I. Einleitung
Ist heute von der Neutralität des Staates und insbesondere von der
Neutralität der Schule die Rede, so geht es meistens um die
religiöse Neutralität. Viel weniger Beachtung findet ein anderer
Aspekt: die politische Neutralität der Schule. Zahlreiche
kantonale Verfassungen und Gesetze schreiben explizit vor, dass die Schule
politisch neutral sei. Diese Normen werfen hinsichtlich der praktischen
Umsetzung nicht weniger Fragen auf als die Gebote der religiösen
Neutralität - ja in gewisser Weise sind die Probleme bei der
politischen Neutralität sogar noch grösser.
Denn während in der Gegenwartsgesellschaft in religiösen Fragen
vielfach eine Haltung der Indifferenz vorherrscht, die der religiösen
Neutralitätsforderung entgegenkommt, haben so gut wie alle Personen
eine politische Grundhaltung und eine Meinung zu konkreten politischen
Fragen. Dies ist auch bei Lehrpersonen der Fall, die sich fragen
müssen, wie sie in ihrer Unterrichtstätigkeit mit diesen -
legitimen und natürlichen, ja staatspolitisch erwünschten -
Präferenzen umgehen. Während zahlreiche Fächer
diesbezüglich wenige Probleme aufwerfen (zum Beispiel
naturwissenschaftliche Fächer), gibt es in anderen Fachbereichen
zahlreiche Berührungspunkte zu persönlichen Überzeugungen.[1]
Die Frage nach der politischen Neutralität der Schule hat darüber
hinaus eine grundsätzliche Dimension. Sie berührt die Thematik,
ob und inwiefern sich staatliche Angestellte in ihrer beruflichen
Tätigkeit von ihren persönlichen Auffassungen distanzieren
können und müssen. Diese allgemeine Fragestellung kann im
vorliegenden Rahmen nicht eigens behandelt werden, soll aber immerhin
präsent sein und punktuell berücksichtigt werden.
Im Folgenden sollen zunächst die bestehenden Regelungen zur
politischen Neutralität der Schule und der rechtliche Kontext, in
welchem dieses Gebot steht, beleuchtet werden (nachfolgend Ziff. II und
III). Sodann soll die Neutralitätspflicht näher betrachtet und
ausgedeutet werden, vor allem in zweierlei Hinsicht: bezüglich der
Unterrichtstätigkeit (IV) und der Lehrmittel (V). Soweit dabei auf
konkrete rechtliche Gegebenheiten einzugehen ist, konzentrieren sich die
folgenden Ausführungen auf die Situation im Kanton Zürich. Nach
einer allgemeinen Betrachtung zum Inhalt und zur Reichweite des
Neutralitätsgebots (VI) soll ein Fazit gezogen werden (VII).
II. Normen zur politischen Neutralität
Gemäss Art. 62 Abs. 1 BV sind
die Kantone für das Schulwesen zuständig.[2]
Zahlreiche kantonale Erlasse enthalten die Vorschrift, dass die Schule
politisch neutral sei. Diese Normen beziehen sich auf die Volksschule sowie
Berufs- und Mittelschulen (nicht aber die Hochschulen).[3]
Zuweilen sind die Vorschriften zur politischen Neutralität auf
Verfassungsstufe, teilweise sind sie in Gesetzen verankert. Entsprechende
Vorschriften enthalten die Rechtsordnungen der Kantone Aargau[4], Basel-Stadt[5], Bern[6], Freiburg[7], Genf[8], Graubünden[9], Luzern[10], Nidwalden[11], Obwalden[12], Waadt[13]
und Zürich[14].[15]
Die politische Neutralität ist nicht mit einer absoluten
Wertneutralität gleichzusetzen. In den Schul- und Bildungsgesetzen
finden sich häufig Bekenntnisse zu christlichen, demokratischen und
ähnlichen Wertgrundlagen. So besagt etwa § 2 Abs. 1 Satz 1 des Volksschulgesetzes des Kantons Zürich[16]: «Die Volksschule erzieht zu einem Verhalten, das sich an
christlichen, humanistischen und demokratischen Wertvorstellungen
orientiert.»[17]
Gemäss § 2 Abs. 4 des
gleichen Erlasses fördert die Volksschule unter anderem die Achtung
vor Mitmenschen und Umwelt. Die Bildungsdirektion des Kantons Zürich
erläutert diese Bestimmungen folgendermassen: «Die Volksschule
ist nicht wertfrei. Ihr gesetzlicher Bildungs- und Erziehungsauftrag
richtet sich nach bestimmten Werten aus. Die Kantonsverfassung sagt dazu,
dass die öffentlichen Schulen den Grundwerten des demokratischen
Staatswesens verpflichtet sind (Art. 116 Abs. 2 KV). Diese
Werteorientierung, die gesellschaftlich als allgemein anerkannt betrachtet
werden kann, entspricht dem Gebot der politischen und konfessionellen
Neutralität der Volksschule (Art. 116 Abs. 2 KV; § 4 Bildungsgesetz, BiG).»[18]
Die Normen zur politischen Neutralität, die später genauer zu
interpretieren sind, stehen im Zusammenhang mit zahlreichen anderen
Vorschriften, die den schulischen Unterricht und die Stellung der
Lehrperson bestimmen. Sie sind in diesem Kontext zu sehen, weshalb im
Folgenden dieses rechtliche Umfeld näher beleuchtet werden soll.
III. Rechtlicher Kontext
1. Anstellungsvoraussetzungen und Treuepflicht
Das Lehrpersonal staatlicher Schulen untersteht den Normen des
öffentlichen Personalrechts.[19]
Grundlage der Tätigkeit bildet ein öffentlich-rechtliches
Arbeitsverhältnis zwischen dem Staat (Arbeitgeber) und einer
natürlichen Person (Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer). Bei der
Begründung eines solchen Arbeitsverhältnisses gelten besondere
Regeln. Neben der fachlichen ist auch die persönliche Eignung
Voraussetzung für die Anstellung einer Bewerberin oder eines
Bewerbers.[20]
Zur persönlichen Eignung
gehört das Mittragen von fundamentalen staatlichen Grundsätzen.
An dieser Vor-aussetzung fehlt es einer Lehrperson, wenn die Bewerberin
oder der Bewerber durch ihre bzw. seine politische Tätigkeit
offensichtlich den freiheitlich-demo-kratischen Grundwerten des Staates
widerspricht und darauf abzielt, diese Werte in rechtswidriger Weise zu
untergraben.[21]
Entscheidend ist die Bereitschaft und Fähigkeit, auf die Propagierung
politischer und weltanschaulicher Einstellungen gegenüber den
Schülerinnen und Schülern zu verzichten und Gewähr zu bieten
für neutralen Unterricht.[22]
Während der Tätigkeit als staatliche Angestellte bzw. staatlicher
Angestellter besteht sodann eine sog. Treuepflicht. Die Tätigkeit
verpflichtet zu einem gegenüber dem Gemeinwesen loyalen Verhalten, das
die Interessen des Staates nicht beeinträchtigt.[23]
Die Treuepflicht verlangt nicht eine bestimmte Gesinnung, sondern betrifft
nur das äussere Verhalten einer Person.[24]
Sie setzt eine grundsätzlich positive Einstellung zum Staat voraus,
bedeutet aber nicht, dass sich Angestellte jeglicher Kritik zu enthalten
hätten.[25]
Wird Kritik am staatlichen Handeln geübt, haben sich staatliche
Angestellte aber eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen.[26]
Das Gemeinwesen braucht es nicht hinzunehmen, dass namentlich
Lehrkräfte innerhalb oder ausserhalb der Schule Auffassungen
vertreten, die den Grundwerten, die sich in der Rechtsordnung und vor allem
in der Verfassung manifestieren, zuwiderlaufen. Fundamentale
Widersprüche zur staatlichen Grundordnung lägen etwa vor, wenn
Lehrpersonen die Abschaffung der wichtigsten Grundrechte oder die
Beseitigung der Demokratie postulieren würden.[27]
So wurde es als eine Verletzung der Treuepflicht erachtet, als ein Lehrer
in einem Zeitungsartikel die Steinigung von Ehebrecherinnen auf islamischer
Grundlage rechtfertigte.[28]
Dagegen hat das Bundesgericht im Fall eines Dozenten der Zürcher
Hochschule der Künste (ZHdK) entschieden, dass dieser die Treuepflicht
nicht verletzt habe. Der Dozent hatte sich mit einem Flugblatt gegen das
Projekt des Campus der ZHdK auf dem Toni-Areal gewehrt, das die
Hochschulleitung unterstützte. Er verteilte das Flugblatt vor einer
Sitzung des Zürcher Kantonsrates, an der das Thema behandelt wurde.
Das Bundesgericht befand, dass sich die Aktion in erster Linie an die
Mitglieder des Kantonsrates gewendet habe und nicht primär den Zweck
gehabt habe, auf eine Pflichtverletzung der Hochschulleitung hinzuweisen.
Die Äusserung sei im Rahmen einer demokratischen Auseinandersetzung
erfolgt, und angesichts der Bedeutung der Meinungsäusserungsfreiheit
im demokratischen Willensbildungsprozess sei sie zulässig gewesen.[29]
2. Grundrechte von Lehrpersonen sowie Schülerinnen und
Schülern
Im Zusammenhang mit der politischen Neutralität der Schule sind des
Weiteren die Grundrechte der Lehrpersonen sowie diejenigen der
Schülerinnen und Schüler von Belang. Lehrerinnen und Lehrer
können sich grundsätzlich auf die gleichen Grundrechte berufen
wie andere natürliche Personen. Im Hinblick auf die politische
Neutralität der Schule sind insbesondere die persönliche
Freiheit, die Meinungsfreiheit, die Vereinsfreiheit sowie die politischen
Rechte von Bedeutung. Aufgrund des Sonderstatusverhältnisses oder
besonderen Rechtsverhältnisses, in dem sich staatliche Angestellte
befinden, ergeben sich jedoch bestimmte Besonderheiten.[30]
Staatliche Angestellte müssen bei der Ausübung ihrer
Freiheitsrechte Einschränkungen hinnehmen, die sich aus ihrer
Treuepflicht und allenfalls ihren Amtspflichten ergeben. Die
Voraussetzungen für die Einschränkungen von Freiheitsrechten
gemäss Art. 36 BV müssen
dabei erfüllt sein, doch sind die Anforderungen an die gesetzliche
Grundlage bezüglich Normstufe und Normdichte und an die
Verhältnismässigkeit geringer.[31]
Insbesondere die Meinungsfreiheit kann durch die Treuepflicht
eingeschränkt sein.[32]
Einschränkungen derselben sind jedoch nur zulässig, wenn sie
sachlich begründet sind und in einem vernünftigen Verhältnis
zu deren Zweck stehen.[33]
Die Schülerinnen und Schüler sind nicht an das Gebot der
politischen Neutralität der Schule gebunden. Ebenso obliegt ihnen
keine Treuepflicht. Ihre Meinungsfreiheit kann besonderen Schranken
unterworfen werden, soweit Zweck und Betrieb der Schule es erfordern.[34]
Aus der Meinungsfreiheit ergibt sich nicht nur ein Recht der
Schülerinnen und Schüler, im Rahmen der öffentlichen Schule
ihre Meinung frei zu äussern. Aus dem Grundrecht fliesst auch der
Anspruch, in der Schule nicht in der eigenen Meinungsbildung
unzulässig beeinflusst zu werden. Die Meinungsfreiheit verbietet es
dem Staat, den Einzelnen Ansichten durch Indoktrination, einseitige
Information oder andere Mittel aufzudrängen.[35]
Daher wird namentlich von Lehrkräften an öffentlichen Schulen
verlangt, dass sie bei politischen, religiösen oder weltanschaulichen
Stellungnahmen im Unterricht insoweit Zurückhaltung üben, als die
Schülerinnen und Schüler noch nicht in der Lage sind, ihr eigenes
Urteil den Wertungen des Lehrers entgegenzuhalten.[36]
3. Erziehungsrecht der Eltern
Die politische Neutralität der Schule hat ferner einen Bezug zum
elterlichen Erziehungsrecht. Gemäss Art. 301 Abs. 1 ZGB[37]
leiten die Eltern im Blick auf das Wohl des Kindes dessen Pflege und
Erziehung. Art. 302 Abs. 1 ZGB
bestimmt: «Die Eltern haben das Kind ihren Verhältnissen
entsprechend zu erziehen und seine körperliche, geistige und sittliche
Entfaltung zu fördern und zu schützen.» Gemäss Abs. 3 des gleichen Artikels
sollen sie zu diesem Zweck in geeigneter Weise mit der Schule und, wo es
die Umstände
erfordern, mit der öffentlichen und gemeinnützigen Jugendhilfe
zusammenarbeiten.
Der Auftrag der Schule beschränkt sich auf die Ergänzung und
Unterstützung der elterlichen Erziehungsbemühungen.[38]
Die Schule hat sich daher zurückzuhalten, wo religiös,
weltanschaulich oder parteipolitisch geprägte Werte die Erziehung
beeinflussen.[39]
Soweit es mit einem geordneten Schulbetrieb vereinbar ist, muss die
staatliche Schule auf besonders wichtige Erziehungsanliegen und
Wertvorstellungen der Eltern Rücksicht nehmen und zum Beispiel
Dispensationen aus religiösen oder anderen Gründen gewähren.[40]
Die Bestrebungen der Schule brauchen aber nicht vollumfänglich mit
denen der einzelnen Eltern zu harmonieren.[41]
Der Erziehungsauftrag der Schule bestimmt sich nach den Interessen der
Allgemeinheit und ist auf allgemein geteilte Werte ausgerichtet.[42]
Es findet notwendig eine gewisse Ausbalancierung mit den Ansichten der
Eltern statt. Die Schule erfüllt gerade dadurch eine wichtige
Sozialisierungsfunktion, dass Kinder in dieser Institution mit anderen
Anschauungen als denen konfrontiert werden, die sie im elterlichen und
familiären Umfeld kennenlernen. Die Eltern haben sich daher sowohl der
Organisation, als auch dem Lehrplan der
öffentlichen Schule weitgehend zu fügen.[43]
Eine systematische politische Indoktrination wäre jedoch mit den
Rechten der Eltern nicht zu vereinbaren und durch den Erziehungsauftrag der
Schule nicht gedeckt.
4. Lehrplan 21
Von Bedeutung sind im vorliegenden Zusammenhang auch die Vorgaben des
Lehrplans 21, besonders im Fachbereich «Natur, Mensch,
Gesellschaft».[44]
Der Lehrplan der Volksschule im Kanton Zürich enthält didaktische
Hinweise und behandelt in diesem Zusammenhang auch das Verhalten der
Lehrperson. Bezüglich des Fachs „Religionen, Kulturen,
Ethik» schreibt er unter anderem vor: «Die Lehrperson ist sich
ihres eigenen weltanschaulichen Horizontes bewusst und leitet die
Schülerinnen und Schüler transparent mit einer interessierten und
respektvollen Haltung zu Erkundungen und Begegnungen an.»[45]
Die Lehrinhalte sollten unter dem Aspekt der
«Mehrperspektivität» behandelt werden.[46]
5. Zwischenfazit
Unabhängig von speziellen Verpflichtungen zur politischen
Neutralität bestehen - wie sich gezeigt hat - zahlreiche Normen, die
einer politischen Ausrichtung des schulischen Unterrichts und der
Lehrtätigkeit Grenzen setzen. Von Bedeutung ist unter anderem die
Treuepflicht der Lehrpersonen, die es verbietet, dass diese sich aktiv
gegen fundamentale Normen des Staates wenden. Eigentlich extremistische
Strömungen sind aufgrund dieser Normen an öffentlichen Schulen
nicht erlaubt, wobei es nicht auf die Gesinnung der jeweiligen Person,
sondern auf deren Verhalten ankommt. Eine weitere Grenze ergibt sich aus
der Meinungsfreiheit der Schülerinnen und Schüler. Diese
vermittelt ein Abwehrrecht gegen eine bewusste Lenkung der Meinungsbildung
durch den Staat und staatliche Akteure. Eine eigentliche Indoktrination ist
daher unzulässig.
Die Grenzen, die damit gesteckt werden, lassen jedoch weite
Spielräume. Die Treuepflicht, die Grundrechte der Schülerinnen
und Schüler, das elterliche Erziehungsrecht und weitere Faktoren wie
der Lehrplan verhindern nur sehr weitgehende Formen politischer
Beeinflussung. Es sind viele Formen politischer Äusserungen von
Lehrpersonen denkbar, die mit diesen Normen nicht kollidieren. Das Gebot
der politischen Neutralität verspricht, diesen weiten Spielraum
etwas einzugrenzen und klarere Handlungsanweisungen zu geben. Im Folgenden
soll daher diese rechtliche Forderung näher beleuchtet werden, im
Hinblick auf zwei Hauptfelder schulischer Praxis: die
Unterrichtstätigkeit und die Lehrmittel.
IV. Neutralität des Unterrichts
1. Stellungnahmen in der Literatur
Die Lehrperson ist gemäss Zürcher Lehrpersonalgesetz
verpflichtet, den Unterricht gewissenhaft vorzubereiten und zu gestalten.[47]
Sie hat die obligatorischen Lehrmittel und Lernmaterialien zu verwenden.[48]
Im Übrigen gilt die Methodenfreiheit.[49]
Lehrpersonen haben damit vergleichsweise grosse Spielräume, die
konkrete Unterrichtstätigkeit nach ihren Vorstellungen zu gestalten.
Damit verbinden sich gerade in politischer Hinsicht erhebliche
Möglichkeiten der Beeinflussung, da sie meist Kinder oder Jugendliche
unterrichten, die sich in vielen Fragen noch kein selbstständiges
Urteil bilden können.[50]
Das Gebot der politischen Neutralität soll in dieser Hinsicht Grenzen
setzen. Es ist von grosser praktischer Bedeutung und tagtäglich in
unzähligen Schulstunden direkt relevant. Wissenschaftliche
Interpretationen dazu sind allerdings eher rar. Eine Auseinandersetzung mit
der Thematik findet sich bei einzelnen Autoren, deren Stellungnahmen im
Folgenden näher zu betrachten sind:
Peter Hänni analysiert die Thematik unter dem Aspekt der Treuepflicht,
behandelt die Rolle der Lehrperson in diesem Zusammenhang aber auch
grundsätzlich. In Anlehnung an den Philosophen Hans Saner vertritt er
die Auffassung, dass die Vorstellung einer unpolitischen oder neutralen
Lehrperson reine Fiktion sei. Eine Lehrerin oder ein Lehrer sei als
Pädagogin oder Pädagoge unvermeidlich in einer politischen Rolle.[51]
Diese Rolle werde besonders dort greifbar, wo politische Fragen und
Probleme zum Inhalt des Unterrichts werden. Die Lehrperson solle
beispielsweise aufzeigen, wie und wodurch politische Freiheit und
Gerechtigkeit ermöglicht oder unterdrückt werden. «Dabei ist
das Engagement des Lehrers in der politischen Bildung nicht zu verwechseln
mit Indoktrination und politischer Propaganda, denn es geht ja nicht darum,
den Schüler für eine bestimmte politische Meinung zu gewinnen,
sondern um die Herausbildung der politischen Urteilsfähigkeit.»[52]
Die Lehrperson dürfe ihre Meinung bekennen, wenn sie diese rational
begründe und wenn sie sich auch zum Anwalt von Alternativen mache.[53]
Herbert Plotke vertritt die Ansicht, dass der Unterricht «Kenntnisse
und Informationen religiösen und weltanschaulichen Charakters
vermitteln [darf], solange er objektiv, ohne Indoktrination oder Wertung
erteilt wird und auf die verschiedenen Standpunkte eingeht.»[54]
Die Lehrperson dürfe ihre Meinung darlegen, aber nicht
aufdrängen, müsse also andere Ansichten gelten lassen. Traue sich
eine Lehrperson die nötige Sachkenntnis und Objektivität nicht
zu, so solle sie Schülerinnen und Schüler die einzelnen
Auffassungen in Vorträgen darstellen lassen oder bei aktuellen und
besonders umstrittenen Fragen Referenten, Kollegen oder andere Personen
beiziehen.[55]
Nach Markus Rüssli bedeutet politische Neutralität nicht, dass
politisch kontroverse Themen oder religiöse Fragen vom Unterricht
auszuklammern wären. Die Lehrkräfte müssten aber für
eine ausgewogene Darstellung bzw. Diskussion sorgen. «Sie selbst haben
unparteiisch zu bleiben und dürfen nicht in einseitiger Weise Einfluss
auf die Schülerinnen und Schüler nehmen. Politische
Indoktrination, […] das Schlechtmachen einzelner Glaubensbekenntnisse
oder Weltanschauungen oder das Propagieren von Ideen, die sich mit den
Grundwerten des demokratischen Staatswesens nicht vereinbaren lassen, ist
den Lehrpersonen untersagt.»[56]
In diesen Äusserungen werden unterschiedliche Aspekte sichtbar. In die
Richtung einer strengen Neutralitätspflicht weisen Forderungen, dass
der Unterricht «ohne Wertung»[57]
erfolgen solle und die Lehrkräfte «unparteiisch»[58]
zu bleiben hätten. In die Richtung grösserer Spielräume
gehen dagegen Aussagen wie die, dass eine Lehrperson ihre Meinung bekennen
dürfe, solange sie diese rational begründe und andere Ansichten
gelten lasse.[59]
2. Eigener Vorschlag: Kriterien
Aufbauend auf den referierten Deutungen soll im Folgenden ein eigener
Vorschlag entwickelt werden, das Gebot der politischen Neutralität von
Lehrpersonen zu interpretieren. Ausgangspunkt sollen die Schülerinnen
und Schüler und deren Grundrechte bilden. Die politische
Neutralität der Schule ist kein Selbstzweck, sondern hat den Sinn,
eine freie Meinungsbildung und Willensbildung der Schülerinnen und
Schüler zu ermöglichen. Analog dazu liegt auch das Gebot der konfessionellen beziehungsweise religiösen
Neutralität des Unterrichts darin begründet, dass die
Schülerinnen und Schüler in ihrer religiösen Freiheit nicht
einschränkt werden sollen.[60]
Aus dieser Warte ist klar, dass jede Form systematischer Beeinflussung
(Indoktrination) der politischen Haltung der Schülerinnen und
Schüler unzulässig wäre. Schwieriger ist die Frage, ob und
gegebenenfalls in welcher Form eine Lehrkraft ihre eigene politische
Meinung im Unterricht äussern darf.
Geht man von den rechtlich geschützten Interessen der
Schülerinnen und Schüler aus, so ist die blosse Aussage einer
Lehrperson, wo sie in einer Frage politisch steht, nicht unter allen
Umständen als Pflichtverstoss zu werten. Eine Äusserung dieser
Art muss die politische Urteilsbildung von Schülerinnen und
Schülern nicht unbedingt beeinträchtigen, ja sie kann sie unter
bestimmten Bedingungen sogar fördern. Mitunter ist eine solche
Positionierung der Lehrperson sogar gewünscht, um in der
Auseinandersetzung mit deren Haltung besser ein eigenes Urteil bilden zu
können.[61]
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass es Lehrerinnen und Lehrer
gibt, die sich beispielsweise in einer politischen Partei engagieren, so
dass ihr politischer Standort den Schülerinnen und Schülern und
deren Eltern ohnehin bekannt ist. Auch ohne formelle Parteimitgliedschaft
wird die politische Positionierung einer Person zudem an vielen kleinen
Dingen ohnehin häufig erkennbar (fährt der Lehrer mit dem Auto
oder dem Velo zur Schule etc.).
Eine einfache bekennende Aussage zur politischen Position - sei es in einer
konkreten politischen Streitfrage oder in allgemeiner Weise - kann daher
mit der politischen Neutralität vereinbar sein, soweit einige
wesentliche Bedingungen eingehalten werden. Zu verlangen ist in diesem Fall
Zudem ist selbstverständlich vorauszusetzen, dass die Lehrperson
andere Meinungen, die von Schülerinnen und Schülern vorgebracht
werden, vorbehaltlos akzeptiert und deren Äusserung in keiner Weise
mit Nachteilen für die Betroffenen verknüpft.
Diese allgemeinen Voraussetzungen sind nach Schulstufe bzw. Alter der
Schülerinnen und Schüler zu differenzieren. Ältere
Schüler sind in der Regel gut in der Lage, eine als solche deklarierte
persönliche Meinung einer Lehrperson einzuordnen. Bei jüngeren
Schülern ist mehr Zurückhaltung geboten.
Werden diese Bedingungen eingehalten, erscheint es möglich, die freie
politische Willensbildung und Entwicklung von Schülerinnen und
Schülern zu gewährleisten, auch wenn eine Lehrperson ihren
politischen Standpunkt deklariert. Eine krampfhafte Verschleierung
desselben kann unter Umständen kontraproduktiv sein, da die Lehrerin
oder der Lehrer die eigenen Präferenzen unter Umständen doch in
irgendeiner Weise einfliessen lässt und die Schülerinnen und
Schüler so subtil beeinflusst. Legt die Lehrperson dagegen ihre
Haltung offen, können sich die Schülerinnen und Schüler
damit auseinandersetzen, was ihrer politischen Entwicklung nicht hinderlich
zu sein braucht.[62]
Hierbei kann ein Vergleich zum Thema der Lehrerin mit Kopftuch gezogen
werden: Das Bundesgericht hat 1997 ein Verbot im Kanton Genf, mit Kopftuch
zu unterrichten, geschützt. Indes bestanden im Kanton Genf dafür
besondere rechtliche Grundlagen. Ohne solche Grundlagen wäre ein
pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen nach wohl überwiegender
Lehrmeinung nicht zulässig.[63]
Trägt eine Lehrerin ein Kopftuch, so deklariert sie ebenfalls ihre
persönliche Meinung, in diesem Fall in religiösen Belangen. Dies
soll sie, folgt man zahlreichen Lehrmeinungen, tun dürfen, jedoch ist
es ihr nicht erlaubt, für diesen Glauben in irgendeiner Weise zu
werben. Ähnlich kann eine Lehrperson ihre persönliche politische
Meinung deklarieren, ohne jedoch im Rahmen des schulischen Unterrichts
für diese werben zu dürfen.
V. Lehrmittel
Neben der Unterrichtstätigkeit sind hinsichtlich der politischen
Neutralität vor allem die Lehrmittel von Interesse. Als Lehrmittel
gelten alle Unterrichtsmittel, insbesondere Bücher, Software, Film-
und Audiomaterial.[64]
Der Bildungsrat kann im Kanton Zürich bestimmte Lehrmittel für
obligatorisch erklären.[65]
Diese Lehrmittel sind im Unterricht zu verwenden.[66]
Die obligatorischen Lehrmittel bilden eine Schranke der Lehr- und
Methodenfreiheit. § 23 VSG
bestimmt in diesem Sinn: «Die Lehrperson hat das Recht, im Rahmen des
Lehrplans, der obligatorischen Lehrmittel, des Schulprogramms und der
Beschlüsse der Schulkonferenz den Unterricht frei zu gestalten.»
Die Lehrpersonen haben bei der Wahl der Lehrmittel ein Mitwirkungsrecht.
§ 4 der Zürcher Lehrmittelverordnung
legt fest, dass die Bildungsdirektion die Mitwirkung der Lehrpersonen der
Volksschule bei der Schaffung und Beschaffung von Lehrmitteln sicherstellt
und die Lehrpersonen über die Planung im Bereich der obligatorischen
Lehrmittel informiert. Im Weiteren hat die Lehrmittelkommission, die zu
einem massgeblichen Teil aus Lehrpersonen besteht,[67]
in diesem Bereich Kompetenzen. Gemäss § 6 der Lehrmittelverordnung
berät sie den Bildungsrat, das Volksschulamt und den Lehrmittelverlag
bei der Ausrichtung des kantonalen Lehrmittelwesens, der Planung im Bereich
der obligatorischen Lehrmittel und in anderen Fragen.
Im Bereich der Lehrmittel folgen aus dem Gebot der politischen
Neutralität der öffentlichen Schule höhere Anforderungen als
bei der Unterrichtstätigkeit von Lehrpersonen. Denn während die
Stellungnahme einer Lehrperson als persönliche Meinung klar
wahrnehmbar ist, hat das Lehrmittel einen unpersönlicheren,
objektiveren Charakter. Politische Meinungen, die darin enthalten sind,
könnten schwerer als persönliche Auffassung eingeordnet und
insoweit relativiert werden. Es ist auch kaum möglich, allfällige
Einseitigkeiten in einem Lehrmittel konsequent und befriedigend in jedem
Fall auszugleichen. So beschäftigen sich die Schülerinnen und
Schüler auch ausserhalb der Schule stark mit ihren Lehrmitteln,
beispielsweise bei Hausaufgaben oder Prüfungsvorbereitungen. Dabei
sind keine Korrekturen durch Lehrpersonen möglich. Auch aus zeitlichen
und anderen Gründen ist es kaum möglich, einseitige politische
Darstellungen in einem Lehrbuch konsequent und ausreichend zu korrigieren.
Bezüglich politischer Aussagen in Lehrmitteln ist daher grosse
Zurückhaltung geboten. Bezüglich politisch umstrittener Fragen
ist eine einseitige Positionierung eines Lehrmittels unzulässig.
Soweit allgemeine gesellschaftspolitische Aussagen notwendig erscheinen -
etwa bezüglich des friedlichen und toleranten Zusammenlebens von
Religionsgemeinschaften -, müssen sie den gesellschaftlichen
Grundwerten entsprechen, die in der Verfassung zum Ausdruck kommen.
Parteiische Standpunkte können in einem Lehrmittel nur wiedergegeben
werden, wenn sie als solche klar deklariert und
alle anderen relevanten Auffassungen ebenfalls dargestellt werden.
Jüngst gab es im Kanton Zürich zur Frage politisch neutraler
Lehrmittel mehrere politische Vorstösse. Auslöser war die
Diskussion um das Lehrmittel «Gesellschaften im Wandel», das in
der medialen Berichterstattung als politisch einseitig dargestellt wurde.[68]
Im Zürcher Kantonsrat wurden zwei parlamentarische Initiativen, eine
Interpellation sowie eine dringliche Anfrage eingereicht.[69]
Die beiden parlamentarischen Initiativen zielen darauf ab, die
Zuständigkeiten für die
Sicherstellung der politischen Neutralität klarer zu regeln sowie die
Neutralität der Lehrmittel rechtlich explizit zu verankern. Der
Regierungsrat hielt in seinen Antworten auf die Vorstösse
bezüglich der Lehrmittel unter anderem fest: «Der politischen
Neutralität von Lehrmitteln, die im Volksschulunterricht eingesetzt
werden, kommt eine grosse Bedeutung zu. […] Ein politisch
ausgewogener Unterricht vermittelt die verschiedenen Standpunkte und
Positionen innerhalb der Gesellschaft. […] Kein Lehrmittel kann zu
jedem Thema alle unterschiedlichen Haltungen und Meinungen darlegen. Der
Anspruch auf Ausgewogenheit ist jedoch über das gesamte Lehrmittel
hinweg zu gewährleisten, was auch für das genannte Lehrmittel
gilt.»[70]
VI. Grundsätzlich: Neutralität als Grenze
Im Licht der bisherigen Ergebnisse kann die eingangs erwähnte,
grundsätzliche Frage wieder aufgegriffen werden, ob und inwiefern sich
staatliche Angestellte in ihrer amtlichen Tätigkeit von
persönlichen Überzeugungen distanzieren können und
müssen. Teilweise wird die Möglichkeit einer solchen
Distanzierung
bezweifelt.[71]
Die Frage kann im vorliegenden Zusammenhang nicht in ihrer ganzen Tiefe
behandelt werden. Einige Schlussfolgerungen bezüglich des
Spannungsfeldes zwischen staatlicher Neutralität und persönlicher
Überzeugung und hinsichtlich eines realistischen
Neutralitätsverständnisses lassen sich jedoch ziehen.
Zu berücksichtigen sind verschiedene Gesichtspunkte. Auf der einen
Seite ist es ein Aspekt der Professionalität, in einer beruflichen
Rolle individuelle politische oder religiöse Überzeugungen
insoweit zurückzustellen, als hoheitliches Handeln in Frage steht.
Dies erscheint grundsätzlich möglich. Die Unterscheidung von
amtlicher Tätigkeit, die sich an Rechtsnormen ausrichtet, und
persönlichen Überzeugungen ist täglich vielfach praktizierte
Realität. So wird etwa ein Staatsangestellter, der Wahl- und
Abstimmungsnormen zu vollziehen hat und gleichzeitig Mitglied einer Partei
ist, diese Partei nicht bevorzugen, sondern gleich behandeln wie andere
Parteien in der gleichen Situation. Fraglos gibt es für dieses
Zurückstellen individueller Präferenzen Grenzen. Zu denken ist
etwa an Ermessensspielräume, die in einer Weise genutzt werden
können, die dem handelnden Akteur entspricht. Auch der (im
demokratischen Rechtsstaat allerdings sehr seltene) Fall, dass Normen
tiefen moralischen Überzeugungen der oder des Betreffenden
widersprechen, ist zu bedenken.[72]
Die Leitidee, dass Normen auch dann vollzogen werden, wenn sie den
individuellen Präferenzen der handelnden Personen nicht entsprechen,
ist für den Rechtsstaat fundamental. Die Bürgerin oder der
Bürger muss sich darauf verlassen können, im Kontakt mit
staatlichen Institutionen nach allgemeinen Massstäben, nicht nach den
individuellen Überzeugungen des jeweiligen Akteurs behandelt zu
werden. Würden wir an den realistischen Gehalt dieser Idee nicht
glauben, wäre die Rechtsordnung in letzter Konsequenz
überflüssig beziehungsweise nur (un)schöner Schein. Jeder
Mensch ist denn auch hochgradig geübt darin, mit verschiedenen Rollen
umzugehen und sein Verhalten je nach Kontext im Sinne jeweiliger
Adäquanz zu
variieren.[73]
Bei Lehrerinnen und Lehrern im Besonderen gibt es ein rollenadäquates
Verhalten, das sie beherrschen müssen und welches die betreffende
Schulleitung durchzusetzen hat. Im Zusammenhang mit der politischen
Neutralität der Schule heisst dies unter anderem, dass die Lehrperson
im schulischen Rahmen nicht aktiv für bestimmte - persönlich
für wichtig gehaltene - politische Positionen werben darf. Sie
würde ihre berufliche Stellung durch ein solches Verhalten
missbrauchen.
Auf der anderen Seite ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass kein
Mensch sich vollständig «neutralisieren» kann (und soll). Die
persönlichen Merkmale und Überzeugungen (politischer,
religiöser oder anderer Art) prägen das Verhalten, oft unbewusst.
Bis in den Habitus, die Kleidung, den Sprachgebrauch und andere Dinge
hinein werden persönliche Werthaltungen oft erkennbar und wirksam.
Gerade die Aufgabe einer Lehrerin oder eines Lehrers geht mit so vielen
Handlungsspielräumen einher, dass eine persönliche Färbung
des Handelns unausweichlich ist. Aus diesen Gründen ginge die
Erwartung fehl, dass eine Lehrperson (und eine staatliche Angestellte oder
ein staatlicher Angestellter generell) in keiner Weise als politisch
irgendwie gebunden erscheinen darf. Dies liefe auf das falsche Ideal
hinaus, dass eine Lehrperson quasi als roboterhafter Automat zu
funktionieren hätte - etwas, was sie als gute Pädagogin
beziehungsweise guter Pädagoge gerade nicht sein soll. Eine Lehrerin
oder ein Lehrer sollte persönlich fassbar sein, und dies kann bei der
Diskussion aktueller gesellschaftlicher Fragen durchaus bedeuten, dass er
oder sie mit einer eigenen Meinung erkennbar wird.
Diese vielfältigen Aspekte lassen sich so verbinden, dass die
(politische) Neutralität eher als Grenze denn im Sinne
durchgängiger inhaltlicher Determinierung zu verstehen ist. Die
Neutralität meint nach diesem Verständnis nicht, dass eine
Lehrperson in keiner Weise mit ihren politischen Präferenzen erkennbar
sein soll - dies wäre unrealistisch und wahrscheinlich auch nicht
sachgerecht. Die Neutralitätsforderung ist vielmehr so zu verstehen,
dass in Bezug auf gewisse, allzu weitgehende Manifestationen
persönlicher Haltungen Grenzlinien gezogen werden. Hinter einem
tauglichen Neutralitätskonzept sollte mit anderen Worten nicht eine
perfektionistische Vision absoluter Neutralität stehen, sondern eher
die Idee eines notwendigen Korrektivs allzu weitgehender Einseitigkeiten.[74]
So verstanden, lässt die Neutralitätsforderung erheblichen
Spielraum.[75]
Diesseits der Grenze, die sie setzt, im Bereich des Erlaubten, stehen viele
Möglichkeiten adäquaten Handelns offen. So dürfte es, wie
erwähnt, zulässig sein, wenn eine Lehrperson eine politische
Meinung äussert, sofern andere Auffassungen gleichberechtigt zum
Tragen kommen und die Schülerinnen und Schüler sich frei ein
eigenes Urteil bilden können.
VII. Schluss
Zahlreiche kantonale Normen schreiben vor, dass der schulische Unterricht
politisch neutral zu sein habe. Der Sinn solcher Bestimmungen liegt vor
allem darin, die freie Willensbildung der Schülerinnen und
Schüler zu gewährleisten. Dies macht alle Bestrebungen
unzulässig, die Schülerinnen und Schüler in einer bestimmten
Weise politisch lenken zu wollen. Gleichzeitig kann eine Lehrperson sich
selbst nicht vollständig neutralisieren. Eine absolute
Neutralität im Sinne gänzlicher Nichterkennbarkeit politischer
Präferenzen dürfte eine Illusion sein. Wichtig ist es daher, dass
eine Lehrperson, die eine politische Meinung äussert, diese klar als
solche deklariert und anderen Positionen und Argumenten gleichen Raum gibt.
So betrachtet, bildet die Neutralitätsforderung eine Art Leitplanke.
Sie legt das Verhalten nicht in allen Details fest, markiert aber Grenzen.
Das (politische) Neutralitätsgebot lässt weite Spielräume.
Diese situationsgerecht zu nutzen, ist die Pflicht einer Lehrperson.
Abstrakte Normen können eine gute Unterrichtspraxis nur bedingt
vorwegnehmen. Striktere Massstäbe gelten bezüglich der
Lehrmittel. Diese dürfen, soweit politisch kontroverse Fragen
berührt sind, keine einseitige Färbung aufweisen, sondern
müssen insgesamt ausgewogen sein.
[1]
Dies betrifft namentlich den Fachbereich «Natur, Mensch,
Gesellschaft» (NMG) gemäss Lehrplan 21.
[2]
Das «Schulwesen» umfasst die gesamte Grund- und
Mittelschule; Giovanni Biaggini, BV Kommentar - Bundesverfassung
der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl., Zürich 2017,
Art. 62 Rz. 5; Peter Hänni, Kommentar zu Art. 62 BV, in:
Bernhard Waldmann/Eva Maria Belser/Astrid Epiney (Hrsg.),
Bundesverfassung - Basler Kommentar, Basel 2015, Rz. 13; auch die
Hochschulstufe einschliessend Bernhard Ehrenzeller, Kommentar zu
Art. 62 BV, in: Bernhard Ehrenzeller u.a. (Hrsg.), Die
schweizerische Bundesverfassung - St. Galler Kommentar, 3. Aufl.,
St. Gallen/Zürich 2015, Rz. 7.
[3]
So z.B. für den Kanton Zürich Markus Rüssli,
Kommentar zu Art. 116 KV ZH, in: Isabelle Häner/Markus
Rüssli/Evi Schwarzenbach (Hrsg.), Kommentar zur Zürcher
Kantonsverfassung,
Zürich/Basel/Genf 2007, Rz. 2.
[4]
§ 2 Abs. 2 Schulgesetz
vom 17. März 1981 (SAR 401.100): «Die
öffentlichen Schulen sind unselbständige
öffentlich-rechtliche Anstalten; sie sind politisch und
konfessionell neutral.»
[8]
Art. 11 Abs. 1 und 2 Loi sur l'instruction publique
du 17 septembre 2015 (LIP; C 1 10):
«1 L'enseignement public garantit le respect des
convictions politiques et religieuses des élèves et des
parents. 2 A cet égard, toute forme de propagande
politique et religieuse est interdite auprès des
élèves.»
[10]
Gesetz über die Volksschulbildung vom 22. März 1999 (VBG; SRL 400a), § 3: «Die
öffentliche Volksschule ist politisch und konfessionell
neutral.»
[12]
Art. 10 Abs. 1 Bildungsgesetz
vom 16. März 2006 (GDB 410.1): «Die
öffentlichen Schulen sind politisch neutral. Sie wahren die
Glaubens- und Gewissensfreiheit, nehmen auf Minderheiten
Rücksicht und fördern alle Schülerinnen und
Schüler sowie Studierenden gleichermassen.»
[15]
Im Kanton Tessin gibt es bezüglich des Staatskundeunterrichts
die Vorschrift: «Il principio della neutralità
dell'insegnamento deve essere garantito.» (Art. 23a Abs. 4
Legge della scuola del 1 febbraio 1990 [RL 400.100]).
[17]
Vgl. z.B. auch
Art. 2 Abs. 2 des Volksschulgesetzes
vom 19. März 1992 des Kantons Bern (BSG; 432.210): «Sie [die
Volkschule] trägt, ausgehend von der
christlich-abendländischen und demokratischen
Überlieferung, zur harmonischen Entwicklung der
Fähigkeiten der jungen Menschen bei.»
[18]
Bildungsdirektion des Kantons Zürich - Volksschulamt,
Umsetzung Volksschulgesetz. Erläuterungen zum neuen
Volksschulgesetz und zur neuen Volksschulverordnung, Zürich
2008, S. 7. Auch im Zürcher Verfassungsrat wurde vielfach
betont, dass die politische Neutralität der Schule keine
Wertneutralität bedeute; vgl. Protokoll des Zürcher
Verfassungsrates, 27. Sitzung, 5. Dez-ember 2002, S. 1552 ff.
[19]
Die an der Volksschule tätigen Personen unterstehen im Kanton
Zürich dem Lehrpersonalgesetz vom 10. Mai 1999 (LPG; SR 412.31). Dieses
verweist, soweit es keine besonderen Bestimmungen enthält, auf
das Personalgesetz vom 27. September 1998 (PG; LS 177.10) (§ 2 LPG).
[21]
Fallsammlung bei Peter Hänni, Das öffentliche Dienstrecht
der Schweiz. Dargestellt anhand der Gerichts- und Verwaltungspraxis
in Bund und Kantonen, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2008, S. 3
ff.
[22]
Tobias Jaag, Das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis im
Bund und im Kanton Zürich - ausgewählte Fragen, in:
Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht
95 (1994), S. 433-473, 445 f.
[24]
Urs Bürgi/Gudrun Bürgi-Schneider, Öffentliches
Personalrecht des Kantons Zürich, in: dies. (Hrsg.), Handbuch
öffentliches Personalrecht, Zürich/Basel/Genf 2017, S.
525-608, 545; Yvo Hangartner, Treuepflicht und
Vertrauenswürdigkeit der Beamten, in: Schweizerisches
Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht 85 (1984), S.
385-403, 392; Peter Hänni, Organisationsrecht, Teil 2:
Personalrecht des Bundes, 2. Aufl., Basel 2004, Rz. 207; ders., Die
Treuepflicht im öffentlichen Dienstrecht, Diss. Freiburg,
Freiburg 1982, S. 38; Jaag (Fn. 22), S. 455; Beatrix Schibli,
Einschränkungen der Meinungsfreiheit des Bundespersonals,
Diss. Zürich 2005, S. 86 f.
[25]
Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 7. Aufl., Zürich/
St. Gallen 2016, S. 447.
[26]
Jörg Paul Müller/Markus Schefer, Grundrechte in der
Schweiz - Im Rahmen der Bundesverfassung, der EMRK und der
UNO-Pakte, 4. Aufl., Bern 2008, S. 405; BGE 136 I 332 E. 3.2.1 S.
336.
[27]
Herbert Plotke, Schweizerisches Schulrecht, 2. Aufl., Bern 2003, S.
574; Paul Richli, Grundrechtliche Aspekte der Tätigkeit von
Lehrkräften, in: Aktuelle Juristische Praxis 6 (1993), S.
673-687, 678.
[28]
ZBl 2004, S. 663 ff. E. 11, S. 665-667. Weiteres Fallrecht bei
Hänni, Das öffentliche Dienstrecht (Fn. 21), S. 111 ff.
[30]
Eingehend Markus Müller, Das besondere Rechtsverhältnis,
Habil., Bern 2003, insb. S. 24 ff.
[31]
Häfelin/Müller/Uhlmann (Fn. 25), S. 448.
[34]
BGer, Urteil vom 24. Mai 1978, ZBl 1978, S. 505, E. 3b/5b, S. 510,
513.
[35]
Andreas Kley/Esther Tophinke, Kommentar zu Art. 16 BV, in: Bernhard
Ehrenzeller/Benjamin Schindler/Rainer J. Schweizer/Klaus A.
Vallender (Hrsg.), St. Galler Kommentar zur Schweizerischen
Bundesverfassung, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2014, Rz. 10.
[36]
Müller/Schefer (Fn. 26), S. 408; Regina Kiener, Bildung,
Forschung und Kultur (§ 57), in: Daniel
Thürer/Jean-François Aubert/Jörg Paul Müller
(Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, Rz. 3;
Heribert Rausch, Die Meinungsäusserungsfreiheit der
Staatsangestellten, ZBl 80 (1979), S. 97-115, 112.
[37]
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. De-zember 1907 (SR 210).
[38]
Kurt Affolter-Fringeli/Urs Vogel, Schweizerisches Zivilgesetzbuch -
Berner Kommentar, Art. 296-327c ZGB, Bern 2016, Art. 302 N. 55;
Linus Cantieni/Rolf Vetterli, in: Andrea Büchler/
Dominique Jakob (Hrsg.), Kurzkommentar zum Schweizerischen
Zivilgesetzbuch, 2. Aufl., Basel 2018, Art. 302 N. 6; Plotke (Fn.
27), S. 10. In diesem Sinn bestimmt etwa
§ 35 Abs. 1 der Verfassung des Kantons Aargau
vom 25. Juni 1980 (SR 131.227): «Der
Unterricht an öffentlichen Schulen hat das Recht der Eltern
auf Erziehung und Bildung ihrer Kinder und die Persönlichkeit
der Schüler zu achten.»; oder
Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Schulgesetzes
vom 25. April 2004 des Kantons Appenzell-Innerrhoden (SchG; GS 411.000): «Die
Schulen unterstützen die Inhaber der elterlichen Sorge in der
Erziehung des Kindes zu einem selbstständigen,
lebensbejahenden und gemeinschaftsfähigen Menschen».
[39]
Plotke (Fn. 27), S. 31.
[40]
Judith Wyttenbach, Grund- und Menschenrechtskonflikte zwischen
Eltern, Kind und Staat - Schutzpflichten des Staates gegenüber
Kindern und Jugendlichen aus dem internationalen
Menschenrechtsschutz und der Bundesverfassung (Art. 11 BV), Diss.
Bern, Basel 2006, S. 261.
[41]
Plotke (Fn. 27), S. 572.
[43]
Wyttenbach (Fn. 40), S. 261.
[47]
§ 18 Abs. 2 Satz 1 LPG. Vgl. Tobias Jaag/Markus Rüssli, Staats- und Verwaltungsrecht
des Kantons Zürich, 5. Aufl., Zürich 2019, S. 383.
[48]
§ 18 Abs. 2 Satz 2 LPG. Vgl. Tobias Jaag, Rechtsfragen der Volksschule, insbesondere im
Kanton Zürich, in: Schweizerisches Zentralblatt für
Staats- und Verwaltungsrecht 98 (1997), 537-562, 551; Plotke (Fn.
27), S. 570.
[50]
Plotke (Fn. 27), S. 573.
[51]
Hänni, Treuepflicht (Fn. 24), S. 126 f.
[52]
Hänni, Treuepflicht (Fn. 24), S. 128.
[54]
Plotke (Fn. 27), S. 38 f.
[55]
Plotke (Fn. 27), S. 39.
[56]
Rüssli (Fn. 3), N. 14.
[59]
Oben bei Fn. 53, 55.
[60]
Vgl. Lorenz Engi, Die religiöse und ethische Neutralität
des Staates. Theoretischer Hintergrund, dogmatischer Gehalt und
praktische Bedeutung eines Grundsatzes des schweizerischen
Staatsrechts, Habil. St. Gallen, Zürich 2017, § 9.
[61]
Vgl. - allerdings bezüglich des Unterrichts auf Hochschulstufe
- die Aussage Alois Riklins: «[M]eine Studenten gaben sich
nicht damit zufrieden, einen politischen Eunuchen vor sich zu
haben, der für praktisch-politische Stellungnahmen nur
ausserhalb des Hörsaals zur Verfügung stehen
wollte.» (Geleitwort, in: Engagierte Politikwissenschaft -
Ausgewählte Schriften, Bern 2018, S. 7-34, 9 f.).
[62]
In diesem Sinn auch der Zürcher Stadtrat in einer
Interpellationsantwort: «Die Verpflichtung zu den Grundwerten
des demokratischen Staatswesens sowie zu den demokratischen
Wertvorstellungen schliesst ein, dass in der Volksschule durchaus
politische Meinungen Platz haben dürfen. Sie müssen
jedoch ausgewogen dargestellt bzw. unterschiedliche Standpunkte
müssen gleichwertig behandelt werden.» (Interpellation
von Yasmine Bourgeois, Christian Huser und zehn Mitunterzeichnenden
betreffend Lehrmittel und unterrichtsergänzende Angebote der
Stadt an den Volks-, Berufs- und Kantonsschulen sowie Instrumente
zur Sicherstellung der politischen und konfessionellen
Neutralität, GR Nr. 2018/330, Antwort
des Stadtrates vom 27. Februar 2019).
[63]
Vgl. Lorenz Engi, Das Kopftuch in öffentlichen Institutionen -
Aktuelle Fragen insbesondere im Zusammenhang mit der Zulassung von
Pädagogik-Studentinnen zu Praktika; in: Aktuelle Juristische
Praxis 2019, S. 208-217, 212 ff.; ders. (Fn. 60), S. 420
ff.
[68]
Lektion 1 - ein Loblied auf die Unia. In neuen Lehrmitteln wird
politische Werbung verbreitet, NZZ vom 31. August 2018, S. 13.
[69]
Parlamentarische Initiative von Marc Bourgeois (FDP, Zürich),
Bettina Balmer (FDP, Zürich) und Anita Borer (SVP, Uster) vom
17. September 2018 betreffend «Politisch und konfessionell
neutrales öffentliches Bildungswesen, neutrale Lehrmittel und
ausgewogene unterrichtsergänzende Angebote», KR-Nr. 288/2018;
Parlamentarische Initiative von Bettina Balmer (FDP, Zürich),
Marc Bourgeois (FDP, Zürich) und Anita Borer (SVP, Uster) vom
17. September 2018 betreffend «Politische Neutralität bei
Lehrmitteln für die Volksschule», KR-Nr. 287/2018;
Dringliche Anfrage «Politisch neutrale Lehrmittel
sicherstellen», KR-Nr. 291/2018, vom
Regierungsrat beantwortet mit Regierungsratsbeschluss (RRB) 954/2018 vom 3.
Oktober 2018; Interpellation «Politische Neutralität der
Volksschule»,
KR-Nr. 290/2018
, vom Regierungsrat beantwortet mit RRB 955/2018 vom 3.
Oktober 2018.
[70]
RRB 954/2018
, Antwort zu Frage 1. Zum Verhalten der Lehrpersonen vgl. insb. RRB 955/2018, Antwort zu
Frage 7. Auch in anderen Kantonen gab es entsprechende
Vorstösse, z.B. im Kanton Solothurn: Auftrag Fraktion FDP. Die
Liberalen: Konfessionell und politisch neutrale Lehrmittel, KR-Nr.
A 0119/2018 (DBK), dazu RRB 2018/1815 vom 20.
November 2018. Der Auftrag wurde von der Bildungs- und
Kulturkommission am 18. Dezember 2018 einstimmig für erheblich
erklärt.
[71]
Vgl. Markus Müller, Religion im Rechtsstaat - Von der
Neutralität zur Toleranz, Bern 2017, insb. S. 84 ff. Zum
Hintergrund (Unmöglichkeit innerer Unabhängigkeit
gegenüber persönlichkeitskonstitutiver Vorbestimmtheit)
auch ders., Psychologie im öffentlichen Verfahren - Eine
Annäherung, Bern 2010, insb. S. 73 ff.
[72]
Vgl. zu dieser Problematik Anne Kühler, Das Grundrecht der
Gewissensfreiheit, Diss., Bern 2012, S. 279 ff.
[73]
Wer beispielsweise nicht versteht, dass er gegenüber seinen
Mitarbeitern anders kommunizieren sollte als gegenüber seinen
Kindern, hat früher oder später ein Problem.
[74]
Vgl. auch M. Müller, Psychologie (Fn. 71), S. 93 ff.
[75]
Vgl. im Kontext der religiösen Neutralität Bernhard
Ehrenzeller, Glauben, Gewissen und Weltanschauung, in: Detlef
Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in
Deutschland und Europa, Band VII/2, Heidelberg/Zürich/St.
Gallen 2007, S. 301-325, Rz. 31.