Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von
Suchmaschinen nach schweizerischem Recht
Daniel Hürlimann
Das Google-Urteil des EuGH verstösst gegen die
Informationsfreiheit, die sowohl von der EU-Grundrechtecharta als
auch in der EMRK und BV garantiert wird. Mit dem Urteil wird
Suchmaschinenbetreibern eine Richterfunktion zugewiesen, die in
einem Rechtsstaat nicht an Private delegiert werden darf.
Zitiervorschlag: Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und
die Entfernungspflicht von Suchmaschinen nach schweizerischem Recht,
in: sui-generis 2014, S. 1
URL: sui-generis.ch/1
DOI:
https://doi.org/10.21257/sg.1
I. Einleitung
Mit einem Recht auf Vergessenwerden «würden entscheidende Rechte
wie die Freiheit der Meinungsäusserung und die Informationsfreiheit
geopfert»[1].
Gestützt auf diese Argumentation hat der Generalanwalt in einem
Verfahren gegen Google dem EuGH davor abgeraten, ein solches Recht zu
bejahen. Die Warnung wurde nicht erhört: Mit Urteil vom 13. Mai 2014
hat der EuGH festgehalten, dass Google verpflichtet ist, Links mit
Informationen zu einer Person zu entfernen, «auch wenn der Name oder
die Informationen auf diesen Internetseiten nicht vorher oder gleichzeitig
gelöscht werden und gegebenenfalls auch dann, wenn ihre
Veröffentlichung auf den Internetseiten als solche
rechtmäßig ist.»[2]
Konkret ging es in diesem Verfahren um einen Spanier, der sich dagegen
wehrte, dass nach einer Google-Suche mit seinem Namen eine bestimmte Seite
angezeigt und verlinkt wurde. Diese Seite enthielt die Information, dass
sein Grundstück wegen ausstehenden Forderungen der Sozialversicherung
versteigert wurde[3].
Die Publikation der Anzeige erfolgte im Jahre 1998 in einer gedruckten
Zeitung und wurde später durch den Verleger auch online
veröffentlicht[4].
Voraussetzung für die Bejahung einer Verpflichtung zur Entfernung war,
dass der Suchmaschinenbetreiber als Verantwortlicher für die
Verarbeitung personenbezogener Daten qualifiziert[5] und
dass darüber hinaus der räumliche Anwendungsbereicht der
Richtlinie bejaht wurde[6],
obwohl Google nicht offengelegt hat, in welchem Staat sich die fraglichen
Server befinden[7].
Das gestützt auf Datenschutzrecht ergangene Urteil kam unerwartet,
zumal die Schlussanträge des Generalanwalts in eine andere Richtung
gingen und auch deshalb, weil die Veröffentlichung der fraglichen
Information in diesem Fall nicht nur rechtmässig war, sondern sogar
auf Anordnung einer staatlichen Behörde erfolgte[8].
Im Folgenden wird zunächst das Urteil des EuGH zusammengefasst (II.),
bevor auf die abweichende Beurteilung des Generalanwalts (III.) und auf ein
paar offene Fragen (IV.) eingegangen wird. Im Anschluss daran soll die
Rechtslage in der Schweiz dargestellt werden (V.), um abschliessend einen
Ausblick auf mögliche Entwicklungen (VI.) zu wagen. Bei der
vorliegenden Darstellung liegt der Fokus vor dem Hintergrund des
EuGH-Urteils auf dem Datenschutzrecht[9].
II. Das Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014
Ein Spanier erhob 2010 bei der spanischen Datenschutzbehörde gegen die
Herausgeberin einer Tagesezeitung sowie gegen Google Spain und Google Inc.
eine Beschwerde, mit der er beantragte, die Tageszeitung «anzuweisen,
entweder die genannten Seiten zu löschen oder zu ändern, so dass
die ihn betreffenden personenbezogen Daten dort nicht mehr angezeigt
würden, oder zum Schutz der Daten von bestimmten, von den
Suchmaschinen zur Verfügung gestellten technischen Möglichkeiten
Gebrauch zu machen. Er beantragte ferner, Google Spain oder Google Inc.
anzuweisen, ihn betreffende personenbezogene Daten zu löschen oder zu
verbergen, so dass diese weder in den Suchergebnissen noch in Links zu La
Vanguardia [eine insbesondere in Katalonien weitverbreitete Tageszeitung[10]]
erschienen»[11].
Die fraglichen Seiten enthielten eine Anzeige, in der unter Nennung des
Namens des Betroffenen auf die Versteigerung eines Grundstücks im
Zusammenhang mit einer wegen Forderungen der Sozialversicherung erfolgten
Pfändung hingewiesen wurde.
Die spanische Datenschutzbehörde wies die Beschwerde, soweit sie sich
gegen die Herausgeberin richtete, mit der Begründung zurück, die
Veröffentlichung der betreffenden Informationen durch diese
Gesellschaft sei rechtlich gerechtfertigt gewesen, da sie auf Anordnung des
Arbeits- und Sozialministeriums und mit dem Ziel einer
höchstmöglichen Publizität der Zwangsversteigerung und somit
einer höchstmöglichen Zahl an Bietern erfolgt sei[12].
Soweit sie sich gegen Google Spain und Google Inc. richtete, wurde der
Beschwerde hingegen stattgegeben. Die Datenschutzbehörde
begründete dies damit, dass Suchmaschinenbetreiber eine
Datenverarbeitung vornähmen, für die sie verantwortlich seien,
und als Mittler der Informationsgesellschaft fungierten; sie
unterlägen deshalb den Datenschutzvorschriften[13].
Gegen diese Entscheidung haben Google Spain und Google Inc. bei der
Audiencia Nacional Klage erhoben; die Audiencia Nacional hat das Verfahren
ausgesetzt und dem EuGH die Fragen vorgelegt, deren Beantwortung davon
abhänge, wie die EU-Datenschutzrichtlinie[14]
im Kontext von Technologien, die nach ihrer Bekanntmachung aufgekommen
seien, auszulegen sei.
Die insgesamt neun Vorlagefragen der Audiencia Nacional wurdem vom EuGH in
vier Abschnitten zu den folgenden Themen beantwortet:
- sachlicher Anwendungsbereich der Richtlinie,
- räumlicher Anwendungsbereich der Richtlinie,
- Umfang der Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers nach der
Richtlinie,
- Umfang der durch die Richtlinie garantierten Rechte der betroffenen
Person.
1. Tätigkeit einer Suchmaschine ist eine Verarbeitung
personenbezogener Daten
Die EU-Datenschutzrichtlinie gilt gemäss deren Art. 3 «für
die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten
sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener
Daten, die in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden
sollen.» Bei der Prüfung des sachlichen Anwendungsbereichs hatte
der EuGH demzufolge zu untersuchen, ob die Tätigkeit einer
Suchmaschine als «Verarbeitung personenbezogener Daten»
einzustufen ist[15].
Er bejahte die Frage unter Hinweis darauf, dass mit dem Betrieb einer
Suchmaschine zahlreiche Vorgänge einhergehen, die gemäss
Datenschutzrichtlinie explizit als Verarbeitung personenbezogener Daten
gelten, namentlich das Erheben, das Auslesen, das Speichern, die
Organisation, die Aufbewahrung, die Weitergabe und die Bereitstellung[16].
Daran ändere auch nichts, dass die personenbezogenen Daten bereits im
Internet veröffentlicht worden sind und von der Suchmaschine nicht
verändert werden[17].
2. Auf Werbung ausgerichtete Tochtergesellschaft genügt für
Anwendbarkeit des Rechts des betreffenden Staates
In einem nächsten Schritt stellte sich die Frage, ob die
EU-Datenschutzrichtlinie räumlich anwendbar ist, wenn die eigentliche
Verarbeitung (möglicherweise[18])
nicht im betreffenden EU-Staat vorgenommen wird, der Suchmaschinenbetreiber
dort aber eine für Werbung zuständige Tochtergesellschaft hat.
Obwohl diese Frage bei streng grammatikalischer Auslegung auch anders
beantwortet werden könnte[19],
wird sie vom EuGH mit der folgenden Begründung bejaht: «die
Tätigkeiten des Suchmaschinenbetreibers und die seiner Niederlassung
in dem betreffenden Mitgliedstaat [sind] untrennbar miteinander verbunden,
da die die Werbeflächen betreffenden Tätigkeiten das Mittel
darstellen, um die in Rede stehende Suchmaschine wirtschaftlich rentabel zu
machen, und die Suchmaschine gleichzeitig das Mittel ist, das die
Durchführung dieser Tätigkeiten ermöglicht»[20].
3. Suchmaschinenbetreiber ist auch zur Entfernung rechtmässig
veröffentlichter Inhalte verpflichtet
Nach der Bejahung des sachlichen und räumlichen Anwendungsbereichs der
EU-Datenschutzrichtlinie kommt der EuGH zur materiellen Kernfrage, d.h. der
Frage nach dem Umfang der Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers.
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Bestimmungen der
Richtlinie, soweit sie Verarbeitungen personenbezogener Daten betreffen, im
Licht der Grundrechte auszulegen sind, und hebt insbesondere Art. 7 (Recht
auf Achtung des Privatlebens) und 8 (Recht auf Schutz der personenbezogenen
Daten) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union[21]
hervor.
Art. 8 Abs. 2 der Charta hält fest, dass personenbezogene Daten
«nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit
Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich
geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden» dürfen. Art. 6
Abs. 1 der Richtlinie geht darüber hinaus, indem er verlangt, dass
personenbezogene Daten zusätzlich «sachlich richtig und, wenn
nötig, auf den neuesten Stand gebracht sind» (lit. d) und
«nicht länger, als es für die Realisierung der Zwecke,
für die sie erhoben oder weiterverarbeitet werden, erforderlich ist,
in einer Form aufbewahrt werden, die die Identifizierung der betroffenen
Personen ermöglicht» (lit. e). Sodann regelt Art. 7 der
Richtlinie die Zulässigkeit der Verarbeitung von personenbezogenen
Daten, wobei für eine von einem Suchmaschinenbetreiber
ausgeführte Verarbeitung als Zulässigkeitsgrund Art. 7 lit. f
einschlägig ist. Nach dieser Bestimmung darf die Verarbeitung
personenbezogener Daten erfolgen, wenn «die Verarbeitung [...]
erforderlich [ist] zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von
dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den
Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, sofern
nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der
betroffenen Person, die gemäß Artikel 1 Absatz 1 geschützt
sind, überwiesen [sic].»
Im Rahmen der Grundrechtsabwägung hält der EuGH zunächst
fest, dass die Tätigkeit der Suchmaschinenbetreiber «die
Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten
erheblich beeinträchtigen [kann], wenn die Suche mit dieser
Suchmaschine anhand des Namens einer natürlichen Person
durchgeführt wird, da diese Verarbeitung es jedem Internetnutzer
ermöglicht, mit der Ergebnisliste einen strukturierten Überblick
über die zu der betreffenden Person im Internet zu findenden
Informationen zu erhalten, die potenziell zahlreiche Aspekte von deren
Privatleben betreffen und ohne die betreffende Suchmaschine nicht oder nur
sehr schwer hätten miteinander verknüpft werden können, und
somit ein mehr oder weniger detailliertes Profil der Person zu erstellen.
Zudem wird die Wirkung des Eingriffs in die genannten Rechte der
betroffenen Person noch durch die bedeutende Rolle des Internets und der
Suchmaschinen in der modernen Gesellschaft gesteigert, die den in einer
Ergebnisliste enthaltenen Informationen Ubiquität verleihen»[22].
Leider geht das Urteil auf die gegenüberstehenden Grundrechte nicht in
gleicher Weise ein. Die eigentliche Abwägung fällt dann auch
erstaunlich kurz aus: Die wirtschaftlichen Interessen des
Suchmaschinenbetreibers überwiegen für sich gesehen nie und das
Interesse der Allgemeinheit am Zugang zu Informationen überwiegt im
Allgemeinen auch nicht - es sei denn, es gehe um Informationen zu einer
Person des öffentlichen Lebens. In den Worten des EuGH[23]:
«Wegen seiner potenziellen Schwere kann ein solcher Eingriff nicht
allein mit dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers an
der Verarbeitung der Daten gerechtfertigt werden. Da sich die Entfernung
von Links aus der Ergebnisliste aber je nach der Information, um die es
sich handelt, auf das berechtigte Interesse von potenziell am Zugang zu der
Information interessierten Internetnutzern auswirken kann, ist in
Situationen wie der des Ausgangsverfahrens ein angemessener Ausgleich u. a.
zwischen diesem Interesse und den Grundrechten der betroffenen Person aus
den Art. 7 und 8 der Charta zu finden. Zwar
überwiegen die durch diese Artikel geschützten Rechte der
betroffenen Person im Allgemeinen gegenüber dem Interesse der
Internetnutzer; der Ausgleich kann in besonders gelagerten Fällen aber von der Art
der betreffenden Information, von deren Sensibilität für das
Privatleben der betroffenen Person und vom Interesse der
Öffentlichkeit am Zugang zu der Information abhängen, das u. a.
je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt,
variieren kann.»
Sodann begründet der EuGH überzeugend, warum die Verpflichtung
zur Entfernung von Suchtreffern durch den Suchmaschinenbetreiber auch dann
möglich sein muss, wenn die betreffenden Webseiten weiterhin online
bleiben: Erstens erfolgt durch Suchmaschinen eine zusätzliche
Beeinträchtigung der Grundrechte[24],
zweitens unterliegen die Herausgeber dieser Webseiten nicht zwingend dem
Unionsrecht[25],
drittens können diese Webseiten unter dem Schutz des
Journalistenprivilegs gemäss Art. 9 der Richtlinie stehen[26]
und viertens kann die Interessenabwägung je nachdem, ob es sich um
einen Suchmaschinenbetreiber oder den Websitebetreiber handelt, anders
ausfallen[27].
Das Zwischenfazit des EuGH lautet demzufolge, dass der
Suchmaschinenbetreiber «dazu verpflichtet ist, von der Ergebnisliste,
die im Anschluss an eine anhand des Namens einer Person durchgeführte
Suche angezeigt wird, Links zu von Dritten veröffentlichten
Internetseiten mit Informationen zu dieser Person zu entfernen, auch wenn
der Name oder die Informationen auf diesen Internetseiten nicht vorher oder
gleichzeitig gelöscht werden und gegebenenfalls auch dann, wenn ihre
Veröffentlichung auf den Internetseiten als solche
rechtmäßig ist.»[28]
4. Die Grundrechte der betroffenen Person überwiegen gegenüber
dem Interesse der Öffentlichkeit
Schliesslich äussert sich der EuGH zur Frage, ob die betroffene Person
nach der Richtlinie verlangen kann, dass Links zu rechtmässig
veröffentlichten Webseiten vom Suchmaschinenbetreiber entfernt werden,
weil sie wünscht, dass die darin über sie enthaltenen
Informationen nach einer gewissen Zeit vergessen werden.
Der Gerichtshof hält zunächst unter Verweis auf Art. 6 der
EU-Datenschutzrichtlinie fest, «dass auch eine ursprünglich
rechtmäßige Verarbeitung sachlich richtiger Daten im Laufe der
Zeit nicht mehr den Bestimmungen der Richtlinie entsprechen kann, wenn die
Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder verarbeitet worden
sind, nicht mehr erforderlich sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn sie
diesen Zwecken in Anbetracht der verstrichenen Zeit nicht entsprechen,
dafür nicht oder nicht mehr erheblich sind oder darüber
hinausgehen»[29].
Die Pflicht zur Löschung der betreffenden Informationen und Links der
Ergebnisliste auf Antrag der betroffenen Person gelte somit auch für
rechtmässig veröffentlichte Internetseiten, die
wahrheitsgemässe Informationen enthalten[30].
Es folgt dann die bereits bekannte Abwägung, die eigentlich keine ist:
«Da die betroffene Person in Anbetracht ihrer Grundrechte aus den Art.
7 und 8 der Charta verlangen kann, dass die betreffende Information der
breiten Öffentlichkeit nicht mehr durch Einbeziehung in eine derartige
Ergebnisliste zur Verfügung gestellt wird, ist [...] davon auszugehen,
dass diese Rechte grundsätzlich nicht nur gegenüber dem
wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers, sondern auch
gegenüber dem Interesse der breiten Öffentlichkeit daran, die
Information bei einer anhand des Namens der betroffenen Person
durchgeführten Suche zu finden, überwiegen»[31].
Auch hier wird als einzige Ausnahme das Interesse an Personen des
öffentlichen Lebens genannt. Zudem fällt auf, dass die vom
vorlegenden Gericht aufgeworfene Frage, ob die betroffene Person die Indexierung verhindern kann[32],
nicht beantwortet wird.
Bezogen auf den konkreten Fall hält der Gerichtshof abschliessend
fest, dass «die betroffene Person wegen der Sensibilität der in
diesen Anzeigen enthaltenen Informationen für ihr Privatleben und weil
die ursprüngliche Veröffentlichung der Anzeigen 16 Jahre
zurückliegt, ein Recht darauf hat, dass diese Informationen nicht mehr
durch eine solche Ergebnisliste mit ihrem Namen verknüpft werden»[33].
III. Die Beurteilung durch den Generalanwalt
Im Unterschied zum Urteil des EuGH finden sich in den Schlussanträgen
des Generalanwalts vom 25. Juni 2013 ausführliche Überlegungen
zur grundrechtlichen Dimension dieses Falles[34].
In den Vorbemerkungen weist der Generalanwalt zunächst darauf hin,
dass der Gerichtshof gehalten ist, «bei der Auslegung des
Anwendungsbereichs der Richtlinie Vernunft walten zu lassen, mit anderen
Worten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzuwenden, um
unangemessene und übermäßige Rechtsfolgen zu vermeiden»[35].
Sodann verneint er die Frage, ob die E-Commerce-Richtlinie[36]
auch auf Suchmaschinen anwendbar sei, weist aber gleichzeitig darauf hin,
dass ihre Stellung trotzdem «anhand der Rechtsgrundsätze zu
prüfen [ist], die für die eingeschränkte Verantwortlichkeit
der Internetdiensteanbieter gelten»[37].
Der Gerichtshof hat in seinem Urteil die Frage der Anwendbarkeit dieser
Richtlinie nicht aufgegriffen. Dies erstaunt, zumal die Richtlinie
Haftungsfreistellungsregeln für verschiedene «Dienste der
Informationsgesellschaft» enthält[38]
und ihre (analoge) Anwendbarkeit auf Suchmaschinen umstritten ist.
Verschiedene Mitgliedstaaten der EU haben bei der Umsetzung der Richtlinie
in ihr nationales Recht explizit Haftungsfreistellungen auch für
Suchmaschinen erlassen[39].
1. Suchmaschinenbetreiber ist kein «für die Verarbeitung
Verantwortlicher»
Im Weiteren hat sich der Generalanwalt ausführlich zum räumlichen
und sachlichen Anwendungsbereich der EU-Datenschutzrichtlinie und
schliesslich zur Frage bezüglich eines der betroffenen Person
zustehenden «Rechts auf Vergessenwerden» geäussert.
Während das Gericht seiner Einschätzung zum räumlichen
Anwendungsbereich folgte[40],
wich es bereits beim sachlichen Anwendungsbereich von den Anträgen des
Generalanwalts, der diesen verneint, ab. Da es sich um ein
Vorabentscheidungsverfahren zur Auslegung der Datenschutzrichtlinie
handelt, mussten die Fragen auch hier an einzelnen Begriffen der
entsprechenden Bestimmungen aufgehängt werden. Zunächst wird in
den Schlussanträgen die Anwendbarkeit des Begriffs
«personenbezogene Daten» auf einen Suchmaschinenbetreiber
untersucht und ohne weiteres bejaht[41].
Eine erste zentrale Abweichung zum Urteil des EuGH findet sich dann aber in
der Auffassung des Generalanwalts, wonach ein Suchmaschinenbetreiber
hinsichtlich personenbezogener Daten auf Quellenwebseiten Dritter kein
«für die Verarbeitung Verantwortlicher» ist[42].
Der Generalanwalt verweist in seiner Begründung zur Verneinung dieser
Frage auf ein anschauliches Beispiel:
«Zu denken ist etwa an einen Professor für Europarecht, der von
der Website des Gerichtshofs die wesentliche Rechtsprechung des
Gerichtshofs auf seinen Laptop herunterlädt. Nach der Richtlinie
lässt sich dieser Professor als ein ‹für die Verarbeitung
Verantwortlicher› im Hinblick auf personenbezogene Daten bezeichnen,
die von einem Dritten stammen. Der Professor besitzt Dateien mit
personenbezogenen Daten, die bei der Suche und Abfrage im Rahmen von nicht
ausschließlich persönlichen oder familiären Tätigkeiten
automatisiert verarbeitet werden. Tatsächlich dürfte heutzutage
wohl jeder, der eine Zeitung auf einem Tablet liest oder soziale Medien auf
einem Smartphone verfolgt, eine Verarbeitung personenbezogener Daten mit
Hilfe automatisierter Verfahren vornehmen und könnte in den
Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, soweit dieser Vorgang in nicht
ausschließlich privater Eigenschaft ausgeführt wird» [43].
«Entscheidet der in meinem obigen Beispiel genannte Professor für
Europarecht über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von
personenbezogenen Daten, die in den auf seinen Laptop heruntergeladenen
Urteilen des Gerichtshofs enthalten sind? Die Feststellung der
Artikel-29-Datenschutzgruppe[[44]
], der zufolge ‹[s]treng genommen … die Benutzer des
Suchmaschinendienstes ebenfalls als für die Verarbeitung
Verantwortliche angesehen werden [könnten]›, zeigt, zu welch
unsinnigen Ergebnissen eine nicht hinterfragte wortwörtliche Auslegung
der Richtlinie im Kontext des Internets führen kann. Der Gerichtshof
darf keiner Auslegung folgen, die praktisch jede Person, die ein
Smartphone, ein Tablet oder einen Laptop besitzt, zu einem für die
Verarbeitung von im Internet veröffentlichten personenbezogenen Daten
Verantwortlichen macht»[45].
Der Generalanwalt schlägt zur Lösung des Problems folgendes
Verständnis des Begriffs «für die Verarbeitung
Verantwortlicher» vor: Der für die Verarbeitung Verantwortliche
muss die Verantwortung für die personenbezogenen Daten tragen, d.h.
ihm muss «die Existenz einer bestimmten definierten Kategorie von
Informationen, die personenbezogene Daten darstellen», nicht nur
bekannt sein, er muss diese Daten darüber hinaus in ihrer Eigenschaft
als personenbezogene Daten verarbeiten wollen[46].
Für diese Auffassung sprächen sowohl die Systematik der
Richtlinie, als auch die meisten Sprachfassungen und schliesslich die
Ausgestaltung der einzelnen Pflichten, die die Richtlinie dem für die
Verarbeitung Verantwortlichen auferlegt[47].
Gestützt auf diese Auslegung kommt der Generalanwalt zum Ergebnis,
dass ein Suchmaschinenbetreiber hinsichtlich personenbezogener Daten auf
Quellenwebseiten Dritter kein für die Verarbeitung Verantwortlicher
ist, weil bei der Verarbeitung von dieser Seiten zum Zwecke des
Durchsuchens, Analysierens und Indexierens personenbezogene Daten nicht in
besonderer Weise hervorstechen[48].
Nach Ansicht des Generalanwalts wäre vom Grundsatz der Qualifikation
des Suchmaschinenbetreibers als nicht für die Verarbeitung
Verantwortlicher eine Ausnahme zu machen, wenn dieser die exclusion codes
in den Quellenwebseiten nicht beachtet[49].
Es handelt sich dabei um eine technische Möglichkeit zur
Nichterfassung von Websites. Dazu wird im Stammverzeichnis der Domain eine
Textdatei mit Namen robots.txt angelegt, welche nach einem vorgegebenen
Schema abgefasste Anweisungen an Suchmaschinen enthält. Auf diesem Weg
können einzelne Verzeichnisse und Verzeichnisbäume oder auch der
gesamte Inhalt einer Domain der Erfassung durch alle oder einzeln
definierte Suchmaschinen entzogen werden[50].
2. Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit geopfert
Anders als das Gericht beurteilt der Generalanwalt auch die letzte und
zentrale Frage, d.h. die Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers. Er
verzichtet dabei auch auf die schwer verständliche Unterscheidung
zwischen dem Umfang der Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers nach
der EU-Datenschutzrichtlinie[51]
und dem Umfang der durch die Richtlinie garantierten Rechte der betroffenen
Person[52].
Zunächst weist der Generalanwalt darauf hin, dass der
Suchmaschinenbetreiber, sofern er als für die Verarbeitung
Verantwortlicher qualifiziert würde, «seine Funktion als
Vermittler zwischen den Nutzern und dem Urheber aufgeben und die
Verantwortung für den Inhalt der Quellenwebseite übernehmen und
erforderlichenfalls diesen Inhalt zensieren [müsste], indem er den
Zugriff darauf verhindert oder beschränkt»[53].
Sodann verneint der Generalanwalt die Existenz eines Rechts auf
Vergessenwerden mit der Begründung, dass ein solches als wichtige
rechtliche Neuerung im Vorschlag der EU-Kommission für eine
Datenschutz-Grundverordnung[54]
vorgesehen ist und dementsprechend im Urteilszeitpunkt noch nicht
existieren kann[55].
Im Anschluss daran prüft er, ob diese Auslegung der Bestimmungen mit
der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist. Nach
einer kurzen Darstellung des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten
(Art. 8 der Charta) und auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7
der Charta) geht er auf die Meinungsäusserungs- und
Informationsfreiheit (Art. 11 der Charta) ein, die im Urteil des EuGH nicht
erwähnt werden. Art. 11 der Charta schützt nicht nur das Recht
der Internetnutzer, im Internet verfügbare Informationen zu suchen und
zu empfangen, sondern auch die Meinungsäusserungsfreiheit der
Webseitenurheber[56].
Die Suchmaschinenbetreiber ihrerseits beabsichtigen, Werbeeinnahmen zu
erzielen und machen daher von der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 der
Charta) Gebrauch[57].
Im Unterschied zum EuGH nimmt der Generalanwalt in seinen
Schlussanträgen eine Abwägung der einenader
gegenüberstehenden Grundrechte vor. Dabei verweist er zunächst
auf ein Urteil des EGMR, gemäss dem auch eine Beschränkung der
Wiedergabe von Informationen, die bereits in die öffentliche
Sphäre gelangt sind, unter bestimmten Umständen gerechtfertigt
sein kann[58].
Demgegenüber hebt er hervor, dass die mittels einer Suchmaschine
betriebene Suche zu den wichtigsten Formen der Ausübung des
Grundrechts auf Informationsfreiheit gehört[59].
Dann folgen die zentralen Erwägungen:
«Angesichts der besonders komplexen und schwierigen
Grundrechtskonstellation im vorliegenden Fall lässt es sich nicht
rechtfertigen, die nach Maßgabe der Richtlinie bestehende
Rechtsstellung der betroffenen Personen zu verstärken und um ein Recht
auf Vergessenwerden zu ergänzen. Andernfalls
würden entscheidende Rechte wie die Freiheit der
Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit geopfert. Ich möchte dem Gerichtshof auch abraten, in seinem Urteil zu dem
Ergebnis zu gelangen, dass diese einander widerstreitenden Interessen im
jeweiligen Einzelfall auf zufriedenstellende Weise in ein Gleichgewicht
gebracht werden können und dass die Entscheidung dem
Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter überlassen bleibt. Derartige
Verfahren zur Meldung und Entfernung, sollte der Gerichtshof sie
vorschreiben, werden wahrscheinlich entweder zu einer automatischen
Löschung von Links zu beanstandeten Inhalten oder zu einer von den
beliebtesten und wichtigsten Internetsuchmaschinen-Diensteanbietern nicht
zu bewältigenden Anzahl von entsprechenden Anträgen führen.
[...]
Vor allem sollten die Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter nicht mit einer
solchen Pflicht belastet werden. Es käme zu einem Eingriff in die
Freiheit der Meinungsäußerung des Webseitenurhebers, der in einem
solchen Fall ohne angemessenen Rechtsschutz bliebe, da ein ungeregeltes
Verfahren zur Meldung und Entfernung eine privatrechtliche Angelegenheit
zwischen der betroffenen Person und dem Suchmaschinen-Diensteanbieter
wäre. Dies liefe auf eine Zensur der vom Urheber veröffentlichten
Inhalte durch einen Privaten hinaus. Auf einem ganz anderen Blatt steht
hingegen, dass den Staaten die Handlungspflicht obliegt, gegen einen das
Recht auf Privatleben verletzenden Verleger einen wirksamen Rechtsbehelf
vorzusehen, der im Kontext des Internets gegen den Webseitenurheber
gerichtet wäre.»[60]
Diese Überlegungen werden vom EuGH in seinem Urteil mit keinem Wort
erwähnt.
IV. Offene Fragen
Nach dem Urteil des EuGH stellt sich eine ganze Reihe von Fragen, von denen
im Folgenden einige herausgegriffen werden.
1. Kriterien zur Entfernung
Der EuGH argumentiert bei der Bejahung des Rechts auf Löschung des
beanstandeten Treffers durch den Suchmaschinenbetreiber nebst der
Sensibilität der Information damit, dass die ursprüngliche
Veröffentlichung der Anzeigen 16 Jahre zurückliegt[61].
Damit stellt sich die Frage, ob der Zugang zu Informationen ab einem
gewissen Alter generell weniger stark von der Informationsfreiheit
geschützt wird. Sodann bleibt auch offen, ob nur eindeutig negative
Informationen auf Verlangen zu entfernen sind, oder ob z.B. auch die
Verlinkung einer Seite, die Informationen über das hohe Einkommen
einer Person enthält, unterbunden werden kann.
Ein weiteres Problem ist darin zu erblicken, dass eine Seite gleichzeitig
unerwünschte und erwünschte Informationen enthalten kann. Vor
diesem Hintergrund ist auch darauf hinzuweisen, dass ein kartellrechtlicher
Anspruch auf Aufnahme in den Index marktbeherrschender Suchmaschinen
besteht[62].
Schliesslich enthält das Urteil auch kaum Leitlinien für die
durch den Suchmaschinenbetreiber vorzunehmende Güterabwägung. Das
Gericht nennt die Rolle der betreffenden Person im öffentlichen Leben
als einen möglichen besonderen Grund, der das Interesse der breiten
Öffentlichkeit am Zugang zu der Information als gewichtiger erscheinen
lässt. Wie verhält es sich nun aber z.B. beim Zugang zu einer
Information über ein Strafverfahren? Nach Angaben von Google stehen 12
Prozent der Löschanfragen im Zusammenhang mit Festnahmen wegen
Kinderpornografie[63].
2. Betroffene Dienste
Im Nachgang zum Urteil wurde darüber diskutiert, welche Auswirkungen
dieses auf Dienste wie Twitter, Facebook oder auch Wikipedia haben wird.
Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass im Urteil jeweils von der
Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand des Namens
durchgeführte Suche angezeigt wird, die Rede ist. Suchfunktionen und
Ergebnislisten werden aber von zahlreichen Diensten der
Informationsgesellschaft angeboten, sodass eine Geltung des Urteils z.B.
für Twitter und Facebook prima vista naheliegend erscheint.
Schwieriger zu beantworten ist dagegen die Frage, welche Auswirkungen das
Urteil auf Wikipedia haben wird, zumal auch hier im Anschluss an eine
Namenssuche Ergebnislisten angezeigt werden[64],
sofern der Name innerhalb von Wikipedia nicht einmalig ist. Im letzteren
Fall wird man dagegen direkt zum entsprechenden Artikel weitergeleitet[65].
Die Anwendbarkeit der Entscheidung auf Wikipedia kann aber kaum davon
abhängig gemacht werden, ob der Weg zu einer sensiblen Information
über eine Ergebnisliste führt oder nicht. Insofern sind die
Sorgen des Wikipedia-Gründers[66]
nicht unberechtigt.
Während es sich bei Twitter, Facebook und Wikipedia um Dienste mit
einer grossen Reichweite handelt, ist fraglich, welche Auswirkungen das
Urteil auf Suchmaschinen oder Dienste mit Suchfunktionen mit kleinerer
Reichweise zeitigen wird. Der EuGH argumetiert in nachvollziehbarer Weise
damit, dass die Wirkung des Grundrechtseingriffs durch die bedeutende Rolle
des Internets und der Suchmaschinen in der modernen Gesellschaft gesteigert
wird[67].
Dies gilt aber nur für Suchmaschinen mit einer gewissen Reichweite,
d.h. mit einem grossen Marktanteil; andernfalls würde auch die
Suchfunktion der im Verfahren betroffenen Tagesezeitung darunter fallen.
Betrachtet man nun die Marktanteile von Suchmaschinen in Europa, ist die
Vormachtstellung von Google (92%[68])
noch viel deutlicher als im weltweiten Vergleich (ca. 69%[69]). Offen ist, inwiefern das Urteil auch für die
nächstgrösseren Suchmaschinen wie z.B. Bing oder Yahoo gilt,
deren Marktanteil in Europa im tiefen einstelligen Prozentbereich liegt.
Gänzlich infrage gestellt ist schliesslich das Geschäftsmodell
von Personensuchmaschinen wie z.B. yasni.ch oder vebidoo.de (123people hat
seine Tätigkeit im April 2014 eingestellt[70]).
3. Form der Mitteilung
In seinem Urteil hat sich der EuGH nicht dazu geäussert, auf welchem
Weg Löschanträge an die Suchmaschinenbetreiber zu
übermitteln sind. Naheliegend ist der Versand einer entsprechenden
Anfrage per E-Mail. Für den Suchmaschinenbetreiber dürfte es aber
von Interesse sein, solche Anträge zu bündeln, indem er ein
entsprechendes Online-Formular bereitstellt. Sofern er dies tut, stellt
sich in einem weiteren Schritt die Frage, ob auf anderem Weg eingereichte
Anträge ebenfalls bearbeitet werden müssen oder nicht. M.E. kann
der Suchmaschinenbetreiber löschwillige Nutzer auf sein
Online-Formular verweisen, sofern dieses einfach auszufüllen ist und
nicht standardmässig unnötige Angaben wie z.B. ein Geburtsdatum
verlangt werden[71].
Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob Google für den
Identitätsnachweis ein identifizierendes Dokument für
obligatorisch erklären darf[72]
oder ob nicht z.B. der Nachweis, dass man über eine entsprechend
E-Mail-Adresse verfügt, genügen müsste.
Nachdem der EuGH eine Entfernungspflicht bejaht hat und Google ein
entsprechendes Formular anbietet, wird es voraussichtlich zahlreiche
Entfernungsanträge geben, deren eigentliches Ziel die
vollständige Entfernung aus dem Internet sein müsste. Wenn z.B.
jemand im Rahmen einer beruflichen Neuorientierung ein Profil auf der
Webseite einer Modelagentur eingerichtet, sich dann aber später doch
gegen diese Richtung entschieden hat, wird er den Auftritt auf dieser Seite
womöglich bereuen. Der naheliegendste Weg wäre eine entsprechende
Aufforderung an die Betreiberin der Modelagentur. Bequemer ist jedoch das
Ausfüllen des Entfernungsformulars von Google und nach dem Urteil des
EuGH wird dieser Entfernungsantrag unabhängig von einer (in diesem
Beispiel klar bestehenden und grundsätzlich durchsetzbaren[73])
Entfernungspflicht des Webseitenbetreibers bearbeitet werden müssen.
Damit wird der Bote für den Inhalt seiner Information haftbar gemacht
und dies hat zwangsläufig unerwünschte Auswirkungen auf die
Neutralität des Boten. Diese Bedenken können nicht mit dem
Hinweis auf die ohnehin fragwürdige Neutralität von Google in den
Wind geschlagen werden. Denn es ist etwas gänzlich anderes, ob man
seine eigenen Leistungen in ein gutes Licht rückt[74]
oder ob man über die Auffindbarkeit sämtlicher Webseiten zu
urteilen hat.
4. Umfang der Entfernung
Suchmaschinen funktionieren (vereinfacht dargestellt[75])
nach dem Prinzip, dass sie von allen Seiten eine Kopie anfertigen
(Crawling), dann eine Tabelle mit allen Begriffen erstellen und in dieser
vermerken, welcher Begriff auf welchen Seiten vorkommt (Indexing). Gibt man
einen Suchbegriff ein, erhält der Nutzer eine Trefferliste von Links
auf Seiten, die den gesuchten Begriff enthalten (bzw. im Moment der
Crawlings enthalten haben). Diese Trefferliste wird mithilfe
ausgeklügelter Algorithmen in eine bestimmte Reihenfolge gebracht, mit
dem Ziel, die relevantesten Treffer zuoberst anzugeigen (Ranking).
Wird ein Suchmaschinenbetreiber nun verpflichtet, bestimmte Links nicht
mehr anzuzeigen, ist es technisch gesehen am naheliegendsten, die
entsprechende Seite aus dem Index zu entfernen und den Crawler so zu
konfigurieren, dass er sie in Zukunft nicht mehr berücksichtigt. Damit
wird die entsprechende Seite in keiner Trefferliste mehr erscheinen. Der
EuGH hat die Verpflichtung des Suchmaschinenbetreibers jedoch enger
gefasst: Das Recht der betroffenen Person überwiegt
«grundsätzlich [...] gegenüber dem Interesse der breiten
Öffentlichkeit am Zugang zu der Information
bei einer anhand des Namens der betroffenen Person durchgeführten
Suche
»[76].
Die Löschpflicht bezieht sich also nur auf die im Anschluss an eine
Namenssuche angezeigte Trefferliste. Programmiertechnisch ist dies mit mehr
Aufwand verbunden als eine Entfernung aus dem Index, wird aber von Google[77]
und voraussichtlich auch Microsoft Bing[78]
so umgesetzt. Eine andere Frage ist, ob auch kleinere
Suchmaschinenbetreiber die Kapazität haben und dazu gewillt sind,
nicht generell die beanstandeten Seiten aus dem Index zu nehmen.
Schliesslich stellt sich auch die Frage, ob die beanstandeten Suchtreffer
nur auf bestimmten Länderseiten oder im gesamten EU-Raum oder gar
weltweit zu entfernen sind. Auch wenn ein «Recht auf
Vergessenwerden» diesen Namen - wenn überhaupt - nur dann
verdienen würde, wenn die Treffer auf allen Länderseiten einer
Suchmaschine entfernt würden, ist unklar, ob eine entsprechende
Verpflichtung aus dem Urteil abgeleitet werden kann. Medienberichten
zufolge plant Google die Löschung von Links in den EU- und EWR-Staaten
und in der Schweiz, nicht aber etwa in der Domain google.com[79].
Nach der Argumentation von Google würde die Entfernung auf allen
Länderseiten dazu führen, dass sich die Löschpflichten aus
allen Jurisdiktionen summieren würden. Damit wären letztlich nur
noch diejenigen Seiten über Suchmaschinen auffindbar, die von
sämtlichen Regimes weltweit toleriert werden.
V. Die Rechtslage in der Schweiz
1. Datenschutzrecht
Das schweizerische Datenschutzgesetz[80]
enthält mit der EU-Datenschutzverordnung vergleichbare Bestimmungen.
Der EuGH stützt sich in seinem Urteil in erster Linie auf Art. 12 lit.
b und Art. 14 Abs. 1 lit. a der EU-Datenschutzrichtlinie. Art. 12 lit. b
der Richtlinie hält fest, dass jede betroffene Person das Recht hat,
vom für die Verarbeitung Verantwortlichen die Berichtigung,
Löschung oder Sperrung von Daten zu erhalten, wenn deren Verarbeitung
nicht den Bestimmungen der Richtlinie entspricht. Die Berichtigung,
Löschung oder Sperrung von Daten ist in der Schweiz in Art. 15 Abs. 1
DSG verankert, wobei via Art. 12 DSG auf die Bearbeitungsgrundsätze in
Art. 4, 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 DSG verwiesen wird. Gemäss Art. 15 DSG
richten sich die Klagen nach Art. 28, 28a sowie 28l ZGB, womit sie
«gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt» (Art. 28 ZGB) und
damit auch gegen Suchmaschinenbetreiber gerichtet werden können.
In Art. 14 Abs. 1 lit. a der Richtlinie ist das Widerspruchsrecht der
betroffenen Person verankert. Diese kann «jederzeit aus
überwiegenden, schutzwürdigen, sich aus ihrer besonderen
Situation ergebenden Gründen dagegen Widerspruch einlegen [...],
daß sie betreffende Daten verarbeitet werden; dies gilt nicht bei
einer im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen entgegenstehenden Bestimmung.
Im Fall eines berechtigten Widerspruchs kann sich die vom für die
Verarbeitung Verantwortlichen vorgenommene Verarbeitung nicht mehr auf
diese Daten beziehen;». Das DSG enthält ein analoges Recht in der
Bestimmung von Art. 12 Abs. 2 lit. b DSG, der die Bearbeitung von Daten
einer Person gegen deren ausdrücklichen Willen bei fehlender
Rechtfertigung verbietet.
Die datenschutzrechtliche Ausgangslage ist somit in der Schweiz analog
derjenigen in der EU. Der eidgenössischer Datenschutz- und
Öffentlichkeitsbeauftragte vermutet denn auch, dass ein Schweizer
Gericht in einer vergleichbaren Situation zum gleichen Schluss kommen
würde[81].
2. Grundrechte
Ebenfalls vergleichbar mit der Lage in der EU präsentiert sich die
grundrechtliche Situation in der Schweiz. Die im Urteil genannten
Grundrechte aus den Art. 7[82]
und 8[83]
der EU-Grundrechtecharta entsprechen Art. 13 der Bundesverfassung[84],
wonach jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens,
ihrer Wohnung, ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs sowie auf Schutz
vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten hat.
Der nur in den Schlussanträgen des Generalanwalts berücksichtigte
und vom EuGH nicht beachtete Art. 11 der EU-Grundrechtecharta[85]
entspricht Art. 16 und 17 BV, welche die Meinungs-, Informations- und
Medienfreiheit gewährleisten. Sowohl in der EU-Grundrechtecharta wie
in der BV wird explizit auch die Empfangsfreiheit genannt. Art. 16 Abs. 3
BV hält fest, dass jede Person das Recht hat, «Informationen frei
zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu
verbreiten.» Nach Art. 11 Abs. 1 der EU-Grundrechteverordnung
schliesst das Recht auf freie Meinungsäusserung «die Freiheit
ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne
Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.»
Der ebenfalls nur vom Generalanwalt berücksichtigte Art. 16 der
EU-Grundrechtecharta[86]
anerkennt die unternehmerische Freiheit und entspricht damit Art. 27 BV,
der die Wirtschaftsfreiheit gewährleistet.
3. Rechtfertigungsgründe
Sowohl bei einer rein datenschutzrechtlichen Betrachtungsweise als auch
unter Berücksichtigung der Grundrechte stellt sich die Frage nach
einer Rechtfertigung der Datenbearbeitung bzw. des Eingriffs in die
Privatsphäre. Im Datenschutzrecht sind die Rechtfertigungsgründe
in Art. 13 DSG festgehalten und im Verfassungsrecht wird die
Zulässigkeit von Grundrechtseinschränkungen nach Art. 36 BV
beurteilt. Zentral ist in jedem Fall die Informationsfreiheit; sei dies in
Form des überwiegenden öffentlichen Interesses als
Rechtfertigungsgrund gemäss Art. 13 Abs. 1 DSG oder im Rahmen des
Schutzes von Grundrechten Dritter nach Art. 36 Abs. 2 BV.
Letztlich ist somit die vom Generalanwalt vorgenommene Abwägung
zwischen dem Interesse des Einzelnen an der Nichtverbreitung sensibler
Informationen und dem Interesse der Allgemeinheit am Zugang zu
Informationen auch für die Beurteilung des Falles nach schweizerischem
Recht zentral. Für diese Beurteilung musste der Generalanwalt
hypothetisch beurteilen, welche Folgen die Bejahung eines Rechts auf
Vergessenwerden nach sich ziehen würde. Er hat sich dieser schwierigen
Aufgabe angenommen und dem Gerichtshof davon «ab[ge]raten, in seinem
Urteil zu dem Ergebnis zu gelangen, dass diese einander widerstreitenden
Interessen im jeweiligen Einzelfall auf zufriedenstellende Weise in ein
Gleichgewicht gebracht werden können und dass die Entscheidung dem
Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter überlassen bleibt»[87].
Er hat darauf hingewiesen, dass derartige Verfahren zur Meldung und
Entfernung «wahrscheinlich entweder zu einer automatischen
Löschung von Links zu beanstandeten Inhalten oder zu einer von den
beliebtesten und wichtigsten Internetsuchmaschinen-Diensteanbietern nicht
zu bewältigenden Anzahl von entsprechenden Anträgen
führen» würden[88].
Während noch nicht klar ist, wie Google mit den
Löschanträgen im Einzelfall umgehen wird, ist aus heutiger Sicht
ein Teil der Befürchtungen des Generalanwalts bereits eingetreten.
Auch wenn Google jedes Jahr hohe Gewinne erzielt und eine grosse Anzahl von
Juristen[89]
beschäftigen kann, dürfte bei einer Flut von bis zu 12'000
Anträgen pro Tag[90]
die Versuchung gross sein, nach dem Prinzip «im Zweifel
löschen» zu verfahren[91].
Somit ist auch der Beurteilung des Generalanwalts zuzustimmen, wonach mit
diesem Urteil «entscheidende Rechte wie die Freiheit der
Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit geopfert»
wurden. Zumindest nach schweizerischem Recht müsste die Abwägung
somit anders ausfallen, d.h. Suchmaschinenbetreiber können nicht dazu
verpflichtet werden, rechtmässige Informationen aus den Ergebnislisten
zu entfernen. Etwas anderes gilt für die Entfernung von eindeutig
rechtswidrigen Inhalten[92].
4. Kartellrecht
Sollte Google tatsächlich dazu übergehen, bei der Bearbeitung von
Löschanträgen Grosszügigkeit walten zu lassen und im Zweifel
eher zu löschen, könnte dies wiederum eine kartellrechtliche
Problematik zur Folge haben. Eine Webseite kann sensible Informationen
über eine Person enthalten und gleichzeitig in den Augen einer anderen
Person oder eines Unternehmens wichtig und richtig sein. Sollte die Seite
auf Antrag der erstgenannten Person aus der Trefferliste verbannt werden,
kann dies die andere Person in ihrem Wettbewerb beeinträchtigen. An
diesem Beispiel zeigt sich, wie schwierig die vom EuGH auf Google
übertragene Richterfunktion werden kann, zumal ein kartellrechtlicher
Anspruch auf Vorkommen in den Suchergebnissen einer marktbeherrschenden
Suchmaschine besteht[93].
VI. Ausblick
1. Weiterzug an den EGMR
Weil die durch das Urteil des EuGH beeinträchtigte
Informationsfreiheit auch von der EMRK geschützt wird, stellt sich die
Frage, ob ein Weiterzug des Urteils an den EGMR möglich wäre.
Nach Art. 6 des Vertrages von Lissabon[94]
tritt die EU der EMRK bei. Der Beitritt ist allerdings bis zum heutigen
Zeitpunkt noch nicht erfolgt[95],
sodass ein direkter Weiterzug nicht ohne weiteres möglich erscheint.
Das Urteil des EuGH erging im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens,
d.h. es braucht nach diesem noch die Umsetzung durch das vorlegende
Gericht. Hier soll nicht die Frage untersucht werden, ob eine
grundrechtswidriges Urteil des EuGH eine Bindungswirkung entfalten kann.
Möglich wäre aber ein Weiterzug der Entscheidung der Audiencia
Nacional an den EGMR. Weil davon auszugehen ist, dass sich die Audiencia
Nacional an die Vorgaben des EuGH halten wird, ist mit einem die
Informationsfreiheit übermässig einschränkenden Entscheid zu
rechnen, der durch den EGMR anders beurteilt werden könnte als durch
den EuGH.
2. Rückzug aus EU-Staaten
Da die Google Inc. ihren Sitz in Kalifornien hat und das grösste
Forschungszentrum für Europa, den mittleren Osten und Afrika in
Zürich betreibt[96],
wäre es für das Unternehmen eine Überlegung wert, sich aus
den EU-Staaten zurückzuziehen und alle Aktivitäten in
Nicht-EU-Raum zu verlegen. Auch wenn eine solche Lösung für das
stolze Nicht-EU-Land Schweiz auf den ersten Blick interessant erscheint,
ist dieses Vorgehen nicht zu empfehlen: Die Revision der
Datenschutz-Richtlinie sieht vor, dass das Datenschutzrecht schon dann
anwendbar ist, wenn eine Dienstleistung in der Union angeboten wird[97].
3. Korrektur durch den Gesetzgeber
Im Urteil des EuGH wird erwähnt, dass sich die EU-Kommission entgegen
ihrer nach dem Urteil geäusserten Meinung[98]
gegen ein Recht auf Vergessen ausgesprochen hat. Gemäss Urteilstext
ist nach ihrer Auffassung die Frage, ob «die betroffene Person vom
Suchmaschinenbetreiber verlangen kann, von der Ergebnisliste, die im
Anschluss an eine anhand ihres Namens durchgeführte Suche angezeigt
wird, Links zu von Dritten rechtmäßig veröffentlichten
Internetseiten mit wahrheitsgemäßen Informationen über sie
zu entfernen, weil diese Informationen ihr schaden können oder weil
sie möchte, dass sie nach einer gewissen Zeit ‹vergessen›
werden»[99]
zu verneinen[100].
Somit erscheint denkbar, dass das überschiessende Urteil des EuGH im
Rahmen der laufenden Revision der EU-Datenschutzrichtlinie korrigiert wird[101]. Da Google die beanstandeten Suchtreffer nur auf den europäischen
Länderseiten ausblendet und die Nutzer demzufolge wohl vermehrt nur
noch die unzensierte Version via google.com abrufen werden, erscheint das
Urteil auch unabhängig von der grundrechtlichen Problematik ungeeignet
zum Schutz des vom EuGH in den Vordergrund gerückten Rechts auf Schutz
personenbezogener Daten.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die digitale Agenda der EU-Kommission
hingewiesen[102]. Diese enthält Aussagen wie z.B.: «Die Verbraucher erwarten zu
Recht, dass sie auf Online-Inhalte zumindest genauso leicht wie in der
Offline-Welt zugreifen können»[103]
und beklagt mehrfach die führende Rolle der USA im Online-Bereich[104]. Vor diesem Hintergrund dürfte das jüngste Urteil des EuGH den
Plänen der EU-Kommission einen Bärendienst erwiesen haben.
4. Alternative Lösungsmöglichkeiten
Auch wenn nach der vorliegend vertretenen Auffassung der beanstandete
Suchtreffer nicht entfernt werden darf, ist das Anliegen der betroffenen
Person nachvollziehbar. Auch hier gilt jedoch, dass man nicht den Boten
töten[105], sondern das Problem an der Wurzel anpacken sollte - jedenfalls dann, wenn
die Rechtmässigkeit eines Suchergebnisses umstritten ist.
Will man von Suchmaschinen verlangen, bestimmte Inhalte generell oder nach
einer gewissen Zeit zu «vergessen», sollte man die betreffenden
Websites entsprechend konfigurieren. So steht es z.B. jedem Betreiber eines
Online-Archivs offen, den gesamten Inhalt[106]
oder Datenbestände mit einem gewissen Alter[107]
oder auch nur die Namen von Personen[108]
nicht mehr indexieren zu lassen. Sollte der Gesetzgeber in der EU oder in
der Schweiz dies als richtig erachten, müsste er solche
Überlegungen auch in die laufenden Revisionsarbeiten miteinbeziehen.
Darüber hinaus besteht auch ein Interesse der Webseitenbetreiber,
insbesondere von Medien[109], selber darüber zu entscheiden, unter welchen Umständen ihre
Seiten in den Ergebnislisten von Suchmaschinen erscheinen.
Im Fall, den der EuGH zu entscheiden hatte, kommt hinzu, dass die fragliche
Information zunächst nur in der gedruckten Version der Zeitung
existierte und erst später durch den Herausgeber auch online
verfügbar gemacht wurde[110]. Der Gerichtshof hätte m.E. auch die Frage aufgreifen sollen, ob der
Verstoss gegen das Datenschutzrecht nicht in der nachträglichen
Digitalisierung und Verfügbarmachung durch den Herausgeber zu sehen
ist. Die Vorinstanz hatte die Beschwerde, soweit sie sich gegen den
Herausgeber richtete, mit der Begründung zurückgewiesen,
«die Veröffentlichung der betreffenden Informationen durch diese
Gesellschaft sei rechtlich gerechtfertigt gewesen, da sie auf Anordnung des
Arbeits- und Sozialministeriums und mit dem Ziel einer
höchstmöglichen Publizität der Zwangsversteigerung und somit
einer höchstmöglichen Zahl an Bietern erfolgt sei.»[111]
Sie hat sich aber offenbar nicht dazu geäussert, ob und ggf. mit
welcher Begründung die spätere Digitalisierung und
Onlineveröffentlichung zu rechtfertigen ist.
VII. Fazit
Das Google-Urteil des EuGH verstösst gegen die Informationsfreiheit,
die sowohl von der EU-Grundrechtecharta als auch durch die EMRK und BV
garantiert wird. Dieser Verstoss lässt sich nicht mit dem
überwiegenden Interesse einer Privatperson rechtfertigen, solange es
sich - wie im vorliegenden Fall - um eine rechtmässig
veröffentlichte Information handelt. Mit dem Urteil wird
Suchmaschinenbetreibern eine Richterfunktion zugewiesen, die in einem
Rechtsstaat nicht an Private delegiert werden darf[112].
Weil der EuGH verschiedene Grundrechte auszublenden scheint, lohnt sich ein
Blick auf die Schlussanträge des Generalanwalts, die einen sinnvollen
Lösungsvorschlag sowohl für das schweizerische wie auch das
europäische Recht enthalten. Insofern kann der Einschätzung des
EDÖB, wonach ein Schweizer Gericht in einer vergleichbaren Situation
zum gleichen Schluss kommen sollte, nicht gefolgt werden. Eine Pflicht zur
Entfernung von Suchergebnissen trifft die Suchmaschinenbetreiber m.E. nur
dann, wenn es sich um offensichtlich rechtswidrige Inhalte handelt[113].
[9]
Für die Beurteilung der Haftung von Suchmaschinen aus
Urheber-, Marken-, Lauterkeits-, Kartell- und
Persönlichkeitsrecht siehe Daniel Hürlimann, Suchmaschinenhaftung, Diss. Bern
2012.
[14]
Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der
Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 S. 31-50).
[15]
Dieser Begriff ist in Art. 2 lit. b der Richtlinie folgendermassen
definiert: «Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
‹Verarbeitung personenbezogener Daten›
(‹Verarbeitung›) jeden mit oder ohne Hilfe
automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede
Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das
Erheben, das Speichern, die Organisation, die Aufbewahrung, die
Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die
Benutzung, die Weitergabe durch Übermittlung, Verbreitung oder
jede andere Form der Bereitstellung, die Kombination oder die
Verknüpfung sowie das Sperren, Löschen oder
Vernichten;».
[18]
Google Search wird von der Google Inc. mit Sitz in den USA
betrieben und gibt nicht bekannt, in welchem Staat sich die Server
befinden, «da diese Information aus Wettbewerbsgründen
geheimgehalten wird.»
Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 43.
[19]
Art. 4 Abs. 1 lit. a der EU-Datenschutzverordnung legt fest, dass
jeder Mitgliedstaat die Vorschriften, die er zur Umsetzung dieser
Richtlinie erläßt, auf alle Verarbeitungen
personenbezogener Daten anwendet, «die im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung
ausgeführt werden, die der für die Verarbeitung
Verantwortliche im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats besitzt.
[...]» (Hervorhebung hinzugefügt).
[27]
Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 86; dies deshalb, weil «[d]ie Aufnahme einer
Internetseite [...] in die Liste mit den Ergebnissen einer anhand
des Namens der betreffenden Person durchgeführten Suche [...]
einen stärkeren Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des
Privatlebens der betroffenen Person darstellen [kann] als die
Veröffentlichung durch den Herausgeber der
Internetseite.» (Rn. 87).
[28]
Ungekürzt lautet das Fazit im
Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 88: «Somit ist auf Frage 2 Buchst. c und d zu antworten,
dass Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie
95/46 dahin auszulegen sind, dass der Suchmaschinenbetreiber zur
Wahrung der in diesen Bestimmungen vorgesehenen Rechte, sofern
deren Voraussetzungen erfüllt sind, dazu verpflichtet ist, von
der Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand des Namens einer
Person durchgeführte Suche angezeigt wird, Links zu von
Dritten veröffentlichten Internetseiten mit Informationen zu
dieser Person zu entfernen, auch wenn der Name oder die
Informationen auf diesen Internetseiten nicht vorher oder
gleichzeitig gelöscht werden und gegebenenfalls auch dann,
wenn ihre Veröffentlichung auf den Internetseiten als solche
rechtmäßig ist.»
[32]
Die Frage lautet gemäss
Urteil des EuGH C-131/12 vom 13. Mai 2014, Rn. 20: «Sind das Recht auf Löschung und Sperrung
personenbezogener Daten gemäß Art. 12 Buchst. b der
Richtlinie 95/46 und das Recht auf Widerspruch gegen eine
Verarbeitung gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der
Richtlinie 95/46 dahin auszulegen, dass sich die betroffene Person
an die Suchmaschinenbetreiber wenden kann, um die Indexierung auf
sie bezogener Informationen zu verhindern, die auf Websites Dritter
veröffentlicht sind, und sie sich hierzu auf ihren Willen
berufen kann, dass sie den Internetnutzern nicht bekannt werden,
wenn sie der Ansicht ist, dass sie ihr schaden können, oder
sie sich wünscht, dass sie vergessen werden, selbst wenn es
sich um Informationen handelt, die von Dritten rechtmäßig
veröffentlicht wurden?».
[36]
Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der
Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des
elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt
(«Richtlinie über den elektronischen
Geschäftsverkehr») (ABl. L 178, S. 1-16).
[38]
Art. 12 («Reine Durchleitung», u.a. Access Provider),
Art. 13 («Caching») und Art. 14 («Hosting»)
E-Commerce-Richtlinie.
[41]
Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 2013, Rn. 75: «Es versteht sich von selbst, dass die in den
vorstehenden Nummern dargestellten Vorgänge als Verarbeitungen
der personenbezogenen Daten gelten, die sich auf den von der
Suchmaschine kopierten, indexierten, gespeicherten und angezeigten
Quellenwebseiten befinden. Insbesondere umfassen sie das Erheben,
das Speichern, die Organisation und die Aufbewahrung solcher
personenbezogenen Daten [...]».
[50]
Weiterführend:
Suchmaschinenhaftung, Diss. Bern 2012, § 5, I, 4. Zur Begründung einer
entsprechenden Sorgfaltspflicht der Suchmaschinenbetreiber
hinsichtlich der Beachtung von exclusion codes: ebenda, § 11,
I, 2.
[54]
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments
und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der
Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr
(Datenschutz-Grundverordnung) (KOM[2012] 11 endgültig).
[73]
Im genannten Beispiel hat der Betreiber der Modelagentur seinen
Sitz in der Schweiz und die Entfernungspflicht besteht
unabhängig von allfälligen vertraglichen Verpflichtungen,
zumal alles andere gegen das Verbot übermässiger Bindung
nach Art. 27 Abs. 2 ZGB verstossen würde.
[75]
Für eine ausführlichere Beschreibung der Funktionsweise
von Suchmaschinen:
Suchmaschinenhaftung, Diss. Bern 2012, § 5.
[77]
Beispiel:
Google-Suche nach «daniel huerlimann»; am Ende der Seite steht: «Einige Ergebnisse wurden
möglicherweise aufgrund der Bestimmungen des europäischen
Datenschutzgesetzes entfernt.» Dieser Hinweis wird gemäss
den
häufig gestellten Fragen
«in Europa bei der Suche nach den meisten Namen an[gezeigt]
und nicht nur bei Seiten, die von einer Entfernung betroffen
sind.»
[79]
nzz.ch vom 30. Mai 2014 (Zu früh gefreut); NZZ am Sonntag vom 1. Juni 2014, Nr. 22, S. 2 (Herkules-Aufgabe
für Google).
[80]
Bundesgesetz über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 (DSG, SR
235.1).
[82]
Art. 7 EU-Grundrechtecharta (Achtung des Privat- und
Familienlebens): «Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres
Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer
Kommunikation.»
[83]
Art. 8 EU-Grundrechtecharta (Schutz personenbezogener Daten):
«(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden
personenbezogenen Daten.
(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für
festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder
auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage
verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über
die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die
Berichtigung der Daten zu erwirken.
(3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer
unabhängigen Stelle überwacht.»
[84]
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.
April 1999 (BV, SR 101).
[85]
Art. 11 EU-Grundrechtecharta (Freiheit der
Meinungsäußerung und Informationsfreiheit):
«(1) Jede Person hat das Recht auf freie
Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die
Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne
behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf
Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.
(2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden
geachtet.»
[86]
Art. 16 EU-Grundrechtecharta (Unternehmerische Freiheit): «Die
unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den
einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten
anerkannt.»
[89]
Siehe dazu Carlo Piltz, delegedata.de vom 4. Juli 2014 (Recht auf Vergessen - Warum Google nicht überreagiert): «Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die
Abwägung von im Presse- oder Datenschutzrecht versierten
Juristen vorgenommen wird. Eine Pflicht hierzu, besteht aber
nicht».
[91]
Google hält in den
häufig gestellten Fragen
indessen fest, dass «wir jeden Antrag individuell prüfen
und zwischen dem Recht des Einzelnen auf Schutz seiner
personenbezogenen Daten und dem Recht der Öffentlichkeit auf
Zugang zu diesen Informationen und ihrer Verbreitung abwägen
müssen». Vgl. aber Carlo Piltz, delegedata.de vom 4. Juli
2014 (Recht auf Vergessen - Warum Google nicht überreagiert): «Nur ‹in besonders gelagerten Fällen›
könne ein Ausgleich der verschiedenen Interessen etwa von der
Art der Informationen oder deren Sensibilität für das
Privatleben der betroffenen Person abhängen. Dies bedeutet
freilich nichts anderes, als dass im Zweifel die Löschung der
Links in der Ergebnisliste vorgenommen werden muss».
[94]
Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die
Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13.
Dezember 2007 (ABl. C 306 S. 1-229).
[96]
Google Zurich, Accomplishments: «We're Google's largest engineering office
in Europe, the Middle East and Africa.»
[98]
euronews.com vom 13. Mai 2014 (Gerichtsurteil: Auch Google muss vergessen können): «Kommissionssprecherin Mina Andreeva sagte, die
Europäische Kommission begrüße die Entscheidung des
Gerichts: ‹Auch eine Suchmaschine wie Google muss sich also
europäischem Recht beugen. Dies ist ein gutes Urteil, nicht
nur für die Kommission, sondern auch für die Bürger,
deren Daten nun besser geschützt sind.›» Siehe auch
euronews-Beitrag vom 13. Mai 2014 (EU court says Google must honour 'right to be forgotten', Aussage der Kommissionssprecherin bei 0:40).
[100]
Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 90: «Nach Auffassung von Google Spain, Google Inc., der
griechischen, der österreichischen und der polnischen
Regierung sowie der Kommission ist diese Frage zu verneinen. Google
Spain, Google Inc., die polnische Regierung und die Kommission
machen insoweit geltend, Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1
Buchst. a der Richtlinie 95/46 gewährten den betroffenen
Personen nur unter der Voraussetzung Rechte, dass die betreffende
Verarbeitung nicht den Bestimmungen der Richtlinie entspreche, oder
aus überwiegenden, schutzwürdigen, sich aus ihrer
besonderen Situation ergebenden Gründen, und nicht bereits,
weil die Verarbeitung ihnen ihrer Auffassung nach schaden
könne oder sie möchten, dass die Daten, die Gegenstand
der Verarbeitung seien, dem Vergessen anheimfallen. Nach Auffassung
der griechischen und der österreichischen Regierung hat sich
die betroffene Person an den Herausgeber der Website zu
wenden.»
[101]
In eine andere Richtung weist allerdings die Äusserung des
deutschen Bundesinnenministers de Maizière, der in einer
Pressemitteilung vom 30. Juni 2014
erklärte: «Der Europäische Gerichtshof hat uns in
seiner Entscheidung zu Internetveröffentlichungen und zum
Recht auf Vergessen einen Auftrag erteilt, den wir umsetzen
müssen.»
[102]
Mitteilung der Kommission vom 19. Mai 2010 an das Europäische
Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und
Sozialausschluss und den Ausschuss der Regionen: Eine Digitale
Agenda für Europa (KOM[2010]245 endgültig).
[104]
Eine Digitale Agenda für Europa, S. 5 f.: «Aufgrund fehlender legaler Angebote und
fragmentierter Märkte gibt es in den USA heute viermal so
viele Musik-Downloads wie in der EU»; S. 11: «die
Europäer finden es zudem oft einfacher, eine
grenzüberschreitende Online-Transaktion mit einem
US-amerikanischen Anbieter auszuführen als mit einem
Verkäufer aus einem anderen europäischen Land»; S.
26: «Im Vergleich zu wichtigen Handelspartnern wie den USA ist
in Europa der IKT-Anteil an den FuE-Ausgaben nicht nur viel
geringer (17 % gegenüber 29 %), sondern beträgt auch in
absoluten Zahlen nur etwa 40 % des US-Budgets».
[106]
Die Indexierung aller Inhalte durch sämtliche Suchmaschinen
wird unterbunden, wenn die Datei robots.txt im Stammverzeichnis der
Domain folgende Anweisung enthält: «User-agent: *
Disallow: /».
[107]
Die einfachste Möglichkeit zur Nichtindexierung von
älteren Inhalten besteht darin, diese in anderen
Verzeichnissen abzulegen und die Indexierung dieser Verzeichnisse
zu unterbinden, z.B. mit der folgenden Anweisung: «User-agent:
* Disallow: /old/».
[108]
Die Unterbindung der Indexierung von Namen erfolgt nicht über
die Datei robots.txt, sondern über entsprechende Anweisungen
im HTML-Code. Diese Möglichkeit wird, soweit ersichtlich, von
Google noch nicht unterstützt, aber von Yahoo (Introducing Robots-Nocontent for Page Sections) und der russischen Suchmaschine Yandex (Using HTML tags, <noindex> tag). Ob im Nachgang zum Urteil des EuGH auch Google diese
Möglichkeit einführen wird, ist nicht bekannt. Im Janr
2009 hat sich der Leiter des Webspam-Teams von Google dagegen
ausgesprochen. Siehe dazu den
Tweet von Matt Cutts vom 6. Juli 2009: «we looked at how many sites use robots nocontent on the web
and it was miniscule, so we decided not to do it».
[112]
Siehe auch Carlo Piltz, delegedata.de vom 4. Juli 2014 (Recht auf Vergessen - Warum Google nicht überreagiert): «Wollte man verlangen, dass Google sich bei der
Prüfung auch in die Lage der Webseitenbetreiber und der
Öffentlichkeit versetzt, so würde man dem
Suchmaschinenbetreiber eine unabhängige Rolle zusprechen
wollen, die er aber nicht besitzt.»