I. Väter als agents of change für Gleichstellung
Gleichstellungsrecht ist en vogue. Vaterschaftsurlaub in der Schweiz, WLB-RL in der EU[1] und #MeToo-Movement haben Gender Equality ins Rampenlicht gestellt[2]. Die Gleichstellung kann nicht ohne Männer erreicht werden[3]. In Praxis und Literatur wird die Rolle der Väter teilweise unterschätzt oder die Vereinbarkeitsproblematik nur allgemein dargestellt[4]. Oft werden Männer in der Literatur gar nicht erwähnt oder tauchen nur in dem Diktum «Gleichstellung zwischen Männer und Frauen» auf. Das Puzzle der Gleichstellung vervollständigt sich nur dann, wenn neben der Förderung der Frauen (positive action)[5] auch Männer für Gleichstellung motiviert werden. Nur gemeinsam kann eine partnerschaftliche Gleichstellung erreicht und die Work-Life-Balance (WLB) gemeistert werden.
Aus rechtlicher Sicht ergibt sich eine Ungleichbehandlung der Männer[6] oftmals aus der Tatsache, dass bei der Geburt eines Kindes nur die Mutter einen Anspruch auf Mutterschutz hat[7]. Ein eigenständiger Anspruch für Väter aufgrund der Geburt eines Kindes gibt es seit dem 1. Januar 2021 in der Schweiz und in allen EU-Ländern erst nach vollständiger Umsetzung der WLB-RL. Die Elternzeit verfolgt andere Ziele und schliesst sich zeitlich dem Mutterschutz oder Vaterschaftsurlaub an. Möchte man die Rolle der Väter stärken und auf mehr Gleichheit in der Partnerschaft[8] hinwirken, ist es unerlässlich, den Vätern ein eigenes Recht zu geben, das wahrscheinlich die Inanspruchnahme der Elternzeit durch Väter erhöht[9].
Ein erster Schritt in Richtung mehr Gleichstellung in der EU wurde mit der WLB-RL getroffen, die den Vaterschaftsurlaub auf EU-Ebene einführt.
Väter können allerdings nur als agent of change einen sinnvollen Beitrag zur Gleichstellung leisten, wenn sie die rechtlichen Möglichkeiten sowie die politische und gesellschaftliche Unterstützung haben. Hierzu gehört sowohl der Anspruch auf einen angemessen bezahlten Vaterschaftsurlaub als auch die logische Fortsetzung des Vaterschaftsurlaubs: ein für Väter reservierter, nicht übertragbarer und angemessen bezahlter Teil der Elternzeit.
1. Vaterschaftsurlaub
Der Vaterschaftsurlaub[10] als gesetzlich verankertes Recht ist zugleich gesellschaftliche Anerkennung der Rolle der Väter[11]. Der Vaterschaftsurlaub dient u.a. dem bonding with the child[12]. Neben der Etablierung eines besonderen Verhältnisses zwischen Vätern und ihren Kindern hat die frühestmögliche Einbindung der Väter auch noch den Vorteil der knock-on-Effekte[13] für die Elternzeit. Sind Väter bereits im Rahmen des Vaterschaftsurlaubs involviert, steigen die Chancen der Inanspruchnahme von Elternzeit[14], was die Gleichstellung fördert.
2. Nicht-Übertragbarkeit der Elternzeit als nudge für Väter
Für eine grössere Väterbeteiligung spielt neben dem Vaterschaftsurlaub auch die Elternzeit eine zentrale Rolle. Für Väter, die ihren Beitrag zur Gleichstellung liefern möchten, ist die Elternzeit der logische und nächste Schritt nach dem Vaterschaftsurlaub. In einem holistischen und fortschrittlichen Gleichstellungskonzept sind daher beide Elemente untrennbar verbunden. Ein Schlüsselelement des EU-Gleichstellungsrechts und der WLB-RL ist die Nicht-Übertragbarkeit des Artikel 5 Absatz 2, welcher festlegt: «Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zwei Monate des Elternurlaubs nicht übertragbar sind.» Dieses Instrument lässt sich als nudge[15] bezeichnen, weil es u.a. dazu bestimmt ist, Väter zu ermutigen, Elternzeit zu nehmen[16]. Aus rechtlicher Sicht sind hier zwei verschiedene Konzepte hervorzuheben. Entweder ist die Elternzeit als Familienrecht ausgestaltet, das der Familie insgesamt zur Verfügung steht, oder sie ist ein individuelles Recht, welches jedem Elternteil zur Verfügung steht[17]. Die WLB-RL geht vom rechtlichen Konzept des individuellen Rechtsanspruches aus. Aufbauend auf dem Konzept des individuellen Rechtsanspruches für beide Elternteile fügt sich das Konzept der Nicht-Übertragbarkeit (Art. 5 WLB-RL) ein, welches die Individualität des Rechtsanspruches noch verstärkt. Denn ohne die Vorschrift der non-transferability (NT) läuft das Konzept individueller Rechte leer. Der eine Elternteil könnte seinen Rechtsanspruch auf den anderen Elternteil übertragen und unterläuft somit nicht nur die Idee des individuellen Rechtsanspruchs sondern auch das Ziel der Gleichstellung. Deshalb fördert nur ein individueller Rechtsanspruch auf Elternzeit gepaart mit NT das Ziel der Gleichstellung. Dieses Regelungsinstrument befand sich bereits als fester Bestandteil in der Architektur der Elternzeit-RL[18]. Die Idee ist, dass jeder Elternteil genudged wird, seinen reservierten Teil[19] der Elternzeit in Anspruch zu nehmen, damit die ganze Familie, insbesondere die Kinder, von der grösstmöglichen Elternzeit profitieren können.
Zugrunde liegt dem Konzept der NT eine Überlegung aus der Verhaltensökonomie. Man spricht von status quo bias, wenn eine Person das Risiko eines Abweichens vom status quo als so hoch einschätzt, dass eine Veränderung nicht in Betracht gezogen wird. Von loss aversion spricht man, wenn Menschen eher bereit sind, Risiken einzugehen, um einen Verlust zu vermeiden, als einen Gewinn zu machen, wodurch der psychologische Effekt des Verlustes gewöhnlich als doppelt so hoch gewichtet wird im Vergleich zum positiven Effekt eines Gewinns[20]. Es kommt beim Design der rechtlichen Regel[21] also auf das richtige «framing»[22] an, also auf die Gestaltung eines Teils der Elternzeit als «Risiko des Verlusts» anstatt des «Risikos eines potenziellen Gewinns». Auch die availability heuristic und representative heuristic sind sehr eng mit dem Konzept der NT verbunden und dienen als Inspiration für eine solche Regelung. Bei der availability heuristic stellt sich der Vater die Frage, was in seinem Gehirn greifbar oder parat ist, also z.B. wie sich seine Eltern, sein eigener Vater, Freunde, Verwandte oder Kollegen in Bezug auf Vaterschaftsurlaub oder Elternzeit verhalten haben, und passen ihr Verhalten dementsprechend an[23]. Bei der representative heuristic geht es den Vätern bei der Entscheidung für oder gegen die Elternzeit darum, ihr Verhalten darauf hin zu überprüfen, ob es mit ihren vorgefestigten Auffassungen und Vorurteilen oder stereotypes korrespondiert[24]. Diese verhaltensökonomischen Überlegungen sollten bei der Regelsetzung und bei politischen Massnahmen bedacht werden. Auf die Elternzeit angewendet bedeutet dies konkret: wenn Väter «ihre» zwei Monate Elternzeit nicht in Anspruch nehmen, verfallen diese, da sie nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden können. Das Prinzip des «take it or lose it», dient als Anreiz für beide Elternteile, mindestens ihren reservierten und nicht-übertragbaren Teil zu beziehen. In der Praxis ist der Anteil der Frauen, die Elternzeit nehmen, deutlich höher als der Anteil der Männer, wodurch das politische Ziel der Erhöhung des Männeranteils an der genommen Elternzeit noch lange nicht erreicht ist[25].
Die Benutzung dieses Konzepts und die Unterstreichung seiner Wirksamkeit bei der Erreichung der Ziele der Gleichstellung rechtfertigen sich u.A., weil die Dogmatik der Verhaltensökonomie die Erkenntnisse zur loss aversion als robust und als am meisten gefestigt in der behavioral decision theory gelten[26].
Neben der Gesetzgebung sollten auch bei politischen Massnahmen[27] im Bereich des Gleichstellungsrechts behavioral economics berücksichtigt werden, insbesondere um Männer zu motivieren[28]. Konkrete empirische und experimentelle Forschung im Bereich des Vaterschaftsurlaubs und der Elternzeit stehen noch aus, könnten aber neue Einsichten liefern, ob die gewählten Mechanismen zum gewünschten Ziel führen und womöglich auch neue verhaltensökonomische Erkenntnisse liefern, was beim Design einer neuen rechtlichen Regel beachtet werden muss[29].
Schliesslich führt die Existenz und die Inanspruchnahme von Vaterschaftsurlaub und vermehrter Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter auch zu einer gleichmässigeren Risikoverteilung zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Hinblick auf die Chance, eingestellt, befördert und nicht diskriminiert zu werden[30]. Konkret bedeutet dies, dass mehr Väterbeteiligung dazu führt, dass Frauen de facto weniger diskriminiert werden. Wenn neben dem Mutterschutz der Vaterschaftsurlaub existiert und die Elternzeit so gestaltet ist, dass sie von Frauen und Männern gleichermassen in Anspruch genommen werden kann, dann ergibt sich hieraus kein Vorteil für Arbeitgeber, Männer einzustellen. Frauen und Männer können potenziell durch Familienzeiten abwesend sein, was indirekt für mehr Gleichstellung sorgt und Vorurteilen der Arbeitgeber und Kollegen vorbeugt. Ein in sich schlüssiges System von partnerschaftlich gestalteter Elternzeit sowie Mutterschutz und Vaterschaftsurlaub führt zu mehr Gleichstellung, weil es Anreize für Väter setzt, sich für mehr Gleichstellung zu engagieren.
3. Bezahlung als conditio sine qua non
Nur angemessen bezahlte Familienzeiten werden auch von Vätern genutzt. Hier besteht der Balanceakt des Gesetzgebers darin, dieses Interesse mit der Finanzierung durch den öffentlichen Haushalt in Einklang zu bringen, was häufig zu keiner[31] oder einer sub-optimalen Vergütung der Familienzeiten führt.
Indirekt hat hier auch die immer noch bestehende Lohnlücke (gender pay gap) ihren Einfluss[32]. Denn die vergleichsweise höheren Durchschnittsgehälter der Männer führen auch zur Vorsicht bei der Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs oder der Elternzeit, wenn das Familieneinkommen während dieser Zeit über Gebühr leidet. Aufgrund der Lohnlücke werden viele Entscheidungen «am Familientisch» derart getroffen, dass die Elternzeit vermehrt von Frauen in Anspruch genommen wird, damit das Familieneinkommen (wenn der Lohn des anderen Elternteils höher ist) nicht leidet. Diesem Phänomen kann nur entgegengewirkt werden, wenn der Lohnersatz bzw. die Vergütung während des Vaterschaftsurlaubs und der Elternzeit angemessen hoch ist.
4. Verpflichtender Vaterschaftsurlaub?
Eine rechtliche Möglichkeit, das Ziel der Gleichstellung zu erhöhen und die Quote der Väter, die Vaterschaftsurlaub in Anspruch nehmen, zu erhöhen, könnte auch durch den verpflichtenden Vaterschaftsurlaub erreicht werden. Weder der EU- noch der Schweizer Gesetzgeber[33] haben sich dazu entschlossen, von dieser Option Gebrauch zu machen[34]. Auf EU-Ebene und konsequenterweise durch die Mitgliedstaaten im nationalen Recht umgesetzt, gilt eine obligatorische Mindestdauer von zwei Wochen für den Mutterschaftsurlaub[35], was sich jedoch teilweise auch aus Gesundheitsschutzgründen erklären lässt. In Portugal z.B. ist der bezahlte Vaterschaftsurlaub (Licença Parental Exclusiva do Pai) so ausgestaltet, dass von insgesamt 25 Tagen 20 Tage verpflichtend für die Väter sind[36]. Das Ziel der hohen Väterbeteiligung soll über Anreizstrukturen wie z.B. die angemessene Bezahlung gesteuert werden. Die Ausführungen zur Verhaltensökonomie haben hierzu aufgezeigt, dass es neben dem verpflichtenden Vaterschaftsurlaub auch andere Möglichkeiten zur Erreichung dieser Ziele gibt, welche die Wahlfreiheit nicht einschränken.
5. Policy-mix aus rechtlichen Mindeststandards und politischen Begleitmaßnahmen
Der auf EU-Ebene im Rahmen des Vereinbarkeitspakets eingeschlagene Weg eines policy-mix zwischen rechtlichen Regeln und politischen Flankierungs-Massnahmen scheint eine vielversprechende Möglichkeit zu sein, auf die Realisierung der Gleichstellung hinzuarbeiten. Rechtliche Regeln alleine führen noch nicht zur Erreichung der politischen Ziele. Vaterschaftsurlaub muss auch durch die Väter in Anspruch genommen werden, weshalb z.B. awareness raising-Massnahmen wie Werbung und Kampagnen unerlässlich sind. Auch müssen diese Rechte von anderen Instrumenten begleitet werden, die wie z.B. die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen[37] das Ziel der Gleichstellung und der Erhöhung der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen unterstützen[38]. Die EU-Kommission hatte ihren RL-Vorschlag mit einer Mitteilung ergänzt, welches politische Massnahmen enthält, die das Ziel der Richtlinie unterstützen[39]. Diese Zielvorgaben werden seit der Annahme des Richtlinienvorschlags[40] im Jahr 2017 von der Kommission kontinuierlich umgesetzt. Die verabschiedete Gender Equality Strategy, welche die politischen Ziele der Kommission für die Gleichstellung für die Jahre 2020-2025 festlegt, enthält die ausdrückliche Absicht, diese politischen Massnahmen umzusetzen[41]. Die Schweiz hat bislang nur intern für Teile der Bundesverwaltung eine Strategie zur Geschlechtergleichstellung und Frauenrechten[42] verabschiedet. Als unterstützende Massnahme zum Rechtsrahmen eignet sich zunehmend auch das Gender mainstreaming, welches nicht nur in den EU-Verträgen verankert ist, sondern auch in der jüngsten EU-Gleichstellungsstrategie verfolgt wird[43].
II. Europarecht
1. Die WLB-RL und Minimumstandards für Väter
Nach der gescheiterten Reform der Mutterschutzrichtlinie veröffentlichte die EU-Kommission eine Roadmap im August 2015[44] und kündigte einen neuen holistischen Vorschlag zugunsten einer WLB an. Der Vorschlag für eine Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde am 26. April 2017 zusammen mit dem Folgenabschätzungsverfahren[45] und einer Studie[46] vorgestellt[47] und sogleich in der Literatur[48] und der Öffentlichkeit diskutiert[49]. Nach Kompromissfindung in der Arbeitsgruppe des Rats und im Ministerrat[50] folgte das Trilog-Verfahren[51], das den Weg für die Annahme der Richtlinie im Rat[52] ebnete. Die WLB-RL[53] wurde schliesslich vom EU-Parlament und dem Ministerrat angenommen und im Amtsblatt der EU als Richtlinie Nr. 1158 aus dem Jahre 2019 veröffentlicht[54].
Für eine ausführliche Darstellung der Elternzeit[55], Pflegeurlaub[56] und flexibler Arbeitszeitgestaltung[57] wird auf die einschlägige Literatur verwiesen, die im Nachgang zur Verabschiedung der WLB-RL ergangen ist.[58] In aller Kürze soll nur hervorgehoben werden, dass sowohl der Vaterschaftsurlaub (zehn Tage, Vergütung auf dem Niveau des Krankengeldes) und der Pflegeurlaub (fünf unbezahlte Tage pro Jahr) neue Errungenschaften auf EU-Ebene sind, wobei die Elternzeit (vier Monate pro Elternteil, von denen zwei Monate nicht übertragbar sind, die angemessene Bezahlung obliegt den Mitgliedstaaten) und die flexible Arbeitszeitgestaltung bereits im EU-Recht verankert waren und nun verbessert werden.
Der Vaterschaftsurlaub ist im EU-Recht als ein absolutes Recht ausgestaltet[59]. Väter haben somit nach der Umsetzung in nationales Recht in allen 27 EU-Mitgliedstaaten einen Rechtsanspruch (ohne Zustimmung des Arbeitsgebers) auf zehn Tage Vaterschaftsurlaub. Nach Artikel 4 Absatz 2 WLB-RL entsteht dieser Anspruch «anlässlich der Geburt», der Bezugsrahmen grenzt somit an die Zeit der Geburt des Kindes an, ohne wie im Schweizer Recht eine konkrete Bezugszeit zu nennen[60]. Der Vaterschaftsurlaub kann auch teilweise vor der Geburt des Kindes oder ausschliesslich danach genommen werden, sofern die Mitgliedstaaten dies festlegen. Darüber hinaus sieht Artikel 4 Absatz 2 WLB-RL vor, dass der Vaterschaftsurlaub grundsätzlich auch in flexibler Form bezogen werden kann, sofern die MS hierzu Regelungen treffen[61]. Die Regelungen der Mitgliedstaaten müssen in jedem Fall mit den Zielen der Richtlinie, insbesondere der gleichmässigeren Aufteilung von Betreuungs- und Pflegeaufgaben zwischen Frauen und Männern, vereinbar sein.
2. Diskriminierungs- und Kündigungsschutz in der WLB-RL
Neben Artikel 4, welcher in materieller Hinsicht den Vaterschaftsurlaub rechtlich verankert, sind der Diskriminierungsschutz[62] und der Kündigungsschutz[63] der Richtlinie von essenzieller Bedeutung. Nur wenn garantiert ist, dass keine negativen Folgen durch die Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs zu befürchten sind, wird auch von den Rechten Gebrauch gemacht[64]. Anders als das Schweizer Recht sieht die WLB-RL aus diesem Grund vor, dass keine «Schlechterstellung von Arbeitnehmern aufgrund der Beantragung oder Inanspruchnahme eines Urlaubs gemäß Artikel 4» erfolgen darf. Schutzzweck dieser Vorschrift ist, dass Väter nicht vor einer Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs zurückschrecken, weil sie negative Konsequenzen von ihrem Arbeitgeber fürchten. Ungleiche Behandlungen von Arbeitnehmern, die Vaterschaftsurlaub beantragen oder in Anspruch nehmen, sind somit verboten und schützen die Väter. Auch dies ist zentrales Element der Ermutigung an Väter, Gebrauch von Ihren Rechten zu machen. Eine Eurobarometer-Umfrage zeigte, dass sich Väter mehr Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten wünschen und mehr Schutz und Garantien im Hinblick auf die Karriere fordern[65]. Ein effektiver Diskriminierungs- und Kündigungsschutz ist somit zentrales rechtliches Instrumentarium, um die volle Wirksamkeit des Vaterschaftsurlaubs zu gewährleisten.
Hieraus ergibt sich, dass sowohl Artikel 4 als auch der umfassende Diskriminierungs- und Kündigungsschutz in nationales Recht umzusetzen ist, auch wenn von der Flexibilisierungsklausel des Artikel 20 Absatz 7 (für den Vaterschaftsurlaub) Gebrauch gemacht wird[66]. Denn die Ausnahme von der Regel, dass ein Vaterschaftsurlaub gemäss Artikel 4 im nationalen Recht zu schaffen ist, bezieht sich nur auf die Vergütung des Vaterschaftsurlaubs, nicht auf den Vaterschaftsurlaub an sich. Darüber hinaus sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Ausnahmevorschriften stets eng auszulegen[67]. Sollten Mitgliedstaaten also von dieser Ausnahmevorschrift Gebrauch machen, sollten sie darauf achten, die Vorgaben der Richtlinie zum Diskriminierungs- und Kündigungsschutz vollumfänglich ins nationale Recht umzusetzen. Andernfalls stellt dies eine Verletzung der Umsetzungspflicht dar, die ein Vertragsverletzungsverfahren i.S.v. Art. 258 AEUV nach sich ziehen kann[68].
III. Schweizer Recht
Das Prinzip der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen ist sowohl in der Bundesverfassung[69] als auch in dem Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann geregelt[70]. Bis 2020 sah das Schweizer Recht im Bereich der Familienzeiten nur den Mutterschaftsurlaub vor[71]. Insgesamt steht die Schweiz, welche das ILO-Übereinkommen Nr. 156[72] «über die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer: Arbeitnehmer mit Familienpflichten» nicht ratifiziert hat, in Europa laut einer UNICEF-Studie auf dem letzten Platz, wenn es um die familienfreundlichen Regelungen und politischen Massnahmen geht[73]. Der Vaterschaftsurlaub ist neu in der Schweiz[74]. Zwar gibt es bereits vereinzelt Vorschriften für den öffentlichen Sektor[75] und in bestimmten Branchen und Unternehmen wird Vaterschaftsurlaub im Arbeitsvertrag[76] angeboten[77], jedoch gibt es im Bundesrecht keinen Anspruch der Väter auf Vaterschaftsurlaub. Im Schweizer Recht blieb vielen Vätern allein die Möglichkeit, sich anlässlich der Geburt ihres Kindes aufgrund des Obligationenrechts frei zu nehmen[78]. Weder der normale Ferienanspruch noch eine generelle Freistellung kann einen Vaterschaftsurlaub ersetzen.
1. Vaterschaftsurlaub in der Abstimmung vom 27. September 2020
Bei der Ausarbeitung der Vorlage hat sich die Schweiz am internationalen Status quo zum Vaterschaftsurlaub orientiert[79]. Aufgrund der Tatsache, dass erwerbstätige Mütter in der Schweiz nach der Geburt ihres Kindes einen gesetzlichen Anspruch auf 14 Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub haben[80], Väter hingegen nur auf die (Sonder-)Urlaubsregel des Art. 329 Abs. 3 OR zurückgreifen konnten, sieht der Gesetzesvorschlag einen zweiwöchigen bezahlten Vaterschaftsurlaub vor.
Am 27. September 2020 haben die Schweizer Stimmberechtigten die Änderung des Erwerbsersatzgesetzes zur Schaffung eines Vaterschaftsurlaubs mit einer Mehrheit von 59,34% angenommen[81]. Der Bundesrat setzte den Vaterschaftsurlaub am 1. Januar 2021 im Bundesrecht in Kraft. Die Empfehlung vom Bundesrat und dem Parlament lautete, «[der Vaterschaftsurlaub] erleichtert die Beteiligung des Vaters an der Betreuung seines Kindes und entlastet die Mutter. Er entspricht einem weit verbreiteten Anliegen und verursacht keinen übermäßigen finanziellen oder organisatorischen Aufwand»[82].
2. Vaterschaftsurlaub in der Schweiz
Die rechtliche Vorlage für den Vaterschaftsurlaub wurde als Änderung des Bundesgesetzes über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft ausgestaltet[83]. Seit dem 1. Januar 2021 haben Väter innerhalb einer Rahmenfrist von sechs Monaten[84] ab Geburt eines Kindes das Recht auf zwei Wochen bezahlten Urlaub[85], der wie die Mutterschaftsentschädigung über die Erwerbsersatzordnung (EO) finanziert wird. Anspruchsberechtigt ist der Mann, der «im Zeitpunkt der Geburt des Kindes der rechtliche Vater ist oder dies innerhalb der folgenden sechs Monate wird»[86]. Im Hinblick auf arbeits- und versicherungsrechtliche Anspruchsvoraussetzungen ist erwähnenswert, dass der Vater neun Monate vor der Geburt des Kindes obligatorisch versichert gewesen sein muss[87] und mindestens fünf Monate erwerbstätig gewesen sein muss[88], entweder als Arbeitnehmer[89], als Selbstständiger[90] oder im Betrieb der Ehefrau mitgearbeitet hat[91]. Das Schweizer Recht bietet größtmögliche Flexibilität und ermöglicht wie im EU-Recht, die Inanspruchnahme am Stück oder einzeln auf verteilte Tage[92]. Interessanterweise sieht der Gesetzgeber auch explizit vor, dass eine Kürzung des Ferienanspruchs durch den Arbeitgeber aufgrund der Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs ausdrücklich verboten ist[93]. Dies stärkt das eigenständige Recht für Väter und stellt klar, dass der Arbeitgeber das Recht auf Vaterschaftsurlaub ernst zu nehmen hat.
Im Hinblick auf die Bezahlung wird der Erwerbsausfall im Vaterschaftsurlaub aufgrund der gleichen Grundsätze wie beim Mutterschaftsurlaub entschädigt[94]. Die Entschädigung beträgt 80 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens vor der Geburt des Kindes[95], höchstens aber 196 Franken pro Tag[96]. Für zwei Wochen Urlaub werden 14 Taggelder ausbezahlt, was einen Höchstbetrag von 2'744 Franken ergibt.
Die Anspruchsberechtigung knüpft somit an vier kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen an: 1) rechtlicher Vater, 2) Pflichtversicherung von neun Monaten vor Geburt, 3) Mindestberufstätigkeit von fünf Monaten im Pflichtversicherungszeitraum und 4) im Zeitpunkt der Geburt erwerbstätig sein[97].
Anders als im EU-Recht und grosszügiger im Anwendungsbereich, knüpft das Schweizer Recht nicht an den engen Arbeitnehmerbegriff an, sondern gewährt eine Entschädigung für «Väter, die zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes erwerbstätig waren, sei es als Arbeitnehmer oder als Selbstständigerwerbender»[98].
Auch sieht das Schweizer Recht verschiedene Möglichkeiten vor, wie die Entschädigung ausgezahlt wird, entweder direkt an den Arbeitnehmer oder an den Arbeitgeber, wenn dieser den Lohn während des Urlaubs weiterhin bezahlt.
Im Vergleich zum EU-Recht stellt sich im Schweizer Recht die Frage nach einem angemessenen Diskriminierungsschutz bei der Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs[99]. Die Bundesverfassung sieht in Art. 8 Abs. 3 Satz 1 BV die Gleichstellung von Mann und Frau vor[100]. Das Gleichstellungsgesetz (GlG) verankert in Art. 3 ein allgemeines Diskriminierungsverbot unter Berufung «auf die familiäre Situation»[101]. Das Bundesgericht hat in einer Rechtssache zur Vaterschaftsentschädigung (vor Bestehen des Vaterschaftsurlaubs) zwar eine Schlechterstellung von Vätern gegenüber Müttern festgestellt, jedoch entschieden, dass in dem Nichtbestehen von Vaterschaftsentschädigung oder Elternurlaub keine Diskriminierung zu sehen ist[102]. Auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR in der Sache[103] Markin gegen Russland lässt sich argumentieren, dass Art. 8 Abs. 3 BV eine effektive Inanspruchnahme der Rechte durch Väter verlangt. Die Verfassungsrechtler argumentieren zwar, dass in Art. 8 Abs. 3 BV grundsätzlich ein einklagbares Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bestehe[104], sich jedoch «aus Art. 8 Abs. 3 Satz 1 kein einklagbarer Anspruch auf die Beseitigung sozialer Unterschiede zwischen Mann und Frau in Form von geschlechtsbezogenen sozialgestalterischen Massnahmen ableiten» lässt. Laut den Kommentatoren sei hierfür «der Gesetzgeber zuständig; dieser ist allerdings angehalten, bei der Beseitigung formalrechtlicher Ungleichbehandlungen der Geschlechter gleichzeitig für eine tatsächliche Gleichstellung in den damit zusammenhängenden Lebensbereichen zu sorgen»[105]. Hierauf aufbauend zu argumentieren, dass eine verfassungskonforme Auslegung der Norm es gebührt, dass Väter wirksam vor Diskriminierung[106] geschützt werden, wenn sie den Vaterschaftsurlaub in Anspruch nehmen, wäre zwar wünschenswert, dürfte aber vom Wortlaut der Verfassung nicht mehr gedeckt sein. Es bleibt abzuwarten, ob im Lichte der Neuregelung des Vaterschaftsurlaub hierzu Rechtsprechung ergehen wird, sofern Diskriminierungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Vaterschaftsurlaubs auftreten[107].
Schliesslich soll noch abschliessend zur teilweise in der Literatur aufgeworfenen Frage der «Portabilität» des Vaterschaftsurlaubs bei Wechsel des Arbeitsplatzes Stellung genommen werden. Im Gegensatz zu Stimmen in der Literatur dürfte im Lichte des Ziels des Vaterschaftsurlaubs, welcher gerade nicht wie der klassische Urlaub an das konkrete Arbeitsverhältnis und einen konkreten Arbeitgeber gebunden ist, sondern unabhängig vom Arbeitgeber und einem Arbeitsvertrag besteht, das Prinzip der «Portabilität» zu bejahen sein. Der Vater hat allein aufgrund der Tatsache der Geburt seines Kindes sowie der Existenz seines Arbeitsverhältnisses an sich einen Anspruch, welcher, sofern er nicht voll ausgeschöpft ist, gegenüber dem nächsten Arbeitgeber geltend gemacht werden kann und dies unabhängig davon, was der Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist[108]. Dies dürfte aufgrund der Schutzrichtung des Vaterschaftsurlaubs auch für die Bindung zwischen Kind und Vater zu sorgen und der sehr geringen Dauer von zehn Tagen für Arbeitgeber als verhältnismässig hinzunehmen sein.
3. Der nächste Schritt für die Gleichstellung: die Elternzeit
Vergleicht man die Schweiz mit Europa, so hat der Gesetzgeber noch Arbeit im Haus der Gleichstellung[109]. Nachdem im Januar 2021 der Vaterschaftsurlaub im Bundesrecht in Kraft trat, ist das nächste Projekt in der Pipeline des schweizerischen Gesetzgebers nun die Elternzeit[110]. Seit Jahren fordern Parlamentarier[111] und die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF) die Einführung einer Elternzeit in der Schweiz und haben hierzu Studien in Auftrag gegeben[112]. Der Modellvorschlag der EKFF[113] sieht hierbei ähnlich dem EU-Recht acht Wochen[114] für Väter vor, die nicht übertragbar sind und somit verloren gehen, wenn Väter sie nicht in Anspruch nehmen. Andere parlamentarische Initiativen (PI) sehen 14 Wochen Elternzeit für beide Elternteile[115] vor oder die Schaffung von 14 Wochen Elternurlaub als Ergänzung zum Mutterschutzurlaub[116]. Dies deutet darauf hin, dass die verhaltensökonomischen Einsichten in den Schweizer Reformvorschlägen zur Elternzeit berücksichtigt werden.
IV. Analyse und Ausblick
Echte Gleichstellung, wie in der Schweizer Verfassung oder den EU-Verträgen verankert, kann nur mit einem soliden rechtlichen Rahmen für die Väterbeteiligung und begleitendenden politischen Massnahmen wie Kinderbetreuung erreicht werden. Unerlässlich ist auch ein Bewusstsein in der Bevölkerung, dass Gleichstellung im Allgemeinen und Kinderbetreuung im Besonderen nicht «Frauensache» ist, sondern ein gemeinsames Anliegen von Männern und Frauen gleichermassen. Hier ist die Berücksichtigung von Einsichten der Verhaltensökonomie sinnvoll sowohl im Hinblick auf das Design des Rechtsrahmens, bei der Implementierung von politischen Massnahmen und der Finanzierung und Umsetzung von Projekten[117]. Die Ausführungen zur Verhaltensökonomie haben z.B. gezeigt, dass bei einer anreizbasierten Ausgestaltung des Rechts auf Vaterschaftsurlaub keine Verpflichtung zur Inanspruchnahme notwendig ist. Auch die Ausgestaltung der Elternzeit mit dem Element der Nicht-Übertragbarkeit dürfte zusammen mit einer angemessenen Bezahlung für Gesetzgeber interessant sein, wenn sie die Ziele der Gleichstellung und eine stärkere Einbeziehung der Väter erreichen wollen.
Schweizer Recht und EU-Recht können von der jeweils anderen rechtlichen Ausgestaltung des Vaterschaftsurlaubs im Besonderen und der Elternzeit im Allgemeinen lernen. Das EU-Recht kann sich insbesondere beim weiten Anwendungsbereich des Vaterschaftsurlaubs inspirieren lassen, in dem die Schweiz ein Modell gewählt hat, dass für Angestellte und Selbstständige gilt. In Anbetracht der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt[118] erscheint dies zumindest eine zeitgemässe Entwicklung[119].
Die Schweiz kann Inspiration aus dem EU-Recht zur Elternzeit ziehen. Nicht zuletzt das Prinzip der Nicht-Übertragbarkeit dürfte mit den Schweizer Gleichstellungszielen übereinstimmen, die mit dem Vaterschaftsurlaub gesetzt wurden. Bei der Höhe der Vergütung könnte sich die Schweiz an der EU oder den skandinavischen Modellen orientieren[120]. Die EU verlangt lediglich eine «angemessene Bezahlung» und überlässt den Mitgliedstaaten die Festlegung der Höhe. Aus der Verhaltensökonomik und den Ausführungen zur Risikoverteilung ergibt sich, dass ein umfassender Diskriminierungsschutz sowohl für den Vaterschaftsurlaub als auch für den Elternurlaub unerlässlich ist. Die Erkenntnisse der Verhaltensökonomik sind sowohl für das politische Ziel der erhöhten Väterbeteiligung bei der Gleichstellung als auch beim Design rechtlicher Regeln zu beachten.