c) Implizite Ausnahmebewilligung?
A. hatte vorgebracht, das AWA SO habe kompensatorische Massnahmen
verfügt, weshalb (implizit) davon auszugehen sei, dass das AWA SO die
Voraussetzungen einer Ausnahmebewilligung als erfüllt betrachtet habe.[17]
Denn ein Kontaktfenster falle nur in Betracht, wenn ein ständiger
Arbeitsplatz mit Sicht ins Freie nicht möglich sei, da ein
Kontaktfenster definitionsgemäss von den betroffenen Arbeitnehmenden
gelegentlich für einen Blick in die Aussenwelt aufgesucht werde.[18]
Das Bundesgericht erwog zunächst, dass es sich bei einer Küche in
einem Restaurant um einen ständigen Arbeitsplatz handelt.[19]
Denn nach Praxis der Verwaltungsbehörden gilt ein Arbeitsbereich als
ständiger Arbeitsplatz, wenn er mehr als zweieinhalb Tage pro Woche
durch eine oder mehrere arbeitnehmende Personen nacheinander besetzt ist.[20]
Das Bundesgericht stellte dann klar, dass A. um eine Ausnahmebewilligung
nach Art. 39 Abs. 1 ArGV 3
für einen ständigen Arbeitsplatz ohne Sicht ins Freie
ersucht habe, tatsächlich aber ein Arbeitsraum ohne
Tageslicht zu beurteilen sei.[21]
Die Vorinstanz habe den Einbau eines Kontaktfensters bestätigt,
weshalb die Küche als Arbeitsraum mit Tageslicht anzusehen
sei.[22]
Ein Kontaktfenster könne zwar auch eine kompensatorische Massnahme
i.S.v. Art. 24 Abs. 5 ArGV 3 sein,
doch sei es vorliegend eine Massnahme zur Schaffung von Tageslicht, weshalb
die Vorinstanz nicht (implizit) die Voraussetzungen einer
Ausnahmebewilligung für einen Arbeitsplatz ohne Sicht ins
Freie bejaht habe.[23]
d) Fehlendes Prognoseverfahren
Das Bundesgericht stellte in der Folge fest, dass im vorinstanzlichen
Urteil eine hinreichende Verhältnismässigkeitsprüfung
fehlte.[24]
Die Vorinstanz habe es unterlassen, den Tagesablauf, die effektiven
Arbeitszeiten und die Dauer, die sich der Küchenchef an den
verschiedenen Orten im Restaurant B. aufhält, festzustellen.[25]
Für eine rechtsgenügende
Verhältnismässigkeitsprüfung sei von Bedeutung, ob der
Küchenchef während der Nebenarbeitszeiten gewisse Arbeiten
ausserhalb der Küche - im Freien oder im Bereich des Ess- und
Aufenthaltsraumes im Erdgeschoss - erledigen könne.[26]
Das Bundesgericht wies der Vollständigkeit halber noch darauf hin,
dass dem Ergebnis einer einzelfallspezifischen
Verhältnismässigkeitsprüfung die Wegleitung des SECO im
Grundsatz nicht entgegenstehe, gemäss derselben ein Arbeitsraum ohne Tageslicht toleriert werde, wenn der technischen oder
sicherheitsbedingten Notwendigkeit ein höherer Stellenwert beigemessen
werden kann als dem natürlichen Licht, keine andere Lösung
realisierbar und die Forderung nach natürlicher Beleuchtung
unverhältnismässig ist.[27]
Das Bundesgericht will demnach Art. 15 ArGV 3
verhältnismässig anwenden, bezieht sich dabei aber auf die
Voraussetzungen der Ausnahmebewilligung. Das ist methodisch nicht über
alle Zweifel erhaben.[28]
e) Prognoseinhalt
Das Bundesgericht gab der Vorinstanz schliesslich mit auf den Weg, dass der
Einbau eines Kontaktfensters zwar geeignet sei, der Küche ein gewisses
Mass an Tageslicht zuzuführen, eine genauere Betrachtung jedoch Fragen
aufwerfen könne.[29]
Es sei ferner zu beachten, dass das Restaurant B. lediglich in den
Abendstunden ab 17 Uhr geöffnet habe, weshalb insbesondere in den
Wintermonaten aufgrund der kurzen Tage und des tiefen Sonnenstandes
während der Hauptarbeitszeiten gar kein Tageslicht in die Küche
fallen dürfte.[30]
Ausserdem sei die Erforderlichkeit des Kontaktfensters zu prüfen,
wobei es zu berücksichtigen gelte, dass neben den hellen Farben in der
Küche auch organisatorische Kompensationsmassnahmen ergriffen werden
könnten, um den baulichen Defiziten entgegenzuwirken.[31]
Das Bundesgericht hob hervor, dass der Küchenchef das Erdgeschoss mit
einem Kontaktfenster von circa 80m2 in zehn Meter
Gehdistanz habe und diesen Arbeitsbereich wohl regelmässig aufsuchen
könne.[32]
II. Würdigung des Entscheids
1. Vorbemerkungen
Die Beschwerde wurde gutgeheissen, weil die berührten Interessen
rechtsfehlerhaft ermittelt waren. Der Entscheid mutet auf den ersten Blick
als übliche Konsequenz einer Verletzung des
Verhältnismässigkeitsprinzips an. Erst auf den zweiten Blick
lassen sich Fehler betreffend die Einordnung in die Systematik der Regelung
der Lichtverhältnisse am Arbeitsplatz erkennen. Dieser Regelung ist
daher nachfolgend auf den Grund zu gehen.
2. Zu den Lichtverhältnissen
a) Arbeitsraum ohne Tageslicht
Ein Arbeitsraum muss grundsätzlich Tageslicht haben (Art. 15 Abs. 2 ArGV 3).
Arbeitsräume ohne Tageslicht dürfen benutzt werden, wenn bauliche
oder organisatorische Massnahmen sicherstellen, dass die Gesundheit der
Arbeitnehmenden ausreichend geschützt ist (Art. 15 Abs. 3 ArGV 3). Der
Gesundheitsschutz ist u.a. genügend, wenn mehrere kompensatorische
Massnahmen kombiniert werden.[33]
Zwei der gemäss SECO möglichen Schutzkonzepte bedingen die
Arbeitsplatzrotation von einem Arbeitsplatz ohne zu einem
Arbeitsplatz mit hohem Tageslichtanteil.[34]
Die Arbeitnehmenden müssen durch Rotation während mindestens der
Hälfte der Arbeitszeit eine Tätigkeit an Arbeitsplätzen mit
hohem Tageslichtanteil ausführen können.[35]
Zwar hat der Küchenchef den Ess- und Aufenthaltsraum in zehn Meter
Gehdistanz. Es ist aber zu bezweifeln, dass er sich dort tatsächlich
während der Hälfte seiner Arbeitszeit aufhalten kann.
Wird der Arbeitsraum mit tageslichtähnlicher Beleuchtung ausgestattet,
werden die arbeitshygienischen Richtwerte[36]
strikte eingehalten und darf auch ein von den Arbeitsplätzen getrennter Ess- und Aufenthaltsraum
mit zweckmässigen Sitzplätzen und Blick ins Freie für
(unbezahlte) Pausen aufgesucht werden[37]
wäre dem Gesundheitsschutz ebenfalls Genüge getan.[38]
Weil sich der Küchenchef im Erdgeschoss bei den Gästen des
Restaurants über die Qualität der Speisen erkundigt, ist der Ess-
und Aufenthaltsraum wohl kein vom Arbeitsplatz getrennter (Pausen-)Raum. Ob
es einen anderen Pausenraum gibt, der den erwähnten Anforderungen
entspricht, ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen.
b) Ständige Arbeitsplätze ohne Sicht ins Freie
Wenn wir uns den Wortlaut von Art. 24 Abs. 5 Satz 1 ArGV 3
vergegenwärtigen, müssen alle ständigen Arbeitsplätze
die Sicht ins Freie erlauben. In Räumen ohne Fassadenfenster
sind ständige Arbeitsplätze zulässig, wenn sie
durch kompensatorische Massnahmen den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden
gewährleisten (Art. 24 Abs. 5 Satz 2 ArGV 3).
Aber sind mit «Räumen ohne Fassadenfenster» auch
unterirdische Arbeitsräume gemeint? Oder anders gefragt, sind
Arbeitsplätze im fensterlosen Untergeschoss zulässig?
Nach der hier vertretenen Auffassung erfasst Satz 2 von Art. 24 Abs. 5 ArGV 3 aus
hermeneutischen Gesichtspunkten nur die oberirdischen Arbeitsplätze,
weil in Satz 1 der Norm von Standorten mit Sicht ins Freie und in der Folge
in Satz 2 von Arbeitsräumen mit Fassadenfenstern gesprochen
wird und Fassadenfenster nur oberirdisch sein können. Auch aufgrund
systematischer Überlegungen müssen (ständige) Arbeitsplätze im fensterlosen Untergrund grundsätzlich
unzulässig sein, weil solche in Industriebetrieben gemäss Art. 4 ArGV 4[39]
nur ausnahmsweise bewilligt werden.
Das Fassadenfenster im «Ess- und Aufenthaltsraum» im Erdgeschoss
kann vorliegend kein Kontaktfenster sein, weil sich dieses nicht im
näherem Arbeitsumfeld der betroffenen Person befindet und
wohl auch nicht bei Bedarf aufgesucht werden kann.[40]
Zwar befindet sich das Erdgeschoss in zehn Meter Gehdistanz, jedoch in
einem anderen Arbeitsraum, weil die Gäste im «Ess- und
Aufenthaltsraum» ihre Speisen einnehmen.[41]
Durch eine Arbeitsplatzrotation wiederum wäre die Gesundheit
ausreichend geschützt.[42]
Das Kontaktfenster von mindestens einem Quadratmeter in einem vom
Gästebereich getrennten Ess- und Aufenthaltsraum sollte nach
Möglichkeit die Aussicht in einen belebten oder begrünten
Aussenraum bieten und sich im näheren Arbeitsumfeld befinden.[43]
Ausserdem muss es bei Bedarf aufgesucht werden können, was sich bei
einem Restaurant als schwierig erweisen könnte, weil in der
Gastronomie i.d.R. die Wartezeit der Gäste nicht vom Bedürfnis
des Küchenpersonals nach Erholung abhängig ist.
Eine Blickverbindung ins Freie erlaubt kurze, aktive Erholungsphasen -
tagsüber, in der Dämmerung und auch in der Nacht.[44]
Der Hinweis des Bundesgerichts, dass insbesondere in den Wintermonaten
ohnehin kein Tagelicht in die Küche kommen würde, ist aus Sicht
des Gesundheitsschutzes irrelevant.
c) Zwischenergebnis
Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass das einzubauende Fenster
zusammen mit einer Anpassung der Arbeitsflächen aus der unterirdischen
Küche ohne Fenster einen (ständigen) Arbeitsplatz mit Tageslicht
und Sicht ins Freie machen würde. Die Voraussetzungen der
Ausnahmebewilligung waren daher auch nicht als (implizit) erfüllt zu
betrachten. Die Einordnung als Massnahme zur Schaffung von Tageslicht
lässt ausser Acht, dass die Küche ein ständiger Arbeitsplatz
ist, der grundsätzlich die Sicht ins Freie erlauben muss.
Für eine (verhältnismässige) Anwendung vonArt. 15 und Art. 24 Abs. 5 ArGV 3 betreffend
den vorliegenden Sachverhalt bleibt kein Raum, sofern nicht auf kurzem Wege
ein vom Gästebereich getrennter Ess- und Aufenthaltsraum mit Sicht ins
Freie erreichbar ist. Zwar ist es denkbar, dass die Küche im
Restaurant B. den Anforderungen an einen gesunden Arbeitsraum
entsprechen kann. Ständige Arbeitsplätze ohne Sicht ins
Freie sind allerdings nur ausnahmsweise zu bewilligen.[45]
Es war vorliegend - entgegen den Erwägungen des Bundesgerichts - nicht
eine (verhältnismässige) Anwendung von Art. 15 und/oder Art. 24 ArGV 3 zu beurteilen,
sondern die Voraussetzungen von Art. 39 ArGV 3, die eine
Interessenabwägung enthalten.[46]
3. Methodisches
a) Verhältnismässigkeit versus Interessenabwägung
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, weil die Vorinstanz die
relevanten Interessen nicht ermittelt hatte, also den Sachverhalt
mangelhaft festgestellt hatte (Art. 97 Abs. 1 BGG[47]). Fehler bei der Ermittlung und der Analyse der relevanten
Verhältnisse können als wesentliche Verletzung der
Verhältnismässigkeitsbeurteilung im formellen Sinn[48]
oder als Rechtsfehler der Interessenabwägung eingeordnet werden.[49]
Die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils war zwar im Ergebnis richtig,
weil es auf einem Rechtsfehler beruhte (fehlerhafte Ermittlung der
relevanten Verhältnisse), doch verlässt das Bundesgericht den
methodisch zulässigen Rahmen, wenn es die Vorinstanz darauf hinweist,
welche organisatorischen Massnahmen welchen Überlegungen zum
Arbeitsbereich im Erdgeschoss mit dem 80m2-Kontaktfenster
gegenüberzustellen sind.[50]
Denn ein ständiger Arbeitsplatz ohne Sicht ins Freie ist als Ausnahme
nach Art. 39 ArGV 3 zu bewilligen,
der eine Interessenabwägung vorausgeht. Mit seinen Hinweisen
betreffend die relevanten Interessen korrigiert das Bundesgericht diese
Norm aber gestützt auf das Verhältnismässigkeitsprinzip.
b) Normkorrektur via Verhältnismässigkeit
Der Auslöser einer Normkorrektur muss ein unhaltbares
Auslegungsergebnis sein.[51]
Um eine Korrektur rechtfertigen zu können, muss das Auslegungsergebnis
demnach in einen Konflikt mit den grundlegenden Werten der geltenden
Rechtsordnung treten.[52]
Dabei kommt dem Verhältnismässigkeitsprinzip keine residuale Schutzposition zu, weshalb es nicht als
Korrekturnorm anerkannt ist.[53]
Was im Allgemeinen gilt, muss im Besonderen für die gesetzlichen
Regeln für Ausnahmebewilligungen gelten, die für die
Behörden gezielt Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume
vorsehen.[54]
Ausnahmebewilligungen sind nicht restriktiv, sondern korrekt zu erteilen,
d.h. dass die gesetzliche Grundlage im Lichte des allgemeinen
Gesetzeszwecks auszulegen und anzuwenden ist.[55]
Würde nun aber eine Ausnahme mit Bezugnahme auf das
Verhältnismässigkeitsprinzip bewilligt, würden die
entscheidenden Richterinnen und Richter ihre (subjektiven)
persönlichen Richtigkeitsvorstellungen verschleiern,[56]
anstatt eine Interessenabwägung[57]
anhand (objektiver) gesetzlicher Kriterien durchzuführen.
c) Verhältnismässiger Gesundheitsschutz?
Die Vorgaben für die Lichtverhältnisse am (ständigen)
Arbeitsplatz bezwecken den Gesundheitsschutz, der die Arbeitgebenden
verpflichtet, grundsätzlich jede Beeinträchtigung der Gesundheit
der Arbeitnehmenden zu vermeiden.[58]
Gerade im Bereich des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz kann eine Tendenz
beobachtet werden, die gesetzlichen Vorgaben mit
Verhältnismässigkeitsüberlegungen zu übersteuern.
Ein aktuelles Beispiel ist die Sistierung der Arbeits- und Ruhezeiten zu
Beginn der Corona-Pandemie.[59]
Diese Massnahme sollte Personalengpässen vorbeugen, die die
Gesundheitsversorgung hätten unterbrechen können.[60]
Weil das Arbeitsgesetz Regeln für Notfälle kennt, in denen das
Leben und die Gesundheit von Menschen auf dem Spiel stehen, war aber die
Aussetzung der Arbeits- und Ruhezeiten gar nicht erforderlich.[61]
Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, dass der Gesundheitsschutz auch
in privaten Arbeitsverhältnissen gewährleistet ist (Art. 35 Abs. 1 und 3 BV[62]).[63]
Dem Schutz der Gesundheit muss stets die höchste Priorität
zukommen (bei Verhältnismässigkeitsprüfungen und bei
Interessenabwägungen).[64]
Der Schutz der Gesundheit darf nicht leichtfertig abgebaut werden, nur weil
andere gewichtige öffentliche oder private Interessen auf den Plan
treten.
4. Ausblick
a) Art. 39 ArGV 3
Ausnahmebewilligungen nach Art. 39 Abs. 1 ArGV 3 können im Einzelfall betreffend sämtliche Bestimmungen der ArGV 3, also auch hinsichtlich Art. 15 und Art. 24 ArGV 3 gewährt
werden, wenn der Betrieb entweder ebenso wirksame Massnahmen trifft (Bst.
a) oder ein Härtefall vorliegt und die Gesundheit der
Arbeitnehmenden trotzdem geschützt ist (Bst. b). Bei den «ebenso
wirksamen Massnahmen» handelt es sich um kompensatorische Massnahmen,
mit denen dem Gesundheitsschutz Genüge getan wird.[65]
Nicht zu vergessen ist, dass den betroffenen Arbeitnehmenden oder deren
Vertretung im Betrieb Gelegenheit gegeben wird, sich zur
Ausnahmebewilligung zu äussern (Art. 39 Abs. 2 ArGV 3), was der
zuständigen Behörde mitzuteilen ist.[66]
Der Küchenchef liess sich vorliegend dahingehend vernehmen, dass er
während seiner 30 Dienstjahre noch nie in einer Küche mit
Tageslicht gearbeitet habe und die Situation daher als unproblematisch
ansehe.[67]
Es sei hier empfohlen, die Meinung des eidgenössischen
Arbeitsinspektorats einzuholen.[68]
b) Härtefälle
Voraussetzung für eine Ausnahmebewilligung nach Bst. a von Art. 39 Abs. 1 ArGV 3 ist, wie
bereits das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn erkannte, dass der
technischen oder sicherheitsbedingten Notwendigkeit ein höherer
Stellenwert als dem Tageslicht am ständigen Arbeitsplatz beigemessen
wird, keine andere Lösung realisierbar ist und die Forderung
nach natürlicher Beleuchtung unverhältnismässig ist.[69]
Diese Voraussetzungen sind also kumulativ zu erfüllen.
Der Schutz vor äusseren Einflüssen kann technisch notwendig sein,
bspw. bei Messlaboren des Bundesamtes für Meteorologie, die eine
stabile Atmosphäre erfordern (Temperatur, Feuchtigkeit, Vibrationen),
bei Radio- oder Fernsehstudios (Lärm, Vibrationen) oder aber bei
Faraday-Käfigen (elektromagnetische Felder). Dasselbe gilt, wenn
Produkte fabriziert werden, die durch Licht beschädigt oder
zerstört werden können.[70]
Der Nachweis der sicherheitsbedingten Notwendigkeit kann bspw. bei
EDV-Räumen, Tresorräumen von Banken, militärischen Bauten,
Steuerzentralen von Kernkraftwerken, Kraftwerken (Schutz vor äusseren
Einflüssen) oder zum Schutz der Umwelt vor Strahlung oder
Explosionsfolgen erbracht werden.[71]
Die Küche im Restaurant B. jedenfalls muss nicht wegen einer
technischen oder sicherheitsbedingten Notwendigkeit auf Tageslicht
verzichten.
c) Auswege
In solchen Fällen besteht der einzige Ausweg darin, dass zu den
gemäss ArG zu
gewährenden längeren Pausen[72]
zusätzlich zwei Pausen à je 20 Minuten pro Halbtag gewährt
werden, die an einem Ort mit Sicht ins Freie verbracht werden dürfen.[73]
Diese Massnahme ist im «ShopVille-RailCity-Entscheid» vom
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich als geeignete und
verhältnismässige Massnahme eingestuft worden.[74]
Die Pausen dürfen aber nicht vom Ersuchen darum abhängig gemacht
werden.[75]
Die Betroffenen sind darüber hinaus zwingend über die Bedeutung
von Tageslicht zu informieren.[76]
Die für den Detailhandel zulässigen organisatorischen Massnahmen
können nach der hier vertretenen Auffassung auch in der Gastronomie
angewendet werden. Weil vorliegend das Restaurant B. erst in den
Abendstunden ab 17 Uhr geöffnet hat und wohl bis circa 22 Uhr warme
Küche anbietet, erscheinen zusätzlich zur Pause nach Art. 15 Abs. 1 ArG bezahlte Pausen
von 20 Minuten vor und nach der Küchenarbeit als vertretbar. Dass es
bezahlte Pausen sind, ergibt sich aus der Systematik des Arbeitsgesetzes,
wonach es Sache der Arbeitgebenden ist, die Gesundheit der Arbeitnehmenden
zu schützen, und der Gesundheitsschutz daher zu ihren Lasten gehen
muss.[77]
III. Zusammenfassung
Die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids durch das Bundesgericht war
im Ergebnis richtig, weil der Sachverhalt rechtsfehlerhaft festgestellt
worden war (fehlendes Prognoseverfahren). Mit seinen Hinweisen zum
Prognoseinhalt verlässt es den methodisch zulässigen Rahmen, weil
dadurch Art. 39 ArGV 3
gestützt auf das Verhältnismässigkeitsprinzip korrigiert
würde, was unzulässig ist.
Ständige Arbeitsplätze im Untergeschoss und ohne Sicht ins Freie
sind grundsätzlich unzulässig (Art. 15 Abs. 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 5 ArGV 3). Sie
können ausnahmsweise bewilligt werden, wenn der ständige
Arbeitsplatz unterirdisch technisch oder sicherheitsbedingt notwendig ist,
keine andere Lösung realisierbar ist und die Forderung nach
natürlicher Beleuchtung unverhältnismässig ist (Art. 39 Abs. 1 Bst. a ArGV 3).
Weil die Küche im Restaurant B. nicht technisch oder
sicherheitsbedingt unterirdisch sein muss, müsste ein Härtefall
vorliegen und die Gesundheit der Arbeitnehmenden trotzdem geschützt
sein, um sie als ständigen Arbeitsplatz ausnahmsweise zu bewilligen (Art. 39 Abs. 1 Bst. b ArGV 3).
Durch eine Kombination von mehreren kompensatorischen Massnahmen
könnte zwar der Schutz für die Gesundheit der Arbeitnehmenden
trotz fehlender natürlicher Lichtverhältnisse genügend
ausgestaltet werden. Doch vorliegend wäre ein solcher - analog zum
«ShopVille-RailCity-Entscheid» - wohl nur durch bezahlte Pausen
zu gewährleisten.
Vor der (geplanten) Umnutzung zu einem Restaurant war ein Hochstudhaus
renoviert worden, in dem ursprünglich eine Antiquitätensammlung
bewilligt war.[78]
Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn ging bei dieser Ausgangslage
davon aus, dass keine Ausnahmesituation vorlag.[79]
Wir dürfen auf das Ergebnis der (erneuten) Interessenabwägung
gespannt sein.
[1]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. I./1.
[2]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. I./1.
[3]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. I./1.
[4]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. I./1.
[5]
Als Kontaktfenster gelten klarverglaste Fenster, die sich für
die betroffenen Arbeitnehmenden in deren näherem Arbeitsumfeld
befinden und gelegentlich für einen Blick in die Aussenwelt
aufgesucht werden können (Vgl. SECO,
Wegleitung zu den Verordnungen 3 und 4 zum Arbeitsgesetz
[nachfolgend: Wegleitung ArGV 3 und 4], S. 324 - 12).
[6]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. I./2.
[7]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. I./2.
[8]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. I./3.; Urteil des Bundesgerichts 2C_1044/2019 vom 18. Mai
2020 Sachverhalt A.
[11]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. II./3.
[14]
Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel
vom 13. März 1964 (Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11).
[15]
Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz vom 18. August 1993 (ArGV 3,
Gesundheitsschutz; SR 822.113).
[16]
Urteil des Bundesgerichts 2C_1044/2019 vom 18. Mai
2020 E. 4 (Hervorhebungen durch den Autor).
[22]
Urteil des Bundesgerichts 2C_1044/2019 vom 18. Mai
2020 E. 5.2.2 (Hervorhebung durch den Autor).
[23]
Urteil des Bundesgerichts 2C_1044/2019 vom 18. Mai
2020 E. 5.2.3 (Hervorhebung durch den Autor).
[27]
Urteil des Bundesgerichts 2C_1044/2019 vom 18. Mai
2020 E. 6.2.4 (Hervorhebung durch den Autor).
[28]
Siehe unten Ziff. II./3.
[32]
Urteil des Bundesgerichts 2C_1044/2019 vom 18. Mai
2020 E. 6.3.2 (Hervorhebung durch den Autor).
[39]
Verordnung 4 zum Arbeitsgesetz vom 18. August 1993 (ArGV 4, SR 822.114).
[41]
Vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. I./1.
[42]
Siehe oben unter II./2./a.
[45]
So auch das Verwaltungsgericht Zürich in seinem Entscheid VB.2013.00138 vom 18.
September 2013 E. 6.4.
[46]
Siehe Pierre Tschannen / Ulrich Zimmerli / Markus Müller,
Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Bern 2014, § 44 N 47
ff.
[47]
Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005
(Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110).
[48]
Markus Müller, Verhältnismässigkeit, Gedanken zu
einem Zauberwürfel, Bern 2013, S. 97 f.
[51]
David Hofstetter, Das Verhältnismässigkeitsprinzip als
Grundsatz rechtsstaatlichen Handelns (Art. 5 Abs. 2 BV), Diss.
Zürich 2014, N 410.
[53]
Hofstetter (Fn. 51), N 421.
[54]
Markus Müller, Verhältnismässigkeit, Gedanken zu
einem Zauberwürfel, Bern 2013, S. 68 und 94.
[55]
Tschannen/Zimmerli/Müller (Fn. 46), § 44 N 48.
[56]
Hansjörg Seiler, Praktische Rechtsanwendung, Was leistet die
juristische Methodenlehre?, Bern 2009, S. 82.
[57]
Der Interessenabwägung mangelt es an einer brauchbaren
methodischen Durchdringung, weil es an rechtlichen Regeln für
die Bewertung und Abwägung der festgestellten Interessen und
zwar sowohl für die Zuteilung der Interessen auf die
verschiedenen Interessen tragenden Personen als auch für die
Gewichtung verschiedenartiger Interessen fehlt (vgl. Seiler [Fn.
56], S. 90). Die Gefahr des reinen Dezisionismus ist im
vorliegenden Kontext etwas entschärft, weil die
gesuchstellende Person mitwirkt, indem sie die relevanten
Interessen für eine Ausnahmebewilligung in die Waagschale
wirft, und die zuständige Behörde entscheidet, ob diese
Interessen den (fehlenden) Schutz der Gesundheit der
arbeitnehmenden Personen (Art. 6 ArG)
überwiegen.
[58]
Roland A. Müller / Christian Maduz, ArG Kommentar, 8. Aufl.,
Zürich 2017, Art. 6 N 1.
[59]
Siehe
Art. 10a Abs. 5 COVID-19-Verordnung 2
vom 20. März 2020 mit Wirkung seit 21. März 2020 (AS 2020 867) inkl.
Änderung vom 27. März 2020 mit Wirkung seit 28. März
2020 (AS 2020 1101),
aufgehoben durch Änderung vom 20. Mai 2020 mit Wirkung seit
30. Mai 2020 (AS 2020 1751), mit dem vom 21. März bis am 29. Mai 2020 für die
Angestellten in Spitalabteilungen, die infolge der
COVID-19-Erkrankungen eine massive Zunahme an Arbeit erfahren
hatten, die Arbeits- und Ruhezeiten sistiert worden sind.
[60]
Vgl. Marc Wohlwend, Gesundheitsschutz auf COVID-19-Stationen,
Jusletter vom 4. Mai 2020.
[61]
Marc Wohlwend, Weniger oder doch mehr Gesundheitsschutz in
Pflegeberufen?, Pflegerecht 3/2020.
[62]
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.
April 1999 (BV; SR 101).
[63]
Thomas Gächter, Arbeitsschutz, in: Poledna/Kieser (Hrsg.),
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. VIII, Gesundheitsrecht,
S. 291 ff., N 26.
[64]
Hans-Ulrich Scheidegger / Christine Pitteloud, Art. 6-8 und 40-43
ArG, in: Geiser/von Kaenel/Wyler (Hrsg.), Arbeitsgesetz, Bern 2005,
Art. 6 N 19.
[67]
Vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. I./4.
[72]
Art. 15 Abs. 1 ArG: eine halbe Stunde bei einer Arbeitszeit von mehr als sieben
Stunden respektive eine Stunde bei einer Arbeitszeit von mehr als
neun Stunden.
[74]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2013.00138 vom 18.
September 2013 E. 6.6.
[75]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2013.00138 vom 18.
September 2013 E. 6.3.3.
[76]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2013.00138 vom 18.
September 2013 E. 4.3.4.
[77]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2013.00138 vom 18.
September 2013 E. 6.4.
[78]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. II./3.2.
[79]
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2019.106 vom 7.
November 2019 E. II./3.2.