I. Einleitung
Rund 5,77 Milliarden Schweizer Franken Unfallkosten wurden im Jahr 2014 allein durch den privaten motorisierten Personenverkehr verursacht.[1] Häufig steht diesen hohen Kosten eine unbefriedigende Beweislage bei Verkehrsunfällen gegenüber. Nicht zuletzt deshalb erfreuen sich in der Schweiz sogenannte Dashcams, welche man bisweilen vor allem aus dem Ausland kennt, wachsender Beliebtheit.
Unter dem gesetzlich nicht definierten Begriff der Dashcam versteht man im Allgemeinen kleine, auf dem Armaturenbrett (engl. «dashboard») oder anderweitig im Motorfahrzeug angebrachte Kameras, welche den Strassenverkehr aufzeichnen.[2] In Bezug auf die Funktionsweise bestehen zwei grundlegende Aufnahmemodi. Zum einen kann eine Daueraufnahme vorgenommen werden, welche während der gesamten Fahrt aufzeichnet und alles abspeichert. Zum anderen ist ein sog. Schleifenmodus (auch Ringspeicher genannt) möglich, welcher die getätigten Aufzeichnungen nach einer bestimmten Zeit durch Neuaufnahmen überspielt. Eine nachhaltige Speicherung der Abschnitte kann in diesem Fall (manuell) durch Betätigung eines Notfallknopfes oder (automatisch) durch eine sog. Schocksteuerung bzw. einen Unfallsensor erfolgen.[3]
Trotz der zunehmenden Zahl an Dashcams, welche auf Schweizer Strassen eingesetzt werden, bestehen erhebliche Rechtsunsicherheiten darüber, ob bzw. inwieweit solche von Privaten erhobenen Aufzeichnungen im Strafverfahren verwertet werden dürfen. Anfangs 2017 lagen - soweit ersichtlich - noch keine ober- bzw. bundesgerichtliche Entscheide diesbezüglich vor. Dies hat sich unterdessen durch die Entscheide des Kantonsgerichts Schwyz[4] sowie des Obergerichts des Kantons Zug[5] geändert. Zudem musste sich das Bundesgericht erstmals explizit mit der Verwertbarkeit von Dashcam-Aufzeichnungen befassen.[6]
II. Zulässigkeit von privaten Dashcam-Aufzeichnungen
1. Zivilrechtliche Betrachtung
Zivilrechtlich müssen Dashcam-Aufzeichnungen primär Art. 28 ZGB (privatrechtlicher Schutz vor Persönlichkeitsverletzungen)[7] standhalten. Gemäss Art. 28 Abs. 1 ZGB kann derjenige, der widerrechtlich in seiner Persönlichkeit verletzt wird gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
In den Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts fällt insbesondere das Recht am eigenen Bild als Teilgehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.[8] Es besagt, dass prinzipiell niemand ohne seine Zustimmung abgebildet werden darf.[9] Zwar stellt nicht jede Aufnahme einer Person im öffentlich zugänglichen Raum bereits eine Persönlichkeitsverletzung dar,[10] etwa wenn jemand bloss Teil der auf einer Fotografie sichtbaren Landschaft, der Umgebung oder eines Ereignisses ist (sog. Beiwerk).[11] Allerdings ist bei Personenaufnahmen auf öffentlichen Strassen und Plätzen nur mit Zurückhaltung davon auszugehen, dass jemand blosses Beiwerk darstellt (insbesondere bei weniger belebten Gegenden, aber auch bei zentralen innerstädtischen Plätzen und Strassen, sofern einzelne Personen gut sichtbar sind).[12] Die Videoaufzeichnung im öffentlich zugänglichen Raum stellt damit regelmässig eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild und damit eine Persönlichkeitsverletzung im Sinne von Art. 28 Abs. 1 ZGB dar.[13]
Nicht widerrechtlich ist eine Persönlichkeitsverletzung dann, wenn sie durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist.[14] Da der in Kapitel II.2 erwähnteArt. 13 Abs. 1 DSG diesen in Art. 28 Abs. 2 ZGB verankerten Grundsatz übernimmt, wird auf das sogleich folgende Kapitel verwiesen.
2. Datenschutzrechtliche Betrachtung
Das Aufzeichnen mittels Dashcam stellt eine Datenbearbeitung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 DSG dar. Einerseits liegen regelmässig Personendaten vor, da sich etwa mithilfe der Fahrzeugkennzeichen problemlos ein Personenbezug herstellen lässt.[15] Andererseits stellen Vorgänge wie das Erfassen oder Aufbewahren von (Dashcam-)Bildern eine Bearbeitung von Personendaten im Sinne von Art. 3 lit. e DSG dar.
Aus Sicht des Gesetzgebers ist allerdings nicht jede Bearbeitung von Personendaten per se problematisch, sondern lediglich jene, die eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung verursacht.[16] Eine unwiderlegbare Vermutung der Persönlichkeitsverletzung gilt insbesondere bei einem Verstoss gegen die Bearbeitungsgrundsätze des Datenschutzgesetzes.[17] Im Zusammenhang mit dem Filmen mittels Dashcams ist vordergründig ein Verstoss gegen die datenschutzrechtlichen Grundsätze der Erkennbarkeit sowie der Verhältnismässigkeit zu prüfen.
Der in Art. 4 Abs. 4 DSG festgehaltene Grundsatz der Erkennbarkeit verlangt im Bereich der Videoüberwachung, dass die betroffenen Personen über die Tatsache und den Zweck der Überwachung in Kenntnis gesetzt werden. Die Videokameras müssen so angebracht sein, dass diese für den Einzelnen offensichtlich erkennbar sind, andernfalls muss deutlich (durch gut sichtbare Hinweisschilder) über den Einsatz der Videoüberwachung informiert werden.[18] Die Dashcams, welche an der Windschutzscheibe, auf dem Armaturenbrett oder anderweitig im Fahrzeug angebracht werden, zeichnen sich durch ihre geringe Grösse aus und sind damit für betroffene Personen nicht (ohne weiteres) erkennbar. Der datenschutzrechtliche Grundsatz der Erkennbarkeit wird bei der Verwendung von Dashcams damit in der Regel verletzt.[19]
Der datenschutzrechtliche Verhältnismässigkeitsgrundsatz ist dann verletzt, wenn der Datenbearbeiter mehr Daten bearbeitet, als er objektiv tatsächlich benötigt bzw. wenn der Eingriff nicht in einem vernünftigen Verhältnis zum vom Bearbeiter verfolgten Interesse steht. Angesprochen sind die Eignung, Erforderlichkeit sowie die Zumutbarkeit der Datenbearbeitung.[20]
Zur Beweissicherung und zur Verhütung von Straftaten kann eine Dashcam-Aufzeichnung durchaus als geeignetes Mittel bezeichnet werden.
Zudem dürfte eine Dashcam-Aufzeichnung zur Beweissicherung erforderlich sein. Zwar wären als mildere Mittel konventionelle Methoden - etwa Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten oder polizeiliche Ermittlungen - oder modifizierte Dashcams denkbar. Allerdings weisen sowohl konventionelle Mittel als auch modifizierte Dashcams Defizite gegenüber permanent, ohne Schleifenmodus und anlass-unabhängig während der gesamten Fahrt aufzeichnenden Dashcams auf, sodass sie zur Beweissicherung nicht gleich geeignet sind.[21]
Schliesslich hat die Datenbeschaffung zumutbar zu sein. Es sollte ein vernünftiges Verhältnis zwischen dem Bearbeitungszweck und der Beeinträchtigung der Persönlichkeit bestehen.[22] Die Frage der Zumutbarkeit betrifft grundsätzlich konkrete Einzelfälle und läuft im Ergebnis auf eine gesamthafte Abwägung aller betroffenen öffentlichen und privaten Interessen hinaus.[23]
Auf Seite des Gefilmten bestehen etwa schützenswerte Datenschutzinteressen im Recht auf Privatsphäre, im Recht am eigenen Bild sowie darin, in öffentlich zugänglichen Räumen von Privaten nicht beobachtet bzw. aufgezeichnet zu werden.[24] Auf Seite des Filmenden kommen als schützenswerte Bearbeitungsinteressen etwa Interessen an der Verhinderung von Straftaten oder Interessen der Beweissicherung in Frage.[25] Dem Einsatz datenschutzfreundlicher Technologien kommt bei der Zumutbarkeitsprüfung zentrale Bedeutung zu.[26]
Im Ergebnis dürfte vorab das anlasslose bzw. permanente Aufzeichnen mittels Dashcams eine hohe Eingriffsintensität aufweisen und damit als unzumutbar bzw. unverhältnismässig bezeichnet werden.[27]
Wie bereits angesprochen kann eine Persönlichkeitsverletzung nachArt. 13 DSGgerechtfertigt werden. Art. 13 Abs. 1 DSG nennt - gleich wie Art. 28 Abs. 2 ZGB - als Rechtfertigungsgründe die Einwilligung des Verletzten, ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse sowie das Gesetz. Zu beachten ist hierbei, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts Verstösse gegen Bearbeitungsgrundsätze des Datenschutzrechts nur mit grosser Zurückhaltung gerechtfertigt werden können.[28]
Eine gültige Einwilligung in eine persönlichkeitsverletzende Dashcam-Aufzeichnung dürfte regelmässig «von vornherein ausgeschlossen»[29] sein, weil die Dashcam-Aufzeichnungen in der Regel ohne das Wissen der betroffenen Personen erfolgen. Auch fehlt eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Dashcams durch Private. Persönlichkeitsbeeinträchtigungen ausschliesslich zu Sicherheitszwecken wegen des Vorliegens öffentlicher Interessen sollten grundsätzlich dem Staat vorbehalten sein.[30]
Ob schliesslich ein überwiegendes privates Interesse für den Dashcam-Einsatz vorliegt, ist anhand einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung zu prüfen.[31]
Zwar ist es richtig, dass mittels Dashcams regelmässig lediglich Verkehrsvorgänge auf öffentlichen Strassen und nur Fahrzeuge, nicht aber deren Insassen, abgebildet werden und somit kein Einblick in die engere Privatsphäre des Lenkers gewährt wird, was tendenziell für ein geringfügige Persönlichkeitsverletzung spricht.[32] Allerdings ist zu beachten, dass solche Videoaufzeichnungen häufig heimlich erfolgen.[33] Sämtliche Rechtsbehelfe des Datenschutzgesetzes setzen jedoch voraus, dass der Betroffene von der Datenbearbeitung Kenntnis hat, weshalb die Verletzung des Erkennbarkeitsgrundsatzes grundsätzlich als schwer zu betrachten ist.[34] Zudem wird mittels Dashcams eine Vielzahl weiterer Personen (etwa Passanten) aufgezeichnet. Sodann besteht ein allgemeines gesellschaftliches Interesse an einem überwachungsfreien Zustand.[35]
Somit ist vorweg bei anlasslosen Dashcam-Aufzeichnungen davon auszugehen, dass kein überwiegendes Interesse an einer persönlichkeitsverletzenden Datenbearbeitung besteht. Erfolgt die Dashcam-Aufzeichnung zur eigenen Beweissicherung anlassbezogen und nur kurz, ist ein überwiegendes privates Interesse denkbar.[36]
3. Strafrechtliche Betrachtung
Bei der Frage, ob eine Dashcam-Aufzeichnung strafrechtswidrig erlangt wurde, dürfte regelmässig Art. 179quater StGB im Zentrum der Prüfung stehen.[37] In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist dieser Straftatbestand durch das Filmen mittels Dashcams jedoch nicht erfüllt, da die Aufzeichnungen regelmässig öffentliche Strassen und nicht den Geheimbereich oder eine nicht ohne weiteres zugängliche Tatsache aus dem Privatbereich betreffen.[38]
III. Verwertbarkeit von Videoaufnahmen durch die Strafverfolgungsbehörden
Wie noch zu zeigen sein wird, ist es für die Frage der Verwertbarkeit von privaten Dashcam-Aufzeichnungen zentral, ob die Strafbehörden die umstrittenen Videoaufzeichnungen selbst rechtmässig hätten erlangen können.[39] Aus diesem Grund wird kurz erläutert, unter welchen Voraussetzungen die Strafbehörden dazu befugt sind, (insb. im Strassenverkehr) Videoaufnahmen zu erstellen.
Im Bereich der Videoüberwachung sind grundsätzlich die Kantone für die Regelung und Durchführung zuständig. Dient die Videoüberwachung allerdings nicht mehr (überwiegend) präventiven Zwecken, sondern wird an einem Tatverdacht angeknüpft, überwiegt der Zweck der Strafverfolgung und die Videoüberwachung wird abschliessend durch den Bund geregelt.[40]
Gesetzliche Grundlage für Polizei und Staatsanwaltschaft für das Filmen im öffentlichen Raum (insb. auch im Strassenverkehr) bilden Art. 299 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a StPO, sofern denn ein Anfangsverdacht besteht.[41] Diese Bestimmungen statuieren, dass die Polizei und Staatsanwaltschaft im Vorverfahren - ausgehend vom Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei - Beweise sammeln um festzustellen, ob gegen einen Beschuldigten ein Strafbefehl zu erlassen ist.
Gesetzliche Grundlage für sog. «Nachfahrkontrollen»[42] bilden einerseits verschiedene Bestimmungen in der Strassenkontrollverordnung (SKV) sowie der Verordnung des ASTRA hierzu, andererseits Normen der kantonalen Polizeigesetze. Die Kontrolle des Verkehrs auf öffentlichen Strassen obliegt gemäss Art. 3 Abs. 1 Satz 1 SKV der nach kantonalem Recht zuständigen Polizei, wobei gemäss Art. 9 Abs. 1 Satz 1 SKV nach Möglichkeit technische Hilfsmittel einzusetzen sind.[43]
Fraglich - und soweit ersichtlich noch nicht bundesgerichtlich entschieden - ist, ob bei der Nachfahrkontrolle oder bei einer stationären Geschwindigkeitskontrolle, bei welcher mittels Lasermesssystem und digitalem Videorecorder ununterbrochen Bilder erfasst werden, eine Anlasstat bzw. ein Anfangsverdacht vorausgesetzt wird, damit die Aufzeichnungen verwertet werden können.[44]
Nach der hier vertretenen Auffassung ist ein Anfangsverdacht zu fordern. So dürfen präventiv-polizeiliche Kontrollmöglichkeiten (im Bereich der Verkehrssicherheit) nicht zur Umgehung strafprozessualer Schranken der Beweissammlung missbraucht werden.[45] Ohne jeglichen Anfangsverdacht ergriffene strafprozessuale Massnahmen stellen regelmässig schwere Eingriffe in die dadurch betroffenen Grundrechte dar und sind infolgedessen dem Einzelnen grundsätzlich nicht zumutbar.[46] Strafprozessual stellt eine anlasslose Beweiserhebung eine unzulässige Beweisausforschung («fishing expedition») dar.[47]
Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf den Umstand, dass das zufällige, auf einzelne Vorgänge beschränkte und kurzfristige Filmen eines Verkehrssünders durch die Polizei keine Observation im Sinne von Art. 282 f. StPO darstellt. Eine Observation gemäss der StPO liegt nur bei einem systematischen und dauerhaften Beobachten über einen längeren Zeitraum vor.[48]
IV. Verwertbarkeit privat erhobener Dashcam-Aufzeichnungen
1. Beweisverwertungsverbote und privat beschaffte Beweise
In der Strafprozessordnung nicht explizit geregelt ist, wieweit die Beweisverbote Anwendung finden, wenn nicht staatliche Behörden, sondern Privatpersonen Beweismittel sammeln.[49] In der Lehre ist die Frage strittig, ob bzw. wann Beweisverbote auch für beweiserhebende Private gelten sollen.[50] Fraglich ist insbesondere, inwieweit die Beweisverwertungsverbote von Art. 141 StPO auch bezüglich der von Privaten gesammelten Beweise gelten.[51]
Nach herrschender Auffassung gilt kein prinzipielles Verwertungsverbot von durch Private rechtswidrig erlangten Beweisen. Von Privaten rechtswidrig beschaffte Beweismittel sind gemäss überwiegender Lehrmeinung dann verwertbar, wenn der Staat diese selbst auf rechtmässigem Wege hätte erlangen können und eine Interessenabwägung für ihre Verwertung spricht.[52]
Die hypothetische Voraussetzung, wonach die Strafverfolgungsbehörden das Beweismittel auf rechtmässigem Weg hätten erlangen können müssen, wird in der Lehre allerdings auch kritisiert. So bleibe eine entsprechende Überprüfung einerseits nur hypothetisch, andererseits schaffe sie mit Bezug auf das staatliche Strafmonopol (Art. 2 Abs. 1 StPO) auch falsche Anreize zur detektivischen Eigeninitiative.[53] Zudem seien Beweisergebnisse zwar oft auch auf rechtmässigem Weg beschaffbar, jedoch wäre ohne das Delikt des Privaten der Fall den Strafverfolgungsbehörden gar nicht bekannt geworden.[54]
Andere Kommentatoren fordern, dass eine Verwertung von durch Private strafrechtswidrig erhobenen Beweisen nur zugelassen werden sollte, wenn dies - wie von Art. 141 Abs. 2 StPO für den Staat vorgesehen - zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich ist.[55]
Die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichts lehnt sich an die überwiegende Lehrmeinung an. Demnach sind «von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht».[56]
2. Zivil- und datenschutzrechtswidrig erhobene Dashcam-Aufzeichnungen
Von zentraler Bedeutung für die Verwertbarkeit privater Dashcam-Aufzeichnungen ist die Frage, wie es sich verhält, wenn Private bei der Beweisbeschaffung nicht gegen eine strafrechtliche Bestimmung, sondern «nur» gegen eine zivil- oder datenschutzrechtliche Norm verstossen.[57]
Ein Grossteil der Lehre geht im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit privater Beweise überhaupt nicht bzw. nicht explizit auf «schlicht rechtswidrige» Beweismittel ein.
Folgt man dem Rechtswidrigkeitsbegriff von Fornito, kann Rechtswidrigkeit nur bestehen oder fehlen.[58] Konsequenterweise wären nach dieser Definition der Rechtswidrigkeit damit «schlicht rechtswidrige» Beweise ebenso erfasst wie strafrechtswidrige Beweismittel. Gless differenziert bei der Frage der Verwertbarkeit privater Beweismittel zwar zwischen rechtmässigen, rechtswidrigen und strafbaren Privatermittlungen, erachtet mit Blick auf die neuere Rechtsprechung die Voraussetzungen für eine Verwertbarkeit in den beiden letztgenannten Fällen aber als identisch.[59]
Gegen ein strafprozessuales Abwägungsverfahren bei «schlicht (zivil-)rechtswidrigen» Rechtsverstössen durch Private spricht sich Godenzi aus.[60] Sie führt aus, dass je weiter der Kreis der Rechtsverstösse gezogen wird, welche ins strafprozessuale Beweisrecht durchschlagen sollen, desto eher der Staat mit einem Verwertungsverbot dafür einstehen muss, dass ihm private Ermittler bei der Aufklärung einer Straftat mit rechtswidrigen Machenschaften «reinpfuschen».[61] Es sei nicht Aufgabe des Staates, in einem Strafverfahren mithilfe von strafprozessualen Verwertungsverboten von Amtes wegen die Gutheissung oder Ablehnung eines Zivilrechtsverstosses auszusprechen. Die Verantwortung für die Bewältigung schlicht zivilrechtswidriger Vorgänge obliege den Zivilparteien.[62] Auch Riedo/Fiolka/Niggli sind der Auffassung, dass Widerhandlungen gegen rein zivilrechtliche Regelungen im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit privat beschaffter Beweise ohne Belang bleiben müssen.[63]
Für eine strafprozessuale Relevanz datenschutzrechtlicher Aspekte sprechen sich hingegen Jöhri/Studer aus. Sie fordern, dass der durch das Zivil- und Verwaltungsrecht gewährleistete Persönlichkeitsschutz auch im Rahmen von Strafverfahren berücksichtigt werden müsse.[64] Ebenfalls spricht sich Müller im Zusammenhang mit der Verwertung von zivilrechts- bzw. datenschutzrechtswidrig erhobenen Beweisen aus einer Videoüberwachung für eine Abwägung zwischen dem Interesse an der Wahrheitsfindung und der Strafverfolgung gegenüber dem Interesse des Betroffenen, dass seine Daten nicht in persönlichkeitsverletzender Weise bearbeitet werden, aus.[65] Dieser Meinung sind wohl auch Hansjakob und Häring.[66]
Habscheid - noch zum alten Recht - wendet sich gegen die Meinung, wonach die Zulässigkeit von rechtswidrig, insbesondere unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlangten Beweismitteln von Fall zu Fall zu entscheiden sei. Gemäss seiner Auffassung darf im Prozess nicht als legitimer Beweis zugelassen werden, was strafrechtlich oder zivilrechtlich Unrecht ist.[67] Er betont, dass es im Strafprozess nicht um die Durchsetzung und Ermittlung der Wahrheit um jeden Preis gehe, sondern um die Wahrheitsfindung in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren. Ansonsten wäre die stärkere und rücksichtslosere Partei im Vorteil.[68]
Der in der Lehre geäusserten Auffassung, wonach rein zivilrechtliche Normverstösse bei der Verwertbarkeit privat beschaffter Beweise unberücksichtigt bleiben müssen, kann nicht gefolgt werden. Entscheidend ist nicht, ob es sich bei der verletzten Norm um eine Bestimmung des Strafrechts oder etwa des Datenschutzrechts handelt, sondern vielmehr, dass sie dem Persönlichkeitsschutz des Betroffenen dient.[69] Auch ist nicht ersichtlich, weshalb das zwingende Zivilrecht immer nur zwischen den Parteien selbst wirken soll.[70]
Ebenfalls ist zwar denkbar, dass Private die Behörden mit eigenen rechtswidrigen Beweisermittlungen behindern. Der umgekehrte Fall, wonach sich die Behörden eines privaten Beweises bedienen, um dadurch erst ein Strafverfahren einleiten zu können, dürfte jedoch deutlich häufiger vorkommen. Damit besteht kein wesentlicher Unterschied mehr, ob die Beweiserhebung durch Private oder durch die Behörden erfolgt, weshalb auch zivil- und datenschutzrechtliche Regelungen berücksichtigt werden müssen.
Nicht gefolgt werden kann schliesslich der Meinung von Habscheid.[71] Einerseits stellt ein generelles Verwertungsverbot solcher Beweise eine Überspitzung der Formvorschriften zulasten der Verbrechensaufklärung dar,[72] anderseits kann mittels Interessenabwägung ein Ausgleich geschaffen und das Verhalten der rücksichtslosen Partei entsprechend berücksichtigt werden.
Das Bundesgericht musste sich mit Urteil 6B_1310/2015 vom 17. Januar 2017 - soweit ersichtlich - erstmals mit der Verwertung eines Beweismittels auseinandersetzen, das ein Privater zwar allgemein rechtswidrig (Persönlichkeitsverletzung nach Art. 28 ZGB), nicht aber deliktisch erlangt hatte. Es schützte die vorinstanzliche Anwendung von Art. 141 Abs. 2 StPO sowie des bundesgerichtlichen Schemas zu von Privaten rechtswidrig erlangten Beweismitteln auch bei einem allgemein widerrechtlichen Beweismittel.[73] Das Bundesgericht stellte damit «schlicht rechtswidrige» Beweise den strafrechtswidrigen Beweismitteln im Hinblick auf sein Prüfschema gleich.
Diese Vorgehensweise wurde bereits vor dem genannten Bundesgerichtsentscheid etwa durch das Obergericht des Kantons Bern praktiziert.[74]
Im Ergebnis ist damit bei «schlicht rechtswidrigen» Dashcam-Aufzeichnungen das gleiche Prüfschema anzuwenden wie bei strafrechtswidrigen Dashcam-Aufzeichnungen.
3. (Straf-)rechtswidrig erlangte Dashcam-Aufzeichnungen
Damit ist allerdings noch nichts darüber gesagt, was unter den Kriterien zu verstehen ist, welche das Bundesgericht in seinem Prüfschema zu rechtswidrigen privaten Beweisen anwendet. Diese werden im Folgenden eingehend behandelt.
a) Hypothetisch rechtmässige Beweiserlangung durch die Strafbehörden
Wie gesehen verlangt das bundesgerichtliche Prüfschema zunächst, dass die Strafverfolgungsbehörden das umstrittene Beweismittel selbst rechtmässig hätten erlangen können.[75]
Entscheidend für die hypothetisch rechtmässige Beweiserlangung ist gemäss Bundesgericht, ob die Strafbehörden das umstrittene Beweismittel rechtmässig hätten beschaffen können, «wenn ihnen der Tatverdacht bekannt gewesen wäre».[76]
Es führt aus, dass betreffend die Frage, ob die Strafverfolgungsbehörden das fragliche Beweismittel rechtmässig hätten erlangen können, «nur solche gesetzlichen Erfordernisse einzubeziehen [sind], die sich abstrakt anwenden lassen und keine Würdigung konkreter Umstände der jeweiligen Beweiserlangung erfordern».[77]
Es scheint so, als ob das Bundesgericht bei der Frage, ob die Strafbehörden den umstrittenen Beweis hätten rechtmässig beschaffen können, den Tatverdacht - der definitionsgemäss von konkreten Umständen abhängt -[78] nicht nachprüft. In der Vergangenheit prüfte es im Zusammenhang mit der hypothetischen Erlangung privater Ton- und Videoaufzeichnungen wiederholt nur, ob eine Katalogtat nach Art. 269 Abs. 2 lit. a StPO vorlag und die Behörden damit zu den betreffenden Beweiserhebungen (Überwachungsmassnahmen nach Art. 269 und 280 StPO) befugt gewesen wären. Den Tatverdacht (sowie den Subsidiaritätsgrundsatz) überprüfte es hingegen wiederholt nicht ausdrücklich.[79]
Zwar hielt das Bundesgericht im Urteil 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 fest, dass die Vorinstanz ohne Bundesrechtsverletzung annehmen durfte, die Strafverfolgungsbehörden hätten die umstrittene Videoaufzeichnung nicht selbst erlangen können, da zum Zeitpunkt ihrer Erstellung kein dringender Tatverdacht bestand.[80] Es präzisierte im Urteil 6B_983/2013 vom 24. Februar 2014 den Entscheid allerdings dahingehend, dass es im Zeitpunkt der fraglichen Beweisbeschaffung an einer Straftat überhaupt fehlte, und nicht nur an der strafbehördlichen Kenntnis des entsprechenden Tatverdachts.[81]
Das Bezirksgericht Schwyz bejahte im Zusammenhang mit der Verwertung einer Dashcam-Aufzeichnung die hypothetisch rechtmässige Erlangung des Beweismittels durch die Strafverfolgungsbehörden, da die Polizei aufgrund der in der Strassenkontrollverordnung enthaltenen verkehrspolizeilichen bzw. präventiv-polizeilichen Aufgaben berechtigt sei, das Verhalten der Strassenverkehrsteilnehmer mit technischen Hilfsmitteln - etwa einer Kamera - aufzuzeichnen, ohne dass sie einen konkreten Tatverdacht benötige. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Polizei im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO nur aufgrund eines hinreichenden Tatverdachts Aufnahmen hätte machen dürfen, hätten die Strafverfolgungsbehörden die Aufnahmen erlangen können, da sie bereits aufgrund der Geschwindigkeit des Personenwagens konkrete Verdachtsmomente für strafbares Verhalten gehabt hätten und die Aufzeichnung nach Kenntnisnahme dieser Verdachtsmomente hätten starten können.[82]
Das Kantonsgericht Schwyz als Berufungsgericht hielt fest, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Beweismittel durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden hätten erlangt werden dürfen. Als der Fahrlehrer seine Dashcam einschaltete, fehlte es an einer Straftat und es bestand kein Anlass zu einer Kontrolle, in deren Rahmen die Polizei hätte Verdacht schöpfen, einem allfälligen Verdächtigen mit eingeschaltetem Videogerät nachfahren und diesen eruieren können. Sollten Polizeipatrouillen unterwegs verdeckt ohne konkreten Verdacht flächendeckend und anlasslos ständig filmen, stelle dies eine unzulässige «fishing expedition» dar.[83]
Ein Grossteil der Lehre befürwortet zwar, dass von Privaten (straf-)rechtswidrig erlangte Beweise im Strafverfahren zunächst nur zuzulassen sind, wenn diese von den Strafbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können, jedoch thematisieren die wenigsten Kommenta-toren die Voraussetzungen für dieses Kriterium tiefergehend.
Godenzi hält fest, dass die Zulässigkeit des gedachten hypothetischen Eingriffs nach illegalen privaten Tonbandaufnahmen ausschliesslich vom Vorliegen einer Katalogtat und einer abstrakten Verhältnismässigkeit abhängt, wohingegen der Tatverdacht sowie der Subsidiaritätsgrundsatz im Rahmen der massgeblichen abstrakten Hypothese unberücksichtigt bleiben.[84] Dies begründet sie damit, dass der Subsidiaritätsgrundsatz und der vorbestehende Tatverdacht untrennbar mit den konkreten Umständen des Einzelfalls verbunden seien. Konkrete Umstände des Einzelfalls seien jedoch nur bezogen auf die tatsächlich erfolgte private Ermittlungsmassnahme existent, nicht aber bei einer nachträglichen, nur gedachten staatlichen Überwachungsmassnahme.[85]
Auch Schmid hält - mit Blick auf die Erwägungen des Bundesgerichts - fest, dass für die Beurteilung, ob die Behörden das gleiche Beweismittel rechtmässig hätten erlangen können, davon auszugehen sei, dass im Zeitpunkt der privaten Beweisbeschaffung bereits ein dringender Tatverdacht bestanden habe. Anhand dieser Hypothese sei zu prüfen, ob die Strafbehörden das gleiche Beweismittel hätten beschaffen dürfen. Folge man der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, sei bei privaten Beweiserhebungen nicht von Belang, ob der Verdacht ein begründeter sei bzw. ob überhaupt ein Verdacht vorliege. Die Hürden für die Annahme einer rechtmässigen Beweismittelerlangung seien bei Privaten um einiges tiefer angelegt als beim Staat.[86]
Rusch hält fest, dass das Kriterium der hypothetischen Beweiserlangung im Strassenverkehr nur funktioniere, wenn man das Wissen der Behörden um den Tatverdacht der sich innert Sekunden ereignenden Tat fingiere, was das Bundesgericht tatsächlich so zu verstehen scheint.[87]
Wie die Entscheide des Bezirksgerichts und des Kantonsgerichts Schwyz zeigen, ist für die Frage, ob die Strafbehörden die umstrittenen Videoaufzeichnungen rechtmässig hätten erlangen können, namentlich der Tatverdacht von zentraler Bedeutung.
Zwar scheint es, als beurteile das Bundesgericht den Tatverdacht im Rahmen der abstrakten Hypothesenprüfung nicht. Nichtsdestotrotz blendet es den Tatverdacht nicht gänzlich aus. Wie gesehen verneinte das Bundesgericht die Verwertbarkeit eines privaten Beweismittels (infolge fehlenden Tatverdachts) in einem Fall, wo es im Zeitpunkt der privaten Beweisbeschaffung an einer Straftat überhaupt fehlte. Der Private konnte somit also überhaupt keinen Tatverdacht haben.
Für die Frage der hypothetisch rechtmässigen Erreichbarkeit privater Dashcam-Aufzeichnungen drängt sich deshalb eine Unterscheidung zwischen anlassbezogenen und anlasslosen privaten Dashcam-Aufzeichnungen auf.
Anlassbezogene private Dashcam-Aufzeichnungen - also Videoaufzeichnungen, welche ein Privater aufgrund konkreter Verdachtsmomente hinsichtlich einer Straftat erstellt - sind in jedem Falle auch hypothetisch durch die Strafbehörden rechtmässig zu erlangen.
Bei anlasslosen Dashcam-Aufzeichnungen - sprich bei Videoaufnahmen von permanent aufzeichnenden Dashcams - ist hingegen zu differenzieren.
Wo sich das gefilmte Verhalten auf einen Moment konzentriert, welcher nur mit Daueraufnahme hat erfasst werden können, müsste auch eine abstrakte Beurteilung des Tatverdachts zu einer Verneinung der Erreichbarkeit führen. Wie gesehen stellen Beweisaufnahmen durch die Strafbehörden ohne (genügenden) Tatverdacht eine unzulässige Beweisausforschung (fishing expedition) dar.[88] Demnach scheitert in solchen Konstellationen die Verwertbarkeit der privaten Dashcam-Aufzeichnung daran, dass die Strafbehörden diese nicht selbst hätten rechtmässig erlangen können.[89]
Hingegen muss die rechtmässige Erlangung anlassloser Videoaufzeichnungen in Fällen bejaht werden, wo die Polizei - wäre sie anstelle des privaten Dashcam-Verwenders vor Ort gewesen - nach ersten Verdachtsmomenten noch eine Kamera hätte einschalten können.[90]
b) Interessenabwägung
Führt die Hypothesenprüfung zum Ergebnis, dass eine privat beschaffte Dashcam-Aufzeichnung durch die Strafbehörden rechtmässig hätte beschafft werden können, muss eine Interessenabwägung vorgenommen werden.[91] Solche Interessenabwägungen sind bekanntermassen immer mit Rechtsunsicherheiten verbunden.[92]
Die Interessen des Staates an der Bestätigung oder Widerlegung des konkreten Verdachts und die Interessen des Betroffenen an der Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte sind gegeneinander abzuwägen, wozu alle erheblichen Umstände in Betracht zu ziehen sind.[93]
Die Art und Durchführung der durch das Bundesgericht vorgenommenen Interessenabwägung im Zusammenhang mit Beweisverwertungsverboten wurde in der Lehre wiederholt kritisiert.[94] So wird angeführt, dass die Interessenabwägung unvollständig vorgenommen[95] oder lediglich formelhaft erwähnt wird.[96] Ferner weist jede Interessenabwägung ein gewisses willkürliches Element auf,[97] sodass jedes beliebige Resultat letztlich formaljuristisch korrekt «herbeigezaubert» werden kann.[98] Es wird deshalb gefordert, dass die Interessenabwägung, der Methodenehrlichkeit folgend, transparent vorgenommen, die verschiedenen sich gegenüberstehenden Interessen vollständig erfasst, offengelegt und im Detail gegeneinander abgewogen werden.[99]
Bei der Interessenabwägung zunächst zu berücksichtigen ist die Schwere des Tatvorwurfs.[100]
Als «schwere Straftaten» kommen vorab Verbrechen (i.S.v. Art. 10 Abs. 2 StGB), Delikte der Schwerkriminalität (bei denen als Strafe ausschliesslich eine Freiheitsstrafe angedroht ist) sowie Delikte gemäss den Deliktskatalogen (etwa Art. 269 Abs. 2 StPO) in Frage.[101] Demnach stellen insbesondere grobe Verkehrsregelverletzungen (Art. 90 Abs. 2 SVG) als Vergehen zwar relativ schwerwiegende nicht aber schwere Straftaten im genannten Sinne dar.[102]
Ein Teil der Lehre fordert zudem, dass nicht nur auf die abstrakte Strafandrohung, sondern auch auf die konkrete Schwere der Tat[103] mit ihren konkreten Folgen[104] abzustellen ist.[105]
Ebenfalls wird gefordert, dass - analog zur Rechtsprechung zu rechtswidrig erlangten Beweisen durch die Strafverfolgungsbehörden - Gewicht und Ausmass der Rechtsgüterverletzung bei der Beweisbeschaffung durch Private ebenso gewürdigt werden, da ansonsten der privaten Beweisbeschaffung Tür und Tor geöffnet würde und etwa auch durch ein Verbrechen erlangte private Beweismittel verwertet werden dürften.[106] Dies geht einher mit dem ebenfalls miteinzubeziehenden Interesse des Beschuldigten an der Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte.[107] Hierbei zu berücksichtigen ist, dass durch Dashcams regelmässig das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht am eigenen Bild sowie grundlegende Prinzipien des Datenschutzes verletzt werden.[108] Demnach sind auch Gewicht und Ausmass der Persönlichkeitsverletzung durch den Dashcam-Verwender in die Interessenabwägung einzubeziehen.[109]
In der Interessenabwägung ist sodann die Bedeutung des Beweismittels zu berücksichtigen, sprich, ob es das einzige Beweismittel ist, oder ob für eine Verurteilung weitere Beweise zur Verfügung stehen, die rechtmässig erhoben wurden.[110]
Neben diesen Individualinteressen müssen ferner die öffentlichen Interessen berücksichtigt werden.
Die Rechts- und Verwertungsregeln müssen so angewandt werden, dass kein Anreiz zu Selbstjustiz bei der Beweissammlung besteht.[111] Je eher eine Dashcam-Aufzeichnung zur Verwertung zugelassen wird, desto grösser ist die Gefahr, dass sich Private zu «Hilfssheriffs»[112] aufschwingen und zur Selbstjustiz greifen. Dies ist gerade dann problematisch, wenn der Private weder geschädigt noch beeinträchtigt ist, sodass der Private in einem entsprechenden Verfahren an solchen Beweisen selbst kein Interesse hat,[113] er also quasi-polizeiliche Aufgaben wahrnimmt und die Grenzen individueller Gefahrenabwehr überschreitet.[114] Deshalb sollte nach der hier vertretenen Ansicht in der Interessenabwägung berücksichtigt werden, ob der Kamerabetreiber überhaupt Verletzter der Straftat ist,[115] bzw. ob er durch die Straftat gefährdet wurde.
Zudem bestehen gewichtige öffentliche Interessen an einem fairen Verfahren sowie an der Justizförmigkeit des Verfahrens.[116] Jeder Rückgriff der Behörden auf illegal erlangte Beweise erschüttert das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine rechtsstaatliche Strafrechtspflege.[117] Es besteht ein öffentliches Interesse daran, dass keine Straftaten begangen werden - auch nicht bei Beweismittelerhebungen durch Private.[118] Dies muss auch für «schlichte» Rechtsverletzungen gelten.
Demgegenüber bestehen öffentliche Interessen an der Aufklärung von Straftaten (Wahrheitsfindung),[119] an der Effektivität der Verfolgung von strafrechtlichem Fehlverhalten (effektiver Rechtsschutz)[120] sowie an der Gewährleistung der Sicherheit des öffentlichen Strassenverkehrs und damit dem Schutz von Gesundheit und Leben der Verkehrsteilnehmer bzw. dem Schutz von Grundrechten Dritter.[121]
Stellt man diese Abwägungskriterien einander gegenüber, so überwiegen die privaten und öffentlichen Interessen an der Unverwertbarkeit von Dashcam-Aufzeichnungen bei einfachen Verkehrsregelverletzungen nach Art. 90 Abs. 1 SVG (als Übertretungen) wohl regelmässig. Demgegenüber überwiegen die Interessen an der Verwertbarkeit von Dashcam-Aufzeichnungen bei schweren Straftaten[122] tendenziell.
Bei groben Verkehrsregelverletzungen nach Art. 90 Abs. 2 SVG dürfte es sich um einen Grenzfall handeln: Einerseits stellen grobe Verkehrsregelverletzungen (als Vergehen) nur relativ schwerwiegende nicht aber schwere Straftaten dar,[123] was tendenziell für die Unverwertbarkeit von Videoaufzeichnungen spricht, auf denen solche grobe Verkehrsregelverletzungen zu sehen sind.[124] Andererseits setzt der objektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG (neben der groben Verletzung einer Verkehrsregel) voraus, dass eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorgerufen oder in Kauf genommen wird. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist gemäss Bundesgericht nicht erst bei einer konkreten, sondern bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben.[125] Diese konkrete bzw. zumindest erhöhte abstrakte Gefährdung anderer als Folge der groben Verkehrsregelverletzung spricht tendenziell für eine Verwertung solcher Aufzeichnungen.
In jedem Fall ist aber eine detaillierte und einzelfallbezogene Interessenabwägung anhand obiger Abwägungskriterien vorzunehmen. Dabei ist die Dashcam-Aufzeichnung insbesondere dann nicht verwertbar, wenn bei ihrer Beschaffung ein Rechtsgut verletzt wurde, welches im konkreten Fall den Vorrang vor dem Interesse an der Durchsetzung des Strafrechts verdient.[126]
4. Rechtmässige bzw. gerechtfertigte Dashcam-Aufzeichnungen
Erlangen Private eigeninitiativ, sprich weder im Auftrag noch mit Unterstützung der Strafbehörden, und rechtmässig Beweismittel, sind diese grundsätzlich verwertbar.[127] Wurden Dashcam-Aufzeichnungen rechtskonform, sprich insbesondere im Einklang mit dem Zivil-, dem Datenschutz- sowie dem Strafrecht, erhoben, sind diese im Strafverfahren als Beweismittel demnach zuzulassen.
Überdies stellt sich die Frage der Unverwertbarkeit dann überhaupt nicht, wenn das Verhalten des Privaten (auf materiell-rechtlicher Ebene) durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist.[128] Insbesondere wenn es dem Privaten nicht primär um die Überführung des Straftäters, sondern um die Abwehr unrechtmässiger Eingriffe geht, ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Geschädigte aufgrund von Notwehr (Art. 15 f. StGB), Notstand ( Art. 17 f. StGB) sowie nach dem Grundsatz der Wahrung berechtigter Interessen befugt gewesen ist, in dringenden Fällen sowie unter Beachtung der Verhältnismässigkeit selbst zugunsten der Strafverfolgungsbehörden Beweise zu sichern.[129] Dies ist etwa dann der Fall, wenn nötigende Äusserungen bzw. Verhaltensweisen unerlaubterweise auf einem Bild- oder Tonspeichergerät aufgenommen werden.[130]
5. Entlastende Dashcam-Aufzeichnungen als Sonderfall
Ebenfalls stellt sich die Frage, ob unverwertbare Dashcam-Aufzeichnungen auch in Bezug auf mögliche Entlastungsbeweise einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. Denkbar ist etwa, dass sich eine rechtswidrig erhobene Dashcam-Aufnahme zu Gunsten des Beschuldigten auswirkt.
Vor Einführung der Strafprozessordnung waren Beweise, welche sich zu Gunsten des Beklagten auswirkten, grundsätzlich verwertbar.[131] Strittig ist, ob Beweisverbote nach der neuen Strafprozessordnung nur Belastungs- oder auch Entlastungsverbote sind.[132]
Die wohl überwiegende Lehre und die noch spärlich vorhandene Rechtsprechung befürworten tendenziell ein blosses Belastungsverbot.[133] Begründet wird dies zunächst damit, dass eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage fehlt. Im Begleitbericht VE-StPO heisst es denn auch explizit, dass es der Praxis überlassen bleiben könne, «inwieweit solche Beweise zugunsten der Beschuldigten oder anderer Parteien verwendet werden».[134] Daneben wird angeführt, dass die Strafjustiz es sich nicht leisten könne, irgendein vorhandenes Indiz zur Unschuld des Beschuldigten zurückzuweisen.[135] Auch rein faktische Probleme, welche die Gegenseite anbringt, überzeugten nicht. Eine praktikable Lösung müsse etwa auch für Konstellationen gefunden werden, in welchen ein Verwertungsverbot nicht bei allen Beschuldigten greift, sondern nur bei Einzelnen.[136] Zudem sollen die Strafbehörden für Verfahrensrechtsverletzungen bestraft und von künftigen Verletzungen abgehalten werden, indem rechtswidrig erhobene Beweise nicht gegen den Beschuldigten verwertet werden dürfen, was dem fairen Verfahren dient.[137] Überdies ist Häring der Auffassung, dass der Gedanke, einen offensichtlich Unschuldigen zu verurteilen, weil entlastende Beweise nicht verwertet werden dürfen, unerträglicher erscheint als der Gedanke, einen offensichtlich Schuldigen mangels verwertbarer Beweise freizusprechen.[138]
Schliesslich hält das Kantonsgericht Graubünden fest, dass dem Grundsatz, wonach eine Verurteilung nur erfolgen darf, wenn der Beschuldigte sich in objektiver und subjektiver Hinsicht nachweislich tatsächlich schuldig gemacht hat, grundlegende Bedeutung zukommt. Diese Wertung finde sich etwa im fundamentalen Grundsatz «in dubio pro reo».[139]
Der wohl überwiegenden Lehrmeinung sowie der spärlichen Rechtsprechung zu Entlastungsbeweisen unter der neuen StPO ist zu folgen, weshalb den Beschuldigten entlastende Dashcam-Aufzeichnungen zu dessen Gunsten zu verwerten sind.[140] Zum einen ist es stossend, eine offensichtlich unschuldige Person zu verurteilen. Zum anderen stehen gegen den fehlbaren Dashcam-Verwender zivil- und u.U. strafrechtliche Rechtsbehelfe zur Verfügung, um diesen für den unzulässigen Dashcam-Einsatz zu sanktionieren.
Wo eine illegale Dashcam-Aufzeichnung einen Automobilisten ent lastet, einen anderen hingegen belastet, ist die unverwertbare Aufzeichnung zugunsten des Automobilisten, welcher dadurch entlastet wird, zu verwerten. Allerdings müssen die Interessen des Mitbeschuldigten, nicht gestützt auf einen illegalen Beweis verurteilt zu werden, berücksichtigt werden, weshalb der entsprechende Beweis dann nicht gegen den Mitangeschuldigten verwertet werden könnte.[141]
6. Prüfschema zur Verwertbarkeit privater Dashcam-Aufzeichnungen
Das folgende Prüfschema dient als Überblick, wie vorzugehen ist, wenn die Frage nach der Verwertbarkeit einer Dashcam-Aufzeichnung im Raum steht.