I. Einleitung
Rechtsprechung und Diskurs zur Impfpflicht von Personen finden sich bis zur Coronavirus-Pandemie vorwiegend im Bereich des Schul- und Familienrechts[1] sowie der Pflege[2]. Die vom Bund in der Schweiz empfohlenen Impfungen[3] sind unterschiedlich akzeptiert[4]. Gegen das Coronavirus (SARS-CoV-2) ist die Bevölkerung jedoch ungenügend immunisiert[5], sodass die Covid-19-Impfungen zurzeit die einzige Möglichkeit zu sein scheinen, weitere Ansteckungen und schwere Krankheitsverläufe zu verringern oder gar zu verhindern. Mit zunehmender Durchimpfung werden Bund und Kantone die weiteren Präventionsmassnahmen lockern oder aufheben können[6]. Deren negative soziale und wirtschaftliche Folgen, die mit zunehmender Dauer einschneidender werden, lassen sich dadurch beschränken[7].
Sowohl das schweizerische Bundesgericht wie die Kommission des Europäischen Menschrechtsgerichtshofes haben eine obligatorische Impfung als Verletzung der Grund- bzw. Menschenrechte anerkannt, deren Zulässigkeit jedoch bei vorhandener gesetzlicher Grundlage, Vorliegen eines öffentlichen Interesses und bei gegebener Verhältnismässigkeit (Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit) bejaht[8]. Die Nationale Ethikkommission (NEK) im Bereich Humanmedizin erachtet ein Impfobligatorium für Covid-19-Impfungen als nicht gerechtfertigt, da eine Wirkung zurzeit einzig zum Selbstschutz nachgewiesen sei. Dadurch würde in unverhältnismässiger Weise in wesentliche Grundrechte und Freiheiten eingegriffen[9]. Dem sind Bund sowie Kantone gefolgt und haben bis heute auf den Erlass einer staatlichen Impfpflicht verzichtet[10]. Mit anderen Worten werden eine positive, präventive Schutzpflicht des Staates bezüglich körperlicher Unversehrtheit (Art. 10 Abs. 2 BV) abgelehnt[11] und das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen[12] betont.
Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen kann nicht unbesehen auf das Arbeitsverhältnis übertragen werden. Die Arbeitgebenden haben zwingend die Gesundheit ihrer Arbeitnehmenden zu schützen und dürfen sich ihren gesetzlichen Schutzpflichten nicht entziehen[13]. Zu diskutieren ist daher, ob private Arbeitgebende die Covid-19-Impfung im Rahmen des Gesundheitsschutzes anordnen dürfen oder sogar müssen. Dabei sind die Begriffe «Impfpflicht» und «Impfzwang» abzugrenzen. Eine Pflicht im rechtlichen Sinne kann als Anforderung, die von aussen herantritt und verbindlich ist, definiert werden[14]. Zwang demgegenüber bedeutet Einwirkung von aussen unter Anwendung oder Androhung von Gewalt[15]. Ausübung von Zwang fällt unter das Gewaltmonopol des Staates[16], weshalb die Ausübung von Zwang seitens privater Arbeitgebender nicht in Frage kommt.
II. Impfpflicht
1. Vertragsfreiheit
Individuen ist es erlaubt, Vertragsverhältnisse nach ihrem Willen mit von ihnen gewählten Partnern abzuschliessen und zu gestalten[17], wobei vor allem die Rechtswidrigkeit der Vertragsfreiheit eine Schranke setzt[18]. Eine Kontrahierungspflicht widerspricht dem Wesen der Privatautonomie und fehlt im schweizerischen Arbeitsvertragsrecht. Immerhin dürfen Anstellungen weder aus geschlechterdiskriminierenden Gründen[19] noch wider Treu und Glauben bzw. in persönlichkeitsverletzender Weise abgelehnt werden[20], womit eine gewisse Einschränkung der negativen Partnerwahlfreiheit besteht[21]. Das Arbeitsverhältnis zeichnet sich als Dauerschuldverhältnis durch die besondere Verbindung der Vertragsparteien aus, bei dem die Treue- und Fürsorgepflicht die Parteien in der inhaltlichen Gestaltung beschneiden[22]. Dadurch erfolgt von Gesetzes wegen eine Beschränkung der Inhaltsfreiheit.
2. Persönlichkeitsschutz
Im Zusammenhang mit einer Impfpflicht erfordert der Persönlichkeitsschutz eine nähere Betrachtung. Dabei ist eine Verletzung, die Persönlichkeitsrechtswidrigkeit, anhand der gesamten geschriebenen und ungeschriebenen schweizerischen Rechtsordnung inkl. Verfassungsrecht zu prüfen[23]. Unzulässig ist insbesondere, sich seiner Freiheit zu entäussern (Art. 27 Abs. 2 ZGB[24]), mithin Verträge abzuschliessen, welche die physische Freiheit, die körperliche Integrität oder die Intimsphäre, also den Kernbereich der Persönlichkeit, beeinträchtigen[25], wobei sich die Persönlichkeitsrechtswidrigkeit aus dem Gegenstand der Bindung oder dem Übermass ergibt[26]. Im Arbeitsverhältnis verlangen die betrieblichen Bedürfnisse eine Interessenabwägung[27].
Rudolph bejaht zu Recht die Gültigkeit der Zustimmung des Arbeitnehmenden zu einer vertraglichen Impfverpflichtung, sofern dies der Fürsorge und nicht eigennützigen Interessen des Arbeitgebenden dient[28]. Die vertragliche Zustimmung für mögliche, zukünftige Impfungen entbindet den Arbeitgebenden jedoch nicht davon, bei der konkreten Anordnung deren Notwendigkeit zu prüfen[29]. Zu beachten ist, dass der Arbeitnehmende mit der Zustimmung zu einer vertraglichen Impfpflicht bzw. zu einer konkreten Impfung nicht sein Persönlichkeitsrecht auf körperliche Unversehrtheit insgesamt aufgibt, was unzulässig wäre[30]. Vielmehr verzichtet er einzig auf dessen Ausübung in einem konkreten Einzelfall. Diese Form der Selbstbestimmung fällt weder in den Schutzbereich des Entäusserungsverbots (Art. 27 Abs. 2 ZGB) noch des arbeitsrechtlichen Verzichtsverbots (Art. 341 Abs. 1 OR)[31]. Ob eine rein einseitige Anordnung der Impfung im Rahmen des Weisungsrechts (Art. 321d OR) zulässig ist, erfordert demgegenüber eine weitergehende Prüfung[32].
Mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrages und der Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebenden verzichtet der Arbeitnehmende freiwillig (teilweise) auf die Ausübung seiner Persönlichkeitsrechte[33] und unterstellt sich der Weisungsgewalt des Arbeitgebenden[34]. Dieser hat im Rahmen seiner Fürsorgepflicht (Art. 328 OR) den Arbeitnehmenden im Gegenzug zu schützen und dessen Interessen in guten Treuen zu wahren, was gleichermassen sein Weisungsrecht begrenzt[35]. Der Umfang dieser Pflicht ist im Rahmen von Treu und Glauben im Einzelfall festzustellen[36]. Der Persönlichkeitsschutz bietet Zugang für die mittelbare bzw. indirekte Drittwirkung von Grundrechten[37]. Im Arbeitsverhältnis werden über den Persönlichkeitsschutz hinaus das Willkürverbot, aber auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit zu beachten sein[38]. Demgegenüber kann sich ein Arbeitgebender auf die Wirtschaftsfreiheit und seine berechtigten Interessen berufen[39]. Als berechtigte Interessen sind die gesetzlichen Verpflichtungen des Arbeitgebenden gegenüber Personal, Kunden und weiteren Dritten sowie die weiteren Erfordernisse des Arbeitsverhältnisses zu verstehen[40].
Die berechtigten Interessen der Arbeitgebenden haben sich auf eine Rechtsgrundlage zu stützen und im Rahmen einer Interessenabwägung ist den gegenseitigen Pflichten und Rechten Rechnung zu tragen. Damit müssen einseitige Eingriffe in die (verfassungsmässigen) Rechte eines einzelnen Arbeitnehmenden oder ein vertraglicher Verzicht auf die Ausübung derselben möglich sowie zulässig sein. Vice versa kann der Arbeitgebende seine Rechte ebenfalls nicht uneingeschränkt ausüben. Insofern fehlt ein absoluter Schutz von (verfassungsmässigen) Rechten der Vertragsparteien im Arbeitsverhältnis.
3. Rechtsgrundlagen
Eine Impfpflicht wird bei betrieblicher Notwendigkeit, namentlich beim Gesundheitspersonal, breit befürwortet[41]. Dies soll neben der Minimierung von Krankheitsabsenzen vor allem der Fürsorge gegenüber Patienten und Patientinnen dienen[42]. Als dogmatische Rechtsgrundlage für die Impfpflicht (einzig) Art. 321d OR anzurufen, überzeugt nicht[43]. Das Weisungsrecht kann nur als Grundlage für die tatsächliche Verwirklichung von notwendigen Anordnungen (Ausführungsgrundlage) und nicht als Rechtfertigung der Notwendigkeit im Einzelfall verstanden werden. So beschränkt denn die Pflicht zum Persönlichkeitsschutz den möglichen Inhalt von Weisungen[44]. Ob Weisungen inhaltlich zulässig sind, muss mithin anhand einer Grundsatznorm mit sachlichem Bezug zum Thema der konkreten Weisung geprüft werden. Bei der vorliegend zu diskutierenden Impfpflicht drängen sich die Vorschriften zum Gesundheitsschutz (Art. 328 OR, Art. 6 ArG, Art. 82 Abs. 1 UVG[45]) als primäre Rechtsgrundlagen auf[46]. Hinzu kommen die spezifischen Verpflichtungen der Arbeitgebenden, gestützt auf die Covid-19-Gesetzgebung, ihre Arbeitnehmenden vor Ansteckungen mit dem Coronavirus zu schützen. Diese sind als Konkretisierung der allgemeinen Verpflichtung zum Gesundheitsschutz zu verstehen[47]. Arbeitgebende haben alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. Arbeitgebende haben die Massnahmen regelmässig zu überprüfen und weiterzuentwickeln[48]. Der Gesundheitsschutz ist umfassend zu verstehen und deckt sämtliche Aspekte der physischen und psychischen Integrität des gesamten Personals ab[49].
Soweit ersichtlich wurde bis jetzt nicht weiter diskutiert, ob die Impfpflicht eine dienstliche oder ausserdienstliche Verhaltensanweisung darstellt, wobei Letztere grundsätzlich unzulässig wäre[50]. Zweifellos beschlägt eine Impfpflicht das Privatleben der Arbeitnehmenden; wäre dies nicht der Fall, läge gar kein Eingriff in die Persönlichkeit vor[51]. Hingegen stünde diese in direktem Zusammenhang mit der Arbeitsausübung sowie dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, weshalb ebenso wenig von einer rein ausserdienstlichen Weisung gesprochen werden kann. Im Fokus steht die Konkretisierung des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz, weshalb von einer dienstlichen Weisung mit Auswirkungen auf das Privatleben auszugehen ist. Verflechtung von privaten sowie betrieblichen Wirkungen sind unabhängig von der Qualifikation der Weisung hinlänglich bekannt[52]. Die Zulässigkeit entfällt damit nicht per se.
Sofern mithin die Verwirklichung des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz eine Impfpflicht als notwendig erscheinen lässt, muss diese grundsätzlich als möglich bejaht werden, wofür das Weisungsrecht das Mittel zum Zweck darstellt[53]. Der Arbeitgebende ist denn zu allen sachlich gebotenen Weisungen berechtigt, wozu der Gesundheitsschutz zählt[54]. Allerdings dürfen Grundrechte der Arbeitnehmenden nur soweit beschränkt werden, als dies für die Erfüllung des Arbeitsvertrages notwendig ist[55]. Damit wird eine sorgfältige Interessenabwägung im Einzelfall verlangt[56].
4. Interessenabwägung
a) Eignung
Vorausgesetzt ist, dass die in der Schweiz durch Swissmedic[57] zugelassenen und von der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF)[58] empfohlenen Covid-19-Impfungen aus medizinischer Sicht geeignet sind, das Ansteckungsrisiko und damit das Risiko für schwere Krankheitsverläufe deutlich zu reduzieren (Wirksamkeit von rund 95% beider zugelassener Impfstoffe)[59]. Zudem scheinen die unerwünschten Impferscheinungen (Nebenwirkungen) gering[60]. An der grundsätzlichen Eignung ändert nichts, dass beide Impfstoffe vorerst eine befristete Zulassung erhalten haben, welche gewährt wird, wenn Arzneimittel bei lebensbedrohenden Krankheiten möglichst schnell betroffenen Patienten verfügbar gemacht werden sollen. Eine befristete Zulassung stellt gegenüber einem Normalverfahren reduzierte Anforderungen an die Vollständigkeit der klinischen Dokumentation[61], ohne dass auf einen grossen therapeutischen Nutzen und die Sicherheit verzichtet werden darf (Art. 9a HMG). Beide zugelassene Produkte enthalten mRNA-Impfstoffe, bei welchen ein Stück des RNA-Bauplans des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) verwendet wird, um dem Körper eine Abwehrreaktion beizubringen. Dieses Prinzip wird bereits seit über zwanzig Jahren verwendet[62].
Die Gerichte werden die Eignung der Impfung im Rahmen des Gesundheitsschutzes unter Einbezug der genannten oder weiterer medizinischer Beurteilungen zu prüfen haben[63], wobei diese Einschätzungen durch die rechtsanwendenden Stellen zu würdigen sind. Soweit die Zulassung von Covid-19-Impfstoffen von Swissmedic und die Empfehlung seitens der EKIF vorliegen, darf aus arbeitsrechtlicher Sicht die Eignung einer Impfpflicht bereits dann bejaht werden, wenn Personen vor einer Ansteckung und damit schweren Krankheitsverläufen geschützt werden können (Selbstschutz)[64]. Auf individueller Ebene dürfen indes keine Kontraindikationen vorliegen. Nicht wissenschaftlich fundierten, subjektiven Überzeugungen von Impfgegnern fehlt demgegenüber die Relevanz[65].
b) Erforderlichkeit
Langer geht davon aus, dass auch die Erforderlichkeit der Impfung im Rahmen des Gesundheitsschutzes durch Experten und Expertinnen zu beurteilen wäre, wobei dies von den Gerichten bis anhin jedoch verneint worden sei[66]. Er weist darauf hin, dass die Entscheide jeweils unter dem Eindruck schwerer Infektionskrankheiten gefällt worden seien. Die Bedrohung durch das Coronavirus darf als sehr ernst bezeichnet werden, wobei die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Impfung jeweils an die laufende Entwicklung anzupassen ist[67]. Fachpersonen bei Erfüllung des Gesundheitsschutzes zu konsultieren, ist für das Arbeitsverhältnis nicht unbekannt[68]. Ihre Einschätzungen bilden Grundlage für die erforderlichen Massnahmen, welche sie aufgrund der Wirksamkeit zu beurteilen haben. Betriebliche Entscheidungsträger werden in der Praxis wie die Gerichte die Situation anhand der konkreten Umstände und gegebenenfalls unter Beizug von Expertisen zu beurteilen sowie die notwendigen Entscheide zu fällen haben[69].
Die bestehenden Schutzmassnahmen wie Homeoffice, Masken, Händehygiene, Distanz, Testungen usw. vermögen Ansteckungen am Arbeitsplatz zu reduzieren, jedoch nicht gänzlich zu verhindern, wobei letztlich offen ist, welche Massnahmen welchen Wirkungskreis aufweisen[70]. Das Risiko einer Ansteckung nimmt bei engeren, häufigeren und länger andauernden Kontakten zu[71]. Je ernster sich die epidemiologische Lage präsentiert, desto stärker rückt daher die Impfung als erforderliche Schutzmassnahme ins Zentrum[72]. Im Zusammenhang mit dem Pflegepersonal eines Spitals hat das Verwaltungsgericht St. Gallen mit aller Deutlichkeit festgehalten, dass das konsequente Impfen des Personals im Gesundheitswesen einen wirksamen Schutz der Patienten und des Personals gegen das Hepatitis B-Virus biete, weshalb alle mit einem beruflichen Risiko (ausgenommen Verwaltungspersonal) dagegen zu impfen seien. Andere Massnahmen, wie regelmässige Untersuchungen auf Antikörper, führten immer zu einem Restrisiko, zumal akute Infektionen oft unbemerkt verliefen[73]. Insofern dürften Massentestungen als mildere Massnahme zu beurteilen sein, jedoch nicht überall ausreichen[74].
Eine Impfung stellt einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines Arbeitnehmenden dar, weshalb an die Erforderlichkeit selbst in einem Pandemiefall hohe Anforderungen zu stellen sind[75]. Dies mag bei etablierten Impfungen anders zu beurteilen sein, jedoch kann der Eingriff nicht auf eine kurze Einwirkung durch den Stich reduziert werden[76]. Die Impfpflicht soll und muss als letztes Mittel eingesetzt werden[77]. Entsprechend wird die Impfpflicht primär bei Personal im Gesundheitswesen im engeren Sinne (Ärzteschaft und Pflege) bejaht[78], bei welchen die bekannten Schutzmassnahmen ungenügend sind (Risikopatienten) oder gar nicht durchgeführt werden können (Distanz). Dieser äusserst eingegrenzten Bejahung der Impfpflicht kann nicht gefolgt werden. Die Pflicht der Arbeitgebenden zum Gesundheitsschutz zielt auf das eigene Personal, wobei der Einzelne nicht zuletzt vor sich selbst geschützt werden muss[79]. Dies ist nicht anders zu beurteilen als beispielsweise die Helmtragepflicht auf einer Baustelle. Gleichzeitig dürfen keine Dritten (Kunden, Schüler, Patienten etc.), mit welchen aufgrund der Arbeitsleistung in Kontakt getreten wird, gefährdet werden[80].
Sofern die Arbeitsleistung einen engen und häufigen Kontakt unter den Arbeitnehmenden oder zwischen diesen und Dritten bedingt, gibt es keinen Grund, ausserhalb des Gesundheitswesens die Zulässigkeit der Impfpflicht a priori zu verneinen[81]. Enge und häufige Kontakte können gleichermassen an Produktionsstätten, auf dem Bau oder im Dienstleistungssektor stattfinden. Ebenso werden sich Schüler- und Lehrerschaft den Raum über eine längere Zeit zu teilen haben[82] und gerade bei Klassen der Primarstufen kann die Distanz kaum gewahrt werden. Die Zusammenarbeit mit bekannten Kollegen und Kolleginnen unter einheitlichen Schutzmassnahmen birgt sodann ein deutlich geringeres Ansteckungsrisiko als ständig wechselnde und teilweise unbekannte Kontakte wie im Detailhandel.
Es ist (noch) nicht abschliessend bekannt, wie die einzelnen Schutzmassnahmen abgesehen von der Impfung tatsächlich wirken[83]. Im Sinne der Pflicht zur Wahrung des Gesundheitsschutzes werden Arbeitgebende aktuell das Risiko einer Ansteckung bei zwingend notwendigen persönlichen Kontakten, selbst wenn diese weder lange noch unter 1,5 Meter[84] ausfallen, nicht als vermeidbar einstufen dürfen. Dafür sprechen die zahlreichen Ansteckungen im Schulbetrieb[85]. Insofern wären Physiotherapie und Massage sowie Detailhandel entgegen der Auffassung von Langer nicht einfach von einer Impfpflicht auszunehmen[86]. Weiter ist zu beachten, dass sich sowohl unter dem Personal wie auch den Drittkontakten besonders gefährdete Personen[87] oder Personen mit einer Kontraindikation zur Impfung[88] befinden, denen ein erhöhter Schutz zuteilwerden muss[89]. Ziel der anderweitigen Schutzmassnahmen kann denn weder sein, besonders gefährdete Personen so lange wie möglich von ihrer angestammten Arbeit fernzuhalten[90], noch Dritte von Dienstleistungen oder anderen Kontakten auszuschliessen. Beides kann als Diskriminierung oder Stigmatisierung angesehen werden und zudem zu fehlender Berufserfahrung führen, was selbst eine Persönlichkeitsverletzung darstellen kann.
Nicht vergessen werden darf sodann, dass die Homeoffice-Arbeit ihre Grenze an der technischen Machbarkeit, den privaten Umständen der einzelnen Arbeitnehmenden sowie der zwingend einzuhaltenden Geheimhaltungspflichten inkl. Datenschutz findet[91]. Ist es dem Arbeitnehmendem aufgrund ungenügender Räumlichkeiten oder familiärer Konstellationen nicht möglich, die Arbeit von zu Hause aus zu verrichten, muss die Arbeit vor Ort geleistet werden dürfen. Dies gilt gleichermassen bei drohenden psychischen Erkrankungen aufgrund fehlender Strukturen oder Vereinsamung, da der Gesundheitsschutz umfassend zu wahren ist. Sofern Homeoffice aus sachlichen Gründen mithin nicht (vollständig) umgesetzt werden kann, sollte selbst für administrative Tätigkeiten eine Impfpflicht diskutiert werden. Allerdings dürften bei Büroarbeit weniger eingreifende Schutzmassnahmen wie Plexiglasscheiben oder Zurverfügungstellen von Einzelbüros für besonders gefährdete Personen meist möglich sein.
c) Zumutbarkeit für Arbeitnehmenden
Es ist unbestritten, dass eine Impfpflicht einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeit von Arbeitnehmenden darstellt. Die Infektion mit dem Coronavirus kann demgegenüber gesundheitlich schwere Verläufe bewirken. Arbeitgebende sind zwecks Vermeidung von Ansteckungen am Arbeitsplatz aufgrund ihrer umfassenden Pflichten zum Gesundheitsschutz gehalten, eine Risikoprüfung vorzunehmen, um die Notwendigkeit einer Impfpflicht abzuklären. Dabei muss eine gewisse vereinheitlichte Betrachtung von Personalkategorien (Produktion/Pflege gegenüber Verwaltungspersonal) zulässig sein. Andernfalls ergibt sich für die Arbeitgebenden eine kaum bewältigbare Flut von Einzelfällen[92]. Sind Eignung und Notwendigkeit zu bejahen, und nur dann, wird die Zumutbarkeit der Impfung - ausser es bestehe bei einer Person eine Kontraindikation - solange vorliegen, als kein genügender Immunschutz in der Bevölkerung besteht.
Es zeigt sich hier das klassische Beispiel eines grundlegenden Zielkonfliktes zwischen den Verpflichtungen eines Arbeitgebenden, die Gesundheit aller zu schützen und die Interessen des einzelnen Arbeitnehmenden zu wahren. Eine geeignete und erforderliche Weisung zum Gesundheitsschutz kann daher weder das persönliche Gewissen noch die Persönlichkeit des Arbeitnehmenden verletzen[93]. Derartige Weisungen schliessen die Rechtswidrigkeit per se aus. Das Selbstbestimmungsrecht der Arbeitnehmenden findet beim Coronavirus seine Grenze an den unabdingbaren Pflichten des Arbeitgebenden zum Schutz der Gesundheit. Daher haben sie sich der im Rahmen der Interessenabwägung als berechtigt qualifizierte Anweisung, sich der Covid-19-Impfung zu unterziehen, Folge zu leisten (Art. 321d Abs. 2 OR). Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Arbeitgebenden bei erfolgter Ansteckung umfassend gegenüber Opfern (Personal und Dritte) haftbar werden[94] und sich mit Regressforderungen der Versicherungen konfrontiert sehen können[95]. Zudem machen sie sich bzw. die für den Gesundheitsschutz verantwortlichen natürlichen Personen unter Umständen strafbar[96].
Da sich die Erforderlichkeit einer Impfung aufgrund der Tätigkeit (z.B. persönliche Dienstleistungen) oder der Arbeitsumgebung (z.B. Produktionslinie mit engen räumlichen Verhältnissen) bestimmt, kann die Zumutbarkeit einer Impfanordnung Folge zu leisten, weder ausschliesslich von der Branche (z.B. Gesundheitswesen) noch von der Stellung eines Arbeitnehmenden (z.B. Kader) abhängen. Der sonst gültige, allgemeine Grundsatz, dass die Treuepflicht bei Tendenzbetrieben oder von Kadermitarbeitenden stärker zu beachten ist[97], kommt mithin nicht zum Tragen.
d) Weisungspflicht
Sobald die Eignung der Impfung aus wissenschaftlicher Hinsicht zu bejahen ist, können sich Arbeitgebende nicht der Prüfung der Erforderlichkeit einer Impfpflicht entziehen, da es sich um eine Massnahme handelt, die «nach der Erfahrung notwendig» bzw. «nach dem Stand der Technik anwendbar» ist (Art. 6 Abs. 1 ArG und Art. 328 Abs. 2 OR)[98]. Mit anderen Worten sind alle Arbeitgebenden angehalten, die Notwendigkeit einer Impfung abzuklären. Wird dieselbe als erforderliche Massnahme im Rahmen des Gesundheitsschutzes qualifiziert, sind Arbeitgebende in der Folge verpflichtet, die entsprechende Weisung auszusprechen[99]. Das Weisungsrecht wird nach der hier vertretenen Auffassung zur Weisungspflicht[100].
Es kann sich einzig die Frage stellen, ob jedem Arbeitgebenden die Anordnung der Impfung zumutbar ist. Das Gesundheitsrisiko, die Art und die Grösse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betriebs sind gegeneinander abzuwägen[101]. Die Covid-19-Impfung ist zurzeit kostenlos[102]. Demgegenüber können die Abklärung der Eignung bzw. Erforderlichkeit zeit- und kostenintensiv ausfallen, insbesondere wenn der Beizug von Fachpersonen notwendig wird. Jeder Arbeitgebende sollte jedoch in der Lage sein festzustellen, ob aufgrund der vorhandenen Kontakte bei der Arbeitserbringung und trotz anderweitiger Schutzmassnahmen ein erhöhtes Risiko vorliegt. Wird dies in einem kleineren Betrieb mit geringen finanziellen Möglichkeiten bejaht, darf dieser ohne weitere fachliche Abklärungen zum Schluss gelangen, die Impfpflicht sei zulässig[103]. Nur aufgrund von schwierigen finanziellen Verhältnissen sollen und dürfen denn notwendige Schutzmassnahmen bei erheblicher gesundheitlicher Gefährdung nicht einfach unterlassen werden[104].
Solange anderweitige Schutzmassnahmen zur Verfügung stehen, selbst wenn diese teurer sind, darf grundsätzlich keine Impfpflicht erlassen werden. Im Rahmen der Erforderlichkeit muss immer jeweils der mildeste Eingriff gewählt werden[105]. Dabei ist es schwer vorstellbar, dass die Einhaltung der Maskenpflicht, allfällige räumliche Trennvorrichtungen, kostenlose Testungen sowie Homeoffice die finanziellen Möglichkeiten eines Arbeitgebenden sprengen. Insofern werden Arbeitgebende nur in wenigen Fällen tatsächlich eine Impfpflicht im Rahmen des Gesundheitsschutzes einführen müssen. Dies wird Arbeitstätigkeiten betreffen, bei welchen ein enger persönlicher Kontakt (Gesundheitswesen, Betreuung, persönliche körpernahe Dienstleitungen, Bau, Zügelunternehmen, Produktion, Ausbildner etc.) oder der Aufenthalt im gleichen Raum über längere Zeit (Flugpersonal, Lehrerschaft etc.) Teil derselben ist.
III. Mitwirkung der Arbeitnehmenden
1. Arbeitsgesetz
Der Arbeitgebende trägt die Verantwortung für den Gesundheitsschutz und die Arbeitnehmenden haben die notwendigen Massnahmen einzuhalten[106]. Darüber hinaus steht den Arbeitnehmenden oder deren Vertretung im Betrieb in allen Fragen des Gesundheitsschutzes ein Konsultationsrecht zu (Art. 48 Abs. 1 lit. a ArG). Damit wird die Bestimmung von Art. 10 lit. a Mitwirkungsgesetz[107] konkretisiert, welche auf die Bestimmungen im Arbeitsgesetz verweist. Fehlt eine Arbeitnehmervertretung, sind alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmenden zu konsultieren, unabhängig davon, ob sie von den geplanten Schutzmassnahmen betroffen wären[108].
Die Mitsprache umfasst das Recht auf Anhörung und Beratung, bevor Arbeitgebende Entscheide zu Massnahmen im Bereich des Gesundheitsschutzes treffen, sowie die Begründung des Entscheids, wenn Einwände nicht oder nur teilweise Eingang finden (Art. 48 Abs. 2 ArG). Mit anderen Worten haben Arbeitgebende die Belegschaft vor dem Entscheid anzuhören und Möglichkeit für Vorschläge und Anregungen zu gewähren, wobei sie sich mit Vorbringen konkret auseinanderzusetzen haben[109]. Der Gesundheitsschutz ist dabei als gemeinsame Daueraufgabe zu verstehen[110] und der Einbezug der Arbeitnehmenden soll dazu dienen, im Rahmen eines gemeinsamen Dialogs Massnahmen zu finden, welche von allen mitgetragen werden[111].
Die Einführung einer Impfpflicht am Arbeitsplatz stellt zweifelsohne eine Massnahme im Rahmen des Gesundheitsschutzes dar, weshalb insbesondere aufgrund der Erheblichkeit des Eingriffs die Mitwirkungsrechte sorgfältig zu beachten sind. Die Konsultation bezweckt dabei, die Einschätzung des Arbeitgebenden durch die Arbeitnehmenden überprüfen zu lassen. Bei Uneinigkeit oder seitens der Arbeitnehmenden[112] können Fachleute beigezogen werden. Korrespondenz per E-Mail oder virtuelle Sitzungen erscheinen unabhängig der aktuellen Coronavirus-Epidemie als zulässig[113], wobei eine Begehung der Örtlichkeiten bei Bedarf davon getrennt sowie von den Parteien einzeln durchgeführt werden kann.
Das Gesetz sieht keine Frist vor, welche zur Prüfung der geplanten Massnahmen durch die Arbeitnehmervertretung oder die Arbeitnehmenden anzusetzen ist. Die Frist ist nach Treu und Glauben zu bemessen (Art. 11 Abs. 1 Mitwirkungsgesetz) und hat angesichts aller Umstände angemessen zu sein[114]. Die Anordnung einer Impfung erfordert die Abwägung verschiedener Faktoren. Je nach Grösse und Ausgestaltung des Betriebes sind Differenzierungen bezüglich unterschiedlicher Personalkategorien vorzunehmen. Insofern genügt bei einfachen und klaren Verhältnissen (kleinere Arztpraxis) eine Konsultationsfrist von drei bis fünf Arbeitstagen; in komplexeren Strukturen (Produktionsbetrieb) sollte diese jedoch eher zwei Wochen betragen[115].
Arbeitgebende, welche zum Schluss kommen, die Covid-19-Impfung stelle eine notwendige Massnahme dar, sollten Konsultationsverfahren jetzt einleiten, um diese bei Verfügbarkeit genügender Impfdosen abgeschlossen zu haben. In besonders sensiblen Arbeitsumgebungen (Pflege von Hochrisikopatienten) und bei kurzfristiger Gewährung eines Impftermins sollte ausnahmsweise die sofortige Anordnung ohne Gewährung einer eigentlichen Konsultationsfrist möglich sein. Dem Mitwirkungsrecht kann insofern nachgekommen werden, als mit den Betroffenen ad hoc ein Gespräch geführt wird, an welchem sie informiert werden, sich äussern können und die Arbeitgebenden ihren Entscheid begründen. Eine allenfalls bestehende Arbeitnehmervertretung kann beigezogen werden, welche in besonders dringlichen Fällen erreichbar sein muss. Da ein Impftermin kaum für alle Betroffenen jeweils am selben Tag zur Diskussion stehen dürfte, sollte selbst in besonders dringlichen Fällen mindestens eine Konsultationsfrist von ein bis zwei Tagen zur Verfügung stehen.
2. Geltung für sämtliche privaten Betriebe
Das Mitwirkungsgesetz ist auf sämtliche privaten Betriebe, welche ständig in der Schweiz Arbeitnehmende beschäftigen, anwendbar (Art. 1 Mitwirkungsgesetz). Mit dem Verweis in Art. 10 lit. a Mitwirkungsgesetz werden die Mitwirkungsrechte gemäss Art. 48 ArG auf private Betriebe und all deren Arbeitsverhältnisse ausgedehnt, welche ansonsten nicht oder nur beschränkt in den Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes fallen[116]. Dieser Einbezug wird, soweit ersichtlich, bis heute in der Lehre nicht weiter kommentiert. Eine breite Anwendung der Mitwirkungsrechte ist jedoch gewollt[117], zumal gleichzeitig mit dem Mitwirkungsgesetz Art. 3a ArG in Kraft gesetzt wurde[118]. Dabei ist von einem Gesamtverweis auszugehen, welcher zur umfassenden Anwendung der Mitwirkungsrechte nach Art. 48 ArG sowie dessen Ausführungsbestimmungen in den Verordnungen zum Arbeitsgesetz führt[119].
IV. Schlussbetrachtung
Die Pflicht des Arbeitgebenden, dem Gesundheitsschutz uneingeschränkt gegenüber dem gesamten Personal sowie Dritten nachzukommen und dabei jeden vor einer Ansteckung zu schützen, setzt den individuellen Freiheiten und damit dem Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmenden eine Grenze[120]. Nach der hier vertretenden Ansicht ergibt sich eine klare Wertungsdivergenz gegenüber den Pflichten des Staates. Dieser kann auf ein Obligatorium für die Covid-19-Impfung aufgrund unbekannter Wirkung auf die Infektiosität verzichten, da es nicht seine Aufgabe ist, die Individuen vor einer eigenen Ansteckung zu schützen[121]. Allerdings ist die Einführung einer Impfpflicht im Arbeitsverhältnis nur sehr eingeschränkt zulässig.
Direkte Folgen einer zulässigen Impfpflicht sind, dass Arbeitgebende bei fehlender Covid-19-Impfung oder mangelnder Bereitschaft, eine solche vornehmen zu lassen, die Einstellung ablehnen oder das Arbeitsverhältnis ohne Gefahr einer Missbräuchlichkeit kündigen dürfen[122]. Die fehlende Impfung würde dann im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung stehen oder die Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis (berechtigte Weisung zum Gesundheitsschutz) bedeuten[123]. Dabei sollte vor Aussprechen einer Kündigung immerhin eine Verwarnung erfolgen oder die Aufforderung direkt mit dem Hinweis, eine Weiterbeschäftigung ohne Impfung sei nicht möglich, verbunden werden[124]. Alternativ könnte so lange eine seitens des Arbeitnehmenden verschuldete Arbeitsverhinderung vorliegen, als die Impfpflicht notwendig und zulässig erscheint. Eine Lohnzahlung würde demgegenüber aufgrund der unberechtigten Verweigerung der Impfung entfallen[125].