Grundrechte jenseits der «anthropologischen Schranke»?
Die Primateninitiative im Lichte des wegweisenden Urteils des
Verfassungsgerichts Basel-Stadt
Charlotte E. Blattner / Raffael N. Fasel *
Im Jahr 2016 lancierte die Organisation Sentience Politics im
Kanton Basel-Stadt eine Initiative mit dem Ziel, ein Grundrecht auf
Leben und körperliche und geistige Unversehrtheit für
nichtmenschliche Primaten in die Verfassung aufzunehmen. Diese
Initiative wurde zum Gegenstand eines Rechtsstreits, der 2019 zu
einem wegweisenden Urteil des kantonalen Verfassungsgerichts
führte. Das Verfassungsgericht anerkannte die Kompetenz der
Kantone, «den Kreis der Rechteinhaber über die
anthropologische Schranke hinaus auszudehnen». Dieses Urteil
wurde kürzlich vom Bundesgericht bestätigt. Die Autoren,
die diesen Fall juristisch begleitet haben, geben in diesem Beitrag
aus erster Hand Einblicke in die juristischen Strategien hinter der
Initiative und besprechen die wichtigsten rechtlichen Entwicklungen
im Rechtsstreit unter besonderer Berücksichtigung des Urteils
des Verfassungsgerichts Basel-Stadt.
Zitiervorschlag: Charlotte E. Blattner / Raffael N. Fasel, Grundrechte
jenseits der «anthropologischen Schranke»?, sui generis 2020,
S. 413
URL: sui-generis.ch/152
DOI:
https://doi.org/10.21257/sg.152
* Dr. iur. Charlotte E. Blattner, LL.M. (Harvard), Oberassistentin am Institut für
öffentliches Recht der Universität Bern (
charlotte.blattner@oefre.unibe.ch); Raffael N. Fasel, Ph.D. (Cantab), LL.M. (Yale),
M.A. (UCL), Mag. utr. iur. (Fribourg), Fellow in Law an der London
School of Economics and Political Science (
r.n.fasel@lse.ac.uk). Die
Autoren sind Lukas Schaub und Visa AJ Kurki zu grossem Dank
für ihre hilfreichen Kommentare verpflichtet. Der/m anonymen
Gutachter/in möchten wir für die kritische Durchsicht
unseres Beitrages und weiterführende Quellen danken.
I. Einleitung
Menschen verfügen über eine Reihe von Grundrechten, wie das Recht
auf Leben oder das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit,
die ihre fundamentalsten Interessen schützen.[1]
Schimpansen, Orang-Utans, Makaken, Gibbons und Lemuren hingegen besitzen
keine derartigen Rechte. Und dies, obwohl sie, wie Menschen auch, Primaten
sind, die nachweislich ein Interesse am Leben haben und daran, vor
körperlichen und geistigen Schädigungen geschützt zu werden.[2]
2016 lancierte der politische Thinktank «Sentience Politics» im
Kanton Basel-Stadt die weltweit erste Volksinitiative, die bezweckt, diese
Rechtslage auf kantonaler Ebene zu ändern. Die Initiative
«Grundrechte für Primaten» (fortan
«Primateninitiative») fordert, dass der bestehende
Grundrechtskatalog in der Kantonsverfassung Basel-Stadt um ein Grundrecht
auf Leben und körperliche und geistige Unversehrtheit für alle
nichtmenschlichen Primaten ergänzt wird.[3]
Die Initiative wurde 2018 vom Grossen Rat des Kantons (der kantonalen
Legislative) mit Verweis auf Unvereinbarkeit mit übergeordnetem Recht
für ungültig erklärt, was einen Rechtsstreit auslöste,
der 2019 zu einem bahnbrechenden Urteil des Verfassungsgerichts Basel-Stadt
führte. Dieses erklärte die Initiative für gültig und
gestand dem Kanton Basel-Stadt die Kompetenz zu, «den Kreis der
Grundrechtsträger über die anthropologische Schranke hinaus»
zu erweitern.[4]
Die Autorin und der Autor, die den Fall juristisch begleitet haben,
diskutieren in diesem Beitrag die wichtigsten rechtlichen Entwicklungen
rund um die Primateninitiative, die kürzlich vom Bundesgericht
für gültig erklärt worden ist. Wir geben Einblicke aus
erster Hand in die dahinterliegenden rechtlichen Strategien und analysieren
kritisch, ob das bestehende Rechtssystem den Interessen nichtmenschlicher
Primaten gerecht werden kann. Mit besonderem Fokus auf dem kantonalen
Verfassungsgerichtsurteil setzen wir uns mit den unterschiedlichen
Rechtspersönlichkeitsbegriffen des Zivilrechts und des
öffentlichen Rechts auseinander, der Dichotomie zwischen Tierschutz
und Tierrechten und dem Verhältnis zwischen Bundes- und kantonalen
Kompetenzen.
Im folgenden Teil des Beitrags beleuchten wir den aktuellen Stand des
Tierschutzrechts in der Schweiz und zeigen dessen Defizite auf. Darauf
aufbauend legt der dritte Teil dar, aus welchem Grund Primaten Grundrechte
benötigen, und legt dabei besonderes Augenmerk auf deren
Fähigkeiten und Interessen. Im vierten Teil wird die
Primateninitiative vorgestellt und die wichtigsten strategischen
Überlegungen hinter der Initiative diskutiert. Anschliessend werden im
fünften Teil die zentralen Entwicklungen im Zusammenhang mit der
Lancierung der Initiative und der Beschwerde gegen die
Ungültigerklärung des Grossen Rats besprochen. Schliesslich
wenden sich die Teile sechs und sieben dem Urteil des kantonalen
Verfassungsgerichts zu und erörtern den vor kurzer Zeit ergangenen
Entscheid des Bundesgerichts.
II. Das Schweizer Tierschutzrecht
Schweizerinnen und Schweizer rühmen sich gerne, eines der strengsten
Tierschutzgesetze weltweit zu haben. Dieses Eigenlob ist nicht
unbegründet. Die Schweiz hat im globalen Vergleich in
Tierschutzbelangen in verschiedener Hinsicht eine Vorreiterrolle gespielt
und verfügt gemäss World Animal Protection Index,
welcher über 50 Staaten nach Tierschutzkriterien beurteilt, über
eine der fortschrittlichsten Tierschutzgesetzgebungen.[5]
So hat die Schweiz beispielsweise 1992 als erstes Land die
Käfighaltung von Legehennen verboten[6]
und die Verfassung dahingehend geändert, dass die Würde
nichtmenschlicher Tiere zu schützen ist (Art. 120 Abs. 2 BV). 2003
anerkannte die Schweiz, dass Tiere empfindungsfähige Wesen und nicht
blosse Sachen sind, und verankerte diesen Grundsatz in Art. 641a ZGB[7].[8]
Und erst kürzlich entschied der Bundesrat angesichts neuer
wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass die bisher nur für Wirbeltiere
geltende Betäubungspflicht auf Panzerkebse auszudehnen sei, was einem
Verbot des Lebendkochens von Hummern gleichkommt (Art. 179a Abs. 1 lit. j TSchV).[9]
Das Schweizer Tierschutzgesetz ist auf dem Papier wohl streng,
unterscheidet sich in zentralen Belangen aber kaum von den
Tierschutzgesetzen in Nachbarstaaten. Beispielsweise ist die
Massentierhaltung in der Schweiz trotz des Verbots von Käfigbatterien
immer noch eine weitverbreitete Realität. Dieses Jahr etwa haben
Schweizer Legehennen erstmals mehr als eine Milliarde Eier gelegt, wobei
rund 62% der Hennen aus Betrieben stammen, in denen zwischen 4'000 und
18'000 Tieren gehalten werden.[10]
Solche Praktiken sind rechtlich weitgehend geschützt, da das
Tierschutzgesetz von der Prämisse ausgeht, dass Tiere als Mittel
für menschliche Zwecke genutzt und instrumentalisiert werden
dürfen. Die Interessen von Menschen an der Verwendung von Tieren gehen
mit anderen Worten den Interessen von Tieren an ihrem Wohlergehen
grundsätzlich vor.
Das Schweizer Tierschutzrecht basiert nach wie vor auf einem
Nutzungsparadigma (auch bekannt als «use paradigm» oder
«welfare paradigm»),[11]
das mit dem Auftrag der Bundesverfassung, die Würde der Tiere zu
schützen (Art. 120 Abs. 2 BV),[12]
nur schwer, wenn überhaupt, in Einklang zu bringen ist. Das
Verfassungsprinzip der Würde der Kreatur spricht Tieren
«individuelle Integrität und die Fähigkeit zur Bildung
eigener Bedürfnisse»[13]
zu. In seinem grundlegendsten Sinn verlangt der Schutz der Würde des
Tieres die Anerkennung des Eigenwertes jedes Tieres[14]
(so auch explizit Art. 3 lit. a TSchG). Die
massenhafte Verwendung und Tötung von Tieren für die
Nahrungsmittelproduktion missachten in offensichtlicher Art und Weise deren
Interessen. Dies ist weiterhin rechtlich erlaubt, da das Tierschutzgesetz
Tiere nur vor der qualvollen Tötung, nicht aber vor der Tötung an
sich schützt. Anders etwa als in Deutschland, wo ein Tier nur bei
Vorliegen eines «vernünftigen Grundes» getötet werden
darf,[15]
können nichtmenschliche Tiere in der Schweiz grundlos und ohne
jegliche Rechtfertigung getötet werden.
III. Über die Notwendigkeit von Primatenrechten
Wie andere Tiere unterstehen auch nichtmenschliche Primaten diesen
rechtlichen Grundsätzen. Insbesondere gilt, dass ihre fundamentalen
Interessen, zu leben und körperlich und geistig unversehrt zu sein,
nicht grundrechtlich geschützt sind. Insofern unterscheiden sie sich
massgeblich von menschlichen Primaten, die über ein robustes
Bündel an Grundrechten verfügen. Statt nichtmenschlichen Primaten
Rechte zu verleihen, bestimmt das TSchG gerade, dass und wie sie eingesetzt und getötet werden können, und dies
oft für Zwecke, die regelmässig nicht hinterfragt werden und sich
bei näherer Betrachtung oft als trivial erweisen.
Der viel strengere rechtliche Schutz menschlicher Interessen ist, der
Tradition von Immanuel Kant folgend, deontologisch: menschlichen Interessen
wird intrinsischer Wert beigemessen, welche grundsätzlich nicht
für das Gemeinwohl geopfert werden dürfen.[16]
Bei nichtmenschlichen Primaten und anderen Tieren hingegen wird häufig
nicht davor zurückgeschreckt, ihre Interessen dem (menschlichen)
Gemeinwohl unterzuordnen.
Diese grundlegende Andersbehandlung lässt sich vor dem Hintergrund
gesicherter Erkenntnisse der Biologie, Verhaltensforschung und anderer
Disziplinen nicht halten. Alle Primaten, ob menschlich oder
nichtmenschlich, sind hochkomplexe Wesen, die ein Selbstbewusstsein,
physische und psychische Schmerzempfindlichkeit, ausgefeilte soziale und
kulturelle Beziehungen haben sowie die Fähigkeit, sich an die
Vergangenheit zu erinnern und die Zukunft vorauszusehen.[17]
Diese Ähnlichkeit zum Menschen bedeutet natürlich nicht, dass
nichtmenschliche Primaten Menschen in jeder Hinsicht entsprechen. Sie zeigt
jedoch, dass andere Primaten mit uns das wesentliche Interesse teilen, am
Leben gelassen sowie in ihrer körperlichen und geistigen
Integrität respektiert zu werden.[18]
Zu Recht werden deshalb der rechtliche Status und die Behandlung von
nichtmenschlichen Primaten nicht nur international, sondern auch in der
Schweiz zunehmend Gegenstand öffentlicher Debatten. Die
Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im
Ausserhumanbereich (EKAH) und die Eidgenössische Kommission für
Tierversuche (EKTV) betonten zum Beispiel in ihrem gemeinsamen Bericht
«Die Würde des Tieres»:
«Menschenaffen verfügen in einem hohen Grade über
‹menschliche› Eigenschaften wie Selbstbewusstsein,
Individualität und Vernunftfähigkeit. Es stellt sich die Frage,
ob der Schutz der Würde der Kreatur diesen besonderen Eigenschaften
gerecht werden kann oder ob der Umgang mit Menschenaffen und
möglicherweise mit allen Primaten über das Tierschutzgesetz
hinaus noch speziell geregelt werden müsste.»[19]
Es sind Erkenntnisse wie diese, die im Wesentlichen den Anstoss für
die Volksinitiative «Grundrechte für Primaten» gaben. In
Übereinstimmung mit Tierethikerinnen, Ethologen, Biologinnen, sowie
Rechtswissenschaftlern mit Expertise im Tierschutzrecht waren die
Initiantinnen und Initianten der Überzeugung, dass die Interessen von
nichtmenschlichen Primaten nur durch Grundrechte effektiv geschützt
werden können.[20]
Die Einführung von Grundrechten für nichtmenschliche Primaten
würde dazu führen, dass ihre fundamentalsten Interessen
öffentlich anerkannt und rechtlich geschützt würden. Die
Verletzung dieser Interessen würde einer besonderen Rechtfertigung
bedürfen und einer strengen Interessenabwägung unterzogen werden,
wie dies bei anderen Grundrechten auch der Fall ist.[21]
So müsste ein Eingriff auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im
öffentlichen Interesse oder zum Schutz von Grundrechten Dritter
erfolgen sowie verhältnismässig sein (§13 KV-BS; siehe auch Art. 36 BV).[22]
Was Grundrechte ausserdem von anderen Rechtsmechanismen unterscheidet:
gewisse Beeinträchtigungen dürfen unter keinen Umständen
zugelassen werden, wenn sie den Kerngehalt des Grundrechts betreffen.[23]
Der Kerngehalt des Rechts auf Leben zum Beispiel schützt Menschen vor
zielgerichteter Tötung, dies weil das Leben eine existentielle
Bedeutung für den Einzelnen hat.[24]
Die Initiantinnen und Initianten sind deshalb überzeugt, dass die
Einführung gleichwertiger Grundrechte für andere Primaten einen
echten Paradigmenwechsel für Tiere einläuten könnte.
Einfache Verbote gewisser Eingriffe in die Interessen von nichtmenschlichen
Primaten (z.B. ihrer Tötung in Zoos oder der Forschung) wurden dabei
nicht als echte Alternative zu Grundrechten gesehen. Verbote sind
regelmässig kontextabhängig und auf einen bestimmten Sachverhalt
zugeschnitten. Ausserdem schützen sie nur bestimmte Interessen
Betroffener und dies in negativer Weise. Grundrechte hingegen sind
allgemeiner ausgestaltet. Sie binden das gesamte staatliche Handeln und
unter bestimmten Umständen auch Private, sind auf eine unbestimmte
Vielzahl von Sachverhalten anwendbar und schützen auch positive
Interessen Betroffener.[25]
Zudem binden Grundrechte als Individualrechte die Behörden und
können vor Gericht unmittelbar geltend gemacht werden.[26]
Der fehlende grundrechtliche Schutz tierlicher Interessen manifestiert sich
in der Schweiz in strukturellen Vollzugsdefiziten der
Tierschutzgesetzgebung. GemässArt. 80 Abs. 3 BV i.V.m. Art. 32 Abs. 2 TSchG obliegt der
Vollzug des Tierschutzrechts den Kantonen, soweit das TSchG nichts anderes
vorsieht. Für verwaltungsrechtliche Angelegenheiten, die das
Tierschutzrecht in der Schweiz mehrheitlich prägen, sind kantonale
Veterinärdienste zuständig.[27]
Diese sind häufig bekannt dafür, einvernehmliche Lösungen
mit Tierhaltern und Tierhalterinnen anzusteuern und über zu wenig
finanzielle Mittel und juristisch geschultes Personal zu verfügen.[28]
Beispielhaft für die daraus resultierenden Vollzugsdefizite ist der im
Januar 2020 publizierte Bericht der Bundeseinheit für die
Lebensmittelkette (BLK), in welchem die dem Bundesamt für
Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) unterstehenden
Schlachtbetriebe auf ihre Einhaltung der Tierschutzvorschriften
überprüft wurden. Der Bericht hielt fest, dass eine Mehrheit der
Schlachtbetriebe die rechtlichen Vorschriften zum Schutz der Tiere
ungenügend befolgt, was auf «unzureichende Selbstkontrollen»
und auf die «ungenügende Ausbildung des Personals»
zurückzuführen sei.[29]
Dass der Tierschutz in der Schweiz unzureichend ist und bisweilen kaum
durchgesetzt wird, ist seit der Einführung des TSchG notorisch - und
das, obwohl bereits 1993 von der Geschäftsprüfungskommission des
Ständerats «ein bedauerliches Vollzugsdefizit» festgestellt
worden ist.[30]
Strafrechtlich sind die kantonalen Strafbehörden, d.h. die
Strafverfolgungsorgane und Gerichte zuständig (Art. 31 Abs. 1 TSchG).[31]
Und auch hier machen sich seit geraumer Zeit Vollzugsprobleme bemerkbar.
Zum Beispiel gibt es deutliche Defizite in der Anwendung allgemeiner
strafrechtlicher Grundsätze, Abgrenzungsschwierigkeiten
unterschiedlicher Straftatbestände, Sorgfaltsmängel bei der
Ermittlung des Sachverhalts und Beweissicherung und letztlich eine
tendenziell lasche Handhabung des Strafrahmens, was wiederum die
abschreckende Wirkung des Tierschutzstrafrechts bremst.[32]
Dreh- und Angelpunkt dieser Probleme ist die fehlende
Grundrechtsträgerschaft von Tieren. Denn obwohl Tiere sich bei
TSchG-relevanten Delikten «durchaus in einer vergleichbaren Lage
befinden wie menschliche Opfer von Straftaten»,[33]
werden ihre Interessen im Strafverfahren nicht wahrgenommen, da Tiere
selbst nicht als «Geschädigte» gelten (Art. 115
und 118 StPO).[34]
Würden Tiere hingegen als Grundrechtsträger anerkannt,
könnten individuelle Rechtspositionen und -ansprüche durch eine
angemessene Vertretung geltend gemacht werden. In ähnlicher Weise
können heute z.B. Kinder (Art. 299 Abs. 1 ZPO und Art. 314abis ZGB) und
andere schutzbedürftige Menschen (Art. 393-398 ZGB) ihre Rechte
durch Vertretungsberechtigte vor Gericht wirksam durchsetzen.[35]
IV. Die Volksinitiative «Grundrechte für Primaten»
Die Forderung nach Grundrechten für nichtmenschliche Primaten ist
international gesehen nicht neu. Die wohl bekannteste Organisation, die
sich für die Etablierung von Tierrechten einsetzt, ist das
US-amerikanische «Nonhuman-Rights Project» (NhRP). Ziel des NhRP
ist es, den rechtlichen Status gewisser nichtmenschlicher Tiere wie von
grossen Menschenaffen und Elefanten zu ändern: namentlich von einer
Sache, an der Eigentum begründet werden kann, zur Rechtsperson, die
Trägerin von Grundrechten ist. Da das NhRP primär im «common
law» tätig ist, soll mittels Gerichtsverfahren ein
Präzedenzfall geschaffen werden.[36]
Zwischen dem NhRP und der Initiative «Grundrechte für
Primaten» bestehen einige offensichtliche Parallelen - es gibt jedoch
auch wichtige Unterschiede.
Der erste Unterschied betrifft den Adressatenkreis der
Grundrechtsträger. Das NhRP hat sich bis vor kurzem exklusiv auf
Schimpansen fokussiert. Die Primateninitiative hingegen möchte
Grundrechte für alle nichtmenschlichen Primaten. Zweitens
charakterisiert sich die Schweiz durch ihr «civil law system»,
was bedeutet, dass Rechtsänderungen primär im
Gesetzgebungsverfahren statt auf gerichtlichem Weg erzielt werden. Die
Schweiz selbst ist bekannt für ihre stark ausgeprägten
direktdemokratischen Institutionen und ihre robusten politischen Rechte.
Zwei der wohl wichtigsten Grundpfeiler diesbezüglich sind das
Referendum und die Volksinitiative.
Eine zentrale Vorfrage, die die Initiantinnen und die Initianten
beantworten mussten, war, ob die Primateninitiative auf eine
Verfassungsänderung auf Bundes- oder Kantonsebene abzielen sollte.
Volksinitiativen, die eine Änderung der Bundesverfassung anstreben,
benötigen eine hohe Anzahl an Unterschriften und - bei Zustandekommen
der Initiative - die Mehrheit von Volk und Ständen (Art. 139 Abs. 1 und 5 BV). Dies erfordert beachtliche finanzielle Mittel, die zum Zeitpunkt der
Lancierung fehlten. Volksinitiativen auf kantonaler Ebene haben
demgegenüber den Vorteil, dass weniger Unterschriften für deren
Zustandekommen benötigt werden (3'000 im Kanton Basel-Stadt: § 47 Abs. 1 KV-BS), sowie -
im Falle der Abstimmung - «nur» ein Volksmehr. Da
Bürgerinnen und Bürgern so ihre politischen Rechte ohne grosse
Mühe wahrnehmen können, haben sich Kantone häufig als
Laboratorien der direkten Demokratie hervorgetan, gerade wenn es um
gesellschaftspolitische Veränderungen geht. So haben beispielsweise
verschiedene Kantone das Frauenstimmrecht lange vor dem Bund
eingeführt - so auch der Kanton Basel-Stadt.[37]
Basel-Stadt gehört ausserdem zu den progressiveren Kantonen des
Landes, nicht zuletzt mit Blick auf Tiere. Bei der eidgenössischen
Initiative über die Einführung eines Tierschutzanwaltes auf
Bundesebene,[38]
der schweizweit nur 29.5% der Stimmberechtigten zustimmten,[39]
wurde in Basel-Stadt eine Annahme durch 44.28% verzeichnet.[40]
Der Kanton Basel-Stadt ist darüber hinaus trotz seiner relativ kleinen
Grösse und Einwohnerzahl ein Hotspot für Life Sciences
(vornehmlich biomedizinische und pharmazeutische Forschung). Novartis und
Roche etwa - die weltweit zweit- und drittgrössten Pharmaunternehmen[41]
- haben hier ihren Sitz. Schliesslich werden im Zoo Basel
schätzungsweise 250 Primaten gehalten.[42]
Aus diesen Gründen erschien Basel-Stadt den Initiantinnen und
Initianten ein besonders vielversprechender Kanton für die Lancierung
der Primateninitiative.
V. Die wichtigsten Entwicklungen im Primatenfall
Die ersten Schritte der Initiative wurden eingeleitet, als Sentience
Politics im April 2016 ihr Positionspapier «Grundrechte für
Primaten» publizierten.[43]
Zur selben Zeit begannen die Arbeiten an einem Entwurf der
Verfassungsbestimmung, der unter Verfassungs- und Tierrechtsexpertinnen und
-experten zirkuliert wurde. Diskussionsstoff boten unter anderem die
Fragen, wie detailliert die Verfassungsbestimmung sein soll und wo in der
Verfassung sie platziert werden müsste. Schliesslich einigte sich das
Komitee darauf, dass § 11 KV-BS[44], der Grundrechtsgarantien wie das Recht auf Leben (Abs. 1 lit. a), auf
körperliche und geistige Unversehrtheit (Abs. 1 lit. b) und das Verbot
der Folter und unmenschlicher und erniedrigender Strafe oder Behandlung
(Abs. 1 lit. c) enthält, in seinen weitergehenden
Gewährleistungen (Abs. 2) wie folgt zu ergänzen sei:
Diese Verfassung gewährleistet überdies: «c. (neu) das Recht
von nichtmenschlichen Primaten auf Leben und auf körperliche und
geistige Unversehrtheit.»[45]
Die offizielle Lancierung der Initiative erfolgte am 22. Juni 2016 mit
Veröffentlichung im Kantonsblatt und einer Pressekonferenz. Im
Anschluss an die Lancierung wurden im Zeitraum von Mai bis September 2017
die erforderlichen 3'000 Unterschriften gesammelt, die am 12. September
2017 bei der Staatskanzlei hinterlegt wurden.
Nach Feststellung des Zustandekommens durch die Staatskanzlei wurde die
Initiative an den Grossen Rat überwiesen, der im Kanton Basel-Stadt
über die rechtliche Zulässigkeit von Volksinitiativen entscheidet
(§ 15 Abs. 1 IRG-BS[46]).[47]
Der Umfang seiner Prüfung umfasst die Einhaltung höherrangigen
Rechts, die Einheit der Materie und ob die Initiative Unmögliches
verlangt (§ 48 Abs. 2 KV-BS, § 14 Abs. 1 IRG-BS).[48]
Die Abklärung dieser Frage ist vom Regierungsrat in Form eines
Antrages an den Grossen Rat ausgestaltet (§ 13 IRG-BS). Dieser hielt in
seinem Bericht vom 13. Dezember 2017 fest, dass die Initiative gegen
Bundesrecht verstosse.[49]
Der Grosse Rat beschloss am 10. Januar 2018, diesem Antrag zu folgen, und
erklärte die Initiative für unzulässig.[50]
Höherrangiges Recht, so der Regierungsrat und der Grosse Rat, werde
durch die Initiative in zweierlei Hinsicht verletzt. Erstens verstosse die
Initiative gegen das Bundeszivilrecht, insbesondere dessen Bestimmungen zur
Rechtsfähigkeit, resp. dem Kreis der Rechtssubjekte. Gemäss Art. 11 ZGB stehe jedem Menschen
bedingungslos die Rechtspersönlichkeit zu. Darüber hinaus
anerkenne Art. 53 ZGB auch
juristische Personen als rechtsfähig. Diese Bestimmungen würden
den Kreis der Rechtssubjekte abschliessend festlegen und damit die
Anerkennung von Tieren als Rechtsträger ausschliessen.[51]
Zudem würden diese Bestimmungen über das Zivilrecht hinaus im
öffentlichen Recht und der gesamten Rechtsordnung Anwendung finden.[52]
Kantone könnten zwar einen weitergehenden Grundrechtsschutz
garantieren, solche Rechte «können aber nicht an Tiere verliehen
werden, die in ihrem rechtlichen Status als Rechtsobjekte von bundesrechts
wegen [sic] gar nicht Träger von Rechten sein können».[53]
Zweitens argumentieren der Regierungsrat und der Grosse Rat, dass Art. 80 Abs. 1 BV, der dem Bund
eine umfassende Rechtsetzungskompetenz zuweist, verletzt wäre, falls
die Initiative alternativ als tierschutzrechtliche Massnahme
uminterpretiert würde. Gleiches gelte für Art. 120 Abs. 2 BV.[54]
Im Kanton Basel-Stadt kann gegen die Unzulässigkeitserklärung
einer Initiative beim kantonalen Verfassungsgericht Beschwerde geführt
werden (§ 16 Abs. 1 IRG-BS).
Von diesem Recht machten drei Stimmberechtigte Gebrauch und beantragten die
Aufhebung des Beschlusses, die Gültigerklärung der Initiative und
ihre Unterbreitung an das Stimmvolk.[55]
Dem ersten Argument zur Unvereinbarkeit mit dem Bundeszivilrecht hielten
die Beschwerdeführenden entgegen, dass die Frage der
Grundrechtsfähigkeit eine genuin verfassungsrechtliche sei, zu deren
abschliessenden Beantwortung dem Bundeszivilgesetzgeber die Kompetenz
fehle.[56]
Das Zivilrecht regle ausschliesslich Rechtsbeziehungen zwischen privaten
Parteien (so explizit Art. 122 BV)
und entsprechend seien auch Art. 11 und 53 ZGB zu lesen: Sie legten fest,
dass natürliche und juristische Personen als Rechtsträger im
privatrechtlichen Rechtsverkehr teilnehmen können. Die beantragten
Grundrechte zielten hingegen nicht auf diesen Rechtsverkehr ab (so gehe es
etwa nicht um Erbstellung oder Haftungsansprüche von Primaten im
privaten Rechtsverkehr), sondern regelten das Verhältnis zwischen
nichtmenschlichen Primaten und dem Staat (resp. Kanton), das genuin
öffentlich-rechtlicher Natur ist. Damit seien zwei strukturell
unterschiedliche Sachbereiche betroffen und zivilrechtliche Komponenten
explizit nicht tangiert.[57]
Die Bundesverfassung selbst anerkenne Primaten zwar nicht als
Rechtsträger an, verbiete den Kantonen aber nicht, dies zu tun. Art. 6 Abs. 1 ZGB anerkenne dieses
Prinzip als unechter Vorbehalt zugunsten des kantonalen öffentlichen
Rechts: «Die Kantone werden in ihren öffentlich-rechtlichen
Befugnissen durch das Bundeszivilrecht nicht beschränkt.» Dieser
unechte Vorbehalt finde sich zudem in Art. 59 Abs. 1 ZGB wieder:[58]
Ein kantonales Spital etwa, das als selbständige
öffentlich-rechtliche Anstalt organisiert ist, erhalte seine
Rechtsfähigkeit allein gestützt auf das kantonale
öffentliche Recht und nicht gestützt auf das ZGB. Im Rahmen des kantonalen
öffentlichen Rechts stehe es den Kantonen also frei, Entitäten
unabhängig von der jeweiligen zivilrechtlichen Regelung die
Rechtsfähigkeit zu verleihen. Bedenke man nun, dass die Initiative
nichtmenschlichen Primaten eine eng begrenzte Rechtsfähigkeit in Bezug
auf ein Recht auf Leben und geistige und physische Integrität
vermitteln wolle und dass diese Rechte allein im kantonalen
öffentlichen Recht gründeten und wirkten, so müsse die
Initiative für zulässig erklärt werden.
Betreffend die zweite Behauptung, die Initiative würde
Bundesverfassungsrecht verletzen, anerkannten die Beschwerdeführenden,
dass Art. 80 BV eine weitgehende
Gesetzgebungskompetenz in allen Fragen des Tierschutzes festlege, so unter
anderem in Sachen Tierhaltung und -pflege, Versuche und anderweitige
Verwendung von Tieren sowie deren Einfuhr, Handel und Transport (Art. 80 Abs. 2 lit. a-f BV). In
diesen Bereichen geniesse der Bund eine umfassende, verpflichtende
Gesetzgebungskompetenz mit nachträglich derogatorischer Wirkung.[59]
Diese Kompetenz habe der Bund mit Erlass des TSchG erfüllt, das jedoch
Tiere nicht als Träger individueller Rechte anerkenne und
schütze. Die Bundeskompetenz nach Art. 80 BV unterscheide sich damit
grundsätzlich von der durch die Initiative angestrebten
Grundrechtsregelung.
Die Beschwerdeführenden machten ausserdem geltend, der Bund erhebe
zwar in Theorie den Anspruch, Tiere in diesen Bereichen zu schützen.
In seiner Kompetenz gehe es aber in erster Linie darum, Tiere menschlichen
Zwecken zugänglich zu machen, indem festgelegt werde, wann und wie sie
gezüchtet, gehalten, verwendet, gehandelt, getötet oder
anderweitig genutzt werden können. Der Schutz von Tieren komme nur
insofern zum Tragen, als dass die Verwendung eines Tieres aus menschlicher
Sicht «notwendig» ist.[60]
Weder würden die Interessen von Tieren neutral menschlichen Interessen
gegenübergestellt, noch diese mithilfe von vordefinierten Kriterien
objektiv gegeneinander abgewogen. Der Verwendungszweck allein sei
massgeblich und nur insofern dieser nicht eingeschränkt oder
geschmälert werde, bestehe die Möglichkeit, für das
Wohlergehen von Tieren zu sorgen. Würden Grundrechte für Primaten
eingeführt, so wie es die Initiative anstrebe, so würden diese
Tiere als Träger individueller, unveräusserlicher Rechte
geschützt. Rechte, die die Interessen von Primaten am Leben und ihrer
körperlichen Unversehrtheit schützen, könnten nicht
kategorisch jenen Interessen untergeordnet werden, die an der Nutzung von
Primaten bestehen. Diese Stossrichtung entspreche im Kern dem
Verfassungsprinzip der Tierwürde (Art. 120 Abs. 2 BV), welche die
Berücksichtigung des Eigenwerts von Tieren verlange, sie also um ihrer
selbst willen zu schützen sind.[61]
Ein letztes Kernargument der Beschwerdeführenden bildete das Prinzip
«in dubio pro populo»: Bestehen Zweifel an der
Rechtsmässigkeit einer Initiative, dann müsse das Volk
darüber abstimmen dürfen.[62]
VI. Das Urteil des kantonalen Verfassungsgerichts
In seinem mit Spannung erwarteten Urteil vom 15. Januar 2019 hiess das
Verfassungsgericht des Kantons Basel-Stadt die gegen die
Ungültigkeitserklärung erhobene Beschwerde gut und erklärte
die Initiative für rechtlich zulässig.[63]
Damit ebnete das Gericht den Weg für die weltweit erste
direktdemokratische Abstimmung darüber, ob gewissen Tieren Grundrechte
auf Leben und körperliche und geistige Unversehrtheit zukommen sollen.
Im Zentrum der Erwägungen des Gerichts stand die Frage, ob Bundesrecht
es den Kantonen verbiete, Tieren Grundrechte zu verleihen. Das Gericht
prüfte zunächst, ob Bundeskompetenzen im Zivilrecht der
Einführung von Grundrechten für Primaten entgegenstehen. Die
Beschwerdeführenden, so das Gericht, «wenden sich zu Recht gegen
eine Überdehnung der Zivilrechtskompetenz, soweit der Regierungsrat
aus ihr eine Sperre für die Rechtsverleihung an Primaten im kantonalen
öffentlichen Recht ableiten will».[64]
Die Zivilrechtskompetenz des Bundes wirke horizontal zwischen Personen des
Privatrechts und schaffe die Voraussetzungen für einen
funktionierenden Privatrechtsverkehr.[65]
Dieses horizontale Verhältnis unterscheide sich grundlegend vom
primär vertikalen Verhältnis zwischen Einzelnen und dem Staat und
seinen Organen und dürfe dieses nicht beschränken.[66]
Vorliegend gehe es nicht um die Schaffung einer neuen
Rechtspersönlichkeit - also einer «tierlichen Person» als
Rechtssubjekt des Zivilrechts neben den bestehenden natürlichen und
juristischen Personen.[67]
Auch stehe eine fehlende Rechtsfähigkeit von Primaten nach ZGB der
Initiative nicht entgegen. Wie dem Bundeszivilgesetzgeber müsse den
Kantonen die gleiche Gestaltungsfreiheit zustehen, insofern sie innerhalb
ihrer Zuständigkeit Rechte verleihen. Soweit also der
Privatrechtsverkehr nicht tangiert sei, könnten «die Kantone den
Kreis der Grundrechtsträger über die anthropologische Schranke
hinaus erweitern».[68]
Als nächstes prüfte das Gericht, ob die Initiative in die
umfassende Rechtsetzungskompetenz des Bundes nach
Art. 80 Abs. 1 und 2 lit. a und b BV
eingreift. Das Gericht erachtete es als offensichtlich, dass die Initiative
auf «eine Verschärfung des Tierschutzes abzielt».[69]
Wenn die Beschwerdeführenden geltend machten, Grundrechte seien von
der bundesrechtlichen Tierschutzgesetzgebung zu unterscheiden, so
verwechselten sie gemäss Gericht «den verfolgten Zweck mit dem
gewählten Mittel».[70]
Mit anderen Worten unterschieden sich Grundrechte nicht kategorisch vom
Tierschutz; sie seien lediglich ein Mittel, um Tiere besser zu
schützen. Nun geniesse der Bund in diesem Bereich eine umfassende
Kompetenz mit nachträglich derogatorischer Wirkung.[71]
Diese habe er in den Augen des Gerichts «im Bereich der Wahrung von
Leben und Unversehrtheit von Primaten umfassend ausgeschöpft» -
«jedenfalls soweit es den privaten Umgang mit nichtmenschlichen
Primaten betrifft».[72]
Würde die Initiative also Privatpersonen (inkl. Zoos und
Pharmaunternehmen) dazu anhalten, strengere Standards als jene der
Tierschutzgesetzgebung zu respektieren, so wäre sie
bundesrechtswidrig. In Bezug auf seine eigenen Organe jedoch geniesse der
Kanton Organisationsautonomie (Art. 47 Abs. 2 BV) und dürfe
für diese «über den gesetzlichen Standard hinausgehende
Tierschutzmassnahmen treffen».[73]
Kantonale öffentliche Organisationen, wie z.B. öffentliche
Spitäler oder kantonale Universitäten (z.B. die Universität
Basel), könnten gemäss Verfassungsgericht verpflichtet werden,
die Grundrechte der Primaten zu beachten.[74]
Ob diese kantonale Selbstbeschränkung sinnvoll ist, so das Gericht,
«ist keine Frage der rechtlichen Zulässigkeit, die gerichtlich
geklärt werden könnte. Es handelt sich um eine politische Frage,
die in der Volksabstimmung zu beantworten ist.»[75]
In seinen abschliessenden Überlegungen wandte sich das Gericht der
Frage zu, wie die Primateninitiative umgesetzt werden könnte, was
zeigt, dass es die Forderungen der Initianten und Initiantinnen ernst nahm.
Im Falle der Annahme der Initiative benötigten Primaten rechtliche
Vertretung, wozu der Kanton gesetzliche Regelungen treffen müsste.
Nach Ansicht des Gerichts könnte diese Vertretung von speziellen
Beauftragten beim Veterinäramt oder der KESB, einer Ombudsperson oder
gar einem eigenständigen Primatenbeistand wahrgenommen werden. Das
Gericht fügte hinzu, dass die Rechte der Primaten auch kollektiv
wahrgenommen werden könnten, beispielsweise mittels
Verbandsbeschwerderecht oder sonstigen Formen der fiduziarischen
Rechtswahrung, wie etwa der Geschäftsführung ohne Auftrag.[76]
Das Urteil des Verfassungsgerichts ist als grosser Erfolg für die
Initiantinnen sowie für die Anerkennung von Tierrechte generell zu
werten. Im Vordergrund steht das Bestreben des Gerichts, die Initiative als
politisches Anliegen zu verstehen, das es im demokratischen Diskurs zu
behandeln gilt. Auch sah das Gericht kein Hindernis in der Tatsache, dass
sich kontinentaleuropäische Rechtstraditionen bisher der
Möglichkeit verschlossen haben, anderen Entitäten als Menschen
und juristischen Personen Grundrechte zu verleihen.[77]
Damit akzeptierte das Gericht die Möglichkeit, dass nichtmenschliche
Primaten rechtsfähig und somit Träger von Grundrechten sein
können. Es stellte ausserdem nicht in Frage, dass nichtmenschliche
Primaten über relevante Fähigkeiten wie
Empfindungsfähigkeit, Selbstbewusstsein oder Autonomie verfügen.
Letztlich erkannte das Gericht die Kantone als Vorreiter der Schweizer
Grundrechtsentwicklung an und gestand ihnen genau diese Rolle im Hinblick
auf nichtmenschliche Primaten zu.
VII. Der Entscheid des Bundesgerichts
Am 25. Februar 2019, kurz nach Veröffentlichung des Urteils, legten
sechs Mitglieder des Grossen Rats beim Bundesgericht Beschwerde ein. Im
Kern argumentierten die Beschwerdeführenden, dass die Initiative
verfassungskonform ausgelegt oder rechtswidrige Teile gestrichen werden
müssten wenn die Initiative teilweise ungültig sei. Eine
verfassungskonforme Auslegung sei allerdings nicht möglich, weil dies
bedeuten würde, dass der Hauptzweck der Initiative, d.h. die
Einführung von Grundrechten für Primaten, vereitelt würde.
Auch eine Streichung der rechtswidrigen Teile sei unmöglich, weil dies
dem Willen des Initiativkomitees zuwiderlaufen würde und damit nur ein
praktisch wirkungsloser Teil übrigbleiben würde.[78]
In ihrer Beschwerdeantwort kritisierten die Beschwerdegegner diese Punkte
sowohl auf formeller wie auch materieller Ebene, wobei wir hier den Fokus
auf die materiellen Einwände legen.[79]
Gemäss Beschwerdegegner bestehe erstens keine Notwendigkeit, die
Initiative verfassungskonform auszulegen, da die Initiative die
Gesetzgebungskompetenzen des Bundes nicht berühre. Alternativ
argumentierten sie, dass die Initiative verfassungskonform ausgelegt werden
könne und deshalb vollumfänglich für gültig
erklärt werden müsse, so wie es das kantonale Verfassungsgericht
getan habe. Denn selbst bei Bindung des Gemeinwesens allein gehe es um die
Verleihung von Grundrechten an Primaten und dies wäre weiterhin vom
Willen der Initiantinnen und Initianten sowie der Unterzeichnenden
getragen. Würde das Gericht dieser Argumentation nicht folgen, machten
die Beschwerdegegner geltend, dass die Initiative immer noch nicht
ungültig sei, sondern lediglich für teilgültig zu
erklären wäre. Die vom Verfassungsgericht vorgenommene
Einschränkung auf vom Kanton gehaltene Primaten tue der Ausweitung von
Grundrechten auf nichtmenschliche Spezies keinen Abbruch, da die
Einschränkung die Initiative einzig in ihrer Tragweite modifiziere,
nicht aber in ihrem Sinn.[80]
Schliesslich lehnten die Beschwerdegegner die Behauptung der
Beschwerdeführenden ab, der Initiative käme praktisch keine
Bedeutung zu. Nicht nur sei dies gemäss § 14 IRG-BS kein
Gültigkeitserfordernis für Initiativen, sondern verkenne auch die
praktische Vorsorgewirkung, welche der Grundrechtsschutz auf Leben und
Unversehrtheit für künftige Primatenhaltung zeitigen würde.[81]
In seinem kürzlich ergangenen Entscheid vom 16. September 2020 wies
die I. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts die
Beschwerde gegen das Urteil des Verfassungsgerichts Basel-Stadt ab und
erklärte die Primateninitiative als gültig.[82]
Die vollständige Ausfertigung des in öffentlicher Beratung
ergangenen Urteils ist zur Zeit der Abfassung dieses Beitrags noch nicht
publiziert worden. In der Medienmitteilung des Bundesgerichts lässt
sich jedoch erkennen, dass das Bundesgericht der Argumentation des
kantonalen Verfassungsgerichts gefolgt ist.[83]
Konkret fand das Bundesgericht mit einer 4:1 Mehrheit,[84]
dass der Primateninitiative ein Sinn beigemessen werden kann, der sie nicht
als klarerweise unzulässig erscheinen lässt, und deshalb dem
Prinzip «in dubio pro populo» folgend für gültig zu
erklären ist. Dies sei der Fall weil Kantone über den in der
Bundesverfassung garantierten Grundrechtsschutz hinausgehen können und
weil die Initiative nur kantonale und kommunale Organe verpflichten
könne und somit nicht unmittelbar auf Private anwendbar wäre.[85]
Zwar sei letzteres in der Begründung der Initiative auf dem
Unterschriftenbogen nicht so kommuniziert und ausserdem auch der Eindruck
erweckt worden, der Schutz von Primaten würde unmittelbar mit Annahme
der Initiative verbessert. Das Bundesgericht befand jedoch, dass diese
Informationen dem Stimmvolk vor der Abstimmung ohne Weiteres kommuniziert
werden können und die Initiative deshalb für gültig zu
erklären sei, wie von den Beschwerdegegnern gefordert.
VIII. Abschliessende Bemerkungen
Bereits vor dem endgültigen Entscheid des Bundesgerichts stand fest,
dass das Urteil des Verfassungsgerichts Basel-Stadt als historisch gewertet
werden muss, da es die Weichen für eine kritischere Beurteilung des
bestehenden Tierschutzrechts gestellt und den Weg freigemacht hat für
eine zukünftige Ausweitung von Grundrechten auf nichtmenschliche
Tiere. Dass das Bundesgericht diesem Urteil nun gefolgt ist und die
Primateninitiative für gültig erklärt hat, zeugt von der
wachsenden gesellschaftlichen Erkenntnis, dass nichtmenschliche Primaten
fundamentale Interessen haben, die einem ähnlichen Schutz
bedürfen wie die Interessen von menschlichen Primaten. Das
Bundesgerichtsurteil zeigt ausserdem auch, dass wichtige politische Fragen
wie etwa jene nach der Ausweitung von Grundrechten auf Tiere nicht allein
durch Behörden bestimmt, sondern vom Volk diskutiert und beantwortet
werden sollen.
Im konkreten Fall sah sich das Bundesgericht damit konfrontiert, dass es
sich der Möglichkeit der Anerkennung von Grundrechten für
Primaten nicht verschliessen konnte, ohne gleichzeitig die politischen
Rechte der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im Kanton Basel-Stadt
zu beschneiden. In dubio pro populo bedeutete hier also auch in dubio pro animale: im Zweifelsfall soll im Kanton Basel-Stadt
darüber abgestimmt werden können, ob Leben, körperliche und
geistige Integrität auch «über die anthropologische Schranke
hinaus» als Grundrechte anerkannt werden sollen.
[2]
Siehe generell zu Primaten und deren Bedürfnissen: Colin Peter
Groves, Primate (Mammal),
Encyclopaedia Britannica (2020).
[3]
Sentience Politics, Initiativbogen
«Grundrechte für Primaten», Publikation im
Kantonsblatt 22. Juni 2016.
[6]
Zwar enthalten weder das Tierschutzgesetz vom 16. Dezember 2005
(TSchG; SR 455) noch die
Tierschutzverordnung vom 23. April 2008 (TSchV; SR 455.1) explizit ein
Verbot von Käfigbatterien, doch wurden in der Verordnung
Mindestanforderungen für die Haltung von Legehennen
festgesetzt, die eine Batteriehaltung verunmöglichen (so etwa Tabelle 9 der TSchV).
Siehe weiter Matthias Häne / Beat Huber-Eicher / Ernst
Fröhlich, Survey of Laying Hen Husbandry in Switzerland,
World's Poultry Science Journal 56/2000, S. 21.
[7]
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (ZGB; SR 210).
[8]
Parlamentarische Initiative «Die Tiere in der schweizerischen
Rechtsordnung», Bericht der Kommission für Rechtsfragen
des Ständerats vom 25. Januar 2002 (BBl 2002 4164), S. 4166.
[9]
Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen
(BLV), Erläuterungen zur Revision der Tierschutzverordnung
2017, S. 30: «Neu soll die Betäubungspflicht, die bisher
nur für Wirbeltiere gilt, auch auf Panzerkrebse ausgeweitet
werden, weil davon ausgegangen werden muss, dass sie eben- falls
leidens- und empfindungsfähig sind.» - «Die
Tötung von Panzerkrebsen mittels kochendem Wasser stellt keine
Ausnahme dar und unterliegt daher der Betäubungspflicht. Dies,
weil der Tod nicht unverzüglich eintritt und die Tiere nicht
sofort in Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit versetzt
werden.»
[10]
Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen
(BLV), «Eier»,
31. März 2020.
[11]
Siehe Will Kymlicka, Social Membership: Animal Law Beyond the
Property/Personhood Impasse, Dalhousie Law Journal 40/2017, S. 123.
[12]
Die Würde der Kreatur ist zwar in Art. 120 Abs. 2 BV unter
dem Titel «Gentechnologie im Ausserhumanbereich»
normiert, sie ist aber mithin ein Verfassungsprinzip, das Wirkung
weit über den Bereich der Gentechnologie geniesst: BGE 135 II 384 E. 3.1;
Bernhard Waldmann, in: Waldmann/Belser/Epiney (Hrsg.),
Bundesverfassung, Basler Kommentar, Basel 2015, Art. 120 N 17 (zit.
BSK BV-BearbeiterIn).
[13]
Waldmann (Fn. 12), Art. 120 N 17.
[14]
Eben dieser «spezifische Eigenwert» begründet, warum
Tiere «ihretwillen rechtlich zu achten sind»: Rainer J.
Schweizer / Christoph Errass, in:
Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender (Hrsg.), Die
schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl.,
Zürich et al. 2014, Art. 120 N 18 (SGK BV-BearbeiterIn).
[15]
§ 1 des deutschen Tierschutzgesetzes (TierSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai
2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 280 der
Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden
ist.
[16]
Siehe hierzu auch Andreas Kley, Teleologische und deontologische
Ethik: Utilitarismus und Menschenrechte, in: Mastronardi (Hrsg.),
Das Recht im Spannungsfeld utilitaristischer und deontologischer
Ethik, Stuttgart 2004, S. 55 ff.; Andrea Sangiovanni, Why There
Cannot be a Truly Kantian Theory of Human Rights, in:
Cruft/Liao/Renzo (Hrsg.), Philosophical Foundations of Human
Rights, Oxford 2015, S. 671 ff.
[17]
Zu diesen und weiteren Fähigkeit nichtmenschlicher Primaten,
siehe Abigail Z. Rajala / Katharine R. Reininger / Kimberly M.
Lancaster / Luis C. Populin, Rhesus Monkeys (Macacamulatta) Do
Recognize Themselves in the Mirror: Implications for the Evolution
of Self-Recognition, PLoS ONE 5/2010, S. 1; Monique W. de Veer /
Gordon G. Gallup Jr. / Laura A. Theall / Ruud van den Bos / Daniel
J. Povinelli, 8-Year Longitudinal Study of Mirror Self-Recognition
in Chimpanzees (Pan Troglodytes), Neuropsychologia 41/2003, S. 229;
Frans B. M. de Waal / Marietta Dindo / Cassiopeia A. Freeman /
Marisa J. Hall, The Monkey in the Mirror: Hardly a Stranger,
National Academy of Sciences 102/2005, S. 11140; Justin J.
Couchman, Self-Agency in Rhesus Monkeys, Biology Letters 8/2012, S.
9; William A. Roberts, Mental Time Travel: Animals Anticipate the
Future, Current Biology 17/2007, S. 418; Nicola S. Clayton / Tim J.
Bussey / Anthony Dickinson, Can Animals Recall the Past and Plan
for the Future?, Nature Reviews Neuroscience 4/2003, S. 685; Thomas
Suddendorf / Michael C. Corballis, Behavioural Evidence for Mental
Time Travel in Non-human Animals, Behavioural Brain Research
215/2010, S. 295; John P. Rafferty, Primates, Encyclopaedia
Britannica 2011.
[18]
Ibid. Das gilt übrigens auch für viele weitere Tiere,
nicht nur für Primaten. Die Initiative fokussiert jedoch auf
Primaten, weswegen das Argument der Autoren in diesem Beitrag auch
auf diese beschränkt ist.
[19]
Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im
Ausserhumanbereich (EKAH) und Eidgenössische Kommission
für Tierversuche (EKTV), Die Würde des Tieres,
2005, S. 11.
[21]
Fasel/Blattner/Mannino/Baumann (Fn. 20), S. 6.
[22]
Dies dem Schema von Art. 36 Abs. 1-3 BV
folgend. Zu Grundrechtseingriffen und -rechtfertigungen im Detail,
Markus Schefer, Die Beeinträchtigung von Grundrechten: Zur
Dogmatik von Art. 36 BV, Bern 2006.
[23]
Markus Schefer, Die Kerngehalte von Grundrechten: Geltung, Dogmatik
und inhaltliche Ausgestaltung, Bern 2001.
[24]
Jörg Paul Müller, Recht auf Leben, Persönliche
Freiheit und das Problem der Organtransplantation, ZSR 1971/I, S.
461; BGE 98 Ia 508 E. 4a
S. 514. Ausnahmen bestehen nur im Extremfall bei Vorliegen
besonderer Rechtfertigung, namentlich unter strikter
Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips und nur wenn
die Handlung zur Erreichung eines legitimen Ziels absolut notwendig ist. Unter diesen Voraussetzungen stellt
die Todesfolge eine ausnahmsweise zulässige Verletzung des
Rechts auf Leben dar, sie ist aber «keinesfalls eine Erlaubnis
staatlicher Tötung»: Regina Kiener / Walter Kälin /
Judith Wyttenbach, Grundrechte, 3. Aufl., Bern 2018, § 11 N
17.
[25]
Charlotte E. Blattner, Rethinking the 3Rs: From Whitewashing to
Rights, in: Herrmann/Jayne (Hrsg.), Animal Experimentation: Working
towards a Paradigm Change, Leiden et al. 2019, S. 178 ff.
[26]
Vgl. weiter Kiener/Kälin/Wyttenbach (Fn. 24), § 8 N 1 ff.
[27]
Gieri Bolliger / Michelle Richner / Andreas Rüttimann / Nils
Stohner, Schweizer Tierschutzstrafrecht in Theorie und Praxis, 2.
Aufl., Zürich 2019, S. 255.
[28]
Exemplarisch sei hier auf den höchst verstörenden
Hefenhofen-Fall hinzuweisen. Mehr dazu: Charlotte E. Blattner,
Secondary Victimization of Animals in Criminal Procedure: Lessons
from Switzerland, Journal of Animal Ethics 10/2020, S. 1 ff.
[30]
Zu Vollzugsproblemen im Tierschutz, siehe den Bericht über die
Inspektion der Geschäftsprüfungskommission des
Ständerates an den Bundesrat vom 5. November 1993, S. 626 f.
[31]
Bolliger/Richner/Rüttimann/Stohner (Fn. 27), S. 257.
[32]
Bianca Körner / Nora Flückiger / Christine Künzli,
Schweizer Tierschutzstrafpraxis 2018: Jahresanalyse des
landesweiten Tierschutzstrafvollzugs, Stiftung für das Tier im
Recht, Zürich, 14. November 2019. Die Stiftung für das
Tier im Recht (TIR) sammelt seit 2003 die vom BLV anonymisierten
Daten zur Erstellung einer Datenbank, auf welcher Basis sie
jährlich die Entwicklung der schweizweiten
Strafentscheidpraxis analysiert.
[33]
Bolliger/Richner/Rüttimann/Stohner (Fn. 27), S. 271.
[34]
Siehe weiter zu dieser Problematik: Blattner (Fn. 28), S. 1 ff.
[35]
Wohlgemerkt zielt die vorliegend infrage stehende Initiative nicht
auf eine Änderung des Bundesrechts ab, sondern auf die
Schaffung kantonaler Grundrechtsgarantien. Diese werden durch
Bundesrecht begrenzt. Aus ihr könnten Primaten etwa keine
Geschädigtenstellung nach der Schweizerischen
Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; SR 312.0) ableiten. Zu den
Fragen, welche die Primateninitiative in föderaler Hinsicht
aufwirft, siehe weiter unten, IV. ff.
[37]
Brigitte Studer, Das Frauenstimm- und Wahlrecht in der Schweiz
1848-1971, Österreichische Zeitschrift für
Geschichtswissenschaften 26/2015, S. 14.
[38]
Die Volksinitiative «Gegen Tierquälerei und für
einen besseren Rechtsschutz der Tiere
(Tierschutzanwalt-Initiative)» sah eine Änderung der
Bundesverfassung wie folgt vor:
Art. 80 Abs. 4 und 5 (neu)
4
Der Bund regelt den Rechtsschutz von Tieren als
empfindungsfähigen Lebewesen.
5
In Strafverfahren wegen Tierquälerei oder anderen
Verstössen gegen das Tierschutzgesetz vertritt eine
Tierschutzanwältin oder ein Tierschutzanwalt die
Interessen der misshandelten Tiere. Mehrere Kantone können
eine gemeinsame Tierschutzanwältin oder einen gemeinsamen
Tierschutzanwalt bestimmen.
(Botschaft zur Volksinitiative «Gegen Tierquälerei und
für einen besseren Rechtsschutz der Tiere
(Tierschutzanwalt-Initiative)», BBl 2008 4313 ff., 4314).
[42]
Die Anzahl der Tiere, die im Zoo gehalten werden, ist nicht
öffentlich einsehbar. Diese kann lediglich anhand qualitativer
Beschriebe wie Neuzugänge, Geburten und Ableben eruiert
werden. Zoo Basel, Zootiere Basel.
[44]
Verfassung des Kantons Basel-Stadt vom 23. März 2005 (KV-BS; SG 111.100).
[45]
Kantonsblatt Nr. 47 (S. 1137) vom 22. Juni 2016.
[48]
Im Kanton Basel-Stadt bildet die Unvereinbarkeit einer Initiative
mit höherrangigem kantonalem Recht und Bundesrecht ein
Ungültigkeitsgrund. Dieser Anspruch auf
Ungültigkeitserklärung ist durch Art. 34 BV nicht
bundesrechtlich vorgeschrieben, sondern gründet im kantonalen
Recht (§ 48 Abs. 2 KV-BS, § 14 Abs. 1 IRG-BS);
exemplarisch dazu Urteil des Bundesgerichts 1C_267/2016 vom 3. Mai
2017 E. 1, nicht publiziert in BGE 143 I 361.
[49]
Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt, Kantonale Volksinitiative
«Grundrechte für Primaten», Bericht über die
rechtliche Zulässigkeit und das weitere Verfahren vom 13.
Dezember 2017, GD/P171389.
Ob die Initiative kantonales Recht beachtet, sich nur mit einem
Gegenstand befasst und nichts Unmögliches verlangt, wurde
nicht geprüft (Id., E. 3.3.2).
[50]
Beschluss des Grossen Rates vom 10. Januar 2018, publiziert im Kantonsblatt Nr. 4 vom 13. Januar 2018, S. 59. Siehe allgemein zur Behandlung von Initiativen durch
Behörden im Kanton Basel-Stadt: Stefan Wullschleger,
Bürgerrecht und Volksrechte, in: Buser (Hrsg.), Neues Handbuch
des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons Basel-Stadt, Basel
2008, S. 158 ff.
[51]
Regierungsrat (Fn. 49),
«Grundrechte für Primaten», S. 5-6.
[52]
Regierungsrat (Fn. 49), «Grundrechte für Primaten»,
S. 5.
[53]
Regierungsrat (Fn. 49), «Grundrechte für Primaten»,
S. 6.
[54]
Regierungsrat (Fn. 49), «Grundrechte für Primaten»,
S. 6.
[55]
Beschwerde vom 9. Februar 2018 (liegt der Autorenschaft vor).
[56]
Die materielle Grundlage der Rechtsfähigkeit bei
natürlichen Personen etwa sei in Art. 7 und 8 BV verankert, und nicht in Art. 11 ZGB. Siehe hierzu
auch Schefer, Kerngehalte (Fn. 23), S. 472.
[57]
So auch Arnold Marti, in: Gauch/Schmid (Hrsg.), Zürcher
Kommentar ZGB, Bd. I, 3. Aufl., Zürich 1998, Art. 6 N 47.
[58]
Zu Art. 6 Abs. 1 und Art. 59 Abs. 1 ZGB als
unechte Vorbehalte: Lukas Schaub, Die Vereinbarkeit von Art. 763 OR
mit der kantonalen Organisationsautonomie: Eine kritische
Betrachtung, in: Schweizerische Vereinigung für
Verwaltungsorganisationsrecht (Hrsg.), Jahrbuch 2016/17
Verwaltungsorganisationsrecht - Staatshaftungsrecht -
öffentliches Dienstrecht 2017, S. 154 ff.; Bettina
Hürlimann-Kaup / Jörg Schmid, Einleitungsartikel des ZGB
und Personenrecht, 3. Aufl., Zürich 2016, S. 113.
[59]
Giovanni Biaggini, BV Kommentar, 2. Aufl., Zürich 2017, Art.
80 N 4.
[60]
Art. 4 Abs. 2 TSchG. Siehe auch Margot Michel, Tierschutzgesetzgebung im
Rechtsvergleich, in: Michel/Kühne/Hänni (Hrsg.), Animal
Law: Tier und Recht, 2012, S. 600.
[61]
Art. 1 TSchG
(Zweckartikel), Art. 3a TSchG (Definition
Tierwürde), Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG
(Strafandrohung bei Würdemissachtung). Weiter dazu Gieri
Bolliger / Andreas Rüttimann, Rechtlicher Schutz der
Tierwürde - Status Quo und Zukunftsperspektiven, in:
Amman/Christensen/Engi/Michel (Hrsg.), Würde der Kreatur -
Ethische und rechtliche Beiträge zu einem umstrittenen
Konzept, Zürich 2015, S. 65 ff.
[62]
BGE 143 I 129
E. 2.2; BGE 111 Ia 292 E.
3c/cc. Siehe weiter dazu auch Andres Glaser / Irina Lehner,
Anmerkung zum Urteil des Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt als Verfassungsgericht vom 15. Januar 2019 - VG.2018.1
- Gültigkeit der Volksinitiative «Grundrechte für
Primaten», AJP 2019, S. 730. Jüngst dazu Camilla
Jacquemoud, Le traitement « favorable » des initiatives
populaires, ZBl 121/2020, S. 407.
[63]
Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt als
Verfassungsgericht VG.2018.1 (AG.2019.40) vom
15. Januar 2019 E. 4.4 (in der Folge: Urteil Verfassungsgericht
BS). Siehe weiter zur Teilungültigkeit von Initiativen: Yvo
Hangartner / Andres Kley, Die demokratischen Rechte in Bund und
Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, N
2139 ff. sowie etwa auch BGE 129 I 236 E. 3.1.
[68]
Urteil Verfassungsgericht BS
E. 3.7.3. In diesem Kontext weisen Glaser/Lehner (Fn. 62) darauf
hin, dass in Europa allgemein «keine generelle Abkehr von der
Speziesbezogenheit von Grundrechten festzustellen» ist (S.
727).
[71]
Urteil Verfassungsgericht BS
E. 3.8.1; BSK BV-Liliane Schärmeli/Alain Griffel, Art. 80 N
17; SGK BV-Christoph Errass, Art. 80 N 13; Biaggini (Fn. 59), Art.
80 N 4.
[74]
Unter dem Vorbehalt, dass diese Rechte gegen das Recht auf
Forschungsfreiheit abgewogen würden: Urteil Verfassungsgericht BS
E. 4.2.1. Siehe auch E. 3.8.3.
[78]
Stimmrechtsbeschwerde vom 19. Februar 2019, Rz 23 (liegt der
Autorenschaft vor).
[79]
Siehe für die formellen Einwände: Beschwerdeantwort vom
3. Mai 2019, Rz 1-7 (liegt der Autorenschaft vor).
[81]
Entsprechend bejahte das Bundesgericht die Zulässigkeit
für den Fall, dass eine Initiative «vorsorgliche
Wirkung» entfalten und auch nur «programmatischer
Natur» sein kann: BGE 139 I 292 E. 7.4.1.
[82]
Urteil des Bundesgerichts 1C_105/2019 vom 16. September 2020.
[84]
Siehe Kathrin Alder, Baslerinnen und Basler stimmen über
Grundrechte für Affen ab, NZZ vom 16. September 2020.