I. Einleitung
Menschenrechte bilden das Fundament der Rechtsordnung, sind Voraussetzung
einer funktionierenden Demokratie und gewährleisten einen
Minimalstandard im staatlichen Umgang mit Menschen.[1]
Rechtliche und faktische Lücken im Menschenrechtsschutz treffen gerade
diejenigen Mitglieder der Gesellschaft am stärksten, welche am ehesten
dieses Schutzes bedürften. Grundsätzlich ist es die Pflicht des
Staates, diesen Lücken mit positiven Massnahmen zu begegnen, wie
beispielsweise die Anpassung der Rechtsordnung, subventionierter
Rechts-beratung oder unentgeltlicher Rechtspflege. Staaten sind als
Adressaten der Menschenrechte dazu verpflichtet, die Rechtsordnung und die
Institutionen der Rechtsanwendung so auszugestalten, dass alle Menschen den
gleichen Zugang zum Recht haben und ihre Menschenrechte effektiv einfordern
können. Diese Verpflichtung beschränkt sich nicht auf die
formelle Gewährleistung von rechtlichen Verfahren und
Streitbeilegungsmechanismen. Staaten müssen sicherstellen, dass der
Zugang zum Recht de facto tatsächlich gewährleistet ist.[2]
Aber auch der Zivilgesellschaft kommt eine wichtige Funktion für die
Durchsetzung des Menschenrechtsschutzes zu. Zur Stärkung des
Menschenrechtsschutzes stehen ihr verschiedene Instrumente zur
Verfügung. Dazu gehört neben politischem Engagement, der Arbeit
von NGOs und spezialisierten Rechtsberatungsstellen auch das Instrument der
strategischen Prozessführung.
Strategic Human Rights Litigation (SHRL)
hat sich in den vergangenen Jahren zu einem spezialisierten
Tätigkeitsgebiet entwickelt, an dem eine Vielzahl von Akteuren
beteiligt sind. Das Instrument der strategischen Prozessführung wird
auch in der Schweiz zunehmend bewusst eingesetzt. Der vorliegende Beitrag
greift diese Entwicklung auf und bietet eine Standortbestimmung über
die strategische Prozessführung im Bereich der Menschenrechte im
Kontext der Schweizer Rechtsordnung. Der Aufsatz thematisiert nicht eine
dogmatische Fragestellung, sondern beobachtet die Ausdifferenzierung einer
spezialisierten Praxis im Bereich des Menschenrechtsschutzes. Die
Untersuchung basiert auf einem qualitativen Forschungsansatz. Da die
strategische Prozessführung im Bereich der Menschenrechte erst
ansatzweise erforscht ist, stützt sich die Untersuchung - neben
Beiträgen aus der Lehre und ausgewählten Beispielen aus der
Rechtsprechung - auf Gespräche mit Akteuren aus dem Fachgebiet in den
USA, in Deutschland und in der Schweiz, welche ich als Fulbright Scholar im Rahmen des Forschungsprojekts Learning about Human Rights Clinics and Litigation in den Jahren
2018 und 2019 geführt habe.[3]
Der Beitrag soll dieses im Austausch mit der Praxis gesammelte Wissen
leicht zugänglich und übersichtlich darstellen. Für eine
vertiefte Auseinandersetzung wird auf die bisweilen vereinzelt vorhandene
Fachliteratur verwiesen. Der vorliegende Aufsatz konturiert den Begriff der
strategischen Prozessführung, befasst sich mit den Gründen, warum
strategische Prozesse geführt werden, zeigt die Organisationsstruktur
strategischer Prozesse auf und stellt konkrete Fälle strategischer
Prozessführung vor. Im letzten Abschnitt verbindet die Arbeit die
Entwicklungen im Bereich der strategischen Prozessführung mit weiteren
Veränderungen im Rechtsgebiet und schliesst mit einem Plädoyer
für die Stärkung der Menschenrechtspraxis.
II. Was ist strategische
Prozessführung?
Zunächst einmal stellt sich die Frage, was unter dem Begriff der
strategischen Prozessführung im Bereich der Menschenrechte gemeint ist
und inwiefern sich strategische Prozesse von gewöhnlichen Prozessen
unterscheiden. Die Auseinandersetzung mit dieser Abgrenzung zwingt zugleich
zur Thematisierung von Funktion und Grenzen strategischer
Prozessführung.
1. Begriff
Im Englischen bezeichnet Human Rights Litigation die
gewöhnliche Prozessführung zum Schutz der Menschenrechte einer
Person oder Gruppe ohne weitere, begleitende Strategien. Strategic Human Rights Litigation (teilweise auch als public interest litigation oder impact litigation
bezeichnet) ist demgegenüber ein spezifisches Instrument zur
Stärkung des Menschenrechtsschutzes, mit dem bei Rechtsstreitigkeiten
ein Ziel verfolgt wird, das weiter gefasst ist als die Interessen der
unmittelbar involvierten Parteien. Strategische Prozessführung nutzt
die Gerichte, um die Menschenrechte gezielt in einer Weise zu fördern,
die über die Partikularinteressen der Opfer im
jeweiligen Fall hinausgeht.[4]
Durch strategische Prozessführung können Menschenrechtsanliegen
einer Person in strategischer Weise dazu dienen, strukturelle
Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren.
Der strategischen Prozessführung ist in den vergangenen zwanzig Jahren
zunehmende Aufmerksamkeit zugekommen. Das Instrument findet mittlerweile in
verschiedenen Rechtsordnungen breite Verwendung. Strategische
Prozessführung wird neben Verfahren vor nationalen Gerichten auch dazu
verwendet, Fälle vor internationalen Gerichten wie dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem
Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und vor
internationale Gremien wie etwa den UN-Menschenrechtsausschuss zu bringen.
Dieser Entwicklung kommt seit einigen Jahren auch in der Literatur
vermehrte Aufmerksamkeit zu.[5]
2. Funktion der strategischen
Prozessführung
Nach Helen Duffy, Autorin des momentan wegweisenden Werkes zum Thema, ist
es in der Praxis schwierig, gewöhnliche Prozesse von strategisch
geführten Prozessen zu unterscheiden, denn jeder Gerichtsfall im
Bereich der Menschenrechte trägt unweigerlich immer beide Facetten in
sich. Auch ein Menschenrechtsfall, mit dem die Parteien und ihre Vertretung
einzig die Feststellung einer Menschenrechtsverletzung im Interesse der
Beschwerdeführerin oder des Beschwerdeführers verlangen, hat eine
kollektive Dimension, weil Menschenrechtsfragen immer den Kern der
Rechtsordnung und also die normative Ausrichtung einer Gesellschaft
betreffen.[6]
Duffy ist deshalb der Ansicht, dass die Unterscheidung zwischen
gewöhnlicher und strategischer Prozessführung vermieden werden
sollte.
Meiner Ansicht nach ist die Unterscheidung zwischen gewöhnlich und
strategisch geführten Menschenrechtsprozessen aber gerade deshalb
hilfreich, weil sie die Aufmerksamkeit auf die unterschiedlichen
Dimensionen eines Menschenrechtsfalles lenkt. Menschenrechtsfragen sind
persönlicher, aber auch gesellschaftlicher Art. Jeder
Menschenrechtsfall hat aufgrund der besonderen Stellung der Menschenrechte
als Fundament der Rechtsordnung zusätzlich zu seiner privaten immer
auch eine politische Dimension. Einen Rechtsfall als strategische Chance
für die Thematisierung eines breiteren Anliegens zu erkennen und mit
einer über den Einzelfall hinausweisenden Strategie zur Stärkung
des Menschenrechtsschutzes für die gesamte Gesellschaft zu verbinden,
verändert jedoch unweigerlich die rechtliche und politische Tragweite
eines Falles.
Die Unterscheidung zwischen gewöhnlicher und strategischer
Prozessführung zwingt auch dazu, die Funktion der Menschenrechte in
einer demokratischen Verfassungsordnung und die Funktionsaufteilung
zwischen rechtsetzenden und rechtsanwendenden Organen bei jeder
Menschenrechtsfrage mitzudenken. Die zentrale Funktion der Menschenrechte
ist es, die vom verfassungsgebenden
Organ als besonders wertvoll anerkannten Rechtsgüter des Einzelnen vor
staatlichen Eingriffen und gegenüber demokratischen
Mehrheitsentscheiden zu schützen. Den Gerichten kommt als
rechtsanwendendes Organ die Funktion zu, die Menschenrechte als
rechtsstaatliche Garantien auch gegenüber dem Gesetzgeber zu
gewährleisten. Gerichtliche Urteile zum Schutz der Menschenrechte sind
im Rahmen dieser Kompetenz deshalb nicht anti-demokratisch, sondern gerade
Ausdruck einer funktionierenden Verfassungsordnung, die nach dem Prinzip
der Gewaltenteilung aufgebaut ist. Giacometti bezeichnete die Demokratie
als Hüterin der Menschenrechte. Aber die Menschenrechte sind zugleich
Hüterin der Demokratie und ihre gerichtliche Durchsetzung ein Beitrag
zu deren Stärkung.
Dabei ist es jedoch wichtig zu berücksichtigen, dass Menschenrechte
meist offen formulierte Bestimmungen sind, die den Gerichten einen weiten
Spielraum in der Konkretisierung der Grundrechte belassen. Diese Offenheit
ist nicht ein Defizit der Menschenrechte, sondern Ausdruck ihrer Funktion
im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung. Während
verfass-ungsrechtliche Organisationsbestimmung oder technische
Rechtssätze den Gerichten wenig Beurteilungsspielraum einräumen,
ja diesen von vornherein
beschränken sollen, sind Gerichte bei der Anwendung der Menschenrechte
gerade dazu aufgefordert, sich vertieft und eigenständig mit den
grundlegenden Wertungs- und Abwägungsfragen auseinanderzusetzen,
welche menschenrechtliche Problemstellungen aufwerfen.[7]
Menschenrechtsfälle strategisch zur Thematisierung von grundlegenden
Rechtsfragen zu nutzen bedeutet in dieser Hinsicht, auf die effektive
Tragweite von Menschenrechtsfällen aufmerksam zu machen und ihr
Potenzial zum Schutz der Verfassungsordnung auszuschöpfen.
3. Grenzen der strategischen
Prozessführung
Die besondere Herausforderung von strategisch geführten
Menschenrechtsfällen besteht darin, die Funktion der Menschenrechte
und der Gerichte als rechtsanwendendes Organ weder zu
überschätzen noch zu unterschätzen. Der Begriff der
strategischen Prozessführung ist insofern hilfreich, als er einerseits
die
gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Menschenrechtsfällen erkennen
lässt, zugleich aber dazu zwingt, ein Bewusstsein für die
beschränkte normative Wirkung der Menschenrechte und die begrenzte
Kompetenz der Gerichte als rechtsanwendendes Organ zu entwickeln.
Menschenrechte sind das Rückgrat der Verfassungsordnung, aber sie sind
nicht die gesamte Rechtsordnung. Sie machen der Legislative wichtige
Vorgaben, überlassen den rechtsetzenden Organen aber in vielen
Bereichen den Entscheid darüber, wie sie die Rechtsordnung im Detail
ausgestalten. Die Gerichte haben
ihrerseits die wichtige Funktion, Individualansprüche des Einzelnen
durchzusetzen und dabei die Entscheide der Legislative auf ihre
Übereinstimmung mit den Menschenrechten zu prüfen. Die
gerichtliche Prüfungsfunktion ist damit aber auch eng begrenzt. Es
liegt in der Regel nicht in der Kompetenz der Gerichte, die regulativen
Kompetenzen der Legislative zu beschränken oder rechtsetzende
Entscheide anstelle des Gesetzgebers vorzunehmen.
Für die Prozessführung in Menschenrechtsfällen bedeutet das,
dass das strategische Potenzial von Menschenrechtsfällen in ihrer in
jedem Einzelfall
vorhandenen Tragweite als Kern der Rechtsordnung ausgeschöpft werden
darf und soll. Über den gerichtlichen Weg nicht erzwungen werden
können demgegenüber Anliegen, die in die Kompetenz der
rechtsetzenden Behörden fallen, wobei die Abgrenzung nicht immer
eindeutig ausfällt. Jede strategische Prozessführung, die einen
gewöhnlichen Menschenrechtsfall mit einem über den Einzelfall
hinausweisenden Ziel verbindet, muss sich deshalb eingehend damit befassen,
ob die inhaltlichen Vorbringen tatsächlich in den normativen
Geltungsbereich eines Menschenrechts und ihre Gewährleistung in den
gerichtlichen Kompetenzbereich fallen oder nicht viel-mehr dem Gesetzgeber
zur Konkretisierung überlassen sind und auf dem politischen Weg
eingefordert werden müssen. Strategische Prozessführung ist ein
Instrument neben anderen, um den Menschenrechtsschutz zu verbessern.
Strategic Human Rights Litigation ist nicht für alle
Menschenrechtsfragen die passende Lösung und sollte niemals als solche
mystifiziert werden.[8]
III. Warum braucht es strategische Prozesse?
Verschiedene Gründe sprechen dafür, Menschenrechtsfälle
gegebenenfalls als strategisch geführten Prozess aufzubauen.
Zunächst einmal ist strategische Prozessführung neben politischen
Interventionen ein zusätzliches Instrument, um gezielt gegen
rechtliche Lücken im Menschenrechtsschutz vorzugehen und den
Betroffenen den Zugang zum Recht zu ermöglichen. Auch hat sich die
Menschenrechtspraxis zu einem hochspezialisierten Rechtsgebiet
ausdifferenziert, das von den Akteuren einen hohen Grad an
Professionalisierung verlangt. Des Weiteren übersteigt die
Komplexität der Fälle ebenso wie die damit verbundenen Kosten
oftmals die Kapazität von Einzelpersonen und erfordert ein
koordiniertes und institutionell abgestütztes Vorgehen.
1. Behebung rechtlicher Lücken im Menschenrechtsschutz
Die Schweiz weist generell einen hohen Schutzstandard auf. Dennoch darf
dieser niemals als selbstverständlich gelten. Politische und
gesellschaftliche Herausforderungen setzen die Menschenrechte immer wieder
unter Druck. Auch weist die Umsetzung der Menschenrechte in der Schweiz
einzelne Lücken auf. Sie betreffen sowohl die Umsetzung der
Menschenrechte in einzelnen Rechtsgebieten als auch die praktischen
Möglichkeiten ihrer effektiven Durchsetzung für den Einzelnen.
Inhaltlich
bestehen in der Schweiz namentlich im Bereich der Rassendiskriminierung,
des Asyl- und Ausländerrechts, der Gleichstellung der Geschlechter,
der Rechte von Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren, der
häuslichen Gewalt, des Einsatzes von Gewalt durch die Polizei, der
Rechte von Gefangenen, des Schutzes vor Überwachung und der
Privatsphäre im Internet besondere
Herausforderungen für den Menschenrechtsschutz.[9]
Verfahrensrechtlich
bilden beispielsweise die qualifizierte Rügepflicht für
Grundrechte (Art. 106 Abs. 2 BGG)[10], die eingeschränkte Verfassungsgerichtsbarkeit für Bundesgesetze
(Art. 190 BV)[11]
und die hohen Kosten (dazu hinten IV.4) bedeutende Hürden für den
Menschenrechtsschutz.
Des Weiteren ist die Heterogenität der Rechtsprechung zum
Menschenrechtsschutz auffällig. Einerseits haben Gerichte in vielen
Fällen wegweisende Urteilsbegründungen zur Stärkung des
Menschenrechtsschutzes vorgelegt. Das Bundesgericht und die Kantonsgerichte
waren massgebend an der Entwicklung des Grundrechtsschutzes beteiligt.
Exemplarisch dafür steht das Urteil des Bundesgerichts zum Recht auf
Nothilfe[12]
oder zum Frauenstimmrecht.[13]
Andererseits ist auffällig, dass Menschenrechte insbesondere in zivil-
und strafrechtlichen Verfahren oftmals nicht gerügt werden. Auch
bleibt die grundrechtskonforme Auslegung der Rechtsgrundlagen durch die
Gerichte teilweise aus oder erfolgt mit unzureichender Tiefe.[14]
Das macht es für die Betroffenen bis zu einem gewissen Grad
unberechenbar, Grundrechte vor Gericht einzufordern.[15]
Strategische Prozessführung bietet der Zivilgesellschaft
ergänzend zu politischen Instrumenten ein hilfreiches rechtliches
Instrument, um gezielt und koordiniert gegen rechtliche Lücken im
Menschenrechtsschutz vorzugehen.
2. Stärkung des Zugangs zum Recht bei Menschenrechtsverletzungen
Neben materiellen Lücken im Grundrechtsschutz erschweren Lücken in der Rechtspraxis die Durchsetzung
der Menschenrechte. Dazu gehört einerseits fehlendes Wissen der
Betroffenen, wie sie ihre Rechte geltend machen können sowie fehlender
Zugang zu niederschwelliger Rechtsberatung und zu professioneller
Rechtsvertretung durch spezialisierte Anwältinnen und Anwälte.
Andererseits dürfte in vielen Fällen die finanzielle Tragbarkeit
von Rechtsberatung und professioneller Rechtsvertretung ein Hindernis
für den Zugang zum Recht und damit auch für die Durchsetzung des
Menschenrechtsschutzes im Einzelfall sein.[16]
Strategische Prozessführung ist ein Instrument, mit dem
Einzelfälle gezielt unterstützt und damit den Betroffenen die
Einforderung ihrer Rechte vor den Behörden ermöglicht werden
kann.
3. Spezialisierung und Professionalisierung der Menschenrechtspraxis
Der Menschenrechtsschutz hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu
einem spezialisierten Rechtsgebiet ausdifferenziert. Human Rights Litigation ist weltweit zu einem
hochprofessionalisierten und umfangreichen Tätigkeitsgebiet geworden,
an dem eine Vielzahl von Akteuren beteiligt sind. Das Volumen der
Fälle und ihre normative und gesellschaftliche Tragweite haben
zugenommen. Der Ausbau des Vertragssystems und die Anerkennung der
Menschenrechte in bis anhin weniger thematisierten Gebieten hat für
Menschenrechtsanliegen neue Foren geöffnet.[17]
Diese Entwicklung bedingt − vergleichbar mit den Veränderungen
in anderen Rechtsbereichen −
eine personelle Spezialisierung und den Aufbau von Institutionen, die diese
Komplexität zu bewältigen vermögen. Die zunehmende
Häufigkeit professionell geführter strategischer Prozesse ist
vermutungsweise Ausdruck dieser Entwicklung.
4. Vernetzung der Akteure
Historische Erfahrungen wie diejenige der Opfer fürsorgerischer
Zwangsmassnahmen zeigen, wie stark die Durchsetzung der Menschenrechte
unter politischem und gesellschaftlichem Druck
erfolgt und wie isoliert die Betroffenen unter Umständen sein
können.[18]
Menschenrechte schützen den Einzelnen gerade auch gegenüber
demokratischen Mehrheitsentscheiden. Menschenrechtliche Interventionen
erfolgen auch zum Schutz von Menschen mit gesellschaftlich unbeliebten
Meinungen, Glaubens- und Lebensformen. Menschenrechtsfälle erfolgen
entsprechend oft vor dem Hintergrund einer politisch aufgeladenen Stimmung.
Von einer einzelnen Person zu fordern, diesem Druck Stand zu halten, ist
viel verlangt. Strategische Prozessführung erlaubt es, mittels
Vernetzung die Isolation Einzelner zu mindern, den Einzelfall in einem
gesellschaftlichen Gesamtkontext zu verorten, strukturelle Probleme
aufzuzeigen und dadurch ein über den Einzelfall hinausweisendes
Momentum zu erzeugen.
5. Organisation und Finanzierung
Strategische Prozessführung bedarf erfahrungsgemäss eines hohen
Organisationsgrades, eines starken Netzwerks, umfangreicher finanzieller
Ressourcen und einer umfassenden Kommunikationsstrategie. Diese Komponenten
übersteigen in der Regel die Leistungsfähigkeit einer
Einzelperson. Die Stärkung der Unterstützung von Betroffenen
ebenso wie die Vernetzung von Anwältinnen und Anwälten,
Universitäten und Nichtregierungsorganisationen entlastet die
Betroffenen und macht den Fall handhabbarer. In den meisten Fällen, in
denen Gerichte wegweisende Urteile zum Schutz der Menschenrechte
aussprechen, gehen dem Urteil langjährige Öffentlichkeitsarbeit,
intensive organisatorische Arbeit und umfangreiche
Forschungstätigkeiten voraus.[19]
Ein koordiniertes Vorgehen im Rahmen strategischer Prozessführung kann
einen wichtigen unterstützenden Beitrag leisten.
IV. Wie werden strategische Prozesse organisiert?
Die Organisation strategischer Prozesse ist je nach Fall unterschiedlich.
Akteure, Zielsetzung, gerichtliches Forum, Strategie und Finanzierung der
Prozesse unterscheiden sich zuweilen bedeutend. In jedem Fall zentral ist
die Auswahl eines geeigneten Falles, wobei auch ethische Fragen zu
berücksichtigen sind. Die dynamische Entwicklung von Rechtsverfahren
verunmöglicht es, strategische Prozesse zuverlässig planen zu
können. Die Strategie sollte entsprechend regelmässig kritisch
überprüft und angepasst werden. Auch ist eine begleitende
Kommunikationsstrategie von grosser Bedeutung. Die Überprüfung,
ob Prozesse die mit ihnen verfolgten Ziele auch tatsächlich erreichen,
ist methodisch bedingt nur beschränkt möglich.
1. Akteure
In der Schweiz werden die meisten strategischen Prozesse ad hoc
geführt. Im Ausland gibt es demgegenüber Institutionen, die auf
die Führung von strategischen Menschenrechtsprozessen spezialisiert
sind und langjährige Erfahrung vorweisen.
a) In der Schweiz
In der Schweiz gibt es momentan keine Organisation, die auf die
strategische Prozessführung für Menschenrechtsfälle
spezialisiert ist. Einzelne Organisationen oder Privatpersonen haben in der
Vergangenheit ad hoc strategische Prozesse geführt. Viele der
Fälle gehen auf die Initiative einer Einzelperson oder einer kleinen
Gruppe an Personen zurück, die den Gerichtsfall gemeinsam mit einer
Anwältin oder einem Anwalt mit hoher Bereitschaft zu persönlichem
und oftmals unentgeltlichem Engagement, allenfalls unterstützt durch
eine Rechtsschutzversicherung sowie Freunde und Familie, durchziehen.
Bekannt sind die strategischen Prozesse von Ludwig Minelli, mit denen er
sich für die Einhaltung der Menschenrechte in Strafverfahren und in
der Haft einsetzte[20]
und damit auch bis an den EGMR gelangte.[21]
Weitere Beispiele sind weiter unten (V.) thematisiert.
Bis anhin verfolgen nur ganz wenige NGOs und Verbände eine
systematische Strategie für die Führung strategischer Prozesse.
Unter den Organisationen, die wiederholt strategische Prozesse geführt
haben, finden sich namentlich die Demokratischen Juristinnen und Juristen
Schweiz. Sie haben beispielsweise das Urteil zum Polizeigesetz Kanton
Zürich[22]
erwirkt, ebenso wie das Urteil über die Kostentragungspflicht an
Demonstrationen im Kanton Luzern[23].
b) In den USA
Im Gegensatz zur Schweiz gibt es in den USA verschiedene Organisationen,
die auf die strategische Prozessführung im Bereich des
Menschenrechtsschutzes spezialisiert sind. Am bekanntesten sind die
American Civil Liberties Union (ACLU), die National Association for the
Advancement of Colored People (NAACP) und das Centre for Constitutional
Rights (CCR). An dieser Stelle soll einzig die ACLU kurz vorgestellt
werden.
Die ACLU entstand 1919 zur Unterstützung der Arbeitnehmerrechte. Sie
entwickelte sich in den 1930er-Jahren zu einer Organisation, die sich
für die in der Verfassung der Vereinigten Staaten gewährleisteten
Bürgerrechte (Civil Rights) einsetzt. Seit 9/11 engagiert sich die
ACLU auch für die Achtung der internationalen Menschenrechtsstandards
innerhalb des amerikanischen Rechtssystems. Die ACLU ist dezentralisiert
organisiert mit eigenen, unabhängigen Niederlassungen in 50 Staaten
und hat 1.5 Millionen Mitglieder. Etwa 100 ACLU-Anwältinnen und
-Anwälte arbeiten landesweit mit rund 2000 Freiwilligen zusammen, um
jährlich rund 2000 Fälle zu betreuen. Die
Finanzierung erfolgt mittels Mitgliederbeiträgen und Spenden privater
Stiftungen und Einzelpersonen. Unter den bekanntesten Prozessen der ACLU
sind der Scopes-Prozess von 1925[24]
zur Stärkung der akademischen Freiheit, der 1954 gemeinsam mit der
NAACP geführte Prozess Brown v. Board of Education[25]
gegen die Rassentrennung in öffentlichen Schulen und die Urteile in
den 1970er-Jahren des Supreme Court in Roe v. Wade[26]
und Doe v. Bolton[27]
zur Legalisierung der Abtreibung. Jüngst hat die ACLU die
Immigrationspolitik und die Notstandserklärung des amerikanischen
Präsidenten Donald Trump angefochten.[28]
c) In Deutschland
Auch in Deutschland gibt es verschiedene Organisationen, die strategische
Prozesse führen. Namentlich besteht seit 2007 mit dem European Center
for Constitutional and Human Rights (ECCHR) eine Organisation, die sich auf
die Durchsetzung der Menschenrechte mit juristischen Mitteln spezialisiert
hat. Das ECCHR will konkrete Rechtsbrüche durch Regierungen,
staatliche Akteure und Unternehmen juristisch aufarbeiten, die
Rechtsansprüche der Betroffenen durchsetzen, strukturelles Unrecht
offenlegen und durch begleitende Öffentlichkeitsarbeit die
Zivilgesellschaft für Menschenrechtsverletzungen sensibilisieren.[29]
Das ECCHR führt regelmässig strategische Prozesse,
gegenwärtig etwa vor den französischen Gerichten gegen das
Unternehmen LafargeHolcim wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die
Menschlichkeit in Syrien[30], oder äussert sich im Rahmen von Amics Curiae Schriften zu laufenden
Verfahren, beispielsweise beim International International Centre for the
Settlement of Investment Disputes (ICSID) zur Verletzung von Menscherechten
durch den Abbau von Gold in Rumänien.[31]
d) Internationale Organisationen
Eine der erfahrensten NGOs im Bereich der strategischen Prozessführung
ist die Open Society Justice Initiative (OSJI), ein Programm der Open
Society Foundation (OSF) mit Sitz in den USA und
einem internationalen Aktionsradius. Die OSJI dokumentiert Verstösse,
schlägt Lösungen vor, engagiert politische
Entscheidungsträger und bietet seit 2003 rechtliche Unterstützung
in strategisch geführten Prozessen.[32]
Die OSJI hat auch zahlreiche Fälle an den EGMR gebracht (siehe
für ein Beispiel unten V.2). Neben der OSJI hat beispielsweise auch
Amnesty International eine Abteilung zur Führung von strategischen
Prozessen.[33]
2. Auswahl der Fälle
Finanzielle und personelle Ressourcen sind nur beschränkt
verfügbar. Strategische Prozessführung ist deshalb immer mit der
Frage nach der Auswahl der unterstützten Fälle verbunden. Die
Wahl für oder gegen die Unterstützung eines Falles wirft
schwierige ethische Fragen auf. Gerade dort, wo Spendengelder oder
öffentliche Mittel zum Einsatz kommen, bedarf es einer
Begründung, weshalb gerade dieser Einzelfall und nicht ein anderer die
Unterstützung einer Organisation erhält.
Kriterien für die Wahl eines Falles können ganz unterschiedlich
sein. Die Fallauswahl sollte sowohl die Bedeutung des Anliegens für
die Betroffenen, die gesellschaftliche Tragweite der Rechtsfrage und die
mögliche Wirkung eines Gerichtsverfahrens für den
Menschenrechtsschutz berücksichtigen. So kann sich die Vertretung
eines Falles aufdrängen, weil eine besonders schwere
Menschenrechtsverletzung vorliegt oder die Situation dringlich ist. Das
trifft beispielsweise auf Fälle im Asylverfahren zu, in denen etwa
kleine Kinder von ihren Eltern getrennt werden.[34]
Eine solche Trennung führt schon nach kürzester Zeit zu schweren
psychischen Beeinträchtigungen für die Betroffenen.
Die Auswahl eines Falles kann aber auch damit motiviert sein, dass er sich
besonders gut eignet, um eine Lücke im materiellen Recht zu
thematisieren. So entschied sich Ruth Bader Ginsberg beispielsweise
für eine strategische Prozessführung in einem unscheinbar
anmutenden Fall über Sozialleistungen an einen Mann, der seine Mutter
unterstützt. Der Fall eignete sich aber besonders gut dazu, auf die
Ungleichstellung der Geschlechter in grundsätzlicher Weise aufmerksam
zu machen, weshalb Bader Ginsberg den Fall gemeinsam mit der ACLU als
strategischen Prozess führte.[35]
Die Auswahl kann sich auch daraus ergeben, dass ein Fall stellvertretend
für eine Vielzahl gleichartiger Fälle steht und deshalb mit einem
Urteil eine breite Wirkung für viele Personen in ähnlichen
Situationen erzielt werden kann. So hatte beispielsweise das Urteil
Tarakhel[36]
zur Dublin-Rückführung einer Familie nach Italien nicht nur eine
grosse Dringlichkeit für die Betroffenen, sondern auch Auswirkungen
auf alle ähnlichen Fälle im europäischen Raum.
Ein weiteres Kriterium kann die Frage sein, wie geeignet eine Institution
ist, um einen strategischen Fall zu führen, oder ob allenfalls eine
andere Organisation besser geeignet ist, den Fall zu vertreten. Ebenfalls
sollte geprüft werden, ob ein Gerichtsverfahren tatsächlich das
richtige Mittel ist, um eine Lücke im Menschenrechtsschutz zu
schliessen, oder ob sich nicht vielmehr alternative
Konfliktlösungsmechanismen oder politische Arbeit besser eignen.
Strategische Prozessführung nutzt einzelne Gerichtsfälle, um auf
die über den Einzelfall hinausweisende Tragweite der Rechtsfrage
aufmerksam zu machen und eine Verbesserung des Menschenrechtsschutzes
für die gesamte Gesellschaft zu erzielen. Eine Ethik der
Prozessführung verbietet es dabei, die Opfer von
Menschenrechtsverletzungen zu instrumentalisieren und die Interessen der
Allgemeinheit über diejenigen der Betroffenen zu stellen. Die
Interessen der einzelnen Beschwerdeführerinnen und
Beschwerdeführer, anhand deren Fall eine breitere Strategie aufgebaut
wird, müssen stets im Zentrum des Verfahrens stehen. Anwältinnen
und Anwälte von Betroffenen haben zudem eine ethische Verpflichtung,
die Interessen ihrer Klientschaft konsequent und ohne Ausnahme über
die gesellschaftlichen Interessen an einem Menschenrechtsfall zu stellen.
Entscheidet eine Beschwerdeführerin oder ein Beschwerdeführer,
dass er oder sie den Fall nicht weiterverfolgen oder ihren Fall nicht mehr
mit einer grösseren Strategie verbinden möchte, so ist dieser
Entscheid zu respektieren. Die Interessen der Beschwerdeführerinnen
und Beschwerdeführer, ihre Entscheidungen und ihre Sicherheit und
Integrität haben Priorität vor den strategischen Interessen, die
mit ihrem Fall in Verbindung gebracht werden.
3. Organisation der Prozesse
Strategisch geführte Prozesse entwickeln sich dynamisch. Entsprechend
anspruchsvoll ist ihre Planung. Weder ist ein
«blueprint» für strategische Prozesse verfügbar, noch
lässt sich die strategische Prozessführung für alle Phasen
eines Prozesses lückenlos durchplanen. Vieles entscheidet sich ad hoc. Dennoch sollten strategische Prozess fortwährend in
Bezug auf die Ziele, das Timing, die vorhandenen finanziellen und
personellen Ressourcen, die Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation,
die Vernetzung mit anderen Organisationen und mögliche Hindernisse und
Kritik überprüft werden.
Als Orientierung können folgende Punkte dienen:
Als besonders wichtig in der Planung erweisen sich die
Kommunikationsstrategie und der Umgang mit Erwartungen gegenüber den
Parteien und in der
Öffentlichkeit. Sämtliche beteiligten Akteure sollten ein
realistisches Bild davon haben, welche Chancen und Risiken ein
Gerichtsverfahren mit sich bringt und was mögliche persönliche
und gesellschaftliche Auswirkungen des Falles sind. Was sich ausserhalb des
Gerichts abspielt, ist für strategische Prozesse mindestens so wichtig
wie die Entwicklung des Verfahrens selbst. Strategisch geführte
Prozesse sind idealerweise mit einer professionell geführten
Kommunikationsstrategie verbunden und beziehen die betroffenen Personen,
Gruppen oder staatlichen Akteure aktiv mit ein.[37]
4. Finanzierung der Prozesse
Die Finanzierung von Menschenrechtsfällen ist, unabhängig davon,
ob sie als gewöhnlicher Einzelfall oder als strategischer Prozess
geführt werden, mithin die grösste Herausforderung für die
gerichtliche Durchsetzung der Menschenrechte.[38]
Grundsätzlich obliegt es dem Staat sicherzustellen, dass der Zugang
zur Justiz tatsächlich gewährleistet ist und nicht an der
Finanzierung scheitert. Die Rechtsweggarantien verlangen nicht, dass der
Rechtsweg kostenlos beschritten werden kann. Die Pflicht zur Leistung von
Partei- und Prozesskosten ist aber eine rechtfertigungsbedürftige
Einschränkung des Rechts auf Justizzugang. Einer Partei darf der
Gerichtszugang nicht mit Verweis auf ökonomische Faktoren verwehrt
werden.[39]
Ganz zentral ist dabei auch eine funktionierende unentgeltliche
Rechtspflege, darin eingeschlossen die unentgeltliche
Rechtsverbeiständung.
Die Finanzierungsstrukturen für Menschenrechtsfälle sind in jedem
Land unterschiedlich. In der Schweiz setzen sich die momentan zur
Verfügung stehenden Finanzierungsquellen zusammen aus
Eigenfinanzierung, Finanzierung durch Rechtsschutzversicherungen,
staatliche Leistungen, Pro-Bono-Arbeit durch Anwältinnen und
Anwälte und ein beschränktes Angebot an Unterstützung durch
NGOs oder Trägervereinen. Neuere Formen der Finanzierung wie etwa
Crowdfunding[40]
sind in der Schweiz (noch) nicht verbreitet.
Während die Pluralität der Finanzierungsquellen
grundsätzlich zu begrüssen ist, ist es in einer demokratischen
Verfassungsordnung problematisch, wenn Menschenrechtsfälle an der
Finanzierung scheitern. Obwohl keine statistischen Untersuchungen
vorliegen, ist zu vermuten, dass Menschenrechtsfälle in besonders
sensiblen Rechtsbereichen wie dem Asylwesen oftmals nur mit der
Unterstützung von Pro-Bono-Leistungen der Anwältinnen und
Anwälte, unentgeltlichen Rechtsberatungsangeboten und allenfalls
finanzieller Unterstützung durch NGOs oder private Gönnerinnen
und Gönner ans Gericht gelangen. Anders verhält es sich im
Bereich der Wirtschaftsfreiheit oder der Eigentumsgarantie, wo
Beschwerdeführer, beispielsweise Unternehmen, eher über die
notwendigen Mittel verfügen dürften. Im Bereich des Strafrechts
ist staatliche Unterstützung einfacher zugänglich und in vielen
Fällen besteht ein Rechtsanspruch auf eine professionelle
Rechtsvertretung. Demgegenüber fehlt diese Unterstützung im
Strafvollzug, was die Betroffenen empfindlich trifft.[41]
Eine mögliche Finanzierungsquelle für Menschenrechtsfälle
sind Pro-Bono-Dienste leistungsstarker Grosskanzleien. In den USA haben
viele der grossen Wirtschaftskanzleien Pro-Bono-Abteilungen, mit denen sie
einen Teil ihrer Dienstleistungen ohne Entgelt zur Verfügung stellen.
Pro-Bono-Abteilungen grösserer Wirtschaftskanzleien im
angelsächsischen Raum arbeiten in der Regel nicht direkt mit den
Betroffenen, sondern mit NGOs oder Public Interest Law Firms zusammen.[42]
Die Geschichte von Pro-Bono-Dienstleistungen führt weit zurück
und ist eng mit dem philanthropischen Ethos des Anwalts als selbstloser
Vertreter für die Forderung nach Recht und
Gerechtigkeit verbunden. Pro-Bono-Dienstleistungen grosser Anwaltskanzleien
stossen aber auch auf Kritik. Ihnen wird angelastet, dass sie lediglich der
Reputations- und Imagepflege dienen, einer Elite erlauben, sich als
selbstlos darzustellen, als Marketing-Tool für die Akquise von
Klienten dienen, zur Entstaatlichung von Dienstleistungen beitragen, zu
deren finanziellen Unterstützung der Staat verpflichtet wäre,
oder
defizitäre staatliche Finanzierungsstrukturen aufrechterhalten.[43]
Die europäische Pro-Bono-Bewegung ist nach wie vor im Aufbau. Auch
lässt sich die staatliche Finanzierungsstruktur in vielen
europäischen Ländern kaum mit der in dieser Hinsicht desolaten
Situation in den USA vergleichen. In den meisten
kontinentaleuropäischen Anwaltskanzleien ist Pro Bono nach wie vor
keine institutionalisierte Praxis.[44]
Es bleibt zu prüfen, ob ein systematischeres Pro-Bono-Engagement
grösserer Kanzleien auch in der Schweiz einen Beitrag zur
Stärkung des Menschenrechtsschutzes leisten könnte.
5. Wirkung und Evaluation
Die Frage nach messbaren Wirkungen strategischer Prozesse führt zu
schwierigen methodischen Fragen. Obwohl in den vergangenen Jahren wichtige
Erfahrungen mit quantitativen Analysen im Bereich der Rechtsanwendung
gesammelt wurden, ist deren Genauigkeit und Aussagekraft nach wie vor
umstritten. Qualitative Analysen über die Wirkung von
Gerichtsfällen dürften praktisch eher machbar sein, weisen
indessen die für solche Analysen üblichen Schwachstellen
bezüglich ihrer Genauigkeit und verzerrenden Faktoren auf. Bei der
strategischen Prozessführung kommt für die Analyse erschwerend
dazu, dass sich die Wirkung eines Falles dynamisch im Verlaufe des
Verfahrens entwickelt und sich nicht nur auf die Parteien auswirkt, sondern
potenziell auch auf andere Interessengruppen, ebenso wie auf das Verhalten
staatlicher Organe und politischer Akteure. Menschenrechtsfälle
entstehen meistens in Zusammenarbeit oder in einem Netzwerk mit
zivilgesellschaftlichen Organisationen und Interessengruppen. Oftmals
bleibt unklar, auf welche Initiative beispielsweise eine politische
Reaktion zurückzuführen ist. Strategische Prozessführung
greift meist Themen auf, die ohnehin bereits seit längerem in einem
breiten Kontext diskutiert werden. Welchen Beitrag ein Gerichtsverfahren
ganz konkret zu grossen gesellschaftlichen Veränderungen leistet, ist
schwierig bis unmöglich zu beurteilen.[45]
Des Weiteren ist wichtig zu verstehen, dass die Wirkung eines Gerichtsfalls
nicht mit dem Inhalt des Urteils gleichgesetzt werden darf. Ein verlorener
Fall kann unter Umständen einen wichtigen Beitrag zur
Unterstützung eines Anliegens leisten («success without
victory»), beispielsweise indem ein politischer Prozess angeregt wird.
Genauso kann ein gewonnenes Urteil keine oder negative Auswirkungen haben
(«victory without success»). Keine Auswirkungen hat ein
gewonnenes Urteil beispielsweise, wenn es von den Behörden nicht
umgesetzt wird. Negative Auswirkungen hat ein
Urteil, wenn es zu vermehrter Gewalt und Diskriminierung, einem politischen
Rückschlag oder einer Schwächung der Legitimation der Gerichte
führt.[46]
Auch wenn die Wirkung strategischer Prozessführung zur Durchsetzung
der Menschenrechte also kaum messbar ist, sollten die einzelnen Verfahren
dennoch von sorgfältiger Reflexion und Evaluation begleitet sein.[47]
V. Welche Beispiele für strategische Prozesse gibt es?
Beispiele für strategische Prozessführung sind zahlreich.
Prominente Beispiele finden sich sowohl bei den innerstaatlichen Gerichten
verschiedener Länder als auch vor internationalen Gerichten.
Nachfolgend sollen fünf Fälle exemplarisch dargestellt werden.
Der Fall Grootboom vor dem südafrikanischen
Verfassungsgericht gilt in der Literatur als einer der wegweisenden
strategisch geführten Prozesse. Der Fall D.H. v. The Czech Republic
ist ein von einer Koalition von NGOs in intensivem Dialog mit den
Betroffenen geführter Prozess, der gut dokumentiert und evaluiert ist.
Aus der Schweiz sind drei jüngere Prozesse dargestellt, die je
unterschiedlich organisiert sind und zugleich auf je eigene Weise die
Ausdifferenzierung strategischer Prozessführung im Kontext der
Schweizer Rechtsordnung andeuten.
2. Government of South Africa
v. Grootboom
Der international vielleicht bekannteste strategisch geführte Fall ist Government of South Africa v. Grootboom[48], welcher mit einem Urteil des südafrikanischen Verfassungsgerichts
endete. Die Beschwerdeführerin war aus ihrer informellen
Behausung vertrieben worden, die sich auf privatem Land befand. Dieses
wurde geräumt, weil es für staatlich finanzierte Häuser
vorgesehen war. Die Beschwerdeführerin beantragte, dass ihr die
Regierung gestützt auf das in der südafrikanischen Verfassung
gewährleistete Right to Housing eine angemessene Unterkunft
zur Verfügung stellt, bis sie in eine dauerhafte Unterkunft umziehen
kann. Das Verfassungsgericht bestätigte im wegweisenden Fall die
Justiziabilität wirtschaftlicher und sozialer Rechte und
erläuterte die Besonderheiten der staatlichen Verpflichtungen für
diese Rechte. Es befand ferner, dass der Staat verpflichtet ist,
unmittelbare positive Massnahmen zu ergreifen, um die minimalen
Bedürfnisse von Menschen in Armut und Not zu decken.
Der Grootboom-Fall gilt als Testfall für strategische
Prozessführung, weil er mit fachlicher und finanzieller
Unterstützung von NGOs geführt wurde und in eine grössere
Kommunikationsstrategie zu Fragen der Justiziabilität der
wirtschaftlichen und sozialen Rechte und den staatlichen Leistungspflichten
eingebettet war. Das Urteil war insofern ein Erfolg, als das Gericht viele
der Vorbringen im Sinne der Beschwerdeführerin beurteilte. Auf die
Lebenssituation der Beschwerdeführerin hatte das Urteil indessen
keinerlei Auswirkungen. Sie verstarb in Armut und ohne je die
Unterstützung staatlich subventionierten Wohnraums erhalten zu haben.[49]
3. D.H. v. The Czech Republic
Ein Beispiel aus dem europäischen Kontext ist das Urteil D.H. v. The Czech Republic[50]
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. In
verschiedenen Ländern Osteuropas wiesen Richtlinien und Praktiken
Mitglieder der Roma seit Generationen getrennten öffentlichen Schulen
zu. Ab Ende der 1990er-Jahren begannen die Roma sich mit Gerichtsverfahren
gegen die getrennte Zuteilung zu wehren. Nach einer Reihe von Urteilen und
Berufungen vor nationalen Gerichten verurteilte der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) mit dem Urteil D.H. v. The Czech Republic die Praxis als Rassendiskriminierung.
Die Beschwerdeführer wurden massgebend von nationalen und
internationalen NGOs unterstützt, so auch bei der aufwändigen
Beweisführung, und hatten
international anerkannte Menschenrechtsanwältinnen und -anwälte
als professionelle Rechtsvertretung zur Seite.[51]
Die systematische Auswertung des Urteils legt offen, dass die strategische
Prozessführung im Fall D.H. v. The Czech Republic und in
ähnlichen Fällen nicht nur ein wegweisendes Urteil, sondern auch
bedeutende Änderungen in Politik und Praxis zu bewirken vermag. Die
Auswertung ist aber auch ernüchternd, was die effektive Macht der
Gerichte gegenüber anderen staatlichen Gewalten und sozialen Praktiken
angeht. Auch liess sich im beobachteten Zeitraum das Aufkommen neuer Formen
der Diskriminierung beobachten.[52]
Die Studie zeigt in gewissem Sinne auf, was sich für strategische
Prozessführung generell abzeichnet: Strategische Prozesse können
einerseits wirkungsvoll sein, aber auch unbeabsichtigte Folgen haben.
4. Vaterschaftsurlaub
Auch in der Schweiz finden sich verschiedene Beispiele für strategisch
geführte Prozesse (siehe auch IV.1.a). Ein jüngeres Beispiel ist
das Urteil des Bundesgerichts zum Vaterschaftsurlaub.[53]
Der Beschwerdeführer wurde im Sommer 2012 zum zweiten Mal Vater. Mit
Unterstützung seines Arbeitgebers stellte er bei der zuständigen
AHV-Zweigstelle Antrag auf Elternschaftsentschädigung für 6
Wochen zum Prozentsatz, welcher weiblichen Angestellten gewährt wird.
Die Ausgleichskasse des Kantons Bern verneinte einen Anspruch auf
Entschädigung, ebenso wie das Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Das
Bundesgericht konnte darin keine Diskriminierung erkennen und wies die
Beschwerde ab.
Der Fall ist ein interessantes Beispiel, weil er aufzeigt, wie ein Fall
bewusst für die Mobilisierung für ein gesellschaftliches Anliegen
verwendet werden kann und wie wichtig dabei eine breit abgestützte
Trägerschaft und die Vernetzung der Akteure sind. Die Verfahrenskosten
wurden zum grösseren Teil von einem von Freunden gegründeten
Verein getragen. Die Anwältin leistete ihre Arbeit pro bono. Der
Verein wurde von männer.ch und alliance F, sowie von Vertreterinnen
und Vertretern aller grossen Parteien, dem Kinderarzt Remo Largo und
weiteren unterstützt. Das Verfahren war trotz negativem Entscheid
dennoch insofern erfolgreich, als es breite Kritik und eine
öffentliche Diskussion auslöste und damit auch das
Rechtsetzungsverfahren dynamisierte.[54]
5. Behindertengerechte
öffentliche Verkehrsmittel
Der Dachverband Inclusion Handicap hatte im Januar 2018 Beschwerde gegen
die befristete Betriebsbewilligung der Dosto-Züge der SBB eingereicht,
weil diese von Menschen mit Behinderungen nicht selbständig genutzt
werden könnten. Im November 2018 einigten sich Inclusion Handicap und
die SBB aussergerichtlich zu vier Punkten. Kurz danach entschied das
Bundesverwaltungsgericht, zehn der elf verbleibenden Rechtsbegehren
abzuweisen.[55]
Der Fall ist vor Bundesgericht hängig.
Der Streit um die neuen SBB-Züge zog sich über Jahre hinweg und
erreichte einen Umfang, der von einer einzelnen Person alleine kaum zu
bewältigen gewesen wäre, gerade auch was das finanzielle Risiko
betrifft. Die relativ kleine NGO sah sich einem der grössten
öffentlichen Unternehmen gegenüber mit entsprechenden personellen
und finanziellen Mitteln für ihre Rechtsvertretung. Die komplizierten
Verhandlungen und
Beweisführungsverfahren, die umfangreichen Beschwerdeschriften und die
aufwändige Medien- und Kommunikationsarbeit wären ohne die
Unterstützung des Verbandes, den Einbezug von externen
Menschenrechtsexpertinnen und -experten und einer starken institutionellen
Vernetzung kaum zu bewerkstelligen gewesen.[56]
6. Racial
Profiling
Ein weiteres aktuelles Beispiel für eine strategische
Prozessführung ist der Fall Wa Baile, mit dem die Praktik des Racial Profilings thematisiert wird. Wa Baile hatte sich im
Februar 2015 im Rahmen einer polizeilichen Personenkontrolle am
Zürcher Hauptbahnhof geweigert, seinen Ausweis vorzuweisen, weil er
die Kontrolle als rassistisch empfand. Wa Baile entschied sich, den darauf
erlassenen Strafbefehl anzufechten, um sich für eine Schweiz zu
engagieren, in der alle unabhängig von ihrer Hautfarbe gleich
behandelt werden. Am 7. März 2018 hat das Bundesgericht die
Verurteilung von Mohamed Wa Baile durch das Zürcher Obergericht
bestätigt.[57]
Der Fall ist momentan vor dem EGMR hängig.
Das Verfahren wird von einem breiten Kreis von Fachpersonen
unterstützt und als strategischer Prozess gegen das Racial Profiling
geführt. Das Strafverfahren soll über den Einzelfall hinaus
Diskriminierungen in der Schweiz bekämpfen, dem Thema die nötige
Aufmerksamkeit verleihen, die Bevölkerung sensibilisieren und
Betroffene zu eigenem Handeln ermächtigen.[58]
VI. Plädoyer für eine Stärkung der Menschenrechtspraxis
Der Menschenrechtsschutz hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem
hochspezialisierten Rechtsgebiet ausdifferenziert. Unter diesen
veränderten Bedingungen bedürfen die Rechtsberatung, die
Rechtsvertretung und die Rechtsprechung im Bereich der Menschenrechte der
Spezialisierung und Professionalisierung. Spezifisches Fachwissen zu den
Menschenrechten besteht in der Schweiz bis anhin hauptsächlich an den
Universitäten. Es ist nur punktuell und ad hoc mit der
praktischen Ausbildung sowie der Rechtsberatung und Rechtsvertretung
verknüpft.
In vielen Demokratien bestehen Organisationen und Ausbildungen, die eine
fachliche Spezialisierung von Anwältinnen und Anwälten
gewährleisten und Betroffene bei der Durchsetzung ihrer Menschenrechte
vor Gericht beraten und
unterstützen. In den USA, einer der ältesten Demokratien, besteht
mit der American Civil Liberties Union (ACLU) beispielsweise eine
Organisation, die sich mittels Ausbildung und Informationsaustausch
für den präventiven Schutz der Grundrechte einsetzt und mit einer
spezialisierten Rechtsvertretung Betroffene von Menschenrechtsverletzungen
vor Gericht unterstützt. Sie arbeiten dabei mit Universitäten und
Anwaltskanzleien zusammen. Die amerikanischen Universitäten bieten
ihrerseits Kurse an, in denen die Studierenden eine praktische Ausbildung
zur Durchsetzung der Menschenrechte erhalten (sogenannte human rights clinics). Entsprechende Organisationen und
Ausbildungsformen gewinnen auch in Europa an Bedeutung.
In den vergangenen Jahren haben viele Schweizer Universitäten
Menschenrechtskliniken gegründet. Auch die Organisation strategischer
Prozessführung durch die Zivilgesellschaft professionalisiert sich.
Das Entwicklungspotenzial ist in der Schweizer Rechtspraxis jedoch noch bei
Weitem nicht ausgeschöpft. Juristinnen und Juristen bedürfen
einer spezialisierten Ausbildung, um Menschenrechte als normativ
anspruchsvolles Querschnittgebiet in der gesamten Rechtsordnung und unter
herausfordernden politischen und rechtlichen Umständen zur Anwendung
zu bringen. Ziel eines effektiven Grundrechtsschutzes muss es sein, einen
Ausbildungsstandard und ein Angebot in der Rechtspraxis zu erreichen, das
der fundamentalen Bedeutung der Menschenrechte, ihrer anspruchsvollen
Rechtsdogmatik, ihrer herausforderungsreichen praktischen Anwendung und dem
hohen Spezialisierungsgrad des Rechtsgebiets gerecht wird. Dazu gehört
auch eine stärkere Institutionalisierung im Bereich der strategischen
Prozessführung. Dabei gilt es stets zu bedenken, dass strategische
Prozessführung kein Allheilmittel ist. Strategic Human Rights Litigation ist ein
Instrument, das unter den richtigen Umständen und in Kombination mit
anderen Mitteln zur Stärkung der Menschenrechte beitragen kann, dies
aber nicht zwingend tut.
[1]
Für eine allgemeine Einführung in die Grundlagen des
Menschenrechtsschutzes siehe Regina Kiener, Was sind
Menschenrechte?, in: Frau Huber geht nach Strassburg, 2018, S.
13-23. Zur Bedeutung der Grundrechte in der Bundesverfassung
einführend René Rhinow/Markus Schefer/Peter Uebersax, Verfassungsrecht, 3. Aufl., 2016, N 951-980;
Jörg Paul Müller, Elemente einer Grundrechtslehre, 1982,
1 ff.; Regina Kiener/Walter Kälin, Grundrechte, 3. Aufl., S. 10; Andreas Kley, St.
Galler Kommentar BV, N 8 ff. der geschichtlichen Einleitung; Dieter
Grimm, Zukunft der Verfassung II, 2012, S. 16 ff. Zum
internationalen Menschenrechtsschutz einführend Mashood A.
Baderin/Manisuli Ssenyonjo, Development of International Human
Rights Law before and after the UDHR, in: International Human
Rights Law, 2010, S. 3-30; Hans Joas, Die Sakralität der
Person, 2015, S. 23 ff.; Lynn Hunt, Inventing Human Rights, 2008.
[2]
Die Verpflichtungen des Staates werden in der Literatur unter den
Stichworten Zugang zum Recht, Zugang zur Justiz oder access to
justice diskutiert, siehe einführend Deborah L. Rhode, Access
to Justice, 2004; für die Schweiz grundlegend Regina Kiener,
Zugang zur Justiz, ZSR 138/2019 II S. 7-99; Claudia
Kaufmann/Christina Hausamann, Zugang zum Recht, 2017; zur
Diskussion im amerikanischen Kontext vgl. etwa die Beiträge in
der Zeitschrift Dædalus, Access to justice, 148 (2018) 1;
siehe auch Report of the Special Rapporteur on extreme poverty and
human rights (UN Doc. A/67/278) (9. August 2012); UNDP, Access to
justice, Practice Note (3. September 2004). Für eine
quantitative Analyse der Situation in 45 Ländern weltweit
siehe World Justice Project, Global Insights on Access to Justice,
2018.
[3]
Ich danke allen, die mir in zahlreichen Interviews über ihre
Erfahrungen im Bereich Human Rights Litigation berichtet haben.
Mein Dank gilt Jocelyn Getgen Kestenbaum, Professorin und
Direktorin der Benjamin B. Ferencz Human Rights and Atrocity
Prevention Clinic an der Cardozo Law School und Meg Satterthwaite,
Professorin und Direktorin der Global Justice Clinic an der NYU
School of Law ebenso wie Stephan Bernard, Andrea Huber, Marianne
Aeberhard und David Mühlemann von der Arbeitsgruppe Zugang zum Recht bei humanrights.ch sowie allen
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der von der Arbeitsgruppe
organisierten Roundtables zur Praxis des Menschenrechtsschutzes
(April 2019). Ganz besonders danke ich Burt Neuborne, Professor und
Legal Director des Brennan Center for Justice der NYU und
ehemaliger National Legal Director der ACLU, Steven R. Shapiro,
Professor an der NYU und ehemaliger Legal Director der ACLU, James
A. Goldstone, Executive Director der OSJF, dass ich 2018/19 an
ihren Vorlesungen an der NYU teilnehmen durfte und sie mir
bereitwillig Auskunft gaben über ihre Erfahrungen im Bereich
der strategischen Prozessführung. Besonderer Dank gilt auch
David Cole, National Legal Director der ACLU, Bryan Stevenson,
Professor an der NYU und Direktor der Equal Justice Initiative,
Susanne Baer, Richterin am Bundesverfassungsgericht und Professorin
an der Humboldt Universität in Berlin, Franz Werro, Professor
an der Universität Fribourg und Georgetown Law, und Markus
Schefer, Professor an der Universität Basel und Mitglied des
UNO-Ausschusses über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen.
[4]
Helen Duffy, Strategic Human Rights Litigation, 2018, S. 3.
[5]
Aus der Literatur zum Thema siehe insbes. Helen Duffy (Fn. 4); Open Society Justice
Initiative, Strategic Litigation Impacts, 2018; Alexander Graser
/Christian Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation, 2019; Jules
Lobel, Success Without Victory, 2004; Aryeh Neyer, Only Judgment:
The Limits of Litigation in Social Change, 2012; David Cole,
Engines of Liberty, 2017; Jackie Dugard/
Malcolm Langford, Art or Science? Synthesising lessons from public
interest litigation, South African Journal on Human Rights 27/2011,
S. 39-64; César Rodriguez-Garavito, Beyond the courtroom,
Texas Law Review 89/2011, S. 1669-1698; Steven Budlender/Gilbert
Marcus/Nick Ferreira, Public Interest Litigation and Social Change
in South Africa, 2014; Richard J. Wilson/Jennifer Rasmussen,
Promoting Justice: A Practical Guide to Human Rights Lawyering,
2001; Mark Tushnet, The NAACP's Legal Strategy against Segregated
Education, 2005; Michael J. Klarman, From the Closet to the Altar,
2014; Michael Clark, Public Interest Legal Services in South Africa
Project Report, 2015; Anuj Bhuwania, Courting the People: Public
Litigation in Post-Emergency India, 2017; Ivana Bacik/Mary Rogan,
Legal
Cases that Changed Ireland, 2016; Stuart Scheingold/Austin Sarat,
Something to Believe In: Politics, Professionalism, and Cause
Lawyering, 2004; ERRC, Strategic Litigation of Race Discrimination
in Europe (2004); COHRE, Litigating Economic, Social and Cultural
Rights, 2003; Byron Sheldrick, Blocking Public Participation: The
Use of Strategic Litigation to Silence Political Expression, 2014;
Gesine Fuchs/Dia Anagnostou/Susan Millns, Strategic Litigation for
Gender Equality in the Workplace and Legal Opportunity Structures
in Four European Countries, Canadian Journal of Law and Society, 28
(2013) 2, 189-208; ausserdem besonders empfehlenswert ist der
persönliche Erfahrungsbericht von Bryan Stevenson, Just Mercy,
2015 (unter demselben Titel auch verfilmt).
[7]
Grundsätzlich Hans Huber, Über die Konkretisierung der
Grundrechte, in: Der Staat als Aufgabe, 1972, S. 199, 204 f.;
Jörg Paul Müller, in: HGR VII/2, § 202 N 21; Dieter
Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S.
309; des Weiteren auch Pierre Tschannen, Die Auslegung der neuen
Bundesverfassung, in: Neue Bundesverfassung, 2000, S. 236 f.;
Walter Haller, Verfassungsfortbildung durch Richterrecht, ZSR
1/2005, S. 10-12; Eva Maria Belser, in: Basler Kommentar BV, N 67
zu Einleitung;
Kiener/Kälin (Fn. 1), S. 69; Rhinow/Schefer/
Uebersax (Fn. 1), N 1091.
[8]
Ebenso Duffy (Fn. 4), S. 5, 244 f.;
Neyer (Fn. 5); Open Society Justice Initiative (Fn. 5); siehe auch die entsprechende
Relativierung in Südafrika bei Clark (Fn. 5).
[10]
Zu einer Kritik der Rügepflicht siehe etwa Jörg Paul
Müller, Verwirklichung der Grundrechte nach Art. 35 BV, S.
130-136; siehe auch das Urteil des Bundesgerichts zum
Verhüllungsverbot, in dem es sich mangels Rüge nicht mit
der
Verletzung der Religionsfreiheit befasst hat, BGE 144 I 281 E. 1.7.
[11]
Zur eingeschränkten Verfassungsgerichtsbarkeit einführend
Ulrich Häfelin/Walter Haller/Helen Keller/Daniela Thurnherr,
Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 2016, N 273; Bernhard Waldmann,
in: Basler Kommentar BV, Art. 35 N 31.
[14]
Siehe etwa BGE 140 I 305;
kommentierend dazu Irene Grohsmann, Vaterschaftsurlaub,
SKMR-Newsletter Nr. 18 vom 13. November 2014.
[15]
Siehe exemplarisch den vom Eidgenössischen Büro für
Gleichstellung publizierten Bericht von Karine Lempen/Anne Voloder,
Analyse der kantonalen Rechtsprechung nach dem Bundesgesetz
über die Gleichstellung von Frau und Mann (2004-2015), 2017,
der aufzeigt, wie unberechenbar und teuer es nach wie vor ist, die
Geschlechtergleichstellung vor Gericht einzufordern; eine Studie
des SKMR zeigt auf, dass generell deutlich weniger Frauen als
Männer an Verfahren vor Bundesgericht beteiligt sind und
grosser Forschungsbedarf im Bereich des gleichberechtigten Zugangs
zur Justiz in der Schweiz besteht, Judith Wyttenbach/Eliane Braun,
Weniger Frauen als Männer vor Bundesgericht, März 2019.
[16]
Die finanzielle Unterstützung in Grundrechtsfällen ist
auf die unentgeltliche Rechtspflege in
Gerichtsverfahren beschränkt. Rechtsberatung ohne
Gerichtsverfahren ist nicht abgedeckt, BGE 128 I 225, 231;
Bernhard Waldmann, Basler Kommentar BV, Art. 29 BV N 66; Rhinow/
Schefer/Uebersax (Fn. 1), N 3051-3053b; kritische Würdigung
des Rechtsschutzes bei Alexander Suter, Armut und Diskriminierung,
2015, N 138-141; Regina Kiener, Effektiver Zugang zur Justiz. Siehe
etwa auch die Empfehlungen zur Stärkung niederschwelliger
Rechtsberatung der Christoph Merian Stiftung, Soziale
Handlungsfelder in der Stadt Basel, 2017, S. 45-48.
[17]
Übersichtlich Duffy (Fn. 4), S. 9.
[18]
Siehe dazu ausführlich Vanessa Rüegger, Nichts als
Sprache, myops 28/2016, S. 4-21.
[19]
Beweis dafür ist beispielsweise die umfangreiche
wissenschaftliche Literatur und rechtlichen Gutachten, die das
Gericht zur Begründung seines für die Menschenrechte
wegweisenden Urteile zitiert in BGE 121 I 367 (Anerkennung
des Rechts auf Nothilfe) und BGE 116 Ia 359
(Anerkennung des Frauenstimmrechts).
[21]
Urteil des EGMR Nr. 8660/79 vom 25.
März 1983 (Minelli vs. Schweiz). Die
Hintergründe des Falls sind beschrieben bei Adrian Riklin, Es
begann mit einem simplen Branchentelefonbuch, in: Frau Huber geht
nach Strassburg, (Fn. 1), S. 25-41.
[24]
State of Tennessee v. John Thomas Scopes, Criminal Court of
Tennessee (1925); Scopes v. State, 154 Tenn. 105 (1927).
[25]
Brown v. Board of Education, 347 U.S. 483 (1954).
[26]
Roe v. Wade, 410 U.S. 113 (1973).
[27]
Doe v. Bolton, 410 U.S. 179 (1973).
[28]
Die Geschichte der ACLU ist dargestellt in Judy Kutulas, The
American Civil Liberties Union and the Making of Modern Liberalism,
2006; Robert C. Cottrell, Roger Nash Baldwin and the American Civil
Liberties Union, 2000; Laura Weinrib, The Taming of Free Speech,
2016; Cole (Fn. 5).
[29]
Ich danke den Mitarbeitenden des ECCHR für die Auskunft
über ihre Arbeit.
[34]
So beispielsweise im Urteil des Bundesgerichts 2C_1052/2016 vom 26. April
2017, dessen Verfahren mit Unterstützung von Amnesty Schweiz
geführt wurde.
[35]
Die Geschichte von Ruth Bader Ginsberg und ihren strategischen
Prozessen im Bereich der Geschlechtergleichstellung ist
erzählt im Dokumentarfilm RBG (Betsy West/Julie
Cohen, USA 2018) und im Spielfilm On the basis of sex
(Mimi Leder, USA 2018). Siehe auch Ruth Bader Ginsberg, My own
words, 2016; Cathleen Small, Ruth Bader Ginsburg, 2018.
[37]
Zum Ganzen ausführlich Duffy (Fn. 4).
[38]
Siehe auch Open Society Justice Initiative (Fn. 5).
[39]
Kiener (Fn. 2), 54 f.; Urteil des EGMR Nr. 8225/78 vom 28. Mai
1985 (Ashingdane v. UK), N 57.
[41]
Siehe etwa Stephan Bernard, In der Schweiz haben nicht alle den
gleichen Zugang zum Recht, NZZ am Sonntag vom 1. Februar 2020.
[42]
Ich danke den verschiedenen Pro-Bono-Partnerinnen in New Yorker
Wirtschaftskanzleien, die mir Auskunft über ihre Arbeit
gegeben haben. Zu Pro-Bono siehe auch Alberto Alemanno/Lamin
Khadar, Reinventing Legal Education, 2018, S. 20.
Pro-Bono-Dienstleistungen und Pro-Bono-Praktiken sind etwa auch in
Handbüchern anschaulich beschrieben, siehe beispielsweise
PILNet, Pro Bono Handbook, 2015.
[43]
Siehe die entsprechende Kritik bei Charles Bosvieux-Onyekwelu, Law
Firms and Lawyers' Pro Bono Practice (beim Autor erhältlich),
S. 4 f.; mit einem stärker abwägenden Standpunkt Lamin
Khadar, The Growth of Pro Bono in Europe (PILnet Report), 2016.
[44]
Lamin Khadar (Fn. 43).
[45]
Duffy (Fn. 4), S. 37 ff.
[46]
Zum Ganzen im amerikanischen Kontext Lobel (Fn. 5).
[47]
Für weiterführende Hinweise siehe Duffy (Fn. 4), S. 46.
[48]
South African Constitutional Court 2001 (1) SA 46 (CC) from 4.
October 2009 (Government of South Africa v. Grootboom).
[49]
Zum Ganzen ausführlich COHRE (Fn. 5); Dugard/Langford (Fn. 5);
Sandra Liebenberg, Socio-economic rights, Adjudication under a
transformative constitution, 2010.
[50]
Urteil des EGMR Nr. 57325/00 vom 13.
November 2007 (D.H. v. The Czech Republic).
[51]
Open Society Justice Initiative (Fn. 5), S. 21 f., 29.
[52]
Open Society Justice Initiative (Fn. 5), S. 33 ff.
[54]
Ich danke Charlotte Sieber-Gasser für die Auskunft zum Fall.
[55]
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-359/2018 vom 20.
November 2018.
[56]
Ich danke Caroline Hess-Klein, Martin Looser und Markus Schefer
für die Auskunft zum Fall.