Mit wenigen Ausnahmen rangieren folglich die
CEPA-Nachhaltigkeitspräferenzen im Rahmen von CHF 1/100 kg (in
hellgrau). Gegeben, dass 100 kg Palmöl in der Schweiz ca. CHF 100
kosten[27]
und dass zum heutigen Zeitpunkt ungewiss ist, inwiefern der
Nachhaltigkeitsnachweis zu zusätzlichen Kosten (inkl. Zeitaufwand)
führen wird, erscheint die potentielle Ersparnis von CHF 1/100 kg
vernachlässigbar.
Hinzu kommt, dass Indonesien bisher grossmehrheitlich Palmöl für
die Produktion von Futtermittel in die Schweiz importiert hat und diese
Einfuhren generell zollbefreit sind.[28]
Die Schweiz konnte deshalb in Bezug auf Palmöl-Importe für
Futtermittel keine zusätzlichen Präferenzen im Gegenzug zum
Nachhaltigkeitsnachweis anbieten. Basierend auf der bisherigen, relativ
konstanten Zusammensetzung der Palmöl-Importe aus Indonesien ist somit
davon auszugehen, dass bis deutlich über 90% des indonesischen
Palmöls vom CEPA-Nachhaltigkeitsnachweis gar nicht erfasst ist
(dunkelgrau in der Kolonne «MFN Zoll»).
Schliesslich liegt teilweise der Begünstigungscode unter der
CEPA-Nachhaltigkeitspräferenz. Dies legt nahe, dass in Bezug auf die
entsprechenden Zolllinien dem Begünstigungscode Vorrang gegeben wird
und damit der Nachhaltigkeitsnachweis nach CEPA, wie auch die Bestimmungen
über die Behältnisse und die Quoten, hinfällig werden
(dunkelgrau in der Kolonne «MFN Code»).
Damit beschränken sich die eigentlichen
CEPA-Nachhaltigkeitspräferenzen auf einzelne Zolllinien (dunkelgrau in
der Kolonne «CEPA Zoll»), wobei Indonesien über diese
Zolllinien in der Vergangenheit kaum oder gar kein Palmöl in die
Schweiz importiert hat.
IV. Einordnung des CEPA-Präferenzmechanismus
Gegeben, dass damit die CEPA-Zollreduktionen kaum oder gar nicht Anwendung
finden werden, bleibt die Frage, wie der Wert des
CEPA-Präferenzmechanismus insgesamt einzuordnen ist. Dieser Wert
ergibt sich nicht direkt und allein aus dem Abkommenstext:[29]
Zudem ist der CEPA-Präferenzmechanismus geeignet, den politischen
Druck auf andere WTO-Mitgliedstaaten zu erhöhen, ähnliche
Präferenzmechanismen in ihre Handelspartnerschaften aufzunehmen. Je
mehr WTO-Mitgliedstaaten ähnliche Vereinbarungen treffen, desto eher
entsteht ein globaler Konsens über nicht zu unterschreitende
Mindestauflagen.[30]
Insbesondere, weil sich die ökonomischen Anreize des
CEPA-Präferenzmechanismus bei näherem Hinsehen als
geringfügig herausstellen, liegt es durchaus im Rahmen des
Möglichen, dass ein solcher «regulatory spill-over effect»
eintritt: Während politisch ein Zeichen gesetzt wird, wird dieses
ökonomisch nur über einen «nudge» durchgesetzt.
Der CEPA-Präferenzmechanismus liesse sich im Grundsatz auch auf andere
Produkte und Rohstoffe übertragen, sofern die folgenden
Voraussetzungen erfüllt sind:
Ohne einen passenden Standard und die entsprechenden Strukturen und
Verfahren, welche die Einhaltung des Standards zuverlässig
garantieren, funktioniert der CEPA-Präferenzmechanismus nicht.
Entsprechend baut der CEPA-Präferenzmechanismus faktisch auf die
bestehende Nachfrage nach einem etablierten privaten Standard auf und
integriert diesen formell in ein Handelsabkommen.
Damit der ökonomische Anreiz mehr als nur einen «nudge»
darstellt, muss der Import des betreffenden Produkts oder Rohstoffs in
substantiellem Umfang verzollt sein. Ist der Import - wie bei Palmöl
für die Produktion von Futtermitteln - bereits zollfrei oder nur in
geringfügigem Mass zollpflichtig, fällt die Möglichkeit zur
Gewährung einer Zollpräferenz entweder ganz weg oder mindert sich
zu einem «nudge». Damit kommen nur die vergleichsweise wenigen
verbleibenden Produkte und Rohstoffe für einen griffigen
CEPA-Präferenzmechanismus in Frage, welche weiterhin stark
zollpflichtig sind. Diese umfassen in der Schweiz primär
Landwirtschaftsgüter, denn der Import von Industriegütern ist
typischerweise (quasi) zollfrei.[32]
Der CEPA-Präferenzmechanismus birgt aber selbstverständlich auch
die Gefahr, dass er unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit primär dem
Protektionismus dient: Augenscheinlich dient er auch dem Schutz der
heimischen Produktion von Pflanzenöl.[33]
Ist aber die Nachfrage unabhängig von staatlicher Intervention bereits
klar positioniert - in der Schweiz besteht in der Nahrungsmittelindustrie
so gut wie keine Nachfrage nach nicht RSPO-zertifiziertem Palmöl[34]
- entschärft dies bis zu einem gewissen Grad den protektionistischen
Ansatz des CEPA-Präferenzmechanismus: Er bindet dann, was bereits
marktüblich ist (sozusagen nach dem Vorbild einer
«ratchet-clause»).
Damit ist der CEPA-Präferenzmechanismus Beweis dafür, dass das
private Konsumverhalten die Struktur internationaler Handelsbeziehungen
prägt, und dass private Standards - wenn einmal etabliert - zum neuen
allgemein gültigen Standard erhoben werden können. Der
CEPA-Präferenzmechanismus entspricht somit dem sich im Bereich der
globalen Nachhaltigkeitspolitik durchsetzenden «bottom-up»
Ansatz, kann aber nicht eigenständig als eigentlicher Treiber des
Wandels zu nachhaltigerem Handel bezeichnet werden.[35]
V. Informationslage zum Zeitpunkt des Referendums und
Gewährleistung der Abstimmungsfreiheit
Während der de jure zahnlose CEPA-Präferenzmechanismus
für die Ausgewogenheit der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft
insgesamt unproblematisch erscheint, wirft die offizielle Darstellung davon
grundsätzliche Fragen auf in Bezug auf die allgemeine Informationslage
zum Zeitpunkt der Abstimmung. Gegen die EFTA-Indonesien
Wirtschaftspartnerschaft wurde im Januar 2020 das Referendum ergriffen,
welches im Juli 2020 auch zustande kam.[36]
Es ist dies das erste Referendum über ein Freihandelsabkommen seit der
Abkehr von der sog. Standardabkommen-Praxis und überhaupt erst die
zweite Volksabstimmung über ein Freihandelsabkommen in der Geschichte
der Schweiz.[37]
Vier der fünf zentralen vom Referendumskomitee aufgeführten
Gründe gegen die EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft betrafen den
Handel mit Palmöl. Auf der entsprechenden Webseite wird das Referendum
als «Referendum Stop Palmöl» bezeichnet.[38]
In der Folge fokussierte sich der Abstimmungskampf zum Referendum vom 7.
März 2021 auf die Bestimmungen rund um die Einfuhr von indonesischem
Palmöl in die Schweiz. Dabei wurde der Komplexität des
CEPA-Präferenzmechanismus kaum Rechnung getragen.
Möglicherweise war es nicht im Interesse der verschiedenen
Interessengruppen, sich im Abstimmungskampf allzu sehr in die Details des
Präferenzmechanismus zu vertiefen: 1) Das Referendumskomitee
hätte aufgrund der hier aufgeführten Sachlage eingestehen
müssen, dass der Grossteil der Palmöl-Importe aus Indonesien
für die Futtermittelproduktion bestimmt ist, was bisher die
Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz nicht gestört hat. Der
zollfreie Import von Palmöl zu Futtermittelzwecken liegt zudem im
direkten Interesse der schweizerischen Landwirtschaft: Über den
zollfreien Import sind Futtermittel günstiger. 2) Auch die Gegenseite
hatte kein Interesse daran offenzulegen, dass der Präferenzmechanismus
letztlich nur max. 10% der ohnehin bereits geringfügigen
Palmöl-Importe aus Indonesien erfasst, denn damit hätte das
Argument, es sei Bahnbrechendes gelungen, an Bedeutung verloren.
Die behördliche Informationstätigkeit allerdings muss den
Grundsätzen der Sachlichkeit, Transparenz und
Verhältnismässigkeit genügen. Sie erfüllt damit die
wichtige Aufgabe, die Faktenlage zu klären, wenn sich politische
Akteure ansonsten im Sinne ihrer jeweiligen Zielsetzungen nicht unbedingt
nur an Fakten orientieren. Im vorliegenden Beispiel wäre somit der
behördlichen Informationstätigkeit die Aufgabe zugekommen, die
Fakten zum Präferenzmechanismus neutral und transparent zu
klären.
1. Abstimmungsfreiheit
Art. 34 Abs. 2 BV[39]
garantiert, dass kein Abstimmungsresultat anerkannt wird, welches nicht den
freien Willen der Stimmberechtigten zum Ausdruck bringt. Dies setzt einen
umfassenden und unbehinderten Meinungsbildungsprozess voraus.[40]
Abstimmungsinformationen müssen objektiv sein und die wesentlichen
Gesichtspunkte enthalten,[41]
und den Grundsätzen der Sachlichkeit, Transparenz und
Verhältnismässigkeit genügen.[42]
Verletzt ist die Pflicht zur Sachlichkeit, wenn Behörden über
Zweck und Tragweite einer Vorlage falsch orientieren oder sie wesentliche,
für die Meinungsbildung bedeutsame Umstände nicht thematisieren.[43]
Die Pflicht zur Transparenz ist verletzt, wenn behördliche Information
nicht als solche erkennbar ist.[44]
Das Gebot der Verhältnismässigkeit schliesslich ist verletzt,
wenn die behördliche Informationstätigkeit den Abstimmungskampf
dominiert.[45]
Private sind im Gegensatz zu den Behörden im Abstimmungskampf nicht an
die Grundsätze der Sachlichkeit, Transparenz und
Verhältnismässigkeit gebunden. Bei Abstimmungen obliegt daher den
Behörden auch eine Schutzpflicht, offensichtlich falsche Informationen
richtigzustellen.[46]
Private Falschinformationen können die Abstimmungsfreiheit verletzen,
wenn es «dem Bürger nach den Umständen unmöglich ist,
sich aus anderen Quellen ein zuverlässiges Bild von den
tatsächlichen Verhältnissen zu machen».[47]
Mangelhafte Abstimmungen sind dann allenfalls aufzuheben, wenn die
gerügten Mängel einen erheblichen Einfluss auf die
Stimmberechtigten und das Ergebnis hatten. Es genügt
grundsätzlich der Nachweis, dass eine derartige Beeinträchtigung
möglich ist.[48]
Das Bundesgericht führt dazu aus, dass in quantitativer und
qualitativer Hinsicht zu beurteilen sei, inwiefern die Schwere des
festgestellten Mangels das Abstimmungsresultat beeinflusst hätte.
Relevant sind hier die Rolle des Mangels im Abstimmungskampf und die
Grösse des Stimmunterschieds. Es dürfen keine Zweifel an der
Legitimität des Abstimmungsresultates entstanden sein und das
Vertrauen in den demokratischen Prozess darf nicht verletzt sein.[49]
Kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass eine Abstimmung ohne den Mangel
anders ausgefallen wäre, kann die Abstimmung aufgehoben werden.[50]
In der abwägenden Gesamtbetrachtung beim Entscheid über die
Aufhebung der Volksabstimmung über die Heiratsstrafe spielte
insbesondere eine Rolle, dass die Abstimmung mit 50.8% Nein-Stimmen
äusserst knapp ausgefallen war, und dass eine Mehrheit der Kantone die
Vorlage angenommen hatte.[51]
Zudem erklärte das Bundesgericht die allgemeine Informationslage im
Vorfeld einer Volksabstimmung als justiziablen Gegenstand eines Verfahrens,
womit indirekt auch die ansonsten vom zulässigen Anfechtungsobjekt
ausgeschlossenen Abstimmungserläuterungen des Bundesrats erfasst sind.[52]
2. Abstimmungserläuterungen im - nachträglichen - Faktencheck
In den Abstimmungserläuterungen zum Referendum über die
EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft wird konkret Bezug genommen auf
den CEPA-Präferenzmechanismus für nachhaltig produziertes
Palmöl. Während die Angaben dazu per se korrekt sind,
wird darauf verzichtet, diese Angaben in einen Kontext zu stellen und
beispielsweise zu erläutern, dass die gewährten Präferenzen
nur max. 10% der zu erwartenden Importe aus Indonesien erfassen. Folgende
Angaben sind in den Abstimmungserläuterungen gemacht worden:
Es ist zutreffend, dass die CEPA-Präferenzen nur gegen den Nachweis
der Nachhaltigkeit gewährt werden. Verschwiegen wird allerdings, dass
voraussichtlich rund 90% der Importe aus Indonesien gar nicht vom
CEPA-Präferenzmechanismus erfasst werden (Futtermittel). Verschwiegen
wird zudem, dass die 20-40% Zollrabatt auf Zolllinien Anwendung finden,
welche bisher kaum eine Rolle gespielt haben bei der Einfuhr von
Palmöl aus Indonesien. Zudem fehlt der Hinweis, dass wegen den
betreffenden Zollbegünstigungscodes der Meistbegünstigtentarif im
Hinblick auf die allermeisten Verwendungszwecke gar keine Anwendung findet
und entsprechend gar nicht massgeblich ist.
Schliesslich fehlt auch der Hinweis, dass die maximal 12'500 Tonnen bis
über 50% der jährlichen Gesamteinfuhren an Palmöl ausmachen
und einem x-Fachen der bisherigen Einfuhren an Palmöl aus Indonesien
entsprächen. Hinzu kommt die Tatsache, dass nicht alle Einfuhren von
Palmöl aus Indonesien von dieser Quote erfasst sind: Wie
vorgängig erläutert, sind beispielsweise Einfuhren für
Futtermittel nicht von den Mengenbeschränkungen in der EFTA-Indonesien
Wirtschaftspartnerschaft erfasst. Der Verweis auf «beschränkte
Mengen» erscheint demnach fragwürdig.
3. Materielle Prüfung der Abstimmungsfreiheit im Referendum
über die EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft
Der umfassende und unbehinderte Meinungsbildungsprozess setzt, wie oben
erwähnt, voraus, dass die behördliche Informationstätigkeit
den Grundsätzen der Transparenz, Verhältnismässigkeit und
Sachlichkeit genügt. Die behördliche Informationstätigkeit
im Abstimmungskampf des Referendums über die EFTA-Indonesien
Wirtschaftspartnerschaft scheint grundsätzlich vereinbar mit dem
Grundsatz der Transparenz: Es bestehen keinerlei Hinweise, dass die
Behörden versucht hätten, die behördliche Herkunft von
Informationen zu verschleiern.
Zu prüfen ist sodann die Frage, ob ein Verstoss gegen die
Verhältnismässigkeit vorliegt, bzw. ob die behördliche
Informationstätigkeit den Abstimmungskampf dominierte: Basierend auf
den zur Verfügung stehenden Informationen war es den Stimmberechtigten
zum Zeitpunkt der Abstimmung unmöglich, den
CEPA-Präferenzmechanismus im Detail zu verstehen. Sowohl Pro- wie auch
Contra-Argumente bezogen sich ausschliesslich auf die vom Bundesrat zur
Verfügung gestellten Informationen in Bezug auf die 20-40% Zollrabatt
und die «beschränkte Menge» von 12'500 Tonnen pro Jahr.
Während die Details aufgrund der allgemein zur Verfügung
stehenden Informationen hätten erarbeitet werden können, verlangt
eine solche Kontextualisierung - wie die vorliegende
rechtswissenschaftliche Fallstudie zeigt - Detailverständnis, welches
nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann. Ein Rechtsgutachten, welches
sich explizit mit dem Präferenzmechanismus in der EFTA-Indonesien
Wirtschaftspartnerschaft befasste, klammerte die detaillierte Analyse des
tatsächlichen ökonomischen Anreizes jedenfalls aus.[56]
Somit entsteht durchaus der Eindruck, dass über den
Informationsvorsprung in dieser sehr spezifischen und komplexen Frage
letztlich die behördliche Informationstätigkeit den
Abstimmungskampf dominiert hat.
Bezüglich der Pflicht zur Sachlichkeit stellt sich die Frage, ob die
Behörden im Abstimmungskampf über die EFTA-Indonesien
Wirtschaftspartnerschaft über Zweck und Tragweite der Vorlage falsch
orientiert haben oder wesentliche, für die Meinungsbildung bedeutsame
Umstände nicht thematisiert haben.[57]
Die Erläuterungen in den Abstimmungsunterlagen sind korrekt und es
bestehen auch keine Hinweise, dass die Behörden über den Zweck
und die Tragweite der Vorlage insgesamt falsch orientiert hätten.
Fraglich - auch in Anbetracht der Ergebnisse aus der Nachbefragung der
Stimmberechtigten - bleibt, ob über den Verzicht der
Kontextualisierung der «beschränkten Mengen», der 20-40%
Zollrabatte und des tatsächlichen Anwendungsbereichs des
CEPA-Präferenzmechanismus für die Meinungsbildung bedeutsame
Umstände nicht thematisiert worden sind. Die Rechtsprechung hat sich
bisher noch nicht abschliessend zu einer vergleichbaren Rechtsfrage
geäussert.[58]
Jedenfalls liegen keine offensichtlichen Gründe vor, die gegen eine
differenziertere Darstellung des Zwecks und der Tragweite des
CEPA-Präferenzmechanismus sprechen: Wie im ersten Teil dieses Artikels
ausführlich beschrieben, vermag die Tatsache, dass der
CEPA-Präferenzmechanismus den Charakter eines «nudges»
trägt, zu überzeugen. Es leuchtet deshalb nicht ein, dass der
Bundesrat darauf verzichtet hat, die regulatorische Errungenschaft des
CEPA-Präferenzmechanismus detailgetreu auszuführen. Es liegt
gerade in der Natur der direkt-demokratischen Mitsprache, dass der
Stimmbevölkerung auch komplexe Sachverhalte zugemutet werden. Eine
Bevormundung der Stimmbevölkerung über allzu sehr vereinfachende
Abstimmungserläuterungen fördert das Misstrauen in die
behördliche Informationstätigkeit und gefährdet somit die
faktenbasierte Grundlage des politischen Meinungsbildungsprozesses. Die
Sorgfaltspflicht in Bezug auf Sachlichkeit behördlicher
Informationstätigkeit muss daher hoch angesetzt werden.
Entsprechend liegen Mängel vor in Bezug auf die
Verhältnismässigkeit und die Sachlichkeit der behördlichen
Informationstätigkeit im Rahmen des Referendums über die
EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, insbesondere in Bezug auf den
CEPA-Präferenzmechanismus. Bezüglich dieses Teilaspekts der
Vorlage erscheint demnach eine Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV gegeben.
4. Stimmrechtsbeschwerde gegen das Referendum über die
EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft?
Die EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft wurde am 7. März 2021 mit
51.65% der Stimmen und einer klaren Mehrheit der Kantone angenommen. Der
Stimmrechtsunterschied beträgt knapp 90'000 Stimmen.[59]
Gemäss der VOX-Analyse zum Referendum vom 7. März 2021 waren
für 12% der Ja-Stimmenden Überlegungen zur Umwelt
(Umweltstandards im Abkommen; nachweislich nachhaltiges Palmöl
importieren; ohne Abkommen wird der Umwelt noch mehr geschadet)
ausschlaggebend.[60]
Umweltanliegen haben zudem am stärksten polarisiert. Dem Argument, das
Freihandelsabkommen sei fortschrittlich, da es zur nachhaltigen Entwicklung
der Umwelt und von Indonesien beiträgt, stimmten 80% der Ja-Stimmenden
zu, während 74% der Nein-Stimmenden das Argument verwarfen.[61]
Die oben festgestellten Mängel in Bezug auf die allgemeine
Informationslage über den CEPA-Präferenzmechanismus für
nachhaltig produziertes Palmöl haben somit potentiell das
Abstimmungsergebnis tangiert.
Die hier aufgeführten Erläuterungen zu den Details des
CEPA-Präferenzmechanismus waren zur Zeit der Abstimmung in dieser Form
nicht bekannt. Sie stellen somit grundsätzlich Fakten dar, die bereits
vorhanden, aber noch unbekannt waren (sog. unechte Noven).[62]
Im Rahmen eines nachträglich, wiedererwägungsweise geltend
gemachten Rechtsschutzes basierend auf einer Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV müsste
allerdings nachgewiesen werden, dass die Informationen über die
Details des CEPA-Präferenzmechanismus nicht ohne Weiteres in die
öffentliche Diskussion hätten eingebracht werden können, und
dass die allgemeine Informationslage ungenügend war.[63]
Die Frage danach, wieviel indonesisches Palmöl pro Jahr, für
welchen Verwendungszweck und mit welchem konkreten Präferenzzoll in
Zukunft in die Schweiz würde importiert werden können, liegt auf
der Hand, wurde aber scheinbar im Abstimmungskampf nicht aufgeworfen. Ob
dies daran liegt, dass der Thematik des CEPA-Präferenzmechanismus im
Abstimmungskampf sowieso mehr symbolischer Charakter zukam - in der Form
einer Stellvertreter-Diskussion an Stelle der grundlegenderen Frage nach
Sinn und Zweck von Freihandelsabkommen -, oder daran, dass die
behördlichen Informationen fälschlicherweise als vollständig
erachtet wurden, ist unklar. Die Vorlage befasste sich allerdings mit der
Ratifikation der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft als Gesamtes.
Allein aufgrund mangelnder Detailkenntnisse des
CEPA-Präferenzmechanismus kann die Informationslage folglich nicht
unbedingt als ungenügend erachtet werden. Hier unterscheidet sich der
vorliegende Fall von der Ausgangslage in der Rechtsprechung betreffend die
Volksabstimmungen über die Unternehmenssteuerreform[64]
und gegen die Heiratsstrafe[65]: Die mangelhafte behördliche Informationstätigkeit bezieht sich
hier auf einen bestimmten Teilaspekt der Vorlage, während es sich dort
um Informationen handelte, welche den Zweck und die Tragweite der Vorlage
wesentlich veränderten.
Es ist folglich möglich bis wahrscheinlich, dass die prozessuale
Durchsetzung der Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV daran scheitert,
dass in Bezug auf Zweck und Tragweite der Abstimmungsvorlage die allgemeine
Informationslage nicht als ungenügend erachtet werden kann. Daran
vermag auch die Tatsache, dass Nachhaltigkeitsüberlegungen betreffend
den Import von Palmöl wesentlich waren für geschätzte 12%
der Ja-Stimmenden, nichts zu ändern: Es war zum Zeitpunkt der
Abstimmung allgemein bekannt, dass es ungewiss bleibt, ob der
Präferenzmechanismus tatsächlich zu einer nachhaltigeren
Palmölproduktion in Indonesien führt.[66]
Zweck und Tragweite des Nachhaltigkeitskapitels in der EFTA-Indonesien
Wirtschaftspartnerschaft waren somit grundsätzlich bekannt.
5. Vermeidung künftiger Verletzungen der Abstimmungsfreiheit
Nichtsdestotrotz gilt es insbesondere im Hinblick auf künftige
Volksabstimmungen über Freihandelsabkommen, die behördliche
Informationspraxis zu verbessern, um Verletzungen der Abstimmungsfreiheit
zu vermeiden. Relevant ist in dieser Hinsicht, dass die Rechtsprechung
unterscheidet zwischen der Vorbereitungsphase auf eine Abstimmung und dem
eigentlichen Abstimmungskampf. Das Bundesgericht geht grundsätzlich
davon aus, dass bereits in der Vorbereitungsphase alle wesentlichen,
für die Meinungsbildung bedeutsamen Informationen zur Verfügung
gestellt worden sind. Den Behörden ist daher während dem
Abstimmungskampf Zurückhaltung in der Informationstätigkeit
geboten, weil eine solche auch leicht in einer unzulässigen
«Einmischung» in den Meinungsbildungsprozess resultieren kann.[67]
Umso wichtiger wäre es daher gewesen, dass die spezifischen Details
des CEPA-Präferenzmechanismus bereits in den vorbereitenden Beratungen
in den zuständigen Kommissionen der Bundesversammlung bekannt gemacht
worden wären. Ein allzu grosser Informationsvorsprung der
Bundesverwaltung gegenüber der Legislative lässt sich nicht
innerhalb eines Abstimmungskampfes überwinden und stört somit
unvermeidlich den Meinungsbildungsprozess.
Insbesondere weil die Volksabstimmung über die EFTA-Indonesien
Wirtschaftspartnerschaft auch die erste derartige Abstimmung war seit der
Volksabstimmung über das Freihandelsabkommen mit der heutigen EU 1972[68], konnte nicht auf ein allgemeines Vorwissen der Stimmberechtigten
über den Aufbau und Inhalt von internationalen Handelsabkommen
aufgebaut werden. Umso wichtiger erscheint es daher für die
Gewährleistung der Abstimmungsfreiheit, dass angesichts der Abkehr von
der sog. Standardabkommen-Praxis[69]
umfassender, pro-aktiver und vorzeitiger über internationale
Handelsabkommen informiert wird.
So verbleiben beispielsweise die öffentlich zugänglichen
Informationen über laufende und abgeschlossene Verhandlungen über
Freihandelsabkommen der Schweiz dürftig. Auf Nachfrage und im Rahmen
institutionalisierter Treffen sind die wesentlichen Informationen sehr wohl
zugänglich, jedoch werden diese selten pro-aktiv geteilt. Es
überrascht, dass beispielsweise die EU-Kommission[70], Neuseeland[71]
und Kanada[72]
pro-aktiver und umfassender informieren über geplante und laufende
Verhandlungen als die Schweiz.[73]
Was im Vergleich mit den Genannten in der Schweiz fehlt, sind insbesondere
die Offenlegung des Verhandlungsmandats (wenigstens in groben Zügen),
der Entwürfe für Abkommenstexte, der exploratorischen
Gespräche und der Inhalte und Fortschritte laufender Verhandlungen. So
wird gegenwärtig mit Malaysia unter anderem über den
präferenziellen Marktzugang von nachhaltig produziertem Palmöl
verhandelt. Während auf der schweizerischen Seite nicht über den
Fortschritt der Verhandlungen berichtet wird, findet sich auf der Website
der EFTA eine Zusammenfassung der 10. Verhandlungsrunde vom Mai 2021, worin
allerdings der Stand der Verhandlungen in Bezug auf nachhaltig produziertes
Palmöl unerwähnt bleibt.[74]
Ein Umdenken im Hinblick auf pro-aktive, frühzeitige und umfassende
behördliche Information über Freihandelsabkommen drängt sich
nur allein schon deswegen auf, weil seit der Abkehr von der sog.
Standardabkommen-Praxis die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass in einer
Volksabstimmung über das Verhandlungsresultat entschieden werden wird.
Aber auch nach der eigentlichen Vorbereitungsphase besteht
Verbesserungsbedarf. So wäre gegebenenfalls zu prüfen, bis zu
welchem Grad vereinfachende Information überhaupt mit den
Grundsätzen der Sachlichkeit, Transparenz und
Verhältnismässigkeit in der behördlichen
Informationstätigkeit vereinbar ist. Wichtig erscheint insbesondere,
dass den Stimmberechtigten die Komplexität einer Abstimmungsvorlage
nicht vorenthalten wird, auch wenn dies allenfalls zu umfangreicheren
Abstimmungserläuterungen führt, bzw. einen Mehraufwand an
zusätzlicher Bereitstellung von Fakten nach sich zieht.
VI. Schlussfolgerungen
Der Abstimmungskampf über die EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft
illustriert eindrücklich, wie substantiell sich der
Informationsvorsprung zwischen der Bundesverwaltung und der Legislative
unter Umständen auf den politischen Meinungsbildungsprozess auswirken
kann. In einer zentralen Streitfrage kamen relevante Fakten nicht zur
Sprache. Unter anderem lässt sich dies damit erklären, dass die
sog. Standardabkommen-Praxis erst kürzlich aufgegeben wurde und damit
der politische Meinungsbildungsprozess in der Schweiz noch nicht à
jour ist in Bezug auf die mit internationalen Handelsabkommen einhergehende
regulatorische Komplexität.
Anderseits mag dies auch daran liegen, dass in diesem ganz speziellen Fall
die involvierten politischen Akteure gar kein tatsächliches Interesse
daran hatten, die Details des präferenziellen Marktzugangs für
nachhaltig produziertes indonesisches Palmöl offenzulegen. Es
wäre daher falsch, die politische Verantwortung für die
Gewährleistung der Abstimmungsfreiheit alleine dem Bundesrat
zuzuschieben. Trotz der festgestellten Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV liegt eher keine
ungenügende Informationslage in Bezug auf Zweck und Tragweite des
Referendums über die EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft als
Gesamtes vor.
Gerade weil sich die ökonomischen Anreize des
CEPA-Präferenzmechanismus bei näherem Hinsehen als
geringfügig herausstellen, liegt es durchaus im Rahmen des
Möglichen, dass er den politischen Druck auf andere
WTO-Mitgliedstaaten erhöht, ähnliche Präferenzmechanismen in
ihre Handelspartnerschaften aufzunehmen. Während politisch ein Zeichen
gesetzt wird, wird dieses ökonomisch nur über einen
«nudge» durchgesetzt. Der CEPA-Präferenzmechanismus leistet
damit einen wesentlichen Beitrag für einen künftigen neuen
globalen Konsens über zentrale Mindestauflagen für
nicht-produktbezogene Verfahren und Produktionsmethoden. Weshalb dies in
den Abstimmungserläuterungen nicht so kommuniziert worden ist, bleibt
unersichtlich.
Um die Abstimmungsfreiheit in der politischen Entscheidfindung über
internationale Handelsabkommen besser gewährleisten zu
können, muss die behördliche Informationstätigkeit in der
Vorbereitungsphase gestärkt werden und pro-aktiver, umfassender und
vorzeitiger informiert werden. Nur so kann vermieden werden, dass aufgrund
von Druck zur Vereinfachung und Knappheit behördlicher
Informationstätigkeit für die Meinungsbildung bedeutsame
Umstände nicht thematisiert werden und gleichzeitig diese knappen
Behördeninformationen den Diskurs im Abstimmungskampf mangels
Alternativen dominieren.
[2]
Siehe auch Giovanni Biaggini, Eine Premiere mit begrenzter
präjudizieller Tragweite, ZBI 120 2019, S. 531 ff.
[10]
CEPA, Annex V, (c)-(h), sowie S. 47 ff. Der
Meistbegünstigtenzoll ist der normale Zolltarif, welcher auf
alle Einfuhren von WTO-Mitgliedstaaten Anwendung findet, wenn diese
keinen Anspruch auf einen reduzierten Zolltarif haben.
[13]
Diesbezüglich besteht in Verbindung mit
Art. 8.10 Abs. 2 lit. e CEPA, welcher den Handel mit Palmöl zwischen den CEPA
Vertragsparteien auf nachhaltige Produktion beschränkt, ein
Widerspruch: Um sicherzustellen, dass ausschliesslich nachhaltig
produziertes Palmöl gehandelt wird, hätte die Schweiz ein
Importverbot auf Palmöl ohne Nachhaltigkeitsnachweis
aussprechen müssen.
[14]
Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, abgeschlossen in Genf am 30.
Oktober 1947, für die Schweiz in Kraft getreten am 1. August
1966 (GATT, SR 0.632.21)
[16]
Siehe z.B. Dani Rodrik, The Globalization Paradox, New York 2011;
Ali Burak Güven, Whither the post-Washington Consensus?
International financial institutions and development policy before
and after the crisis, Review of International Political Economy
2018, Vol. 25, No. 3, S. 392 ff.
[17]
Siehe z.B. Bernard Hoekman, Proposals for WTO Reform: A Synthesis and Assessment, Policy Research Working Paper 5525, 2011; Christiane R. Conrad,
Processes and Production Methods (PPMs) in WTO Law, Cambridge 2011;
Steven Bernstein / Erin Hannah, Non-State Global Standard Setting
and the WTO: Legitimacy and the Need for Regulatory Space, JIEL
2008, Vol. 11, No. 3, S. 590 ff.
[20]
Einsehbar unter Eidg. Zollverwaltung, Schweizerischer
Gebrauchstarif, Zollveranlagung: www.tares.ch.
[25]
Angaben in CHF/100 kg, Stand April 2021. Quellen: Annex V CEPA,
Eidg. Zollverwaltung (www.tares.ch).
[30]
Thomas Cottier / Charlotte Sieber-Gasser / Gabriela Wermelinger,
The Dialectical Relationship of Preferential and Multilateral Trade
Agreements, in: Dür/Elsig (Hrsg.), Trade Cooperation: The
Purpose, Design and Effects of Preferential Trade Agreements,
Cambridge 2015, S. 465 ff.
[31]
Globaler Standard für nachhaltig produziertes Palmöl,
siehe Roundtable on Sustainable Palm Oil, RSPO Certification.
[35]
Siehe z.B. Frank Biermann / Norichika Kanie / Rakhyun E. Kim,
Global Governance by Goal-setting: The Novel Approach of the UN
Sustainable Development Goals, Current Opinion in Environmental
Sustainability 2017, S. 26 ff.
[39]
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.
April 1999 (BV; SR 101).
[40]
Giovanni Biaggini et al., Staatsrecht, 2. Aufl., St. Gallen et al.
2015, S. 601; René Rhinow / Markus Schefer / Peter Uebersax,
Schweizerisches Verfassungsrecht, 3. Aufl., Basel 2016, para. 2063;
Ulrich Häfelin / Walter Haller / Helen Keller / Daniela
Thurnherr, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 9. Aufl., Zürich
et al. 2016, para. 1387; BGE 125 I 441; BGE 124 I 55; BGE 145 I 282 E. 4.1.
[41]
BGE 132 I 104
E. 4; Pascal Mahon, Les droits politiques, in: Diggelmann/Hertig
Randall/Schindler (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, Band II,
Zürich 2020, S. 1531 ff.
[43]
Rhinow et al. (Fn. 40), para. 2079b.
[45]
Rhinow et al. (Fn. 40), para. 2082.
[52]
Kastriot Lubishtani / Maxime Flattet, La démocratie directe
face à la manipulation de l'information par des parcticuliers,
AJP 2019, S. 722; Biaggini (Fn. 2), S. 535.
[53]
Bundeskanzlei, Volksabstimmung 7. März 2021,
Erläuterungen des Bundesrates, 25. November 2020
(Abstimmungsunterlagen), S. 8.
[54]
Bundeskanzlei (Fn. 53), S. 46.
[55]
Bundeskanzlei (Fn. 53), S. 47.
[56]
Siehe Bonanomi (Fn. 29), S. 10.
[57]
Laut Bundesgericht ist Sachlichkeit auch dann noch gegeben, wenn
Informationen trotz einer gewissen Überspitzung nicht unwahr
und unsachlich bzw. lediglich ungenau und unvollständig sind (BGE 130 I 290 E. 3.2);
Giovanni Biaggini, BV Kommentar, 2. Aufl., Zürich 2017, Art.
34, S. 411.
[58]
Siehe auch Bundeskanzlei (Fn. 53), S. 413.
[66]
Siehe auch Bonanomi (Fn. 29).
[68]
Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, abgeschlossen am 22.
Juli 1972 (SR 0.632.401).
[69]
Siehe z.B. Gebistorf (Fn. 37), S. 463.