I. Einführung
Menschenrechte bilden das Fundament der geltenden Rechtsordnung, sind Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie und gewährleisten einen Minimalstandard im staatlichen Umgang mit Menschen. In ihrer praktischen Anwendung erweisen sich die Menschenrechte als normativ anspruchsvolle Querschnitts-materie, die sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem spezialisierten Rechtsgebiet mit umfangreicher Rechtsprechung und Lehre ausdifferenziert hat. Die Einführung von Human Rights Clinics an Universitäten ist eine interessante Reaktion auf diese Entwicklung. Der vorliegende Beitrag greift diese Entwicklung auf und bietet einen ersten Überblick dazu im Kontext der Schweizer Rechtsordnung. Er erklärt das Ausbildungskonzept von Menschenrechtskliniken, stellt deren Entwicklung in einen historischen und internationalen Kontext und fragt nach Argumenten, die für oder gegen die Aufnahme von Menschenrechtskliniken in die juristische Ausbildung sprechen.
Der Aufsatz thematisiert nicht eine dogmatische Fragestellung, sondern beobachtet den Aufbau spezialisierter Ausbildungsformen im Bereich des Menschenrechtsschutzes. Die Untersuchung basiert auf einem qualitativen Forschungsansatz. Da Human Rights Clinics in der Schweiz ein neues Phänomen sind, stützt sich die Untersuchung - neben Beiträgen aus der Lehre - auf Gespräche mit Akteuren aus dem Fachgebiet in den USA, Deutschland und der Schweiz, welche ich als Fulbright Scholar im Rahmen des Forschungsprojekts Learning about Human Rights Clinics and Litigation in den Jahren 2018 und 2019 geführt habe. Der Beitrag soll dieses im Austausch mit der Praxis gesammelte Wissen leicht zugänglich und übersichtlich darstellen. Für eine vertiefte Auseinandersetzung wird auf die Fachliteratur verwiesen.
Die vorliegende Arbeit ist gemeinsam mit dem Aufsatz Strategic Human Rights Litigation - Eine Standortbestimmung[2] entstanden und ergänzt diesen. Damit beide Aufsätze auch unabhängig voneinander lesbar sind, überschneiden sich einzelne Ausführungen inhaltlich. Das betrifft insbesondere die jüngere Entwicklung im Bereich der Menschenrechtspraxis, ebenso wie Ausführungen über die grundlegende Stellung der Menschenrechte innerhalb der Verfassungsordnung.
II. Was sind Human Rights Clinics?
Human Rights Clinics − auf Deutsch als Menschenrechtskliniken bezeichnet − sind eine Einführung in die praktische Arbeit im Bereich der Menschenrechte während des juristischen Grundstudiums. Das übergeordnete Ziel von Menschenrechtskliniken ist es, den Studierenden theoretisches und praktisches Wissen über die Entstehung, die Anwendung und die Instrumente für die Durchsetzung der Menschenrechte zu vermitteln. Neben diesem Ziel verfolgen Menschenrechtskliniken je nach Aufbau und Ausrichtung weitere Ziele, wie etwa die Stärkung der Menschenrechte im nationalen und internationalen Recht, die Unterstützung von benachteiligten Personen oder Gruppen, oder die Förderung des Austauschs zwischen Wissenschaft und Praxis.[3]
Law Clinics (sog. Rechtskliniken) gibt es nicht nur im Bereich der Menschenrechte, sondern in verschiedenen Rechtsgebieten. Die Integration von Rechtskliniken als praxisorientierte Ausbildungsmodule in das Studium lässt sich bis ins späte 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Anstoss für diese Entwicklung gab die Überzeugung, dass Studierende der Rechtswissenschaften - vergleichbar mit Studierenden der Medizin - mit echten Fällen konfrontiert werden müssen, um ihr im Unterricht erlerntes Wissen tatsächlich in der Praxis anwenden zu können.[4] Diesem Ansatz liegt ein Rechtsverständnis zugrunde, dass die Juristerei als ein praktisches Handwerk versteht, das sich nur bedingt theoretisch vermitteln lässt, sondern erst durch praktische Erfahrung zugänglich wird.
Amerikanische Universitäten institutionalisierten Rechtskliniken während der Civil Rights-Bewegung in den 1960er- und 1970er-Jahren mit grosser Unterstützung der Ford Foundation als Wahlfach in die juristische Grundausbildung.[5] Heute bieten alle amerikanischen Universitäten Rechtskliniken in unterschiedlichen Rechtsgebieten wie etwa dem Strafrecht, dem Scheidungsrecht, dem Migrationsrecht, der Mediation oder eben auch den Menschenrechten an. An der Harvard Law School absolvieren beispielsweise drei Viertel aller Studierenden während ihrer dreijährigen Ausbildung mindestens eine Rechtsklinik.[6] In den USA findet mit der AALS Conference on Clinical Legal Education eine jährliche Konferenz zur klinischen Ausbildung statt. Die Verantwortlichen der Menschenrechtskliniken treffen sich ebenfalls einmal jährlich.
In Europa haben sich Rechtskliniken bis heute nicht als fester Bestandteil der juristischen Ausbildung etabliert. Vereinzelte Kliniken finden sich in den 1970er-Jahren im Vereinigten Königreich, Norwegen und den Niederlanden. Nach dem Ende des Kalten Krieges entstanden mit namhafter amerikanischer Unterstützung an den osteuropäischen Universitäten Rechtskliniken. Ihre Finanzierung war nicht nachhaltig aufgebaut, womit die meisten dieser Kliniken mit dem Wegfall ihrer Gönner wieder verschwanden.[7]
In den vergangenen Jahren sind weltweit neue Rechtskliniken gegründet worden. Die Entwicklung wird auch als «global clinical movement» oder «third wave» bezeichnet. Eine Art Boom erleben Rechtskliniken auch in Westeuropa. Die jüngst entstandenen Menschenrechtskliniken sind zweifellos im Dialog mit dem amerikanischen Modell, teilweise sogar in Kooperation mit US-amerikanischen Universitäten entstanden. Sie sind aber mit grosser Mehrheit nicht mit aussereuropäischen Geldern finanziert. In ihrem Aufbau und Programm sind sie zudem im europäischen Ausbildungssystem verankert und an der Struktur der europäischen Rechtspraxis orientiert. Von einem Transplant aus dem amerikanischen Recht kann bei dieser dritten Generation europäischer Rechtskliniken nicht mehr die Rede sein.[8]
Es ist schwierig, die dynamische Entwicklung quantitativ zu erfassen. Eine jüngere Umfrage geht davon aus, dass über dreissig Kliniken an verschiedenen Universitäten in Deutschland, über zwanzig in Italien und im Vereinigten Königreich, mindestens fünf in Frankreich und Spanien und einzelne Kliniken in den Niederlanden, Belgien, Österreich und weiteren Ländern entstanden sind.[9] Im Bereich des Menschenrechtsschutzes sind insbesondere zu nennen die EU Public Interest Clinic an der HEC in Paris, die in Zusammenarbeit mit der NYU School of Law entstand, die European Human Rights and Migration Law Clinic in Turin, die EU Rights Clinic in Brüssel und die International Human Rights Clinic an der SOAS in London. In Deutschland entstanden die ersten Menschenrechtskliniken an der Humboldt Universität in Berlin und an der Universität Hamburg. Ihre Entwicklung ist auf die Migrationskrise zurückzuführen.[10]
Ergänzend haben sich in Europa Netzwerkorganisationen für Rechtskliniken herausgebildet. Das Network of Clinical Legal Education (ENCLE) verbindet die europäischen Rechtskliniken seit 2012. Daneben bestehen auch nationale Organisationen, wie etwa das Réseau Francophone pour l'enseignement Clinique du Droit[11] in Frankreich und das Rete Cliniche Legali in Italien. Netzwerke sollen den Erfahrungsaustausch zwischen den Kliniken unterstützen, Dokumente und Informationen allgemein zugänglich machen, bestehende Rechtskliniken fördern und die Gründung neuer Rechtskliniken unterstützen.
In der Schweiz bestehen mittlerweile Menschenrechtskliniken an den Universitäten Genf, Basel, Bern und am Graduate Institute in Genf. An der Universität Zürich ist eine Menschenrechtsklinik geplant.[12] Obwohl die Entwicklung bemerkenswert ist, handelt es sich bei den Menschenrechtskliniken mit Blick auf die gesamthafte Organisation der juristischen Ausbildung nach wie vor um Ausnahmeerscheinungen. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die juristische Ausbildung in der Schweiz aufgeteilt ist in einen theoretischen (Bachelor/Master) und einen praktischen (Anwaltspraktikum) Teil. Der nachfolgende Abschnitt befasst sich mit Gründen, die im Bereich der Menschenrechte für oder auch gegen die Durchbrechung dieser Aufteilung durch die Aufnahme von Menschenrechtskliniken in die Ausbildung an juristischen Fakultäten sprechen.
III. Warum Human Rights Clinics?
Gerechtfertigt wird die Aufnahme von Rechtskliniken gemeinhin mit zwei Argumenten. Menschenrechtskliniken sollen erstens die theoretische Ausbildung mit praktischem Handwerkszeug ergänzen und zweitens einen Beitrag zur Stärkung des Menschenrechtsschutzes leisten. Sie sind zudem eine Antwort auf die wachsende Frage der Studierenden nach praktischer Relevanz ihrer Ausbildung und dem Wunsch nach gesellschaftlichem Engagement während ihres Studiums.
1. Stärkung der praktischen Ausbildung zum Menschenrechtsschutz
a) Bisheriger Aufbau der Ausbildung in der Schweiz
Grund- und Menschenrechte sind ein fester Bestandteil der juristischen Fachausbildung an Universitäten. Während der ersten Semester des Studiums lernen die Studierenden in der Staatsrechtsvorlesung den Grundrechtskatalog der Bundesverfassung kennen. Damit erhalten alle Studierenden minimale Kenntnisse über den Schutz der Grund- und Menschenrechte. In den darauf folgenden Semestern können Studierende ihre Kenntnisse über den nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz in Wahlfächern vertiefen.
In der Schweiz erfolgt die praktische Ausbildung nicht während des Studiums, sondern im Anwaltspraktikum. Studienabgängerinnen und -abgänger absolvieren ein mindestens einjähriges Praktikum in einer Anwaltskanzlei, auf dem Gericht oder bei einer Behörde und stellen sich im Anschluss der Anwaltsprüfung, welche über die Zulassung zum Anwaltsberuf entscheidet. Der Prüfungsinhalt ist je nach Kanton unterschiedlich ausgestaltet, umfasst aber gemeinhin sämtliche Bereiche des Privatrechts, des Strafrechts und des öffentlichen Rechts, darin eingeschlossen die Grund- und Menschenrechte. Letztere bilden jedoch in der Regel keinen Prüfungsschwerpunkt. Auch ist anzunehmen, dass den Grund- und Menschenrechten während des Praktikums eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Ausbildungsplätze mit einem Schwerpunkt im Bereich der Menschenrechte bestehen nur vereinzelt, etwa bei spezialisierten Anwältinnen und Anwälten. Aus diesen Gründen gibt es bis anhin nur wenige Personen, die während dem Anwaltspraktikum eine praktische Ausbildung im Bereich der Menschenrechte erhalten.
b) Professionalisierung der Menschenrechtspraxis
Im Kontrast dazu hat sich der Menschenrechtsschutz international mittlerweile zu einem hochspezialisierten Rechtsgebiet mit einer professionalisierten Rechtspraxis ausdifferenziert. Auch sind Menschenrechte in ihrer Anwendung eine methodisch und normativ anforderungsreiche Querschnittsmaterie, die in Verfahren vor sämtlichen Behörden fachgerecht einbezogen werden muss. Die Durchsetzung der Menschenrechte erfolgt durch nationale und internationale Institutionen nach je eigenen Verfahrensregeln, Rechtsgrundlagen und vor dem Hintergrund umfangreicher Rechtsprechung und Lehre. Der Umfang und die rechtliche Komplexität der Fälle ebenso wie transnationale Sachverhalte erfordern oftmals die Zusammenarbeit in Teams. Die Integration einer praktischen Ausbildung in die Studiengänge ist ein mögliches Instrument, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten und das notwendige Fachwissen zu vermitteln. Dies dient mittelbar auch der effektiven Durchsetzung der Menschenrechte.
Zumindest im US-amerikanischen Ausbildungssystem haben sich Menschenrechtskliniken in dieser Hinsicht etabliert. Ergänzend zu traditionellen Vorlesungen ermöglichen sie eine praxisorientierte Ausbildung in diesem zwar hoch spezialisierten, jedoch für die gesamte Rechtsordnung grundlegenden Bereich. Derweil lässt sich das US-amerikanische Ausbildungssystem aber auch nur beschränkt mit der Ausbildung in der Schweiz vergleichen, da es in den Vereinigten Staaten die Institution des Anwaltspraktikums nicht gibt und den Rechtskliniken damit ein anderer Stellenwert zukommt.
c) Spezialisierung der Rechtspraxis
Der juristische Markt und die Anforderungen an ausgebildete Juristinnen und Juristen haben sich in den vergangenen Jahren entscheidend weiterentwickelt. Das lässt sich beispielsweise an der globalisierten Struktur von Anwaltskanzleien beobachten, die mittlerweile nicht mehr national, sondern weltweit operationell tätig sind. Aber auch kleine bis mittelgrosse Kanzleien spezialisieren sich zunehmend fachlich. Gleichzeitig besteht die Anforderung, nationale und internationale ebenso wie staatliche und private Konfliktlösungsmechanismen in das Tätigkeitsfeld zu integrieren. Nach einzelnen Autoren sollen Rechtskliniken diesen Anforderungen mit einer Ausbildung begegnen, die die Studierenden beim Erlernen dieser Fertigkeiten fördert.[13]
Indessen ist umstritten, inwieweit es Aufgabe der Universitäten ist, ihre Ausbildung am juristischen Markt auszurichten. In dieser Diskussion gilt es zu berücksichtigen, dass der öffentliche Auftrag der Universitäten in Lehre und Forschung diese dem wirtschaftlichen Diktat entzieht. In der Regel dürfte innerhalb dieses Auftrags auch Raum für praktische Ausbildungsmodule bestehen, die dem juristischen Markt entgegenkommen. Die Ausbildung sollte aber nicht ausschliesslich am juristischen Markt orientiert sein. Ausschlaggebend für die Gestaltung der Studiengänge ist der Forschungs- und Bildungsauftrag der Universität.
d) Praktische Ausbildung im Studium oder im Anwaltspraktikum?
Im Kontext des Schweizer Ausbildungssystems lässt sich der Einwand aufbringen, dass die praktische Ausbildung nicht Aufgabe der Universitäten ist, sondern vielmehr durch das Anwaltspraktikum oder andere Fachausbildungen abgedeckt werden sollte. Gleichzeitig gilt es sorgfältig zu prüfen, ob den Menschenrechten in der praktischen Ausbildung diejenige Aufmerksamkeit zukommt, die ihnen aufgrund ihrer fundamentalen Bedeutung für die Rechtsordnung zukommen sollte. So sind auch Praktikerinnen und Praktiker im Zivil- oder Strafrecht dafür verantwortlich, dass sie in ihrem Fachbereich menschenrechtliche Fragestellungen erkennen, aufgreifen und sachgerecht bearbeiten oder an eine Expertin oder einen Experten weiterleiten. Derweil bleibt die Heterogenität der Rechtsprechung zum Menschenrechtsschutz auffällig. In Verfahren werden die Grundrechte oft nicht oder nicht ausreichend gerügt. Die grundrechtskonforme Auslegung der Rechtsgrundlagen durch die Gerichte erfolgt teilweise mit unzureichender Tiefe.[14] Obwohl keinerlei gesicherte Erkenntnisse vorliegen, könnte dies vermutungsweise auch damit zusammenhängen, dass menschenrechtlichen Fragestellungen nur einen untergeordneten Platz in der praktischen Ausbildung zukommt.
Eine Stärkung der juristischen Ausbildung könnte an dieser Stelle ansetzen. Weil Grundrechte eine Querschnittsmaterie sind, deren Bearbeitung oftmals auch mit einem zeitintensiven Rechercheaufwand verbunden ist, bietet es sich durchaus an, eine konzentrierte Praxisausbildung an den Universitäten anzubieten. Zugleich sollte aber auch überprüft werden, ob und wie menschenrechtliche Fragestellungen in der Anwaltsausbildung, in den Fachanwaltsausbildungen und in anderen Weiterbildungsangeboten berücksichtigt werden und ob allenfalls Ergänzungsbedarf besteht.
2. Stärkung des Menschenrechtsschutzes
Mit Abstand am meisten praktische Bedeutung kommt in der Schweiz den Grundrechtskatalogen der Bundes- und der Kantonsverfassung zu sowie ihrer Anwendung durch die nationalen Gerichte aller Instanzen. Die internationalen Verträge komplementieren den nationalen Menschenrechtsschutz in bedeutender Weise. Der Europäischen Menschenrechtskonvention kommt aufgrund der Verbindlichkeit der Urteile ihres Gerichtsorgans ergänzend zum Bundesgericht eine wichtige Kontroll- und Schutzfunktion zu. Gerade Verfahren vor nationalen Gerichten werden zu selten mit dem Fokus aufgebaut, dass sie auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) getragen werden könnten. Für Betroffene ist der Gang an den EGMR aber im Vergleich zu nationalen Gerichtsverfahren ungleich länger und mit grossen Unsicherheiten verbunden. Menschenrechte sollten primär vor nationalen Behörden und Institutionen Durchsetzung erlangen.
a) Methodische Besonderheiten der Menschenrechte
Oft wird unterschätzt, dass die rechtliche Argumentation über den Schutz der Grund- und Menschenrechte spezifischer Fachkompetenzen bedarf. Menschenrechte sind meist knapp und offen formuliert. Ihre normative Tragweite erschliesst sich in der Regel erst in Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung und Lehre. Die Anwendung der Menschenrechte auf neue Fragestellungen erfordert Kenntnisse ihrer historischen und normativen Grundlagen. Die Konkretisierung der Grundrechte verlangt von den Betroffenen und den Behörden des Weiteren, dem Druck der politischen Mehrheit Stand zu halten und etwa ein im demokratischen Verfahren verabschiedetes Gesetz entgegen der allgemein vertretenen Ansicht als verfassungswidrig zu erkennen und zu bezeichnen.[15]
Die Integration von menschenrechtlichen Argumenten in einer Beschwerde ist aus all diesen Gründen zeitintensiv. Oftmals fehlen die finanziellen Ressourcen, das spezialisierte Wissen oder die notwendige Routine zur Bewältigung dieser Arbeit. Teilweise bleiben menschenrechtliche Dimensionen eines Sachverhalts unerkannt. Menschenrechtskliniken können einen Beitrag leisten, um Betroffene und zivilgesellschaftliche Organisationen bei diesen anspruchsvollen Aufgaben fachlich zu begleiten und gegebenenfalls dadurch den Zugang zum Recht für vulnerable Bevölkerungsgruppen zu erleichtern.
b) Bedeutung von Vernetzung und Austausch
Weiter erweist sich gerade für umfangreichere oder hochspezialisierte Menschenrechtsfragen eine Zusammenarbeit zwischen Anwältinnen und Anwälten unterschiedlicher Fachrichtungen und eine Vernetzung mit Expertinnen und Experten, NGOs und Universitäten und deren Menschenrechtskliniken als wegweisend. Für die Stärkung des Menschenrechtsschutzes ist entscheidend, dass ein Dialog zwischen der Grundlagenforschung und der Rechtspraxis zu konkreten Rechtsfragen stattfindet. Die Forschung ist bis anhin derjenige Ort, an dem grundlegende Rechtsfragen vertieft aufgearbeitet werden. Viele der wegweisenden Entwicklungen in der Menschenrechtspraxis sind im Dialog mit der Forschung an den Universitäten entstanden.
Menschenrechtskliniken können auch dazu einen Beitrag leisten. Solche Kooperationen erlauben es, Menschenrechtsfragen in einer Tiefe und in einem Umfang abzuhandeln, wie das einer einzelnen Fachperson aufgrund der beschränkten Ressourcen kaum möglich sein dürfte. Damit würde sich die Menschenrechtspraxis anderen Rechtsgebieten angleichen, in denen eine solche Professionalisierung, ebenso wie die Arbeit in teilweise auch länderübergreifenden Teams und der Einbezug von Expertinnen und Experten infolge der vorhandenen finanziellen Mittel alltägliche Praxis ist, so etwa im Wirtschaftsrecht.
c) Durchsetzung der Menschenrechte fördern
An der Arbeit von Menschenrechtskliniken wird auf politischer Ebene teilweise kritisiert, dass öffentliche Gelder für die Förderung von politischen Anliegen eingesetzt würden.[16] Zum Forschungs- und Bildungsauftrag der juristischen Fakultäten gehört indessen auch die Vermittlung theoretischen und praktischen Wissens über die Menschenrechte als Teil des Schweizer Rechts. In der Wahl der Lehrmethoden und der vermittelten Inhalte sind die Universitäten frei. Dabei gilt es zu beachten, dass Menschenrechtsfragen immer sowohl persönlicher, als auch gesellschaftlicher Art sind. Menschenrechte haben neben einer individualrechtlichen immer auch eine objektive Dimension als Grundsatznormen.[17] Solange sich die juristische Ausbildung an den menschenrechtlichen Vorgaben orientiert, ist sie nicht als politischer Aktivismus einzustufen, sondern dient der Schaffung von Fachkompetenzen, um die Durchsetzung der Rechtsordnung auch in diesem Rechtsgebiet nachhaltig zu gewährleisten. Die Besonderheiten der Menschenrechte und der Menschenrechtspraxis rechtfertigen es, bei der Ausbildung neue Wege zu beschreiten und so die bestehende Praxisausbildung fachlich zu ergänzen.
Die Kritik ist aber insofern ernst zu nehmen, als sich jede Menschenrechtsklinik stets vergewissern muss, dass sie sich mit ihren Projekten im Rahmen des Forschungs- und Bildungsauftrages der Universität bewegt. Nicht zu vernachlässigen ist dabei, dass der Auswahl von Projektpartnern und unterstützten Fällen immer auch die ethische Frage anhaftet, weshalb gerade dieser oder jener Fall die Unterstützung einer universitären Menschenrechtsklinik verdient. Die Antwort auf diese Frage führt nicht zwingend zur kategorischen Zurückweisung von Menschenrechtskliniken. Sie ist vielmehr gestützt auf eine Auseinandersetzung mit der Stellung der Menschenrechte in der Verfassungsordnung, ihrer normativen Tragweite im konkreten Fall und dem öffentlichen Auftrag der Universität für jeden einzelnen Auftrag erneut zu beantworten. Die (selbst-)kritische Reflexion in Bezug auf rechtliche, ethische, pädagogische und politische Kriterien muss ein fester Bestandteil jeder Menschenrechtsklinik sein.[18]
IV. Wie funktionieren Human Rights Clinics?
Menschenrechtskliniken sind je nach Universität unterschiedlich aufgebaut. Einige sind eher auf Rechtsstreitigkeiten und politische Arbeit ausgerichtet, andere auf Forschung und Öffentlichkeitsarbeit, Rechtberatungsangebote, Vernetzung der Zivilgesellschaft oder Bildungsangebote für NGOs und internationale Organisationen. Wiederum andere Kliniken produzieren praxisnahe Forschung, die sich mit vor Gericht hängigen Rechtsfragen befasst und sich so direkt in den Dialog über die Rechtsanwendung einbringt. Nachfolgend sind zuerst Beispiele zweier Universitäten in New York dargestellt. Im Anschluss folgt eine Übersicht über die Angebote der Schweizer Menschenrechtskliniken.
1. Funktionsweise amerikanischer Human Rights Clinics
An US-amerikanischen Universitäten gehören Menschenrechtskliniken zum Standardangebot der juristischen Ausbildung.[19] Exemplarisch ist an dieser Stelle die Funktionsweise der beiden Menschenrechtskliniken dargestellt, mit denen ich während meines Forschungsprojekts in den USA arbeitete.
a) Global Justice Clinic an der NYU School of Law
In der Global Justice Clinic an der NYU School of Law arbeiten Studierende und LLM-Studierende daran, Menschenrechtsverletzungen in Situationen globaler Ungleichheit präventiv zu verhindern, bestehende Menschenrechtsverletzungen aufzuarbeiten und mit Massnahmen zu begegnen. Die Fälle und Projekte thematisieren grenzüberschreitende Menschenrechtsverletzungen. Die Studierenden arbeiten eng mit Akteuren auf lokaler und internationaler Ebene zusammen. Sie treten rechtsberatend und rechtsvertretend auf, meist als Co-Counsel oder Advocacy-Partner für Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten oder Menschenrechtsorganisationen aus der ganzen Welt.[20]
b) Benjamin B. Ferencz Human Rights and Atrocity Prevention Clinic an der Cardozo Law School
Im Rahmen des Cardozo Law Institute for Holocaust and Human Rights (CLIHHR) der Cardozo School of Law an der Yeshiva University bietet die Benjamin B. Ferencz Human Rights and Atrocity Prevention Clinic (HRAP) eine praktische juristische Ausbildung unter der Aufsicht von klinischen Professorinnen und Professoren und Fakultätsmitgliedern an. Die Klinik ist nach der dreiteiligen Strategie des Instituts aufgebaut. Sie richtet sich auf den präventiven Schutz der Bevölkerung vor einer humanitären Krise, die Beschränkung von Menschenrechtsverletzungen während einer Krise und die Wiedergutmachung und den Aufbau danach. Die Klinik arbeitet hauptsächlich mit Nichtregierungsorganisationen zusammen. Sie vertritt Klientinnen und Klienten vor internationalen und regionalen Gerichten, untersucht Menschenrechtsverletzungen, veröffentlicht wissenschaftliche Studien im Bereich der Verhütung von Gewalt und engagiert sich vor den Vereinten Nationen und anderen einschlägigen Gremien zur Verhinderung von Völkermord und Massengräueltaten.[21]
c) Organisationsstruktur der Kliniken
Beide Kliniken sind wie eine nicht-profitorientierte Anwaltskanzlei organisiert. Von den Studierenden wird dieselbe Qualität und Professionalität gefordert wie von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gewöhnlicher Anwaltskanzleien. Die Studierenden haben eigene Klienten und sind direkte Ansprechpersonen für die Partnerorganisation, mit denen sie einen Fall oder ein Projekt bearbeiten. Die betreuenden Lehrpersonen und ihre Assistierenden begleiten die Arbeit der Studierenden und tragen die rechtliche Verantwortung. Generell ist die Durchführung von Menschenrechtskliniken als zeit- und ressourcenintensiv einzustufen und erfordert die Ausstattung mit einem entsprechenden Lehr- und Assistenzpensum.
Gewöhnlich sind die Kliniken in zwei Komponenten unterteilt, bestehend aus: