PMT-Gesetz: Verfahren und Zweckerreichung
Markus Mohler *
Nach Darlegungen, dass keine verfassungsmässige Bundeskompetenz
zum Erlass des Gesetzes in Bezug auf das BWIS besteht und wesentliche
Begriffe im ergänzten BWIS mit der BV und der EMRK nicht
übereinstimmen, wird nun gezeigt, dass verfahrensrechtlich ein
Durcheinander besteht und unverzichtbare Verfahrensvorschriften fehlen,
was beides zu unhaltbaren rechtlichen Konsequenzen führt.
Schliessich wird belegt, dass die festgelegten Massnahmen einen
terroristischen Anschlag nicht zu verhindern vermögen, was der
Zweck der Novelle ist.
Zitiervorschlag: Markus Mohler, PMT-Gesetz:
Verfahren und Zweckerreichung, sui generis 2021, S. 167
URL: sui-generis.ch/180
DOI:
https://doi.org/10.21257/sg.180
* Markus Mohler, Dr. iur., ehem. Lehrbeauftragter an den Universitäten Basel und
St. Gallen, vormals Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt und zuvor
Staatsanwalt.
I. Vorbemerkung
Am 25. September 2020 haben die eidgenössischen Räte als
vorläufigen Umsetzungs-Abschluss der
Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung[1]
das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von
Terrorismus (PMT) verabschiedet.[2]
In zwei Beiträgen wurden bisher die Fragen der
verfassungsmässigen Bundeskompetenz zum Erlass des Gesetzes in Bezug
auf die Änderungen des BWIS[3]
ebenso wie jene nach der materiell-rechtlichen Konformität
wesentlicher Begriffe im ergänzten BWIS mit der
Bundesverfassung[4]
und der EMRK[5]
untersucht und negativ beantwortet.[6]
Im Folgenden werden zunächst verfahrensrechtliche Fragen diskutiert,
so die Subsidiarität der Massnahmen gemäss Art. 23k ff. BWIS im
Verhältnis zu den in Art. 23f Abs. 1 BWIS
erwähnten Voraussetzungen (II), die Verfahrensschritte zur Annahme der
Gefährlichkeit (III) und die Überlagerung von polizei-, also
verwaltungsrechtlichen mit straf- bzw. strafprozessualen Massnahmen
aufgrund identischer Sachverhalte (IV). Dazu wird ein kurzer Blick auf das
bereits vorhandene rechtliche Abwehrdispositiv gegenüber
Verhaltensweisen mit einem Terrorismusbezug geworfen (V). Den Abschluss
bildet eine knapp zusammengefasste Gesamtbeurteilung der BWIS-Novelle im
Rahmen des PMT-Gesetzes.
II. Die verschiedenen Subsidiaritätsbezüge für
Massnahmen nach Art. 23f BWIS
In Art. 23f Abs. 1 BWIS
wird zunächst festgeschrieben, Massnahmen nach Art. 23k bis 23q BWIS
würden verfügt, sofern mit sozialen, integrativen oder therapeutischen Massnahmen sowie
solchen des Kinder- und Erwachsenenschutzes der von der Person
(mit Bezug auf die Umschreibung in Art. 23e BWIS)
ausgehenden Gefährdung voraussichtlich nicht wirksam begegnet werden
könne (lit. a) oder die Massnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr
nicht ausreichten (lit. b) oder keine strafprozessrechtliche Massnahme (mit
derselben Wirkung wie jene nach Art. 23k bis 23q BWIS) angeordnet
wurde (lit. c).
Worauf sich die sozialen, integrativen oder therapeutischen Massnahmen
beziehen, wird in der Botschaft[7]
nicht näher ausgeführt. Die genannten Massnahmenkategorien sind
unterschiedlicher Art und stützen sich auf unterschiedliche
Rechtsgrundlagen in anderen Rechtsbereichen: Soziale und therapeutische
Massnahmen beruhen auf Bestimmungen im Zivil-,[8]
allenfalls im (kantonalen) medizinischen Recht, integrative auf das
Ausländer- und Integrationsgesetz.[9]
Im Folgenden wird untersucht, ob diese als Subsidiaritätskriterium
taugen.
1. Subsidiarität gegenüber integrativen Massnahmen als
Voraussetzung für Verfügungen nach Art. 23f BWIS
Auf Gesetzesstufe sind Integrationsmassnahmen ausschliesslich im AIG enthalten.[10]
Gemeint sein dürften das Kapitel Integration, Art. 53 ff. AIG, sowie die VIntA.[11]
Nicht anwendbar sind diese ausländerrechtlichen Bestimmungen für
Personen schweizerischer Nationalität (Art. 2 Abs. 1 AIG). Das gilt auch
für Angehörige von EU-Staaten gemäss
Freizügigkeitsabkommen und von EFTA-Staaten (Art. 2 Abs. 2 und 3 AIG). Erfasst
werden vom AIG demnach nur Personen, die von ihrer Staatszugehörigkeit
her nicht in die Kategorien von Art. 1 AIG fallen, also andere Ausländer. Darauf wird auch in der Botschaft
verwiesen: Der für die Massnahmen nach dem 5. Abschnitt des BWIS
(Massnahmen zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten)
erforderliche Datenaustausch hat mit
Integrationsfachstellen[12]
zu erfolgen (Art. 23h BWIS). Nach Art. 23k Abs. 1 BWIS kann
fedpol einen «terroristischen Gefährder»[13]
verpflichten, sich bei einer Integrationsfachstelle persönlich zu
melden und Gespräche mit einer Fachperson zu führen. Gemäss
Abs. 2 dienen diese Gespräche dazu, «die vom terroristischen
Gefährder ausgehende Gefahr und deren Entwicklung zu beurteilen»[14]. «Dass die Pflicht zur Teilnahme an Gesprächen - neben der
Einschätzung und Überprüfung der Gefährdung - auch dazu
dienen soll, der Gefährdung entgegenzuwirken (Hilfestellung zur Abkehr
von Gewalt und zur Reintegration in die Gesellschaft), soll im
Gesetz ausdrücklich verankert werden».[15]
Dies weist zunächst auf eine unterschiedliche Betrachtungsweise schon bei der Umschreibung des
«terroristischen Gefährders» nach Art. 23e BWIS hin: Sie
nimmt Personen schweizerischer Nationalität ebenso wie jene von EU-
und EFTA-Staaten bezüglich Terrorismusbekämpfung aus.
Es geht um die
Reintegration[16]
negativ bestimmter Ausländer. Wie die Praxis belegt,[17]
werden aber schweizerische Staatsangehörige ebenso von
terrorismusbezogenen Verdachtslagen bzw. strafrechtlichen Verfahren
erfasst. Sodann offenbart das Verhältnis von Abs. 2 zu Abs. 1 einen
Widerspruch: Um zu solchen Gesprächen verpflichtet werden zu
können, ist die Person als
ausländischer «terroristische Gefährder»
bereits etikettiert,[18]
nach Abs. 2 dienen die Gespräche jedoch (auch) dazu, die vom
«terroristischen Gefährder ausgehende Gefahr und deren
Entwicklung zu beurteilen sowie der Gefahr entgegenzuwirken».
Demnach ist einerseits die Gefahr für Massnahmen noch nicht dargetan,
andererseits soll ihr bereits entgegengewirkt werden.
Daraus ergibt sich (auch) eine Ungleichbehandlung (entgegen Art. 8 BV) von negativ definierten
ausländischen gegenüber schweizerischen Staatsangehörigen.
Dies ist nicht sachgerecht, da die Nationalität kein sachliches Kriterium in Bezug auf die
Gefährlichkeit einer Person sein kann.[19]
Das trifft v.a. zu, wenn die Nationalität als rechtliche, nicht aber als persönliche Eigenschaft gilt.[20]
Diese direkte Bezogenheit einer auf das Ausländerrecht gestützten
Ungleichbehandlung erscheint sehr problematisch, als eine nicht
sachgerechte Schlechterstellung.[21]
Weiteres dazu in Rz. 43, 48 f.
Daraus folgt, dass die auf integrationsrechtliche Vorbedingungen
gestützte Subsidiarität mit Bezug auf schweizerische, EU- und
EFTA-Staatsangehörige keinerlei Bedeutung hat und dass sie
hinsichtlich ausländischer Staatsangehöriger kein sachliches Kriterium sein kann.
2. Soziale Massnahmen (Art. 23f Abs. 1 lit. a BWIS)
Im ergänzten BWIS selber findet sich keine Bestimmung betreffend
soziale Massnahmen. Die Botschaft verweist auf den
Nationalen Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von
Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus
(NAP);[22]
die Gesetzesvorlage weise «ganz bewusst enge Schnittstellen mit dem
NAP auf».[23]
Vier von insgesamt 25 Massnahmen des NAP sind «operativer» Art.[24]
Die Verhinderung von extremistischem Gedankengut bei Kindern und
Jugendlichen (Massnahme 18), gezielte Interventionen bei Kindern und
Jugendlichen, deren Sicherheit oder Entwicklung gestört ist oder sein
könnte (Massnahme 19), Verhinderung von Radikalisierung, insbesondere
via Internet (Massnahme 20), Massnahmen zur Förderung des Ausstiegs
und der Reintegration (Massnahme 21).
Während die ersten beiden Massnahmen (18 und 19) auf Situationen im
Vorfeld dessen zielen, was selbst unter der gemäss Art. 23e BWIS
übermässig weiten Umschreibung von «terroristisch»[25]
verstanden werden kann, befasst sich die Massnahme 21 mit Bemühungen
nach einer strafrechtlichen Verurteilung. Bei einer fortbestehenden Gefahr
stehen hier strafrechtliche Massnahmen zur Verfügung.[26]
Die Teilnahme an allen diesen Vorkehrungen ist freiwillig, eine
Vielzahl von Organisationen wird als Akteure bezeichnet, was ebenso
für die politische Verantwortung zutrifft. Diese Vorkehrungen
können für weitere Massnahmen nicht massgebend sein.
Für diese sozialen Vorkehrungen (im NAP auch als Massnahmen
bezeichnet) gibt es auch kein Kriterium der Zielerreichung, des Erfolgs. Ein Massstab, ob diese sozialen Massnahmen voraussichtlich als nicht wirksam beurteilt werden können,
besteht nicht. Es ist auch gänzlich unklar, wer für die
Einschätzung der voraussichtlichen Unwirksamkeit verantwortlich sein
soll.
Daraus folgt, dass sich die sozialen Vorkehrungen in Gemeinden und Kantonen nicht als Subsidiaritätsvoraussetzung einer
freiheitsbeschränkenden Massnahme eignen. Dies bedeutet umgekehrt
jedoch nicht, dass sie für sich gegebenenfalls nicht sinnvoll sein
können.
3. Kinder- und Erwachsenenschutzrecht (Art. 23f Abs. 1 lit. a
BWIS)
In
Art. 23f Abs. 1 lit. a BWIS
wird auf Massnahmen des Kindes- und Erwachsenenschutzes
hingewiesen. Sie gelten im gleichen Sinn wie die sozialen Vorkehrungen (Rz.
9 ff.) auch als Vorbedingung für die Anwendbarkeit der Art. 23k ff. BWIS. Die
Regelungen über den Erwachsenenschutz und das Kindesrecht im ZGB
enthalten jedoch keine Bestimmungen, die im Zusammenhang mit der Vermeidung
von Radikalisierungen oder gar der Verhinderung terroristischer
Aktivitäten verstanden werden können. Es geht vielmehr um Massnahmen bei Selbst- und Drittgefährdung im Nahbereich und
um Personen, die an einer psychischen Störung oder geistigen
Behinderung leiden.[27]
Massnahmen des Kinder- und Erwachsenenschutzrechts dienen nicht als Ersatz,
wenn mit polizei- und straf-/strafprozessrechtlichen Vorkehrungen die
Öffentlichkeit vor gefährlichen Personen nicht genügend
geschützt werden kann.[28]
Sie können auch nicht als Subsidiaritätskriterium für die
Massnahmen nachArt. 23k BWIS gelten.[29]
4. Ungenügen der Massnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr durch
die Kantone (Art. 23f Abs. 1 lit. b BWIS)
Die sicherheitspolizeiliche Aufgabe der allgemeinen Gefahrenabwehr
bezieht sich auf eine Vielzahl möglicher, auch unvorhersehbarer
Gefahrenquellen. Es geht um im Einzelnen nicht bestimmbare Gefahrenarten
und -formen in vielgestaltigen Verhältnissen. Ausdruck davon ist u.a.
die verfassungsrechtliche Anerkennung der polizeilichen Generalklausel (Art. 36 Abs. 1, 3. Satz BV).[30]
Diese Massnahmen richten sich im Rahmen der Verhältnismässigkeit
nach dem Grad der vorliegenden oder zu ermittelnden qualitativen und
quantitativen Gefahr und ihrer Unmittelbarkeit. Eine Massnahme ist
bspw. der Polizeigewahrsam, sofern dieser notwendig ist,[31]
und als ultima ratio der Schusswaffengebrauch. Darum geht es aber
im vorliegenden Zusammenhang nicht: Diese Massnahmen sind nicht
zulässig gegenüber einer Person, bei der «Anhaltspunkte bestehen, von denen ausgegangen werden muss, dass
sie eine terroristische Aktivität ausüben wird» oder ein
bedeutendes Rechtsgut verletzen könnte.[32]
Darüber hinaus verfügt die Polizei in mehreren Kantonen über
andere Möglichkeiten zur Erkennung und/oder Verhinderung schwerer
Straftaten vor deren Ausführung. Diese Befugnisse dienen
gerade der Verdichtung oder Widerlegung eines entsprechenden (für die
Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen nicht genügenden) Verdachts.[33]
Sie beschränken sich auf die Informationsbeschaffung und
schränken Freiheitsrechte physisch nicht ein. Näheres
dazu in Ziff. VII.
Eine Subsidiarität der Massnahmen nach Art. 23k ff. BWIS zur
allgemeinen Gefahrenabwehr ergibt sich daraus jedoch nicht. Diese
exekutiv-polizeilichen Interventionen dienen entweder der unmittelbaren konkreten Gefahrenabwehr oder der Informationsgewinnung für
weitere nachrichtendienstliche oder strafprozessuale Massnahmen oder
entkräften einen Verdacht ohne physische Freiheitsbeschränkungen.
5. Keine Anordnung strafprozessualer Massnahmen (Art. 23f Abs.
1 lit. c BWIS)
Zu
Art. 23f Abs. 1 lit. c BWIS
wird in der Botschaft ausgeführt, «der Erlass
präventiv-polizeilicher Massnahmen gemäss den Artikeln 23k-23q E-BWIS [könne sich] ausnahmsweise auch bei
einem laufenden Strafverfahren rechtfertigen, wenn keine für die
Prävention von Terrorismus zielführenden strafprozessualen
Massnahmen getroffen wurden oder getroffen werden können».[34]
Es ist schwer vorstellbar, dass während eines hängigen
Strafverfahrens mit Terrorismusbezug die nach Strafprozessrecht
zulässigen Massnahmen zur Verhinderung einer solchen Straftat nicht
angeordnet werden (können).[35]
Zumindest hinsichtlich der Eingrenzung auf eine Liegenschaft als
Freiheitsentzug gelten die gleichen Voraussetzungen wie für die
Untersuchungshaft: Danach muss nach
Art. 221 Abs. 1 lit. c und Abs. 3 StPO
ernsthaft zu befürchten
sein, dass die betreffende Person ein schweres Verbrechen oder Vergehen
verüben werde. Diese Annahme muss sich auf eine ungünstige
Prognose stützen.[36]
Es geht nicht an, einen nach strafprozessrechtlichen Bestimmungen nicht
verfügbaren Freiheitsentzug durch weniger streng formulierte
verwaltungsrechtliche Voraussetzungen dennoch anzuordnen. Das verstiesse
gegen Art. 36 Abs. 1 BV sowie Treu
und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV). Vgl. dazu auch Rz. 51
ff.
6. Zwischenergebnis
Aus unterschiedlichen rechtlichen Gründen können die in
Art. 23f Abs. 1 lit. a-c BWIS
angeführten Voraussetzungen als Subsidiaritätskriterien
für die Verfügung von Massnahmen gemäss Art. 23k ff. BWIS nicht
herangezogen werden, da sie als vorgelagerte präventive Massnahmen
nicht taugen (lit. a), nicht zutreffen (lit. b) oder ihre Anwendung
missbräuchliche wäre (lit. c). Demzufolge besteht nach der hier
vertretenen Auffassung keine Subsidiarität der Massnahmen
gegenüber kantonalen Vorkehrungen oder strafprozessualen Anordnungen.
7. Wegfall der Subsidiarität bei Anträgen durch den
Nachrichtendienst des Bundes
Gemäss Art. 23i Abs. 1 BWIS kann
auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) einen Antrag auf Verfügung
einer Massnahme nach Art. 23k ff. BWIS
stellen. Dabei entfällt die Subsidiarität i.S.v. Art. 23f Abs. 1 BWIS
vollständig.[37]
Es ergeben sich daraus jedoch noch andere verfahrensrechtliche Probleme (s.
Rz. 29).
8. Die Subsidiarität der Eingrenzung auf eine Liegenschaft
gegenüber den anderen Massnahmen nach Art. 23k bis 23 n BWIS
Einer anderen Subsidiarität unterliegt nach
Art. 23o Abs. 1 lit. b BWIS
die Eingrenzung auf eine Liegenschaft als Freiheitsentzug: Danach
ist die Eingrenzung - zusätzlich zum Kriterium, dass konkrete Anhaltpunkte vorliegen, es gehe von der Person «eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter» aus - nur
statthaft, wenn die Person «gegen eine oder mehrere gestützt auf
die Artikel 23k-23n angeordnete Massnahmen verstossen
hat». Dies festzustellen, setzt vom vollziehenden Kanton eine
praktisch permanente Überwachung (Observation) voraus. Näheres
dazu in Ziff. VI. Zwar besteht diese Subsidiarität de iure, de facto aber kaum oder nicht.
Zudem stellt sich die Frage, wie sich für denselben Sachverhalt (ausg. Art. 23k BWIS,
Meldepflicht) dieser Freiheitsentzug zur möglichen Freiheitsstrafe (Art. 29a Abs. 1 BWIS) und
zu jenem gemäss Art. 74 Abs. 4 NDG[38]
verhält. Mehr dazu in Ziff. IV f.
III. Zum Kriterium für die Annahme der Gefährlichkeit
Verfügungen von freiheitsbeschränkenden Massnahmen richten sich
gegen «terroristische Gefährder», von denen eineGefahr ausgeht (vgl. Art. 23h Abs. 1 BWIS).[39]
Nach dem Gesetzeswortlaut sind dafür (konkrete und aktuelle) Anhaltspunkte, eine Einschätzung massgebend. Eine
solche Einschätzung sei «erfahrungsgemäss mit prognostischen
Unsicherheiten verbunden».[40]
Aktuell seien Anhaltspunkte, wenn sie «zum Zeitpunkt der Anordnung
einer Massnahme (noch) vorhanden» seien.[41]
Gemäss EGMR müssen die Anforderungen an die Einschätzung der
Gefährlichkeit zwar nicht gleich streng sein wie für eine
strafrechtliche Anklage oder eine Verurteilung.[42]
Die Einschätzung muss aber objektivierbar sein, auf faktenbasierten Nachweisen für die Gefährlichkeit
beruhen («factual evidence»).[43]
So urteilt das Bundesgericht in einem Fall zur Frage der
Fortsetzungsgefahr: «Die
rein hypothetische Möglichkeit der Verübung weiterer Delikte
sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten
verübt werden, reichen dagegen nicht aus, um eine Präventivhaft
zu begründen».[44]
Eine Fortsetzungsgefahr - mutatis mutandis hier eine Gefahr der
Erstbegehung «terroristischer» Straftaten - müsse ernsthaft
zu befürchten sein, was eine ungünstige Prognose
voraussetze.[45]
Da es sich beim Haftgrund der Wiederholungsgefahr um eine sichernde, polizeiliche Zwangsmassnahme handelt, die der Gefahrenabwehr dient,[46]
sind diese Anforderungen der im Strafprozessrecht geregelten auch für
die polizeirechtliche Präventivhaft gleichermassen Mindestmass.
Das Bundesgericht erachtet für die Prognose der Gefährlichkeit
ein psychiatrisches Gutachten nicht in jedem Fall für erforderlich.[47]
Das Gericht erklärt drei Elemente für das Vorliegen einer
Wiederholungsgefahr als konstitutiv: das Vortaterfordernis,[48]
die erhebliche Gefährdung der Sicherheit anderer und das ernsthafte
Befürchten der Tatwiederholung, was durch eine Rückfallprognose zu begründen sei.[49]
In den durch das ergänzte BWIS anvisierten Sachverhalten entfällt
eine Vortat und damit das erste Element. Die beiden anderen Elemente sind
anwendbar. Bei der erheblichen Gefährdung der Sicherheit anderer
stünden Delikte gegen die körperliche und sexuelle
Integrität im Vordergrund.[50]
Auch wenn das Bundesgericht nicht in jedem Fall eine psychiatrische
Begutachtung hinsichtlich des Vorliegens einer Gefahr der
künftigen Begehung von Straftaten für erforderlich erachtet,
erfüllen konkrete und aktuelle Anhaltspunkte, die bloss
«den Schluss nahe[legen], dass es in überschaubarer Zeit zu einer
Verletzung eines bedeutenden Rechtsgutes kommen könnte»[51]
- zumal beim Wegfall des Kriteriums der Vortat -, die Anforderungen an eine
belastbare Prognose der Gefährlichkeit nicht. Diese prognostische Einschätzung einer solchen Gefahr -
«Gefahr» ihrerseits unbestimmt umschrieben[52]
- bildet keine belastbare, d.h. nach objektiven Kriterien
überprüfbare Grundlage für freiheitsbeschränkende
Massnahmen.[53]
Das Kriterium der ungünstigen (Rückfall-) Prognose bedeutet, dass ernsthaft zu befürchten sein
muss, die betreffende Person begehe schwere Vergehen oder Verbrechen. Die Anhaltspunkte aber können sich bloss auf Social-Media-Profile, Setzen von «Likes» usw. zu
(allenfalls) terroristischen Inhalten beziehen. Dies entspricht (noch)
nicht einer ernsthaften Befürchtung und reicht nicht, da die
Präventivhaft einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht der
persönlichen Freiheit darstellt.[54]
Eine genügend klare und ausdrückliche Regelung liegt so nicht
vor.[55]
Dies gilt umso mehr, als für die Bestätigung oder Widerlegung des
Vorliegens von Absichten zu terrorismusbezogenen Straftaten eine ganze
Reihe rechtlicher Möglichkeiten bestehen, die keine physische
Freiheitsbeschränkung[56]
bedeuten (Näheres in Ziff. VII.).
Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich, falls die Verfügung aufgrund
eines Antrages des NDB erfolgen soll. Einerseits ist der Schutz
nachrichtendienstlicher Quellen zu beachten. Es kann nicht verlangt werden,
diese preiszugeben (und damit die internationale Zusammenarbeit oder die
Informanten zu gefährden). Andererseits kann der Schutz
angeführter nachrichtendienstlicher Hinweise nicht bis zur
Unmöglichkeit ihrer gerichtlichen Prüfung gemäss Art. 5 Abs. 1 EMRK ausgedehnt
werden.[57]
Für eine Freiheitsbeschränkung genügt die vage Einschätzung einer Gefährlichkeit nicht, zumal
diese nach Art. 23k Abs. 2 BWIS erst
noch (ohne Fachkräfte[58]) zu beurteilen ist.[59]
IV. Die gleichen Sachverhalte betreffende Straftatbestände
Durch das ergänzte BWIS ebenso wie durch den Bundesbeschluss (BB) zum
Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus[60]
wurden zwei Strafnormen beschlossen, die das Nichtbefolgen der Massnahmen
nach Art. 23k ff. BWIS
und Verhaltensweisen, wie sie auch von der Umschreibung
«terroristischer «Aktivitäten» erfasst werden,
pönalisieren.
1. Art. 29a und das Verhältnis zu Art. 23f und
23o BWIS
Art. 29a BWIS
lautet:
«Verstösse gegen Massnahmen nach den Artikeln 23k-23q
1
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer
gegen Massnahmen nach den Artikeln 23l-23q
verstösst.
2
Handelt die Täterin oder der Täter fahrlässig, so ist die
Strafe Busse.
3
Mit Busse wird bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen
die Massnahme nach Artikel 23k verstösst.»
In
Art. 23o Abs. 1 lit. b BWIS
lautet die Voraussetzung für die Eingrenzung eines
«terroristischen Gefährders» auf eine Liegenschaft:
«sie oder er gegen eine oder mehrere gestützt auf die Artikel 23k-23n angeordnete Massnahmen verstossen hat.»
Der gleiche Sachverhalt kann also gleichzeitig sowohl verwaltungs-
als auch strafrechtlich sanktioniert werden.
Strafrechtlich ergibt sich ein zusätzliches Problem: Dem Verstoss
gegen eine solche Verfügung gemäss Art. 23f BWIS geht von
der Logik her die Verfügung voraus, es handle sich um einen
«terroristischen Gefährder», sonst gäbe es keinen Grund
für eine Massnahme. Dieser notwendige erste Verfahrensschritt wird im
Gesetz jedoch nicht festgelegt und in der Botschaft nicht erwähnt; er
wird verfahrensrechtlich übergangen, wiewohl er entscheidend ist.[61]
Diese erste Verfügung, welche die Person als «terroriste potentiel» etikettiert, beruht jedoch bloss
auf Anhaltspunkten.[62]
Durch das Zusammenfallen der beiden Verfahrensschritte in
Art. 23k Abs. 1 und 2 BWIS
verstösst Art. 29a BWIS, der sich
eben auch auf diesen ersten Verfahrensschritt stützt, gegen das Bestimmtheitsgebot,[63]
auch das materiell-strafrechtliche Bestimmtheitsgebot,[64]
somit gegen das Grundprinzip von nulla poena sine lege, gegen das
Legalitätsprinzip, also gegen Art. 1 StGB[65]
und Art. 7 EMRK.
Dazu kommt ein weiteres verfahrensrechtliches Problem (s. Rz. 49).
2. Zum Straftatbestand von Art. 74 Abs. 4 NDG
Mit dem erwähnten BB betreffend das Europaratsübereinkommen (Rz.
31) wurde Art. 74 Abs. 4 NDG
geändert:
«Wer sich auf dem Gebiet der Schweiz an einer nach Absatz 1 verbotenen
Organisation oder Gruppierung beteiligt, sie personell oder materiell
unterstützt, für sie oder ihre Ziele Propagandaaktionen
organisiert, für sie anwirbt oder ihre Aktivitäten auf andere
Weise fördert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder
Geldstrafe bestraft.»[66]
Weggefallen ist die Klausel «sofern nicht strengere Strafbestimmungen
zur Anwendung kommen».
Dieser Tatbestand umschreibt gleiche Verhaltensweisen, die auch als
«terroristische Aktivitäten» nach Art. 23e Abs. 2 BWIS
gelten.
3. Das Al-Qaïda- und IS-Verbotsgesetz
Im Al-Qaïda- und IS-Verbotsgesetz[67]
besteht ein auf die Gruppierung «Al-Qaïda», die Gruppierung
«Islamischer Staat» und Tarn- und Nachfolgegruppierungen
spezifizierter, mit Art. 74 NDG
sonst identischer Straftatbestand. Durch das
Al-Qaïda- und IS-Verbotsgesetz
hat der Gesetzgeber diese Organisationen verboten.
4. Konkurrenzen
Durch diese angeführten ebenso wie seit langem bestehenden
Tatbestände (so Art. 119 Abs. 1 AIG, Missachtung
der Ein- oder Ausgrenzung;Art. 291 StGB, Verweisungsbruch; Art. 292 StGB, Ungehorsam gegen
eine amtliche Verfügung) entstehen, zumal mit unterschiedlichen
justiziellen Zuständigkeiten und unterschiedlichen Strafmassdrohungen,
unerwünschte Konkurrenzen. Geschaffen wird eine Rechtslage, die der
rechtsstaatlich erforderlichen Transparenz in keiner Weise entspricht und
zu vorhersehbarer Rechtsunsicherheit für die richtiger- oder
unrichtigerweise mit diesbezüglichen Verfahren befassten Behörden
führen.[68]
Mehrere Verhaltensweisen, welche mit diesen Straftatbeständen erfasst
werden, sollen nach dem Willen des Parlamentes ebenso zu den
«terroristischen Aktivitäten» nach Art. 23e Abs. 2 BWIS
zählen.[69]
Weiteres zu den relevanten Straftatbeständen in Ziff. VII/1.
5. Eine rechtsstaatlich gefährliche Konstellation
Die Verschränkung von administrativ und strafrechtlich
begründeten Freiheitentzügen
(Wechsel von einem administrativen in ein Strafverfahren)[70]
führt zu weiteren Problemen.
a) Verknüpfung des Tatbestandes von Art. 29a BWIS mit dem
AIG: Feindstrafrecht?
Die Betonung, wonach die Massnahmen nach Art. 23f BWIS nur
subsidiär nach der voraussichtlichen Wirkungslosigkeit integrativer, d.h. spezifisch ausländerrechtlicher
Bemühungen verfügt werden können, führt zur Frage, ob
damit für negativ definierte ausländische Staatsangehörige
(Rz. 6 f.) ein Spezialtatbestand eingeführt worden ist. Der
Gedanke, es könnte sich um eine Form von Feindstrafrecht[71]
handeln, kann daher nicht einfach ausgeschlossen werden.
Es soll hier den Verfassern dieser Gesetzesnovelle keine derartige Absicht
unterstellt werden. Erstaunlich ist aber, dass diese Gefahr einer rechtsstaatlich völlig inakzeptablen Rechtslage
nicht schon bei den Vorarbeiten bemerkt und korrigiert worden ist.
b) Rückwirkung auf die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK
(«Engel-Kriterien»)
Aus dieser Verschränkung ergibt sich zudem eine
verfahrensrechtliche Erweiterung. Was als Anhaltspunkte für
«terroristische Aktivitäten» im verwaltungsrechtlichen BWIS-Kontext umschrieben wird sowie deren
Folgen, machen diese Einschätzung (in einem ersten, gesetzlich nicht
gesondert festgelegten Verfahrensschritt[72]) - als Ausgangspunkt auch für ein Strafverfahren -
materiell-rechtlich zu einer Anklage.[73]
Damit wird hinsichtlich des Freiheitsentzuges gemäss Art. 23o BWIS neben Art. 5 EMRK punkto
Verfahrensanforderungen auch Art. 6 EMRK relevant.[74]
Das bedeutet, dass das gerichtliche Verfahren kontradiktorisch, die
Verhandlung und die Urteilseröffnung öffentlich sein müssen.[75]
Weiteres dazu nachfolgend in Rz. 55.
V. Verfahrensrechtliche Regelungen im Besonderen
Verfahrensrechtliche Schwierigkeiten ergeben sich einerseits aus der
erwähnten Verschränkung von Verwaltungs- und Straf(prozess)recht
(Rz. 48 ff.), andererseits auch innerhalb der verwaltungsrechtlichen
Bestimmungen.
Die Vorschriften in Art. 24g BWIS sind
rudimentär. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes[76]
wird in der Botschaft auf das Rechtsmittelverfahren begrenzt.[77]
Selbst diesbezüglich wird in Art. 24g BWIS nur Art. 48 VwVG,
Beschwerdelegitimation, angeführt, nicht aber die weiteren
Verfahrensnormen.
1. Zur Verschränkung von Verwaltungs- und Strafrecht
a) Nemo tenetur
Auch wenn das VwVG nicht als
Ganzes für massgebend erklärt wird, ist mangels anderer
zutreffender Erlasse von dessen Anwendbarkeit auszugehen. Nach Art. 13 Abs. 1 lit. c VwVG trifft
die von fedpol anvisierte Person eine Mitwirkungspflicht, da ihr
«nach einem anderen Bundesgesetz eine weitergehende Auskunfts- oder
Offenbarungspflicht obliegt». Eine solche ergibt sich ebenso aus Art. 23k BWIS, Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht.[78]
Wie dargelegt (Rz. 35) fallen die Verfahrensschritte der Bezeichnung einer
Person als «terroristischer Gefährder» und der darauf
gestützten Verfügung einer Massnahme, zunächst der
Gesprächsteilnahmepflicht, zusammen. Ein Verstoss gegen die Gesprächsteilnahmepflicht bildet jedoch auch den
Straftatbestand nach Art. 29a BWIS. Demnach
ergibt sich durch diese Verschränkung des verwaltungsrechtlichen mit
dem strafprozessrechtlichen Verfahren ein Verstoss gegen den Grundsatz von nemo tenetur (Art. 113 Abs. 1 StPO), da
eine Ausnahme von der Gesprächsteilnahmepflicht im BWIS nicht
stipuliert ist. Somit können die allfälligen Aussagen der
betreffenden Person gegen sie verwendet werden. Umgekehrt kann die
Verletzung der Gesprächsteilnahmepflicht zu einem Strafverfahren
gemäss Art. 29a BWIS
führen. Diese Verschränkung ist rechtsstaatlich unzulässig.[79]
Es handelt sich um die Aufhebung des (funktionalen) Abgrenzungskriteriums
zwischen Polizei- und Strafrecht.[80]
b) Zur Parallelität von verwaltungs- und strafrechtlichen
Massnahmen
Die Botschaft äussert sich nicht zum Verhältnis der Massnahmen
nach Art. 23k ff. BWIS
und den Straftatbeständen. Die «Nichteinhaltung ist nach Art. 29a BWIS strafbar
und zieht strafrechtliche Konsequenzen nach sich» (sic!).[81]
Dann folgt eine kaum verständliche Passage: «Mit diesem Wechsel
in den repressiven Bereich[82]
und den dort anwendbaren strafprozessualen Zwangsmassnahmen vermindert sich
das Bedürfnis nach weiteren präventiven Massnahmen».[83]
Heisst das, dass ein strafrechtlich nicht möglicher (unbedingter) Freiheitsentzug durch einen
solchen gestützt auf Verwaltungsrecht wegen des nämlichen
Sachverhalts dennoch angeordnet
werden darf? Zwar würden damit die formellen Anforderungen von Art. 36 Abs. 1 BV erfüllt,
doch widerspräche dies dem Gehalt dieser Norm zum Schutz der
Grundrechte.[84]
Auch erscheint die Rangfolge (zuerst strengeres Strafrecht, dann
grundsätzlich milderes Verwaltungsrecht) als Verletzung des
Verhältnismässigkeitsprinzips.[85]
Es stellt sich zudem die Frage eines Verstosses gegen ne bis in idem.
2. Zur Frage des rechtlichen Gehörs
Nicht geregelt
ist das rechtliche Gehör vor der ersten
Verfügung, d.h. vor der Bezeichnung einer Person als
«terroristischer Gefährder».[86]
Diesem ersten Verfahrensschritt mangelt es demnach an einer expliziten
verfahrensrechtlichen Grundlage. Der Anspruch auf rechtliches Gehör
stützt sich vorab auf Art. 29a Abs. 2 BV
(Grundrecht). Analog wird im verwaltungsrechtlichen Verfahren des Bundes
dieses Recht in Art. 29 VwVG
stipuliert. Die betreffenden Personen, die als «terroristischer
Gefährder» bezeichnet werden (sollen), haben daher Anspruch auf rechtliches Gehör.[87]
Dabei geht es zuerst um die Qualifikation als «terroristischer Gefährder»,
gleichzeitig aber auch um die simultan verfügte Massnahme (s. Rz. 6,
35).
Vor der erstinstanzlichen Verfügung durch fedpol könnte in
Anwendung von Art. 30 Abs. 2 lit. b VwVG auf die
Anhörung nur verzichtet werden, wenn die Verfügung durch
Beschwerde anfechtbar ist. Das Beschwerderecht steht der betroffenen Person
zu (Art. 24g Abs. 1 BWIS).[88]
Doch haben gemäss Art. 24g Abs. 3 BWIS Beschwerden keine aufschiebende Wirkung. Zwar kann die
Beschwerdeinstanz diese erteilen, «wenn der Zweck der Massnahme
dadurch nicht gefährdet wird». Der generelle Entzug der
aufschiebenden Wirkung im BWIS (lex specialis) steht dem
üblichen Verfahren entgegen: Art. 55 Abs. 1 VwVG lässt
einer Beschwerde grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommen. In
Kombination mit der Möglichkeit, das rechtliche Gehör erst im
Beschwerdeverfahren zu gewähren, widerspricht diese Rechtslage
rechtsstaatlichen Anforderungen, dem Fairnessprinzip,[89]
und bewirkt einen kurzfristigen, d.h. bis zum Entscheid der
Beschwerdeinstanz, unumkehrbaren erheblichen Rechtsnachteil in
Form der vollstreckten Freiheitsbeschränkung.
Die betroffene Partei hat ebenso gemäss Art. 26 Abs. 1 VwVG ein Akteneinsichtsrecht. Dieses kann zwar i.S. von Art. 27 Abs. 1 VwVG
eingeschränkt werden, insbesondere in Bezug auf nachrichtendienstliche
Quellen. Doch muss der Partei bereits vor der erstinstanzlichen
Verfügung die Möglichkeit gegeben werden, die Rügen, wie sie
in Art. 49 VwVG
(Beschwerdeverfahren) ausdrücklich genannt werden, vorzubringen. Das
betrifft namentlich die Einwände der
unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhaltes
und der Unangemessenheit. Andernfalls wird ihr vor der
Freiheitsbeschränkung aufgrund von Anhaltspunkten nicht einmal die
Gelegenheit gegeben, die Argumente darzulegen, dass die Prognose nicht
zutreffe.[90]
Da im gleichen Zusammenhang auch ein strafrechtliches Verfahren
durchgeführt werden kann, widerspräche dies der
Unschuldsvermutung (Art. 10 Abs. 1 StPO) und dem
Grundsatz, dass die Beweislast beim Staat liegt.
3. Die unterschiedlichen richterlichen Behörden
Hinsichtlich der Eingrenzung auf eine Liegenschaft ist gemäss Art. 23p BWIS das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern (ZMG) zuständig, den
Antrag von fedpol auf Eingrenzung auf eine Liegenschaft (oder deren
Verlängerung bzw. Ablehnung eines Aufhebungsgesuches) zu prüfen.
Unklar ist durch die ausschliessliche Nennung von Art. 48 VwVG in Art. 24g Abs. 2 BWIS, ob
für das Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern das
VwVG oder das bernische Verfahrensrecht gilt.[91]
Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über Beschwerden
gegen Entscheide des Berner Zwangsmassnahmengericht ebenso wie Beschwerden
gegen Verfügungen von fedpol betr. Verfügungen von Massnahmen
gemäss Art. 23k bis 23n BWIS.
VI. Die Massnahmen und Fragen zum Erreichen des Gesetzeszwecks
1. Die Massnahmen
Die mit Art. 23k bis 23o BWIS[92]
eingeführten Massnahmen bedeuten Einschränkungen der physischen Freiheit: Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht (Art. 23k BWIS) bis
Eingrenzung auf eine Liegenschaft (Art. 23o BWIS). Dazu
kommt die generelle Zulässigkeit der elektronischen Überwachung
und Mobilfunklokalisierung (Art. 23q BWIS).
Die Dauer ist gesetzlich festgelegt (Art. 23g Abs. 1 BWIS):
Massnahmen nach Art. 23k
bis 23n BWIS sind auf
sechs Monate mit einmaliger Möglichkeit der Verlängerung um die
gleiche Zeitspanne, also auf maximal ein Jahr, begrenzt.
Die Eingrenzung auf eine Liegenschaft wird auf drei Monate beschränkt;
zweimal ist eine Verlängerung um drei Monate zulässig (Art. 23o Abs. 5 BWIS).
Die maximale Dauer beträgt neun Monate. Die strengste Massnahme wegen der grössten eingeschätzten Gefahr
ist damit die kürzeste.
Die elektronische Überwachung und Mobilfunklokalisierung (Art. 23q Abs. 1 BWIS)
kann fedpol anordnen, «wenn die im Rahmen der
Massnahmenvollzugskontrolle bislang getroffenen Massnahmen erfolglos
geblieben sind oder der Massnahmenvollzug ohne Überwachung oder
Lokalisierung aussichtslos wäre oder übermässig erschwert
würde». Das entspricht einer gewissen Subsidiarität. Die
Überwachung ist nur zulässig, sofern sich der
«terroristische Gefährder» nicht an die Massnahme hält.
Aber sie setzt eine Überwachung in Form einer Observation voraus,
sonst könnte die Erfolglosigkeit der eigentlichen Massnahme nicht
festgestellt werden. Oder aber eine Observation erscheint aussichtslos oder
wäre «übermässig erschwert». Eine permanente technische Überwachung oder Lokalisierung ist nach
diesem Konstrukt jedoch gerade nicht zulässig, also bedarf es
der polizeirechtlichen Observation nach kantonalem Recht. Dies wirft die
Fragen nach der Zweckmässigkeit dieser Massnahme auf.
2. Was heisst «verhindern»?
Verhindern
bedeutet in der Prävention die letzte auf eine Gefahrenquelle bezogene Massnahme, um das Umschlagen einer Gefahr in einen Schadenseintritt durch eine
gezielte Intervention zu verunmöglichen (Präemption).[93]
Verhindern ist ein absoluter Begriff. Das geschieht bspw. durch eine
vorläufige Festnahme, schlimmstenfalls durch Schusswaffengebrauch.
Es ist offenkundig, dass keine der Massnahmen nach Art. 23k ff. BWIS allein
eine Gewaltstraftat z.B. eines «low cost»-Attentäters
verhindern könnte.[94]
Das Konzept verstösst damit gegen das Untermassverbot.[95]
Aber auch die andern ins Visier genommenen kommunikativen Verhaltensweisen,
bspw. Absprachen in Bezug auf eine Attentat, können auf diese Weise
nicht verhindert werden. Das wird in der Botschaft selber eingestanden,
wenn es heisst, «(e)in Verstoss gegen diese Pflichten lässt sich
zwar nicht gänzlich ausschliessen, doch dürfte von der
Strafandrohung (Art. 29a E-BWIS) zumindest eine gewisse präventive Wirkung ausgehen» (sic!).[96]
Dies ist nicht verhindern. Kernpunkt ist jedoch nicht die
Nichtbefolgung der Massnahmen, sondern das Verhindern eines Anschlages. Da auch die elektronischen Mittel
nicht zur permanenten Überwachung eingesetzt werden und die
Mobilfunklokalisierung auch erst zur nachträglichen
Feststellung einer «grobmaschigen Ortung» durch Auswertung von
Randdaten vorgesehen ist, vermögen diese nichts zur Verhinderung beizutragen.[97]
Dabei unterliegt die Voraussetzung dieser elektronischen Massnahme einem Fehlschluss: Eine elektronische Massnahme soll nur erfolgen, wenn
sich «andere Mittel und Kontrollmassnahmen als erfolglos erwiesen
haben oder der Vollzug […] ohne die elektronische Überwachung
oder die Mobilfunklokalisierung aussichtslos wäre».[98]
Die sich ohne elektronische Überwachung als erfolg- oder aussichtslos erweisenden Kontrollmassnahmen sollen
durch die nicht permanente Überwachung und die Nachträglichkeit ihrer Auswertung, also von vornherein ebenso erfolgloser Massnahme zur Verhinderung einer «terroristischen Aktivität»
ersetzt werden. Dies ergibt keinen Sinn für die Zweckerreichung des
Gesetzes.
Anzumerken ist, dass kein Polizeidienst in der Schweiz die nötigen
personellen Ressourcen hat, um während der vorgesehenen Dauer der
Massnahmen eine auch nur mehr oder weniger permanente Observation
durchzuführen, sodass sich die Aussichtlosigkeit einer nicht
permanenten elektronischen Überwachung der Massnahmenbefolgung schon
daraus ergibt.
Schliesslich entfällt eine Gefährdung durch einen
«terroristischen Gefährder», d.h. v.a. die Gefahr einer
Gewaltstraftat, auch nicht mit dem Ablauf einer gesetzlichen Frist, sondern erst dann, wenn er sich von solchen Absichten abgewendet hat.[99]
Dies ruft nach einer belastbaren Beurteilung durch Fachpersonen.
Die Massnahmen nach Art. 23k ff. BWIS taugen nicht, um die anvisierten Verhaltensweisen zu verhindern.[100]
VII. Das bestehende rechtliche Abwehrdispositiv gegenüber
terrorismusbezogenen Aktivitäten
Das auch ohne die BWIS-Novelle rechtliche Abwehrdispositiv
- gegen Verhaltensweisen, die in unterschiedlichen Arten,
u.a. in elektronischen Medien, noch vor einer strafrechtlichen Relevanz - von der Kommunikation zwischen
Einzelpersonen oder in Gruppen, Propaganda, Unterstützung bis zur
Mitgliedschaft mit einem möglichen Terrorismusbezug - reichen,
-
gegen solche, welche die strafrechtliche Schwelle überschritten haben,
ist vielfältig und verwirrlich. Aus Platzgründen kann dieses
Dispositiv - unter Ausklammerung der BWIS-Bestimmungen gemäss PMT- Mantelgesetz -
nur als knappe Übersicht dargestellt werden.
Genannt werden im Folgenden die materiell-rechtlichen Straftatbestände und verfahrens- sowie polizeirechtliche Befugnisbestimmungen, welche vor und während der Massgeblichkeit der Strafprozessordnung behördliche Abwehrmassnahmen erlauben.
1. Strafrechtliche Tatbestände
Eine Vielzahl von entweder direkt als terroristisch bezeichneten Straftaten
oder solche, die vom modus operandi her dazugehören, erlauben
- neben den nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffungen - besondere Ermittlungsarten, sei es als verdeckte Ermittlung (Art. 286 Abs. 2 StPO) bzw.
verdeckte Fahndung (Art. 298a ff. StPO) oder
eine geheime Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Art. 269 Abs. 2 StPO); sie
können hier nur summarisch angeführt werden.[101]
2. Verfahrensrechtliche Befugnisbestimmungen
Zur Informationsbeschaffung vor der Massgeblichkeit des
Strafprozessrechts liefern das NDG[102]
und das Zentralstellengesetz[103]
die gesetzlichen Grundlagen. Die kantonalen Polizeigesetze ermöglichen
ebenso vor der Anwendbarkeit der StPO Observationen, präventive
Fahndung und verdeckte Ermittlungen.[104]
Zudem sind zur Verhinderung einer schweren Straftat die
polizeilichen Zwangsmassnahmen vom Polizeigewahrsam bis zum
Schusswaffeneinsatz polizeigesetzlich geregelt.
VIII. Zusammenfassung
-
Dem Bund kommt keine Gesetzgebungskompetenz zu den sicherheitspolizeilichen Bestimmungen im BWIS zu (Beitrag I).
-
Die Umschreibung von «terroristischen
Aktivitäten» zur Bezeichnung von «terroristischen
Gefährdern»
widerspricht den völkerrechtlichen Definitionen von Terrorismus
(Beitrag II).
-
«Terroristische Aktivität» und «terroristischer
Gefährder» sind keine Legaldefinitionen und genügen
dem Bestimmtheitsgebot gemäss BV und EMRK nicht (Beitrag II).
-
Hassverbrechen, die auch als «terroristisch»
verstanden werden, werden nicht erfasst (Beitrag I).
-
Die Eingrenzung auf eine Liegenschaft, gestützt auf diese
unbestimmte Umschreibung und Annahme einer Gefährlichkeit, verletzt
Art. 5 Abs. 1 EMRK (Beitrag II).
-
Die Subsidiaritätskriterien für Massnahmen nach Art. 23k ff. BWIS taugen
als solche nicht (vorstehend, Rz. 20).
-
«Anhaltspunkte» zur Einschätzung der Gefährlichkeit
einer Person sind objektiv nicht belastbar und genügen nicht für
Grundrechtsbeschränkungen (Rz. 27 ff.).
-
Die verfahrensrechtlichen Vorgaben, auch als Grundlage für eine simultan mit polizeirechtlichen Massnahmen zu verhängende Freiheitsstrafe nach Art. 29a BWIS,
verstossen gegen das Prinzip von
nemo tenetur, andere Verfahrensgrundrechte und die Unschuldsvermutung
(Rz. 49, 54).
-
Der Freiheitsentzug nach Art. 23o BWIS soll auch
während eines Strafverfahrens möglich sein, wenn strafprozessuale
Massnahmen (Untersuchungshaft) nicht angeordnet werden können, was
gegen Art. 36 Abs. 1 BV ebenso wie
Treu und Glauben verstösst (Rz. 19).
-
Die Überschneidungen von Verwaltungs- (Polizei-)recht und Strafrecht
(StGB) für identische Sachverhalte ist unter dem Aspekt von «ne
bis in idem» problematisch.
-
Es bestehen strafrechtliche Konkurrenzfragen und unterschiedliche
Gerichtsbarkeiten (Rz. 41, 55).
-
Die Verschränkung mit strafrechtlichen Massnahmen für den
gleichen Sachverhalt kommt auch im polizeirechtlichen Verfahren einer Anklage gleich, was die
Befolgung von Art. 6 Abs. 1 EMRK
verlangt (Rz. 45).
-
Die einzelnen Massnahmen taugen nicht, um die Ausführung
einer terroristischen Straftat durch eine tatsächlich dazu bereite
Person zu verhindern (Rz. 63 ff.), das
Konzept zur Verhinderung von terroristischen Gewaltstraftaten
verstösst gegen das Untermassverbot
(Rz. 63).
[1]
Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung vom 18.
September 2015 (BBl 2015 7487).
[2]
Bundesgesetz vom 25. September 2020 über polizeiliche
Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; BBl 2020 7741).
[3]
Bundesgesetz vom 21. März 1997 über Massnahmen zur
Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS; SR 120).
[4]
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.
April 1999 (BV; SR 101).
[5]
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
abgeschlossen in Rom am 4. November 1950 (EMRK; SR 0.101).
[8]
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (ZGB; SR 210).
[9]
Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer
und über die Integration vom 16. Dezember 2005 (AIG; SR 142.20).
[10]
Kantonale Ausführungsverordnungen sind diesbezüglich
unbedeutend.
[11]
Verordnung über die Integration von Ausländerinnen und
Ausländern vom 15. August 2018 (VIntA; SR 142.205).
[12]
Im französischsprachigen Gesetzestext: «les bureaux de
l'intégration». Vgl. z.B. auch Motion 00.3585 (Schaffung
wirksamer Integrationsmassnahmen für Ausländer in der
Schweiz).
[13]
Die in diesem Text verwendete männliche Form gilt für
alle Personen.
[16]
Weshalb von Re-Integration die Rede ist, wird nicht
erklärt, weist aber auf weitere Unschärfen und
Unterscheidungen hin.
[19]
Rainer J. Schweizer, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender
(Hrsg.), Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar,
3. Aufl., Zürich 2014, Art. 8 N 65.
[20]
Bernhard Waldmann, in: Waldmann/Belser/Epiney (Hrsg.),
Schweizerische Bundesverfassung, Basler Kommentar, Basel 2015, Art.
8 N 68.
[21]
Jörg Paul Müller / Markus Schefer, Grundrechte in der
Schweiz im Rahmen der Bundesverfassung, der EMRK und der UNO-Pakte,
4. Aufl., Bern 2008, S. 714 f.
[22]
Sicherheitsverbund Schweiz, vom 4. Dezember 2017.
[28]
Thomas Geiser / Mario Etzensberger, in: Geiser/Fountoulakis
(Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 6. Aufl., Basel 2018,
Art. 426 N 43a.
[29]
Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Vorschrift in den
damaligen Nova zum ZGB,
dass das Unterbringen eines Kindes in einer geschlossenen
Einrichtung oder psychiatrischen Anstalt ebenso wie die
fürsorgerische Unterbringung
nur nach einer fachärztlichen Untersuchung und Beurteilung
verfügt werden darf. Vgl. dazu nachfolgend III.
[30]
BGE 146 I 11
E. 3.1.2; vgl. bspw. § 2 Abs. 1 Ziff. 1 PolG BS (SG 510.100): «Sie
trifft Massnahmen, um unmittelbar drohende Gefährdungen
[…] abzuwehren»; § 3 Abs. 1 lit. c PolG ZH (ON 550.1): «Abwehr
von unmittelbar drohenden Gefahren für Menschen
[…]».
[31]
Z.B. § 37 Abs. 1 Ziff. 1 PolG BS: «Die
Kantonspolizei kann vorübergehend in Gewahrsam nehmen:
Personen, die andere ernsthaft gefährden, […]».
[33]
Markus Mohler, Polizeiberuf und Polizeirecht im Rechtsstaat, Basel
2020 (zit. Polizeirecht), S. 140.
[37]
Insofern ist der Satz in der Botschaft PMT (Fn. 7), S. 4789:
«Präventiv-polizeiliche Massnahmen nach dem 5. Abschnitt
E-BWIS können lediglich subsidiär zu kantonalen
Massnahmen zur Anwendung gelangen (Art. 23f Abs. 1
E-BWIS)», diesbezüglich nicht richtig.
[38]
Bundesgesetz über den Nachrichtendienst vom 25. September 2015
(NDG; SR 121).
[39]
Zum gesetzlichen Widerspruch darin s. Rz. 6.
[42]
Urteil des EGMR 37555/97
vom 16. Januar 2001 (O'Hara gegen Vereinigtes Königreich),
§ 36.
[43]
Urteil des EGMR [GK] 43395/09 vom 23. Februar
2017 (De Tommaso gegen Italien), § 117.
[48]
Mit Ausnahmen bezüglich einer vorherigen Verurteilung wegen
einer Vortat.
[57]
EGMR, O'Hara, § 35
(«However, though Contracting States cannot be required to
establish the reasonableness of the suspicion […] by
disclosing confidential sources […], the Court has held that
[…] dealing with terrorist crime cannot justify stretching
the notion of ‹reasonableness› to the point where the
safeguard secured by Article 5 § 1 (c) is impaired.»).
Vgl. Rz. 21.
[58]
Vgl. Hinweis in Fn. 29.
[59]
Vgl. dazu Rz. 6, 35.
[62]
Vgl. Mohler, Beitrag II (Fn. 6),
Rz. 32, 37 und nachfolgend Rz. 54.
[64]
Wolfgang Wohlers, in: Wohlers/Godenzi/Schlegel (Hrsg.),
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 4. Aufl., Bern
2020, Art. 1 N 7 ff. m.w.N.; Peter Popp / Anne Berkemeier, in:
Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht I,
4. Aufl., Basel 2019, Art. 1 N 45 f.; Marcel A. Niggli / Christoph
Riedo, Viele Probleme…, in: Häner/Waldmann (Hrsg.),
Verwaltungsstrafrecht und sanktionierendes Verwaltungsrecht,
Zürich 2010, S. 55.
[65]
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0).
[67]
Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen
«Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie
verwandter Organisationen vom 12. Dezember 2014 (SR 122).
[68]
Vgl. dazu Sven Zimmerlin, Das Bundesgesetz über polizeiliche
Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT), Sicherheit
& Recht 3/2020, S. 184 ff., 190.
[71]
S. Kastriot Lubishtani / Hadrien Monod, Mesures policières de
lutte contre le terrorisme, Sicherheit & Recht 1/2020, S. 19
ff., 27 m.w.H.
[73]
Urteil des EGMR 11034/84
vom 22. Mai 1990 (Weber gegen Schweiz), §§ 33
ff., 39 f.
[75]
EGMR, De Tommaso,
§§ 167 f.; Christoph Grabenwarter / Katharina Pabel,
Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl., Basel 2016,
§ 24 N 93 ff.: Gründe für Ausnahmen im Interesse der
nationalen Sicherheit müssten spezifisch vorliegen,
§ 24 N 82. Vgl. dazu Fn. 91.
[76]
Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember
1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021).
[78]
Fedpol kann «einen terroristischen Gefährder
verpflichten, […] Gespräche mit einer oder mehreren
Fachpersonen zu führen». Zur Frage der Wirksamkeit dieser
Massnahme vgl. Rz. 63 ff. mit Fn. 99.
[79]
Vgl. dazu Rz. 48 ff. betr. nemo tenetur.
[80]
Vgl. Jennifer Pullen, Predictive Policing zwischen Gefahrenabwehr
und Strafrecht, in: Simmler (Hrsg.), Smart Criminal Justice, Basel
2021, S. 137; Patricia Schefer, Grundrechtsschutz im Zeitalter des
Predictive Policing, Von der Unschuldsvermutung zu
Ungefährlichkeitsvermutung, a.a.O, S. 145 ff.
[82]
Fehl geht in diesem Zusammenhang die Bemerkung in der Botschaft PMT (S. 4784, dort Fn. 32):
«Polizeiliche Massnahmen […] enthalten keine repressiven Komponenten».
Verwaltungs- bzw. polizeirechtliche Verfügungen können
selbstverständlich repressiver Art sein, das ist
nötigenfalls gerade ihr Zweck (bspw. Bewilligungsentzug,
Berufsverbot, Polizeigewahrsam). Vgl. z.B. Urteil des
Bundesgerichts 2C_92/2019
vom 31. Januar 2020 E. 4.2 f.; Mohler, Polizeirecht (Fn. 33), S. 56
f.
[85]
Auch eher kritisch Zimmerlin (Fn. 68),
S. 197.
[86]
Das gilt auch für Art. 3 lit. f VwVG
(«Erledigung auf der Stelle durch sofort vollstreckbare
Verfügung»), da sich dies auf Verfahren wie der
Zollabfertigung oder militärische Kommandosachen bezieht; vgl.
René Rhinow et al., Öffentliches Prozessrecht, 3. Aufl.,
Basel 2014, N 312, 317 f., 323, 328, 1227.
[87]
A.A. Patrice Martin Zumsteg, Das geplante Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur
Bekämpfung von Terrorismus (PMT) - Verfassungsgrundlage
und Verfahrensrecht, sui generis 2021, Rz. 32, 35 mit Verweis auf Zimmerlin (Fn. 68),
S. 197, der den Verzicht auf rechtliches Gehör als
«taktisch geradezu geboten» erachtet, «um den
Gefährder nicht vorzeitig zu warnen». Diese Auffassung
geht m.E. fehl. Sie verstösst, da der erste Verfahrensschritt
auch Anlass für ein Strafverfahren sein kann, gegen Art. 107 und Art. 143 Abs. 1 lit. c
i.V.m. Art. 142 Abs. 2 StPO. Sie
ist in diesem Kontext auch widersinnig, da die Person mit
Massnahmen an «terroristischen Aktivitäten»
gehindert, also gewarnt werden soll. Besteht die Gefahr einer
schwerwiegenden Straftat konkret und unmittelbar, ist die Person in
Polizeigewahrsam oder vorläufig festzunehmen, worauf ihr die
Gründe ohnehin sofort mitzuteilen sind.
[89]
Vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_152/2013 vom 27. Mai
2013 E. 4.4.
[90]
Vgl. dazu ausschliesslich für das Beschwerdeverfahren Zumsteg
(Fn. 87), Rz. 37.
[91]
Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern
(VRPG; BSG 156.21).
Diesbezügliche Fragen zum Verfahrensrecht konnte der
zuständige ZMG-Präsident in Bern auf Anfrage noch nicht
beantworten (vgl. dazu Fn. 87). S. Rz. 45.
[92]
Die spezifisch jugendrechtlichen Fragen (vgl. Art. 24f,
Altersgrenze) werden hier nicht diskutiert; eingehend dazu
Zimmerlin, (Fn. 68), S. 191 ff.
[93]
Vgl. Mohler, Polizeirecht (Fn. 33), S. 56 f.
[94]
A.A. offenbar Zimmerlin (Fn. 68), S. 193, der die Ausweitung der
Strafbarkeit von Vorbereitungshandlugen im Katalog von
Art. 260bis StGB
vorzöge. Vgl. Fn. 100.
[99]
Vgl. Interview mit Jugendanwältin Alexandra Ott, Attraktiv ist
nicht der Glaube, NZZ vom 1. April 2021, S. 13.
[100]
Vgl. Basler Zeitung vom 10. April 2021, S. 8 (Tötungsdelikt
aus Hass 2020 in Dresden); der islamistische Täter, als
Gefährder vorbestraft und registriert, unter nicht permanenter Beobachtung, meldete sich tags darauf
zum Entradikalisierungsgespräch.
[101]
Art. 111 ff., 122, 221, 223, 260bis bis 260sexies, 291, 292, 305bis StGB, Art. 74 NDG,
Art. 2 Al-Qaïda- und IS-Verbotsgesetz, Art. 118 f. AIG,
Art. 33 Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und
Munition vom 20. Juni 1997
(WG; SR 514.54), auch
i.V.m. Art. 13f BWIS.
[103]
Bundesgesetz über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des
Bundes und gemeinsame Zentren für Polizei- und
Zollzusammenarbeit mit anderen Staaten vom 7. Oktober 1994 (ZentG; SR 360), Art. 3 lit. b.