Whistleblowing für das Weltklima

Besprechung des Urteils des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PCL/IIb vom 13. Januar 2020

Marc Thommen / Jascha Mattmann*

Das Weltklima ist bedroht und die Politik bleibt untätig. KlimaaktivistInnen sind deshalb dazu übergegangen, mit spektakulären Protestaktionen auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen, etwa indem sie am 22. November 2018 in einer Lausanner Credit-Suisse-Filiale Tennis gespielt haben. Damit sollten die klimaschädlichen Investitionen der Bank publik gemacht werden. Die Autoren zeigen auf, dass ein solcher Hausfriedensbruch zwar nicht über einen «Klima-Notstand» gerechtfertigt, dieses Whistleblowing für das Weltklima aber dennoch entschuldigt werden kann.

Zitiervorschlag: Marc Thommen / Jascha Mattmann, Whistleblowing für das Weltklima, sui generis 2021, S. 13

URL: sui-generis.ch/163

DOI: https://doi.org/10.21257/sg.163

* Prof. Dr. iur. Marc Thommen, Ordinarius für Strafrecht und Strafprozessrecht, Universität Zürich (marc.thommen@rwi.uzh.ch); Jascha Mattmann, MLaw, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Marc Thommen, Universität Zürich (jaschamattmann@gmail.com). Die Autoren danken Franziska Rader, MLaw, für die sorgfältige Überarbeitung des Manuskripts.


I. Verfahren

1. Sachverhalt

Credit Suisse hat zwischen 2016 und 2018 insgesamt 57,4 Milliarden Dollar in fossile Brennstoffe investiert,[1] die für den Grossteil der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Im Dezember 2019 - und somit nach den hier zu besprechenden Ereignissen - spielte sie eine wichtige Rolle beim Börsengang von Saudi Aramco, dem weltweit wichtigsten Ölexporteur.[2] Am 22. November 2018 kurz nach 13.00 Uhr betraten knapp 30 als TennisspielerInnen verkleidete Personen die Eingangshalle der Credit-Suisse-Filiale an der Rue du Lion d'Or 5-7 in Lausanne, um dort pantomimisch eine Partie Tennis zu spielen. Sie entrollten ein Transparent mit der Aufschrift: «Crédit Suisse détruit le climat. Roger, tu cautionnes ça? #SiRogersavait»[3]. Es ging den AktivistInnen darum, auf den Klimawandel im Allgemeinen aufmerksam zu machen und gegen die Investitionen der Credit Suisse in fossile Energien zu demonstrieren. Der Tennisspieler Roger Federer, der seit 2009 von der Credit Suisse gesponsert wird,[4] wurde dafür kritisiert, dass er sich am Werbeauftritt der Bank beteilige. Im Übrigen verhielten sich die AktivistInnen friedlich und hinderten die Kunden der Bank nicht am Vorbeigehen. Die Aktion war nicht bewilligt. Der Verantwortliche der Filiale forderte die AktivistInnen zunächst vergeblich auf, die Bank zu verlassen, danach verständigte er die Polizei. Diese ersuchte die AktivistInnen, die Bank innert 15 Minuten zu verlassen, was einige von ihnen taten. Als die restlichen AktivistInnen auch dieser Aufforderung nicht nachkamen, lösten die Polizisten die Aktion auf, indem sie diese raustrugen. Um 14.20 Uhr war alles wieder normal in der Filiale.[5]

2. Prozessgeschichte

Die Credit Suisse (Suisse) SA hat am 28. Dezember 2018 Strafantrag gestellt. Am 25. April 2019 hat die Staatsanwaltschaft des Bezirks Lausanne gegen zwölf der AktivistInnen Strafbefehle er­las­sen wegen Haus­friedensbruchs (Art. 186 StGB) und wegen Verletzung der Artikel 29 (Hinderung einer Amtshand­lung)[6] und 41 (unbewilligte Demonstration) des Règlement général de police de la Commune de Lausanne (RGP) vom 27. November 2001.[7] Sie wurden darin zu Geldstrafen von 30 Tagessätzen à 30 Franken bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren und Bussen von 400 bis 600 Franken verurteilt.[8]

Die AktivistInnen haben gegen die Strafbefehle Einsprache erhoben. Am 7. und 8. Januar 2020 kam es zur Haupt­ver­hand­lung vor dem Bezirksgericht in Lausanne. Unter dem Vorsitz des Bezirksgerichts­präsidenten Philippe Cole­lough (FDP) wurden Prof. Dr. Sonia I. Seneviratne vom Center for Climate Systems Modelling der ETH Zü­rich, Prof. Dr. Jacques Dubochet, emeritierter Professor für Biophysik der Uni­versität Lausanne und No­bel­preisträger für Chemie (2017) sowie der Finanz­analyst Jérémy Désir als Zeugen sowie sämtliche An­ge­klagten angehört. Insgesamt 13 Straf­ver­tei­digerInnen haben in der Folge plädiert und Freisprüche für alle Angeklagten verlangt. Das Urteil wurde am 13. Januar 2020 mündlich verkündet. Alle Angeklagten wurden freigesprochen und die Kosten auf die Staatskasse genommen. Der Generalprokurator des Kantons Waadt, Eric Cottier, hat gegen das Urteil Be­ru­fung eingelegt.[9] Mit Urteil vom 22. September 2020 hat das Waadtländer Kantonsgericht unter dem Vorsitz von Christophe Maillard (SP) die AktivistInnen im Sinne der Staats­anwalt­schaft verurteilt.[10] Dabei erhielten zehn der zwölf AktivistInnen eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 20 Franken und eine Busse von 150 Franken. Die restlichen zwei AktivistInnen, die sich der Polizei nicht widersetzten, wurden mit einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen à 20 Franken und einer Busse von 100 Franken bestraft.[11] Die AktivistInnen haben angekündigt, ihre Verurteilung an das Bundesgericht und falls nötig bis nach Strassburg weiter­zuziehen.[12]

Der Freispruch der KlimaaktivistInnen hatte ein riesiges mediales Echo zur Folge. Er wurde u.a. von der BBC[13] und dem Spiegel[14] besprochen. Schon vor der Urteilsverkündung war das von den AktivistInnen kreierte Hashtag #rogerwakeupnow zeitweise auf Platz 1 in der Schweiz, und es wurde von Greta Thun­berg retweetet. Roger Federer hat zur Aktion Stellung genom­men.[15] Unterdessen hat auch die Genfer Strafjustiz einen Klimaaktivisten zweitinstanzlich freigesprochen, der einen roten Handabdruck auf die Fassade eines Credit-Suisse-Gebäudes angebracht hatte.[16]

3. Begründung

Das Bezirksgericht hält den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB) für erfüllt, indem sich die AktivistInnen geweigert haben, die Eingangshalle der Credit Suisse zu verlassen. Ferner seien Art. 29 und 41 des Lausanner Polizeireglements verletzt worden, indem der polizeiliche Räumungsbefehl missachtet wurde. Beide Tatbestände seien jedoch durch Notstand nach Art. 17 StGB gerechtfertigt.

Der Notstand ziele zwar grundsätzlich auf den Schutz von Individualrechtsgütern, ausnahmsweise aber auch auf kollektive Interessen, «si un bien juridique personnel est également en jeu».[17] Konkret habe das Handeln der Angeklagten abgezielt auf «la préservation du climat et de l'environnement et par ce biais la sauvegarde de leur droit personnel à la santé et à la vie»[18]. Ferner brauche es eine unmittel­bare Ge­fahr.[19] Das Bezirksgericht stellt primär auf die Gefahren ab­, die vom Klimawandel ausgehen («consé­quences du changement climatique»), namentlich die globale Erderwärmung («réchauffement plané­taire»)[20] und in zweiter Linie auf die Gefahren, die daraus für die Menschheit erwachsen, wie die «fonte des glaces, la montée des eaux, la désertification, l'acidification des océans et l'augmentation des événe­ments extrêmes.»[21] Diese Gefahren seien unmittelbar, da die Schweiz auf eine Erwärmung von 3 °C zu­steuere, wenn sie weiterhin ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen nicht einhalte.[22]

Nach allgemeinen Verhältnismässigkeitsgrundsätzen dürfe es nicht mög­lich sein, die Gefahr ander­wei­tig abzuwenden. Es gelte eine absolute Subsidiarität. Hier erwägt das Bezirksgericht drei Alternativen: Erstens hätte eine Kundgebung auf öffentlichen Grund nicht die gleiche mediale Wirkung entfaltet wie die erfolgte Aktion. Zweitens hätten sich die AktivistInnen bereits erfolglos an die Bank gewandt mit ihren Anliegen. Den politischen Weg zu beschreiten, sei drittens dort verzichtbar, wo wie in casu hoch­wertige Rechts­güter unmittelbar bedroht sind und ihr Schutz durch die zuständigen Behörden nicht mehr recht­zeitig erfolgen kann. «En termes plus généraux, le temps politique, lent de par sa nature démo­cratique, n'est plus compatible avec l'urgence climatique averée».[23]

Schliesslich müsse das gewahrte Gut wertvoller sein als das verletzte. Diese Interessenabwägung zwi­schen den gewahrten Klima-, Gesundheits- und Lebensinteressen und dem minimal verletzten Haus­recht falle vorliegend 4«indiscutablement en faveur» der Angeklagten aus.[24] Subjektiv seien den Tätern die Gefahr, die Not­wen­dig­keit, ein Rechtsgut zu retten, sowie der Rechtfertigungsgrund selbst bewusst gewesen.[25]

II. Anmerkung

Nachfolgend ist zuerst auf den Ungehorsam gegenüber der Polizei einzugehen (1). Im Zentrum der Urteils­besprechung steht die Frage, ob der Klima-Notstand einen Hausfriedensbruch recht­fertigt oder - so unsere These - zumindest entschuldigt (2).

1. Ungehorsam gegen die Polizei

Den AktivistInnen wird vorgeworfen, sich dem polizeilichen Räumungsbefehl widersetzt und, indem sie sich gegenseitig an Armen und Beinen festhielten, die Polizei gezwungen zu haben, die AktivistInnen einzeln aus den Räumlichkeiten zu tragen. Damit hätten sie in doppelter Weise (Hinderung der Amtshandlung, Gehorsamsverweigerung) gegen Art. 29 des kommunalen Polizeireglements verstos­sen.[26]

Unter dem Titel «De l'ordre public et des mœurs» bestimmt Art. 29 des Lausanner Polizeireglements: «Celui qui, d'une quelconque manière, entrave l'action d'un fonctionnaire, notamment d'un agent de police, ou celui qui refuse de se conformer aux ordres d'un agent de police, encourt les peines prévues par la loi sur les contraventions, sans préjudice des sanctions prévues par le Code pénal.»[27]

Art. 286 StGB regelt die Hinderung einer Amtshandlung einheitlich für die ganze Schweiz. Angesichts dieser bundes­rechtlichen Regelung kann man sich fragen, ob die Lausanner Bestimmung bundesrechts­konform ist.

Auf den ersten Blick scheint diese Frage geklärt. In BGE 81 IV 163 hat das Bundesgericht entschieden, dass kantonale Bestimmungen, die den Ungehorsam gegenüber der Polizei mit Übertretungsstrafe bedrohen, zulässig seien.[28] Es hat dies damit begründet, dass das Parlament den ‹Ungehorsam gegen die Polizei› (Art. 339 E-StGB/1918)[29] dem kantonalen Polizeirecht überlassen wollte und ihn deshalb nicht in das Strafgesetzbuch von 1937 übernommen hat. Damit habe der Bundesgesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, «das Feld für kantonales Übertretungsstrafrecht zum Schutze der öffentlichen Gewalt freizugeben».[30] Die nähere Betrachtung dieses weit über ein halbes Jahrhundert alten Präjudizes zeigt, dass die Gesetzgebungskompetenzen in Bezug auf die strafbaren Handlungen gegen die öffent­liche Gewalt zwar zutreffend zwischen Bund (1.a), Kanton (1.b) und Gemeinden (1.c) aufgeteilt werden, das Bundesgericht jedoch die Kollisionsregel von Art. 49 Abs. 1 BV ausser Acht lässt (1.d).

a) Bundeskompetenz

Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts ist Sache des Bundes (Art. 123 Abs. 1 BV). Es handelt sich um eine umfassende, d.h. nicht auf Grundsätze beschränkte, und konkurrierende[31], d.h. nachträglich derogatorische, Bundeskompetenz.[32] Der Bund hat von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht durch den Erlass des Strafgesetzbuchs, «das als Kernstrafrecht Verstösse gegen Grundregeln eines friedlichen Zusammenlebens sanktioniert»[33]. Damit wurde das kantonale Kernstrafrecht grundsätzlich vollständig derogiert.[34]

b) Kantonale Übertretungen

Die Bundeskompetenz nach Art. 123 Abs. 1 BV umfasst jedoch nicht das gesamte materielle Strafrecht. Art. 335 Abs. 1 StGB statuiert einen echten Vorbehalt zugunsten des kantonalen Übertretungs­strafrechts.[35] Der Vorbehalt von Art. 335 StGB steht aber seinerseits unter einem Vorbehalt. Kantonales Übertretungsstrafrecht ist nur zulässig, soweit «es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist» (Abs. 1). Der Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist durch Auslegung zu ermitteln.[36]

Nach ständiger Rechtsprechung bleibt für kantonales Übertretungsstrafrecht kein Raum, «[s]oweit das Schweizerische Strafgesetzbuch die Angriffe auf ein Rechtsgut durch ein geschlossenes System von Normen abschliessend regelt.»[37] Hingegen bleibt Raum, wenn der Gesetzgeber nur einen Teil der Tatbestände aus einem bestimmten Gebiet unter Strafe stellt, «um den von Kanton zu Kanton wechselnden Ansichten über die Strafwürdigkeit einer Handlung Rechnung zu tragen»[38]. Von Letzterem ist der Gesetzgeber bei der Streichung des Ungehorsams gemäss Art. 339 aus dem Entwurf von 1918 ausgegangen: «Das sind Delikte, die bis jetzt im Übertretungsrecht aufgenommen waren, die wir aber auszuschalten wünschen, da sie doch geringfügiger Natur sind und in den kantonalen Polizeigesetzen viel besser behandelt werden können.»[39] Das Bundesgericht hat diese Sichtweise übernommen. Von den sieben ursprünglich im Entwurf vorgesehenen Übertretungen gegen die Staatsgewalt (Art. 337-343 E-StGB/1918) habe das Parlament nur drei ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Die eidgenössische Ord­nung der Straftaten gegen die öffentliche Gewalt (Art. 285 ff. StGB) sei deshalb als nicht abschliessend einzustufen und der kantonale Regelungsspielraum zum Ungehorsam gegen die Polizei zu aner­kennen.[40]

In Bezug auf den 15. Titel des Strafgesetzbuchs ist die Argumentation des Bundesgerichts stringent. Nur einzelne Tatbestände aus dem Gebiet der «Strafbaren Handlungen gegen die öffentliche Gewalt» wurden von Bundesrechts wegen unter Strafe gestellt. Damit bleibt Raum für kantonale Übertretungen.

c) Kommunale Übertretungen

Nach dem Gesagten steht fest, dass die Kantone grundsätzlich die Kompetenz haben, Wider­spens­tig­keiten gegen die öffentliche Gewalt unter Übertretungsstrafe zu stellen, soweit dies der Bund nicht getan hat. Die Kantone können sodann im Rahmen ihrer Kompetenzen Befugnisse an die Gemeinden delegieren.[41] Dem Lausanner Polizeireglement lässt sich nicht entnehmen, auf welche Bestimmung der Waadtländer Kantonsverfassung es sich stützt. Grundlage ist wohl Art. 44 Abs. 2 der Constitution du Canton de Vaud du 14 avril 2003 (Sécurité et police): «L'État et les communes assurent l'ordre public ainsi que la sécurité des personnes et des biens.» Auch die Gemeinde Lausanne war somit grundsätzlich befugt, bundesrechtlich nicht geregelte Handlungen gegen die öffentliche Gewalt unter Strafe zu stellen.[42]

d) Normkonflikt

Es wurde gezeigt, dass die Kantone und Gemeinden mangels einer abschliessenden bundesrechtlichen Regelung der strafbaren Handlungen gegen den Staat die Kompetenz haben, im verbleibenden Bereich Über­tretungsstrafrecht zu erlassen. Diese parallele Regelungskompetenz kann jedoch dazu führen, dass «inhaltlich gegensätzliche Normen auf denselben Sachverhalt Anwendung zu finden beanspruchen» . Man spricht dann von «Normkonflikten».[43] Hier gilt, dass Bundesrecht entgegenstehendem kantonalem Recht vorgeht (Art. 49 Abs. 1 BV). Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung dürfen die Kantone nur solche Vorschriften erlassen, die nicht gegen Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht be­ein­träch­tigen oder vereiteln.[44] Ein solcher Normkonflikt zwischen Bundes- und kanto­nalem resp. kommunalem Recht besteht beim Ungehorsam gegen die Polizei.

Nach Art. 29 des Lausanner Polizeireglements wird bestraft, wer die Handlung eines Polizeibeamten hindert, oder wer sich weigert, Befehle eines Polizeibeamten zu befolgen. Nach Art. 286 Abs. 1 StGB macht sich der Hinderung einer Amtshandlung strafbar, wer Beamte an einer Handlung hindert, die innerhalb ihrer Amtsbefugnisse liegt. Nach ständiger Rechtsprechung fällt unter Art. 286 StGB, wer einen Beamten durch eine aktive Handlung von einer Amtshandlung abhält,[45] etwa indem er eine amtliche Versteigerung stört[46] oder vor einer polizeilichen Ausweiskontrolle flüchtet.[47] Ebenso un­be­stritten ist in der Rechtsprechung umgekehrt, dass das blosse Nichtbefolgen amtlicher Befehle keine Straftat nach Art. 286 StGB darstellt.[48] Protestaktionen können straflosen «passiven Widerstand»[49] darstellen oder tatbestandsmässige aktive Widersetzungen umfassen. Die Recht­spre­chung tendiert (we­­nig überzeugend) dazu, selbst vollkommen passive Proteste wie eine mündliche Weigerung, eine Türe aufzuschliessen[50] oder die Weigerung einer Gruppe Studierender, eine Fakultätsversammlung zu verlassen, als strafbare «Aktio­­nen» zu quali­fi­zieren.[51] Gleich wurde für die Bildung einer Menschen­traube entschie­den.[52] Diese strenge Rechtsprechung dürfte mit der Versammlungsfreiheit nach Art. 11 EMRK nicht in Einklang zu bringen sein.[53]

Übertragen auf den vorliegenden Fall ergeben sich somit folgende Kollisionen: Die Gehorsams­ver­weigerung der AktivistInnen ist nach Art. 29 des Polizeireglements strafbar, nach Art. 286 StGB hingegen straflos. Der Sitzstreik soll gemäss Bezirksgericht Lausanne nach Art. 29 des Polizeireglements strafbar sein, als rein passive Protestaktion fällt er bei konventionskonformer Interpretation indes nicht unter Art. 286 StGB. Für beide Sachverhalts­var­ianten ordnet das kommunale Recht somit Strafbarkeit, das Bundesrecht Straflosigkeit an. Art. 29 des Lausanner Polizeireglements behält die Bestrafung nach dem Strafgesetzbuch ausdrücklich vor («sans préjudice des sanctions prévues par le Code pénal»[54]). Eine solche Bestrafung kommt vorliegend nicht in Betracht, weil die Handlungen der AktivistInnen nach dem Strafgesetzbuch nicht strafbar sind. Die Gehorsamsverweigerung und der rein passive Sitzstreik der AktivistInnen sind von Bundesrechts wegen nicht tatbestandsmässig. Das Bundesrecht verdrängt in diesem Fall das kantonale Recht.[55] Die Frage der Rechtfertigung stellt sich damit nicht.

2. Hausfriedensbruch

Abgesehen von der Legitimation zur Strafantragsstellung[56] war der Hausfriedensbruch nicht umstrit­ten.[57] Kontrovers war vielmehr, ob sich die AktivistInnen dabei auf einen «Klima-Notstand» berufen konnten. Das Bezirksgericht bejahte dies. Nachfolgend wird zunächst dargelegt, weshalb weder die Voraussetzungen eines rechtfertigenden (2.a) noch eines übergesetzlichen Notstands (2.b) vorliegen. Sodann fragen wir, ob die AktivistInnen in der Wahrung berechtigter Interessen gerechtfertigt (2.c) oder zumindest entschuldigt waren (2.d).

a) Rechtfertigender Notstand (Art. 17 StGB)

Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, handelt rechtmässig, wenn er da­durch höherwertige Interessen wahrt (Art. 17 StGB). Die Voraussetzungen des rechtfertigenden Not­stands sind vorliegend nicht erfüllt.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss eine Notlage bestehen für «ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person». Als Objekt des Notstands kommen somit nur Individual­rechts­güter der AktivistInnen (Not­stand) oder von Dritten (Notstandshilfe) in Frage,[58] nicht hingegen kollektive Rechts­güter wie Umwelt- und Klima­schutz[59]. Bereits in Bezug auf die gewahrten Interessen ist das Urteil zweideutig: Es sei den AktivistInnen um die Erhaltung des Klimas und der Umwelt und «damit» («par ce bias») um die Rettung ihrer Gesundheit und ihres Lebens gegangen.[60] Zumindest letztere sind Individualrechtsgüter der AktivistInnen selbst. Das Bezirksgericht scheint somit von einem eigenen Not­stand der AktivistInnen aus­zugehen.

Der Täter handelt nur rechtmässig, wenn er die Straftat begeht, um das Rechtsgut aus einer Gefahr zu retten (Art. 17 StGB). Weil das Bezirksgericht nicht exakt festlegt, welche Rechtsgüter auf dem Spiel stehen, bleiben auch seine Aus­führungen zur Gefahr vage. Primär wird auf die Gefahren ab­gestellt, die vom Klimawandel ausgehen («conséquences du changement climatique»), namentlich die globale Erd­erwärmung («réchauffement planétaire»)[61]. Erst in zweiter Linie wird erwähnt, dass daraus auch Ge­fah­ren für die Menschheit erwachsen, wie die «fonte des glaces, la montée des eaux, la dé­ser­ti­fication, l'acidification des océans et l'augmentation des événe­ments extrêmes.»[62] Richtigerweise wären die Gefahren, welche etwa von Treibhausgasen für das Klima ausgehen, zu unterscheiden gewesen von den Gefahren, die der Menschheit aufgrund der Klimaerwärmung drohen. Nur Gefahren für Menschen und ihre Individualrechtsgüter sind bei Art. 17 StGB relevant.

Die Gefahr muss unmittelbar sein (Art. 17 StGB). Bereits hier gerät das Bezirksgericht auf Abwege. Statt darzulegen, inwiefern sich die AktivistInnen im Moment, in dem sie als TennisspielerInnen verkleidet die Ein­gangs­halle der Bank betraten, sich in unmittelbarer Lebens- oder Gesundheitsgefahr befanden, macht es Aus­füh­run­gen zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens in der Schweiz. Hier zeigt sich, dass es wohl näher­gelegen hätte, auf Notstandshilfe abzustellen, zumal es zahlreiche Menschen gibt, die etwa durch klimawandelbedingte Gletscherabbrüche oder Bergstürze unmittelbar in ihrem Leben be­droht sind.[63]

Schliesslich übersieht das Bezirksgericht, dass die Notstandshandlung nicht nur strengen Subsidiaritäts‑[64] und Proportionalitätsanforderungen unterliegt, sondern auch geeignet sein muss, die Gefahr ab­zuwenden.[65] Spätestens hier scheitert die Rechtfertigung:[66] Ein Tennis-Match in einer Lausanner Bank­filiale rettet weder die bestenfalls mittelbar bedrohten Leben der AktivistInnen noch die unmittelbar bedrohten Leben von BergbauerInnen und WüstenbewohnerInnen.

b) Übergesetzlicher Notstand

Das Bundesgericht anerkennt einen «übergesetzlichen» Notstand, den es in seinen Voraussetzungen eng an den gesetzlichen Notstand anlehnt.[67] Danach können Anliegen aus­nahms­weise mit strafbaren Methoden durchgesetzt werden, «wenn eine notstandsähnliche Gefah­renlage gegeben ist bzw. wenn hochwertige Rechtsgüter unmittelbar bedroht sind und ihr Schutz durch die zuständigen Behörden nicht mehr rechtzeitig erfolgen kann.» [68] Der Unterschied zu Art. 17 StGB besteht darin, dass der über­gesetz­liche Notstand darauf abzielt, Gefahren für Rechtgüter der Allgemeinheit zu beseitigen oder einzu­dämmen.[69] Soweit es den AktivistInnen um den Schutz der Umwelt resp. der Menschheit vor den Gefahren des Klimawandels ging,[70] zielte ihr Handeln auf die Rettung eines kollektiven Rechtsguts.[71] Doch scheitert die Rechtfertigung auch hier daran, dass die primär auf Publikumswirksamkeit zielende Aktion nicht geeignet war, die vom Klimawandel ausgehenden Gefahren zu beseitigen. Mit der Beset­zung einer Bankfiliale lässt sich das Weltklima nicht retten.[72]

c) Wahrung berechtigter Interessen

Das Bundesgericht stuft auch die Wahrung berechtigter Interessen[73] als notstands­ähnlichen Rechtfer­ti­gungs­grund ein, auf den die Notstandsvoraussetzungen analog anzuwenden sind.[74] Die Wahrung be­rech­tigter Interessen setze daher voraus, dass die Tat ein zur Erreichung des berechtigten Ziels not­wen­diges und angemessenes Mittel ist, sie insoweit den einzig möglichen Weg darstellt und offenkundig weniger schwer wiegt als die Interessen, welche der Täter zu wahren sucht.[75] Der Interessenkonflikt darf gesetzlich nicht bereits geregelt[76] und legale Mittel müssen ausgeschöpft sein.[77] Es besteht eine bunte Palette von Anwendungsfällen,[78] deren gemeinsamer Nenner nicht die Gefahrenabwehr, sondern die Herstellung sozial erwünschter Zustände oder die Ausübung verfassungsmässig garantierter Frei­heitsrechte auf Kosten anderer Interessen ist.[79]

Soweit es um die Gefahrenabwehr geht, besteht mit dem Notstand bereits eine gesetzliche Regelung. In Betracht kommt daher das Ziel der AktivistInnen, die Öffentlichkeit auf die Folgen des Klimawandels im Allgemeinen und die klimaschädlichen Investitionen der Credit Suisse im Besonderen hinzuweisen. Dass der Klimaschutz nicht nur sozial erwünscht sondern auch rechtlich geboten ist, ergibt sich nur schon da­raus, dass die Schweiz das Pariser Klima­über­ein­kommen ratifiziert hat.[80] Implizit gehen diese Ziele auch aus Art. 73 (Nachhaltigkeit), Art. 74 (Umweltschutz)[81] und Art. 89 (Energiepolitik)[82] BV hervor. Fer­ner geniesst das Vorgehen der AktivistInnen grundrechtlichen Schutz. Sie übten damit ihre Mei­nungs­äusserungs- und Versammlungs­freiheit aus (Art. 16 und 22 BV, Art. 10 und 11 EMRK).[83] Es ging um eine Art «Whistleblowing für das Weltklima».

Die Eignung des Vorgehens ist hier nicht auf die Abwendung der Klimagefahren zu beziehen, sondern auf die angestrebte Sensibilisierung. Bereits das Tennis-Spiel fand ein grosses Medienecho[84] und war insofern geeignet, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Anliegen der AktivistInnen (Klima­wandel, klimaschädliche Investitionen der CS) zu lenken. Paradoxerweise war es vorliegend aber gerade das durch die Be­gehung einer Straftat provozierte Gerichtsverfahren, welches den Akti­vis­tInnen die me­diale Weltbühne bereitet hat. Eine legale Demon­stra­tion hätte kein solches Echo ge­fun­den. Noch paradoxer ist, dass die Credit Suisse den me­dien­trächtigen Showdown im Ge­richts­saal überhaupt erst ermöglicht hat, indem sie von ihrem guten Recht Gebrauch mach­te, Straf­antrag zu stel­len.

Bei der Erforderlichkeit ist die Gerichtspraxis streng und verlangt, dass «[i]n einem demokratischen Rechtsstaat (…) politische und ideelle Anliegen grundsätzlich auf politischem Wege bzw. auf dem Rechts­weg zu verfolgen sind. (…) [D]ass die legalen (…) Möglichkeiten ausgeschöpft erscheinen (…) gibt Letzteren kein Recht, ihre Anliegen mit strafbaren Methoden zu verfolgen.»[85] Das Bezirksgericht hat dargelegt, dass vorangehende legale Inter­ventionen der AktivistInnen erfolglos ge­blieben sind.[86] Nach über­zeugender Ansicht ist die Erforderlichkeit zu bejahen, wenn «das gravierendste zu­gleich das aus­sichtsreichste Mittel» ist.[87] Vorliegend war die Begehung des Hausfriedensbruch zwar gra­vie­render als alle voran­gehenden Manifestationen, aber eben auch um ein Vielfaches wirksamer. Um eine Auf­rüttelung der Öffentlichkeit in diesem Umfang zu erreichen, war die Begehung eines Haus­frie­densbruchs somit erforderlich.

War die Aktion verhältnismässig im engeren Sinne? Aus der Optik des Bezirksgerichts fällt die Interes­sen­abwägung« indiscutablement en faveur des (…) prévenus» aus: Die gewahrten Klimaschutz-, Lebens- und Gesundheits­interessen überwögen das bloss marginal tangierte Hausrecht der Bank klar.[88] Wie beim Notstand dargelegt, können die Klimaschutz- und Lebensinteressen indes nicht direkt zur Abwä­gung gestellt werden, weil das Ten­nis­-Spiel in der Bank jedenfalls nicht geeignet war, diese Gefahren zu beseitigen.[89] Bei der Wahrung berechtigter Interessen muss beurteilt werden, ob das Interesse, die Öf­fen­tlich­keit wachzurütteln und sie auf die Ge­fahren des Klimawandels und die klimaschädlichen Investi­tio­nen der Credit Suisse hinzuweisen, schwerer wiegt als das Hausrecht der Bank. Ob in dieser Abwägung gegen die AktivistInnen spricht, dass sie das «Interesse der Allgemeinheit an der Ordnungs- und Friedens­funk­tion»[90] beeinträchtigt haben, ist zweifelhaft. Jede Straftat bedroht den Rechtsfrieden. Für die AktivistInnen streitet in dieser Abwägung eine Analogie zum Defensiv­notstand[91]: Die Aktion wandte sich nicht wie in BGE 134 IV 216 gegen unbeteiligte Dritte, sondern gegen eine juristische Person, die für die ange­pran­ger­ten Missstände mitverantwortlich ist.

Zusammenfassend spricht Vieles dafür, den AktivistInnen zuzubilligen, dass sie berech­tigte und über­wie­gende Interessen ge­wahrt haben und deshalb zu rechtfertigen sind. Gegen eine Rechtfertigung spricht die rechtspolitische Überlegung, dass man damit nicht nur der Bank das Notwehrrecht ab­schneidet, sondern auch der Polizei verunmöglicht einzugreifen.[92] Zu prüfen bleibt somit, ob man die AktivistInnen entschuldigen kann.

d) Schuldausschluss

Andrés Payer lehnt im vorliegenden Fall einen Schuldausschluss ab. Er schlägt vor, nach Art. 52 StGB von einer Strafe abzusehen, weil sowohl das objektiv verwirklichte Unrecht als auch das subjek­tive Verschulden der Täter gering sind. Einen Schuldspruch hält er für sozialpolitisch geboten, um den Regelverstoss zu missbilligen.[93] Für diese Lösung spricht erstens, dass AktivistInnen, welche sehenden Auges illegale Mittel wählen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen, auch der Tadel einer Verurteilung zumut­bar ist. Die ganze Aktion war darauf angelegt, sich bei einer Verurteilung als Märtyrer einer klima­blinden Justiz ins­zen­ieren zu können. Ansonsten hätten sie die Bank ja bei der ersten Aufforderung verlassen können. Zweitens liegt der Vorschlag auf der Linie der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die es der Staats­anwältin bei Vorliegen der Voraus­set­zun­gen von Art. 52 StGB zwar erlaubt, das Verfahren einzustellen, das Gericht hingegen verpflichtet, einen Schuldspruch aus­zufällen.[94] Da nicht davon aus­zugehen ist, dass das Bundesgericht dem­nächst von dieser Recht­sprechung abweichen wird, muss der Schuld­aus­schluss unabhängig von Art. 52 StGB begründet werden.

Das minimal invasive und subtil humorvolle[95] Vorgehen der AktivistInnen sowie das schiere Gewicht ihrer Anliegen sprechen vorliegend für einen Freispruch. Ein strafrechtlicher Schuldspruch mit Sank­tionen dürfte zudem eine disproportionale Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit nach Art. 11 EMRK darstellen.[96] Will man die AktivistInnen nicht be­reits rechtfertigen, so trifft sie zu­min­dest kein Schuldvorwurf. In der Sache liegt eine ent­schuldigende Wahrung berechtigter Interessen vor. Die vom Bundesgericht gezogene Analogie zum Notstand[97] legt es nahe, auch bei der Wahrung be­rech­tigter Interessen nicht nur die Rechtfertigung, sondern a maiore ad minus auch den Schuld­ausschluss zu­zulassen. Die Bank kann sich dann gegen das Unrecht wehren und die Polizei den unrechtmässigen Zustand beseitigen, zugleich sind die AktivistInnen frei­zusprechen. Als Tennis spielende Whistle­blower­Innen für das Weltklima trifft sie kein Schuldvorwurf.



[2] Handelszeitung vom 12. September 2019 (Die Credit Suisse unterstützt beim Börsengang von Aramco).

[3] «Credit Suisse zerstört das Klima. Roger, billigst Du das? #WennRogerwüsste» [eigene Übersetzung]; vgl. dazu Bild in der NZZ vom 13. Januar 2020 (Ein historisches Urteil: Klima-Aktivisten siegen gegen die Credit Suisse mit 6:0).

[4] Dieses Sponsoring wird im Urteilssachverhalt nicht erwähnt, vgl. dazu 20 Minuten vom 16. November 2009 (Credit Suisse wird Sponsor von Roger Federer).

[5] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, Ziff. 2 « Les faits », S. 41.

[6] Cum grano salis wurden nur zehn der zwölf AktivistInnen nach Art. 29 RGP verurteilt (Urteil des Bezirksgerichts Lausanne [Tribunal de Police] PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 47), weil zwei von Ihnen der Aufforderung der Polizei Folge leisteten und die Bank verliessen.

[10] Urteil des Kantonsgerichts Waadt n° 371 PE19.000742/PCL vom 22. September 2020, Dispositif II; krit. Marion Chautard, La condamnation en appel des activistes du climat à Lausanne, LawInside vom 7. November 2020.

[11] Urteil des Kantonsgerichts Waadt n° 371 PE19.000742/PCL vom 22. September 2020, Dispositif II.

[14] Birte Bredow, Wir hoffen, dass er tatsächlich aktiv wird und es nicht nur sagt, Spiegel online vom 17. Januar 2020.

[16] Philippe Bach, Climat: et de deux, leCourrier.ch vom 14. Oktober 2020.

[17] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 49.

[18] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 54.

[19] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 48 f.

[20] Beide Zitate Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 50.

[21] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 51.

[22] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 52.

[23] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 53 f.; BGE 129 IV 6 E. 3.1.

[24] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 54 f.

[25] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 49 und 55.

[26] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 48.

[27] «Wer, auf beliebige Weise, die Handlung eines Beamten, namentlich eines Polizeibeamten, hindert, oder wer sich weigert, Befehle eines Polizeibeamten zu befolgen, wird nach dem Gesetz über die Übertretungen bestraft; Sanktionen nach dem Strafgesetzbuch bleiben vorbehalten» [eigene Übersetzung].

[28] BGE 81 IV 163 (Regeste).

[29] Entwurf Schweizerisches Strafgesetzbuch, (BBl 1918 IV), S. 205; dazu die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Gesetzesentwurf enthaltend das schweizerische Strafgesetzbuch vom 23. Juli 1918 (BBl 1918 IV), S. 74.

[30] BGE 81 IV 163 E. 3; vgl. Sitzung des Nationalrats vom 26. September 1929, StenBull 1929 N 616; übernommen in der Sitzung des Ständerats vom 10. Dezember 1931, StenBull 1931 S 674 ff.; Marianne Johanna Hilf, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht, 4. Aufl., Basel 2019, Art. 335 N 11 (BSK StGB II-BearbeiterIn).

[31] Zum Begriff Giovianni Biaggini, in: Biaggini (Hrsg.), Orell Füssli Kommentar, BV, 2. Aufl., Zürich 2017, Vorbemerkungen zu BV 42-135 N 11 (OFK BV-Biaggini).

[32] OFK BV-Biaggini, Art. 123 N 2.

[33] Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996 (BBl 1997 I 1 ff.), S. 340.

[34] Zur «Aufhebung des kantonalen Rechts» vgl. Art. 400 Abs. 1 StGB (in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Version); BGE 115 Ia 234 E. 12.b; e contrario OFK BV-Biaggini, Vorbemerkungen zu BV 42-135 N 11.

[35] BSK StGB II-Hilf, Art. 335 N 7.

[37] BGE 138 IV 13 E. 3.3.1; schon Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996 (BBl 1997 I 1 ff.), S. 340.

[39] Votum Berichterstatter NR Seiler in der Sitzung des Nationalrats vom 26. September 1929, StenBull 1929 N 616; s.a. Votum NR Logoz, StenBull 1929 N 627; ferner Votum NR Seiler in der Sitzung vom 3. März 1930, StenBull 1930 N 46.

[41] BSK StGB II-Hilf, Art. 335 N 5.

[43] Beide Zitate von OFK BV-Biaggini, Art. 49 N 7.

[44] BGE 138 I 468 E. 2.3.1.

[46] Beispiel von Stefan Trechsel / Hans Vest, in: Trechsel/Pieth (Hrsg.), Praxis Kommentar, Strafrecht, 3. Aufl., Zürich 2017, Art. 286 N 3 (zit. PK StGB-BearbeiterIn).

[47] BGE 124 IV 127 (Regeste); eine mit Blick auf nemo tenetur allerdings sehr fragwürdige Rechtsprechung, dazu Marc Thommen / Micha Nydegger, Strafbares Streben nach Freiheit?, sui generis 2018, S. 255, N 38 ff.

[48] BGE 81 IV 163 E. 2; BGE 124 IV 127 E. 3.a; BGE 127 IV 115 E. 2 und BGE 133 IV97 E. 4.2.; eingehend Robert Schnetzer, Die Abgrenzung der Hinderung einer Amtshandlung gemäss Art. 286 StGB vom blossen Ungehorsam, Diss. Basel 1979, S. 71 ff.

[49] Günter Stratenwerth / Felix Bommer, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Gemeininteressen, 7. Auflage, Bern 2013, § 52 N 11, setzen den passiven Widerstand z.R. mit blossem (und damit straflosem) Ungehorsam gleich; zur nach Art. 286 StGB straflosen «passiven Renitenz» vgl. BGE 81 IV 325. In Deutschland sind Sitzblockaden gemäss dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 92, 1 keine gewaltsamen Nötigungen nach § 240 Abs. 1 StGB/D.

[50] Urteil des Bundesgerichts 6B_89/2019 vom 17. Mai 2019 E. 1.4.

[51] BGE 107 IV 113 E. 4.d; i.d.S. auch Urteil des Kantonsgerichts Waadt n° 371 PE19.000742/PCL vom 22. September 2020 E. 5.1.2 und 5.2.3 und Veronica Boeton Engel / Aude Bichovsky, in: Jeanneret/Kuhn/Perrier Depeursinge (Hrsg.), Commentaire Romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl., Basel 2019, Art. 286 N 8.

[52] BGE 127 IV 115 E. 2; siehe auch Guido Jenny, Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 2001 (ohne Entscheide betreffend die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen), ZBJV 140/2004, Band 127, S. 18.

[53] Überzeugend Richterin Aleksandra Fonjallaz in ihrer «Avis minoritaire», Urteil des Kantonsgerichts Waadt n° 371 PE19.000742/PCL vom 22. September 2020, m.H.a. Urteil des EGMR 51346/99 vom 9. April 2002 (Cissé gegen Frankreich), §§ 39 f.; Urteil des EGMR 14237/07 vom 11. Oktober 2018 (Tuskia und weitere gegen Georgien), §§ 73 ff. Im letzteren Fall wurde die staatliche Reaktion auf den Protest u.a. deshalb als noch mit der Versammlungsfreiheit nach Art. 11 EMRK vereinbar eingestuft, weil die strafrechtlichen Vorwürfe fallengelassen wurden.

[54] «Wer, auf beliebige Weise, die Handlung eines Beamten, namentlich eines Polizeibeamten, hindert, oder wer sich weigert, Befehle eines Polizeibeamten zu befolgen, wird nach dem Gesetz über die Übertretungen bestraft; Sanktionen nach dem Strafgesetzbuch bleiben vorbehalten.» [eigene Übersetzung].

[55] Zur umstrittenen Rechtsfolge von Normkonflikten schlägt OFK BV-Biaggini, Art. 49 N 8 überzeugend «die Verdrängung im fraglichen Anwendungsfall (‹Anwendungsvorrang›)» vor.

[56] Dazu Monika Simmler / Gregor Häne, Strafantragsberechtigung beim Hausfriedensbruch, AJP 2020, S. 1112 ff.

[57] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 43 ff.

[58] So auch ständige Rechtsprechung und h.L.: BGE 94 IV 68 E. 2; BSK StGB-Niggli/Göhlich, Art. 17 N 5.

[59] Falls diese überhaupt als eigenständige Rechtsgüter in Frage kommen, siehe dazu Jürg-Beat Ackermann / Samuel Egli, Umwelt-Wirtschaftsstrafrecht. Rechtsgüter - Normkonzepte - Sanktionen, in: Ackermann/Hilf (Hrsg.), Umwelt-Wirtschaftsstrafrecht, 9. Schweizerische Tagung zum Wirtschaftsstrafrecht, Zürich et al. 2017, S. 13.

[60] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 54.

[61] Beide Zitate im Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 50.

[62] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 51.

[63] Andrés Payer, Klimawandel als strafrechtlicher Notstand, sui generis 2020, N 13; Arnaud Nussbaumer, L'acquittement des activistes du climat à Lausanne, LawInside vom 21. Februar 2020, S. 3.

[64] Günter Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 4. Aufl., Bern 2011, § 10 N 43.

[65] BGE 109 IV 156 E. 3; ferner Kurt Seelmann / Christopher Geth, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl., Basel 2016, N 166.

[66] So auch Payer (Fn. 63), N 17 f.; Grace Schild Trappe / Felix Schöbi, Not kennt kein Gebot beim Hausfriedensbruch?, Jusletter vom 11. Mai 2020, N 17 und 20; a.M. Nussbaumer (Fn. 63), S. 6 f.

[67] BGE 94 IV 68, Regeste Ziff. 1 sowie E. 2.

[68] BGE 129 IV 6 Ziff. 3.1.

[69] Vgl. Andrés Payer, Zur Wahrnehmung berechtigter Interessen im Strafrecht, recht 2020, S. 190 f.; noch enger Stratenwerth (Fn. 64), § 10 N 58, der eine Bedrohung der «Lebensinteressen des Staats» verlangt.

[70] Zum Streit um öko- und/oder anthropozentrische Dimension des Umweltschutzes, vgl. Jürg-Beat Ackermann / Samuel Egli, Umwelt-Wirtschaftsstrafrecht. Rechtsgüter - Normkonzepte - Sanktionen, in: Ackermann/Hilf (Hrsg.), Umwelt-Wirtschaftsstrafrecht, 9. Schweizerische Tagung zum Wirtschaftsstrafrecht, Zürich 2017, S. 16 f.

[71] Zu den im Umweltstrafrecht geschützten Rechtsgütern vgl. Marianne Johanna Hilf / Hans Vest, Gutachten «Umweltstrafrecht» im Auftrag des BAFU, Bern 2016, S. 32 ff.

[72] Immerhin hat die Aktion und die damit verbundene negative Publicity die Credit Suisse zu einem Einlenken bewogen, indem sie etwa die Finanzierung neuer Kohlekraftwerke stoppt (dazu Florian A. Lehmann, CS will keine neuen Kohlekraftwerke mehr finanzieren, Tagesanzeiger vom 11. Dezember 2019), und mit Lydie Hudson eine CEO für Nachhaltigkeit eingesetzt hat (Peter Hody, Die «grüne» Credit Suisse meint es ernst, finews.ch vom 2. September 2020), was sich zumindest mittelbar positiv auf den Klimawandel auswirken dürfte.

[73] Terminologisch postuliert Payer (Fn. 69), S. 186 als Oberbegriff die Wahrnehmung berechtigter Interessen, die in der (negativ-defensiven) Wahrung oder der (positiven) Durchsetzung berechtigter Interessen liegen kann.

[77] Stratenwerth (Fn. 64), § 10 N 61.

[78] Stratenwerth (Fn. 64), § 10 N 59.

[79] Seelmann/Geth (Fn. 65), N 183; siehe auch Stratenwerth (Fn. 64), § 10 N 60 ff.; kategorisch ablehnend, da eine allg. Interessenverrechnung die Grenzen strafbaren Verhaltens komplett auflöse, BSK StGB-Niggli/Göhlich, Vor Art. 14 N 66 ff.; Hans Schultz, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, Bd. I, 4. Aufl., Bern 1982, S. 172; beschwichtigend Franz Riklin, Straffreiheit bei Wahrung berechtigter Interessen, Medialex 2018, S. 24, N 7; Daniel Jositsch / Claudia V. Brunner, Whistleblowing als Rechtfertigungsgrund, AJP 2012, S. 485.

[80] Klimaübereinkommen von Paris vom 12. Dezember 2015 (SR 0.814.012), in Kraft getreten für die Schweiz am 5. November 2017.

[81] Vgl. OFK BV-Biaggini, Art. 73 N 2 und Art. 74 N 4.

[82] Botschaft über einen Energieartikel in der Bundesverfassung vom 7. Dezember 1987 (BBl 1988 I 337 ff.), S. 376.

[83] Zur Bedeutung der Kommunikationsgrundrecht Regina Kiener / Walter Kälin, Grundrechte, S. 202, und zu den hohen Anforderungen an ihre Einschränkung S. 216.

[84] 20 Minutes vom 23. November 2018 (On veut informer Roger sur les actes de la banque).

[85] BGE 129 IV 6 Ziff. 3.1.

[86] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 52 ff.

[87] Payer (Fn. 69), S. 192.

[88] Urteil des Bezirksgerichts Lausanne (Tribunal de Police) PE19.000742/PLC/IIb vom 13. Januar 2020, S. 54 f.

[89] Zu den Auswirkungen der Protestaktion, welche zur mittelbaren Eindämmung der Klimagefahren beitragen können, vgl. Fn. 72.

[90] Payer (Fn. 69), S. 193.

[91] PK StGB-Trechsel/Geth, Art. 17 N 4; Gian Martin, Defensivnotstand unter besonderer Berücksichtigung der «Haustyrannentötung», Diss. Zürich 2010, S. 43 ff.; nicht überzeugend a.A. BSK StGB-Niggli/Göhlich, Art. 17 N 19.

[92] Insoweit überzeugend Trappe/Schöbi (Fn. 66), N 11; zur identischen Argumentation (nur Schuldausschluss trotz Wahrung überwiegender Interessen) beim Nötigungsnotstand, Johannes Wessels / Werner Beulke, Strafrecht (StrafR) Allgemeiner Teil, 40. Aufl., N 443; Kristian Kühl, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 3. Aufl., N 127 ff.

[93] Payer (Fn. 63), N 30 ff.

[94] BGE 135 IV 27 (Regeste); z.R. sehr kritisch BSK StGB-Riklin, Vor Art. 52-55 N 18 und Gerhard Fiolka / Christof Riedo, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 8 N 105 ff.

[95] Gleicher Meinung Fonjallaz, Avis minoritaire (Fn. 10) («La manifestation … était empreinte de bonhommie et d'humour »).

[96] Urteil des EGMR 28495/06 und 28516/06 vom 17. Mai 2011 (Akgöl und Göl gegen die Türkei), § 43. («The Court … considers that a peaceful demonstration should not, in principle, be made subject to the threat of a penal sanction.»). Zu Recht hebt Fonjallaz, Avis minoritaire (Fn. 10) hervor, dass dort, wo friedliche und gewaltfreie Demonstrationen legitime Drittinteressen («les activités licites d'autrui» [wie in casu das Hausrecht der CS]) beeinträchtigen, die Zulässigkeit von Sanktionen in einer Gesamtabwägung zu beurteilen ist.

[97] Zur Ableitung der Wahrung berechtigter Interessen aus dem Notstand per analogiam: BGE 94 IV 68 E. 2; oben bei Fn. 59.