I. Einleitung
Dieser Aufsatz ist Daniel Hürlimann gewidmet. Sein so unerwarteter Tod hat uns alle sehr bewegt. Sein warmes Wesen und sein innovatives «out-of-the-box»-Denken bleiben unvergessen. Isabelle Wildhaber lernte ihn kennen, als er 2014 sui-generis gründete und sie bat, dem Vorstand beizutreten. 2016 wurde er sodann Assistenzprofessor für Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Informationsrecht an der Universität St. Gallen, wo Isabelle Wildhaber ebenfalls arbeitet. Daniel überlegte, ein Grossraumbüro mit zu beziehen und diskutierte die Vor- und Nachteile. Denn Daniel war nicht nur offen für Open Data und Open Access, sondern auch für Open Floor. Grossraumbüros sind denn auch Thema des vorliegenden Beitrags.
Seit Ausbruch der Pandemie im Jahr 2020 werden Hygiene- und Gesundheitsvorschriften am Arbeitsplatz viel diskutiert. Denn die Pandemie war idealerweise begleitet von Trennwänden, vergrösserten Arbeitsplatzabständen zwischen Mitarbeitenden, Schichtbetrieb sowie häufigerem Putzen von Tastaturen oder sanitären Anlagen.[1] Trotz einer Vielzahl neu eingeführter Hygienevorschriften hegen viele Arbeitnehmer einen Widerwillen gegen die Rückkehr ins Büro, insb. ins Grossraumbüro.[2] Dabei spielen v.a. auch bekannte Probleme von Grossraumbüros eine Rolle, wie der konstant erhöhte Lärmpegel, die soziale Kontrolle sowie der Verlust individueller Einflussnahme auf die Arbeitsplatzgestaltung.[3] Das Arbeiten im Grossraumbüro wird oftmals von den Arbeitnehmern sehr negativ empfunden: «Zwischen Vorhölle und kreativem Arbeitsplatz […] Das Grossraumbüro spaltet die Gemüter: die einen empfinden es als notwendig, für die anderen ist es der pure Horror.»[4] Aus diesem Grund ist es in unseren Augen wichtig, dass Arbeitgeber - wenn sie mit Grossraumbüros schon Geld einsparen können - ihrer Verantwortung gerecht werden und anständige Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Dieser Verantwortung sollten sie von sich aus nachkommen.
Der vorliegende Beitrag klärt zuerst einige Grundlagen, indem es Grossraumbüros und Desk Sharing definiert und deren Entstehung schildert, die Vor- und Nachteile analysiert und die rechtlichen Grundlagen nachzeichnet (nachfolgend Rz. 4 ff.). Sodann widmen wir uns diversen technischen Schutzbestimmungen in Bezug auf Gesundheitsaspekte in Grossraumbüros (nachfolgend Rz. 17 ff.). Der Kernteil unseres Beitrags geht der Frage nach, ob Arbeitnehmern in Bezug auf den Alltag im Grossraumbüro und bei Desk Sharing spezifische individuelle Rechte zustehen (nachfolgend Rz. 32 ff.) und wie sie diese Rechte durchsetzen können (nachfolgend Rz. 45 ff.), gefolgt von einem Fazit (nachfolgend Rz. 49 ff.).
II. Grossraumbüros und Desk Sharing
1. Definition und Entstehung von Grossraumbüros und Desk Sharing
Grossraumbüros bzw. Open-Space sind Büroräumlichkeiten mit mehr als zehn Personen oder einer Grundfläche ab 400 m2.[5] 1906 entwickelte der Architekt Frank Lloyd Wright für den Seifenhersteller Larkin erstmals ein Grossraumbüro; dabei sollten durch die Auslagerung der Verwaltung vom Seifen-Herstellungsprozess Effizienz und Produktivität der Arbeitnehmer gesteigert werden.[6] Um das Jahr 1960 wurde das Grossraumbüro zu einem eigentlichen Trend mit dem Ziel, Fläche einzusparen und die Interaktion zwischen den Arbeitnehmern zu fördern.[7] Im Jahr 1964 kamen die Arbeitskabinen, sog. Cubicles, auf den Markt, welche den Arbeitnehmern mehr Privatsphäre verschaffen sollten.[8]
Einen grossen Wandel im Büroalltag brachte um die Jahrtausendwende die Digitalisierung: Leichte Laptops und Handys ermöglichten das mobile Arbeiten, sodass um das Jahr 2000 das Homeoffice immer populärer wurde.[9] Ab März 2020 etablierte sich das Homeoffice infolge der Pandemie zum festen Bestandteil der Arbeitswoche für viele Arbeitnehmer.[10]
Heutzutage ähnelt das Büro immer mehr einem Freizeitpark mit Lounge-Ecken und Tischfussball, sodass sich die Grenzen zwischen Büro und Wohnzimmer immer mehr verwischen.[11] Der Arbeitsplatz und insb. auch die sich in der Nähe aufhaltenden Arbeitskollegen sollen flexibel und individuell auswählbar sein - weg von vorgeschriebenen und strukturierten Arbeitsplätzen.[12]
Es gibt Grossraumbüros mit und ohne «Desk Sharing». Als «Desk Sharing», «Shared Desk», «Flexible Office», «Hot Desking» oder «non-territorial» wird die Organisationsform bezeichnet, bei der Arbeitnehmer keinen eigenen, persönlichen Arbeitsplatz mehr besitzen, sondern ihren Arbeitsplatz im Büro täglich frei wählen müssen.[13] Die Arbeitstische werden geteilt, zum Teil täglich mehrfach neu besetzt und können oft via App von zuhause aus reserviert werden.[14]
2. Vor- und Nachteile von Grossraumbüros und Desk Sharing
Aus Sicht der Arbeitgeberin geht es bei der Einführung von grossflächigen Büroräumlichkeiten oftmals primär darum, die teuren Büroflächen optimal nutzen zu können.[15] Denn viele Arbeitsplätze sind aufgrund von Geschäftsreisen, Homeoffice, Krankheit oder Ferien nicht dauernd besetzt und stellen eine beträchtliche Kostenbelastung (u.a. für Miete, Heizung und Reinigung) dar.[16] Auch aus Nachhaltigkeitsgründen wird eine optimierte Auslastung der Büroflächen angestrebt.
Den Vorteilen von Grossraumbüros stehen Nachteile gegenüber. Eine Harvard-Studie zeigt, dass trotz der Nähe in Grossraumbüros direkte Gespräche um bis zu 70% reduziert werden und es zu einer Zunahme der elektronischen Kommunikation via E-Mails und internen Messenger-Diensten kommt.[17] Dies tun die Arbeitnehmer wahrscheinlich auch aus Rücksichtnahme von damit einhergehenden Lärmemissionen gegenüber anderen. Es werden räumliche Rückzugsmöglichkeiten benötigt, um Interaktionen zwischen den Arbeitnehmern zu erhöhen.[18] Eine offene Bürostruktur fördert also keineswegs automatisch den direkten Austausch zwischen den Arbeitnehmern, sondern bietet i.d.R. lediglich Möglichkeiten für einen informellen Austausch.[19]
Ein grosser Nachteil des Grossraumbüros ist ausserdem der konstant erhöhte Lärmpegel in offenen Bürostrukturen:[20] Bei Arbeitnehmern in Grossraumbüros sind die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin um 50% höher als bei Arbeitnehmern in Einzelbüros.[21] Auch zeigen Studien, dass es rund doppelt so viele Absenzen in Grossraumbüros gibt, als wenn den Arbeitnehmern Einzelbüros zur Verfügung stehen.[22] Die soziale Kontrolle in Bezug auf Präsenz und Erledigung der Arbeit können in einem Grossraumbüro psychische Belastungen auslösen.[23] Des Weiteren ist die individuelle Arbeitsplatzgestaltung in grossflächigen Büroräumlichkeiten stark eingeschränkt:[24] Abstand zu anderen Mitarbeitern, Belichtung, Belüftung, Klimatisierung, Heizmöglichkeiten und Lärm können im Homeoffice und in Einzelbüros individualisierter gehandhabt werden als in Grossraumbüros.[25] Viele Arbeitnehmer schätzen es daher sehr, dass sie zuhause ihren Arbeitsplatz individuell nach ihren Bedürfnissen gestalten können und fühlen sich im Homeoffice nicht weniger produktiv als im Grossraumbüro.[26]
Nach der Pandemie haben sich diese Nachteile in Grossraumbüros in unseren Augen verschlimmert. Da seither mehr Arbeitnehmer auch im Homeoffice arbeiten, werden im Schnitt weniger Arbeitsplätze benötigt. Arbeitgeber wollen verständlicherweise nicht die Miete für ungenutzte Arbeitsplätze bezahlen und bauen deshalb Arbeitsplätze ab. Wenn nun «Teamtage» sind, an denen alle anwesend sind, oder von Dienstag bis Donnerstag, wenn mehr Arbeitnehmer im Büro sind, so sitzen die Arbeitnehmer noch enger, und es wird in der Tendenz noch mehr geplaudert. Damit multipliziert sich das Problem auf der engeren Fläche. Diese Entwicklung ging aber i.d.R. nicht einher mit baulichen Verbesserungen.
Bei Desk Sharing kann ein zusätzlicher Stressfaktor darin bestehen, dass der Arbeitnehmer nicht sicher sein kann, ob er am nächsten Tag einen (ordentlich gereinigten und aufgeräumten) Arbeitsplatz vorfindet und wer allenfalls sein Büronachbar sein wird.[27]
3. Rechtliche Grundlagen rund um Grossraumbüros und Desk Sharing
Als rechtliche Grundlagen rund um Grossraumbüros und Desk Sharing sind die Bestimmungen zur Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer wichtig: Es handelt sich dabei um die privatrechtliche Fürsorgepflicht in Art. 328 OR[28] (nachfolgend Rz. 14 f.), um den öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutz in Art. 6 ArG[29] und der dazugehörigen Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV 3[30]) (nachfolgend Rz. 16 f.), aber auch um die durch das Mitwirkungsgesetz (MitwG[31]) gewährte Mitsprache in Gesundheits- und Sicherheitsbelangen (nachfolgend Rz. 18 f.).
a) Privatrechtliche Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin
Art. 328 OR hält die privatrechtliche Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin fest.[32] Sie konkretisiert den allgemeinen Persönlichkeitsschutz nach Art. 28 ZGB[33] für das Arbeitsverhältnis[34] und umfasst neben dem Gesundheitsschutz auch den individuellen Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers.[35] Dabei wird unter dem Begriff der Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit verstanden, sondern ein psychisches, physisches und soziales Wohlbefinden der Arbeitnehmer.[36] Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, zum Schutze der physischen und psychischen Gesundheit ihrer Arbeitnehmer alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebs angemessen sind, soweit sie ihr mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung billigerweise zugemutet werden können (Art. 328 Abs. 2 OR).[37] Es handelt sich dabei um eine relativ zwingende Norm, d.h. zuungunsten der Arbeitnehmer darf nicht davon abgewichen werden.[38] In Bezug auf alle Büros, auch Grossraumbüros, hat die Arbeitgeberin die Pflicht, für eine einwandfreie Beschaffenheit der Arbeitsräume zu sorgen, sodass Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet sind.[39] Gemäss Bundesgericht erstreckt sich diese Pflicht auch auf andere Räume, mit denen Arbeitnehmer in Berührung kommen, z.B. Zugänge zum Arbeitsplatz, Treppen, Korridore, Pausenräume, Toiletten etc.[40]
Die Fürsorgepflicht ist eine wichtige Schranke für das Weisungsrecht der Arbeitgeberin gemäss Art. 321d OR.[41] Weisungen, die das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verletzen, sind nicht zulässig.[42] Umgekehrt kann ein überwiegendes berechtigtes Interesse die Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin einschränken.[43] Deshalb kann die Arbeitgeberin festlegen, wie die Arbeit ausgeführt werden muss, und sie kann das Verhalten ihrer Arbeitnehmer im Betrieb regeln.[44] Arbeitnehmer müssen sämtliche Weisungen der Arbeitgeberin in Bezug auf den Gesundheitsschutz befolgen und sind verpflichtet, die Arbeitgeberin bei der Durchführung des Gesundheitsschutzes zu unterstützen (Art. 6 Abs. 3 ArG und Art. 10 ArGV 3).[45] In Grossraumbüros sollten deshalb Weisungen zum Lüften der grossflächigen Büroräumlichkeiten oder zu bestimmten Verhaltensweisen (z.B. Bedienung der Kaffeemaschine nur zu gewissen Zeiten, um andere Arbeitnehmer nicht zu stören) aufgestellt werden.[46]
b) Öffentlich-rechtlicher Schutz von Arbeitnehmern
Art. 6 ArG und die ArGV 3 sind wichtige Grundlagen für den öffentlich-rechtlichen Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz:[47] Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, zum Schutze der Gesundheit der Arbeitnehmer alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind (Art. 6 Abs. 1 ArG). Insb. hat die Arbeitgeberin die betrieblichen Einrichtungen so zu gestalten, dass Gesundheitsgefährdungen und Überbeanspruchungen nach Möglichkeit vermieden werden (Art. 6 Abs. 2 ArG). Dies muss die Arbeitgeberin tun, wenn die Massnahmen aus Kostengründen verhältnismässig und tragbar sind. Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 ArG und von Art. 328 Abs. 2 OR sind somit weitgehend deckungsgleich. Basierend auf Art. 342 OR werden auch die Konkretisierungen von Art. 6 ArG zur näheren Bestimmung des Gehalts von Art. 328 OR beigezogen.[48] Wie in allen Büros so sind auch in Grossraumbüros die Arbeitsplatzgestaltung, das Arbeitsplatzumfeld und die Arbeitsorganisation so zu gestalten, dass es keine beeinträchtigenden Auswirkungen auf die Arbeitnehmer gibt.[49] Die zu erlassenden Massnahmen sollen im Hinblick auf ihre baulichen und organisatorischen Auswirkungen verhältnismässig sein.[50]
Gemäss Art. 38 ArGV 3 kann das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) Wegleitungen zur Präzisierung der Verordnungen des Arbeitsgesetzes erlassen, welche jeweils den neuesten Erkenntnissen und Bedürfnissen entsprechen sollen.[51] Die Wegleitungen des SECO sind nicht justiziabel, d.h. sie können nicht vor Gericht durchgesetzt werden.[52] Die Vollzugsbehörden können sich aber in einer konkreten Verfügung darauf stützen, wodurch sie indirekt bindenden Charakter erlangen (Art. 50 ArG).[53] Die Wegleitungen und entsprechende Merkblätter und Broschüren des SECO bieten für die Arbeitgeberin somit wichtige Leitlinien bei der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und des Gesundheitsschutzes in Grossraumbüros.[54] Infolge der fehlenden Justiziabilität und der fehlenden Kontrolle durch das SECO ist die Einhaltung der erforderlichen Massnahmen bis heute leider oft allein im Ermessen der Arbeitgeber.
c) Mitsprache im MitwG
Den Arbeitnehmern steht im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsschutzes ein Informations- und Konsultationsrecht gemäss Arbeits- und Mitwirkungsgesetz zu.[55]
Art. 6 ArG stellt klar, dass «Fragen des Gesundheitsschutzes» und das damit verbundene Informations- und Konsultationsrecht nicht nur einzelne Arbeitsplätze und betriebliche Einrichtungen betreffen, sondern auch die ganze Arbeitsorganisation.[56] Diese Informations- und Konsultationsrechte sind insb. auch bei einer Umgestaltung der Arbeitsumgebung wie der Einführung von Grossraumbüros oder Desk Sharing zu gewähren, weil solche Umgestaltungen der Arbeitsumgebung grosse Auswirkungen auf die physische oder psychische Gesundheit der Arbeitnehmer haben können.[57] So müssen sich Arbeitnehmer einbringen können, wenn es um die Frage geht, mit welcher Anzahl an Mitarbeitern sie ihren Arbeitsplatz teilen sollen, oder wie sie durch organisatorische Massnahmen Grossraumbüros oder Desk Sharing ausweichen können (u.a. Homeoffice oder durch Regelungen, wann welche Teams anwesend sein müssen).[58] Allerdings ist bis heute die Mitsprache der Arbeitnehmer in diesen Belangen in der Praxis sehr minimal und die Durchsetzungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer sehr beschränkt.
III. Technische Schutzbestimmungen in Grossraumbüros
1. Technische Schutzbestimmungen
Neben den wenig einschlägigen rechtlichen Vorschriften in Bezug auf den Arbeitnehmerschutz im Grossraumbüro existieren eine Vielzahl an technischen Schutzbestimmungen, welche die Arbeitgeberin zu beachten hat. So hat sie auf eine ausreichende Belüftung, gute Beleuchtung am Arbeitsplatz und die Einhaltung einer minimalen Raumtemperatur der Büroräumlichkeiten zu achten. Die Umsetzung der Schutzvorschriften räumt der Arbeitgeberin einen grossen Handlungsspielraum ein.[59] In Grossraumbüros bieten sich allerdings nur beschränkte Möglichkeiten, auf individuelle Befindlichkeiten einzelner Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen.[60]
a) Flächenbedarf
Bei den Arbeitsplätzen muss gemäss Art. 24 ArGV 3 so viel freier Raum vorhanden sein, dass sich die Arbeitnehmer bei ihrer Tätigkeit am Arbeitsplatz ungehindert bewegen können. In Bezug auf Grossraumbüros wird in der SECO-Wegleitung festgehalten, dass neben der Minimalfläche für einen Bildschirmarbeitsplatz von 6 m2 die Verkehrsflächen und die Flächen der zusätzlichen büronahen Nutzungen (z.B. Besprechungsräume, Erholungszonen, Bibliotheken) anteilsmässig angerechnet werden müssen.[61] Daraus resultieren durchschnittlich nicht zusammenhängende und kumulierte Bodenflächen im Umfang von 10-25 m2 pro Büroarbeitsplatz.[62]
b) Lärm und Schall
Gemäss Art. 22 ArGV 3 sind Lärm und Vibrationen zu vermeiden oder zu bekämpfen. In Grossraumbüros sind zur Minimierung der Schallausbreitung schallabsorbierende Decken, Wände und Bodenbeläge (z.B. Teppiche) zu installieren.[63] Zudem ist der Einbau von schallabsorbierenden Schränken oder Stell- und Trennwänden als bau- und raumakustische Massnahme zur Minimierung von Schallausbreitung in Grossraumbüros ratsam.[64] Vom SECO werden schallabsorbierende Trennwände von mindestens 1,5 Meter Höhe zwischen den Arbeitsplätzen empfohlen.[65] Unseres Erachtens müssen diese aber bei ergonomischen Stehpulten höher sein, da der Schall sonst oberhalb der Trennwand weiterrauscht. Die Ausrichtung der Arbeitsplätze soll so sein, dass sich das Gesprochene nicht ungehindert ausbreiten kann und andere Arbeitnehmer sich nicht in der Sprechrichtung befinden.[66] Eine Empfehlung aus der Akustik ist eine Distanz von mind. 3 Metern zwischen den einzelnen Arbeitnehmern.[67] Lärm- und staubgenerierende Geräte wie Drucker sollen räumlich von Arbeitsplätzen getrennt sein und in keiner direkten Exposition von Arbeitnehmern platziert werden.[68] Sie sollten unseres Erachtens lärmisoliert arbeiten. In der SECO-Wegleitung werden drei unterschiedliche raumakustische Richtwerte für die Lärmexposition festgelegt.[69] Grossraumbüros werden dabei in die Gruppe 3 mit «dauernd hohen Anforderungen an die Konzentration» eingeteilt, weshalb ein Richtwert von 50 dB(A) eingehalten werden muss.[70]
Massgebend für die effektive Lärmreduktion in Grossraumbüros ist das Einführen von Verhaltensregeln.[71] Die nachfolgend aufgeführten Verhaltensregeln sind empfehlenswert und können grossen Einfluss auf den Lärmpegel im Grossraumbüro haben:[72]
- Durchführung von Telefonkonferenzen und Führen von längeren, vertraulichen oder privaten Gesprächen in separaten Sitzungszimmern oder in lärmisolierten Telefonzellen,
- Verwendung von Ton- und Musikwiedergabe nur über Kopfhörer,
- leises Sprechen am Telefon und mit anderen Arbeitnehmern,
- Einschaltung der Telefonumleitung bei Arbeitsplatzabwesenheit,
- Einstellung von Handys auf «vibrierend».
c) Sonneneinstrahlung
Die direkte Sonneneinstrahlung beeinflusst das Raumklima und kann von den betroffenen Arbeitnehmern als störend empfunden werden.[73] Oft besteht in grossen Büroräumlichkeiten keine Möglichkeit, die Storen/Jalousien individuell einzustellen, sondern diese werden mittels Sensoren automatisch gesteuert.[74] In Art. 20 ArGV 3 heisst es, dass übermässige Sonneneinstrahlung zu vermeiden ist und die SECO-Wegleitung informiert über geeigneten Sonnenschutz.[75] Es wird aber in der Wegleitung nicht klar erläutert, ab wann die Sonneneinstrahlung übermässig ist und wann genau Schutzmassnahmen zu treffen sind.[76]
d) Raumklima und Lüftung
Der natürliche Luftaustausch ist in Grossraumbüros oft vermindert, was durch raumlufttechnische Anlagen zu kompensieren ist.[77] Die Raumluftqualität wird nach dem heutigen Stand der Technik über den CO2-Gehalt in der Luft definiert.[78] Werte unterhalb von 1000 ppm (Pettenkofer Zahl) werden als angemessen betrachtet.[79] Dies betrifft nur die durch Menschen verunreinigte Luft (d.h. Ausatmungsluft oder Gerüche) und nicht die Emissionen, die beispielsweise Drucker verursachen können.[80] Um die notwendige Raumluftqualität zu erreichen, sind insb. wiederkehrende Kontrollen und das Instandhalten (Filterwechsel, Reinigungen etc.) der Anlagen notwendig.[81] Gemäss Art. 16 ArGV 3 sind sämtliche Räume ihrem Verwendungszweck entsprechend ausreichend (natürlich oder künstlich) zu lüften. Raumtemperatur, Luftgeschwindigkeit und relative Luftfeuchtigkeit sind so zu bemessen und aufeinander abzustimmen, dass ein der Gesundheit nicht abträgliches und der Art der Arbeit angemessenes Raumklima gewährleistet ist.[82] Gerade beim Thema Lüften oder Wohlfühltemperatur ist es nur sehr beschränkt möglich, auf die einzelnen Befindlichkeiten in Grossraumbüros Rücksicht zu nehmen.
Die Vorschriften der ArGV 3 lassen einen weiten Interpretationsspielraum offen, weshalb die SECO-Wegleitung zu Art. 16 ArGV 3 die Lufttemperatur konkretisiert.[83] Die Lufttemperatur hat während der Heizperiode im Winter idealerweise 21-23 Grad zu betragen, wenn v.a. sitzende bzw. geistige Tätigkeiten (wie beispielsweise Computerarbeit) an ständigen Arbeitsplätzen[84] ausgerichtet werden.[85] Gemäss Wegleitung darf die max. Temperatur von 26 Grad auch an Sommertagen in Grossraumbüros nicht überschritten werden; hier müssen allenfalls eine Klimaanlage oder Ventilatoren zum Einsatz kommen.[86] Gerade für besonders vulnerable Personen wie Asthmatiker oder Kontaktlinsenträger können zudem die Bedingungen in Grossraumbüros - beispielsweise trockene Luft - zu einer Verstärkung der bereits vorhandenen Gesundheitsprobleme führen.[87] Die stark schwankende Besetzung von Grossraumbüros macht es schwierig, die Lufttemperatur in grossen Büroräumlichkeiten konstant zu halten.[88]
e) Ergonomie
Gemäss Art. 23 ArGV 3 sind die Arbeitsplätze und -mittel nach ergonomischen Gesichtspunkten zu gestalten und einzurichten. In Art. 2 Abs. 1 lit. a ArGV 3 wird konkretisiert, dass ergonomisch und hygienisch gute Arbeitsbedingungen herrschen müssen. In Art. 24 Abs. 2 und Abs. 5 ArGV 3 werden besondere Anforderungen an ständige Arbeitsplätze festgehalten.[89] Ein ständiger Arbeitsplatz ist ein Arbeitsbereich, welcher während mehr als 2½ Tagen pro Woche durch einen oder mehrere Arbeitnehmer nacheinander besetzt ist und sich auf einen kleinen Raum begrenzt oder sich über den ganzen Raum erstreckt.[90]
Arbeitgeberinnen sind bei der Einrichtung von Grossraumbüros und bei Desk Sharing gehalten, ausreichend Büromöbel mit individuellen Einstellungsmöglichkeiten auszuwählen.[91] Nur so kann sichergestellt werden, dass einzelne Arbeitnehmer nach ihrem körperlichen Wohlbefinden ihren Arbeitsplatz rasch und auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet schnell einrichten können. Diese Möglichkeiten betreffen insb. die geeignete Bildschirmanpassung, eine korrekte Arbeitsbeleuchtung und eine ergonomische Sitzposition durch individuell verstellbare Stühle und Tische.[92] In Grossraumbüros ist grundsätzlich zu empfehlen, sowohl Sitz- wie auch Stehmöglichkeiten zum Arbeiten anzubieten, am besten durch höhenverstellbare Tische/Stühle oder unterschiedlich eingerichtete Arbeitszonen, um den individuellen ergonomischen Bedürfnissen der Arbeitnehmer gerecht zu werden.[93] Eine entsprechende Schulung zu den Einstellungsmöglichkeiten der Arbeitsmöbel durch die Arbeitgeberin ist ebenfalls zu empfehlen.[94]
f) Hygiene und Geruchsimmissionen
In Grossraumbüros ist die Arbeitgeberin in Bezug auf die Hygiene vor Herausforderungen gestellt. Oft teilen sich viele Arbeitnehmer die sanitären Einrichtungen, aufgrund des Desk Sharing können Essensrückstände am Arbeitsplatz schnell lästig werden und Geruchsimmissionen betreffen aufgrund der offenen Bürostrukturen schnell eine Vielzahl von Arbeitnehmern.
Es ist der Arbeitgeberin zu raten, in Form von Weisungen an ihre Arbeitnehmer oder durch teaminterne Vereinbarungen zu klären, in welchen Räumlichkeiten z.B. gegessen werden darf und welche Speisen zu meiden sind (Essen mit starken Gewürzen/Saucen, intensive Düfte von Wurstwaren oder ähnlichem). Auch ist durch die Arbeitgeberin der Umgang mit penetranten Parfüm-, Duftkerzen-, Schweiss- oder Mundgerüchen zu thematisieren und Verhaltensregeln einzuführen.[95] Im Rahmen von Kleidervorschriften können Hygienetipps ausgesprochen werden.[96]
Da Grossraumbüros, Pausenräume und Toiletten (und weitere Räume) geteilt werden, sollte unseres Erachtens ein Spezielles Augenmerkt auf die Reinigung gelegt werden: Das Teilen sollte einher gehen mit vermehrter Reinigung aus Hygienegründen. Dies tut es aber bedauerlicherweise oftmals nicht, da die Arbeitgeber wegen verringerter Büropräsenz die Reinigung reduziert haben.
2. Beizug von Experten
Selbst wenn die technischen Richtwerte eingehalten werden, können Arbeitnehmer aufgrund individueller Befindlichkeiten über Lärmbelästigungen am Büroarbeitsplatz klagen.[97] Gemäss SECO-Wegleitung können nämlich z.B. die spektrale Zusammensetzung (wie Lautheit, Schärfe und Tonhaltigkeit) und die zeitliche Struktur (wie Impulshaltigkeit, Rauigkeit und Schwankungsstärke) des Schalls die Lärmwirkungen beeinflussen.[98] In diesen Fällen wird empfohlen, spezielle Abklärungen und Massnahmen zu treffen.[99]
Gestützt auf ArGV 3 und die Bestimmungen der Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV[100]) haben Arbeitgeberinnen Spezialisten beizuziehen, wenn dies zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer erforderlich ist.[101] Auf Verlangen der Behörden hat die Arbeitgeberin ein fachtechnisches Gutachten zu erstellen, wenn Zweifel über die Erfüllung der Anforderungen des Gesundheitsschutzes bestehen.[102] Grundsätzlich hat die Arbeitgeberin externe Experten beizuziehen, welche durch die offiziellen Stellen oder Berufsorganisationen anerkannt sind.[103] Als Spezialisten gelten z.B. Arbeitshygieniker oder Arbeitsärzte.[104]
In der Planungsphase von Grossraumbüros sowie bei der Überprüfung des Einhaltens der Anforderungen am Bau von Grossraumbüros ist die entsprechende Expertise von Arbeitshygienikern/Arbeitsärzten einzuholen, um z.B. schalltechnische Probleme wirkungsvoll zu lösen.[105] Die einzuhaltenden Messgrössen sind nämlich für Arbeitsinspektoren ohne vertieftes, akustisches Fachwissen nicht zu beurteilen.[106] So kann es der Fall sein, dass es bei Vorliegen einer besonderen Gefährdung zwingend zu einer umfassenden Gefährdungsermittlung mit entsprechender Massnahmenplanung durch Arbeitshygieniker kommen muss.[107] Arbeitshygieniker (oder auch Arbeitsärzte, Sicherheitsingenieure und -fachleute) legen dann die notwendigen Schutzmassnahmen fest und beurteilen die Gefährdung der Arbeitnehmer.[108]
IV. Individueller Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer im Grossraumbüro und bei Desk Sharing
1. Recht auf Konzentration und Privatsphäre?
Statistiken zeigen deutlich, dass Arbeitnehmer in Grossraumbüros häufiger bei der Arbeit fehlen als solche, die in Einzelbüros arbeiten.[109] Ein konstanter, erhöhter Lärmpegel in Grossraumbüros schlägt bei vielen Arbeitnehmern auf die physische und psychische Gesundheit.[110] Für ältere Arbeitnehmer, besonders vulnerable Personen wie Schwangere, hochsensible Arbeitnehmer oder Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Leiden (Migräneanfälle, Asthmatiker etc.) kann das Grossraumbüro einen zusätzlichen Stressfaktor darstellen.[111] Laut einer Studie der Gewerkschaft Unia gaben 46% der befragten Büroarbeiter «häufige Unterbrechungen» als arbeitsbedingten Stress an.[112] Bereits leise geführte Gespräche oder einzelne Gesprächsfetzen können Arbeitnehmer bei der Arbeitsverrichtung stören und ihre Leistungsfähigkeit erheblich mindern.[113] Als Arbeitsbelastungen, die sich für Arbeitnehmer als gesundheitsschädigend auswirken können, wird in verschiedenen Studien der Lärm als hauptsächlicher Störfaktor bezeichnet; insb. störende Unterbrechungen und unterschiedliche Belästigungen von Vorgesetzten und anderen Arbeitnehmern werden aufgeführt.[114]
Haben Arbeitnehmer - basierend auf Art. 6 Abs. 2 ArG - ein spezielles individuelles Recht auf Konzentrationsfähigkeit und auf Privatsphäre? Gerade in Grossraumbüros können Unterbrechungen ein Ausmass erreichen, welches die individuelle Konzentrationsfähigkeit erheblich beeinträchtigt:[115] Mitarbeiterströme zur Kaffeemaschine, Türen zur Toilette in unmittelbarer Nähe von Arbeitsplätzen, (private oder berufliche) Gespräche anderer Mitarbeiter, quietschende Schuhe und Geräusche von Absatzschuhen, «Tastatur-Gehacke», laute berufliche oder private Telefongespräche usw.[116] Konkrete gesetzliche Vorschriften über das Zurverfügungstellen von Rückzugsmöglichkeiten ab einer gewissen Anzahl an Arbeitnehmern in Grossraumbüros existieren nicht.[117]
In einem Entscheid aus dem Jahr 2014 hielt das Bundesgericht aber ausdrücklich fest, dass die Arbeitgeberin aufgrund ihrer Fürsorgepflicht auf die gesundheitlichen Befindlichkeiten der Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen habe: Dem Arbeitnehmer wurde die Möglichkeit der Arbeitsform des Homeoffice eingeräumt, um das verbundene Stresspotenzial im Grossraumbüro zu verringern.[118] In einem ähnlichen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 wurden einer Arbeitnehmerin Schadenersatzansprüche zugesprochen aufgrund eines Arztzeugnisses, welches belegte, dass es wegen ihrer hohen Sensibilität unzumutbar für sie sei, in einem Grossraumbüro zu arbeiten.[119] Die Arbeitgeberin habe Alternativen zum Grossraumbüro zu prüfen (beispielsweise Homeoffice oder Einzelbüro), wenn die Gesundheit eines Arbeitnehmers im Grossraumbüro gefährdet ist und dazu eine ärztliche Bescheinigung vorliegt.[120]
Fürsorgliche Arbeitgeberinnen haben deshalb im Zusammenhang mit der Erstellung eines Bürokonzeptes die Bedürfnisse ihrer Arbeitnehmer vorgängig abzuklären und haben diese in einen entsprechenden Bedarfsabklärungsprozess einzubinden.[121] Die Bedürfnisse einzelner Teams, Berufsgruppen oder einzelner Arbeitnehmer können sich unterscheiden und dies kann unter Umständen eine harmonische Zusammenarbeit in einem Grossraumbüro verunmöglichen.[122]
Folgende Massnahmen zur Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit und Privatsphäre sind zu empfehlen. In Grossraumbüros kann die Benutzung von Ohrenstöpseln, Noise-Cancelling-Kopfhörern, das Aufstellen von schalldichten Boxen, schalldämpfenden Wänden/Decken oder Akustikmöbeln, die Benutzung eigener Kopfhörer oder die Einführung eines Ampelsystems[123] angezeigt sein.[124] Den Arbeitnehmern muss die Möglichkeit eines separaten Raums (z.B. schalldichte Glaskabinen) für Konzentrationsarbeit zur Verfügung gestellt werden.[125] Als Alternative zu Einzelbüros sind je nach Bedarf richtige Cubicles mit hohen Trennwänden und Abstand empfehlenswert.
Das Einrichten von ungestörten Zonen (Einzelbüroräumlichkeiten oder schalldichte Glaskabinen/Telefonzellen mit Computeranschluss) ist essenziell. Insb. das Führen von vertraulichen Gesprächen mit Vorgesetzten oder Mitarbeitern bzw. die allgemeine Sprechprivatheit ist im Grossraumbüro schwierig und kann nur durch separate Büroräumlichkeiten mit mehr Privatsphäre sichergestellt werden.[126] Darüber hinaus hat die Arbeitgeberin sowohl organisatorische Vereinbarungen (z.B. ein sog. «Büro-Knigge», wann und wo Gespräche/Sitzungen/Videocalls geführt werden dürfen) als auch bauliche Massnahmen festzulegen (z.B. durch die Schaffung von Ruheräumen und Begegnungszonen).[127] Dabei ist zu beachten, dass auch die Begegnungszonen, z.B. die Loungeecken und Kaffeeecken, lärmisoliert sein müssen. Ansonsten werden wiederum diejenigen in den Grossraumbüros gestört, die konzentriert arbeiten wollen und müssen. Verschiedene Berufskategorien stellen unterschiedliche Anforderungen an konzentriertes Arbeiten: Gewisse Arbeitnehmer haben ein erhöhtes Bedürfnis nach Ruhe und Platz, um ihre Arbeit erfolgreich auszuüben. Bereits ein ungestörtes Lesen von vertraulichen Dokumenten auf dem eigenen Bildschirm kann sich im Grossraumbüro-Alltag als schwierig herausstellen und muss in dem von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten geschützten Rahmen stattfinden können.[128] Die einzelnen Bildschirme können beispielsweise mit Lesefolien überzogen werden, um ungestörtes Lesen am Bildschirm für den einzelnen Arbeitnehmer sicherzustellen.
Die mangelnde Privatsphäre in Grossraumbüros kann auch zur Folge haben, dass sich aufgrund der offenen Strukturen ein soziales Überwachungssystem etabliert, welches gesundheitsschädigende Belastungen auslösen kann.[129] Führungskräfte können mithilfe des Zugriffs auf den digitalen Kalender oder der Badge-Kontrolle sowie der gegebenen Sichtkontrolle den Arbeitnehmer jederzeit auffinden und seine Anwesenheit kontrollieren. Eine solche soziale Kontrolle in Bezug auf Präsenz oder Verhalten (z.B. telefonischer Umgang mit Kunden, private Gespräche mit Kollegen) kann sich negativ auf die Arbeitsmoral eines Arbeitnehmers auswirken.[130] Es ist deshalb wünschenswert, dass sich die Unternehmenskultur in Grossraumbüros dahin entwickelt, dass die Führung auf Vertrauen und Autonomie basiert sowie auf die Eigenverantwortung ihrer Arbeitnehmer setzt.[131]
Ein eigentliches Recht auf Konzentrationsfähigkeit oder auf Privatsphäre, auf welches sich der einzelne Arbeitnehmer berufen könnte, gibt es aber im schweizerischen Arbeitsrecht nicht.
2. Recht auf einen ständigen Arbeitsplatz sowie auf individuelle Arbeitsplatzgestaltung?
In Bezug auf das Grossraumbüro und Arbeitsformen wie Desk Sharing kann die Frage aufgeworfen werden, ob dem Arbeitnehmer ein Recht auf einen ständigen, fixen Arbeitsplatz zusteht und ob er einen Anspruch hat, seinen Arbeitsplatz individuell zu gestalten.
Die Arbeitgeberin und der Arbeitnehmer können den Ort der Arbeitserbringung (Arbeitsort) vertraglich festlegen.[132] Dabei ist es auch möglich, ausschliessliches Arbeiten von zuhause aus zu vereinbaren und demzufolge dem Arbeitnehmer keinen Arbeitsplatz in den Büroräumlichkeiten der Arbeitgeberin zur Verfügung zu stellen.[133] Im Büro kann ein fix zugeteilter Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen (ergonomische Dringlichkeit) oder aus Gründen des durch das Grossraumbüro ausgelösten psychischen Stresses angezeigt sein.[134] Ausserhalb dieser Ausnahme gibt es aber kein eigentliches Recht auf einen fix zugeteilten und ständigen Arbeitsplatz.
In Grossraumbüros und bei Desk Sharing gilt i.d.R. eine sogenannte «Clean Desk Policy», d.h. der Arbeitsplatz muss bei Arbeitsende aufgeräumt werden, und es dürfen keine persönlichen Gegenstände oder beruflichen Unterlagen liegen gelassen werden.[135] Bei Desk Sharing kann die Frage aufgeworfen werden, ob ein einzelner Arbeitnehmer ein Recht auf ausschliesslichen Gebrauch seiner eigenen Möbel und Gegenstände in den Grossraumbüroräumlichkeiten hat (z.B. Stehpult oder spezieller Bürostuhl sowie persönliche Gegenstände). Gemäss Studien personalisieren rund drei Viertel der Arbeitnehmer ihre Arbeitsumwelt.[136] Aus arbeitspsychologischer Sicht dienen Arbeitsgegenstände nicht nur bestimmten Funktionen (z.B. der Tisch zum Schreiben), sondern auch dazu, sich selbst und anderen die eigene Identität zu vermitteln.[137] Das geht bei Clean-Desk-Policies in Grossraumbüros und bei Desk Sharing verloren. Es fehlt die individuelle Arbeitsplatzgestaltung - es bestehen keine persönlichen Steuerungsmöglichkeiten in Bezug auf Raumtemperatur, Frischluftzufuhr, Sonneneinstrahlung oder Beleuchtungsmöglichkeit.[138] Einzelne haben aber die Möglichkeit, in ihrem Korpus persönliche Gegenstände mitzuführen oder den Desktop-Hintergrund als digitalen Bilderrahmen zu benutzen. Ansonsten besteht aber kein Recht auf individuelle Arbeitsplatzgestaltung oder das Aufstellen von persönlichen Gegenständen und eigenen Büromöbeln.
Im Desk Sharing werden teilweise die Arbeitstische täglich mehrfach neu besetzt. Das sollte einher gehen mit vermehrtem Reinigen aus Hygienegründen. Dies tut es aber in der Realität oft nicht, weil die Arbeitgeber wegen verringerter Büropräsenz die Reinigung reduziert haben, um zu sparen.
Genau deshalb ist aus arbeitspsychologischer Sicht aber sehr empfehlenswert, den Arbeitnehmer bei Desk-Sharing-Arbeitsformen den persönlichen Arbeitsplatz mitgestalten zu lassen.[139] Persönliche Gegenstände wie die eigene Kaffeetasse oder eigenes Schreibmaterial können dem Arbeitnehmer helfen, sich mit der Arbeit besser identifizieren zu können, und sie führen nachweislich zu mehr Zufriedenheit bei der Arbeit.[140] Apps können helfen, den eigenen Arbeitstisch von zuhause aus zu reservieren und sich bereits gedanklich darauf vorzubereiten. Weiter kann helfen, wenn ein spezifischer Platz für einen längeren Zeitraum (z.B. zwei Wochen am Stück) reserviert werden kann. So müssen Arbeitnehmer sich nicht jeden Tag wieder neu einrichten und können während dieser Zeit ihren Schreibtisch personalisieren.
V. Rechtsbehelfe der Arbeitnehmer und Vollzug des Gesundheitsschutzes
Arbeitnehmern in Grossraumbüros stehen verschiedene Rechtsbehelfe zur Verfügung, um ihre Rechte im Bereich des Gesundheitsschutzes durchsetzen zu können. Diese sind aber der Regel eher schwach. Ausserdem sind die SECO-Wegleitungen nicht justiziabel und die Kontrolle des SECO gering. Dies bedeutet, dass die Durchsetzbarkeit der rechtlichen und technischen Mindestanforderungen an Grossraumbüros und an Desk Sharing in der Praxis schwach ist. Umso mehr plädieren wir dafür, dass Arbeitgeber ihrer Verantwortung gerecht werden, anständige und ausreichende Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Es sollte nicht an den Arbeitnehmern liegen, dies einfordern zu müssen.
In einem ersten Schritt müssen einzelne Arbeitnehmer abwägen, wie sie ihre Arbeitnehmerschutz-Ziele in Bezug auf Zeit und auf die eigene Reputation am schonendsten erreichen können. So wird teilweise geraten, dass Arbeitnehmer zuerst gemeinsam vorgehen und zusammen die Probleme dokumentieren, Verbesserungsvorschläge für die Vorgesetzten formulieren und mit diesen eine einvernehmliche Lösung anstreben.[141] Falls eine einvernehmliche Lösung scheitert, ist in einem weiteren Schritt das Arbeitsinspektorat einzubeziehen.[142] Den einzelnen Arbeitnehmern steht aber auch ein direktes Anzeigerecht beim Arbeitsinspektorat gemäss Art. 54 ArG zu.
Das jeweilige kantonale Arbeitsinspektorat kontrolliert die Einhaltung der Arbeitsgesetzbestimmungen durch die Arbeitgeberin und sorgt bei Verstössen dafür, dass die Arbeitgeberin ihren Pflichten nachkommt.[143] Für die Bundesbetriebe und ihr Personal ist die Eidgenössische Arbeitsinspektion beim SECO die zuständige Vollzugsbehörde.[144] Die öffentlich-rechtlichen Sanktionen reichen von der Mahnung über die Busse bis zur Schliessung des fehlbaren Betriebes (Art. 52 und 59 ArG). In extremen Fällen kann das Verhalten der Arbeitgeberin durch das Arbeitsinspektorat zu einer Strafanzeige führen.[145]
Arbeitnehmer haben einen zivilrechtlichen Anspruch auf die Einhaltung von öffentlich-rechtlichen Schutzpflichten durch die Arbeitgeberin.[146] Arbeitnehmer, die Gesundheitsschädigungen am Arbeitsplatz erlitten haben, können gestützt auf Art. 97 OR i.V.m. Art. 328 OR auf Schadenersatz klagen.[147] Auch kann der Arbeitnehmer bei anhaltenden Verletzungen des Arbeitnehmerschutzes nach vorgängiger Abmahnung seine Arbeit verweigern, wodurch die Arbeitgeberin in den Annahmeverzug gemäss Art. 324 OR gerät.[148]
VI. Fazit
Es ist erstaunlich, wie wenig juristische Literatur zum Schutz von Arbeitnehmern in Grossraumbüros existiert.[149] Denn Grossraumbüros und Desk Sharing existieren nicht erst seit Ausbruch der Pandemie. Seit Jahren gibt es einschlägige Studien, die betonen, wie sehr grossflächige Büroräumlichkeiten die physische und psychische Gesundheit von Arbeitnehmern belasten,[150] und dennoch finden sich keine spezifisch für Grossraumbüros erlassene einschlägige Schutzbestimmungen für Arbeitnehmer in grossflächigen Büroräumlichkeiten.
Insb. erstaunt es, dass gerade im Banken- oder Versicherungssektor kaum spezifische Schutz- oder Verhaltensklauseln in den Gesamtarbeitsverträgen zu finden sind.[151] Konkrete Vorschriften über Rückzugsmöglichkeiten wie Sitzungszimmer, Ruheräume oder Einzelbüros ab einer Mitarbeiteranzahl von zehn Arbeitnehmern wären wünschenswert.[152] Zudem können bauliche und organisatorische Massnahmen in Grossraumbüros und bei Desk Sharing eine erhebliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Bezug auf Lärm, Gerüche und lästige Unterbrechungen für Arbeitnehmer bewirken.[153]
Die individuellen Bedürfnisse eines Arbeitnehmers können in Grossraumbüros oder beim Desk Sharing nur in geringem Mass berücksichtigt werden - genau dem muss die Arbeitgeberin bewusst entgegenwirken. Die Arbeitgeberin muss einerseits durch organisatorische und bauliche Massnahmen in Grossraumbüros einen schützenden Rahmen schaffen, andererseits muss sie zugleich auf die Eigenverantwortung ihrer Arbeitnehmer vertrauen.[154] Nur so können individuelle Bedürfnisse von Arbeitnehmern in grossflächigen Büroräumlichkeiten gewahrt werden. In diesem Sinne ist der Arbeitgeberin zu empfehlen, auf spezifische Konflikte, die in Grossraumbüros entstehen können, vorbereitet zu sein. Hier können insb. das Zurverfügungstellen von Konfliktregelungsverfahren, wie die innerbetriebliche Mediation, langfristige Zufriedenheit der Arbeitnehmer in Grossraumbüros sicherstellen.[155]