Claudia Y. Roth / Lorenz Raess *
Obwohl die meisten Rechtsgeschäfte formfrei abgeschlossen werden
können, verlangt das Gesellschaftsrecht in zahlreichen Fällen die
Einhaltung von besonderen Formvorschriften wie beispielsweise die
Schriftlichkeit. Im Zuge der Digitalisierung stellen sich hierbei
praktische Fragen zur Unterschrift auf einem Touchscreen sowie zum
Gebrauch der weiterhin wenig verbreiteten qualifizierten elektronischen
Unterschrift (QES). Der vorliegende Beitrag zeigt diesbezüglich
aktuelle Entwicklungen auf und bespricht dabei ein Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug, wobei sich soweit ersichtlich ein
Schweizer Gericht das erste Mal zur obenerwähnten Thematik geäussert
hat.
Zitiervorschlag:
Claudia Y. Roth / Lorenz Raess, Touchscreen-Unterschrift und
qualifizierte elektronische Signaturen (QES) via DocuSign im
Gesellschaftsrecht, sui generis 2024, S. 219
Der vorliegende Beitrag befasst sich deshalb mit praktischen Fragen rund um
digitale Unterschriften. Dabei wird zunächst auf die
Touchscreen-Unterschrift (nachfolgend als TS-Unterschrift
bezeichnet) mit besonderem Augenmerk auf das rechtskräftige Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 eingegangen (Rz. 4 ff.). Im Weiteren werden aktuelle
Entwicklungen zur QES (Rz. 29 ff.) aufgegriffen, worauf auf sonstige
Entwicklungen zu digitalen Unterschriften eingegangen wird (Rz. 39 ff.). Der
Beitrag fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen und wagt einen Ausblick
(Rz. 51 ff.).
II. Touchscreen-Unterschrift
1. Lehre
In der Lehre scheint Einigkeit zu herrschen, dass eine TS-Unterschrift die
Gültigkeitsvorschriften nach
Art. 14 Abs. 1 OR
erfüllen kann, sofern der Touchscreen eine genügend hohe Auflösung aufweist
und die Druckfestigkeit erfasst wird, was bspw. bei einem iPad nur dann der
Fall ist, wenn ein spezieller Eingabestift eingesetzt
wird.[21]
Wicki-Birchler/Dobec argumentieren in diesem Zusammenhang, dass allein die
Tatsache, dass ein Tablet-Pen und kein Kugelschreiber verwendet wird, nicht
dazu führen darf, dass der Unterschrift die Eigenhändigkeit abgesprochen
wird.[22]
Schwenzer/Fountoulakis ergänzen, dass eine Unterschrift auf einem
elektronischen Datenträger nunmehr gültig sei, da Bedenken hinsichtlich
Manipulierbarkeit von solchen Datenträgern und der Feststellung der
Identität der unterzeichnenden Person heutzutage nicht mehr gelten würden.[23]
Selbst wenn man die TS-Unterschrift als mit
Art. 14 Abs. 1 OR
konform bejaht, bleibt ihre tatsächliche Relevanz fraglich. Zwar hat es
sich in der Praxis etabliert, dass Unterschriften eigenhändig auf
elektronischen Datenträgern erfolgen. Wer bereits einmal ein Paket der
Schweizerischen Post entgegengenommen hat, hat die Zustellung mittels Stift
oder Finger auf einem Bildschirm/Tablet bestätigt.[24]
Allerdings sind Annahmequittungen formlos gültig, sodass die TS-Unterschrift
hier sowieso nur der Beweisbarkeit und nicht der Gültigkeit dient. Vor allem
aber wird die TS-Unterschrift in der gesellschaftsrechtlichen Praxis kaum
angewandt. Nach Erfahrung der Autoren wird nämlich bei der Unterzeichnung
via DocuSign meist bloss per Maus-Klick bestätigt, dass man unterzeichnen
möchte, obwohl man theoretisch auch die Möglichkeit hätte, das
Unterschriftenbild anzupassen, d.h. (i) die Schriftart zu ändern, (ii) die
Unterschrift mit der Maus/mittels Finger nachzuzeichnen oder eben (iii) via
Touchscreen zu unterzeichnen. Hinzu kommt, dass nur eine Minderheit via
Tablet, wo die Unterzeichnung mittels Tablet-Pen überhaupt möglich wäre,
unterzeichnet.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in der Lehre wohl treffende
Argumente aufgeworfen werden, eine TS-Unterschrift der eigenhändigen
Unterschrift nach Art. 14 Abs. 1 OR
gleichzustellen. Eine höchstrichterliche Klärung hierzu fehlt jedoch bisher
und wäre wünschenswert. Wie nachfolgend (Rz. 7 ff.) gezeigt wird, hat das
Obergericht des Kantons Zug die Thematik von TS-Unterschriften im Verfahren
Z2 2023 67 und Urteil vom 14.
Dezember 2023 nur angeschnitten und bloss am Rand Stellung bezogen.
2. Rechtsprechung
a) Sachverhalt
Hauptgegenstand des Verfahrens vor dem Obergericht Zug bildet die Frage, ob
Namenaktien an der A AG
rechtsgültig vom Nebenintervenienten und Berufungsbeklagten 2 («Verkäufer»)
an den Gesuchsteller und Berufungskläger («Käufer») übertragen
wurden.[25]
Die A AG wurde 2020 gegründet. Die fragliche Aktienabtretung fand am 12.
Februar 2021 statt, als der Käufer 5 Mio. unverbriefte Namenaktien mit
einem Nominalwert von je CHF 0.01 der AG vom Verkäufer erwarb («Aktienabtretung»).
Da die A AG in der Folge aus unerklärlichen Gründen über keinen
Verwaltungsrat mehr verfügte, lud die Revisionsstelle der A AG zur
ordentlichen Generalversammlung der A AG am 28. März 2023 ein, wobei u.a.
die Wahl des Verwaltungsrats traktandiert wurde.[26]
In der Zwischenzeit machte der Verkäufer beim Kantonsgericht Zug ein
Verfahren betreffend Organisationsmangel anhängig, worauf am 14. März 2023
für die Dauer von sechs Monaten ein Sachwalter eingesetzt wurde.
Mit Eingabe vom 23. März 2023 ersuchte der Käufer beim Kantonsgericht Zug
um superprovisorischen Erlass vorsorglicher Massnahmen, um den Organen der
A AG die Durchführung einer Generalversammlung am 28. März 2023 zu
verbieten und eine diesbezügliche Handelsregistersperre anzuordnen.[27]
Der Käufer macht geltend, dass die Einladung zur Generalversammlung nicht
rechtskonform sei, da ihn die A AG entgegen den Angaben im Aktienbuch
aufgrund der angeblich ungültigen Aktienübertragung nicht mehr als Aktionär
anerkannt und folglich nicht eingeladen habe.[28]
Mit Entscheid vom 24. März 2023 ordnete das Kantonsgericht Zug die
Handelsregistersperre an und wies das Gesuch um Verbot der Durchführung der
Generalversammlung ab, die schliesslich am 28. März 2023 stattfand.
Ebenfalls mit Eingabe vom 23. März 2023 reichte der Verkäufer eine
Schutzschrift beim Kantonsgericht Zug ein und beantragte, als
Nebenintervenient auf Seiten der A AG zugelassen zu werden. Am 6. April
2023 stellte der Verkäufer zudem den Antrag, die am 24. März 2023 verfügten
vorsorglichen Massnahmen seien aufzuheben. Im Wesentlichen machte er
geltend, als Mehrheitsaktionär der A AG sei er als Nebenintervenient am
Verfahren zuzulassen. Daneben mangle es dem Käufer an der
Aktivlegitimation, da die Aktien aufgrund der fehlenden schriftlichen
Aktienabtretung nie rechtsgültig vom Verkäufer an den Käufer übertragen
worden seien. Dieser Formmangel könne weder durch Eintragung im Aktienbuch
noch durch Protokolle der Generalversammlung geheilt werden.[29]
In der Folge reichten die Parteien diverse Anträge ein, bevor am 13.
September 2023 das Kantonsgericht Zug die Handelsregistersperre aufhob.
Einen Tag später stellte der Käufer beim Obergericht Zug ein Gesuch um
Gewährung der aufschiebenden Wirkung, wonach die Handelsregistersperre
aufrechtzuerhalten sei. Gleichentags verfügte das Obergericht Zug
einstweilen die aufschiebende Wirkung und die Handelsregistersperre wurde
aufrechterhalten.[30]
Am 25. September 2023 reichte der Käufer schliesslich Berufung an das
Obergericht Zug ein. Mit Urteil vom 14. Dezember 2023 wurde diese
vollumfänglich abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde, und der
Entscheid des Kantonsgerichts Zug vom 13. September 2023 wurde bestätigt
und die Handelsregistersperre aufgehoben.[31]
Der Entscheid ist rechtskräftig.
b) Erwägungen
Die folgenden Ausführungen behandeln ausschliesslich das Thema der
Aktienübertragung. Explizit nicht näher betrachtet werden (i) die Zulassung
des Verkäufers als streitgenössischer Nebenintervenient am Verfahren, (ii)
ob aufgrund anderweitiger Dokumentation (d.h. mittels diverser
Generalversammlungsprotokolle) eine gültige Abtretung von Aktien vorliege
und (iii) ob die Berufung des Verkäufers auf Formungültigkeit der
Aktienübertragung rechtsmissbräuchlich war (i.c. verneint).[32]
aa) Übertragung nicht verbriefter Namenaktien im Allgemeinen
Das Obergericht Zug erinnert zunächst daran, dass die Übertragung
unverbriefter, d.h. nicht als Aktienzertifikate ausgegebener Wertpapiere,
grundsätzlich mittels Abtretung zu erfolgen hat, die zur Gültigkeit der
schriftlichen Form bedürfe.[33]
Dabei müssten sämtliche Merkmale (d.h. insbesondere die Parteien, Höhe der
Forderung, klarer Wille des Abtretenden zur Abtretung sowie deren Zeitpunkt)
von der Schriftform erfasst sein, damit die abgetretene Forderung für Dritte
hinreichend individualisierbar sei. Gehe die Abtretung nicht klar aus einer
Erklärung hervor, könne die Abtretung auch aus einem anderen Schriftstück
wie bspw. einem Generalversammlungsprotokoll hervorgehen, sofern der
Übertragungswille des Abtretenden zumindest implizit daraus hervorgehe.[34]
Sei für einen Vertrag die schriftliche Form vorgesehen, müsse dieser nach
Art. 14 Abs. 1 OR
eigenhändig unterschrieben sein, wobei die mit einem qualifizierten
Zeitstempel verbundene QES nach
Art. 14 Abs. 2bis OR
der eigenhändigen Unterschrift gleichgestellt sei.
bb) Im konkreten Fall
Die Vorinstanz hatte die Rechtsgültigkeit einer Abtretungserklärung mittels
DocuSign auf der ganzen Linie verneint.[35]
Eine solche Unterschrift, sei es durch Einfügen der Unterschrift durch einen
Scan oder durch Unterzeichnen via Touchscreen, erfülle nicht die
Anforderungen an eine QES nach
Art. 14 Abs. 2bis OR. Ferner handle es sich auch nicht um eine Nachbildung der eigenhändigen
Schrift auf mechanischem Wege nach
Art. 14 Abs. 2 OR
(sog. Faksimile-Unterschrift). Eine solche werde nur anerkannt, wenn deren
Gebrauch im Verkehr üblich sei, was hier nicht zutreffe. Die herrschende
Lehre schliesse aus, dass eine DocuSign-Unterschrift gar eine solche nach
Art. 14 Abs. 1 OR sei. Im Ergebnis
sei die Aktienabtretung nichtig i.S.v.
Art. 20 OR. Auch die übrigen Dokumente, u.a. das Aktienbuch, der
Aktionärsbindungsvertrag sowie eine Vergleichsvereinbarung, könnten diesen
Mangel nicht heilen, da auch diese ausschliesslich mit DocuSign
unterzeichnet worden seien. Im Übrigen seien zwar die
Generalversammlungsprotokolle der A AG von 2021 schriftlich unterzeichnet,
jedoch gehe daraus die Aktienübertragung nicht genügend bestimmbar hervor.
Das Obergericht Zug schliesst sich im Wesentlichen den Äusserungen der
Vorinstanz an, mit einem wichtigen Unterschied: Zwar wird festgestellt,
dass auf das Argument, dass die Unterschrift direkt und eigenhändig in der
im PDF-Format geöffneten Zessionserklärung angebracht worden sei, aufgrund
des eingeschränkten Novenrechts gar nicht eingegangen werden könne.[36]
Die Rechtsfrage, ob also eine eigenhändige Unterschrift mittels «Tablet-Pen»
auf einem «Touchscreen-Bildschirm» oder einem «Trackpad» als i.S.v.
Art. 14 Abs. 1 OR
abgegeben gilt, müsse daher nicht geklärt werden.[37]
Jedoch erwähnt das Obergericht Zug sogleich die Lehrmeinung, wonach
TS-Unterschriften der eigenhändigen Unterschrift nach
Art. 14 Abs. 1 OR
nur gleichkommen, wenn eine genügend hohe Auflösung sowie ein Aufzeichnen
der Intensität des Schreibdrucks sichergestellt werden kann.[38]
Das Obergericht schliesst also nicht a priori aus, dass eine
eigenhändige TS-Unterschrift dem Schriftformerfordernis nach
Art. 14 Abs. 1 OR
genügen könnte. Vielmehr bemängelt es, dass der Gesuchsteller sich nicht
mit den diesbezüglichen Argumenten (d.h. mit der Qualität der Auflösung
sowie dem Aufzeichnen der Intensität des Schreibdrucks) auseinandergesetzt
habe und deshalb die Frage nicht geklärt werden müsse.[39]
Klar verneint hat das Obergericht Zug schliesslich, dass die Nachbildung
der Unterschrift mittels Scans dem Schriftformerfordernis genüge.[40]
Ansonsten könnten natürliche Personen, um das Schriftformerfordernis zu
erfüllen, ihre Unterschrift einscannen, beliebigen Dokumenten anhängen und
diese als PDF-Dokument versenden. Damit würde jedoch die Anforderung, dass
nur eine QES dem Schriftformerfordernis genüge, hinfällig werden.
c) Würdigung und Fazit
Bezüglich TS-Unterschrift hat das Obergericht Zug wie erwähnt durchblicken
lassen, dass es zumindest möglich wäre, eine solche Unterschrift der
eigenständigen Unterschrift gleichzustellen, falls eine genügende Auflösung
und der Schreibdruck nachgewiesen werden. Diese Offenheit ist zu begrüssen.
Wie jedoch bereits zuvor unter der Übersicht zur diesbezüglichen
überwiegenden Lehrmeinung festgehalten (vgl. oben Rz. 4 ff.), bliebe die
Relevanz der Gleichstellung einer TS-Unterschrift mit der eigenhändigen
Unterschrift nach
Art. 14 Abs. 1 OR
gering.
Im Übrigen erwähnt das Obergericht Zug nur kurz, dass eine eingescannte,
nicht via Touchscreen oder Trackpad eingefügte Faksimile-Unterschrift dem
Schriftformerfordernis nicht genüge.[41]
Ein Grossteil der Lehre stellt sich dabei auf den Standpunkt, dass eine
eingescannte Unterschrift nicht als handschriftlich i.S.v.
Art. 14 Abs. 1 OR
gelte, sondern als Faksimile-Unterschrift i.S.v.
Art. 14 Abs. 2 OR
zu verstehen sei.[42]
Dies ist eine mechanisch nachgebildete Unterschrift mittels Stempel,
Drucker, Fotokopie oder Scan, welche eine Ausnahme zur eigenhändigen
Unterschrift darstellt. Eine solche Unterschrift ist nur gleichwertig zur
eigenhändigen Unterschrift, wenn die Faksimile-Unterschrift verkehrsüblich
ist. Ob dies zutrifft, ergibt sich üblicherweise aus dem Gesetz[43]
oder muss durch ein Gericht bestätigt werden.[44]
Im Zweifel ist die Verkehrsüblichkeit deshalb tendenziell zu verneinen.
Schwenzer/Fountoulakis weisen darauf hin, dass eine Unterschrift per
Telefax auch als handschriftlich angesehen werde, und somit eine
eingescannte Unterschrift, die auf einem Dokument angebracht und
anschliessend per E-Mail verschickt werde, ebenfalls schriftlich im Sinne
von Art. 13 bzw.
14 Abs. 1 OR
erfolge.[45]
Zudem könne oftmals kaum unterschieden werden, ob ein Scan eines Dokuments
vorliege, bei dem die Unterschrift mitgescannt, oder bei dem eine separat
eingescannte Unterschrift nachträglich per «drag and drop» eingefügt worden
sei.[46]
Selbst wer versucht ist, dieser Argumentation zu folgen, wird im Einklang
mit dem Obergericht Zug nicht abstreiten können, dass dies gerade eine
Umgehung einer QES nach
Art. 14 Abs. 2bis OR
darstellt, was nota bene auch Schwenzer/Fountoulakis selber im
Grundsatz einräumen.[47]
Würde nämlich der vorgenannten Argumentation gefolgt, so wäre die QES
schlichtweg hinfällig, was gerade Sinn und Zweck von
Art. 14 Abs. 2bis OR
widerspräche. Eine eingescannte Unterschrift i.S.v.
Art. 14 Abs. 2 OR
wird deshalb nur in vereinzelten Fällen, sprich wenn die Verkehrsüblichkeit
bejaht werden kann, der handschriftlichen Unterschrift nach
Art. 14 Abs. 1 OR
gleichgestellt.
Zusammenfassend gibt das Urteil des Obergericht Zug rein rechtlich gesehen
wenig Anlass zur Kritik.
d) Ausblick
Im Zusammenhang mit öffentlichen Urkunden soll in naher Zukunft ein rein
elektronischer Prozess ermöglicht werden. Am 21. Juni 2023 wurde das
Bundesgesetz über die Digitalisierung im Notariat («DNG»)[48]
verabschiedet. Aufgrund mangelnder Durchsetzung der QES in der breiten
Öffentlichkeit sei nach dem Bundesrat hinsichtlich der Digitalisierung im
Notariat auf praxisgerechte Alternativen
zurückzugreifen:[49]
Nach Art. 6 Abs. 2 DNG haben die
Beteiligten die Möglichkeit, auf Tablet-Computern zu unterzeichnen, sofern
diese die erforderlichen Mindestkriterien erfüllen. Das Gerät muss in der
Lage sein, alle Merkmale einer Unterschrift wie Schreibgeschwindigkeit,
Stiftwinkel, Druckausübung und möglicherweise weitere biometrische Daten zu
erfassen, die als Sekundärdaten in dem unterzeichneten elektronischen
Dokument gespeichert werden.[50]
Die technischen Anforderungen für solche Geräte und die zulässigen Methoden
für die Bestätigung der Parteien sind vom Bundesrat noch zu bestimmen.[51]
Auch hier ist es wie bei der Erlangung einer QES (dazu unten Rz. 29 ff.)
von grosser Bedeutung, dass die technischen Anforderungen nicht zu hoch sein
dürfen. Müller schlägt deshalb vor, dass es ausreichen sollte, wenn eine
Person auf die gleiche Weise unterschreiben kann, wie sie es heute mit
einem Stift für Grafiktablets der aktuellen Generation kann.[52]
Ein weiteres zentrales Thema bei der digitalen Beglaubigung wird die
Identifizierung der Beteiligten sein. Bereits heute ist es beispielsweise
kantonal unterschiedlich, ob für die Beglaubigung einer Unterschrift die
jeweilige Person vor der Notarin anwesend sein muss, oder ob eine
«Fernbeglaubigung», bspw. via Videotelefonie (MS Teams/Zoom) möglich ist.[53]
Die vorgesehene Einführung der «E-ID» könnte in dieser Hinsicht
Erleichterungen mit sich bringen (s. unten Rz. 47). Die Möglichkeit einer
rein elektronisch durchgeführten öffentlichen Beurkundung könnte vor allem
bei zu beglaubigenden virtuellen Generalversammlungen von Bedeutung sein,
da so bspw. rein digitale Gründungen, Statutenänderungen oder
Kapitalerhöhungen denkbar wären.
Die Referendumsfrist des DNG lief am 5. Oktober 2023 unbenutzt ab. Folglich
hat der Bundesrat über die Ausführungsbestimmungen zum Gesetz und das Datum
des Inkrafttretens zu bestimmen.[54]
Bislang wurde noch kein Datum für das Inkrafttreten bekannt gegeben, laut
dem Bundesamt für Justiz ist jedoch nicht vor dem 1. Januar 2027 damit zu
rechnen.
3. Stellungnahme
Der Lehrmeinung, wonach eine TS-Unterschrift dem Schriftformerfordernis
nach Art. 14 Abs. 1 OR bei Nachweis
einer genügenden Auflösung und Erfassung der Druckfestigkeit nachkommt,
kann zwar zugestimmt werden. Wie gezeigt, bilden TS-Unterschriften
heutzutage - abgesehen vom erwähnten Fall der Empfangsbestätigung bei der
Post[55]
- weiterhin die Ausnahme und haben wenig Praxisrelevanz. Diese Lehrmeinung
wird auch im zitierten Urteil des Obergerichts Zug wiederholt, weshalb das
Urteil rechtlich gesehen wenig Anlass zur Kritik bietet.
Unbefriedigend ist aber weiterhin die geringe Anwendung der QES in der
Schweiz, welche die oben erwähnten Problemfelder rund um TS- und
Faksimile-Unterschriften beseitigen könnte. Fakt ist jedoch, dass die QES
bis heute nur spärlich benutzt wird.[56]
Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden auf diesbezüglich aktuelle
Entwicklungen eingegangen.
III. Qualifizierte elektronische Unterschrift
1. Studien zu QES
Im Jahr 2017 - rund zwölf Jahre nach der Einführung der QES[57]
- hiess der Bundesrat den «Bericht über die zentralen Rahmenbedingungen für
die digitale Wirtschaft»[58]
gut und beauftragte das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung
und Forschung (WBF) gestützt auf Umfragen, den Revisionsbedarf bestehender
wirtschaftspolitisch relevanter Gesetze im Hinblick auf die
Digitalisierungsthematik zu untersuchen.
Im Jahr 2018 wurde basierend auf den Umfragen der Bericht «Digitaler Test»
veröffentlicht.[59]
Darin wurde unter anderem festgehalten, dass eine Mehrheit die
Formvorschriften für bestimmte digitale Geschäftsmodelle als Hindernis
ansehe. Die QES habe sich in der Praxis nicht durchgesetzt und damit
erschwere sie einen rein digitalen Prozessablauf. Daher bestehe ein
Bedürfnis, bestehende Formvorschriften zu überprüfen und eventuell eine
moderne Alternative zu suchen.[60]
Schliesslich wurde festgestellt, dass mehr als 1'700 gesetzliche
Bestimmungen in 390 Rechtserlassen existieren, welche eine Schriftform
verlangen. Da die Mehrheit der gesetzlichen Bestimmungen mit
Formvorschriften das öffentliche Recht betreffen, wurde der Bericht auf
dieses Rechtsgebiet beschränkt.[61]
Nichtsdestotrotz wurde im Bericht «Digitaler Test» weiterhin festgestellt,
dass die QES sich im alltägigen Geschäftsverkehr nicht durchgesetzt habe.[62]
Begründet wurde dies damit, dass auf der Seite des Nutzers für die QES ein
Aufwand für die Erstidentifikation bestehe, welcher oftmals überschätzt und
deswegen gescheut werde.[63]
Weiter bestehe auf der Seite des Herausgebers ein organisatorischer und
technischer Initialaufwand und in der Schweiz herrsche eine freiwillige
elektronische Abwicklung von Behördengeschäften, was zur Folge habe, dass
eine Verbreitung der QES im Vergleich zum Ausland gehemmt resp. verlangsamt
werde.[64]
Hinsichtlich dieser Problematik wurden gemäss der Botschaft zur E-ID
Anpassungen des ZertES vorgeschlagen (vgl. unten Rz. 48 f.).
Basierend auf den Bericht «Digitaler Test» wurde 2022 ein weiterer Bericht
zur Überprüfung der Formvorschriften im öffentlichen Recht
verfasst.[65]
Darin wurde unter anderem festgehalten, dass eine allgemeine und
gesetzesübergreifende Rechtsänderung wie das Ersetzen sämtlicher
Formvorschriften durch eine neue Textform nicht als zielführend angeschaut
wird.[66]
2. QES im grenzüberschreitenden Verkehr
Gerade im internationalen Geschäftsverkehr wäre die QES ausgesprochen
interessant. Durch rein elektronische Geschäftsprozesse könnten viel Zeit,
Aufwand und Kosten eingespart werden, anstatt mit Originaldokumenten zu
hantieren. Die EU[67]
kennt ähnliche technische und juristische Anforderungen an die QES wie die
Schweiz, dennoch gibt es bis zum heutigen Zeitpunkt kein Abkommen, in dem
elektronische Unterschriften gegenseitig anerkannt werden.[68]
Zwar sieht die ZertES[69]
vor, dass auch ausländische Anbieterinnen von der zuständigen
schweizerischen Anerkennungsstelle anerkannt werden, soweit ersichtlich ist
dies jedoch noch nicht geschehen.[70]
Exemplarisch zu grenzüberschreitenden Schwierigkeiten bei digitalen
Unterschriften ist der Fall Stadler aus dem Jahr 2021 erwähnenswert, bei
dem in Österreich ein Angebot mittels einer QES nach CH-Standard
eingereicht wurde.[71]
Das Angebot wurde später vom zuständigen Gericht als nichtig befunden, da
die CH-QES in Österreich nicht gültig ist.[72]
Entsprechend ist es bis dato nicht möglich, internationale Rechtsgeschäfte
mit einer einzigen allgemein anerkannten QES abzuwickeln.[73]
Vielmehr wird man in der Praxis prüfen müssen, unter welchem Recht ein
Dokument gültig zu unterzeichnen ist, bevor man die jeweils gültige QES
wählt.[74]
Eine Erleichterung ist diesbezüglich, dass man bspw. bei DocuSign, wenn man
die QES nach Schweizer Recht erlangt hat, auch über eine gültige EU-QES
verfügt. Alternativ regeln die Parteien die Zulässigkeit von digitalen
Unterschriften insofern, als dass sie vereinbaren, dass sie die in den
jeweiligen Ländern zugelassenen digitalen Unterschriften als gleichwertig
und zulässig erachten. Zudem verzichten sie auf die Einrede der
Ungültigkeit der verwendeten digitalen Unterschriften, sofern die jeweilige
digitale Unterschrift bspw. mit DocuSign oder mit einer anderen im
jeweiligen Land gültigen digitalen Unterschrift unterzeichnet wurde. Diese
Regelung funktioniert selbstredend nur unter Privaten und wird von Behörden
im Falle einer Missachtung eines Formerfordernisses mit grösster
Wahrscheinlichkeit nicht geschützt werden.
3. 2021: QES im Handelsregisterrecht
Per 1. Januar 2021 wurde die Handelsregisterverordnung modernisiert. Unter
anderem wurden elektronische Eingaben an das Handelsregisteramt ermöglicht,
sofern diese mit einer QES versehen sind.[75]
Dementsprechend ist eine gesetzliche Grundlage vorhanden, die einen rein
elektronischen Prozess für Handelsregistereingaben ermöglichen würde.
Mittlerweile haben einige Kantone bereits Plattformen entwickelt, welche den
rein digitalen Prozess möglich machen sollen.[76]
Nichtsdestotrotz stellt sich wiederum die Frage nach dem Aufwand der
Erlangung der QES. Es darf davon ausgegangen werden, dass viele Anwälte
über eine QES verfügen, nicht jedoch die Personen, welche Anmeldungen und
Belege an das Handelsregister unterzeichnen müssen. Allenfalls wäre jedoch
eine Umgehung mittels Vollmacht möglich, laut Handelsregisterverordnung
kann nämlich eine bevollmächtigte Drittperson die Anmeldung unterzeichnen.[77]
Mit dieser Neuheit soll die Anmeldung durch Anwälte und Notare namens der
Klientschaft vereinfacht werden.[78]
Die Vollmacht stellt keinen Beleg i.S.v.
Art. 20 HRegV
dar und muss deshalb nicht im Original oder als beglaubigte Kopie
eingereicht werden; eine einfache Kopie reicht.[79]
Dies betrifft jedoch lediglich die Anmeldung und nicht die Belege selbst,
welche als Original eingereicht werden müssen, weshalb der Umweg über die
genannte Vollmacht nur bedingt hilft.
4. Stellungnahme
Obwohl es mittlerweile eine Vielzahl von Anbietern[80]
elektronischer Unterschriften gibt, hat sich die QES bisher nicht
durchgesetzt und die oben genannten Rechtsgeschäfte werden weiterhin
mehrheitlich handschriftlich abgeschlossen.[81]
Nach Ansicht der Autorenschaft liegt das Hauptproblem nicht per se an der
QES, welche grundsätzlich ein zuverlässigeres Instrument als die
handschriftliche Unterschrift wäre, sondern deren spärlicher Verbreitung.
Eine QES ist nämlich mittlerweile vergleichbar einfach zu erlangen, d.h.
die Einmal-Identifikation kann auch via Web-Applikation erfolgen und ein
Besuch vor Ort bei einem der Anbieter ist nicht mehr nötig.[82]
Zudem kann ein Dokument, welches mit einer QES unterzeichnet wird, im
Nachgang jederzeit via Validator.ch[83]
verifiziert werden, weshalb eine QES im Vergleich zu einer eigenhändigen
Unterschrift als manipulationssicherer gilt. Das «Hauptproblem» liegt wohl
daran, dass (glücklicherweise) die meisten Verträge aufgrund der
Formfreiheit, wenn rein elektronisch abgeschlossen, gar keiner QES bedürfen
und somit in der breiten Öffentlichkeit keine Notwendigkeit herrscht, eine
QES zu erlangen. Nichtsdestotrotz ist zu hoffen, dass Wirtschaftsakteure,
gerade im Gesellschaftsrecht, mehr und mehr über eine QES verfügen, um
Prozesse im Gesellschaftsrecht, wie einleitend[84]
beschrieben, zu vereinfachen bzw. zu beschleunigen.
IV. Sonstige Entwicklungen zu digitalen Unterschriften
Nebst Ausführungen zur TS-Unterschrift und der QES werden nachstehend
einige allgemeine Entwicklungen zu digitalen Unterschriften dargestellt,
welche Grund zur Hoffnung geben, dass digitales Signieren von
formbedürftigen Rechtsgeschäften zukünftig vereinfacht werden könnte.
1. 2021: Gutachten Eggen zur Modernisierung der Formerfordernisse
im Zessionsrecht
Ausgehend von den Ergebnissen des «digitalen Tests» (vgl. oben Rz. 29 ff.)
und den neusten Entwicklungen im Bereich Blockchain und Distributed
Ledger-Technologie (DLT) im Finanzsektor, hat der Bundesrat das EJPD
beauftragt, das Schriftformerfordernis bei Zessionen
(Art. 165 Abs. 1 OR) zu überprüfen.
Im Rahmen ihres Gutachtens spricht Prof. Mirjam Eggen einleitend davon,
dass das genannte Schriftformerfordernis «eines der meistgenannten
möglichen Formhindernisse im Zivilrecht» sei.[85]
Sie führt weiter an, dass die QES zwar in der Praxis die eigenhändige
Unterschrift zu ersetzen vermöge, sich jedoch laut Interviews in der Praxis
nicht durchgesetzt habe.[86]
Das Hauptproblem der QES liege - einmal mehr betont - in der fehlenden
Akzeptanz und somit Durchsetzung in der Praxis.[87]
Finanzinstitute fügen an, dass ihre Kundschaft nicht über eine QES verfüge
und auch deren Erwerb für sie nicht in Frage komme.[88]
Eine Anpassung des Schriftformerfordernisses sei auch gemäss einer Vielzahl
der Befragten wünschenswert, wobei unterschiedliche Lösungsvorschläge
unterbreitet worden seien, namentlich die Beseitigung der Voraussetzung der
eigenhändigen Unterschrift.[89]
Eggen zeigt in ihrem Gutachten mehrere Lösungsvarianten auf, wie das
Schriftformerfordernis bei Zessionen geändert werden könnte. Eine erste
mögliche Variante wäre, ein Register mit Forderungen zu führen, bei dem
eine Übertragung registriert werden muss.[90]
Die im Register eingetragenen Forderungen hätten in diesem Falle eine
wertpapierähnliche Beschaffenheit und die Registrierung allein würde als
Formerfordernis genügen. Allerdings stellt sich die Frage, ob die
Eröffnung eines Registers nicht ebenso aufwendig ist wie die bisherige
Handhabung, weshalb diese Variante von der Autorin verworfen wird.[91]
Die zweite Variante bestünde darin, die Anforderungen für eine QES zu
überarbeiten, zum Beispiel indem die Voraussetzungen für die Ausstellung
des QES-Zertifikats geringer angesetzt werden oder ein tieferer
ZertES-Signaturstandard festgelegt wird.[92]
Eggen lässt eine genauere Ausführung der technischen Details und der
Ausgestaltung dieser weniger hohen Anforderungen in ihrem Gutachten offen,
spricht sich aber ablehnend gegenüber der praktischen Durchsetzung dieser
Variante aus.[93]
Die dritte Variante bestünde in einem digitalen Authentizitäts- und
Integritätsnachweis (nachfolgend der «Digitale Nachweis» genannt).[94]
Notwendig sei nebst diesem Nachweis die Erfüllung der Kriterien der
Dauerhaftigkeit und der Lesbarkeit der Unterschrift.[95]
Der Vorteil dieser Variante liegt laut Eggen darin, dass den Parteien
hierbei nicht ein übermässig hoher Aufwand zukomme, weshalb es sich um eine
praxistaugliche Alternative handle.[96]
Zudem könne die konkrete Umsetzung frei gestaltet werden. Allerdings weise
diese Variante die Gefahr der Fälschung von Nachweisen auf, was jedoch auch
bei der eigenhändigen Unterschrift nicht ausgeschlossen werden könne und
den entsprechenden Strafbestimmungen unterliege.[97]
Anknüpfend an die dritte Variante schlägt Eggen schliesslich eine Änderung
von Art. 165 Abs. 1 OR vor. Konkret
solle eine Abtretung schriftlich «oder in einer anderen Textform
erfolgen, die den Nachweis über die Authentizität und die Integrität des
Textes ermöglicht».[98]
Die «andere Textform» spielt hier auf den Digitalen Nachweis an, welcher
als Alternative zur einfachen Schriftlichkeit fungieren soll.[99]
Ein ähnlicher Wortlaut besteht bereits heute bei den Formvorschriften zu
Gerichtsstands-[100]
oder Schiedsvereinbarungen[101]. Die Parteien können somit wählen,
ob sie bei der bisherigen einfachen Schriftlichkeit nach
Art. 14 Abs. 1
oder Abs. 2bis OR
bleiben, oder eigenständig wählen, welche Hilfsmittel sie beziehen möchten,
um die Anforderungen an die Authentizität bzw. Integrität zu wahren.[102]
Insbesondere bei Nachweis der Authentizität spricht Eggen hier auf die
Einführung einer E-ID an (dazu sogleich). Bezüglich der Integrität des
Textes, d.h. dass die fragliche Erklärung nachträglich nicht abgeändert
wurde, solle eine fortgeschrittene elektronische Signatur (FES) genügen,
wobei auch Fälle vorstellbar sind, wo auf eine FES verzichtet werden könne.[103]
2. 2023: Bundesgesetz
über elektronische Identifizierungsdienste «E-ID»
Obschon im März 2021 das Bundesgesetz über elektronische
Identifizierungsdienste («E-ID») vom Volk abgelehnt
wurde[104],
war unbestritten, dass die Notwendigkeit einer E-ID besteht. Der Zweck
dieses Bundesgesetzes ist die Förderung der Sicherheit im Geschäftsverkehr
unter Privaten, Unternehmen und Behörden. Mittels elektronischer Identität
soll die korrekte und sichere Ausweisung im digitalen Bereich möglich sein.
Auf dem Wege von Motionen, bis hin zur erneuten Vernehmlassung zum neuen
E-ID-Gesetz, verabschiedete der Bundesrat am 22. November 2023 den
Gesetzesentwurf[105]
und die Botschaft[106]
zuhanden des Parlaments. Im Vergleich zu vorher soll der Bund die
Infrastruktur zum Ausstellen, Widerrufen, Überprüfen, Aufbewahren und
Vorweisen von elektronischen Nachweisen wie bspw. Pass/ID zur Verfügung
stellen. Weiter soll das E-ID-Gesetz gewährleisten, dass die Art und das
Ausmass der Datenbearbeitung dem Grundrechtsschutz der Persönlichkeit
angemessen und geeignet sind. Das Gesetz soll unter anderem auch den Zugang
zu QES erleichtern. Durch den Identitätsnachweis durch eine E-ID ist kein
persönliches Erscheinen der Person notwendig, welche eine QES erhalten
möchte.[107]
Ein persönliches Erscheinen ist jedoch bereits heute nicht mehr nötig,
sofern die Konformitätsbewertungsstelle KPMG bestätigt hat, dass das
verwendete Verfahren zur Personenidentifikation eine gleichwertige
Sicherheit zum persönlichen Erscheinen bietet.[108]
3. 2023: Aktienrechtsrevision
Mit der Revision des Aktienrechts per 1. Januar 2023 wurde die Möglichkeit
von virtuellen Generalversammlungen geschaffen.[109]
Im Vordergrund steht dabei auch der Einsatz elektronischer Mittel im
Zusammenhang mit Generalversammlungen. Ein zentrales Thema bei der
virtuellen Generalversammlung bildet die Sicherstellung der Identität der
Teilnehmer. Grundsätzlich nimmt der Aktionär selber teil, er kann jedoch
jemanden schriftlich dazu bevollmächtigen.
Art. 689a Abs. 4 OR
hält nun fest, dass im Zusammenhang mit der Vertretung in der
Generalversammlung der Verwaltungsrat «weitere Formen der Berechtigung
gegenüber der Gesellschaft zulassen». Laut der Botschaft kann dieser
Nachweis durch elektronische Bevollmächtigung erfolgen, und zwar mit oder
ohne QES.[110]
Will eine Gesellschaft davon Gebrauch machen, empfiehlt es sich, die
Vertretung auch in den Statuten zu regeln, um den Handlungsspielraum des
Verwaltungsrats bezüglich Bevollmächtigung an der Generalversammlung
auszuweiten.
Ebenfalls im Zuge der Aktienrechtsrevision wurde der «GV-Zirkularbeschluss»[111]
eingeführt, welcher bisher nur bei der GmbH[112]
möglich war. Der Beschluss muss aber nicht schriftlich, sondern kann auch
bloss elektronisch erfolgen, bspw. mittels DocuSign und ohne QES. Im
gleichen Zug sind beim Verwaltungsrat neu Zirkularbeschlüsse
ausschliesslich mit elektronischen Mitteln, bspw. per Chat oder DocuSign
und damit ohne QES zulässig.[113]
In diesem Fall ist vorbehältlich einer anders lautenden Regelung in einem
Organisationsreglement keine Unterschrift erforderlich.
4. 2024: Projekt Justitia 4.0
Justitia 4.0 ist ein Digitalisierungsprojekt der Schweizer Justiz. Durch
dieses Projekt sollen Papierakten durch elektronische Dossiers ersetzt und
der Rechtsverkehr mit Verfahrensbeteiligten elektronisch ermöglicht werden.
Dafür soll eine hochsichere, zentrale Plattform aufgebaut werden, welche
von einer vom Bund und den Kantonen gehaltenen öffentlich-rechtlichen
Körperschaft betrieben werden soll. Die gesetzliche Grundlage bildet das
Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in
der Justiz (BEKJ).[114]
Dabei soll das Anbringen einer physischen Unterschrift resp. einer QES nicht
mehr erforderlich sein - der Absender wird mit der digitalen Identität
authentifiziert. Die Detailberatung der Vorlage in der Rechtskommission ist
zurzeit noch im Gang.[115]
V. Fazit
Der vorliegende Beitrag hat einleitend die TS-Unterschrift aus Sicht von
Lehre und Rechtsprechung näher unter die Lupe genommen. Die überwiegende
Lehre ist der Meinung, dass eine solche Unterschrift der eigenhändigen
Unterschrift nach Art. 14 Abs. 1 OR
gleichgestellt werden kann, sofern der Touchscreen eine genügend hohe
Auflösung aufweise und die Druckfestigkeit erfasst werde. Dies hat auch das
Obergericht des Kantons Zug bestätigt, womit sich - soweit ersichtlich -
das erste Mal ein Schweizer Gericht mit dieser Frage näher beschäftigt hat.
Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug gibt denn auch wenig Anlass zur
Kritik. Eine praktische Relevanz der erwähnten Gleichstellung der
TS-Unterschrift mit
Art. 14 Abs. 1 OR
fehlt jedoch, da formbedürftige Geschäfte im Gesellschaftsrecht in den
wenigsten Fällen mit einer solchen Unterschrift geschlossen werden, sondern
weiterhin handschriftlich. Dies dürfte sich zumindest bei notariellen
Geschäften ändern, da das DNG das Unterzeichnen auf Tablet-Computern
explizit vorsieht.
Im Weiteren wurden aktuelle Entwicklungen rund um die QES erläutert. Diese
hat bisher wenig Verbreitung gefunden, obschon es mittlerweile diverse
Anbieter gäbe, die eine QES nach Schweizer und EU-Recht offerieren. Als
Grund dafür wird oft der mühsame Identifikationsprozess angeführt, obwohl
dieser heute bei den meisten Anbietern über eine Web-Applikation und
mittels eines Ausweisdokuments sehr einfach «remote» erfolgt.[116]
Zudem wären gerade im Gesellschaftsrecht bereits diverse Handelsregister
bereit, Dokumente rein elektronisch mit einer QES versehen zu bearbeiten.
Weiter kann in grenzüberschreitenden Transkationen der pragmatische Weg
gewählt werden, indem man die QES in unterschiedlichen Ländern als
gleichwertig erachtet und auf die Einrede der Ungültigkeit verzichtet.
Unter Privaten mag dies ein gangbarer Weg sein, dürfte jedoch bei
Missachtung eines Formerfordernisses von Gerichten nicht geschützt werden.
Schliesslich wurden weitere Entwicklungen rund um die digitale Unterschrift
aufgezeigt. Zentral scheint hier die geplante Einführung einer E-ID, mit
der die korrekte und sichere Ausweisung im digitalen Bereich möglich wird.
Die E-ID soll auch im Rechtsverkehr mit Behörden eingesetzt werden können,
wobei auch hier die parlamentarischen Debatten im Gang sind. Bestenfalls
wird die E-ID ein Umdenken in der Bevölkerung auslösen, vorerst bei
formfreien Rechtsgeschäften elektronische Unterschriften zu benutzen, was
die Hemmschwelle zur Benutzung einer QES senken könnte. Dies wiederum würde
dazu führen, dass gerade im Gesellschaftsrecht Verträge und Prozesse
erheblich vereinfacht würden, was sämtlichen beteiligten Parteien
zugutekäme.
[4] So bei der
letztwilligen Verfügung nach
Art. 505 Abs. 1 ZGB
(Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 [ZGB;
SR 210]), welche vom Erblasser von Anfang bis Ende mit Angabe von Jahr,
Monat und Tag eigenhändig niederzuschreiben sowie mit einer
Unterschrift zu versehen ist.
[5] So bspw. bei
Grundstückkaufverträgen, welche öffentlich beurkundet werden müssen
(Art. 216 Abs. 1 OR). Die
öffentliche Beurkundung stellt somit die strengste gesetzliche
Formvorschrift dar (Bericht des Bundesrates
zu ausgewählten Fragen (Fn. 1),
S. 14).
[9]
Art. 165 Abs. 1 OR; die die Abtretung von Stammanteilen an einer GmbH vgl.
Art. 785 OR
regelt. Die schriftliche Abtretung gilt nota bene sowohl für
eine blosse Abtretungserklärung als auch ein Indossament eines
Aktienzertifikats.
[21] Daniel
Hürlimann,
Zur Rechtskraft der Unterschrift auf einem Touchscreen, Gutachten von Ass.-Prof. Dr. iur. Daniel Hürlimann im Auftrag der
Kantonspolizei Zürich, St. Gallen 4. Juli 2016, S. 9; David
Wicki-Birchler / Marko Dobec, Unterschreiben von Verträgen im
digitalen Raum, AJP 2023, S. 281.
[22]
Wicki-Birchler/Dobec (Fn. 21), S. 281.
[23] Ingeborg
Schwenzer / Christiana Fountoulakis, in: Widmer/Oser (Hrsg.),
Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 7. Aufl., Basel 2020, Art.
13 N 14c (zit. BSK OR I-Schwenzer/Fountoulakis).
[24]
Wicki-Birchler/Dobec (Fn. 21), S. 281 und Fn. 25.
[25] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 3.
[26] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023, Sachverhalt 1.4 f.
[27] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023, Sachverhalt 1.6.
[28] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023, Sachverhalt 2.2.
[29] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023, Sachverhalt 2.5.
[30] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023, Sachverhalt 3.1.
[31] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 11.
[32] Vgl. dazu
Urteil des Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 3 (Nebenintervention), E. 7.2
(GV-Protokolle) und E. 8 (Berufung auf Rechtsmissbrauch).
[33] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 5.
[34] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 5 mit Hinweis auf Urteil des
Bundesgerichts 4A_248/2015
vom 15. Januar 2016 E. 4.2 ff.
[36] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 7.1.3.
[37] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 7.1.3.
[38] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 7.1.3. Mit Hinweis auf Wicki-Birchler/Dobec
(Fn. 21).
[39] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 7.1.3.
[40] Urteil des
Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 7.1.4. Vgl. hierzu die Minderheitsmeinung
von BSK OR I-Schwenzer/Fountoulakis, Art. 13 N 14c, welche sich
dafür aussprechen, dass das Einscannen einer Unterschrift und
Einfügen in ein elektronisches Dokument den Anforderungen nach
Art. 14 Abs. 1 OR
genüge.
[42]
Wicki-Birchler/Dobec (Fn. 21), S. 280; Christoph Müller, in: Berner
Kommentar, Das Obligationenrecht, Allgemeine Bestimmungen, Art.
1-18 OR mit allgemeiner Einleitung in das Schweizerische
Obligationenrecht, Bern 2018, Art. 14 N 16 (zit. BK OR-Müller);
Julia Xoudis, in: Thévenoz/Werro (Hrsg.), Commentaire Romand, Code
des obligations I, 3. Aufl., Basel 2021, Art. 15 N 6.
[44]
Wicki-Birchler/Dobec (Fn. 21), S. 280.
[45] BSK OR
I-Schwenzer/Fountoulakis, Art. 13 N 14d.
[46] BSK OR
I-Schwenzer/Fountoulakis, Art. 13 N 14c und N 14e; zur
Frage, ob das Schriftlichkeitserfordernis durch den Austausch von
PDF-Dateien erfüllt ist, bejahend Dieter Gericke / Tanja Ivanovic,
Genügen PDF-Dateien dem Schriftformerfordernis?, SJZ 2017, S. 336
f.; vgl. auch Wicki-Birchler/Dobec (Fn. 21), S. 280 (insbesondere
Fn. 21 m.w.H.) und S. 282.
[47] BSK OR
I-Schwenzer/Fountoulakis, Art. 13 N 14e in fine; Urteil
des Obergerichts des Kantons Zug
Z2 2023 67
vom 14. Dezember 2023 E. 7.1.4 in fine.
[48] Bundesgesetz
über die Digitalisierung im Notariat vom 16. Juni 2023 (DNG;
BBl 2023 1523).
[49] Botschaft zum
Bundesgesetz über die Digitalisierung im Notariat vom 17. Dezember
2021 (BBl 2022 143),
S. 24.
[50] Botschaft
Digitalisierung (Fn. 49),
S. 24.
[51] Botschaft
Digitalisierung (Fn. 49),
S. 24.
[52] BK OR-Müller,
S. 68.
[53] Soweit
ersichtlich fehlt hierzu eine gefestigte Praxis des Eidgenössischen
Amts für das Handelsregister (EHRA) oder einzelner Handelsregister
(vgl. auch
Art. 55 Schlusstitel ZGB, welcher die öffentliche Beurkundung der Kompetenz der Kantone
zuweist).
[54] Botschaft
Digitalisierung (Fn. 49),
S. 38.
[56] Vgl. die
Ausführungen sogleich unter Rz. 29 ff.
[67] Verordnung
Nr. 910/2014
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über
elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für
elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der
Richtlinie 1999/93/EG (eIDAS).
[69] Bundesgesetz
über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur
und anderer Anwendungen digitaler Zertifikate (ZertES;
SR 943.03).
[73] Vgl. die
hilfreichen FAQ des
Bundesamt für Informatik und Telekommunikation BIT zu digitalen
Signaturen; Urteil des Bundesgerichts
5A_503/2019
vom 20. Dezember 2019 E. 3.3 zu den Voraussetzungen, wenn ein
Anwalt, welcher in Deutschland zugelassen ist, eine Beschwerde
elektronisch an einem CH-Gericht einreichen will.
[74] Fabian Akeret /
Andreas Suter, Die qualifizierte elektronische Signatur in der
Verwaltungsratspraxis, Recht relevant. für Verwaltungsräte 2/2022,
S. 9.
[76] Bspw. die
Handelsregisterämter der Kantone Bern, Zürich, Zug, Luzern,
Appenzell Innerrhoden, St. Gallen, Tessin, Solothurn, Genf und
Thurgau (Stand August 2024).
[79] Alexander
Vogel, in: Orell Füssli Kommentar, HRegV, 2. Aufl., Zürich 2023,
Art. 20 und Art. 95.
[80] Die aktuelle
Liste der Anbieter von Zertifizierungsdiensten kann auf der Website
der Schweizerischen Akkreditierungsstelle,
Elektronische Signatur
eingesehen werden.
[82] Vgl. dazu
bspw. den Service von
Swisscom Sign, bei der zur Identifikation via Web-Applikation bloss ein gültiges
Ausweisdokument nötig ist.
[83] Der Validator
überprüft elektronisch signierte Dokumente gemäss den Vorgaben des
ZertES und der Verordnung über die Erstellung elektronischer
öffentlicher Urkunden und elektronischer Beglaubigungen vom 8.
Dezember 2017 (EÖBV;
SR 211.435.1).
[86] Eggen (Fn. 85),
N 117.
[87] Eggen (Fn. 85),
N 117.
[88] Eggen (Fn. 85),
N 117.
[89] Eggen (Fn. 85),
N 130.
[90] Eggen (Fn. 85),
N 269.
[91] Eggen (Fn. 85),
N 269 ff.
[92] Eggen (Fn. 85),
N 274.
[93] Eggen (Fn. 85),
N 287.
[94] Eggen (Fn. 85),
N 288; vgl. mehr dazu unten unter Rz. 47.
[95] Eggen (Fn. 85),
N 288 ff.
[96] Eggen (Fn. 85),
N 294.
[97] Eggen (Fn. 85),
N 293 ff.
[98] Eggen (Fn. 85),
N 309.
[99] Eggen (Fn. 85),
N 310.
[102] Eggen (Fn.
85), N 311.
[106] Botschaft
zum Bundesgesetz über den elektronischen Identitätsnachweis und
andere elektronische Nachweise vom 22. November 2023
(BBl 2023 2842).
[107] Entwurf des
Bundesgesetzes über den elektronischen Identitätsnachweis und andere
elektronische Nachweise (E-ID-Gesetz, BGEID;
BBl 2023 2843), Anhang.
[108]
Art. 7 Abs. 1 VZertES
(Verordnung über Zertifizierungsdienste im Bereich der
elektronischen Signatur und anderer Anwendungen digitaler
Zertifikate vom 23. November 2016 [VZertES;
SR 943.032]).
[109]
Art. 701d OR. Demnach kann eine Generalversammlung mit elektronischen Mitteln
ohne Tagungsort durchgeführt werden, wenn die Statuten dies
vorsehen. Ebenfalls möglich ist ein Tagungsort im Ausland bei
entsprechend statutarischer Grundlage
(Art. 701b OR).
[111]
Art. 701 Abs. 1 OR, wonach eine Generalversammlung ebenfalls ohne Einhaltung der für
die Einberufung geltenden Vorschriften abgehalten werden kann, wenn
die Beschlüsse auf schriftlichem Weg auf Papier oder in
elektronischer Form erfolgen, sofern nicht ein Aktionär oder dessen
Vertreter die mündliche Beratung verlangt.
[114] Botschaft
zum Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische
Kommunikation in der Justiz vom 15. Februar 2023
(BBl 2023 679). Unter die
Anbieter, welche reine Fern-Identifikation anbieten, fallen bspw.
Skribble,
Swisscom
oder SwissID Sign.
[116] So auch
Stefan Aeberhard, Pratique contractuelle et signature électronique,
Expert Focus 6/2023, S. 280, welcher in Aussicht stellt, dass man
mit diesen Vereinfachungen allenfalls den Durchbruch der QES in der
Geschäftswelt erleben wird.