I. Einleitend
Die Strafverfolgungsbehörden sollen die Phänotypisierung zur
Aufklärung von Verbrechen einsetzen können und aus einer DNA-Spur
Erkenntnisse zu bestimmten Merkmalen wie der Augen- und Haarfarbe einer
Person gewinnen.[1]
Damit die Strafverfolgungsbehörden dieses neue Ermittlungsinstrument
einsetzen dürfen, ist eine umfassende Anpassung des DNA-Profil-Gesetzes[2]
sowie kleine Änderungen bei weiteren Erlassen notwendig. Ein
entsprechender Gesetzesentwurf liegt vor und wurde im Nationalrat
behandelt.[3]
Dieser Gesetzesentwurf wirft grundrechtliche Fragen auf, die im
vorliegenden Aufsatz diskutiert werden.
II. Molekulargenetisch vorhersagbare Merkmale
Phänotypisierung ist die Vorhersage von äusserlich sichtbaren
Merkmalen wie der Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie der biogeografischen
Herkunft und des biologischen Alters einer Person mittels
molekulargenetischer Untersuchung aus DNA-Spuren.[4]
Die Phänotypisierung ist möglich, da äusserlich sichtbare
Merkmale sowie das biologische Alter und die biogeografische Herkunft einer
Person in der DNA codiert sind. Unsere DNA ist bekanntlich ein Molekül
in Form einer Doppelhelix. Die einzelnen Bausteine der DNA werden aus vier
Basen gebildet, die sich jeweils zu Paaren verbinden.[5]
Ist eine der vier Basen innerhalb einer Sequenz ausgetauscht, spricht man
von Sequenz-Polymorphismus.[6]
Solche Varianten sind zuständig für die äusserlich sichtbare
Merkmalsausprägung oder werden zumindest mit dieser assoziiert.[7]
Assoziation ist keine Vorhersage. Im Zusammenhang mit Phänotypisierung
bedeutet vorhersagen lediglich eine wahrscheinlichkeitsbasierte
Aussage.[8]
Das bedeutet, dass die Phänotypisierung nicht mit Bestimmtheit,
sondern immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Merkmale einer
Person vorhersagen kann.
1. Augen-, Haar- und Hautfarbe
Zur Vorhersage der Augenfarbe gibt es verschiedene Verfahren. Durch diese
lassen sich die Farben Blau und Dunkelbraun mit einer Testgenauigkeit von
zirka 90-95 Prozent vorhersagen.[9]
Zwischenfarben wie grüne oder graue Augen lassen sich weniger genau
bestimmen.[10]
Die Bestimmung der Zwischenfarben ist auch bei Haarfarben schwierig. Mit
verschiedenen Verfahren lassen sich diese mit folgenden
Wahrscheinlichkeiten vorhersagen: schwarz zu zirka 87 Prozent, rot zu zirka
80 Prozent, braun zu zirka 78 Prozent und schliesslich blond zu zirka 69
Prozent.[11]
Bei der Vorhersagewahrscheinlichkeit der Hautfarbe manifestiert sich eine
ähnliche Schwierigkeit wie bei den Haar- und Augenfarben. Sehr helle
und sehr dunkle Haut können mit grosser Wahrscheinlichkeit
vorhergesagt werden (zirka 98 beziehungsweise 95 Prozent).[12]
Dazwischenliegende Nuancen sind aber schwerer zu identifizieren (zirka 80
Prozent).
2. Biogeografische Herkunft
Bei der biogeografischen Herkunft bedarf es zuerst einer Klärung des
Begriffs. Biogeografische Herkunft ist nicht mit Begriffen wie Ethnie oder
Rasse gleichzusetzen.[13]
Die biogeografische Herkunft beschreibt allein die geografischen Regionen,
aus denen die biologischen Vorfahren einer Person stammen.[14]
Mittels Untersuchung gewisser DNA-Marker ist es heute mit einer hohen
Zuverlässigkeit möglich, die biogeografische Herkunft einer
Person zu bestimmen. Die möglichen Regionen für die
Herkunftsbestimmung sind nach heutigem Forschungsstand Europa, Afrika,
Ostasien, Südasien, Ozeanien und Amerika.[15]
Aus den biogeografischen Wurzeln einer Person kann jedoch nur bedingt auf
ihr Äusseres geschlossen werden, weshalb es sich nicht um ein
äusserlich sichtbares Merkmal im klassischen Sinn handelt.[16]
3. Biologisches Alter
Ein weiteres Merkmal, welches nicht notwendigerweise mit dem äusseren
Erscheinungsbild korreliert, ist das biologische Alter.[17]
Das biologische Alter ist nicht zu verwechseln mit dem chronologischen
Alter, welches die Jahre ab der Geburt beschreibt. Für den
Altersbereich von zirka 20 bis 60 Jahren können mittels
Phänotypisierung verlässliche Aussagen zum Alter einer Person
getroffen werden. Ausserhalb dieses Bereichs ist die Wahrscheinlichkeit
für eine genaue Altersvorhersage wesentlich geringer.
4. Weitere Merkmale
Weitere DNA-basierte Vorhersagen für andere Merkmale wie Haarstruktur,
männlich genetisch bedingter Haarausfall, Sommersprossen,
Gesichtsbehaarung, ergraute Kopfhaare, Gesichtsform und
Körpergrösse sind weniger akkurat möglich und Gegenstand
aktueller Forschung.[18]
Von verlässlichen Phantombildern aus DNA-Spuren ist die Forschung noch
weit entfernt.[19]
III. Grundrechtliche Reflexion des Gesetzesentwurfs
Der Vorentwurf zum neuen DNA-Profil-Gesetz hat kontroverse
Reaktionen ausgelöst.[20]
Die Meinungen in der Vernehmlassung könnten nicht weiter
auseinandergehen. Von der vollständigen Zulassung der
Phänotypisierung mit einer carte blanche für die
Strafverfolgungsbehörden bezüglich Umfang und Inhalt der
Anwendung bis hin zur vollständigen Ablehnung der
Phänotypisierung als Ermittlungsinstrument sind diverse Meinungen
vertreten. Der Gesetzesentwurf scheint einen Mittelweg begehen zu wollen.
Dieser löste ebenfalls kontroverse Reaktionen aus, wie anhand den
Voten aus dem Nationalrat ersichtlich wird.[21]
Auch nach den Diskussionen im Nationalrat drängen sich weiterhin
zahlreiche grundrechtliche Fragen auf, denen im Gesetzesentwurf bisher
nicht vertieft Rechnung getragen worden ist.
1. Rechtmässigkeit von Grundrechtseingriffen
Die Ermittlungen von Strafverfolgungsbehörden haben regelmässig
Grundrechtseingriffe zur Folge.[22]
Grundrechtseingriffe haben den Anforderungen von Art. 36 BV[23]
zu genügen.[24]
Bei einer Eingriffsprüfung in Freiheitsrechte sind folgende Fragen zu
beantworten:[25]
a) Vorliegen und Intensität eines Eingriffs
Zwangsmassnahmen sind per Gesetz Verfahrenshandlungen der
Strafbehörden, die in Grundrechte betroffener Personen eingreifen (Art. 196 StPO[26]). Die Phänotypisierung wird systematisch unter dem 5. Titel Zwangsmassnahmen im 5. Kapitel DNA-Analysen der StPO geregelt. Bei der
Phänotypisierung handelt es sich also um eine Zwangsmassnahme im Sinne
des Gesetzes. Somit sind aufgrund von Phänotypisierungen
regelmässig Grundrechtseingriffe zu erwarten.
Grundrechtseingriffe unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Intensität.
Eine weitere Zwangsmassnahme im Bereich der DNA-Analysen ist die Erstellung
eines DNA-Profils. Das Bundesgericht erachtet den Eingriff bei der
Erstellung eines DNA-Profils in konstanter Rechtsprechung als leicht.[27]
Nachfolgend wird eine Abgrenzung zwischen der Phänotypisierung und dem
DNA-Profil vorgenommen und aufgezeigt, weshalb es sich bei der
Phänotypisierung im Gegensatz zur Erstellung eines DNA-Profils nicht
um einen leichten Eingriff handelt.
aa) Abgrenzung der Phänotypisierung zum DNA-Profil
Bisher flossen Erkenntnisse aus DNA-Material nur in der Form des
DNA-Profils in den Strafprozess ein. Dabei war lediglich ein eruierbares
Merkmal gesetzlich vorgesehen: das biologische Geschlecht (Art. 2 Abs. 2 DNA-Profil-Gesetz).
Der Informationsgehalt der Phänotypisierung und einem DNA-Profil
unterscheiden sich grundlegend. Beim DNA-Profil werden gemäss einer
Formulierung des Bundesgerichts lediglich persönlichkeitsneutrale
Merkmale ausgewertet.[28]
Es geht in erster Linie um die zweifelsfreie Abgleichung des Spurenbilds
mit Spurenmaterial einer spezifischen Person. Dazu werden nicht-codierende
Sequenzen der DNA ausgelesen. Mittels Phänotypisierung werden hingegen
aus dem codierenden Teil der DNA Rückschlüsse auf das
äussere Erscheinungsbild einer Person gezogen. Es wird der Teil der
DNA verwendet, welcher den grössten Informationsgehalt aufweist.
bb) Schwerer Eingriff durch Phänotypisierung
Bereits die Erhebung, Aufbewahrung und Bearbeitung der durch
Phänotypisierung gewonnen Informationen stellen nicht unerhebliche
Grundrechtseingriffe dar. Zusätzlich bereiten diese Eingriffe den
Boden für weitere Zwangsmassnahmen, die ansonsten gar nicht
möglich wären. Es sind Berührungen mit Grundrechten vor
allem bei der Weitergabe der ermittelten Informationen, bei der weiteren
Ermittlungstätigkeit aufgrund dieser Informationen und durch die
anschliessende Identifizierung von spurengebenden Personen zu
befürchten. Die Phänotypisierung berührt dabei in erster
Linie das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und den Schutz
der Privatsphäre, hier insbesondere das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV).[29]
Die Eingriffsschwere beruht auf den wissenschaftlichen Hintergründen.
Es wurde bereits aufgezeigt, dass sich der Informationsgehalt der beiden
DNA-Analysen beträchtlich unterscheidet.
Dieses Argument wird auch durch den Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte (EGMR) vorgebracht. Der EGMR nimmt diese Differenz in der
Informationsfülle zum Anlass, um die Zulässigkeit des Eingriffs
in das Recht auf Privatleben (Art. 8 EMRK) zu beurteilen.[30]
Der EGMR hält fest, dass in Anbetracht der Art und des Umfangs der in
den Zellproben enthaltenen personenbezogenen Informationen bereits ihre
Aufbewahrung als solche als Eingriff in das Recht auf Achtung des
Privatlebens der betroffenen Personen angesehen werden muss, ungeachtet der
tatsächlichen Verwendung durch die Behörde oder entstandene
Nachteile.[31]
Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht hat sich zur Thematik
geäussert. Es sieht den absoluten geschützten Kernbereich der
Persönlichkeit als nicht betroffen, solange die
Eingriffsermächtigung sich nur auf den nicht-codierenden, zu etwa 30
Prozent aus Wiederholungseinheiten bestehenden Anteil der DNA bezieht, die
DNA ausschliesslich zur Identitätsfeststellung verwendet und das
Genmaterial nach der Identifizierung vernichtet wird.[32]
Das Bundesgericht hat sich bislang nicht zur Frage der Schwere des
Grundrechtseingriffs einer Phänotypisierung äussern müssen.
Es erachtet den Eingriff in Art. 13 BV bei der Erstellung
eines DNA-Profils in konstanter Rechtsprechung als leicht, da sich die
Analyse ausschliesslich auf nicht-codierende Abschnitte der DNA und
persönlichkeitsneutrale Merkmale beschränkt, jedoch keine
Aussagen über Erbanlagen oder Rückschlüsse auf Krankheiten
zugelassen werden.[33]
Die Phänotypisierung beschränkt sich im Gegensatz zum DNA-Profil
nicht nur auf persönlichkeitsneutrale Merkmale, sondern bedeutet die
Auswertung von persönlichkeitsrelevanten Merkmalen, also dem
codierenden Teil der DNA.[34]
Bei einer Identifizierung lassen sich so Aussagen über
persönlichkeitsbezogene Merkmale einer Person treffen, die deutlich
über die Bestimmung des Geschlechts hinausgehen, wie beispielsweise
die äussere Erscheinung oder Informationen über die
biogeografische Herkunft. Zudem werden bei der Phänotypisierung
Abschnitte ausgelesen, die Rückschlüsse auf Krankheiten erlauben.
Vor allem beim Merkmal des biologischen Alters stellt dies, wie nachfolgend
aufgezeigt wird, ein Problem dar.[35]
Die Fülle an Informationen ist bei der Phänotypisierung erheblich
grösser als bei der Erstellung eines DNA-Profils.
Die hiervor festgehaltene Rechtsprechung zeigt, dass es sich bei der
Phänotypisierung nicht um einen leichten Grundrechtseingriff handelt.[36]
Fraglich ist, ob nicht sogar der Kernbereich von Art. 13 BV betroffen sein
könnte, sobald auf das gesamte Erbgut zugegriffen werden kann.[37]
Die Botschaft betont, dass mit der vorliegenden gesetzlichen Regelung
sichergestellt sei, dass durch die Phänotypisierung der absolut
geschützte Kernbereich der Persönlichkeit nicht berührt wird[38], weil keine Erkenntnisse über eine bestimmte Person eruiert werden,
die diese nicht zuvor schon gegenüber der Öffentlichkeit
offenbart hat. Wie hiernach aufgezeigt wird, kann dieser Argumentation
nicht vorbehaltlos gefolgt werden.
b) Gesetzliche Grundlage
Je schwerer ein Eingriff in Grundrechte, desto höher sind die
Anforderungen an die gesetzliche Grundlage. Vor dem Erlass eines Gesetzes
ist sorgfältig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die
Eingriffe in Grundrechte erfüllt sind.[39]
Bereits bei der Gesetzgebung sind die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass
unzulässige Grundrechtseingriffe bei der Anwendung unterlassen werden.
Die grundrechtsgetreue Ausübung der Gesetze ist nicht einzig den
gesetzesanwendenden Behörden zu überlassen. Das Gesetz selbst
muss Schutz vor missbräuchlicher Ausübung staatlicher Macht
bieten.[40]
Die gesetzliche Grundlage setzt sich zusammen aus dem Erfordernis der
Gesetzesform und dem Erfordernis des Rechtssatzes.[41]
Gemäss dem Erfordernis der Gesetzesform sind schwere Eingriffe in
Freiheitsrechte auf der Stufe eines Gesetzes zu normieren, bei leichten
Eingriffen reicht eine Regelung auf Verordnungsstufe aus.[42]
Gemäss dem Erfordernis des Rechtssatzes muss eine gesetzliche
Grundlage genügend bestimmt sein. In grundrechtssensiblen Bereichen,
in welchen ein Missbrauchspotenzial imminent ist, sind vergleichsweise hohe
Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen
Grundlage zu stellen.[43]
Insbesondere im Strafprozessrecht ist eine hohe Dichte und Bestimmtheit der
Norm gefordert.[44]
Rechtsnormen müssen so getroffen werden, dass die Regelungsbefugnisse
zwischen rechtssetzenden und rechtsanwendenden Organen richtig verteilt
werden.[45]
Die Normierung hat in einer Weise zu erfolgen, dass die Entscheidungen von
den dazu geeigneten, sachkundigen, legitimierten Organen getroffen werden.[46]
Die Wertung von Normen, die in Grundrechte eingreifen, sollen nicht
unnötigerweise der Gesetzesanwendung überlassen werden.[47]
Der Gesetzesentwurf wird daher auf die Verhinderung von unzulässigen
Grundrechtseingriffen auf Anwendungsstufe überprüft, welche
bereits durch die Rahmenbedingungen des Gesetzes verhindert werden
können.
2. Konkrete grundrechtliche Probleme des Gesetzesentwurfs
Grundrechtliche Bedenken bezüglich des vorliegenden Gesetzesentwurfs
zeigen sich einerseits bezüglich den auswertbaren Merkmalen und
andererseits bezüglich strukturellen und verfahrensrechtlichen
Punkten.
a) Problembereiche künftig auswertbarer Merkmale
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass aus einer DNA-Spur zwecks
Phänotypisierung in Strafverfahren künftig die Augen‑,
Haar- und Hautfarbe sowie die biogeografische Herkunft und das biologische
Alter einer spurengebenden Person bestimmt werden dürfen (Art. 2b Abs. 2 E-DNA-Profil-Gesetz).
Der Katalog der aufgezählten Merkmale gilt gemäss dem
Gesetzesentwurf bis zur nächsten Ergänzung als abschliessend
formuliert.[48]
Einige Vernehmlassungsteilnehmende haben sich gegen die
Phänotypisierung in der Strafverfolgung als Ganzes geäussert.[49]
Andere Teilnehmende haben sich dafür starkgemacht, noch weiter zu
gehen und Merkmale ohne Einschränkung von den
Strafverfolgungsbehörden auswerten zu lassen.[50]
Auch im Nationalrat divergieren die Meinungen über die auswertbaren
Merkmale stark.[51]
aa) Augen-, Haar- und Hautfarbe
Die Augen-, Haar- und Hautfarbe einer Person können aus DNA mit einer
hohen Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden. Der Nutzen für die
Strafverfolgung liegt damit auf der Hand. Die äusserlich sichtbaren
Merkmale wie Augen-, Haar- oder Hautfarbe stellen an und für sich
keine besonders sensiblen Daten im Sinne des Datenschutzes dar. Die
äusserlich sichtbaren Merkmale sind einer Person jeweils auch bekannt,
weshalb keine Kollision mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung
zu befürchten ist.[52]
Einige Vernehmlassungsteilnehmende und Stimmen aus dem Nationalrat
äusserten Bedenken. Die Auswertung von äusserlich sichtbaren
Merkmalen stelle gewisse Bevölkerungsgruppen - vor allem Minderheiten
- systematisch unter Generalverdacht.[53]
In Verbindung mit der Möglichkeit von Massenuntersuchungen sei
künftig vermehrt mit institutionellem Rassismus zu rechnen.[54]
Diesen Befürchtungen ist zuzustimmen. Insbesondere die Auswertung von
Wahrscheinlichkeitsaussagen zur Hautfarbe und der biogeografischen Herkunft
ist dabei ein prekäres Thema, welches im nächsten Absatz
besprochen wird.
bb) Biogeografische Herkunft
Die Befürchtung von Racial Profiling und Diskriminierung von
Minderheiten steht bei der Kritik zur biogeografischen Herkunft im
Vordergrund.[55]
Ein Analyseergebnis europäische Herkunft ermögliche in
der Schweiz keine wesentliche Eingrenzung der Ermittlungen, ein Ergebnis,
das auf Zugehörigkeit zu einer Minderheiten-Population deute, jedoch
schon.[56]
Das Diskriminierungspotenzial besteht gemäss den
Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich für den Schutz von Minderheiten
einsetzen, vor allem auf der operativen Ermittlungsebene. Durch berechnete
Wahrscheinlichkeiten über das äusserliche Erscheinungsbild von
straffälligen Personen können Minderheiten stigmatisiert und
vermehrt in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden gerückt
werden.[57]
Ein sehr sorgsamer Umgang mit aus der Phänotypisierung gewonnen
Informationen ist unumgänglich, um den rechtsstaatlichen
Grundsätzen im Strafverfahren, allen voran der Unschuldsvermutung, zu
genügen. Es ist daher notwendig, dass Ergebnisse der
Phänotypisierung, insbesondere die Hautfarbe und die biogeografische
Herkunft, nicht leichtfertig an die Öffentlichkeit weitergegeben
werden. Gemäss Zieger/Utz ist dies entscheidend, um eine
Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen zu vermeiden.[58]
Es reicht aber nicht aus, auf eine grundrechtsschonende Anwendung der
Phänotypisierung zu hoffen. Wie hiervor aufgezeigt sind bereits beim
Legiferieren die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass
unverhältnismässige Grundrechtseingriffe von Anfang an
unterlassen werden. Kann eine solche Ausgestaltung des Gesetzes nicht
erfolgen, ist das Merkmal von Beginn weg aus dem Gesetzesentwurf zu
streichen.
Das Risiko, dass die Phänotypisierung in einer Weise eingesetzt wird,
die Minderheiten diskriminiert, ist ein grosses Problem.[59]
Bestimmte persönliche Eigenschaften wie die Hautfarbe oder die
biogeografische Herkunft können zu unterschiedlicher Behandlung durch
die Strafverfolgungsbehörden führen. Diese Art der
Ungleichbehandlung wirkt sich zum einen auf die betroffene Person aus,
welche aufgrund ihres äusserlichen Erscheinungsbilds durch die
Strafverfolgungsbehörden als potenzielle tatverdächtige Person
eines Verbrechens wahrgenommen wird.[60]
Zum anderen können diskriminierende Massnahmen Grund dafür sein,
dass Stereotypen über ethnische Minderheiten in der Gesellschaft
verstärkt und fremdenfeindliche Stimmungen gefördert werden.[61]
Der Fokus verschiebt sich von einer verdächtigen Person hin zu einer
Gruppe von verdächtigen Personen und somit einer Kollektivierung des
Verdachts.[62]
Wenn gewisse Bevölkerungsgruppen aufgrund der Phänotypisierung,
beispielsweise im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung, (noch)
häufiger in den Fokus der Gesellschaft rücken, so besteht die
Gefahr, dass die wiederholte gleichzeitige Erwähnung von Herkunft,
Aussehen, Straftat und Genetik dazu führt, dass diese vier
Einzelfaktoren ein ganzes Bild suggerieren.[63]
Es besteht weiter die Möglichkeit, dass die
Strafverfolgungsbehörden die biogeografischen Herkunftsinformationen
nicht zur Fokussierung einer Untersuchung, sondern zur Rechtfertigung der
gezielten Ansprache bestimmter Bevölkerungsgruppen verwenden
könnten.[64]
Deutschland hat aus diesen Gründen das Merkmal der biogeografischen
Herkunft richtigerweise nicht zur Auswertung zugelassen.[65]
Als Fazit ist festzuhalten, dass die befürchteten Eingriffe in
Grundrechte von Drittpersonen bei diesem Merkmal schwerer wiegen, als es in
der Schweiz Nutzen für die Strafverfolgung bringen kann. Das Merkmal
der biogeografischen Herkunft in
Art. 2b Abs. 2 lit. b E-DNA-Profil-Gesetz
ist deswegen zu streichen.
cc) Biologisches Alter
Das Merkmal des biologischen Alters birgt auf den ersten Blick wenig
Potenzial für Grundrechtsverletzungen durch
Strafverfolgungsbehörden. Der Blick ist jedoch trügerisch. Die
Krux bei diesem Merkmal liegt in einem möglichen Unterschied zwischen
dem mittels DNA eruierten biologischen und dem chronologischen Alter. Kann
eine spurengebende Person identifiziert werden, ist ersichtlich, ob der
Alterungsprozess der DNA mit dem chronologischen Alter der Person
übereinstimmt.[66]
Bestehen frappante Abweichungen zwischen den beiden Grössen, kann dies
auf ernsthafte Erkrankungen der spurengebenden Person hinweisen.[67]
Dann entstehen zwangsläufig medizinisch relevante
Überschussinformationen bei der biologischen Altersbestimmung einer
identifizierten Person.[68]
Überschussinformationen entstehen immer dann, wenn nicht
benötigte, genetische Daten erhoben werden.
Aus dieser Gegebenheit stellen sich bedeutende Fragen für den Umgang
mit der Altersbestimmung mittels Phänotypisierung. Soll
beziehungsweise muss der identifizierten spurengebenden Person eine solche
Abweichung, mitunter ein Indiz für eine ernsthafte Erkrankung, im
Verlauf des Strafprozesses mitgeteilt werden? Wenn ja, wird der Kernbereich
von Art. 13 BV dadurch tangiert?[69]
Zumindest das hiervor gehörte Argument aus der Botschaft, dass durch
die Phänotypisierung der absolut geschützte Kernbereich der
Persönlichkeit nicht berührt werde, weil nur Informationen
eruiert werden, die der Öffentlichkeit bereits bekannt sind,
könnte in dieser Konstellation fehlgehen. Eine solche Abweichung ist
mitunter nicht einmal der spurengebenden Person, geschweige denn der
Öffentlichkeit, bekannt.
b) Problembereiche struktureller und verfahrensrechtlicher Natur
Neben den auswertbaren Merkmalen stellen sich beim Gesetzesentwurf Fragen
hinsichtlich des Grundrechtsschutzes bei Überschussinformationen, beim
Anwendungsbereich der Phänotypisierung, bei der Zuständigkeit zur
Anordnung der Phänotypisierung und bei der Zulassung neuer Merkmale.
aa) Überschussinformationen und Einsichtsrecht
Der Umgang mit Überschussinformationen, die beispielsweise bei der
Auswertung des biologischen Alters entstehen, ist im Gesetzesentwurf
geregelt. Die Entstehung von Ergebnissen, die bei der DNA-Analyse zur
Phänotypisierung anfallen und nicht benötigt werden oder die
ausserhalb des Katalogs der zulässigen persönlichen Merkmale
liegen, sind gemäss dem Gesetzesentwurf so weit als möglich zu
vermeiden (Art. 3 Abs. 1 E‑DNA-Profil-Gesetz). Fallen solche Informationen dennoch an, müssen sie beim Labor
verbleiben und dürfen weder an die auftraggebende Behörde noch an
Dritte weitergegeben werden (Art. 3 Abs. 2 E-DNA-Profil-Gesetz).
Es ist in grundrechtlicher Hinsicht zu verhindern, dass spurengebende
Personen gegen ihren Willen mit medizinischen Informationen über sie
konfrontiert werden. Gleichzeitig muss es ihnen möglich sein, Einsicht
in die von ihnen gesammelten medizinischen Daten zu nehmen. Zu
unterscheiden ist hierbei zwischen Daten, die den
Strafverfolgungsbehörden für Ermittlungszwecke aufgrund
Phänotypisierung zustehen und somit Eingang in die Akten gefunden
haben, und Daten, die medizinische Überschussinformationen enthalten
und deswegen ausschliesslich bei den Laboren verbleiben (Art. 3 Abs. 2 E-DNA-Profil-Gesetz).
Voraussetzung für die Einsichtnahme ist die Erkenntnis der
spurengebenden Person, dass mittels Phänotypisierung Daten über
sie erhoben worden sind. Die Strafverfolgungsbehörden sollten eine
identifizierte spurengebende Person über das Vorliegen der genetischen
Daten informieren und sie auf die Möglichkeit der Dateneinsicht
hinweisen.[70]
Gemäss Art. 95 Abs. 2 StPO
sind betroffene Personen über die Beschaffung von Personendaten, die
für sie nicht erkennbar war, umgehend zu informieren. Nach Art. 101 StPO erhalten die
Parteien Akteneinsicht in laufende Verfahren. Von der Phänotypisierung
betroffene Personen, welche nicht Partei im Strafverfahren sind,
können nach Art. 101 Abs. 3 StPO die Akten
einsehen. Dieses Einsichtsrecht bedingt ein schützenswertes Interesse.
In der Regel wird bereits im Vorliegen solcher medizinischen Daten ein
schützenwertes Interesse bestehen. Für diejenigen Daten aus
Phänotypisierung, welche Eingang in das Strafverfahren gefunden haben,
ist die Information und Einsicht für betroffene Personen gestützt
auf die StPO geregelt.
Zu klären bleibt, wie es mit den medizinischen
Überschussinformationen aussieht, welche bei den Laboren verbleiben.
Hierfür sehen weder die StPO
noch das E-DNA-Profil-Gesetz eine ausdrückliche Regelung vor. Im DNA-Profil-Gesetz besteht momentan
bezüglich Einsichtsrecht lediglich Art. 15. Allerdings bezieht sich Art. 15 DNA-Profil-Gesetz im
Wortlaut nur auf das herkömmliche DNA-Profil. Eine direkte
Anwendbarkeit dieser Norm auf genetische Daten aus Phänotypisierung
ist offen. Es ist weiter fraglich, ob mittels DSG[71]
ein solches Einsichtsrecht besteht. Zumindest auf hängige
Strafverfahren ist das DSG nicht
anwendbar (Art. 2 Abs. 2 lit. c DSG). Eine
ausdrückliche Regelung im DNA-Profil-Gesetz bezüglich
Einsichtsrecht in (Überschuss-)Informationen bei den Laboren wäre
wünschenswert[72]. Somit würde den Erfordernissen des Rechtssatzes Rechnung getragen
und die Rechtssicherheit erhöht.
bb) Anwendungsbereich der Phänotypisierung (Deliktskatalog)
In der neuen Gesetzesreglung ist vorgesehen, dass die Phänotypisierung
zur Aufklärung von Verbrechen eingesetzt werden darf (Art. 258b E-StPO). In der
Vernehmlassung wurde deutlich, dass die Ideen für den
Anwendungsbereich der Phänotypisierung stark divergieren. Während
einige Vernehmlassungsteilnehmende sich einen abschliessenden
Deliktskatalog wünschen, verlangen andere die Ausweitung des
Anwendungsbereichs auf Vergehen, wie beispielsweise Sachbeschädigung
oder einfache Körperverletzung. Seitens Forschenden wird oftmals ein
enger Anwendungsbereich der Phänotypisierung bevorzugt. Lang et al.
finden aus Gründen der Verhältnismässigkeit und der
Rechtssicherheit die Einführung eines abschliessenden Deliktskatalogs
wünschenswert.[73]
Die Vernehmlassungsantworten präsentieren einige Vorschläge, wie
ein solcher Deliktskatalog gestaltet werden sollte. Weniger klar
umschriebene Vorschläge verlangen die Beschränkung auf schwere
Gewaltverbrechen oder auf Delikte gegen Leib und Leben, die sexuelle
Integrität und die Freiheit. Ein konkreterer Vorschlag erachtet den
Deliktskatalog der verdeckten Ermittlung gemäss Art. 286 Abs. 2 StPO als geeignet.[74]
Wie genau ein solcher Deliktskatalog aussehen könnte, müsste
durch die Legislative ausgearbeitet werden. Das aus dem Nationalrat
teilweise gehörte Argument, dass ein Katalog nicht sinnvoll sei, da
die Gefahr bestehe, dass etwas vergessen werden könnte[75], ist nicht einleuchtend. Es betrifft die Kernkompetenz der Legislative,
umfassende Gesetzgebung betreiben zu können.
Der Einführung eines Deliktskatalogs ist zuzustimmen. Der Rechtssatz
muss so gestaltet werden, dass die Entscheidungskompetenz zwischen
rechtsetzenden und rechtanwendenden Organen richtig verteilt wird. Die
Rahmenbedingungen bei grundrechtssensiblen Gesetzesinhalten sollten, wie
hiervor aufgezeigt, eng von der Legislative vorgegeben und nicht
grosszügig der Rechtsanwendung überlassen werden. Diese
Rahmenbedingungen können mittels Deliktskatalog geschaffen werden.
Zudem stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit im Sinne von Art. 36 BV. Ist ihr allein
aufgrund der Einschränkung auf Verbrechen Genüge getan? Mit der
vorliegenden Regelung wäre es möglich, beispielsweise bei
Veruntreuung, Diebstahl oder Urkundenfälschung eine
Phänotypisierung vorzunehmen.
Die Schwere des Delikts muss die Schwere des Grundrechtseingriffs durch
Phänotypisierung rechtfertigen. Aus den hiervor genannten Gründen
ist eine Eingrenzung auf schwere Verbrechen mittels Deliktskatalog durch
die Legislative vorzunehmen. Als Ausgangslage könnte der
Deliktskatalog von Art. 168 Abs. 4 lit. a StPO[76]
dienen. Dieser Katalog beschränkt sich auf
schwere Straftaten[77],
weswegen es aus oben genannten Überlegungen zur
Verhältnismässigkeit Sinn macht, die Phänotypisierung nur
bei diesen Delikten zuzulassen.
cc) Zuständigkeit für die Anordnung der Phänotypisierung
Für die Anordnung der Phänotypisierung wäre gemäss
Gesetzesentwurf die Staatsanwaltschaft zuständig (Art. 198 StPO i.V.m. Art. 258b E-StPO). In den
Vernehmlassungsantworten findet diese Regelung selten Zustimmung.
Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmende haben sich dafür starkgemacht,
dass die Polizei für die Anordnung der Phänotypisierung
zuständig sein sollte.[78]
Andere Teilnehmende und Stimmen aus dem Nationalrat sprachen sich wegen der
Schwere des Grundrechtseingriffs für eine Zuständigkeit des
Zwangsmassnahmengerichts aus.[79]
Grundsätzlich ist für die Anordnung der gesetzlichen
DNA-Analysen, darunter fällt auch die Phänotypisierung, die
Staatsanwaltschaft zuständig.[80]
Bei Zwangsmassnahmen mit starken Grundrechtseingriffen ist meist das
Zwangsmassnahmengericht zuständig.[81]
Im Kapitel der DNA-Analysen ist das beispielsweise bei der Anordnung von
Massenuntersuchungen (Art. 256 StPO) der Fall.
Die Phänotypisierung ist, wie hiervor aufgezeigt, ein grösserer
Eingriff in die Grundrechte von betroffenen Personen als die Erstellung
eines DNA-Profils. Gemäss der Systematik der StPO, wonach für schwerere
Grundrechtseingriffe das Zwangsmassnahmengericht zuständig ist,
müsste für die Anordnung der Phänotypisierung ebenfalls das
Zwangsmassnahmengericht zuständig sein. Ein weiteres Argument für
die Zuständigkeit des Zwangsmassnahmengerichts ist, dass gegen die
Anordnung der Phänotypisierung durch die Staatsanwaltschaft kein
Rechtsmittel ergriffen werden kann, da betroffene Personen zu diesem
Zeitpunkt keine Kenntnis der Zwangsmassnahme haben. Damit ähnelt die
Phänotypisierung in einer gewissen Weise den geheimen
Zwangsmassnahmen. Dieser Umstand spricht für eine gerichtliche
Zuständigkeit. Eine Regelung analog zu Art. 256 StPO erscheint demnach
sinnvoll, wonach das Zwangsmassnahmengericht über die Anordnung der
Phänotypisierung auf Antrag der Staatsanwaltschaft entscheiden
würde. Das Zwangsmassnahmengericht hätte zu beurteilen, ob die
Voraussetzungen für einen solchen schweren Grundrechtseingriff im
konkreten Fall gegeben sind. Diese gerichtliche Zuständigkeit
würde die von der Legislative beabsichtigte Subsidiarität der
Phänotypisierung unterstreichen und verhindern, dass die Anordnung in
der Praxis zum Regelfall wird. Art. 258b E-StPO ist dahingehend
anzupassen.
dd) Zulassung neuer Merkmale
Der Bundesrat erhält im Gesetzesentwurf mit der Delegationsnorm von Art. 2b Abs. 4 E-DNA-Profil-Gesetz
die Zuständigkeit, mit dem wissenschaftlichen Fortschritt weitere
äusserlich sichtbare Merkmale für die Phänotypisierung
zuzulassen.[82]
Die neu aufzunehmenden Merkmale werden auf Verordnungsstufe festgehalten
und gelten bis zur nächsten Änderung jeweils als abschliessend
formuliert.[83]
Im Vorentwurf war eine solche Delegationsnorm nicht vorgesehen.
Die Mehrheit der Kantone wie auch die Strafverfolgungsorgane erachteten die
abschliessende Aufzählung im Gesetz als zu starr und wollten eine
Festlegung auf Verordnungsstufe oder eine nicht abschliessende
Aufzählung im Gesetz. Demgegenüber forderten andere
Vernehmlassungsteilnehmende und eine Minderheit im Nationalrat eine
Regelung mit klaren, im Gesetz angelegten Grenzen und abschliessend
definierten Merkmalen ohne Delegation.[84]
Die Delegationsnorm entspricht gemäss der Botschaft den vom
Bundesgericht für die Gesetzesdelegation entwickelten Kriterien.
Gemäss Botschaft ist mit der Festlegung, dass die Merkmale für
eine Phänotypisierung äusserlich sichtbar sein müssen und
sie keinen Inhalt über innere Werte aufweisen dürfen, die
Kategorie der zulässigen Merkmale formell-gesetzlich verankert.[85]
Es sei die Kategorie von Merkmalen, welche den qualitativen Umfang
der schwerwiegenden Einschränkung von Grundrechten im Sinne
von Art. 36 Abs. 1 BV bestimmt,
die einzelnen Merkmale wie beispielsweise die Augenfarbe unterlägen
jedoch nicht der Anforderung einer Verankerung in einem Gesetz im formellen
Sinn.[86]
Diese Sichtweise lässt einige Bedenken aufkommen. Bereits im
Gesetzesentwurf sind Merkmale aufgeführt, die nicht per se
äusserlich sichtbar sind, wie beispielsweise die biogeografische
Herkunft. Eine einheitliche, eng gefasste Kategorie von Merkmalen,
wie in der Botschaft angegeben, existiert nicht. Es wird somit dem
Bundesrat überlassen, zu bestimmen, welche Merkmale er künftig
als äusserlich sichtbar erachtet und welche nicht. Eine
Überprüfung neuer Merkmale durch die Legislative wird nicht mehr
erfolgen. Die Legislative möchte mit der Gesetzesdelegation eine
flexible Möglichkeit zur Aufnahme weiterer Merkmale im Gesetz
verankern. So kann das Gesetz schnell auf den wissenschaftlichen
Fortschritt reagieren. Dem zu entgegnen ist, dass das Gesetz systemimmanent
hinter dem wissenschaftlichen Fortschritt zurückbleibt.[87]
Vor der Gesetzgebung muss überprüft werden, ob neue Merkmale
Eingang in das Gesetz finden sollen, und wenn ja, wie diese möglichst
grundrechtsschonend festgeschrieben werden können.[88]
Wie hiervor aufgezeigt kann die Phänotypisierung schwere
Grundrechtseingriffe bewirken, womit eine gesetzliche Grundlage auf
Verordnungsstufe nicht ausreicht. Schwere Einschränkungen müssen
in einem Gesetz im formellen Sinn angelegt sein, weswegen Art. 2b Abs. 4 E-DNA-Profil-Gesetz
beziehungsweise die darin enthaltene Delegationsnorm zu streichen ist.
IV. Fazit und Verbesserungsvorschläge
Die Phänotypisierung stellt eindrücklich dar, was mit heutigen
wissenschaftlichen Methoden in der Strafverfolgung alles möglich sein
kann. Doch es ist ein schmaler Grat zwischen möglichst effizienter
Strafverfolgung und ausgebautem grundrechtlichem Schutz betroffener
Personen. Um diesen grundrechtlichen Schutz im vorliegenden Gesetzesentwurf
stärker zu beachten, wurden folgende Verbesserungsvorschläge
ausgearbeitet:
[1]
Für einen kurzen Überblick vgl. Eva Novak,
Phänotypisierung: Bundesrat will neue Methoden für
Ermittlungen nutzbar machen, SJZ 117/2021, S. 152 ff.
[2]
Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im
Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder
vermissten Personen vom 20. Juni 2003 (DNA-Profil-Gesetz; SR 363).
[4]
Manfred Kayser / Peter De Knijff, Improving human forensics through
advances in genetics, genomics and molecular biology, Nature
Reviews Genetics 2011, Heft 12, S. 182 ff.; Erläuternder
Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens des
Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) vom
August 2019, S. 13 (zit. Erläuternder Bericht); Martin Zieger,
Forensische DNA-Analyse: So viel wie nötig, so wenig wie
möglich?, Jusletter vom 12. Oktober 2020, S. 13.
[5]
Alexander Lang et al., Neue Anwendungen der DNA-Analyse: Chancen
und Risiken, Interdisziplinäre Technikfolgeabschätzung,
Zürich 2020, S. 42; Botschaft vom 4. Dezember 2020 zur
Änderung des DNA-Profil-Gesetzes (BBl 2021 44), S. 76 (zit. Botschaft).
[7]
Peter M. Schneider / Barbara Prainsack / Manfred Kayser, Erweiterte
forensische DNA-Analyse zur Vorhersage von Aussehen und
biogeografischer Herkunft, Deutsches Ärzteblatt, Heft 51-52,
2019, S. 875; Zieger (Fn. 4), Rz. 31.
[8]
Weiter muss bezüglich der Wahrscheinlichkeitsaussage zwischen
der individuellen Wahrscheinlichkeit und der Testgenauigkeit
unterschieden werden, vgl. dazu Lang et al. (Fn. 5), S. 229.
[9]
Zu den Testverfahren IrisPlex und SHEP 1, 2 vgl.
Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 874; zum Testverfahren
IrisPlex vgl. Lang et al. (Fn. 5), S. 229, mit weiteren Hinweisen,
Erläuternder Bericht (Fn. 4), S. 14.
[10]
Vgl. Lang et al. (Fn. 5), S. 229.
[11]
Zu den Testverfahren HIrisPlex und SHEP 1, 2 vgl.
Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 874; zum Testverfahren
HIrisPlex vgl. Erläuternder Bericht (Fn. 4), S. 14.
[12]
Zu den Testverfahren HIrisPlex-S und SHEP 1, 2, 4 vgl.
Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 874; zum Testverfahren
HIrisPlex-S vgl. Erläuternder Bericht (Fn. 4), S. 14.
[13]
Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 877.
[14]
Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 877.
[15]
Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 878.
[17]
Lang et al. (Fn. 5), S. 234; Zieger (Fn. 4), Rz. 33.
[18]
Lang et al. (Fn. 5), S. 228 ff., mit weiteren Hinweisen;
Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 877; Zieger (Fn. 4), Rz. 31.
[19]
Lang et al. (Fn. 5), S. 232, 239.
[20]
Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens des
Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) vom
Dezember 2020, S. 6 ff. (zit. Bericht über das Ergebnis des
Vernehmlassungsverfahrens).
[22]
Marc Jean-Richard-dit-Bressel, Strafprozessrecht in a nutshell,
Zürich et al. 2020, S. 7; Wolfgang Wohlers, in:
Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers (Hrsg.), Kommentar zur
Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl., Zürich et
al. 2020, Art. 2 N 13.
[23]
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.
April 1999 (BV; SR 101).
[24]
Jean-Richard-dit-Bressel (Fn. 22), S. 7.
[25]
Steht eine Diskriminierung im Vordergrund, ist nach einem anderen
Schema vorzugehen, vgl. zum Ganzen Ulrich Häfelin / Walter
Haller / Helen Keller / Daniela Thurnherr, Schweizerisches
Bundesstaatsrecht, 10. Aufl., Zürich et al. 2020, Rz. 304.
[26]
Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; SR 312.0).
[31]
Urteil des EGMR 30562/04
und 30566/04 vom 4.
Dezember 2008 (S. und Marper gegen Vereinigtes Königreich),
Ziff. 73.
[39]
Gesetzgebungsleitfaden, Leitfaden für die Ausarbeitung von
Erlassen des Bundes, 4. Aufl., Bern 2019, S. 180.
[40]
Vgl. Judith Wyttenbach / Nicola Hofer, Die Bedeutung des Gesetzes
für die Einschränkung und die Gewährleistung von
EMRK-Garantien, Swiss Review of International and European Law
(SRIEL) 2017, S. 351.
[41]
Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr (Fn. 25), Rz. 307.
[42]
Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr (Fn. 25), Rz. 310 f.
[43]
Wyttenbach/Hofer (Fn. 40), S. 350 f.
[44]
Vgl. Georg Müller, Methodik der Rechtsetzung, in:
Biaggini/Müller/Müller/Peters/Schefer (Hrsg.),
Grundprobleme der Auslegung aus Sicht des öffentlichen Rechts,
Bern 2004, S. 21; Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr (Fn. 25),
Rz. 308.
[45]
Müller (Fn. 44), S. 13.
[46]
Müller (Fn. 44), S. 13.
[49]
Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn.
20), S. 6.
[50]
Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn.
20), S. 7, 9.
[52]
Zieger (Fn. 4), Rz. 43.
[54]
Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn.
20), S. 8.
[57]
Lang et al. (Fn. 5), S. 245, mit weiteren Hinweisen; Votum NR
Flach,
AB 2021 N 793.
[58]
Martin Zieger / Silvia Utz, About DNA databasing and investigative
genetic analysis of externally visible characteristics: A public
survey, Forensic Science International: Genetics 2015, Heft 17, S.
171.
[60]
Lang et al. (Fn. 5), S. 245.
[61]
Lang et al. (Fn. 5), S. 245.
[62]
Lang et al. (Fn. 5), S. 245, mit weiteren Hinweisen.
[63]
Zieger (Fn. 4), Rz. 68.
[64]
Kayser / De Knijff (Fn. 4), S. 183.
[65]
Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 875.
[66]
Zieger (Fn. 4), Rz. 50.
[67]
Vgl. Zieger (Fn. 4), Rz. 50.
[68]
Zieger (Fn. 4), Rz. 50.
[69]
Zieger (Fn. 4), Rz. 50.
[70]
Zieger (Fn. 4), Rz. 55 ff., mit weiteren Hinweisen.
[71]
Bundesgesetz über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 (DSG; SR 235.1).
[72]
Vgl. auch Vernehmlassungsantwort des Instituts für
Rechtsmedizin der Universität Bern, S. 4; Zieger (Fn. 4), Rz.
57.
[73]
Lang et al. (Fn. 5), S. 276, 311 f.
[74]
Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn.
20), S. 19.
[76]
Das Zeugnisverweigerungsrecht entfällt bei persönlichen
Beziehungen, wenn sich das Strafverfahren auf eine Straftat bezieht
nach Art. 111-113, 122, 124, 140, 184, 185, 187, 189, 190 oder 191 Schweizerisches
Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0).
[77]
Hans Vest / Salome Huber, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger
(Hrsg.), Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2.
Aufl., Basel 2014, Art. 168 N 20.
[78]
Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn.
20), S. 21.
[81]
Vgl. Sven Zimmerlin, in: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers (Hrsg.),
Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl.,
Zürich et al. 2020, Art. 198 N 4.
[87]
Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn.
20), S. 9.