Phänotypisierung - Gesetzesentwurf eines grundrechtlich kontroversen Ermittlungsinstruments

Julia Lehmann *

Mittels Phänotypisierung werden aus DNA-Spuren Rückschlüsse auf das Erscheinungsbild einer Person gezogen. Künftig soll die Phänotypisierung als Ermittlungsinstrument im Strafprozess eingesetzt werden. Gemäss dem Gesetzesentwurf könnte die Staatsanwaltschaft die Phänotypisierung zur Aufklärung von Verbrechen anordnen. Dabei sollen die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie die biogeografische Herkunft und das biologische Alter ausgewertet werden können. Die Phänotypisierung an sich und die Auswertung dieser Merkmale durch die Strafverfolgungsbehörden sind umstritten. Mit dem Einsatz dieses neuen Ermittlungsinstruments drohen Verletzungen von Grundrechten, beispielsweise durch Racial Profiling, Diskriminierungen aufgrund von Äusserlichkeiten und aufgrund von Datenschutzverletzungen. Dieser Gefahr ist bereits bei der Gesetzgebung Rechnung zu tragen. Der Grundrechtsschutz im Gesetzesentwurf sollte daher im Hinblick auf die befürchteten Verletzungen verbessert werden.

Zitiervorschlag: Julia Lehmann, Phänotypisierung - Gesetzesentwurf eines grund-rechtlich kontroversen Ermittlungsinstruments, sui generis 2021, S. 261

URL: sui-generis.ch/190

DOI: https://doi.org/10.21257/sg.190

* Julia Lehmann, MLaw, Rechtsanwältin, Wissenschaftliche Assistentin und Doktorandin an der Universität Bern (julia.lehmann@krim.unibe.ch). Für die kritische Durchsicht dieses Aufsatzes und wertvolle Anregungen danke ich herzlich Rafael Studer und Selma Kuratle.


I. Einleitend

Die Strafverfolgungsbehörden sollen die Phänotypisierung zur Aufklärung von Verbrechen einsetzen können und aus einer DNA-Spur Erkenntnisse zu bestimmten Merkmalen wie der Augen- und Haarfarbe einer Person gewinnen.[1] Damit die Strafverfolgungsbehörden dieses neue Ermittlungsinstrument einsetzen dürfen, ist eine umfassende Anpassung des DNA-Profil-Gesetzes[2] sowie kleine Änderungen bei weiteren Erlassen notwendig. Ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt vor und wurde im Nationalrat behandelt.[3] Dieser Gesetzesentwurf wirft grundrechtliche Fragen auf, die im vorliegenden Aufsatz diskutiert werden.

II. Molekulargenetisch vorhersagbare Merkmale

Phänotypisierung ist die Vorhersage von äusserlich sichtbaren Merkmalen wie der Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie der biogeografischen Herkunft und des biologischen Alters einer Person mittels molekulargenetischer Untersuchung aus DNA-Spuren.[4]

Die Phänotypisierung ist möglich, da äusserlich sichtbare Merkmale sowie das biologische Alter und die biogeografische Herkunft einer Person in der DNA codiert sind. Unsere DNA ist bekanntlich ein Molekül in Form einer Doppelhelix. Die einzelnen Bausteine der DNA werden aus vier Basen gebildet, die sich jeweils zu Paaren verbinden.[5] Ist eine der vier Basen innerhalb einer Sequenz ausgetauscht, spricht man von Sequenz-Polymorphismus.[6] Solche Varianten sind zuständig für die äusserlich sichtbare Merkmalsausprägung oder werden zumindest mit dieser assoziiert.[7] Assoziation ist keine Vorhersage. Im Zusammenhang mit Phänotypisierung bedeutet vorhersagen lediglich eine wahrscheinlichkeitsbasierte Aussage.[8] Das bedeutet, dass die Phänotypisierung nicht mit Bestimmtheit, sondern immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Merkmale einer Person vorhersagen kann.

1. Augen-, Haar- und Hautfarbe

Zur Vorhersage der Augenfarbe gibt es verschiedene Verfahren. Durch diese lassen sich die Farben Blau und Dunkelbraun mit einer Testgenauigkeit von zirka 90-95 Prozent vorhersagen.[9] Zwischenfarben wie grüne oder graue Augen lassen sich weniger genau bestimmen.[10]

Die Bestimmung der Zwischenfarben ist auch bei Haarfarben schwierig. Mit verschiedenen Verfahren lassen sich diese mit folgenden Wahrscheinlichkeiten vorhersagen: schwarz zu zirka 87 Prozent, rot zu zirka 80 Prozent, braun zu zirka 78 Prozent und schliesslich blond zu zirka 69 Prozent.[11]

Bei der Vorhersagewahrscheinlichkeit der Hautfarbe manifestiert sich eine ähnliche Schwierigkeit wie bei den Haar- und Augenfarben. Sehr helle und sehr dunkle Haut können mit grosser Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden (zirka 98 beziehungsweise 95 Prozent).[12] Dazwischenliegende Nuancen sind aber schwerer zu identifizieren (zirka 80 Prozent).

2. Biogeografische Herkunft

Bei der biogeografischen Herkunft bedarf es zuerst einer Klärung des Begriffs. Biogeografische Herkunft ist nicht mit Begriffen wie Ethnie oder Rasse gleichzusetzen.[13] Die biogeografische Herkunft beschreibt allein die geografischen Regionen, aus denen die biologischen Vorfahren einer Person stammen.[14] Mittels Untersuchung gewisser DNA-Marker ist es heute mit einer hohen Zuverlässigkeit möglich, die biogeografische Herkunft einer Person zu bestimmen. Die möglichen Regionen für die Herkunftsbestimmung sind nach heutigem Forschungsstand Europa, Afrika, Ostasien, Südasien, Ozeanien und Amerika.[15] Aus den biogeografischen Wurzeln einer Person kann jedoch nur bedingt auf ihr Äusseres geschlossen werden, weshalb es sich nicht um ein äusserlich sichtbares Merkmal im klassischen Sinn handelt.[16]

3. Biologisches Alter

Ein weiteres Merkmal, welches nicht notwendigerweise mit dem äusseren Erscheinungsbild korreliert, ist das biologische Alter.[17] Das biologische Alter ist nicht zu verwechseln mit dem chronologischen Alter, welches die Jahre ab der Geburt beschreibt. Für den Altersbereich von zirka 20 bis 60 Jahren können mittels Phänotypisierung verlässliche Aussagen zum Alter einer Person getroffen werden. Ausserhalb dieses Bereichs ist die Wahrscheinlichkeit für eine genaue Altersvorhersage wesentlich geringer.

4. Weitere Merkmale

Weitere DNA-basierte Vorhersagen für andere Merkmale wie Haarstruktur, männlich genetisch bedingter Haarausfall, Sommersprossen, Gesichtsbehaarung, ergraute Kopfhaare, Gesichtsform und Körpergrösse sind weniger akkurat möglich und Gegenstand aktueller Forschung.[18] Von verlässlichen Phantombildern aus DNA-Spuren ist die Forschung noch weit entfernt.[19]

III. Grundrechtliche Reflexion des Gesetzesentwurfs

Der Vorentwurf zum neuen DNA-Profil-Gesetz hat kontroverse Reaktionen ausgelöst.[20] Die Meinungen in der Vernehmlassung könnten nicht weiter auseinandergehen. Von der vollständigen Zulassung der Phänotypisierung mit einer carte blanche für die Strafverfolgungsbehörden bezüglich Umfang und Inhalt der Anwendung bis hin zur vollständigen Ablehnung der Phänotypisierung als Ermittlungsinstrument sind diverse Meinungen vertreten. Der Gesetzesentwurf scheint einen Mittelweg begehen zu wollen. Dieser löste ebenfalls kontroverse Reaktionen aus, wie anhand den Voten aus dem Nationalrat ersichtlich wird.[21] Auch nach den Diskussionen im Nationalrat drängen sich weiterhin zahlreiche grundrechtliche Fragen auf, denen im Gesetzesentwurf bisher nicht vertieft Rechnung getragen worden ist.

1. Rechtmässigkeit von Grundrechtseingriffen

Die Ermittlungen von Strafverfolgungsbehörden haben regelmässig Grundrechtseingriffe zur Folge.[22] Grundrechtseingriffe haben den Anforderungen von Art. 36 BV[23] zu genügen.[24] Bei einer Eingriffsprüfung in Freiheitsrechte sind folgende Fragen zu beantworten:[25]

  • Liegt ein Eingriff in einen geschützten Bereich vor? Wie schwer ist der Eingriff (Eingriffsintensität)?
  • Ist der Eingriff rechtmässig (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit)?

a) Vorliegen und Intensität eines Eingriffs

Zwangsmassnahmen sind per Gesetz Verfahrenshandlungen der Strafbehörden, die in Grundrechte betroffener Personen eingreifen (Art. 196 StPO[26]). Die Phänotypisierung wird systematisch unter dem 5. Titel Zwangsmassnahmen im 5. Kapitel DNA-Analysen der StPO geregelt. Bei der Phänotypisierung handelt es sich also um eine Zwangsmassnahme im Sinne des Gesetzes. Somit sind aufgrund von Phänotypisierungen regelmässig Grundrechtseingriffe zu erwarten.

Grundrechtseingriffe unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Intensität. Eine weitere Zwangsmassnahme im Bereich der DNA-Analysen ist die Erstellung eines DNA-Profils. Das Bundesgericht erachtet den Eingriff bei der Erstellung eines DNA-Profils in konstanter Rechtsprechung als leicht.[27] Nachfolgend wird eine Abgrenzung zwischen der Phänotypisierung und dem DNA-Profil vorgenommen und aufgezeigt, weshalb es sich bei der Phänotypisierung im Gegensatz zur Erstellung eines DNA-Profils nicht um einen leichten Eingriff handelt.

aa) Abgrenzung der Phänotypisierung zum DNA-Profil

Bisher flossen Erkenntnisse aus DNA-Material nur in der Form des DNA-Profils in den Strafprozess ein. Dabei war lediglich ein eruierbares Merkmal gesetzlich vorgesehen: das biologische Geschlecht (Art. 2 Abs. 2 DNA-Profil-Gesetz).

Der Informationsgehalt der Phänotypisierung und einem DNA-Profil unterscheiden sich grundlegend. Beim DNA-Profil werden gemäss einer Formulierung des Bundesgerichts lediglich persönlichkeitsneutrale Merkmale ausgewertet.[28] Es geht in erster Linie um die zweifelsfreie Abgleichung des Spurenbilds mit Spurenmaterial einer spezifischen Person. Dazu werden nicht-codierende Sequenzen der DNA ausgelesen. Mittels Phänotypisierung werden hingegen aus dem codierenden Teil der DNA Rückschlüsse auf das äussere Erscheinungsbild einer Person gezogen. Es wird der Teil der DNA verwendet, welcher den grössten Informationsgehalt aufweist.

bb) Schwerer Eingriff durch Phänotypisierung

Bereits die Erhebung, Aufbewahrung und Bearbeitung der durch Phänotypisierung gewonnen Informationen stellen nicht unerhebliche Grundrechtseingriffe dar. Zusätzlich bereiten diese Eingriffe den Boden für weitere Zwangsmassnahmen, die ansonsten gar nicht möglich wären. Es sind Berührungen mit Grundrechten vor allem bei der Weitergabe der ermittelten Informationen, bei der weiteren Ermittlungstätigkeit aufgrund dieser Informationen und durch die anschliessende Identifizierung von spurengebenden Personen zu befürchten. Die Phänotypisierung berührt dabei in erster Linie das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und den Schutz der Privatsphäre, hier insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV).[29]

Die Eingriffsschwere beruht auf den wissenschaftlichen Hintergründen. Es wurde bereits aufgezeigt, dass sich der Informationsgehalt der beiden DNA-Analysen beträchtlich unterscheidet.

Dieses Argument wird auch durch den Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vorgebracht. Der EGMR nimmt diese Differenz in der Informationsfülle zum Anlass, um die Zulässigkeit des Eingriffs in das Recht auf Privatleben (Art. 8 EMRK) zu beurteilen.[30] Der EGMR hält fest, dass in Anbetracht der Art und des Umfangs der in den Zellproben enthaltenen personenbezogenen Informationen bereits ihre Aufbewahrung als solche als Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens der betroffenen Personen angesehen werden muss, ungeachtet der tatsächlichen Verwendung durch die Behörde oder entstandene Nachteile.[31]

Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht hat sich zur Thematik geäussert. Es sieht den absoluten geschützten Kernbereich der Persönlichkeit als nicht betroffen, solange die Eingriffsermächtigung sich nur auf den nicht-codierenden, zu etwa 30 Prozent aus Wiederholungseinheiten bestehenden Anteil der DNA bezieht, die DNA ausschliesslich zur Identitätsfeststellung verwendet und das Genmaterial nach der Identifizierung vernichtet wird.[32]

Das Bundesgericht hat sich bislang nicht zur Frage der Schwere des Grundrechtseingriffs einer Phänotypisierung äussern müssen. Es erachtet den Eingriff in Art. 13 BV bei der Erstellung eines DNA-Profils in konstanter Rechtsprechung als leicht, da sich die Analyse ausschliesslich auf nicht-codierende Abschnitte der DNA und persönlichkeitsneutrale Merkmale beschränkt, jedoch keine Aussagen über Erbanlagen oder Rückschlüsse auf Krankheiten zugelassen werden.[33]

Die Phänotypisierung beschränkt sich im Gegensatz zum DNA-Profil nicht nur auf persönlichkeitsneutrale Merkmale, sondern bedeutet die Auswertung von persönlichkeitsrelevanten Merkmalen, also dem codierenden Teil der DNA.[34] Bei einer Identifizierung lassen sich so Aussagen über persönlichkeitsbezogene Merkmale einer Person treffen, die deutlich über die Bestimmung des Geschlechts hinausgehen, wie beispielsweise die äussere Erscheinung oder Informationen über die biogeografische Herkunft. Zudem werden bei der Phänotypisierung Abschnitte ausgelesen, die Rückschlüsse auf Krankheiten erlauben. Vor allem beim Merkmal des biologischen Alters stellt dies, wie nachfolgend aufgezeigt wird, ein Problem dar.[35] Die Fülle an Informationen ist bei der Phänotypisierung erheblich grösser als bei der Erstellung eines DNA-Profils.

Die hiervor festgehaltene Rechtsprechung zeigt, dass es sich bei der Phänotypisierung nicht um einen leichten Grundrechtseingriff handelt.[36] Fraglich ist, ob nicht sogar der Kernbereich von Art. 13 BV betroffen sein könnte, sobald auf das gesamte Erbgut zugegriffen werden kann.[37] Die Botschaft betont, dass mit der vorliegenden gesetzlichen Regelung sichergestellt sei, dass durch die Phänotypisierung der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeit nicht berührt wird[38], weil keine Erkenntnisse über eine bestimmte Person eruiert werden, die diese nicht zuvor schon gegenüber der Öffentlichkeit offenbart hat. Wie hiernach aufgezeigt wird, kann dieser Argumentation nicht vorbehaltlos gefolgt werden.

b) Gesetzliche Grundlage

Je schwerer ein Eingriff in Grundrechte, desto höher sind die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage. Vor dem Erlass eines Gesetzes ist sorgfältig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Eingriffe in Grundrechte erfüllt sind.[39] Bereits bei der Gesetzgebung sind die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass unzulässige Grundrechtseingriffe bei der Anwendung unterlassen werden. Die grundrechtsgetreue Ausübung der Gesetze ist nicht einzig den gesetzesanwendenden Behörden zu überlassen. Das Gesetz selbst muss Schutz vor missbräuchlicher Ausübung staatlicher Macht bieten.[40]

Die gesetzliche Grundlage setzt sich zusammen aus dem Erfordernis der Gesetzesform und dem Erfordernis des Rechtssatzes.[41] Gemäss dem Erfordernis der Gesetzesform sind schwere Eingriffe in Freiheitsrechte auf der Stufe eines Gesetzes zu normieren, bei leichten Eingriffen reicht eine Regelung auf Verordnungsstufe aus.[42] Gemäss dem Erfordernis des Rechtssatzes muss eine gesetzliche Grundlage genügend bestimmt sein. In grundrechtssensiblen Bereichen, in welchen ein Missbrauchspotenzial imminent ist, sind vergleichsweise hohe Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage zu stellen.[43] Insbesondere im Strafprozessrecht ist eine hohe Dichte und Bestimmtheit der Norm gefordert.[44] Rechtsnormen müssen so getroffen werden, dass die Regelungsbefugnisse zwischen rechtssetzenden und rechtsanwendenden Organen richtig verteilt werden.[45] Die Normierung hat in einer Weise zu erfolgen, dass die Entscheidungen von den dazu geeigneten, sachkundigen, legitimierten Organen getroffen werden.[46] Die Wertung von Normen, die in Grundrechte eingreifen, sollen nicht unnötigerweise der Gesetzesanwendung überlassen werden.[47] Der Gesetzesentwurf wird daher auf die Verhinderung von unzulässigen Grundrechtseingriffen auf Anwendungsstufe überprüft, welche bereits durch die Rahmenbedingungen des Gesetzes verhindert werden können.

2. Konkrete grundrechtliche Probleme des Gesetzesentwurfs

Grundrechtliche Bedenken bezüglich des vorliegenden Gesetzesentwurfs zeigen sich einerseits bezüglich den auswertbaren Merkmalen und andererseits bezüglich strukturellen und verfahrensrechtlichen Punkten.

a) Problembereiche künftig auswertbarer Merkmale

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass aus einer DNA-Spur zwecks Phänotypisierung in Strafverfahren künftig die Augen‑, Haar- und Hautfarbe sowie die biogeografische Herkunft und das biologische Alter einer spurengebenden Person bestimmt werden dürfen (Art. 2b Abs. 2 E-DNA-Profil-Gesetz).

Der Katalog der aufgezählten Merkmale gilt gemäss dem Gesetzesentwurf bis zur nächsten Ergänzung als abschliessend formuliert.[48] Einige Vernehmlassungsteilnehmende haben sich gegen die Phänotypisierung in der Strafverfolgung als Ganzes geäussert.[49] Andere Teilnehmende haben sich dafür starkgemacht, noch weiter zu gehen und Merkmale ohne Einschränkung von den Strafverfolgungsbehörden auswerten zu lassen.[50] Auch im Nationalrat divergieren die Meinungen über die auswertbaren Merkmale stark.[51]

aa) Augen-, Haar- und Hautfarbe

Die Augen-, Haar- und Hautfarbe einer Person können aus DNA mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden. Der Nutzen für die Strafverfolgung liegt damit auf der Hand. Die äusserlich sichtbaren Merkmale wie Augen-, Haar- oder Hautfarbe stellen an und für sich keine besonders sensiblen Daten im Sinne des Datenschutzes dar. Die äusserlich sichtbaren Merkmale sind einer Person jeweils auch bekannt, weshalb keine Kollision mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu befürchten ist.[52]

Einige Vernehmlassungsteilnehmende und Stimmen aus dem Nationalrat äusserten Bedenken. Die Auswertung von äusserlich sichtbaren Merkmalen stelle gewisse Bevölkerungsgruppen - vor allem Minderheiten - systematisch unter Generalverdacht.[53] In Verbindung mit der Möglichkeit von Massenuntersuchungen sei künftig vermehrt mit institutionellem Rassismus zu rechnen.[54] Diesen Befürchtungen ist zuzustimmen. Insbesondere die Auswertung von Wahrscheinlichkeitsaussagen zur Hautfarbe und der biogeografischen Herkunft ist dabei ein prekäres Thema, welches im nächsten Absatz besprochen wird.

bb) Biogeografische Herkunft

Die Befürchtung von Racial Profiling und Diskriminierung von Minderheiten steht bei der Kritik zur biogeografischen Herkunft im Vordergrund.[55] Ein Analyseergebnis europäische Herkunft ermögliche in der Schweiz keine wesentliche Eingrenzung der Ermittlungen, ein Ergebnis, das auf Zugehörigkeit zu einer Minderheiten-Population deute, jedoch schon.[56] Das Diskriminierungspotenzial besteht gemäss den Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich für den Schutz von Minderheiten einsetzen, vor allem auf der operativen Ermittlungsebene. Durch berechnete Wahrscheinlichkeiten über das äusserliche Erscheinungsbild von straffälligen Personen können Minderheiten stigmatisiert und vermehrt in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden gerückt werden.[57]

Ein sehr sorgsamer Umgang mit aus der Phänotypisierung gewonnen Informationen ist unumgänglich, um den rechtsstaatlichen Grundsätzen im Strafverfahren, allen voran der Unschuldsvermutung, zu genügen. Es ist daher notwendig, dass Ergebnisse der Phänotypisierung, insbesondere die Hautfarbe und die biogeografische Herkunft, nicht leichtfertig an die Öffentlichkeit weitergegeben werden. Gemäss Zieger/Utz ist dies entscheidend, um eine Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen zu vermeiden.[58] Es reicht aber nicht aus, auf eine grundrechtsschonende Anwendung der Phänotypisierung zu hoffen. Wie hiervor aufgezeigt sind bereits beim Legiferieren die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass unverhältnismässige Grundrechtseingriffe von Anfang an unterlassen werden. Kann eine solche Ausgestaltung des Gesetzes nicht erfolgen, ist das Merkmal von Beginn weg aus dem Gesetzesentwurf zu streichen.

Das Risiko, dass die Phänotypisierung in einer Weise eingesetzt wird, die Minderheiten diskriminiert, ist ein grosses Problem.[59] Bestimmte persönliche Eigenschaften wie die Hautfarbe oder die biogeografische Herkunft können zu unterschiedlicher Behandlung durch die Strafverfolgungsbehörden führen. Diese Art der Ungleichbehandlung wirkt sich zum einen auf die betroffene Person aus, welche aufgrund ihres äusserlichen Erscheinungsbilds durch die Strafverfolgungsbehörden als potenzielle tatverdächtige Person eines Verbrechens wahrgenommen wird.[60] Zum anderen können diskriminierende Massnahmen Grund dafür sein, dass Stereotypen über ethnische Minderheiten in der Gesellschaft verstärkt und fremdenfeindliche Stimmungen gefördert werden.[61] Der Fokus verschiebt sich von einer verdächtigen Person hin zu einer Gruppe von verdächtigen Personen und somit einer Kollektivierung des Verdachts.[62] Wenn gewisse Bevölkerungsgruppen aufgrund der Phänotypisierung, beispielsweise im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung, (noch) häufiger in den Fokus der Gesellschaft rücken, so besteht die Gefahr, dass die wiederholte gleichzeitige Erwähnung von Herkunft, Aussehen, Straftat und Genetik dazu führt, dass diese vier Einzelfaktoren ein ganzes Bild suggerieren.[63] Es besteht weiter die Möglichkeit, dass die Strafverfolgungsbehörden die biogeografischen Herkunftsinformationen nicht zur Fokussierung einer Untersuchung, sondern zur Rechtfertigung der gezielten Ansprache bestimmter Bevölkerungsgruppen verwenden könnten.[64] Deutschland hat aus diesen Gründen das Merkmal der biogeografischen Herkunft richtigerweise nicht zur Auswertung zugelassen.[65]

Als Fazit ist festzuhalten, dass die befürchteten Eingriffe in Grundrechte von Drittpersonen bei diesem Merkmal schwerer wiegen, als es in der Schweiz Nutzen für die Strafverfolgung bringen kann. Das Merkmal der biogeografischen Herkunft in Art. 2b Abs. 2 lit. b E-DNA-Profil-Gesetz ist deswegen zu streichen.

cc) Biologisches Alter

Das Merkmal des biologischen Alters birgt auf den ersten Blick wenig Potenzial für Grundrechtsverletzungen durch Strafverfolgungsbehörden. Der Blick ist jedoch trügerisch. Die Krux bei diesem Merkmal liegt in einem möglichen Unterschied zwischen dem mittels DNA eruierten biologischen und dem chronologischen Alter. Kann eine spurengebende Person identifiziert werden, ist ersichtlich, ob der Alterungsprozess der DNA mit dem chronologischen Alter der Person übereinstimmt.[66] Bestehen frappante Abweichungen zwischen den beiden Grössen, kann dies auf ernsthafte Erkrankungen der spurengebenden Person hinweisen.[67] Dann entstehen zwangsläufig medizinisch relevante Überschussinformationen bei der biologischen Altersbestimmung einer identifizierten Person.[68] Überschussinformationen entstehen immer dann, wenn nicht benötigte, genetische Daten erhoben werden.

Aus dieser Gegebenheit stellen sich bedeutende Fragen für den Umgang mit der Altersbestimmung mittels Phänotypisierung. Soll beziehungsweise muss der identifizierten spurengebenden Person eine solche Abweichung, mitunter ein Indiz für eine ernsthafte Erkrankung, im Verlauf des Strafprozesses mitgeteilt werden? Wenn ja, wird der Kernbereich von Art. 13 BV dadurch tangiert?[69] Zumindest das hiervor gehörte Argument aus der Botschaft, dass durch die Phänotypisierung der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeit nicht berührt werde, weil nur Informationen eruiert werden, die der Öffentlichkeit bereits bekannt sind, könnte in dieser Konstellation fehlgehen. Eine solche Abweichung ist mitunter nicht einmal der spurengebenden Person, geschweige denn der Öffentlichkeit, bekannt.

b) Problembereiche struktureller und verfahrensrechtlicher Natur

Neben den auswertbaren Merkmalen stellen sich beim Gesetzesentwurf Fragen hinsichtlich des Grundrechtsschutzes bei Überschussinformationen, beim Anwendungsbereich der Phänotypisierung, bei der Zuständigkeit zur Anordnung der Phänotypisierung und bei der Zulassung neuer Merkmale.

aa) Überschussinformationen und Einsichtsrecht

Der Umgang mit Überschussinformationen, die beispielsweise bei der Auswertung des biologischen Alters entstehen, ist im Gesetzesentwurf geregelt. Die Entstehung von Ergebnissen, die bei der DNA-Analyse zur Phänotypisierung anfallen und nicht benötigt werden oder die ausserhalb des Katalogs der zulässigen persönlichen Merkmale liegen, sind gemäss dem Gesetzesentwurf so weit als möglich zu vermeiden (Art. 3 Abs. 1 E‑DNA-Profil-Gesetz). Fallen solche Informationen dennoch an, müssen sie beim Labor verbleiben und dürfen weder an die auftraggebende Behörde noch an Dritte weitergegeben werden (Art. 3 Abs. 2 E-DNA-Profil-Gesetz).

Es ist in grundrechtlicher Hinsicht zu verhindern, dass spurengebende Personen gegen ihren Willen mit medizinischen Informationen über sie konfrontiert werden. Gleichzeitig muss es ihnen möglich sein, Einsicht in die von ihnen gesammelten medizinischen Daten zu nehmen. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen Daten, die den Strafverfolgungsbehörden für Ermittlungszwecke aufgrund Phänotypisierung zustehen und somit Eingang in die Akten gefunden haben, und Daten, die medizinische Überschussinformationen enthalten und deswegen ausschliesslich bei den Laboren verbleiben (Art. 3 Abs. 2 E-DNA-Profil-Gesetz).

Voraussetzung für die Einsichtnahme ist die Erkenntnis der spurengebenden Person, dass mittels Phänotypisierung Daten über sie erhoben worden sind. Die Strafverfolgungsbehörden sollten eine identifizierte spurengebende Person über das Vorliegen der genetischen Daten informieren und sie auf die Möglichkeit der Dateneinsicht hinweisen.[70] Gemäss Art. 95 Abs. 2 StPO sind betroffene Personen über die Beschaffung von Personendaten, die für sie nicht erkennbar war, umgehend zu informieren. Nach Art. 101 StPO erhalten die Parteien Akteneinsicht in laufende Verfahren. Von der Phänotypisierung betroffene Personen, welche nicht Partei im Strafverfahren sind, können nach Art. 101 Abs. 3 StPO die Akten einsehen. Dieses Einsichtsrecht bedingt ein schützenswertes Interesse. In der Regel wird bereits im Vorliegen solcher medizinischen Daten ein schützenwertes Interesse bestehen. Für diejenigen Daten aus Phänotypisierung, welche Eingang in das Strafverfahren gefunden haben, ist die Information und Einsicht für betroffene Personen gestützt auf die StPO geregelt.

Zu klären bleibt, wie es mit den medizinischen Überschussinformationen aussieht, welche bei den Laboren verbleiben. Hierfür sehen weder die StPO noch das E-DNA-Profil-Gesetz eine ausdrückliche Regelung vor. Im DNA-Profil-Gesetz besteht momentan bezüglich Einsichtsrecht lediglich Art. 15. Allerdings bezieht sich Art. 15 DNA-Profil-Gesetz im Wortlaut nur auf das herkömmliche DNA-Profil. Eine direkte Anwendbarkeit dieser Norm auf genetische Daten aus Phänotypisierung ist offen. Es ist weiter fraglich, ob mittels DSG[71] ein solches Einsichtsrecht besteht. Zumindest auf hängige Strafverfahren ist das DSG nicht anwendbar (Art. 2 Abs. 2 lit. c DSG). Eine ausdrückliche Regelung im DNA-Profil-Gesetz bezüglich Einsichtsrecht in (Überschuss-)Informationen bei den Laboren wäre wünschenswert[72]. Somit würde den Erfordernissen des Rechtssatzes Rechnung getragen und die Rechtssicherheit erhöht.

bb) Anwendungsbereich der Phänotypisierung (Deliktskatalog)

In der neuen Gesetzesreglung ist vorgesehen, dass die Phänotypisierung zur Aufklärung von Verbrechen eingesetzt werden darf (Art. 258b E-StPO). In der Vernehmlassung wurde deutlich, dass die Ideen für den Anwendungsbereich der Phänotypisierung stark divergieren. Während einige Vernehmlassungsteilnehmende sich einen abschliessenden Deliktskatalog wünschen, verlangen andere die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Vergehen, wie beispielsweise Sachbeschädigung oder einfache Körperverletzung. Seitens Forschenden wird oftmals ein enger Anwendungsbereich der Phänotypisierung bevorzugt. Lang et al. finden aus Gründen der Verhältnismässigkeit und der Rechtssicherheit die Einführung eines abschliessenden Deliktskatalogs wünschenswert.[73]

Die Vernehmlassungsantworten präsentieren einige Vorschläge, wie ein solcher Deliktskatalog gestaltet werden sollte. Weniger klar umschriebene Vorschläge verlangen die Beschränkung auf schwere Gewaltverbrechen oder auf Delikte gegen Leib und Leben, die sexuelle Integrität und die Freiheit. Ein konkreterer Vorschlag erachtet den Deliktskatalog der verdeckten Ermittlung gemäss Art. 286 Abs. 2 StPO als geeignet.[74] Wie genau ein solcher Deliktskatalog aussehen könnte, müsste durch die Legislative ausgearbeitet werden. Das aus dem Nationalrat teilweise gehörte Argument, dass ein Katalog nicht sinnvoll sei, da die Gefahr bestehe, dass etwas vergessen werden könnte[75], ist nicht einleuchtend. Es betrifft die Kernkompetenz der Legislative, umfassende Gesetzgebung betreiben zu können.

Der Einführung eines Deliktskatalogs ist zuzustimmen. Der Rechtssatz muss so gestaltet werden, dass die Entscheidungskompetenz zwischen rechtsetzenden und rechtanwendenden Organen richtig verteilt wird. Die Rahmenbedingungen bei grundrechtssensiblen Gesetzesinhalten sollten, wie hiervor aufgezeigt, eng von der Legislative vorgegeben und nicht grosszügig der Rechtsanwendung überlassen werden. Diese Rahmenbedingungen können mittels Deliktskatalog geschaffen werden. Zudem stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit im Sinne von Art. 36 BV. Ist ihr allein aufgrund der Einschränkung auf Verbrechen Genüge getan? Mit der vorliegenden Regelung wäre es möglich, beispielsweise bei Veruntreuung, Diebstahl oder Urkundenfälschung eine Phänotypisierung vorzunehmen.

Die Schwere des Delikts muss die Schwere des Grundrechtseingriffs durch Phänotypisierung rechtfertigen. Aus den hiervor genannten Gründen ist eine Eingrenzung auf schwere Verbrechen mittels Deliktskatalog durch die Legislative vorzunehmen. Als Ausgangslage könnte der Deliktskatalog von Art. 168 Abs. 4 lit. a StPO[76] dienen. Dieser Katalog beschränkt sich auf schwere Straftaten[77], weswegen es aus oben genannten Überlegungen zur Verhältnismässigkeit Sinn macht, die Phänotypisierung nur bei diesen Delikten zuzulassen.

cc) Zuständigkeit für die Anordnung der Phänotypisierung

Für die Anordnung der Phänotypisierung wäre gemäss Gesetzesentwurf die Staatsanwaltschaft zuständig (Art. 198 StPO i.V.m. Art. 258b E-StPO). In den Vernehmlassungsantworten findet diese Regelung selten Zustimmung. Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmende haben sich dafür starkgemacht, dass die Polizei für die Anordnung der Phänotypisierung zuständig sein sollte.[78] Andere Teilnehmende und Stimmen aus dem Nationalrat sprachen sich wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs für eine Zuständigkeit des Zwangsmassnahmengerichts aus.[79]

Grundsätzlich ist für die Anordnung der gesetzlichen DNA-Analysen, darunter fällt auch die Phänotypisierung, die Staatsanwaltschaft zuständig.[80] Bei Zwangsmassnahmen mit starken Grundrechtseingriffen ist meist das Zwangsmassnahmengericht zuständig.[81] Im Kapitel der DNA-Analysen ist das beispielsweise bei der Anordnung von Massenuntersuchungen (Art. 256 StPO) der Fall.

Die Phänotypisierung ist, wie hiervor aufgezeigt, ein grösserer Eingriff in die Grundrechte von betroffenen Personen als die Erstellung eines DNA-Profils. Gemäss der Systematik der StPO, wonach für schwerere Grundrechtseingriffe das Zwangsmassnahmengericht zuständig ist, müsste für die Anordnung der Phänotypisierung ebenfalls das Zwangsmassnahmengericht zuständig sein. Ein weiteres Argument für die Zuständigkeit des Zwangsmassnahmengerichts ist, dass gegen die Anordnung der Phänotypisierung durch die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel ergriffen werden kann, da betroffene Personen zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis der Zwangsmassnahme haben. Damit ähnelt die Phänotypisierung in einer gewissen Weise den geheimen Zwangsmassnahmen. Dieser Umstand spricht für eine gerichtliche Zuständigkeit. Eine Regelung analog zu Art. 256 StPO erscheint demnach sinnvoll, wonach das Zwangsmassnahmengericht über die Anordnung der Phänotypisierung auf Antrag der Staatsanwaltschaft entscheiden würde. Das Zwangsmassnahmengericht hätte zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für einen solchen schweren Grundrechtseingriff im konkreten Fall gegeben sind. Diese gerichtliche Zuständigkeit würde die von der Legislative beabsichtigte Subsidiarität der Phänotypisierung unterstreichen und verhindern, dass die Anordnung in der Praxis zum Regelfall wird. Art. 258b E-StPO ist dahingehend anzupassen.

dd) Zulassung neuer Merkmale

Der Bundesrat erhält im Gesetzesentwurf mit der Delegationsnorm von Art. 2b Abs. 4 E-DNA-Profil-Gesetz die Zuständigkeit, mit dem wissenschaftlichen Fortschritt weitere äusserlich sichtbare Merkmale für die Phänotypisierung zuzulassen.[82] Die neu aufzunehmenden Merkmale werden auf Verordnungsstufe festgehalten und gelten bis zur nächsten Änderung jeweils als abschliessend formuliert.[83] Im Vorentwurf war eine solche Delegationsnorm nicht vorgesehen.

Die Mehrheit der Kantone wie auch die Strafverfolgungsorgane erachteten die abschliessende Aufzählung im Gesetz als zu starr und wollten eine Festlegung auf Verordnungsstufe oder eine nicht abschliessende Aufzählung im Gesetz. Demgegenüber forderten andere Vernehmlassungsteilnehmende und eine Minderheit im Nationalrat eine Regelung mit klaren, im Gesetz angelegten Grenzen und abschliessend definierten Merkmalen ohne Delegation.[84]

Die Delegationsnorm entspricht gemäss der Botschaft den vom Bundesgericht für die Gesetzesdelegation entwickelten Kriterien. Gemäss Botschaft ist mit der Festlegung, dass die Merkmale für eine Phänotypisierung äusserlich sichtbar sein müssen und sie keinen Inhalt über innere Werte aufweisen dürfen, die Kategorie der zulässigen Merkmale formell-gesetzlich verankert.[85] Es sei die Kategorie von Merkmalen, welche den qualitativen Umfang der schwerwiegenden Einschränkung von Grundrechten im Sinne von Art. 36 Abs. 1 BV bestimmt, die einzelnen Merkmale wie beispielsweise die Augenfarbe unterlägen jedoch nicht der Anforderung einer Verankerung in einem Gesetz im formellen Sinn.[86]

Diese Sichtweise lässt einige Bedenken aufkommen. Bereits im Gesetzesentwurf sind Merkmale aufgeführt, die nicht per se äusserlich sichtbar sind, wie beispielsweise die biogeografische Herkunft. Eine einheitliche, eng gefasste Kategorie von Merkmalen, wie in der Botschaft angegeben, existiert nicht. Es wird somit dem Bundesrat überlassen, zu bestimmen, welche Merkmale er künftig als äusserlich sichtbar erachtet und welche nicht. Eine Überprüfung neuer Merkmale durch die Legislative wird nicht mehr erfolgen. Die Legislative möchte mit der Gesetzesdelegation eine flexible Möglichkeit zur Aufnahme weiterer Merkmale im Gesetz verankern. So kann das Gesetz schnell auf den wissenschaftlichen Fortschritt reagieren. Dem zu entgegnen ist, dass das Gesetz systemimmanent hinter dem wissenschaftlichen Fortschritt zurückbleibt.[87] Vor der Gesetzgebung muss überprüft werden, ob neue Merkmale Eingang in das Gesetz finden sollen, und wenn ja, wie diese möglichst grundrechtsschonend festgeschrieben werden können.[88]

Wie hiervor aufgezeigt kann die Phänotypisierung schwere Grundrechtseingriffe bewirken, womit eine gesetzliche Grundlage auf Verordnungsstufe nicht ausreicht. Schwere Einschränkungen müssen in einem Gesetz im formellen Sinn angelegt sein, weswegen Art. 2b Abs. 4 E-DNA-Profil-Gesetz beziehungsweise die darin enthaltene Delegationsnorm zu streichen ist.

IV. Fazit und Verbesserungsvorschläge

Die Phänotypisierung stellt eindrücklich dar, was mit heutigen wissenschaftlichen Methoden in der Strafverfolgung alles möglich sein kann. Doch es ist ein schmaler Grat zwischen möglichst effizienter Strafverfolgung und ausgebautem grundrechtlichem Schutz betroffener Personen. Um diesen grundrechtlichen Schutz im vorliegenden Gesetzesentwurf stärker zu beachten, wurden folgende Verbesserungsvorschläge ausgearbeitet:

  • das Merkmal der biogeografischen Herkunft in Art. 2b Abs. 2 lit. b E-DNA-Profil-Gesetz ist zu streichen;
  • es ist ein Einsichtsrecht in die durch Phänotypisierung gewonnen Informationen gesetzlich zu verankern, unabhängig davon, ob sie für die Ermittlung relevant sind oder es sich um Überschussinformationen handelt;
  • es ist ein abschliessender Deliktskatalog betreffend Phänotypisierung einzuführen;
  • in Art. 258b E-StPO ist die Anordnungszuständigkeit des Zwangsmassnahmengerichts festzuhalten;
  • Art. 2b Abs. 4 E-DNA-Profil-Gesetz (Delegationsklausel) ist ersatzlos zu streichen.

Diese Verbesserungsvorschläge bezüglich dem Grundrechtschutz zielen allesamt auf einen restriktiveren Gebrauch der Phänotypisierung durch die Strafverfolgungsbehörden ab. Es geht um einen verhältnismässigen Einsatz der Phänotypisierung in der Strafverfolgung. Auch wenn es vor allem bei hochemotionalen Fällen naheliegend scheint, alle verfügbaren Mittel der Wissenschaft einsetzen zu wollen, gilt: Nicht alles, was wissenschaftlich möglich ist, sollte rechtlich auch erlaubt sein.



[1] Für einen kurzen Überblick vgl. Eva Novak, Phänotypisierung: Bundesrat will neue Methoden für Ermittlungen nutzbar machen, SJZ 117/2021, S. 152 ff.

[2] Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen vom 20. Juni 2003 (DNA-Profil-Gesetz; SR 363).

[4] Manfred Kayser / Peter De Knijff, Improving human forensics through advances in genetics, genomics and molecular biology, Nature Reviews Genetics 2011, Heft 12, S. 182 ff.; Erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) vom August 2019, S. 13 (zit. Erläuternder Bericht); Martin Zieger, Forensische DNA-Analyse: So viel wie nötig, so wenig wie möglich?, Jusletter vom 12. Oktober 2020, S. 13.

[5] Alexander Lang et al., Neue Anwendungen der DNA-Analyse: Chancen und Risiken, Interdisziplinäre Technikfolgeabschätzung, Zürich 2020, S. 42; Botschaft vom 4. Dezember 2020 zur Änderung des DNA-Profil-Gesetzes (BBl 2021 44), S. 76 (zit. Botschaft).

[6] Lang et al. (Fn. 5), S. 48; Botschaft (Fn. 5), S. 79.

[7] Peter M. Schneider / Barbara Prainsack / Manfred Kayser, Erweiterte forensische DNA-Analyse zur Vorhersage von Aussehen und biogeografischer Herkunft, Deutsches Ärzteblatt, Heft 51-52, 2019, S. 875; Zieger (Fn. 4), Rz. 31.

[8] Weiter muss bezüglich der Wahrscheinlichkeitsaussage zwischen der individuellen Wahrscheinlichkeit und der Testgenauigkeit unterschieden werden, vgl. dazu Lang et al. (Fn. 5), S. 229.

[9] Zu den Testverfahren IrisPlex und SHEP 1, 2 vgl. Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 874; zum Testverfahren IrisPlex vgl. Lang et al. (Fn. 5), S. 229, mit weiteren Hinweisen, Erläuternder Bericht (Fn. 4), S. 14.

[10] Vgl. Lang et al. (Fn. 5), S. 229.

[11] Zu den Testverfahren HIrisPlex und SHEP 1, 2 vgl. Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 874; zum Testverfahren HIrisPlex vgl. Erläuternder Bericht (Fn. 4), S. 14.

[12] Zu den Testverfahren HIrisPlex-S und SHEP 1, 2, 4 vgl. Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 874; zum Testverfahren HIrisPlex-S vgl. Erläuternder Bericht (Fn. 4), S. 14.

[13] Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 877.

[14] Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 877.

[15] Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 878.

[16] Zieger (Fn. 4), Rz. 32; so auch Votum NR Roth, AB 2021 N 789.

[17] Lang et al. (Fn. 5), S. 234; Zieger (Fn. 4), Rz. 33.

[18] Lang et al. (Fn. 5), S. 228 ff., mit weiteren Hinweisen; Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 877; Zieger (Fn. 4), Rz. 31.

[19] Lang et al. (Fn. 5), S. 232, 239.

[20] Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) vom Dezember 2020, S. 6 ff. (zit. Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens).

[22] Marc Jean-Richard-dit-Bressel, Strafprozessrecht in a nutshell, Zürich et al. 2020, S. 7; Wolfgang Wohlers, in: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl., Zürich et al. 2020, Art. 2 N 13.

[23] Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101).

[24] Jean-Richard-dit-Bressel (Fn. 22), S. 7.

[25] Steht eine Diskriminierung im Vordergrund, ist nach einem anderen Schema vorzugehen, vgl. zum Ganzen Ulrich Häfelin / Walter Haller / Helen Keller / Daniela Thurnherr, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 10. Aufl., Zürich et al. 2020, Rz. 304.

[26] Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; SR 312.0).

[28] BGE 128 II 259 E. 3.3; Botschaft (Fn. 5), S. 10.

[30] Urteil des EGMR 30562/04 und 30566/04 vom 4. Dezember 2008 (S. und Marper gegen Vereinigtes Königreich), Ziff. 70 ff.; Urteil des EGMR 8806/12 vom 22. Juni 2017 (Aycaguer gegen Frankreich), Ziff. 33; Gastkommentar von grundrechte.ch bei humanrights.ch vom 12. April 2021 (DNA-Profil-Gesetz: Die Phänotypisierung fördert den institutionellen Rassismus in der Polizeiarbeit; zit. Gastkommentar grundrechte.ch).

[31] Urteil des EGMR 30562/04 und 30566/04 vom 4. Dezember 2008 (S. und Marper gegen Vereinigtes Königreich), Ziff. 73.

[32] Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 103, 21 vom 14. Dezember 2000, Abs. 48; Gastkommentar grundrechte.ch (Fn. 30).

[34] Botschaft (Fn. 5), S. 72; Votum NR Schlatter, AB 2021 N 791.

[35] Vgl. zum Ganzen Votum NR Schlatter, AB 2021 N 792.

[36] Votum NR Schlatter, AB 2021 N 792; Votum NR Roth, AB 2021 N 789.

[37] So vertreten im Gastkommentar grundrechte.ch (Fn. 30).

[38] Botschaft (Fn. 5), S. 73.

[39] Gesetzgebungsleitfaden, Leitfaden für die Ausarbeitung von Erlassen des Bundes, 4. Aufl., Bern 2019, S. 180.

[40] Vgl. Judith Wyttenbach / Nicola Hofer, Die Bedeutung des Gesetzes für die Einschränkung und die Gewährleistung von EMRK-Garantien, Swiss Review of International and European Law (SRIEL) 2017, S. 351.

[41] Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr (Fn. 25), Rz. 307.

[42] Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr (Fn. 25), Rz. 310 f.

[43] Wyttenbach/Hofer (Fn. 40), S. 350 f.

[44] Vgl. Georg Müller, Methodik der Rechtsetzung, in: Biaggini/Müller/Müller/Peters/Schefer (Hrsg.), Grundprobleme der Auslegung aus Sicht des öffentlichen Rechts, Bern 2004, S. 21; Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr (Fn. 25), Rz. 308.

[45] Müller (Fn. 44), S. 13.

[46] Müller (Fn. 44), S. 13.

[48] Botschaft (Fn. 5), S. 32; Votum NR Tuena, AB 2021 N 775.

[49] Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn. 20), S. 6.

[50] Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn. 20), S. 7, 9.

[52] Zieger (Fn. 4), Rz. 43.

[53] Votum NR Roth, AB 2021 N 791.

[54] Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn. 20), S. 8.

[55] Vgl. beispielsweise Votum NR Schlatter, AB 2021 N 792.

[56] Botschaft (Fn. 5), S. 33; Votum NR Schlatter, AB 2021 N 792.

[57] Lang et al. (Fn. 5), S. 245, mit weiteren Hinweisen; Votum NR Flach, AB 2021 N 793.

[58] Martin Zieger / Silvia Utz, About DNA databasing and investigative genetic analysis of externally visible characteristics: A public survey, Forensic Science International: Genetics 2015, Heft 17, S. 171.

[59] Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 878; Votum NR Marti, AB 2021 N 776.

[60] Lang et al. (Fn. 5), S. 245.

[61] Lang et al. (Fn. 5), S. 245.

[62] Lang et al. (Fn. 5), S. 245, mit weiteren Hinweisen.

[63] Zieger (Fn. 4), Rz. 68.

[64] Kayser / De Knijff (Fn. 4), S. 183.

[65] Schneider/Prainsack/Kayser (Fn. 7), S. 875.

[66] Zieger (Fn. 4), Rz. 50.

[67] Vgl. Zieger (Fn. 4), Rz. 50.

[68] Zieger (Fn. 4), Rz. 50.

[69] Zieger (Fn. 4), Rz. 50.

[70] Zieger (Fn. 4), Rz. 55 ff., mit weiteren Hinweisen.

[71] Bundesgesetz über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 (DSG; SR 235.1).

[72] Vgl. auch Vernehmlassungsantwort des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern, S. 4; Zieger (Fn. 4), Rz. 57.

[73] Lang et al. (Fn. 5), S. 276, 311 f.

[74] Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn. 20), S. 19.

[75] Votum NR Gmür, AB 2021 N 791; Votum BR Keller-Sutter, AB 2021 N 786, 794.

[76] Das Zeugnisverweigerungsrecht entfällt bei persönlichen Beziehungen, wenn sich das Strafverfahren auf eine Straftat bezieht nach Art. 111-113, 122, 124, 140, 184, 185, 187, 189, 190 oder 191 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0).

[77] Hans Vest / Salome Huber, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 168 N 20.

[78] Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn. 20), S. 21.

[79] Votum NR Schlatter, AB 2021 N 776; Votum NR Roth, AB 2021 N 789; gegenteilige Ansicht vgl. Votum BR Keller-Sutter, AB 2021 N 782.

[80] Nichtinvasive Probenahmen wie beispielsweise der Wangenschleimhautabstrich können durch die Polizei angeordnet werden (Art. 255 Abs. 2 lit. a StPO).

[81] Vgl. Sven Zimmerlin, in: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl., Zürich et al. 2020, Art. 198 N 4.

[82] Botschaft (Fn. 5), S. 32.

[83] Botschaft (Fn. 5), S. 32.

[84] Vgl. zum Ganzen Botschaft (Fn. 5), S. 32; vgl. zusammenfassend Votum NR Roth, AB 2021 N 791.

[85] Botschaft (Fn. 5), S. 49; vgl. auch Votum NR Riniker, AB 2021 N 789.

[86] Botschaft (Fn. 5), S. 50.

[87] Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens (Fn. 20), S. 9.

[88] Vgl. auch Votum NR Flach, AB 2021 N 793.