I. Einleitung
Die Digitalisierung tangiert alle Lebensbereiche. Mit dem digitalen Wandel der Gesellschaft verändern sich auch die Anforderungen an die Rechtsordnung. Das Recht soll digitale Innovation und den Einsatz neuer Technologien ermöglichen und fördern. Gleichzeitig soll der Schutz der Grund- und Menschenrechte erhalten und die demokratischen Rechte sollen gewährleistet bleiben. In diesem Sinn hat sich der Bundesrat jüngst für die Ratifikation der KI-Konvention des Europarats[1] ausgesprochen. Damit will er KI so regulieren, dass ihr Potenzial für Innovation genutzt werden kann, der Grundrechtsschutz gewahrt ist und das Vertrauen der Bevölkerung in KI gestärkt wird.[2]
Rechtsgrundlagen, mit welchen dieser Balanceakt zwischen Innovation und Rechtsschutz im Bereich der Digitalisierung gelingt, werden auch als digitalisierungsfreundliches Recht bezeichnet. Zumindest der Bund hat diesen Begriff in seiner Strategie Digitale Schweiz 2023[3] verwendet.[4] Digitalisierungsfreundliches Recht zeichnet sich gemäss Bund dadurch aus, dass Gesetze so gestaltet werden, «dass sie die Digitalisierung begünstigen statt hemmen» und die Behörden auf allen föderalen Ebenen «ihre Geschäfte wann immer möglich und soweit sinnvoll digital» abwickeln, aber wo nötig «auch nicht digitale Lösungen» anbieten.[5]
Was aber bedeutet das ganz konkret? Der vorliegende Beitrag fragt danach, was digitalisierungsfreundliches Recht auszeichnet. Der Fokus liegt dabei auf Rechtsgrundlagen für die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung. Ziel ist ein praxisnaher Blick auf die Merkmale von Rechtsgrundlagen, welche die Digitalisierung der Verwaltung ermöglichen und fördern.
Der Beitrag ist essayistisch zu lesen und kombiniert - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - grundsätzliche Überlegungen zu Anforderungen an die Rechtsgrundlagen der digitalen Verwaltung mit einigen Hinweisen zum Praxisbeispiel Kanton Zürich. Die Wahl des Beispiels hat zwei Gründe: Zum einen basiert dieser Aufsatz auf Erfahrungen im Rahmen meiner Tätigkeit für den Bereich Digitale Verwaltung im Kanton Zürich und hat seinen Ausgang in einem Vortrag, den ich in diesem Kontext gehalten habe. Zum anderen bietet der Kanton Zürich mit verschiedenen einschlägigen Revisionsvorhaben interessantes Anschauungsmaterial. Beispielsweise hat der Kantonsrat im Oktober 2023 eine Teilrevision des Verwaltungsrechtspflegegesetzes verabschiedet und Rechtsgrundlagen für den elektronischen Verkehr in kantonalen Verwaltungs- und Justizverfahren geschaffen. Das Bundesgericht hat Teile dieser Reform vor Kurzem in einer abstrakten Normenkontrolle überprüft und für rechtmässig befunden.[6] Dabei hat das Bundesgericht auch grundsätzliche Aussagen zur Digitalisierung der Verwaltung gemacht. Diese Elemente machen den Kanton Zürich zu einem passenden Beispiel für das Nachdenken über digitalisierungsfreundliches Recht.
Vom Aufbau her befasst sich der Beitrag mit dem Begriff des digitalisierungsfreundlichen Rechts und mit grundlegenden Anforderungen an die Rechtsgrundlagen der digitalen Verwaltung (Rz. 6 ff.). Im Anschluss sind konkrete Merkmale digitalisierungsfreundlichen Rechts aufgelistet (Rz. 25 ff.), gefolgt von einigen Hinweisen zur Entwicklung im Kanton Zürich (Rz. 38 ff.).
II. Digitalisierungsfreundliches Recht: Grundlagen
In diesem Abschnitt sollen grundlegende Aspekte digitalisierungsfreundlichen Rechts angesprochen werden. Erstens gilt es den Begriff zu klären (Rz. 7 ff.) und festzuhalten, dass die Schaffung von digitalisierungsfreundlichem Recht (im Sinne von Rechtsgrundlagen, welche die Digitalisierung der Verwaltung ermöglichen und fördern) einem gewichtigen öffentlichen Interesse entspricht (Rz. 10 f.). Drittens folgt ein Hinweis zu den erforderlichen Rechtsgrundlagen für Digitalisierungsprojekte der Verwaltung (Rz. 12 ff.). Weiter ist in Erinnerung zu rufen, dass digitalisierungsfreundliche Rechtsgrundlagen grundrechtskonform sein müssen (Rz. 16 ff.). Der letzte Abschnitt thematisiert den mit umfassenden Digitalisierungsvorhaben oftmals verbundenen Paradigmenwechsel von analogen Angeboten zur Priorisierung digitaler Angebote (digital first) oder einer sogar ausschliesslich digital agierenden Verwaltung (digital only), wobei der digitalen Verwaltung gewisse Grenzen verfassungsrechtlich vorgegeben sind (Rz. 20 ff.).
1. Begriff des digitalisierungsfreundlichen Rechts
Eine Rechtsordnung kann nach hier vertretenem Verständnis als digitalisierungsfreundlich gelten, wenn sie unter Wahrung der demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungsgarantien die digitale Interaktion und Innovation in einer Gesellschaft achtet, schützt und fördert. In einem Verfassungsstaat ist dies mit einem inhaltlichen Programm verbunden: Digitalisierungsfreundliches Recht muss sicherstellen, dass digitale Instrumente unter Wahrung der Grundrechte, der rechtsstaatlichen Garantien und der Demokratie zum Einsatz kommen.[7]
Öffentliches Recht ist etwa dann digitalisierungsfreundlich ausgestaltet, wenn die notwendigen Rechtsgrundlagen bestehen, damit öffentliche Institutionen unter Einhaltung der verfassungsrechtlichen Garantien nach innen und aussen digital handeln können und die Interaktion und Innovation der gesellschaftlichen Akteure fördern. Zum digitalisierungsfreundlichen öffentlichen Recht gehören etwa Rechtsgrundlagen für öffentliche digitale Dienstleistungen wie die Bereitstellung einer elektronischen Identität, eines Behördenportals für den Zugang zu Behördendiensten oder einer Justizplattform für die digitale Abwicklung von Rechtsverfahren. Weiter schafft digitalisierungsfreundliches Recht die Voraussetzungen für digitalisierte Rechtsverfahren.[8] Letztlich umfasst digitalisierungsfreundliches Recht auch die Rechtsgrundlagen einer medienbruchfreien digitalen Kommunikation der Behörden und öffentlichen Institutionen untereinander über alle föderalen Ebenen. Digitalisierungsfreundliches Recht schafft also die Rechtsgrundlagen für eine digitale Verwaltung unter Wahrung elementarer Verfassungsgarantien.
Digitalisierungsfreundliches Privatrecht umfasst beispielsweise die Öffnung des Vertragsrechts für die elektronische Signatur oder der urheberrechtliche Schutz geistigen Eigentums im digitalen Raum.[9] Selbstverständlich ist auch das Strafrecht angesprochen, etwa in der Anwendung der Straftatbestände auf Sachverhalte im digitalen Raum[10] oder der Einsatz automatischer Erkennungssysteme in der Polizeiarbeit und der Strafverfolgung.[11] Wie einleitend erwähnt, beschränkt sich der vorliegende Beitrag auf die öffentlich-rechtlichen Grundlagen der digitalen Verwaltung, womit digitalisierungsfreundliches Privat- und Strafrecht vom Untersuchungsgegenstand ausgeklammert ist.
2. Digitalisierung der Verwaltung als öffentliches Interesse
Weiter ist festzuhalten, dass die Digitalisierung der Verwaltung einem gewichtigen öffentlichen Interesse entspricht. Dies hat das Bundesgericht in einem Urteil zur Revision der Verwaltungsrechtspflege zur Ermöglichung digitaler Verwaltungsverfahren im Kanton Zürich ausdrücklich bestätigt.[12] Das Bundesgericht anerkennt damit den digitalen Wandel als zentralen Bestandteil zeitgemässer staatlicher Strukturen. Das Bundesgericht stützt sich dafür auf die Verfassungsmaximen der Effizienz und Wirtschaftlichkeit des staatlichen Handelns und den Grundsatz der Verfahrens- und Prozessökonomie ab. Es verweist weiter auf den engen Bezug zum öffentlichen Interesse an funktionsfähigen staatlichen Institutionen im Allgemeinen und an einer wirksamen Rechtspflege im Besonderen. Zur Verwirklichung der Funktionsfähigkeit und Optimierung der Verwaltung sei die Rechtsordnung bei Bedarf zu aktualisieren.[13]
Dass die Digitalisierung den gesellschaftlichen Alltag und somit auch die staatliche Aufgabenerfüllung in vielfältiger Weise verändert und beeinflusst, erachtete das Bundesgericht dabei als «notorisch». Die staatlichen Stellen seien berufen, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen und unter Wahrung des grundlegenden Interesses an einem funktionierenden Staatswesen das mit der Digitalisierung einhergehende Potenzial auszuschöpfen.[14] Entsprechend beurteilte das Bundesgericht die Einführung einer Verpflichtung berufsmässiger Parteivertretungen zur Vornahme elektronischer Verfahrenshandlungen als «wichtigen Beitrag zur Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Regelungsziels, die Digitalisierung in der Verwaltung und im Justizwesen voranzutreiben».[15]
3. Erforderliche Rechtsgrundlagen für Digitalisierungsprojekte der Verwaltung
Ob für Digitalisierungsprojekte der Verwaltung eine explizite Rechtsgrundlage erforderlich ist, kommt auf die Art der bearbeiteten Daten und den Umfang der Datenbearbeitung an. Erfolgt eine Bearbeitung von Personendaten in Erfüllung einer gesetzlich umschriebenen Aufgabe, bedarf es grundsätzlich keiner besonderen Rechtsgrundlage. Die Bearbeitung von gewöhnlichen Personendaten ist implizit und akzessorisch mit der jeweiligen gesetzlichen Aufgabe verbunden. Eine sog. mittelbare gesetzliche Grundlage ist ausreichend und erfüllt das Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV[16]). Sobald die Einführung einer IKT-Lösung (d.h. ein Informations- und Kommunikationstechnologiesystem für eine konkrete Aufgabenstellung der Verwaltung) die Bearbeitung sensibler Personendaten zur Folge hat oder Personendaten von erheblichem Umfang betrifft, sind die bestehenden Fachgesetze in der Regel nicht mehr ausreichend. Für umfassende Digitalisierungsprojekte sind deshalb in der Regel eigene Rechtsgrundlagen mittels Revision zu schaffen.[17]
Das Bundesgericht hat sich insbesondere im Zusammenhang mit der automatischen Fahrzeugfahndung und der Ausweitung des Datenaustauschs mittels Datenplattformen in der Polizeiarbeit mit den rechtlichen Grundlagen von Digitalisierungsvorhaben befasst.[18] So hat es (wenig überraschend) festgehalten, dass der Einsatz von intelligenten Systemen, die auf der Basis einer algorithmischen Entscheidfindung im öffentlichen Raum grosse Datenmengen erheben, analysieren und bewerten, schwerwiegende Grundrechtseingriffe darstellen und einer hinreichend bestimmten formell-gesetzlichen Grundlage bedürfen.[19]
Die Beurteilung der Erforderlichkeit einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage richtet sich also nach den Anforderungen aus dem Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV) sowie nach der Intensität des mit der Datenbearbeitung allfällig verbundenen Grundrechtseingriffs und den Anforderungen an dessen Rechtfertigung (Art. 36 Abs. 1 BV). Im Rahmen von Digitalisierungsvorhaben öffentlicher Institutionen erweist sich die Einschätzung, ob und für welche Datenbearbeitung eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage notwendig ist, als herausfordernd. Anspruchsvoll ist auch die Bestimmung der angemessenen Normdichte, um sowohl die Erstarrung von Innovation aufgrund unnötiger Überregulierung als auch eine Verletzung des Legalitätsprinzips wegen fehlender Rechtsgrundlagen zu vermeiden.
Eine Möglichkeit, gesetzliche Grundlagen agiler zu gestalten, ist die Einführung von Experimentierklauseln, die den raschen Betrieb und die Weiterentwicklung digitaler Applikationen erlauben, ohne dass zunächst ein Revisionsvorhaben eingeleitet werden muss.[20] Regulatorische Herausforderungen im Umgang mit technologischen Entwicklungen können in zeitlicher Hinsicht in beschränktem Ausmass auch mittels sogenannter Sandboxes abgefedert werden. Eine Sandbox ist ein kontrollierter Rahmen, in dem Unternehmen und öffentliche Institutionen innovative Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle mit regulatorischer Unterstützung und unter Aufsicht der Behörden testen können. Der Ansatz soll rechtssichere Bedingungen für Innovation gewähren.[21]
4. Grundrechtskonformität digitalisierungsfreundlichen Rechts
Die Wahrung des Grundrechtsschutzes ist eine verfassungsrechtliche Pflicht (Art. 35 BV) und damit ein fundamentaler Bestandteil der Anforderungen an digitalisierungsfreundliches Recht. Die digitale Verwaltung muss sicherstellen, dass Grundrechte wie die informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 BV), das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) oder das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV) auch im Rahmen digitaler Verfahren und digitaler Dienstleistungen der Verwaltung gewahrt bleiben. Ein zentraler Aspekt dabei ist die rechtskonforme Erhebung, Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten.
Digitalisierungsfreundliches Recht muss folglich immer auch grundrechtskonform sein. Das Datenschutzrecht konkretisiert diese Anforderungen. Gleichzeitig erschöpft sich der Grundrechtsschutz nicht im Datenschutzrecht; die Anwendung von Rechtsgrundlagen im Bereich der digitalen Transformation bedarf stets einer verfassungskonformen Interpretation. Dies kann insbesondere im Rahmen der Anwendung noch junger Technologien (wie etwa künstlicher Intelligenz) anspruchsvoll und aufwändig sein.
Ein konkretes Beispiel für die Relevanz des Grundrechtsschutzes in der Verwaltung ist der Einsatz von Cloud-Lösungen.[22] Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Kontrolle und Herrschaft über die eigenen Daten und deren Sicherheit. Digitale Verwaltungssysteme müssen so gestaltet sein, dass der Zugriff auf personenbezogene Informationen nur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben erfolgt und durch geeignete technische Massnahmen wie Verschlüsselung und Zugriffskontrollen geschützt ist.[23] Die Nutzung externer Cloud-Dienste birgt potenzielle Risiken für den Schutz personenbezogener Daten, insbesondere bei einer Speicherung ausserhalb der Schweiz. Daher müssen klare Rechtsgrundlagen mit Kriterien zur Nutzung von Cloud-Diensten bestehen, die sicherstellen, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Datenschutzrecht eingehalten werden und der Zugriff durch unbefugte Dritte ausgeschlossen ist.[24]
Die eigenständige Tragweite einer grundrechtlichen Beurteilung von Digitalisierungsvorhaben zeigt sich auch darin, dass etwa die Kantone Genf[25] und Neuenburg[26] grundrechtliche Garantien zum Schutz der digitalen Integrität in ihren Verfassungen verankert haben.[27] Deren eigenständige normative Tragweite bleibt derzeit noch offen und bedarf einer vertiefenden Analyse an anderer Stelle.
5. Grenzen der digitalen Verwaltung: Digital first oder digital only?
Die Digitalisierung der Verwaltung führt durch Priorisierung digitaler Angebote und Verfahren (sog. Digital first) zu einem Paradigmenwechsel. Bis anhin waren analoge Angebote und Verfahren der Grundsatz, während digitale Applikationen und elektronische Verfahren erst punktuell verfügbar waren. Mit der Einführung von Digital first verändert sich dies grundlegend. Das Prinzip Digital first besagt, dass digitale Lösungen bevorzugt entwickelt und angeboten werden, während analoge Alternativen weiterhin verfügbar bleiben. Diesen Paradigmenwechsel hat der Bund zumindest im Grundsatz bereits vollzogen. Die Bundesverwaltung ist im Rahmen ihrer Digitalisierungsstrategie zur konsequenten Priorisierung digitaler Angebote mittels des Grundsatzes Digital first verpflichtet.[28] Auch der Kanton Zürich hat den Paradigmenwechsel vollzogen und priorisiert digitale Angebote im Sinne des Digital first.[29]
Die Orientierung am Grundsatz Digital first schafft eine Balance zwischen Innovation und Inklusion. Damit soll gewährleistet sein, dass der digitale Zugang Vorrang hat, jedoch niemand ausgeschlossen wird, der digitale Angebote nicht nutzen kann oder möchte. Angesprochen ist damit einerseits die Barrierefreiheit digitaler Angebote und das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 und 4 BV, siehe Rz. 30 f.) und andererseits das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 BV). Durch diese grundrechtlichen Anforderungen an die digitale Erbringung von Behördenleistungen und Verfahren sind der Digitalisierung der Verwaltung gewisse Grenzen gesetzt (siehe auch Rz. 16 ff.).
Weiter geht das Prinzip Digital Only, bei dem Verwaltungsprozesse ausschliesslich digital abgewickelt werden. Dies erfordert eine vollständige digitale Infrastruktur sowie umfassende digitale Kompetenzen der Nutzenden. In dieser Hinsicht ist zu unterscheiden zwischen der Pflicht der Behörden, intern digital zu kommunizieren (Digital only im Innern, verwaltungsinternes Digital only) und einer Pflicht Dritter, mit den Behörden digital zu verkehren (Digital only nach aussen).
Die Pflicht zur elektronischen Kommunikation im Innern der Verwaltung und zwischen Behörden und Gerichten (verwaltungsinternes Digital only) dürfte in der Schweiz in absehbarer Zeit zum Standard werden. Auf Bundesebene ist die Einführung von Digital only für die Bundesverwaltung und die Bundesgerichte geplant. Rechtliche Grundlagen dazu werden unter anderem mit dem bereits verabschiedeten BEKJ[30] sowie mittels Revision der Organisationsgesetze und Prozessordnungen gelegt.[31] Mit dem Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG)[32], das am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, wird der digitale Behördenverkehr auf Bundesebene geregelt. Ergänzend dazu wird mit dem laufenden Projekt Justitia 4.0 die digitale Plattform justitia.swiss für den elektronischen Rechtsverkehr entwickelt, um insbesondere im Justizwesen die Kommunikation und Akteneinsicht zu digitalisieren. Die Bundesversammlung hat mit Annahme des BEKJ im Dezember 2024 die dafür notwendigen Rechtsgrundlagen verabschiedet.
Demgegenüber ist die Verpflichtung Dritter zur Nutzung digitaler Angebote (Digital only nach aussen) bis anhin die Ausnahme, während vielmehr wie bereits ausgeführt (Rz. 20 f.) Digital first als Grundsatz gilt. Eine Pflicht zur digitalen Kommunikation mit Behörden muss für die Verpflichteten grundrechtlich tragbar, das heisst insbesondere zumutbar im Sinne der Verhältnismässigkeitsprüfung (Art. 36 Abs. 3 BV) sein. Aus diesem Grund hat der Kanton Zürich im Rahmen der Revision seiner Verwaltungsrechtspflege eine Pflicht zur digitalen Verfahrensführung lediglich für bestimmte Berufsgruppen eingeführt.[33] Das Bundesgericht hat - wie eingangs aufgezeigt (Rz. 10 f.) - die Rechtskonformität dieser Bestimmung bestätigt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass gemäss Bundesgericht an der Einführung von Digital only nach aussen je nach Kontext sogar ein bedeutendes öffentliches Interesse bestehen kann. So hielt das Bundesgericht fest, dass an einem Obligatorium für berufsmässige Parteivertretende zur Vornahme elektronischer Verfahrenshandlungen ein bedeutsames öffentliches Interesse bestehe. Staatliche Stellen seien dazu berufen, im Rahmen der ihnen zustehenden Spielräume das mit der Digitalisierung einhergehende erhebliche Potenzial zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung auszuschöpfen und zum grundrechtlich verbürgten Beschleunigungsgebot beizutragen.[34] Dabei beachtete das Bundesgericht, dass Anwältinnen und Anwälte zwar keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen, aber dennoch als «Mitarbeiter der Rechtspflege» gegenüber dieser in einer besonderen Verantwortung stehen. Diese Verantwortung könne auch darin bestehen, die staatlichen Organe dabei zu unterstützen, dass Verfahren - im kollektiven Interesse der Rechtsuchenden - einfach und rasch abgewickelt werden könnten. Eine solche Pflicht sei unter dem Vorbehalt der Verhältnismässigkeit auch mit der Wirtschaftsfreiheit vereinbar.[35] Diese Einschätzung entspricht der in der Lehre[36] vertretenen Haltung und ist nicht zu beanstanden.
III. Digitalisierungsfreundliches Recht: Merkmale
Digitalisierungsfreundliches Recht zeichnet sich also dadurch aus, dass es die Digitalisierung der Verwaltung ermöglicht und fördert sowie einem öffentlichen Interesse entspricht. Dabei muss digitalisierungsfreundliches Recht die Anforderungen des Legalitätsprinzips erfüllen und grundrechtskonform sein. Weiters ist zu beachten, dass digitale Angebote und Verfahren der Verwaltung zwar priorisiert werden dürfen, die Verpflichtung zur digitalen Kommunikation mit der Verwaltung für Aussenstehende aber bis auf Weiteres die Ausnahme bleiben dürfte. Dies sind die grossen Linien, die in einem Revisionsvorhaben zur Schaffung digitalisierungsfreundlichen Rechts zu berücksichtigen sind (siehe Rz. 6 ff.).
Das vorliegende Kapitel vermittelt einen ersten Überblick über eine Reihe typischer Merkmale von Rechtsgrundlagen, welche die Digitalisierung der Verwaltung unter Einhaltung übergeordneten Rechts, insbesondere grundrechtlicher Anforderungen, ermöglichen und fördern. Digitalisierungsfreundliche Rechtsgrundlagen gestalten die Digitalisierung der Verwaltung so, dass die Menschen (und nicht die Technologie) im Zentrum der Entwicklung stehen (Rz. 27), die digitalen Dienstleistungen und Verfahren nutzendenorientiert gestaltet (Rz. 28 f.) und barrierefrei für die gesamte Bevölkerung zugänglich sind (Rz. 30 f.). Die Verwaltung sollte im Sinne der Technologieneutralität darauf verzichten, spezifische Technologien zu regulieren (Rz. 32). Weiter sollten die Rechtsgrundlagen die Verwaltung verpflichten, den Einsatz digitaler Systeme und die Art und Weise der Datenbearbeitung proaktiv und transparent offenzulegen (Rz. 33 f.) und die Systeme so zu gestalten, dass sie sowohl für Private als auch für andere Verwaltungszweige interoperabel anschlussfähig sind (Rz. 35). Auch sollten sämtlich Entscheidungsverfahren partizipativ ausgestaltet sein (Rz. 36). Noch zu wenig thematisiert ist die Pflicht, die digitale Transformation der Verwaltung nachhaltig zu gestalten (Rz. 37).
1. Menschenzentriert
Verfassungsrechtlich verpflichtet der Schutz der Menschenwürde dazu, den Menschen zum Mass aller Digitalisierungsbemühungen zu machen.[37] Dies wird auch als menschenzentrierte digitale Transformation bezeichnet. Eine solche Verankerung der digitalen Transformation stellt sicher, dass technologische Entwicklungen und digitale Verwaltungsprozesse die Würde des Einzelnen respektieren und schützen. Der Mensch soll Subjekt und nicht Objekt der Digitalisierung sein.[38] Dabei steht der Mensch mit seinen grundrechtlich geschützten Bedürfnissen und seiner Autonomie im Mittelpunkt aller digitalen Lösungen. Der Schutz der Menschenwürde erfordert, dass digitale Systeme so gestaltet sind, dass sie Diskriminierung verhindern, die persönliche Integrität wahren und die Selbstbestimmung der Nutzerinnen und Nutzer gewährleisten.[39] Der Mensch soll die Kontrolle über die Technologie und ihre Nutzung behalten.[40] Die Menschenzentrierung der digitalen Transformation zum Schutz der Menschenwürde ist die Grundlage eines ethisch verantwortungsvollen digitalen Rechtsrahmens, der technologische Innovation und den Schutz fundamentaler Rechte vereint.
2. Nutzendenorientiert
Daran anschliessend soll die Nutzendenorientierung der digitalen Transformation der Verwaltung sicherstellen, dass die Gestaltung digitaler Verwaltungsprozesse an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger orientiert ist. Dies bedeutet, dass digitale Dienste benutzerfreundlich, verständlich und barrierefrei gestaltet sein müssen. Nutzendenzentrierung erfordert eine klare Ausrichtung an den Erfahrungen und Erwartungen der Anwendenden. Dazu gehören intuitive Benutzeroberflächen, einfache Zugangsmöglichkeiten und eine transparente Kommunikation über die angebotenen Leistungen und die damit erfolgende Datenbearbeitung. Der Kanton Zürich setzt auf nutzendenzentrierte Ansätze, indem er Rückmeldungen aus der Bevölkerung in die Weiterentwicklung digitaler Dienste einbezieht.[41] Diese Praxis soll helfen, digitale Verwaltungsangebote kontinuierlich zu verbessern und an die tatsächlichen Bedürfnisse der Nutzenden anzupassen.[42]
Bestandteil nutzendenorientierter Verwaltungsprozesse ist auch die Umsetzung des Prinzips der Einmalerfassung (sog. once only), wonach Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen dieselben Daten nur einmal bei der Verwaltung einreichen müssen, auch wenn sie von verschiedenen Behörden benötigt werden. Dies soll den administrativen Aufwand für natürliche und juristische Personen verringern und die Effizienz der Verwaltung steigern. Einer vollständigen Umsetzung des Prinzips der Einmalerfassung steht in der Schweiz der Verzicht auf einen automatischen Datenaustauschs unter den Behörden zum Schutz der Grundrechte entgegen. Bei der Umsetzung des Prinzips der Einmalerfassung sind die durch einen automatischen Datenaustausch tangierten Grundrechte mit dem öffentlichen Interesse an einer effizienten Ausgestaltung der Verwaltung abzuwägen.[43] Das Prinzip der Einmalerfassung ist auch Bestandteil der Digitalisierungsstrategie des Kantons Zürich.[44] Für eine juristische Beurteilung bleibt die Veröffentlichung konkreter Ergebnisse abzuwarten.
3. Barrierefrei
Die Pflicht, digitale Verwaltungsleistungen barrierefrei zu gestalten, ergibt sich aus dem Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) und dem Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV). Barrierefreie Leistungen sind auch auf die Bedürfnisse der jüngeren oder älteren Bevölkerungsschicht ausgerichtet und berücksichtigen Diversitäten in den Kompetenzen der Nutzenden ebenso wie Unterschiede im Zugang zu technologischem Wissen, Bildung und Infrastruktur.[45] Besonders relevant ist Barrierefreiheit im Zugang zu digitalen Angeboten für Personen mit Behinderungen. Die Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 4 BV) und die UNO-BRK verpflichten Bund, Kantone und Gemeinden, Menschen mit Behinderungen den Zugang zu staatlichen Leistungen und Angeboten diskriminierungsfrei zu ermöglichen.[46]
Barrierefreiheit bedeutet im Kontext digitaler Dienstleistungen, dass diese so gestaltet sein müssen, dass sie von allen Menschen unabhängig von physischen, sensorischen oder kognitiven Einschränkungen genutzt werden können. Dies umfasst technische Anforderungen, wie die Einhaltung des Standards eCH-0059 Version 3.0[47], aber auch organisatorische Massnahmen, um alternative Zugangswege sicherzustellen.[48]
4. Technologieneutral
Unbestritten und erprobt ist der Grundsatz der Technologieneutralität. So ist das Datenschutzrecht[49] oder das Haftungsrecht[50] technologieneutral ausgestaltet. Auch die jüngeren Rechtsgrundlagen zur Förderung der digitalen Transformation folgen diesem Ansatz.[51] Technologieneutralität bedeutet, dass Rechtsnormen soweit möglich so verfasst werden, dass sie auf unterschiedliche technologische Lösungen anwendbar sind. Verschiedene Technologien werden gleichwertig behandelt, sofern sie den gleichen Sicherheits- und Qualitätsstandards entsprechen. Technologieneutralität erlaubt es den staatlichen Gewalten, flexibel auf technologische Entwicklungen reagieren zu können, ohne auf jede Innovation mit einem aufwändigen Rechtsetzungsverfahren reagieren zu müssen.[52]
5. Transparent
Gesetzliche Regelungen müssen sicherstellen, dass digitale Prozesse nachvollziehbar, überprüfbar und gegen Missbrauch geschützt sind. Auch die Kontrolle über personenbezogene Daten muss sichergestellt sein (Art. 13 BV). Dies verpflichtet staatliche Stellen, Daten nur im erforderlichen Umfang zu erheben, zweckgebunden zu verwenden und betroffenen Personen jederzeit Kontrolle über ihre Daten zu ermöglichen. Ein transparenter Umgang mit personenbezogenen Daten sowie umfassende Auskunfts- und Löschungsrechte sind essenzielle Bestandteile der informationellen Selbstbestimmung.[53] In der Verordnung über elektronische Verfahrenshandlungen im Verwaltungsverfahren (VEVV/ZH), die sich auf das revVRG stützt, werden beispielsweise die Personendaten aufgezählt, die für die Identifikation und Authentifikation erhoben werden.[54]
Auch Open Government Data (OGD) ist ein wesentliches Element der Transparenz einer digitalen Verwaltung. Es umfasst die Bereitstellung von öffentlichen Verwaltungsdaten in maschinenlesbarer, frei zugänglicher und weiterverwendbarer Form. Ziel ist es, die Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns zu erhöhen, Innovation zu fördern und die demokratische Kontrolle und Teilhabe zu stärken. Sowohl der Bund (Art. 10 EMBAG) als auch der Kanton Zürich[55] haben OGD als festen Bestandteil ihrer Digitalisierungsstrategie verankert. Durch die Veröffentlichung nicht personenbezogener Verwaltungsdaten können Bürgerinnen und Bürger staatliche Entscheidungen besser verstehen und nachprüfen. Gleichzeitig schafft OGD eine Grundlage für zivilgesellschaftliche Initiativen und datenbasierte Innovationen, die über die ursprünglichen Verwaltungszwecke hinausgehen.[56] Auch wenn in der Forschung teils auf komplexe Wechselwirkungen verwiesen wird, die öffentliche Behördendaten anstossen können, wie etwa die Vermeidung schriftlicher Aufzeichnungen oder die Verschiebung von Debatten in nicht-öffentliche Räume, stellt Open Government Data damit potenziell auch einen Beitrag zur Förderung der Demokratie und eines informierten öffentlichen Diskurses dar.[57]
6. Interoperabel
Ein zentrales Ziel der digitalen Transformation ist die Bereitstellung medienbruchfreier digitaler Dienstleistungen über alle föderalen Ebenen hinweg. Digitale Verwaltungsprozesse müssen kompatibel sein, sodass Daten nahtlos zwischen verschiedenen Behörden und Ebenen ausgetauscht werden können, ohne Medienbrüche zu erzeugen. Interoperabilität bezeichnet die Fähigkeit unterschiedlicher IT-Systeme, Softwareanwendungen und Netzwerke, miteinander zu kommunizieren und Daten auszutauschen, ohne dass es zu Medienbrüchen oder Kompatibilitätsproblemen kommt. Im Kontext der digitalen Verwaltung bedeutet Interoperabilität, dass digitale Lösungen und Plattformen so konzipiert sein müssen, dass sie über Organisations- und Behördengrenzen hinweg funktionieren. Hierfür sind kollaborative Arbeitsstrukturen, die Sicherstellung der Interoperabilität digitaler Systeme sowie die Definition standardisierter Schnittstellen für den Datenaustausch zwischen Behörden erforderlich. Dies ist besonders relevant für föderale Strukturen wie in der Schweiz, wo kantonale und kommunale Verwaltungen eigenständig agieren, jedoch im Bereich der Datenverarbeitung und -übermittlung zusammenarbeiten müssen. Das EMBAG enthält mehrere Bestimmungen, welche die Interoperabilität der Bundesbehörden sowie zwischen den föderalen Ebenen begünstigen sollen.[58] Im Kanton Zürich soll das Gesetz über elektronische Basisdienste die Einführung standardisierter Schnittstellen für den Austausch von Verwaltungsdaten zwischen kantonalen und kommunalen Behörden erleichtern.[59] Auch bei Regelungen über die Interoperabilität mittels Standards und Schnittstellen gilt es eine Balance zu finden zwischen Harmonisierung mittels verpflichtender Vorgaben bei gleichzeitiger Offenheit für technische Entwicklungen und Wahrung der Technologieneutralität.
7. Partizipativ
Partizipation ist ein weiteres wesentliches Kriterium für digitalisierungsfreundliches Recht. Sie gewährleistet, dass Bürgerinnen und Bürger in die Entwicklung und Gestaltung digitaler Verwaltungsangebote aktiv einbezogen werden. Dies kann durch öffentliche Konsultationen, Umfragen und digitale Mitwirkungsplattformen erfolgen. Ein partizipativer Ansatz ermöglicht es, die Bedürfnisse und Perspektiven der Bevölkerung frühzeitig zu berücksichtigen, wodurch Akzeptanz und Vertrauen in digitale Verwaltungsdienste gestärkt werden. Zudem fördert Partizipation die Transparenz staatlichen Handelns, indem Entscheidungsprozesse offengelegt und der Dialog mit der Öffentlichkeit aktiv gefördert werden.[60]
8. Nachhaltig
In den Diskussionen um die digitale Transformation der Gesellschaft geht oft vergessen, dass Digitalisierung nicht ohne Einfluss auf die Umwelt bleibt. Der Einsatz digitaler Technologien erfordert die Herstellung materieller Träger und den Aufbau einer aufwändigen Infrastruktur mit beträchtlichem Energieverbrauch.[61] Die Bundesverfassung verpflichtet Bund und Kantone zu einem nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Nachhaltige Entwicklung ist ein Staatsziel (Art. 2 Abs. 1 BV). Der Nachhaltigkeitsartikel (Art. 73 BV) fordert Bund und Kantone dazu auf, «ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen anderseits» anzustreben. Gemäss Nachhaltigkeitsverständnis des Bundes ermöglicht die nachhaltige Entwicklung die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen und stellt eine gute Lebensqualität sicher, überall auf der Welt sowohl heute als auch in Zukunft.[62] Was diese Anforderungen im Kontext der Digitalisierung im Allgemeinen und für den Erlass digitalisierungsfreundlicher Rechtsgrundlagen im Konkreten bedeuten, ist bis anhin noch wenig thematisiert. Der Nachhaltigkeitsgrundsatz ist als Merkmal etwa in der für die Bundesverwaltung verbindlichen Strategie Digitale Schweiz 2025 enthalten.[63] Im Anschluss an das Klimaseniorinnen-Urteil[64] dürfte sich diese Pflicht gerade auch im Bereich der digitalen Transformation des öffentlichen Sektors noch akzentuierter artikulieren.
IV. Digitalisierungsfreundliches Recht: Anmerkungen zur Umsetzung im Kanton Zürich
Im vorliegenden Abschnitt folgen exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Hinweise zu den Rechtsgrundlagen der digitalen Verwaltung im Kanton Zürich. Als Ausgangspunkt für Rechtsetzungsvorhaben zur Förderung der digitalen Transformation dient sowohl auf Bundesebene als auch in den Kantonen die jeweilige Digitalisierungsstrategie. Im Kanton Zürich ist die Digitalisierungsstrategie ein unerlässlicher Kompass für konkrete Vorhaben (Rz. 39 ff.). Als grundlegend erweist sich auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Rahmen der Digitalisierungsprojekte und eine iterative juristische Begleitung (Rz.10 f.). Der Ausbau der Rechtsgrundlagen erfolgt im Kanton Zürich etappenweise, wobei das Augenmerk insbesondere auf der Revision des Verwaltungsverfahrens sowie der Schaffung von Rechtsgrundlagen für digitale Basisdienste liegt (Rz. 44). Die Vorhaben im Kanton Zürich geben auch Hinweise auf mögliche Ansätze zur Gewährleistung der Barrierefreiheit sowie partizipativer Transformationsprozesse (Rz. 45 f.). Der Abschnitt schliesst mit einem kurzen Zwischenfazit zur Umsetzung digitalisierungsfreundlichen Rechts (Rz. 47).
1. Digitalisierungsstrategie als Kompass für Rechtsetzungsvorhaben
Die Digitalisierung der Verwaltung erfolgt auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene, verbreitet mittels Formulierung von Strategiepapieren.[65] Darin konkretisiert das Gemeinwesen seine Massnahmen zur Erfüllung der Digitalisierung als öffentlichen Auftrag und legt Ziele und Grundsätze für die digitale Transformation fest. Der Impuls für die Formulierung einer Strategie kann aus der Verwaltung selbst kommen oder dieser von der Legislative aufgetragen sein. Die Strategie sollte auch Orientierung über gesetzgeberische Massnahmen und notwendige Revisionsvorhaben schaffen, indem sie auch den rechtlichen Rahmen für eine moderne, technologiegestützte Verwaltung absteckt. Die Strategie sollte dazu beitragen, digitalisierungsfreundliches Recht kohärent und zielgerichtet zu schaffen und umzusetzen.
Im Kanton Zürich hat der Regierungsrat 2018 eine erste Digitalisierungsstrategie festgelegt.[66] Damit wollte er die Grundlagen für eine gezielte und koordinierte Digitalisierung der Verwaltung und ein digitales Leistungsangebot legen. Als Vision sollte die kantonale Verwaltung eine offene, digital vernetzte Organisation werden, die sowohl nach innen als auch nach aussen bedürfnisgerecht, sicher und durchgängig digital agiert.[67] Der Regierungsrat hat diese Strategie jüngst bestätigt.[68]
Der Kanton Zürich setzt mit der Revision des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VRG/ZH)[69], der Überarbeitung von Spezialgesetzen - exemplarisch erwähnt sei die Revision des Baurechts zur Digitalisierung des Baubewilligungsverfahrens[70] - und einem neuen Gesetz über elektronische Basisdienste gezielt auf eine umfassende Digitalisierung der internen und externen Verwaltungsabläufe.
2. Digitalisierungsprojekte rechtlich begleiten
Ein zentraler Aspekt der Digitalisierungsstrategie im Kanton Zürich ist die Etablierung eines medienbruchfreien Verwaltungshandelns. Dies beinhaltet die Standardisierung digitaler Prozesse, um eine durchgängige elektronische Abwicklung von Verwaltungsvorgängen sicherzustellen. Der Kanton Zürich baut die digitalen Dienstleistungen der Verwaltung kontinuierlich aus, wie etwa mit dem zentralen Kundenportal Zürikonto[71] oder der Einführung der sicheren Identität als Pilotkanton des Authentifizierungsdiensts der Schweizer Behörden AGOV[72].
Dabei geht es nicht um die blosse Übertragung analoger Abläufe in den digitalen Raum, sondern um deren grundlegende Neugestaltung im Sinne von Effizienz, Einfachheit und Zugänglichkeit.[73] Damit eine solche Umgestaltung der Verwaltungsorganisation und die durchgängig digitale Kommunikation und Wahrnehmung von Rechten möglich ist, müssen im Kanton Zürich in einer Reihe von aufeinander abgestimmten Revisionsvorhaben die notwendigen Rechtgrundlagen geschaffen werden. Das kantonale Recht soll dahingehend revidiert werden, dass es die digitale Transformation gestaltet und fördert, dabei die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Wirtschaft berücksichtigt und den technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung trägt.[74] In einem zirkulären und oftmals auch agilen Prozess erfolgt die Entwicklung digitaler Applikationen für die Verwaltung im Kanton Zürich Hand in Hand mit der Ausarbeitung passender Rechtsgrundlagen.
3. Etappenweiser Ausbau des digitalisierungsfreundlichen Verwaltungsrechts
Mit Inkrafttreten der VRG-Revision am 1. Januar 2026[75] sind Verwaltungsbehörden verpflichtet, Verfahrenshandlungen mit anderen Verwaltungsbehörden elektronisch vorzunehmen und Akten untereinander elektronisch auszutauschen (verwaltungsinternes digital only). Dies betrifft das nichtstreitige und das streitige Verwaltungsverfahren.[76] In der Kommunikation mit Dritten ist es den Parteien freigestellt, digital mit den Behörden zu kommunizieren (digital first); lediglich ausgewählte Personengruppen sind zur digitalen Verfahrensführung verpflichtet (digital only). Ergänzend dazu soll das Gesetz über die elektronischen Basisdienste (GEB)[77] die Rechtsgrundlagen für Informations- und Kommunikationstechnologien schaffen, die losgelöst von einer einzelnen Verwaltungsaufgabe einen grundlegenden Dienst erbringen. Dazu gehören etwa ein zentraler Zugang zu Online-Diensten oder digitale Identifikationslösungen. Mit diesem etappenweisen Ansatz schafft der Kanton Zürich in verschiedenen Revisionsvorhaben Rechtsgrundlagen für die Digitalisierung seiner Verwaltungsleistungen und Verwaltungsverfahren.
4. Barrierefreiheit und Partizipation
Einer durchgehenden Einführung des digital only gegenüber Dritten stehen auch im Kanton Zürich grundrechtliche Anforderungen entgegen. Denn der Kanton Zürich ist sowohl durch die Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 2 und 4 BV) als auch durch kantonales Recht zur Barrierefreiheit im Zugang zu Dienstleistungen und Verfahren verpflichtet (Art. 11 Abs. 4 KV ZH[78]). Im Rahmen von Digitalisierungsvorhaben bemüht sich der Kanton, diese Verpflichtungen durch Prüfung der Barrierefreiheit bei Konzeption und Betrieb digitaler Angebote umzusetzen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Rechte auf Gleichbehandlung und Teilhabe bei digitalen Angeboten umfassend respektiert und verwirklicht werden. Digitale Angebote werden im Kanton Zürich auch für den Zugang zu Leistungen für Menschen mit Behinderungen eingesetzt. So können Menschen mit Behinderungen finanzielle Leistungen in Umsetzung des kantonalen Selbstbestimmungsgesetzes[79] über den zentralen Einstiegspunkt des Kantons für digitale Angebote (Zürikonto) beantragen und verwalten.[80]
Die Rechtsetzungsprojekte im Kanton Zürich können auch als Beispiel für partizipative Verfahren zur Schaffung digitalisierungsfreundlichen Rechts dienen. So verfolgte die zuständige Abteilung bei der Erarbeitung des Entwurfs für ein Gesetz über elektronische Basisdienste (GEB) einen dialogorientierten Ansatz: Ein umfassendes Stakeholdermanagement mittels Interviews und Workshops sollte ab Beginn des Projekts sicherstellen, dass alle relevanten Akteure in den Rechtsetzungsprozess einbezogen sind, um die praktische Tragfähigkeit des Erlasses zu gewährleisten. Nach Gutheissung des Gesetzesentwurfs durch den Regierungsrat wurde der Dialog mit der Öffentlichkeit im Rahmen des gewöhnlichen Vernehmlassungsverfahrens fortgesetzt. Zusätzlich erfolgte eine kontinuierliche Einbindung der Datenschutzbehörde zur Prüfung des Revisionsvorhabens auf seine Vereinbarkeit mit den datenschutzrechtlichen Vorgaben.
5. Kurzes Zwischenfazit
Der Kanton Zürich zeigt mit dem Gleichschritt umfassender Digitalisierungsvorhaben und etappenweisen Revisionsvorhaben eine mögliche Strategie für die Digitalisierung der Verwaltung und die Schaffung digitalisierungsfreundlicher Rechtsgrundlagen auf. Auf allen föderalen Ebenen der Schweiz - so auch im Kanton Zürich - bleiben indessen mannigfaltige Herausforderungen bestehen. Dies betrifft sowohl die Konsolidierung im Innern der Verwaltungseinheiten als auch die Koordination zwischen den föderalen Ebenen, um die Akzeptanz und Legitimation der digitalen Transformation zu sichern. Für umfassendere Digitalisierungsprojekte ist aufgrund der Grundrechtsbindung öffentlicher Institutionen oftmals ein Rechtsetzungsverfahren unausweichlich. Dies bindet Ressourcen und dauert lange, was angesichts des rasanten technischen Fortschritts die Nerven strapazieren mag. Es zwingt aber auch dazu, die Gestaltung der digitalen Verwaltung an den elementaren Garantien unserer Verfassungsordnung zu orientieren und damit die technischen Errungenschaften konsequent in den Dienst der Menschen als selbstbestimmt handelnde Subjekte zu stellen.
V. Abschied
Digitalisierungsfreundliches Recht soll die digitale Verwaltung ermöglichen und fördern. Ziel ist es, den Staat effizienter, transparenter und partizipativer zu gestalten, ohne dabei rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien zu gefährden. Entsprechende Revisionen bewegen sich in einem komplexen Spannungsfeld zwischen Innovation, Grundrechtsschutz und sozialer Inklusion. Digitalisierungsfreundliches Recht beschränkt sich nicht auf die Abbildung technologischer Entwicklungen, sondern muss die ethischen, gesellschaftlichen und ökologischen Implikationen einer digital agierenden Gesellschaft berücksichtigen und in Prozesse der Organisationsentwicklung eingebettet sein. Solche Revisionsvorhaben erfordern eine enge und agile Zusammenarbeit interdisziplinärer Gruppen, in denen die technische Entwicklung eines Projekts direkt mit organisatorischen und rechtlichen Fragen abgeglichen und allfällig notwendige Revisionsvorhaben im Dialog ausgearbeitet werden. Dies ist anspruchsvoll und erfordert von Juristinnen und Juristen eine entsprechende Ausbildung und Sensibilisierung nicht nur für technische Aspekte der digitalen Transformation, sondern vor allem auch für deren staatsorganisatorische, grundrechtliche und demokratische Implikationen.
«Bisher wurde die Digitalisierung des Rechts an Hochschulen nur wenig behandelt», vermerkte Daniel Hürlimann, erster Professor für Informatikrecht der Schweiz, in einem Interview Anfangs 2022.[81] Er machte dies unter anderem an fehlenden Anreizen fest, sich neben der Vorbereitung auf die Anwaltsprüfung auch noch für digitale Themen zu engagieren. Denn im Bereich der Justiz sei der elektronische Rechtsverkehr zwar seit vielen Jahren möglich, werde aber nur sehr wenig genutzt. «In diesem Bereich wird sich in den kommenden Jahren aber einiges tun», folgerte Daniel abschliessend und verwies auf die allfällige Einführung einer Pflicht, mit der Justiz digital zu kommunizieren.
Daniels Prognose sollte sich bewahrheiten: Seit dem zitierten Interview «tat sich einiges»: Die Digitalisierung der Gesellschaft schreitet rasant voran. Der Druck auf die Verwaltungen steigt, ihre digitale Transformation voranzutreiben. Gerade auch neue KI-Systeme und Fortschritte im Cloud-Computing lassen die Erwartungen an Umfang und Geschwindigkeit der Digitalisierung der Verwaltungen ins Unermessliche steigen. Gleichzeitig unterstreicht die geopolitische Situation die Bedeutung grund- und datenschutzrechtlicher Vorgaben und macht den Wert digitaler Souveränität für öffentliche Institutionen augenscheinlich. Fragen der Digitalisierung kommt mittlerweile auch im Unterricht an Rechtsfakultäten und in Aus- und Weiterbildungen der Anwaltspraxis grosse Aufmerksamkeit zu. Sowohl die Studierenden als auch die Anwaltschaft müssen sich darauf vorbereiten, in absehbarer Zeit digital mit Behörden und Gerichten kommunizieren zu müssen und Sachverhalte mit Bezügen zur digitalen Lebenswelt fachgerecht vor Gericht bestreiten zu können.
Daniel hat dieses jüngste Kapitel in der Geschichte der digitalen Transformation des Rechts - einer Geschichte, die er mit seiner Lehre und Forschung mitgestaltet hat - aufgrund seines viel zu frühen Todes nicht mehr miterlebt. Beim Schreiben dieser abschliessenden Zeilen frage ich mich, was Daniel zur gegenwärtig rasanten Entwicklung der Digitalisierung und zur Konzeption eines digitalisierungsfreundlichen Rechts gesagt hätte. Bestimmt hätte er ein paar unbequeme, dafür umso berechtigtere Fragen gestellt.