I. Auftakt
Die Reihe #unbequem ist eine juristische Textgattung sui generis. Textgattungen sind zahlreich in den Rechtswissenschaften. Neben wissenschaftlichen Aufsätzen existieren systematische oder thematisch spezifische Darstellungen bestimmter Rechtsgebiete, Urteilsbesprechungen, Urteilsanmerkungen, Rezensionen und Kommentierungen der Gesetze. Manche dieser Textgattungen weisen alleine (oder mit anderen Texten derselben Gattung) eine eigene Form auf; herausgegeben werden Lehrbücher, Dissertationen, Habilitationen, Tagungsbände, Sammelbände oder auch Festschriften.
Durch ihre Publikationstätigkeit weisen Rechtswissenschaftler:innen ihre Kenntnisse und Qualifikationen aus, vermitteln Stoff oder tragen im besten Fall gar zur Rechtsfortbildung bei. Im Vergleich zu den Naturwissenschaften, wo der Hauptzweck wissenschaftlichen Publizierens eindeutig in der Weiterentwicklung des Stands der Forschung liegt, sind die Zwecke in den Rechtswissenschaften vielschichtiger. Entsprechend bemisst sich die Relevanz einer Publikation auch nicht allein am Renommee des jeweiligen Publikationsorgans und an deren Rezeption durch die «peers». Die «stakeholder» rechtswissenschaftlicher Publikationstätigkeit sind diverser. Damit gibt es im Recht bisher auch keine klare Ausrichtung der Publikationstätigkeit an (scheinbar) objektiven Kennzahlen (Stichwort «citation index»)[1]. Weil man sich in vielen Fächern des Rechts zudem spezifisch mit einer jeweiligen Jurisdiktion auseinandersetzen muss und dies in der jeweiligen Landesprache (anstatt in der wissenschaftlichen lingua franca Englisch) tut, wird sich dieser Zustand auch künftig höchstens langsam ändern. Überdies sind die Märkte oft zu klein, als dass sich die aus den Naturwissenschaften bekannte Standardisierung und Quantifizierung der Publikationstätigkeit durchsetzen könnte. Aus Sicht der Rechtswissenschaftler:innen sorgt dies für eine relative Freiheit des Publizierens, die man zu Recht als positiv empfinden mag.
Allerdings führt diese Ausgangslage auch zu einer gewissen Bequemlichkeit. Etablierte Textgattungen und Publikationsformen werden kaum in Frage gestellt. Werke werden mit leicht angepasstem Inhalt immer wieder neu aufgelegt. Noch immer versenden juristische Verlage regelmässig per Post gedruckte Verlagsprospekte. Darin werden nachgeführte Kommentierungen und Ergänzungslieferungen für Loseblattsammlungen angepriesen. Renommierte Wissenschaftsverlage verfügen über eine Quasi-Monopolstellung.[2] Autor- oder Herausgeberschaften werden von einer Generation an die nächste weitergereicht.[3] Und noch immer werden trotz beschränkter Ressourcen von Autor:innen und Herausgeber:innen Kommentierungen verfasst, die statisch die Rechtslage zu einem bestimmten Zeitpunkt abbilden. Weil in dieser Publikationsform stets die zuletzt eingereichte Arbeit das Erscheinungsdatum bestimmt, ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass Beiträge im unveröffentlichten Zustand durch Autor:innen mehrfach aktualisiert und an das sich verändernde Recht angepasst werden, ohne etwas zum Wissensstand beizutragen. Erscheint der Kommentar dann endlich doch, kann er nur mit grossem Aufwand und in beträchtlichen zeitlichen Abständen neu aktualisiert werden.
Für etablierte Rechtswissenschaftler:innen überwiegen die Vorteile dieser traditionellen Publikationsformen. Sie haben sich oft bestens im System eingerichtet. Zwischen Autor:innen und Verlagen bestehen eingespielte und langfristig angelegte Beziehungen, die sich u.U. für die Autor:innen auch finanziell lohnen können. Von Assistierenden nachgeführte «vollständig aktualisierte» Auflagen werden auch heute zum Semesterbeginn noch von Hunderten von Studierenden in physischer Form gekauft. Der Umstand, dass Universitätsbibliotheken alle Werke erwerben müssen, um ihren Forschenden kompetitive Arbeitsbedingungen zu bieten - was in Bezug auf die Grundlagenliteratur sogar für Gerichte, Behörden und Anwaltskanzleien gilt - garantiert willkommene Zusatzeinkünfte. Zudem werden über die Verwertungsgesellschaft ProLitteris Vergütungen für das Kopieren der gedruckten Bücher an die Autor:innen ausgeschüttet, woran wiederum die Verlage partizipieren.
In diesem Umfeld kann es äusserst unbequem sein, die eigenen Verhaltensmuster zu hinterfragen oder gar anzupassen. Die Kernfrage für Autor:innen lautet: Bin ich bereit, zugunsten der Zugänglichkeit des Werks und damit zugunsten der Allgemeinheit auf Reputation (und womöglich auch auf Geld) zu verzichten? Je nach Überzeugung mag die Antwort unterschiedlich ausfallen. Sie variiert auch je nach Karrierestand der Autorin oder des Autors. Nachwuchswissenschaftler:innen sind beispielsweise auf den Erwerb der Reputation angewiesen, die noch immer durch die etablierten Verlage gewährt wird. Für sie ist es riskant, neue Publikationsmodelle zu wählen. Umso grösser ist die Verantwortung etablierter Wissenschaftler:innen, zum Strukturwandel beizutragen - sofern diese selbst von dessen Notwendigkeit überzeugt sind.[4]
Einer, der sich solche Fragen von Anfang an gestellt und sich stets an der Bequemlichkeit des rechtswissenschaftlichen Publikationsbetriebs gerieben hat, war Daniel Hürlimann. Er war im besten Sinne unbequem und hat in vielfältiger Weise - bestimmt, aber doch immer mit Herz - das rechtswissenschaftliche Publizieren hinterfragt und so neue Entwicklungen angestossen: Muss die Reputation der Herausgeberschaft tatsächlich bei den kommerziellen Verlagen angesiedelt sein? Können nicht auch Open-Access-Verlage die notwendige Reputation anziehen und die wissenschaftliche Qualität garantieren?[5] Sind statische Grosskommentare noch zeitgemäss? Hat eine Online-Kommentierung neben der freien Zugänglichkeit nicht auch noch andere Vorteile gegenüber dem gedruckten Werk, etwa die Versionierung und die sofortige Verfügbarkeit?[6] Diese Fragen scheinen mit Blick auf den auch in den Rechtswissenschaften nach und nach anklingenden digitalen Wandel heute besonders aktuell. Vor allem aber hat Daniel Hürlimann wiederholt darauf hingewiesen, dass die Bequemlichkeit des rechtswissenschaftlichen Publikationsbetriebs zulasten der Allgemeinheit geht.[7] Dieser Spur folgt der vorliegende Beitrag.
II. Wissenschaftliches Publizieren
1. Traditionelles Publikationsmodell
In der analogen Welt ergab sich schon sehr früh und auf selbstverständliche Weise eine Arbeitsteilung zwischen Forschungsinstitutionen und Verlagen.[8] Weder die Autor:innen noch die Universitäten wollten das unternehmerische Risiko des Drucks und Vertriebs wissenschaftlicher Werke auf sich nehmen. Gleichzeitig eröffnete sich für die Verlage ein lukratives Geschäftsfeld. So entstand ein Publikationsmodell, das bis heute Bestand hat und deswegen durchaus als «traditionell» bezeichnet werden kann. Es lässt sich wie folgt beschreiben:
Wissenschaftliche Forschung wird nicht ausschliesslich, aber zu einem überwiegenden Teil aus Mitteln der öffentlichen Hand finanziert. Die Hochschulen und ihre Forschenden werden aus öffentlichen Geldern für ihre Forschungstätigkeit und deren Verschriftlichung entlöhnt.[9]
Die Autor:innen bieten die Texte zu ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen den Wissenschaftsverlagen an. In der Regel erhalten die Autor:innen dafür gar kein oder nur ein eher geringes Honorar.[10] Stattdessen bildet für Forschende bei der Wahl des passenden Verlages vor allem die Reputation des jeweiligen Verlages oder der jeweiligen Zeitschrift das massgebende Kriterium.
Die Verlage veröffentlichen die Texte in den einschlägigen Zeitschriften, Buchreihen oder Kommentierungen. Welchen Verkaufspreis der Verlag für das publizierte Werk verlangt, ist für die Forschenden irrelevant. Das liegt daran, dass nicht die Forschenden selbst, sondern ihre Arbeitgeber:innen - d.h. die Hochschulen bzw. deren Bibliotheken - die Zeitschriften oder Bücher einkaufen oder über eine Plattform Lizenzen daran erwerben. Aus Sicht der Hochschulen ist der Preis eines Werks aber entscheidend, zumal sie die meisten Publikationen erwerben müssen, um ihren Forschenden optimale Arbeitsbedingungen zu bieten.[11] Dies ist insoweit bemerkenswert, als die Forschenden und die Autor:innen grundsätzlich dieselbe Personengruppe bilden.[12]
Das traditionelle Publikationsmodell führt folglich dazu, dass die Öffentlichkeit (via Hochschulen) für das Erstellen des wissenschaftlichen Beitrags zwei Mal bezahlt: Für dessen Erstellen und für den Zugang zur Publikation (sog. «double dipping»).[13] Weil die Leser:innen bzw. die Bibliotheken die Leistung der Verlage bezahlen, ist in diesem Zusammenhang auch vom «Reader/Library-Pay-Modell» die Rede.[14]
Schliesslich findet zwecks Qualitätssicherung im Rahmen der Publikationstätigkeit zudem meist eine sog. Peer-Review statt. Zu dieser Qualitätsprüfung ziehen Verlage in der Regel externe Expert:innen aus den jeweiligen Forschungs- bzw. Praxisgebieten bei. Formal liegt die Sicherstellung der Qualität der Publikationen mittels Peer-Review damit bei den Verlagen.[15] Allerdings sind die meisten angefragten Expert:innen wiederum Angehörige staatlich finanzierter Hochschulen, die für ihre Qualitätskontrolle nicht entlöhnt werden. Ihnen ist klar, dass ihre Beteiligung an diesem Prozess notwendig ist, damit auch sie bei ihrer eigenen Publikationstätigkeit von einer qualitativ hochstehenden Peer-Review profitieren können. Deshalb sind sie bereit, hierfür substanzielle Arbeitszeit aufzuwenden. Die Kosten tragen erneut die Hochschulen, an welchen die Forschenden tätig sind. Die Öffentlichkeit bezahlt so in vielen Fällen ein drittes Mal.
Ökonomisch lässt sich das traditionelle Publikationsmodell als zweiseitiger Markt beschreiben, bei dem sich einerseits Autor:innen und Verlage, andererseits Verlage und Hochschulen gegenüberstehen.[16] Wie üblich kommt es auf zweiseitigen Märkten zu indirekten Netzwerkeffekten: Während die Forschenden ihre Erkenntnisse in Zeitschriften mit guter Reputation publizieren möchten, möchte das lesende Publikum jene Zeitschriften konsumieren, in denen möglichst gute Forschende publizieren.[17] Für die Publikation in einer Zeitschrift mit guter Reputation sind Forschende wiederum bereit, ihre Urheberrechte umfassend an die Verlage abzutreten. Die Anreize von Forschenden und Universitäten sind also sehr unterschiedlich - und dies, obwohl die Hochschulen offensichtlich im Sinne und im Auftrag der Forschenden einkaufen. Die Ökonomie spricht in solchen Fällen von einem moral hazard.[18]
2. Open Access
Es sind aber nicht bloss die soeben ausgeführten ökonomischen Bedenken, welche einen Schatten auf das traditionelle Publikationsmodell werfen. Mehr Aufmerksamkeit erregt tendenziell die Tatsache, dass wissenschaftliche Erkenntnisse im traditionellen Publikationsmodell der Öffentlichkeit - die sie letztlich finanziert hat - a priori vorenthalten bleiben. Letzteres erscheint als stossend, denn die Wissenschaft selbst verfolgt erklärtermassen das Ziel, Wissen zu verbreiten und stetig zu erweitern. Zugang zu Wissen zu gewähren ist damit zentraler Bestandteil wissenschaftlichen Schaffens.[19] So führt Goller treffend aus: Eine offene Wissenschaft ist eine bessere Wissenschaft.[20] Sie fördert den Austausch unter Forschenden und schafft Konnexität über die Grenzen der eigenen Disziplin hinaus. Nicht nur ist eine offen gelebte Wissenschaftskultur effizienter, sie ist aufgrund der Möglichkeit zur Partizipation auch demokratischer.[21] Gestützt auf die ihnen übertragenen Rechte begrenzen die Verlage allerdings den freien Zugriff auf das publizierte Wissen.[22] Zugang zum Wissen hat also nur, wer bezahlt.
Vor diesem Hintergrund hat sich eine Open-Access-Bewegung gebildet, die den freien und kostenlosen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen fordert. Weil der freie Zugang unterschiedlich verstanden werden kann, wurde in der Open-Access-Debatte eine Zeit lang zwischen «gratis Open Access» (Internetzeitschriften ohne Kostenbarrieren) und «libre Open Access» (Internetzeitschriften ohne Kosten- und Rechtsbarrieren) unterschieden.[23] Das Verständnis im Sinne von «libre Open Access» hat sich schliesslich durchgesetzt. Open Access verlangt damit nicht nur einen kostenfreien, technisch unbehinderten Zugang, sondern vielmehr eine spezifisch rechtliche Freiheitsgewährleistung, üblicherweise in Gestalt urheberrechtlicher Nutzungsbefugnisse.[24]
Im Kontext wissenschaftlichen Publizierens werden mittlerweile verschiedene Arten von Open-Access-Strategien unterschieden. Differenziert werden der grüne, goldene sowie der Platin- bzw. Diamond-Weg. Beim grünen Weg werden wissenschaftliche Beiträge parallel bzw. als Zweitveröffentlichung in Repositorien publiziert, wobei die primäre Publikation der Beiträge in einer Closed-Access-Form erfolgt.[25] Der goldene Weg dagegen sieht die direkte Publikation von Beiträgen durch Forschende in Open-Access-Zeitschriften bzw. als Open-Access-Buch, d.h. als Open-Access-Erstveröffentlichung, vor.[26] Weil das Publizieren aber auch in der digitalen Welt nicht kostenlos ist, haben Autor:innen Publikationsgebühren (sog. Author Processing Charges bzw. APC) für die Leistung der Verlage an dieselben zu entrichten.[27] Der Platin- bzw. Diamond-Weg schliesslich ist eine Variante des goldenen Wegs, bei dem ebenfalls eine Open-Access-Erstveröffentlichung erfolgt, die Autor:innen jedoch keine APC zu entrichten haben. Die Publikationen werden bei dieser Strategie direkt von Fachgesellschaften oder von den Forschenden selbst herausgegeben.[28] Um diese Strategien zu fördern und den angestossenen Wandel zu unterstützen, setzen Hochschulen und Forschungsförderer eigene Open-Access-Richtlinien um. Seit dem Jahr 2023 verpflichtet der Schweizer Nationalfonds (SNF) beispielsweise Forschende, die Resultate der vom SNF geförderten Projekte Open Access zu publizieren.[29]
Nebst dem Ausbau von Open Access durch Hochschulen, Forschungsförderer oder die Autor:innen selbst soll auch durch gesetzgeberisches Handeln mehr Raum für Open Access geschaffen werden. Mittels gesetzlicher Einführung eines Zweitveröffentlichungsrechts erhielten Autor:innen beispielweise die Möglichkeit, ihre wissenschaftlichen Publikationen nach bzw. gleichzeitig mit dem Erscheinen in Closed-Access-Form in einem Repositorium oder sonst wie Open Access zugänglich zu machen.[30] Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt, dass in den vergangenen Jahren mehrere europäische Länder Gesetze zugunsten von Forschenden und deren Möglichkeit auf Zweitveröffentlichungen in Repositorien erlassen haben.[31] In der Schweiz fehlt aber bislang eine gesetzliche Grundlage für ein solches Zweitveröffentlichungsrecht, auch wenn konkrete Vorschläge bereitstehen.[32]
Dass wissenschaftliche Erkenntnisse Open Access zur Verfügung gestellt werden können, wurde überhaupt erst durch die Digitalisierung möglich: Die Verlage müssen Autor:innenmanuskripte nämlich nicht mehr aufwändig setzen. Stattdessen stellen die Autor:innen den Verlagen digitale Dateien im richtigen Format und Zitierstil zur Verfügung. Auch der Vertrieb erfolgt oft digital, z.B. über einschlägige Plattformen. Falls es überhaupt noch zu einer Druckfassung des Werks kommt, ist auch dieser Produktionsschritt im Vergleich zum analogen Zeitalter wesentlich günstiger geworden. Das zeigt sich auch daran, dass Universitäten mittlerweile eigene Repositorien betreiben. Hochschulen und Vertreter:innen schweizerischer Rechtsbibliotheken diskutieren über die geeignete Zurverfügungstellung von Open-Access-Inhalten[33] und stossen zahlreiche Projekte im Bereich Open Access an.[34] Auf diese Weise ist mit dem digitalen Wandel neben dem traditionellen Publikationsmodell ein «neues Modell» entstanden, bei dem die Forschenden direkt in Open-Access-Zeitschriften bzw. -Büchern publizieren. Im Gegensatz zum traditionellen Modell, in welchem die Verlagsleistung durch das Publikum vergütet wird, bezahlen bei diesem Modell die Forschenden allfällige Publikationsgebühren selbst, weswegen auch vom «Author-Pay-Modell» die Rede ist.[35]
Im Vergleich mit anderen Disziplinen wird dieses Modell in den Rechtswissenschaften allerdings nur sehr zurückhaltend rezipiert. Open-Access-Publikationen bilden immer noch eher die Ausnahme als die Regel.[36] Es ist aber nicht einzusehen, weshalb die Rechtswissenschaft eine geringere Verpflichtung zur Offenheit treffen sollte als andere Disziplinen. Wenn schon, gilt das Gegenteil. Schliesslich schützen Rechtsnormen individuelle und gesellschaftliche Erwartungshaltungen; entsprechend sollten Informationen über deren Gehalt und Auslegung erst für alle frei zugänglich sein.
3. Vergleich
Diskussionen um das traditionelle Publikationsmodell und Open Access werden zum Teil recht emotional geführt, weil es auf beiden Seiten um handfeste finanzielle Interessen und um viel Reputation geht. Dabei haben die Modelle durchaus Gemeinsamkeiten: So oder anders kostet die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse Geld und muss bezahlt werden. Ebenso lässt sich festhalten, dass beide Modelle grundsätzlich nebeneinander bestehen können, wie es auch gegenwärtig bereits der Fall ist.
Allerdings ist das Reader/Library-Pay-Modell im Vergleich zum Author-Pay-Modell komplexer. Es weist Merkmale auf, die aus kartellrechtlicher Perspektive problematisch sein können. Auf dem «traditionellen» Markt für wissenschaftliche Publikationen stehen sich wie bereits angedeutet einerseits Forschende (als Autor:innen) und Verlage, andererseits aber auch Verlage und Universitäten gegenüber. Im Zentrum dieses Marktkonstruktes haben sich die Betreiber:innen spezifischer Plattformen positioniert, auf welchen die Publikationen in digitaler Form angeboten werden. Die Plattformen selbst werden oft von Verlagen betrieben bzw. mitbetrieben.[37] Wie ebenfalls bereits erwähnt[38] sind für die Forschenden Reputation und Einfluss eines Verlages massgebende Kriterien für die Zusammenarbeit. Der Preis der jeweiligen Publikation spielt für die Forschenden indes keine Rolle, sehr wohl aber für die Hochschulbibliotheken. Und weil die Forschenden die Urheberrechte an die Verlage abgetreten haben, existiert für die Bibliotheken keine alternative Bezugsquelle.[39] Dadurch ermöglicht das Reader/Library-Pay-Modell den Wissenschaftsverlagen - im Gegensatz zum Author-Pay-Modell - auf vergleichsweise begrenzten Märkten leicht, eine erhebliche Marktmacht zu erlangen. Dies kann grundsätzlich in zweierlei Hinsicht ausgenützt werden: Verlage können entweder suprakompetitive Preise verlangen oder Open-Access-Zeitschriften behindern, etwa auf kommerziellen digitalen Plattformen.[40] Obwohl das Kartellrecht in beiden Fällen theoretisch als Mittel zur Abhilfe dienen kann, sind den Einsatzmöglichkeiten kartellrechtlicher Instrumente aufgrund zeitlicher und finanzieller Restriktionen enge Grenzen gesetzt.[41]
Ohne dass das traditionelle Modell vom neuen Modell unter Druck gerät, besteht eine erhebliche Gefahr, dass öffentliche Mittel in ineffizienter Weise eingesetzt werden und dies zu Lasten der Allgemeinheit geht.
Im Gegensatz zum Kartellrecht blieb die beschaffungsrechtliche Auseinandersetzung mit den beiden Publikationsmodellen bislang praktisch aus. Es ist also an der Zeit, einen neuen - beschaffungsrechtlichen - Blick auf Open-Access-Publikationen zu werfen.
III. Beschaffungsrecht
1. Zweck
Der Staat verfügt über verschiedene Möglichkeiten, um Güter und Dienstleistungen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, zu beschaffen. Gegebenenfalls kann er die genannten Güter selbst herstellen. Anderenfalls besteht die Möglichkeit, sich Güter oder Dienstleistungen auf dem freien Markt zu beschaffen («make or buy»-Entscheid).[42] Werden die Güter oder Dienstleistungen durch den Staat auf dem Markt beschafft, findet das öffentliche Beschaffungsrecht Anwendung.[43] Dieses verlangt, dass öffentliche Beschaffungen in einem offenen Wettbewerb ausgeschrieben werden müssen, damit alle potenziellen Anbieter:innen eine reelle und faire Chance auf den Zuschlag bzw. den Vertrag haben.
Das Beschaffungsrecht sieht hierbei vier Prinzipien vor, welche für Bund und Kantone gelten: 1. Nachhaltigkeit, 2. Transparenz, 3. Gleichbehandlung bzw. Nichtdiskriminierung und 4. Förderung des fairen Wettbewerbs und Vermeidung der Korruption (Art. 2 lit. a bis lit. d BöB[44]/IVöB[45]). Das Prinzip der Nachhaltigkeit steht im Zentrum; es soll den schonenden Einsatz staatlicher Ressourcen garantieren und wird nachstehend eingehender beleuchtet.[46] Die drei letztgenannten Grundsätze zielen darauf ab, grosse Aufträge des Staates in einem öffentlichen Verfahren auszuschreiben und zu vergeben. Es soll sichergestellt werden, dass keine Wettbewerbsverzerrung stattfindet oder einzelne Marktteilnehmer:innen begünstigt werden. Vetternwirtschaft oder Korruption sollen vermieden werden.[47]
2. Anwendbarkeit
Für die Frage der Anwendbarkeit des öffentlichen Beschaffungsrechts auf wissenschaftliche Forschung durch Hochschulen und daraus entspringende Publikationen sind die involvierten Akteure (subjektiver Geltungsbereich) sowie die Art der Dienstleistungen und die Schwellenwerte (objektiver Geltungsbereich) des öffentlichen Beschaffungswesens entscheidend.
a) Subjektiver Geltungsbereich
Vorliegend werden einzig Forschungsaktivitäten öffentlicher Forschungsinstitutionen wie Hochschulen thematisiert. Zu letzteren zählen unter anderem die Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH und EPFL), kantonale Universitäten und Fachhochschulen. Die entsprechenden einschlägigen Rechtsquellen wie das BöB (ETH und EPFL) und IVöB (kantonale Hochschulen) sehen vor, dass die Hochschulen als «Auftraggeber» grundsätzlich vom subjektiven Geltungsbereich erfasst sind. So gehören ETH und EPFL zur dezentralen Bundesverwaltung.[48] Durch ihre hoheitliche Forschungstätigkeit bilden die kantonalen Hochschulen ebenfalls Einrichtungen des öffentlichen Rechts.[49]
b) Objektiver Geltungsbereich
Die Veröffentlichung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse ist integraler Bestandteil des Forschungsprozesses und trägt mithin zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe bei. Die eigentliche publizistische Tätigkeit, nämlich die Verlagsleistung, wird jedoch in der Regel extern auf dem freien Markt erworben. Infolgedessen sind Publikationsleistungen gemäss BöB und IVöB vom objektiven Geltungsbereich erfasst.[50] Zu beachten sind sodann die im öffentlichen Beschaffungsrecht geltenden Schwellenwerte. Für die Verlagsleistungen gelten gemäss BöB die Schwellenwerte von CHF 230'000 für die ETH und die EPFL und gemäss IVöB CHF 250'000 bzw. CHF 350'000 für kantonale Forschungsinstitutionen. Ab diesen Vertragsvolumen müssen Aufträge an Verlage schweizweit oder gar international ausgeschrieben werden.[51] Ab CHF 150'000 kommt das Einladungsverfahren gem. Art. 20 BöB / IVöB zum Zug, bei dem öffentliche Auftraggeber:innen zwar nicht öffentlich ausschreiben, aber drei Anbieter:innen zur Offerteinreichung einladen müssen.
Aufgrund unterschiedlicher Geldflüsse ist auch im Beschaffungsrecht zwischen dem Reader/Library-Pay-Modell und dem Author-Pay-Modell zu unterscheiden. Innerhalb des Reader/Library-Pay-Modells erteilen die Forschenden zwar den Wissenschaftsverlagen den Auftrag zur Publikation, übernehmen jedoch keinerlei Kosten für diese Dienstleistung. Stattdessen erwerben die Hochschulen über ihre Bibliotheken die Publikationsdienste der Wissenschaftsverlage und schliessen umfassende und teure Lizenzvereinbarungen mit den Verlagen. Beim weniger komplexen Author-Pay-Modell tragen die Forschenden als Auftraggeber:innen die Kosten direkt. Im Durchschnitt belaufen sich die APC pro Publikation auf CHF 1'500 bis 2'500.[52]
Ob die Schwellenwerte erreicht werden oder nicht, hängt folglich stark von der Berechnungsmethode ab. Wenn die Lizenzvereinbarungen der Universitäten bzw. Bibliotheken über mehrere Jahre hinweg einen Auftragswert von CHF 150'000 überschreiten,[53] kann der Auftrag zur Publikation grundsätzlich nicht mehr direkt an einen Verlag der freien Wahl vergeben werden, sondern muss nach den Regeln des öffentlichen Beschaffungsrechts vergeben werden.
Allerdings spricht sich die Literatur unter dem revidierten Gesetz dafür aus, die grundlegenden Prinzipien des Beschaffungsrechts selbst dann zu berücksichtigen, wenn die Schwellenwerte nicht erreicht werden. Dies wird damit begründet, dass den staatlichen Stellen auch im unterschwelligen Bereich, der schliesslich den Grossteil aller Beschaffungen ausmacht, eine Vorbildrolle zukommt und er auch dort den verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Prinzipien der Gleichbehandlung, des wirtschaftlichen Handelns und der Nachhaltigkeit nachleben soll.[54]
Demnach unterstehen Hochschulen und ihre Angehörigen in beiden Modellen grundsätzlich dem öffentlichen Beschaffungsrecht, wenn sie bei gewerblich tätigen Dritten - den Verlagen - Leistungen erwerben, und haben damit auch die beschaffungsrechtlichen Prinzipien einzuhalten.
3. Beschaffungsrechtliche Prinzipien
a) Das neue Nachhaltigkeitsprinzip
Mit der Revision des Schweizer Beschaffungsrechts wurde 2021 erstmals die Nachhaltigkeit als Ziel des (föderalen und kantonalen) Beschaffungsrechts eingeführt. Der Zweckartikel Art. 2 lit. a BöB / IVöB besagt, dass die im Beschaffungswesen ausgegebenen öffentlichen Mittel wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltig eingesetzt werden sollen.[55] Erst Art. 2 lit. c-d BöB / IVöB nennen die «traditionellen» Beschaffungsrechtsprinzipien Transparenz, Gleichbehandlung/Nichtdiskriminierung und Wettbewerb. Diese explizite gesetzliche Verankerung ist insofern bedeutsam, als die ökologische und soziale Dimension der Nachhaltigkeit lange als «vergabefremde» Kriterien verpönt waren.[56]
Die explizite Nennung der Nachhaltigkeit im revidierten Beschaffungsrecht stellt klar, dass der Zuschlag nicht an das günstigste Angebot, sondern an das qualitativ hochwertigste Angebot zu erteilen ist.[57] Die Qualität bemisst sich im Einzelfall auch an ihrem ökologischen oder sozialen «Fussabdruck».[58] Auch wenn Art. 2 BöB / IVöB als Zweckartikel programmatischer Natur und nicht direkt justiziabel ist,[59] muss er doch bei der Auslegung des Gesetzes berücksichtigt werden.[60] Dies bedeutet in der Praxis: Dem Beschaffungsrecht unterstellte Akteure und Akteurinnen müssen sich bei jeder Ausschreibung überlegen, i) welches Preis-Leistungs-Verhältnis anzustreben ist und inwiefern sich die zu beschaffende Leistung auf ii) die Umwelt und iii) die Gesellschaft auswirkt.
Während die ökologische Nachhaltigkeit bei der Beauftragung von Verlagen durch Forschungsinstitute kaum relevant wird, kommt der wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen der Nachhaltigkeit ein grosses Potenzial zu, das im Folgenden näher beleuchtet werden soll.
b) Wirtschaftliche Nachhaltigkeit
Bereits vor der Totalrevision war die wirtschaftliche Nachhaltigkeit im Gesetz wie auch in der Praxis als grundlegendes Beschaffungsprinzip anerkannt. Die wirtschaftliche Nachhaltigkeit darf nicht einfach mit dem «günstigsten Preis» gleichgesetzt werden. Vielmehr verlangt sie die ökonomische Verwendung öffentlicher Mittel und strebt nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. So kann es sich durchaus rechtfertigen, für qualitativ hochwertige - dazu gehören auch ökologisch oder sozial besonders nachhaltige - Produkte oder Dienstleistungen höhere Preise zu zahlen. Der Preis darf im Vergleich zur Qualität also nicht zu hoch gewertet werden, soll aber auch nicht vernachlässigt werden.[61] So soll gewährleistet werden, dass die öffentliche Hand sorgfältig mit den ihr anvertrauten Steuern umgeht.[62]
c) Soziale Nachhaltigkeit
Bei der Dimension der sozialen Nachhaltigkeit handelt es sich um ein bislang kaum erforschtes Konzept.[63] Einerseits bezieht es sich auf die Herstellung des zu beschaffenden Produkts oder der Dienstleistung, typischerweise auf die Arbeitsbedingungen derjenigen Menschen, die an der Herstellung, der Lieferung oder der Ausführung der zu beschaffenden Leistung mitwirken («Input-Ebene»). Andererseits bezieht sich die soziale Nachhaltigkeit aber auch auf die gesundheitliche oder gesellschaftliche Wirkung der zu beschaffenden Leistung, sei es aus Sicht von deren Nutzniesser:innen oder aus der Perspektive der Bevölkerung generell («Output-Ebene»).
Vor diesem Hintergrund tragen öffentliche Auftraggeber:innen bei Beschaffungen die Verantwortung, sich über die Herstellungs- oder Ausführungsbedingungen der zu beschaffenden Leistung zu informieren und sich insbesondere auch Gedanken zur gesellschaftlichen Wirkung zu machen. Diese haben sie dann in Form von entsprechenden Kriterien in der Ausschreibung aufzunehmen. Beispiele auf der Input-Ebene sind typischerweise Kriterien zur i) Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern, ii) fairen Entlöhnung oder iii) Vermeidung von Kinderarbeit. Auf der Output-Ebene können Auftraggeber:innen Kriterien in Bezug auf i) die Gesundheitsverträglichkeit, ii) Inklusivität bei der Nutzung oder, relevant vor allem im Bildungssektor, iii) auf den pädagogischen Wert der zu beschaffenden Leistung legen.
d) Digitale Nachhaltigkeit
Im Zusammenhang mit Publikationsdienstleistungen stellt sich sodann die Frage, inwiefern eine zeitgemässe Interpretation des Nachhaltigkeitsbegriffs auch die «digitale Nachhaltigkeit» berücksichtigen soll. Digitale Nachhaltigkeit kann bedeuten, dass die Digitalisierung einerseits einen möglichst geringen ökologischen Fussabdruck aufweisen, dabei idealerweise durch Technologieinnovation zur ökologischen Effizienz beitragen und gesellschaftliche Ungleichheiten nicht weiter verstärken soll. Andererseits soll die Gesellschaft möglichst viel von Wissen in Form von Daten, Software und digitalen Inhalten profitieren. Diese digitalen Güter sollen als «public goods» verstanden und ausgestaltet werden,[64] damit Wissen in digitaler Form langfristig und ohne Einschränkungen für künftige Generationen zugänglich ist.[65] Dabei kann «digitales Wissen» breit verstanden werden: Der Begriff umfasst einerseits Wissen, das in digitaler Form vorliegt, aber andererseits auch Wissen über digitale Prozesse und Instrumente,[66] also alles was «digital skills» genannt wird.
Wie die soziale Nachhaltigkeit ist auch die digitale Nachhaltigkeit ein neues, bislang noch eher wenig erforschtes Konzept.[67] Da es nicht explizit im Gesetz genannt wird, ist beispielsweise offen, ob es sich um eine eigene Dimension der Nachhaltigkeit handelt, oder ob sie in den ökologischen und sozialen Dimensionen aufgeht. Ungeachtet dieser Unklarheiten ist mit einer zeitgemässen Auslegung des Nachhaltigkeitsbegriffs die Berücksichtigung digitaler Aspekte gerechtfertigt, zumal diese im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung des öffentlichen Sektors immer wichtiger werden. Dies gilt auch und insbesondere für Bildungsinstitutionen. Sie sind einerseits als öffentliche Auftraggeber:innen an das Prinzip der nachhaltigen Verwendung der öffentlichen Mittel gebunden, andererseits kommt ihnen eine «besonders normative Funktion innerhalb der Gesellschaft» zu:[68] Universitäten erheben nicht nur Forschungsergebnisse und generieren somit Wissen, sondern bestimmen auch, wie mit diesem Wissen umgegangen werden soll.
4. Würdigung
Das neue Nachhaltigkeitsprinzip im öffentlichen Beschaffungsrecht lässt die Bezahlung von Publikationsleistungen von Universitäten an Verlagshäuser in neuem Licht erscheinen und verlangt nach einer kritische(re)n Auseinandersetzung mit dem traditionellen Publikationsmodell.
Erstens fordert das Prinzip der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit den wirtschaftlichen Einsatz von Staatsgeldern, wobei der Bevölkerung gleichzeitig der beste «Return on Investment» geboten werden soll. Aus der Perspektive der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit beschränkt bzw. verteuert das traditionelle Modell tendenziell den Zugang zu mit öffentlichen Geldern finanzierten Publikationen. Dies führt zu einer ineffizienten Verwendung staatlicher Ressourcen.[69] Letzteres gilt zumindest dann, wenn die Verlage mit ihrer Tätigkeit nicht über jene Mindestleistungen hinausgehen, welche ohnehin bereits von den Autor:innen bzw. Forschenden und ihren Hochschulen erbracht werden. Solange die Verlage bloss Leistungen der Forschenden duplizieren und dafür im Gegenzug ein Entgelt verlangen, ist dies zweifelsohne wirtschaftlich nicht nachhaltig. Weil allerdings davon auszugehen ist, dass die Verlagsleistungen meist deutlich über dieses absolute Minimum hinausgehen, richtet sich die Aufmerksamkeit bei der rechtlichen Würdigung auf die konkreten Leistungen: So stellen viele Verlage die Qualität einer Publikation durch ein fachkundiges Lektorat sicher, kümmern sich um ein ansprechendes Layout sowie um Vertrieb und Bewerbung. Solange das für ihre Leistung geforderte Entgelt in einem ausgewogenen Verhältnis zu diesen Leistungen steht, ist die wirtschaftliche Nachhaltigkeit gewahrt. Für den Fall, dass allerdings ein Missverhältnis zwischen der Leistung der Verlage und dem von ihnen eingeforderten Entgelt vorliegt, könnte aus Art. 2 BöB / IVöB durchaus eine Verpflichtung zum Publizieren in Open-Access-Form abgeleitet werden.[70]
Zweitens ist auch das Prinzip der sozialen Nachhaltigkeit zu beachten: Dieses fordert von Universitäten und anderen öffentlichen Bildungsinstitutionen, bei öffentlichen Beschaffungen jeweils die Auswirkung einer öffentlichen Beschaffung mitzuberücksichtigen. In Bezug auf Publikationsdienstleistungen stellt sich hier die Frage, ob das traditionelle Publikationsmodell bei der Output-Dimension den Ansprüchen an Inklusivität und sozial nachhaltigen Zugang zu öffentlichen Forschungsergebnissen gerecht wird. Die breite Bevölkerung profitiert im Reader/Library-Pay-Modell jedenfalls nicht vom Wissenszuwachs, weil nur Universitätsangehörige das Wissen abrufen können. Insofern sollten Universitäten aus Sicht des sozialen Nachhaltigkeitsprinzips beim Abschluss von öffentlichen Beschaffungsverträgen mit Verlagshäusern eine Open-Access-Pflicht zumindest prüfen.
Zum gleichen Schluss kommt man unter dem Gesichtspunkt der digitalen Nachhaltigkeit: Auch hier stellt sich die Frage, ob Universitäten und andere Forschungsinstitutionen nicht einen nachhaltigen Zugang zu digitalem Wissen fordern sollen, wenn sie mit öffentlichen Geldern Publikationsleistungen einkaufen. Nur so können sie gewährleisten, dass digitales Wissen als «digital public good» einen möglichst grossen Nutzen für die Gesellschaft und für künftige Generationen schafft.
IV. Fazit
Mit dem Reader/Library-Pay-Modell und dem Author-Pay-Modell bestehen heute zwei ganz unterschiedliche Ansätze, wie wissenschaftliche Werke publiziert werden. Zwar können beide Modelle grundsätzlich koexistieren, das traditionelle Reader/Library-Pay-Modell ist im Vergleich zum Author-Pay-Modell aber komplexer und in zweierlei Hinsicht problematisch:
Aus ökonomischer Sicht erlaubt das traditionelle Publikationsmodell den Verlagen, auf den jeweiligen Märkten relativ leicht Marktmacht zu erlangen und diese gegebenenfalls auch zu missbrauchen. Begünstigt wird dieser Umstand dadurch, dass bei der Kooperation mit den Verlagen für Forschende (mit der Reputation) und für Universitäten (mit dem Preis) ganz unterschiedliche Gesichtspunkte massgebend sind - und zwar, obwohl die Universitäten das veröffentlichte Wissen im Auftrag der Forschenden einkaufen. Dies führt zu einem moral hazard-Problem und wirtschaftlicher Ineffizienz.
Aus gesellschaftlicher Sicht erscheint als problematisch, dass das auf der Abtretung der Urheberrechte der Autor:innen und damit auf rechtlicher Exklusivität beruhende traditionelle Publikationsmodell der Allgemeinheit den Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich vorenthält. Dies gilt, obwohl diese Erkenntnisse mit öffentlichen (Steuer-)Mitteln erarbeitet werden.
Vor diesem Hintergrund rechtfertigt sich ein neuer - beschaffungsrechtlicher - Blick auf das wissenschaftliche Publizieren. Dabei zeigt sich nicht nur, dass die Prinzipien des Beschaffungsrechts auf diesen Bereich grundsätzlich anwendbar sind, sondern auch, dass das traditionelle Reader/Library-Pay-Modell im Lichte des Nachhaltigkeitsprinzip kritisch zu beurteilen ist:
Das revidierte öffentliche Beschaffungsrecht von Bund und Kantonen verlangt, dass die öffentlichen Mittel wirtschaftlich nachhaltig ausgegeben werden und sich nachhaltig auf die Gesellschaft auswirken bzw. einen möglichst grossen gesellschaftlichen Mehrwert generieren. Mit öffentlichen Mitteln finanzierte Bildungsinstitutionen sind ganz besonders an diese Verantwortung gebunden, weil sie für die Gesellschaft als ihre Kernaufgabe den Bildungsauftrag wahrnehmen. In diesem Sinne kommt ihnen eine Vorbildfunktion zu. Bei der konkreten Prüfung unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit ist letztlich entscheidend, ob zwischen der Leistung der Verlage und dem von ihnen eingeforderten Entgelt ein Missverhältnis vorliegt. Ist dies der Fall, könnte aus dem Beschaffungsrecht eine Verpflichtung zum Publizieren in Open-Access-Form abgeleitet werden. Noch deutlicher für die Prüfung einer Open-Access-Pflicht beim Abschluss mit Verlagshäusern sprechen die Gesichtspunkte der sozialen Nachhaltigkeit und der digitalen Nachhaltigkeit.
Die beschaffungsrechtliche Befassung mit dem wissenschaftlichen Publizieren steht noch ganz am Anfang. So fehlt es beispielsweise noch an empirischen und rechtlichen Untersuchungen zum Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung der Verlage im traditionellen Modell, an einer Ausarbeitung der sozialen und digitalen Nachhaltigkeitsdimension sowie an einem vergleichenden Blick ins Ausland.
Die Reise zu einem nachhaltigeren wissenschaftlichen Publikationsbetrieb wird sicher nicht bequem. Welche Richtung einzuschlagen ist, wird aber immer deutlicher.