Die Kennzeichnungskraft von Akronymen und eine potenzielle
stillschweigende Praxisänderung bei der vollständigen
Übernahme des älteren Zeichens in die neuere Marke
Besprechung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts B-1306/2021 vom
1. Februar 2022 - YT//EYT (fig.)
Yannick Reber *
Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich anlässlich des Urteils
B-1306/2021 vom 1. Februar 2022 - YT//EYT (fig.) mit Akronymen zu
befassen und sich zu ihrer Bedeutung im Markenrecht zu äussern.
Das Urteil enthält weiter Anhaltspunkte, welche die bisherige
Praxis, wonach die integrale Übernahme eines älteren Zeichens
in die neuere Marke markenrechtlich grundsätzlich unzulässig
ist, in Frage stellen. Das Urteil verdient zwar im Ergebnis Zustimmung,
vermag aber in den zugrunde liegenden rechtlichen Ausführungen
nicht durchgehend zu überzeugen.
A l'occasion de l'arrêt B-1306/2021 du 1er février 2022 -
YT//EYT (fig.), le Tribunal administratif fédéral a
dû se pencher sur les acronymes et se prononcer sur leur
signification dans le droit des marques. L'arrêt contient en
outre des éléments qui remettent en question la pratique
actuelle selon laquelle la reprise intégrale d'un sigle
antérieur dans la marque plus récente est en principe
inadmissible du point de vue du droit des marques. Bien que le
résultat de l'arrêt mérite d'être salué,
les explications juridiques qui le sous-tendent ne sont pas
entièrement convaincantes.
Zitiervorschlag: Yannick Reber, Die Kennzeichnungskraft von Akronymen
und eine potenzielle stillschweigende Praxisänderung bei der
vollständigen Übernahme des älteren Zeichens in die
neuere Marke, sui generis 2022, S. 93
URL: sui-generis.ch/209
DOI:
https://doi.org/10.21257/sg.209
* Yannick Reber, BLaw, Masterstudent (Universität Bern) und
juristischer Mitarbeiter bei der Beck Klöti AG, Advokatur und
Notariat, Bern (yannick.reber99@gmail.com). Das Manuskript wurde am 27.
März 2022 geschlossen.
I. Sachverhalt
Dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B-1306/2021 vom 1. Februar 2022 -
YT//EYT (fig.) liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die YT Industries GmbH (Beschwerdeführerin) ist Eigentümerin der
reinen Wortmarke «YT» (IR Nr. 1421879; Widerspruchsmarke), welche
u.a. für diverse Waren in der Klasse 12 Schutz geniesst. Die BYD
COMPANY LIMITED (Beschwerdegegnerin) hat die folgende Wort-/Bildmarke
«EYT (fig.)» (CH Nr. 746536; angefochtene Marke) ebenso für
Waren der Klasse 12 zum Markenschutz angemeldet:
Den anschliessend erhobenen Widerspruch (Art. 31 ff. MSchG[1])
wies das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE) ab,
woraufhin die Beschwerdeführerin an das Bundesverwaltungsgericht
gelangte.
II. Wesentliche Erwägungen
In seinem Urteil legt das Bundesverwaltungsgericht zuerst in allgemeinen
rechtlichen Ausführungen die Grundsätze der
Zeichenähnlichkeit und der Verwechslungsgefahr dar (E. 3 ff.), wonach
für die Ähnlichkeit von Wortmarken der Wortklang, das Schriftbild
und der Sinngehalt massgebend seien. Übereinstimmung auf einer dieser
Ebenen genügten in der Regel (E. 3.3.1). Hierbei kämen
Übereinstimmungen im Wortanfang ein besonders Gewicht zu, wobei aber
auch Übereinstimmungen im Wortanfang oder -ende für sich genommen «nicht direkt» zur Zeichenähnlichkeit führen
würden. Auch aus der vollständigen Übernahme der
Widerspruchsmarke in die angefochtene Marke könne nicht «per se» auf Zeichenähnlichkeit geschlossen werden
(E. 3.3.2).
Es folgen Ausführungen, welche sich auf die Spezialitäten von
Akronymen und Kurzzeichen beziehen (E. 3.3.5 f.). Darauf wird in der
Kommentierung sogleich vertieft eingegangen.
Anschliessend legt das Bundesverwaltungsgericht die Grundsätze zur
Kennzeichnungskraft dar (E. 3.4).
Das Gericht definiert sodann die massgeblichen Verkehrskreise der
betroffenen Waren (Landfahrzeuge, Fahrräder, Motorfahrräder,
Elektrofahrzeuge sowie Zubehör): Einerseits richteten sich diese Waren
an Fachkreise und Unternehmen, andererseits an das breite Publikum, welches
diese auch mit grösserer Aufmerksamkeit wahrnehme. Es sei deshalb von
erhöhter Aufmerksamkeit auszugehen (E. 4).
«YT» würde buchstabiert als ypsilon-te und «EYT
(fig.)» als e-ypsilon-te» ausgesprochen, wobei das «e»
in englischer Sprache als «i» ausgesprochen würde. Es
läge klangbildlich hohe Übereinstimmung vor (E. 6.1). Auch eine
schwache schriftbildliche Ähnlichkeit könne bejaht werden (E.
6.2). Weiter spricht das Bundesverwaltungsgericht «YT» keinen
Sinngehalt zu, führt aber aus, dass der Bestandteil «E» in
Zusammenhang mit diesen Waren als elektrisch/elektronisch verstanden werden
müsse (E. 6.3.1 ff.).
Ferner geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die
Widerspruchsmarke «YT» über normale Kennzeichnungskraft
verfüge. Eine gesteigerte Kennzeichnungskraft habe die
Beschwerdeführerin mittels der ins Recht gelegten Belege nicht
nachweisen können (E. 7.1 ff.).
Hingegen sei der Bestandteil «E» der angefochtenen Marke aufgrund
seines beschreibenden Hinweises auf elektrisch/elektronisch als
kennzeichnungsschwach einzustufen (E. 7.4).
Auf Basis dieser Ausführungen folgert das Bundesverwaltungsgericht,
dass die angefochtene Marke durch ihren Zusatz «E» mit
Blitzsymbol insgesamt keinen genügenden Zeichenabstand zu bewirken
vermöge und die Beschwerde deshalb gutzuheissen sei. Die angefochtene
Marke werde demnach nicht zum Markenschutz zugelassen (E. 7.5).
III. Kommentar
Dieses Urteil gibt in zweierlei Hinsicht Anlass zur Besprechung. Einerseits
ist die Thematik von Akronymen bzw. Kurzzeichen und ihrer
Kennzeichnungskraft aufzugreifen. Andererseits ist die integrale
Übernahme eines älteren Zeichens in eine neuere Marke zu
diskutieren.
1. Akronyme und ihre Kennzeichnungskraft
a) Der Standpunkt des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichts
Bei Akronymen handelt es sich um
«aus Einzelbuchstaben zusammengesetzte Buchstaben oder
Kunstwörter, die Wörter oder Wortgruppen auf ihre
Anfangsbestandteile gekürzt zusammenfassen».[2]
Sie setzen sich in der Regel aus zwei bis vier Grossbuchstaben zusammen[3] und
gehören zu den Kurzzeichen/Kurzwörtern.[4] Die
Kurzzeichen bestehen im markenrechtlichen Sinne nach hier vertretener
Auffassung aus ein bis zwei Silben mit bis zu vier, höchstens
fünf Buchstaben (oder Zahlen).[5]
Akronyme (wie auch Kurzzeichen insgesamt) verfügen gemäss
ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts über
normale Kennzeichnungskraft, soweit sie nicht den Verkehrskreisen
geläufige Abkürzungen darstellen oder aus anderen Gründen
beschreibend sind.[6]
Im besprochenen Urteil findet sich diese generelle Aussage zur
Kennzeichnungskraft nicht mehr. Diese wird vielmehr jeweils unter
Heranziehung der allgemeinen Grundsätze ermittelt, ohne speziell auf
die soeben erwähnte Annahme der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft
bei Akronymen hinzuweisen. Während bei der angefochtenen Marke EYT
(fig.) der Bestandteil «E» - aufgrund seiner Anspielung auf
E-Mobilität - als kennzeichnungsschwaches Element bezeichnet wird,
schreibt das Bundesverwaltungsgericht der (nicht beschreibenden)
Widerspruchsmarke YT ohne besondere Begründung normale
Kennzeichnungskraft zu.[7]
Im Ergebnis kann deshalb davon ausgegangen werden, dass gemäss
Bundesverwaltungsgericht Akronymen i.d.R. nach wie vor durchschnittliche
Kennzeichnungskraft zukommt, selbst wenn diese nur aus zwei Buchstaben
bestehen.
Hingegen hat das Bundesgericht Abkürzungen und Buchstabenkombinationen
(d.h. auch Akronyme), die nicht ausgesprochen, sondern bloss buchstabiert
werden können, in zwei neuen firmenrechtlichen Urteilen (eher) als
kennzeichnungsschwach qualifiziert.[8]
Bereits vor über 25 Jahren hat das Bundesgericht in einem
firmenrechtlichen Leitentscheid festgehalten, dass Akronyme im
Geschäftsverkehr allgemein seltener verwechselt würden, weil das
Publikum bei ihrer Zuordnung Vorsicht walten lasse und bei Unsicherheiten
Rückfragen stellen würde.[9]
Auch das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass Kurzzeichen
akustisch und optisch leichter erfasst werden könnten als längere
Wörter und deshalb Verwechslungen bei Kurzzeichen seltener vorkommen
würden.[10]
Ebenso hält es fest, dass Akronyme, welche aus abwechselnden Vokalen
und Konsonanten bestehen würden und deshalb ausgesprochen werden
könnten, unterscheidungskräftiger als unaussprechbare
Buchstabenkombinationen wirken würden.[11]
Ein gewisser Widerspruch bleibt aber ohnehin erhalten: Wenn Kurzzeichen
optisch und akustisch leichter erfasst werden und deshalb besonders
einprägsam sind, so sollten sie im Rahmen der
Kamillosan-Rechtsprechung[12]
gerade als Zeichen mit starker Kennzeichnungskraft qualifiziert werden.[13]
b) Postulat der schwachen Kennzeichnungskraft von zweibuchstabigen
Akronymen bzw. Kurzzeichen
Es spricht nach der hier vertretenen Meinung einiges dafür, dass
zumindest Akronymen bzw. Kurzzeichen, die nur aus zwei Buchstaben bestehen,[14]
grundsätzlich schwache Kennzeichnungskraft zuzuschreiben ist.[15]
Diese Auffassung wird auch von einer Mehrheit der Lehre und der
(älteren) kantonalen Rechtsprechung - teilweise generell für alle
Akronyme, Buchstabengruppen und Kurzzeichen - geteilt.[16]
Dies aber nicht, weil sie akustisch und optisch leichter erfasst werden,
was eher für stärkere Kennzeichnungskraft sprechen würde,
sondern weil es nur eine sehr beschränkte Anzahl solcher Kombinationen
gibt.[17]
Es sind lediglich 676 Kombinationen mit zweibuchstabigen Zeichen
möglich (26x26),[18]
wohingegen bei Marken bzw. Akronymen mit drei Buchstaben schon 17 576
Varianten zur Verfügung stehen (26x26x26).[19]
Davon abzuziehen sind freilich alle aus sonstigen Gründen
schutzunfähigen Zeichen.
Einer drohenden Monopolisierung von solchen im Markt doch beliebten
Kurzzeichen bzw. Akronymen[20]
sollte zwar unter Wahrung der grundsätzlichen
Eintragungsfähigkeit,[21]
aber zumindest im Bereich der zweibuchstabigen Zeichen mit einer schwachen
Kennzeichnungskraft und einem damit (sehr) kleinen Schutzbereich
entgegengetreten werden.
Auch das Bundesgericht hat sich in einem neueren firmenrechtlichen Urteil
in diese Richtung gehend geäussert: