beruflicher Erfahrung
und (forensischen) Zusatzqualifikationenerforderlich.[52]
dd) Postgraduale Weiterbildungen
Das Bundesgericht ging in
BGE 140 IV 49
nicht vertieft auf die postgradualen Weiterbildungsstrukturen bei
Psycholog:innen ein, sondern stellte fest, dass bei den Mediziner:innen die
postgraduale Weiterbildung zur Psychiater:in einen gewissen
Qualitätsstandard gewährleiste, wogegen bei Psycholog:innen die fachliche
Eignung immer im Einzelfall überprüft werden müsste. Allerdings erweist
sich dieses Vorgehen in doppelter Weise nicht als zielführend. Erstens
folgt aus dem Erfordernis forensisch-spezifischer Zusatzqualifikationen,
dass nach Sicht der Autor:innen auch bei Mediziner:innen eine
Facharztqualifikation - die generalistisch ausgerichtet ist - noch keine
hinreichende Qualifikation für den forensischen Kontext darstellt, sondern
dass dafür der Erwerb des SGFP-Schwerpunkttitels «Forensische Psychiatrie
und Psychotherapie» erforderlich ist.[53]
Zweitens zieht das Bundesgericht in seinem Professionsvergleich
unterschiedliche Grössen bei: So handelt es sich bei Psycholog:innen um
Studienabgänger:innen, während Psychiater:innen einen postgradualen
Weiterbildungstitel erworben haben.[54]
Die zutreffende Vergleichsgrösse für Psychiater:innen wären daher
Psycholog:innen mit einem postgradualen Weiterbildungstitel gewesen. Ob und
in welchem Rahmen solche Weiterbildungstitel bei Psycholog:innen die
begutachtungsrelevanten Kompetenzen hinreichend vermitteln, wurde in
BGE 140 IV 49
indes nicht thematisiert.
Diese Lücke ist zu füllen. Nach vorliegend vertretener Auffassung stellt
der Erwerb des «Zertifikats forensische Psychologie SGFP» mit «Schwerpunkt
Begutachtung im Strafrecht SGFP» den Indikator für die
Sachverständigeneignung im Rahmen von
Art. 20
und 56 ff. StGB dar.[55]
Der Weg zu diesem Zertifikat führt im Status quo über das Erlangen des
Weiterbildungstitels «Fachpsycholog:in für Rechtspsychologie». Zukünftig
wird sich die Sachlage in den Berufsverbänden dahingehend weiterentwickeln,
dass der Weg zum SGFP-Zertifikat über den Abschluss der
Psychotherapieweiterbildung führt und somit an eine vom Bundesamt für
Gesundheit anerkannte Weiterbildung anknüpft (vgl. Grafik).
Status quo: Der Status quo sieht nach dem Studium den Erwerb des
Weiterbildungstitels «Fachpsycholog:in für Rechtspsychologie FSP» der
Schweizerischen Gesellschaft für Rechtspsychologie (SGRP) vor.[56]
Voraussetzung für die Zulassung zur Weiterbildung sind ein Masterabschluss
in Psychologie (d.h. ein fünfjähriges Studium) sowie eine mindestens
dreijährige Berufserfahrung nach Abschluss des Masters in Psychologie (vgl.
Art. 2 SGRP-CC
«Postgraduale Weiterbildung in Rechtspsychologie der Schweizerischen
Gesellschaft für Rechtspsychologie SGRP»).[57]
Nach Art. 3 SGRP-CC qualifiziert
der Fachtitel zur eigenverantwortlichen Berufsausübung, wobei namentlich
forensisch relevante Themen wie die Entwicklung, die Persönlichkeit, die
psychische Gesundheit, das Tatverhalten, die Rückfallwahrscheinlichkeit
(Risiko- und Schutzfaktoren), die Schuldfähigkeit und ihre Komponenten, die
Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen sowie die Beurteilung der
Massnahmenindikation zu den behandelten Themen der Weiterbildung gehören
(Art. 4 Abs. 2 SGRP-CC). Die
Erlangung dieser Kompetenzen beruht auf drei Weiterbildungspfeilern
(Art. 5 SGRP-CC). Erstens sind 400
Lehreinheiten[58]
zu begutachtungsrelevanten Themenbereichen («Einführung Rechtspsychologie»,
«Recht», «Grundlagen deliktpräventive Rechtspsychologie»,
«Störungsspezifische Einschätzung der Persönlichkeit im Kontext der
Delinquenz», «Psychopathologie», «Psychologische Diagnose- und
Begutachtungsverfahren», «Psychotraumatologie», «Ethische Reflexion» sowie
fakultativ «Polizeipsychologie») zu absolvieren.[59]
Mit dem Weiterbildungstitel «Fachpsycholog:in für Rechtspsychologie FSP»
wird das Fundament der forensischen Spezialisierung gelegt.[60]
Anschliessend kann das «Zertifikat Begutachtung im Strafrecht SGFP» mit
«Schwerpunkt Begutachtung im Strafrecht SGFP» absolviert
werden.[61]
Das «Zertifikat Begutachtung im Strafrecht»[62]
ist inhaltlich äquivalent zu der für Psychiater:innen bestehenden
Weiterbildung zum Schwerpunkt «Forensische Psychiatrie und Psychotherapie»
ausgestaltet.[63]
Seit 2021 räumt die Schweizerische Gesellschaft für Forensische Psychiatrie
(SGFP) Fachpsycholog:innen für Rechtspsychologie die Möglichkeit ein, als
ordentliche Mitglieder aufgenommen zu werden, und führt die Sektion
Forensische Psychologie innerhalb der SGFP.[64]
Grundqualifikationen für die Zulassung zum SGFP-Curriculum sind a) die
Anerkennung als Psycholog:in nach
Art. 4 PsyG, b) das Tragen des Titels «Fachpsycholog:in für Rechtspsychologie» und c)
eine mindestens zweijährige Tätigkeit als Psycholog:in in einer vom SIWF
(Schweizerisches Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung)[65]
anerkannten Weiterbildungsstätte. Mit dem letztgenannten Kriterium wird der
Anforderung nach klinischer Erfahrung[66]
im stationären Kontext Rechnung getragen.
Im Zertifikat «Begutachtung im Strafrecht SGFP» muss theoretische
Weiterbildung im Umfang von 180 Credits absolviert werden.[67]
Hier erweisen sich Angebote wie der bis 2022 an der Universität Luzern
angebotene «CAS Forensische Psychiatrie und Psychologie»[68]
und ab 2024 in Basel weitergeführte «CAS Psychiatrisch-psychologische
Begutachtung im Strafrecht»[69]
sowie der «CAS en Psychiatrie et Psychologie Forensiques et Légale» in
Lausanne[70]
als massgeschneidert. Sowohl Psycholog:innen als auch Psychiater:innen
wurden bzw. werden in diesen Programmen als Teilnehmende zugelassen und
beide Berufsgruppen sind auf Seiten der Dozierenden integrativ tätig. Über
die theoretische Weiterbildung hinaus müssen Kandidat:innen mindestens 30
supervidierte strafrechtliche Gutachten zur Schuldfähigkeit und/oder
Massnahmenindikation nachweisen.[71]
Das Zertifikat wird durch eine Prüfung abgeschlossen, welche bezüglich
Prüfungsart, -modalitäten, Bewertungskriterien, Eröffnung etc. den
Rahmenbedingungen des Schwerpunkttitels Forensische Psychiatrie und
Psychotherapie entspricht.[72]
Zur Sicherstellung der Anforderungsäquivalenz werden die Fachpsycholog:innen
sowohl von forensisch qualifizierten Fachärzt:innen als auch von forensisch
qualifizierten Fachpsycholog:innen geprüft. Schliesslich müssen
Kandidat:innen Erst- oder Letztautor einer wissenschaftlichen Arbeit auf
dem Gebiet der forensischen Psychologie sein oder eine Dissertation in
diesem Gebiet verfasst haben.[73]
Unter diesen Bedingungen sind Psycholog:innen für die Begutachtung der
Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation nach Sicht der Autor:innen
hinreichend qualifiziert. Die bundesgerichtliche These, wonach
psychologische Sachverständige unzureichende Aus- und
Weiterbildungsstandards für die Gewährleistung einer adäquaten
Begutachtungsqualität im Rahmen von
Art. 20
und 56 ff. StGB haben, ist daher
nicht länger tragfähig.
Zukunft: Im Rahmen des durch diesen Fachbeitrag angestossenen
interdisziplinären Diskurses in den Berufsverbänden SGFP und SGRP zeichnet
sich ab, dass sich die Rahmenbedingungen des SGFP-Zertifikats dereinst
verändern werden. Anstelle des Titels «Fachpsycholog:in für
Rechtspsychologie» wird eine abgeschlossene Ausbildung zum bzw. zur
eidgenössisch anerkannten Psychotherpeut:in als Zulassungsvoraussetzung zum
SGFP-Zertifikat definiert werden. Die forensische Expertise wird wie im
Status quo durch das SGFP-Zertifikat gewährleistet. Für diese Inhalte kann
auf die Ausführungen des vorangehenden Unterkapitels verwiesen werden. Zu
erläutern bleibt an dieser Stelle die Relevanz der
Psychotherapieweiterbildung für die Sachverständigenrolle. Wie unter Rz. 21
ausgeführt wurde, sind für die Begutachtungstätigkeit im Strafrecht sowohl
diagnostische Kenntnisse als auch hinreichende Wissensbestände bezüglich des
psychiatrisch-psychologischen Versorgungssystems in- und ausserhalb der
Forensik erforderlich. Die Psychotherapieweiterbildung ist vom Bundesamt für
Gesundheit anerkannt und leistet Gewähr dafür, dass solche Kompetenzen in
hinreichendem Umfang erworben werden.[74]
Vor diesem Hintergrund rechtfertigt es sich, künftig die
Psychotherapieweiterbildung als Zulassung zum SGFP-Zertifikat zu fordern,
zumal damit gleichzeitig Äquivalenz mit Psychiater:innen hergestellt wird,
die für den Facharzttitel (wenn auch in geringerem Zeitumfang) ebenfalls
eine psychotherapeutische Weiterbildung absolvieren müssen. Auch in dieser
Variante muss die bundesgerichtliche These, wonach psychologische
Sachverständige unzureichende Aus- und Weiterbildungsstandards für die
Gewährleistung einer adäquaten Begutachtungsqualität im Rahmen von
Art. 20
und 56 ff. StGB haben, als
unzutreffend zurückgewiesen werden. Mit Erlangen des SGFP-Zertifikats wären
Psychologinnen mit eidgenössisch anerkannter Psychotherapieweiterbildung
geeignet, Schuldfähigkeits- und Massnahmengutachten mit hinreichender
Qualität zu verfassen.
IV. Würdigung und Ausblick
Gutachten zur Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation haben für betroffene
Personen eine grosse Bedeutung, weswegen strenge Anforderungen an die
Qualifikationen von Sachverständigen berechtigt sind. Entsprechend ist es
nicht zielführend, die Zulassung von Psycholog:innen mit dem Argument zu
begründen, dass ansonsten Kapazitätsengpässe im Sachverständigenkontext
drohen.[75]
Die Lösung kann bei so wichtigen Weichenstellungen wie Gutachten zur
Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation (inkl. Verlaufsbeurteilung) nicht
darin bestehen, Kompromisse hinsichtlich der Qualifikation von
Sachverständigen zu machen.[76]
Im vorliegenden Beitrag konnte indes aufgezeigt werden, dass eine Zulassung
ohne Qualitätskompromisse möglich ist. Psycholog:innen sind nach Erlangen
des «Zertifikats Forensische Psychologie SGFP» [geändert am 14. August 2024] mit «Schwerpunkt
Begutachtung im Strafrecht SGFP» qualifiziert, Gutachten zur
Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation mit hinreichender Qualität zu
verfassen. Der ratio legis von
Art. 20
und Art. 56 StGB
(Begutachtungsqualität) wird in diesen Fällen auch durch psychologische
Sachverständige Genüge getan.[77]
Andere Sichtweisen gründen auf
tradierten[78],
aber nicht mehr aktuellen
«Vorstellungen über Methoden, Kompetenzen und Qualifikationen»[79]
der Psychologie, welche die prägende Rolle der Disziplin in der Forensik
übersehen sowie den Entwicklungen der Weiterbildungslandschaft in den
letzten zehn Jahren nicht Rechnung tragen. Es ist nun an den zuständigen
Instanzen in den Kantonen[80]
sowie auf Bundesebene[81],
dieser Erkenntnis zur Anwendung zu verhelfen.[82]
Der Raum für eine zeitgemässe Auslegung von
Art. 20
und 56 StGB besteht, weil der
Gesetzgeber anlässlich der Gesetzesrevision im Jahr 2007 bewusst darauf
verzichtete, die Sachverständigenrolle auf Psychiater:innen zu beschränken.[83]
Auch nach der Zulassung von psychologischen
Sachverständigen bleibt der interdisziplinäre Austausch von grosser
Wichtigkeit für eine evidenzbasierte Praxis, die zusätzlich durch ein
konstantes Gutachtens-Qualitätsmonitoring[84]
abzusichern ist.[85]
Die Fortführung des historischen Streits der Disziplinen Psychiatrie und
Psychologie um die «bessere» sachverständige Person ist nach dem Gesagten
nicht zielführend.[86]
Beide Disziplinen haben auf Basis ihrer Aus- und Weiterbildung
eigenständige Stärken, gelangen aber je nach gutachterlicher Fragestellung
auch an Wissensgrenzen und sind auf die Kompetenz der jeweils anderen
Disziplin angewiesen. Die richtige Antwort auf die Frage der geeigneten
sachverständigen Person ist daher kein «entweder… oder», sondern
bei gegebenen Weiterbildungsvoraussetzungen ein
«sowohl… als auch».[87]
[1] Schweizerisches
Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB;
SR 311.0).
[2]
Constantin Kruse, Die Sachverständigenauswahl für die
Schuldfähigkeitsbegutachtung, NJW 2014, S. 509.
[3]
Für den gesamten Absatz:
BGE 140 IV 49
E. 2.
[4]
Urteil des Bundesgerichts
6B_850/2013
vom 24. April 2014 E. 2; Urteil des Bundesgerichts
6B_884/2014
vom 8. April 2015 E. 3.3 f. (mit weitergehenden Ausführungen zur
erlaubten Reichweite bzgl. Delegation von Teilaspekten an
Hilfspersonen);
BGE 144 IV 176
E. 4.2.1; Urteil des Bundesgerichts
6B_154/2021
vom 17. November 2021 E. 3.1; Urteil des Bundesgerichts
6B_321/2021
vom 27. Juli 2022 E. 3.3.3; Urteil des Bundesgerichts
6B_536/2021
vom 2. November 2022 E. 3.3; im Urteil des Bundesgerichts
6B_154/2021
vom 17. November 2021 E. 3 akzeptierte das Bundesgericht indes eine
Co-Mandatierung von einer psychiatrischen und einer psychologischen
Fachperson, da sich erstere im Rahmen der Arbeitsteilung an das
Delegationsverbot gehalten hatte.
[5]
Vgl. etwa
Weisung des Kantonsgerichts und der Oberstaatsanwaltschaft des
Kantons Luzern über psychiatrische und aussagepsychologische
Gutachten im Strafverfahren
vom 7. Mai 2014, Fassung vom 28. November 2023,
§ 5 Abs. 2. Ausführlich sodann die Regulierung des Kantons Zürich in der
Verordnung über psychiatrische und psychologische Gutachten in
Straf- und Zivilverfahren vom 1. September 2010 (PPGV/ZH;
LS 321.4). In dieser wird in den
§ 10 ff. PPGV/ZH
ebenfalls auf das Facharzterfordernis rekurriert. Nur in absoluten
Ausnahmesituationen können Sachverständigenaufträge an nicht
eingetragene Personen vergeben werden
(§ 17 Abs. 2 PPGV/ZH). Zum
Entwicklungsprozess der PPGV/ZH und zum Einfluss von
BGE 140 IV 49
auf die PPGV/ZH auch: Robert Hauser / Erhard Schweri / Viktor
Lieber, Kommentar zum zürcherischen Gesetz über die Gerichts- und
Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess vom 10. Mai 2010,
Zürich 2017, § 123 N 13 ff. Der mit der PPGV einhergehende
Ausschluss von Psycholog:innen von der strafrechtlichen
Begutachtung im besagten Kontext wurde von Gerichten bis dato
geschützt: Urteil des Bundesgerichts
2C_121/2011
vom 9. August 2011 E. 3 ff. sowie jüngst Urteil des Obergerichts
des Kantons Zürich VR220015
vom 13. Oktober 2022.
[6]
Andreas Huber, Experten und Expertenkommissionen im Strafprozess
und im Straf- und Massnahmenvollzug, Diss. Zürich 2019, S. 88 ff.;
Bernhard Sträuli, in: Moreillon/Macaluso/Queloz/Dongois (Hrsg.),
Commentaire Romand, Code pénal I, Art. 1-110, Basel 2020, Art. 20 N
26 ff. (zit. CR CP-Bearbeiter:in); Gian Ege, Der Affekt im
schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 2017, S. 320 ff.; Benjamin
F. Brägger / Marc Graf, Gefährlichkeitsbeurteilung von psychisch
kranken Straftätern, in: Jusletter 27. April 2015, Rz. 35 ff.;
Stefan Trechsel / Barbara Pauen Borer, in: Trechsel/Pieth (Hrsg.),
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Zürich 2021, Art.
56 N 11 (zit. PraxKomm. StGB-Bearbeiter:in); Thomas Fingerhuth /
Stephan Schlegel / Oliver Jucker, in: Donatsch et al. (Hrsg.),
StGB/JStG Kommentar, Zürich 2022, Art. 20 N 5; Joelle Vuille, in:
Jeanneret/Kuhn/Perrier Depeursinge (Hrsg.), Commentaire Romand,
Code de procédure pénale suisse, Basel 2019, Art. 183 N 6a; CR
CP-Ludwiczak Glassey/Roth/Thalmann, Art. 56 N 40a; Michel Dupuis et
al. (Hrsg.), Petit Commentaire, CP, Code Pénale, 2. Aufl., Basel
2017, Art. 56 N 13; PraxKomm. StGB-Trechsel/Fateh-Moghadam, Art. 20
N 4; Wolfgang Wohlers, in: Wohlers/Godenzi/Schlegel (Hrsg.),
Schweizerisches Strafgesetzbuch - Handkommentar, 4. Aufl., Bern
2020, Art. 56 N 18; Felix Bommer / Günther Stratenwerth,
Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II: Strafen und
Massnahmen, Bern 2020, § 8 N 29; Daniel Jositsch / Gian Ege /
Christian Schwarzenegger, Strafrecht II, Strafen und Massnahmen,
Zürich 2018, S. 177; Miriam Forni, Strafverfahren und Psychiatrie:
Berührungspunkte und Reibungsflächen, ZStrR 2004, S. 216 f.
[7]
So aber die Interpretation der Judikatur, welche sich auf den
Standpunkt stellt, dass die h.L. ärztliche Sachverständige fordert:
BGE 140 IV 49 E. 2.6;
Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich
VR220015
vom 13. Oktober 2022 E. 3.4. Das blosse Erwähnen einer
Rechtsprechung ist aber nicht zwingend als Zustimmung zu werten.
[8]
Ivana Babic, Das psychiatrische Gutachten im Strafverfahren unter
Berücksichtigung rechtlicher, medizinischer und ethischer Aspekte,
Diss. Zürich 2019, S. 125; Thomas Noll, Die Schuldfähigkeit aus
psychiatrisch-psychologischer Sicht, ZStrR 2017, S. 77 f.; Julian
Mausbach / Peter Straub, in: Graf (Hrsg.), Annotierter Kommentar
StGB, Bern 2020, Art. 20 N 3 (zit. AK StGB-Bearbeiter:in); Marc
Thommen,
Nur noch Psychiater als Gutachter, forumpoenale 2015, S. 14 ff., insb. S. 19; Thierry Urwyler /
Jérôme Endrass / Henning Hachtel / Marc Graf, Handbuch Strafrecht -
Psychiatrie - Psychologie, Basel 2022, N 638 ff.; Kevin Sacher,
Die (Un-)behandelbarkeit psychisch schwer gestörter Straftäter,
Diss. Bern 2022, S. 53 ff.; Marianne Heer, in: Niggli/Wiprächtiger
(Hrsg.), Basler Kommentar zum Strafrecht I, Art. 1-136 StGB, 4.
Aufl., Basel 2019, Art. 56 N 55 (zit. BSK StGB-Bearbeiter:in):
«Entsprechende Einwände werden sich allerdings mit zunehmender
Ausbildung der Psychologen in Zukunft kaum mehr vertreten
lassen, weshalb diese Rechtsprechung zu überdenken sein wird»; differenzierend BSK StGB-Bommer, Art. 20 N 27a, mit Verweis auf
das PsyG (Bundesgesetz über die Psychologieberufe vom 18. März 2011
[Psychologieberufegesetz, PsyG;
SR 935.81]); a.M. tendenziell Michael Liebrenz et al., Somatische Aspekte in
der forensisch-psychiatrischen Begutachtung, AJP 2018, S. 624 ff.;
Ursula Frauenfelder, Die ambulante Behandlung geistig Abnormer und
Süchtiger als strafrechtliche Massnahme nach Art. 43 und 44 StGB,
Diss. Zürich 1978, S. 59.
[9]
Leonie Bevilacqua et al., Expert opinions on criminal law cases in
Switzerland - an empirical pilot study, Swiss Medical Weekly 2023,
S. 1 ff.
[11]
Maximilian Wertz / Helmut Kury / Martin Rettenberger, Umsetzung von
Mindestanforderungen für Prognosegutachten in der Praxis, FPPK
2018, S. 51 ff., die aber darauf hinweisen, dass in beiden
Berufsgruppen gute und schlechte Gutachten zu finden waren.
[12]
Sascha Dobbrunz / Anne Daubmann / Jürgen L. Müller / Peer Briken,
Der Einfluss von Profession und Erfahrung hinsichtlich der
kriteriengeleiteten Beurteilung der Schuldfähigkeit bei paraphilen
Störungen - eine randomisierte kontrollierte Studie, Psychiatrische
Praxis 2022, S. 142; vgl. auch Jannet Warren, Opinion Formation in
Evaluating Sanity at the Time of the Offense: An Examination of
5175 Pre-Trial Evaluations, Behavioral Sciences and the Law 2004,
S. 183.
[13]
Für die ICD-11: Wolfgang Gaebel et al., Accuracy of diagnostic
classification and clinical utility assessment of ICD-11 compared
to ICD-10 in 10 mental disorders: findings from a web-based field
study, European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience
2020, S. 281 ff.:
«There were no differences between medical doctors and
psychologists in diagnostic accuracy»; eine höhere diagnostische Genauigkeit bei Psycholog:innen
stellten Julia Brechbiel / Jared Keeley, Pathways linking clinician
demographics to mental health diagnostic accuracy: An international
perspective, S. 1722, fest, wobei dafür eine Rolle spielte, dass
Psycholog:innen für die Diagnostik mehr Zeit in Anspruch nahmen.
Keine Unterschiede zwischen den Disziplinen resultierten in:
Johannes Fuss / Peer Briken / Verena Klein, Gender bias in
clinicians' pathologization of atypical sexuality: a randomized
controlled trial with mental health professionals, Scientific
Reports 2018, S. 1 ff.; Jodi Viljoen / Ron Roesch / James R. P.
Ogloff / Patricia A. Zapf, The Role of Canadian Psychologists in
Conducting Fitness and Criminal Responsibility Evaluations,
Canadian Psychology 2003, S. 374.
[14]
So auch Wertz/Kury/Rettenberger (Fn. 11), S. 59; vgl. sodann
Viljoen/Roesch/Ogloff/Zapf (Fn. 13), S. 376.
[17]
Zum begrifflichen Hintergrund: Die Differenzierung bezieht sich auf
das sog. triadische System, das zwischen exogenen Psychosen,
endogenen Psychosen und psychogenen Erkrankungen unterscheidet
(dazu Kurt Schneider, Klinische Psychopathologie, 15. Aufl.,
Stuttgart 2007, S. 1 ff. sowie den Kommentar von Gerd Huber /
Gisela Gross auf S. 82 ff.). Das damit verbundene
Begriffsverständnis war von der Vorstellung geprägt, dass gewisse
Störungen auf organische Korrelate zurückgeführt werden können. Die
ICD-10/11 und DSM-5 verfolgen demgegenüber einen (ätiologisch)
atheoretischen Ansatz, d.h. sprechen sich nicht über mögliche
Ursachen von psychischen Störungen aus, sondern verfolgen einen
deskriptiven Ansatz (Beschreibung störungsrelevanter Symptome). Mit
fortschreitender Erkenntnis sind weitere Anpassungen
psychiatrisch-psychologischer Störungskonzepte zu erwarten. Die
Übersetzung dieser Konzepte in juristische Begriffe wie «schwere
psychische Störung» ist somit nicht unabhängig von der jeweiligen
zeitgebundenen Auslegung des psychiatrischen Krankheitsbegriffs
bzw. gesellschaftspolitischen Strömungen zu sehen. Dabei hinken
juristische Begriffsverwendungen der psychiatrisch-psychologischen
Entwicklung tendenziell hinterher, was sowohl auf das mögliche
Erfordernis von Gesetzesänderungen als auch auf den
interdisziplinären Kontext zurückzuführen ist.
[18]
Isabelle Kasper, Forensisch-psychiatrische/psychologische
Sachverständige im Strafverfahren, IMPULSE, Zürich 2020, S. 28; Tom
Frischknecht / Eliane Schneider / Stefan Schmalbach, Welcher
Psy-Experte darf's denn sein?, Jusletter 21. Mai 2012, Rz. 8.
[19]
Kasper (Fn. 18), S. 31; Frischknecht/Schneider/Schmalbach (Fn. 18),
Rz. 13.
[20]
Website des Deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte,
ICD-11 in Deutsch - Entwurfsfassung: «Schizophrenie ist durch Störungen in mehreren mentalen
Modalitäten gekennzeichnet, einschließlich des Denkens (z. B.
Wahnvorstellungen, Desorganisation in der Form des Denkens), der
Wahrnehmung (z. B. Halluzinationen), des Selbsterlebens (z. B. das
Erleben, dass die eigenen Gefühle, Impulse, Gedanken oder das
Verhalten unter der Kontrolle einer externen Kraft stehen), der
Kognition (z. B., Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, des verbalen
Gedächtnisses und der sozialen Kognition), des Willens (z. B.
Motivationsverlust), des Affekts (z. B. abgestumpfter
Gefühlsausdruck) und des Verhaltens (z. B. Verhalten, das bizarr
oder zwecklos erscheint, unvorhersehbare oder unangemessene
emotionale Reaktionen, die die Organisation des Verhaltens stören).
Psychomotorische Störungen, einschließlich Katatonie, können
vorhanden sein. Anhaltende Wahnvorstellungen, anhaltende
Halluzinationen, Denkstörungen und Erfahrungen von Einflussnahme,
Passivität oder Kontrolle gelten als Kernsymptome. Die Symptome
müssen mindestens einen Monat lang bestanden haben, damit die
Diagnose Schizophrenie gestellt werden kann. Die Symptome sind nicht
Ausdruck eines anderen Gesundheitszustands (z. B. eines Hirntumors)
und sind nicht auf die Wirkung einer Substanz oder eines
Medikaments auf das zentrale Nervensystem (z. B. Kortikosteroide)
zurückzuführen, auch nicht auf einen Entzug (z. B. Alkoholentzug).»
[21]
Bevilacqua et al. (Fn. 9), S. 5; Liebrenz et al. (Fn. 8), S. 624
ff.; Kruse (Fn. 2), S. 512.
[23]
So Noll (Fn. 8), S. 77; Marcel Aebi / Lorenz Imbach / Nicole
Holderegger / Cornelia Bessler, Jugendstrafrechtliche Gutachten in
der Schweiz, AJP 2018, S. 1467; Kruse (Fn. 2), S. 512; Elmar
Habermeyer / Marc Graf / Thomas Noll / Frank Urbaniok, Psychologen
als Gutachter in Strafverfahren, AJP 2016, S. 128.
[24]
Vgl. auch Liebrenz et al. (Fn. 8), S. 624 ff., welche auf die
Prävalenz von somatischen Beschwerden von Personen hinweist, welche
im strafrechtlichen Kontext zu beurteilen sind.
[25]
Dazu Bevilacqua et al. (Fn. 9), S. 5, wonach nur in 4 von 58
Gutachten entsprechende Untersuchungen dokumentiert waren, was die
Autor:innen kritisierten:
«Namely, the limited use of medical psychiatric somatic
competence is inaccurate from a quality perspective and does
not correspond to published standards.»
[26]
Vgl. auch Babic (Fn. 8), S. 123:
«Obwohl Psychiater eine ärztliche Grundausbildung absolvieren
müssen, können auch sie sich in einer bestimmten Situation
gezwungen sehen einen weiteren Experten beiziehen, um mit
hinreichender Plausibilität sämtliche zu diskutierende Störungen
ausschliessen oder bestätigen zu können»; ebenso Habermeyer/Graf/Noll/Urbaniok (Fn. 23), S. 128:
«Betreffs des Ausschlusses möglicher Störungen gilt, dass auch
ein psychiatrischer Gutachter bei einer bestimmten
Fallkonstellation damit überfordert sein kann, ohne Beizug eines
anderen Experten sämtliche zu diskutierenden Störungen mit
hinreichender Plausibilität auszuschliessen.»
[27]
Vgl. auch Kruse (Fn. 2), S. 511:
«Hinzu kommt, dass es aus gutachterlicher wie auch juristischer
Sicht für die Frage der Schuldfähigkeit zunächst einmal ohne
Bedeutung ist, ob ein psychischer Zustand krankhaft - also
(vermutlich) somatisch bedingt - ist oder nicht, sondern wie er
sich nach Art und Schwere darstellt und welche Relevanz ihm
daher für die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zukommt.»
[28]
Sabine Nowara, Zur Auswahl des Sachverständigen -
(Diplom-)Psychologe und/oder Psychiater?, in:
Müller/Schlothauer/Knauer (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch
Strafverteidigung, 3. Aufl., München 2022, § 59 N 10 zur Relevanz
des neuropsychologischen Instrumentariums zur Beurteilung bei
hirnorganischen Beeinträchtigungen.
[29]
Vgl. auch Bevilacqua et al. (Fn. 9), S. 6.
[30]
So wird ein relevanter Anteil von Psychiater:innen körperliche
Untersuchungen nicht selbständig vornehmen, sondern etwa an
Internist:innen delegieren.
[31]
Bei Zweifeln an der Notwendigkeit entsprechender Untersuchungen
können sich die Disziplinen gegenseitig austauschen.
[32]
Kasper (Fn. 18), S. 37 f. und S. 61; Habermeyer/Graf/Noll/Urbaniok
(Fn. 23), S. 129; Urwyler/Endrass/Hachtel/Graf (Fn. 8), N 639; Sonja
Dette et al. Die Novellierung des § 63 StGB und die daraus
resultierenden Konsequenzen für die Begutachtungspraxis, Zur
vergleichbaren Qualifikation ärztlicher und psychologischer
Sachverständiger in der Prognosebegutachtung, MedSach 2020, S. 74.
Ob dieser Umstand in einem weiteren Entwicklungsschritt - ähnlich
dem Sozialversicherungsrecht - zu polydisziplinären Gutachten führt,
bleibt abzuwarten. Vgl. dazu auch Bevilaqua et al. (Fn. 9), S. 6;
für Deutschland auch Nowara (Fn. 28), § 59 N 10.
[33]
Es drängt sich indes folgender Hinweis auf: Da die beschuldigte
Person bzw. die Partei im selbständigen Massnahmenverfahren die
Verfahrenskosten bei einer Verurteilung bzw. bei einem Entscheid zu
ihrem Nachteil trägt (Art. 426 StPO
(Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007
[Strafprozessordnung, StPO;
SR 312.0])), kann eine umfassende somatische Diagnostik im Gutachten bei
einer Verurteilung bzw. Massnahmenanordnung für die begutachtete
Person zu einer hohen Kostenlast führen. Nach Sicht der Autor:innen
überzeugt dies nicht. Bei Schuldfähigkeits- und Massnahmengutachten
geht es immer auch um die Abklärung eines möglicherweise
pathologischen Zustands. Würden medizinisch indizierte somatische
Untersuchungen in der Freiheit durchgeführt (d.h. nicht im
Verfahrenskontext), würde die betreffende Person einen wesentlichen
Teil der Kosten auf die Krankenkasse abwälzen können. Ähnlich wäre
die Sachlage, wenn eine Person im Straf- oder Massnahmenvollzug
ist. Es ist nicht einsehbar, warum die beschuldigte Person, welche
regelmässig sozioökonomisch vulnerabel ist, durch eine
Vollkostentragung bei Gutachten zusätzlich belastet werden soll.
Sinnvoller wäre es, dass entweder die Kosten für somatische
Abklärung über die Krankenversicherung abgerechnet werden können
oder aber dass
Art. 426 Abs. 3 StPO
dahingehend ausgelegt wird, dass weite Teile der
Begutachtungskosten zulasten des Staates gehen.
[35]
Urteil des Bundesgerichts
6B_850/2013
vom 24. April 2014 E. 2.2 mit dem Passus
«zumindest gegenwärtig».
[36]
Niklaus Oberholzer, Die aktuelle Praxis des Bundesgerichts zu
psychiatrischen Gutachten, in: Heer/Habermeyer/Bernard (Hrsg.),
Forum Justiz & Psychiatrie, Band 2, Bern 2017, S. 62.
[37]
Vgl. auch
BGE 140 IV 49
E. 2.7 sowie Urteil des Bundesgerichts
6B_850/2013
vom 24. April 2014 E. 2.2, wonach die Zulassung von psychologischen
Sachverständigen
«mit der fachlichen Ausgangslage gerechtfertigt werden»
müssen bzw. nicht «mit der Person des Sachverständigen»
begründet werden können.
[38]
Grundlage bildet ein sechsjähriges Studium in Humanmedizin (dessen
konkrete Ausgestaltung variiert je nach Universität in gewissem
Umfang), mit dem die nach
Art. 6 MedBG
(Bundesgesetz über die universitären Medizinalberufe vom 23. Juni
2006 [Medizinalberufegesetz, MedBG;
SR 811.11]) genannten Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten als Grundlage
erworben werden. Wie bei Psycholog:innen ist dieser Bildungsschritt
noch relativ allgemein ausgerichtet und erfasst weniger die
psychiatrische und noch weniger die forensische Fachkunde. Nach
Abschluss des Humanmedizinstudiums folgt die sechsjährige
Weiterbildung zum Facharzt bzw. zur Fachärztin für Psychiatrie und
Psychotherapie (Website des SIWF Schweizerisches Institut für
ärztliche Weiter- und Fortbildung,
Psychiatrie und Psychotherapie), durch welche die im Studium erworbenen Kompetenzen vertieft und
die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Tätigkeit im
psychiatrischen Fachgebiet erworben wird (vgl.
Art. 17 MedBG). Für die spezifische (bei Fragen nach
Art. 20
und 56 f. StGB zwingende)
forensische Sachkunde gibt es auf Stufe MedBG keine spezifische
Weiterbildung. Eine solche wird von der Schweizerischen
Gesellschaft für forensische Psychiatrie (SGFP) mit dem
Schwerpunkttitel angeboten, in dem die nachfolgenden
begutachtungsrelevanten Kompetenzen (vgl. Haupttext) erworben
werden (Website der SGFP,
Weiterbildungsprogramm Schwerpunkt-Weiterbildung).
[39]
Zum Medizinstudium Fn. 38. Bzgl. der
statisch-methodischen Inhalte des Psychologiestudiums Schweizerische
Gesellschaft für Psychologie,
Curriculum des Psychologiestudiums an Schweizer Hochschulen: Statistik und Methodenlehre nehmen im Bachelorstudium mindestens
21 ECTS ein und auch im Master bildet der Themenkreis Methoden einen
Pflichtbestandteil.
[40]
Vgl. auch Frischknecht/Schneider/Schmalbach (Fn. 18), Rz. 13 ff.;
Kasper (Fn. 18), S. 41.
[41]
Dazu gehören Kenntnisse zur Studienlage bzgl. Risiko- und
Schutzfaktoren, Evidenz zur Wirksamkeit von Interventionen wie
Psychotherapien etc., Evidenz zur Entwicklungspsychologie für die
Beurteilung von jungen Erwachsenen im Rahmen von
Art. 61 StGB
sowie methodische Kenntnisse zur Einschätzung der Evidenzqualität.
[42]
Überblick über Behandlungsstandards und -inhalte in einer
Institution.
[43]
Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, juristischer Schuldbegriff,
Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage etc.
[44]
Eingangsmerkmale, Konnexität, Anlassdelikte,
Gefährlichkeitsbegriffe der jeweiligen Massnahmen, Behandelbarkeit
etc.).
[45]
Grundlagenwissen zum Strafprozessrecht sowie vertieftes Wissen zum
Sachverständigenrecht nach
Art. 182 ff. StPO.
[47]
Darüber hinaus ist unter gewissen Bedingungen auch die Anerkennung
ausländischer Abschlüsse möglich, vgl.
Art. 3 PsyG.
[48]
Ein ECTS entspricht einem durchschnittlichen Arbeitsaufwand von
25-30 Stunden.
[52]
Urwyler/Endrass/Hachtel/Graf (Fn. 8), N 640; Kruse (Fn. 2), S. 513;
Kasper (Fn. 18), S. 62; Habermeyer/Graf/Noll/Urbaniok (Fn. 23), S.
134; Noll (Fn. 8), S. 77 f.; Viljoen/Roesch/Ogloff/Zapf (Fn. 13), S.
376:
«The crucial issue is not mental health expertise, but rather
forensic expertise.»; Murray Ferguson / James R.P. Ogloff, Criminal Responsibility
Evaluations: Role of Psychologists in Assessment, Psychiatry,
Psychology and Law 2011, S. 91; Salvatore Giacomuzzi et al., Zur
Sachverständigenbestellung im Unterbringungsverfahren (Teil 2), Zur
gleichwertigen fachlichen Kompetenz von psychologischen und
psychiatrischen Sachverständigen, Österreichische Richterzeitung
2023, S. 160.
[53]
Zum Curriculum: Website der SGFP,
Erwachsenen-Forensik Schwerpunkt-Weiterbildung. Dieser Weiterbildungstitel ist bei der Fachgesellschaft
angegliedert, weil neben der theoretischen Weiterbildung (die auch
beim Zertifikat im Rahmen von universitären CAS erworben wird; vgl.
etwa Studienangebot Weiterbildung der Universität Basel,
CAS Psychiatrisch-Psychologische Begutachtung im Strafrecht) auch praktische Anforderungen (z.B. Mindestanzahl an forensischen
Gutachten etc.) zu erfüllen sind, welche durch entsprechend
theoretisch-praktisch qualifizierte Fachpersonen überprüft werden.
In diesem Rahmen ist eine Vernetzung von fachgesellschaftlichen und
universitären Strukturen zu erhalten und auszubauen, um sowohl eine
solide theoretisch-praktische Verzahnung als auch eine
interdisziplinäre Qualitätsentwicklung zu gewährleisten, welche im
strafrechtlichen Kontext von grosser Bedeutung ist. Möglichkeiten
dazu sind neben Gefässen wie die interdisziplinären CAS auch die
berufsgruppenübergreifende Besetzung der jeweiligen Gremien (vgl.
etwa § 3 PPGV/ZH; denkbar
wären zudem Einsitze von Personen aus dem
universitär-strafrechtlichen Kontext).
[54]
Babic (Fn. 8), S. 125; Habermeyer/Graf/Noll/Urbaniok (Fn. 23), S.
129.
[55]
Zur fachgesellschaftlichen Anknüpfung auch die Erklärungen in Fn.
53.
[57]
Website der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtspsychologie
SGRP, Studienreglement für den Weiterbildungsgang «Postgraduale
Weiterbildung in Rechtspsychologie der Schweizerischen Gesellschaft
für Rechtspsychologie SGRP» vom 1. März 2022
(SGRP-CC).
[66]
Zu diesem Punkt auch Chiara Krause / Elmar Habermeyer, Qualität
forensisch psychiatrischer und psychologischer Gutachten, Praxis der
Rechtspsychologie 2022, S. 117.
[67]
SGFP-Curriculum (Fn. 61),
S. 6: a)
«Propädeutische Grundlagen (40 Credits): Ethische und
staatsrechtliche Begriffe, juristische Konzepte, allgemeine
Gutachtentechnik sowie Grundlagen
forensisch-psychiatrischer/-psychologischer Behandlungen», b)
«Fachspezifischer Unterricht: Erwerb vertiefter Kenntnisse in
den Bereichen strafrechtliche Begutachtungen und damit
zusammenhängenden forensischen Themen (80 Credits, davon
mindestens 20 in Form von Seminaren und Workshops und
mindestens 20 in Form von theoretischem Unterricht)»
und c)
«Besuch von durch die Schweizerische Gesellschaft für
Forensische Psychiatrie (SGFP) anerkannten
Fortbildungsveranstaltungen wie Kongressen, Seminaren und
Workshops (60 Credits)».
[68]
Reglement über den Zertifikatslehrgang «Forensische Psychiatrie und
Psychologie» an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der
Universität Luzern (Certificate of Advanced Studies [CAS] in
Forensischer Psychiatrie und Psychologie der Universität Luzern);
CAS Forensische Psychiatrie und Psychologie
(SRL Nr. 540o).
[74]
Vgl.
Art. 8 Abs. 1 lit. a PsyG
(Eidg. Weiterbildungstitel in Psychotherapie) sowie
Art. 7 Abs. 2 PsyG
(«Wer einen akkreditierten Weiterbildungsgang in Psychotherapie
absolvieren will, muss zudem während der Ausbildung eine
genügende Studienleistung in klinischer Psychologie und
Psychopathologie erbracht haben»). Zu den inhaltlichen Anforderungen
Anhang 1 AkkredV-PsyG
(Verordnung des EDI über Umfang und Akkreditierung der
Weiterbildungsgänge der Psychologieberufe vom 25. November 2013
[AkkredV-PsyG; SR 935.811.1]). Die Titelträger:innen können im Psychologieberuferegister
(PsyReg) eingesehen werden: Gesundheitsberufeplattform der
Schweizerischen Eidgenossenschaft,
Psychologieberuferegister.
[75]
Thommen (Fn. 8), S. 14 ff., AK StGB-Mausbach/Straub, Art. 20 N 3;
Frischknecht/Schneider/Schmalbach (Fn. 18), Rz. 24; implizit auch
Krause/Habermeyer (Fn. 66), S. 116 f.; Diego Langenegger,
Psychologen sind keine tauglichen Gutachter, ius focus 2015, S.
135.
[76]
Urwyler/Endrass/Hachtel/Graf (Fn. 8), N 638.
[77]
Krause/Habermeyer (Fn. 66), S. 116 f.;
Habermeyer/Graf/Noll/Urbaniok (Fn. 23), S. 133; vgl. zu Deutschland
auch Kruse (Fn. 2), S. 513.
[78]
Zur Rolle der Traditionen im Streit der Disziplinen auch Nowara (Fn.
28), § 59 N 6; die hier ausgeführten Diskussionen spiegeln sich im
Übrigen auch in anderen Ländern: zu Kanada und den USA etwa
Viljoen/Roesch/Ogloff/Zapf (Fn. 13), S. 369 ff.; Richard Redding /
Marnita Floyd / Gary Hawk, What Judges and Lawyers Think About the
Testimony of Mental Health Experts: A Survey of the Courts and Bar,
Behavioral Sciences and the Law 2001, S. 583; Ferguson/Ogloff (Fn.
52), S. 79 ff.; interessant auch Ester Messina et al., Forensic
psychiatric evaluations of defendants: Italy and the Netherlands
compared, International Journal of Law and Psychiatry 2019, wo für
die Niederlande ausgeführt wird, dass Psycholog:innen die Mehrheit
von forensischen Gutachten zur Schuldfähigkeit und
Interventionsindikation verfassen.
[79]
Vgl. dazu Frischknecht/Schneider/Schmalbach (Fn. 18), Rz. 7;
Petrella/Poythress (Fn. 10), S. 76; Giacomuzzi et al. (Fn. 52), S.
161:
«Der Unterschied der beiden Fachdisziplinen war/ist daher nur
noch abstrakt im Gesetzestext verankert, in der Praxis aber in
vielen Bereichen einer interdisziplinären Zusammenarbeit auf
Augenhöhe gewichen».
[80]
Via Anpassung der relevanten kantonalrechtlichen Grundlagen wie etwa
der PPGV/ZH.
[81]
Via Praxisänderung von
BGE 140 IV 49. Sollte die Judikative inaktiv bleiben, könnte via
Gesetzesänderung für Klarheit gesorgt werden.
[82]
Eine Formel könnte etwa lauten, dass auch Fachpsycholog:innen mit
dem Zertifikat Forensische Psychologie / Begutachtung im Strafrecht
SGFP als Sachverständige nach
Art. 20 und 56 ff. StGB
mandatiert werden können.
[85]
Ein solches (rechtlich bindendes) Qualitätsmonitoring nach einer
Zulassung könnte etwa in einer stichprobenartigen Überprüfung von
Gutachten durch Peers oder ähnlichem bestehen. Vgl. für Deutschland
auch Malgorzata Okulicz-Kozaryn / Alexander F. Schmidt / Rainer
Banse, Diskussionsforum, Worin besteht die Expertise von
forensischen Sachverständigen, und ist die Approbation gemäß
Psychotherapeutengesetz dafür erforderlich? Psychologische Rundschau
2019, S. 257:
«Die so gesicherte Fachkompetenz müsste nicht nur einmal durch
eine bestimmte Ausbildung nachgewiesen werden (Kontrolle des
Inputs in das System), sondern laufend durch eine
stichprobenartige Kontrolle der produzierten Gutachten».
[86]
Kasper (Fn. 18), S. 30 f.; Frischknecht/Schneider/Schmalbach (Fn.
18), Rz. 7; Okulicz-Kozaryn/Schmidt/Banse (Fn. 85), S. 254;
Viljoen/Roesch/Ogloff/Zapf (Fn. 13), S. 376:
«In fact, this entire debate, which has been framed as ‹which
mental health professional is best?› appears misplaced».
[87]
Dies zeigt auch die jugendstrafrechtliche Praxis, wo Psycholog:innen
als Sachverständige zugelassen sind und dort ebenfalls die
Schuldfähigkeit und Indikation von Schutzmassnahmen beurteilen
müssen. Vgl. Aebi/Imbach/Holderegger/Bessler (Fn. 23), S. 1466 ff.
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