I. Einleitung
In der Septemberausgabe der Schweizer Richterzeitung äusserte ein Richter Kritik am Parteiproporz und den damit zusammenhängenden Mandatssteuern.[1] Werden in einem solchen Forum aktuelle Entwicklungen diskutiert, ist die Relevanz dieser Beiträge für fachliche Diskussionen und die Weiterentwicklung des Rechts unbestritten. Gleichzeitig sind diese Äusserungen, aufgrund des passwortgeschützten Abonnentenbereichs, grundsätzlich nur einem kleinen Personenkreis zugänglich. Sollten sie nicht offen zugänglich sein? Besteht Grund zum Handeln, um die Zugänglichkeit wissenschaftlicher Publikationen herzustellen? Insbesondere der auf die Annahme der nationalen Open Access (OA) -Strategie folgende Aktionsplan[2] setzt dieses Thema in der Schweiz auf die Agenda. Es sollen «passende Lösungen» aufgezeigt werden, um die mit privaten und öffentlichen Geldern finanzierten wissenschaftlichen Publikationen öffentlich zugänglich zu machen.[3] Die Präsentation respektive Verabschiedung des Aktionsplans durch den Hochschulrat ist für Februar 2018 angesetzt.[4] Die Zeit drängt und dennoch bleibt noch vieles ungeklärt. Eine der offenen Fragen, die das Verhältnis von Wissenschaftlerinnen, ihren Heiminstitutionen und Verlagen betrifft, ist Gegenstand dieses Beitrags: Dürfen und sollen Universitätsangestellte zu OA verpflichtet werden?
II. Ausgangslage
In den verschiedenen Fachrichtungen finden sich unterschiedliche OA-Ansätze, Modelle und Grundhaltungen.[5] Während sich insbesondere in den naturwissenschaftlichen Disziplinen OA-Zeitschriften ein eigenes Renommee erarbeiten konnten,[6] beherrschen in der Rechtswissenschaft weiterhin klassische Zeitschriftenverlage den Markt.[7] Diese herausgehobene Stellung von Verlagen im Bereich analoger und digitaler Zeitschriftenabonnements hat in den vergangenen Jahren zu steigenden Kosten für die Bibliotheken geführt.[8] Nur wenigen wird die Grössenordnung dieser Summen bekannt sein.[9] Sinkende Bibliotheksbudgets führen dazu, dass ein bedeutender Teil der wissenschaftlichen Literatur nicht mehr zugänglich ist. Mithin wächst das Interesse an OA, wobei aus der Sicht einer publizierenden Wissenschaftlerin theoretisch zwei Wege offenstehen. Zum einen die Veröffentlichung in einer Zeitschrift, welche Inhalte frei zugänglich online bereitstellt; betreten wird so der «goldene Weg».[10] Zweitens, als sogenannter «grüner Weg», die Zugänglichmachung eines anderweitig veröffentlichten Beitrags in einem Online-Repositorium.[11]
Eine weitere Dimension bildet die Institutionalisierung der Idee von OA. Aktuelle Entwicklungen, etwa der erwähnte Aktionsplan im Rahmen der nationalen OA-Strategie,[12] lassen die Thematik politisch erscheinen.[13] Ziel ist gemäss der Vision 2024, dass zu diesem Zeitpunkt 100 Prozent der Publikationen von Schweizer Hochschulen OA veröffentlicht werden.[14] Die Präsentation, respektive Verabschiedung durch den Hochschulrat ist für Februar 2018 angesetzt.[15]
Solche Institutionalisierungsgedanken stehen im Spannungsfeld zwischen dem nationalen und internationalen Urheberrecht einerseits und der Idee von OA als globaler Wissenschaftskommunikation andererseits.[16] In der Praxis wurden verschiedene, in ihren Besonderheiten geographisch beschränkte Ausprägungen der Institutionalisierung von OA, entwickelt. Einige von ihnen werden im Folgenden dargestellt.
III. Internationale Ansätze
1. Harvard University
Im Jahr 2008 stimmte die Faculty of Arts and Science der Harvard University einstimmig für die Abtretung des nicht ausschliesslichen Rechts ihrer Wissenschaftlerinnen auf sämtliche Formen nichtkommerzieller Nutzung von deren Werken an die Universität.[17] Ihr folgten andere Institutionen.[18] Aus urheberrechtlicher Sicht handelt es sich bei dem genannten Modell um eine nichtexklusive Lizenz,[19] wobei der Universität an grundsätzlich jedem Werk der eigenen Mitarbeiterinnen Rechte zufallen.[20] Sobald ihr die finalen Werke vorliegen, werden sie im weltweit freien und ohne Registrierung zugänglichen DASH-Repositorium[21] gespeichert. Eine nicht kommerzielle und nichtderivative Weiterverwendung durch Dritte ist möglich, muss aber den DASH-Konditionen entsprechen.[22] Grundsätzlich versuchen die Universitäten sich schriftliche Lizenzen einräumen zu lassen.[23] Eine Speicherung im DASH-Repositorium kommt damit als, mitunter simultane Erstveröffentlichung einer Golden Way-Publikation in einem anderen Medium gleich.[24]
Vorgesehen bleiben Freistellungen von einer Pflicht zu OA, sogenannte «waiver», sowie die Respektierung von allfälligen Embargo-Fristen durch das Repositorium.[25] Doch wie kann eine an der Universität angestellte Forscherin von der erwähnten Sonderfreistellung (Opt-Out-Möglichkeit) Gebrauch machen? Diese wird beim Dekan der Fakultät beantragt, z.T. mit Begründung versehen, und grundsätzlich genehmigt.[26] Gleichwohl werden nur in etwa 5% der Fälle solche Anträge überhaupt gestellt.[27] Eine zweite Ausnahme von der OA-Pflicht stellt die sogenannte «dark deposition» dar. In diesem Fall lassen es vertragsrechtliche Bestimmungen zwischen der Wissenschaftlerin als Autorin und dem Verlag nicht zu, dass das Werk simultan auch im Repositorium zugänglich gemacht wird. Nach Ablauf eines etwa 6-monatigen Embargos, dem sogenannten «lift date», erfolgt dann die Öffnung des Werkes für die Allgemeinheit.[28]
Trotz des anhaltenden Erfolgs des Modells, werden auch weiterhin Diskussionen zur Frage des Eingriffs in die Wissenschaftsfreiheit geführt. Die Forscherin könne nicht mehr entscheiden wo, wann und was sie veröffentliche.[29] Eine weitere, mitunter technische Herausforderung bildet die Klassifizierung der verschiedenen Versionen. In den Datenbanken wird zwischen Autor-Manuskript, Verlagsversion und anderen unterschieden.[30] Die Unterscheidung ist von zentraler Bedeutung, untersagen doch etliche Verlage die Distribution der «version of record», der finalen Verlagsversion.[31] Unklar bleiben auch die Kriterien der «waiver»-Genehmigung oder Ablehnung. Während einige Fakultäten umfassende Begründungen verlangen, ergehen anderorts Genehmigungen ohne jegliche Rückfrage.[32] Bezogen auf die konkrete Situation in den USA ist ferner fraglich, inwiefern die gesetzliche «work made for hire»-Regelung[33] dazu führen könnte, dass gar nicht die Wissenschaftlerin selbst, sondern die Universität als Arbeitgeberin, als Urheberin anzusehen wäre.[34]
Dennoch erscheint das Harvard-Modell als sinnvolle Ergänzung zum gesetzlichen US-Copyright-System. Ein Grund liegt darin, dass dieses allein - trotz Limitationen und Ausnahmen zugunsten von Bildung, Wissenschaft und Archivierung - dem vollen Potential der neuen Technologien für die Bildungsinstitutionen nicht gerecht zu werden vermag.[35]
2. University of Suffolk: UK Scholarly Communication License (UK-SCL)
Auch in Grossbritannien haben sich vielfältige OA-Ansätze und institutionelle Regelwerke entwickelt.[36] Dabei weisen einige Universitäten schon jetzt einen Etat für Golden Way-Publikationen aus. In diesem Umfeld werden OA-Ansätze institutionsübergreifend diskutiert[37] und sind vermehrt auch breit abgestützt.[38] An der University of Sussex[39] wird etwa ein auf dem Harvard-Modell basierender Ansatz verfolgt.[40] Neben der Zugänglichmachung über die Einrichtung einer Datenbank wird Wert auf eine rechtswirksame Nachnutzung der hinterlegten Werke gelegt.[41] Dies geschieht mithilfe standardisierter «Creative Commons (CC)-Lizenzen», zur Ermöglichung der Nutzung des Beitrags durch Dritte.[42] Der Urheber entscheidet in diesem Kontext über den Umfang der den Nutzern der OA-Publikation eingeräumten Rechte.[43] Befürworter dieser von CC-Lizenzen betonen, dass auf diese Weise den Bedürfnissen der Urheber besser entsprochen werde, als dies im tradierten, auf Belohnung basierenden System der Fall ist.[44] Mit der Anwendung der CC-Lizenzen unterscheidet sich dieses Modell vom Harvard-Modell. Gleichwohl ist gemäss den DASH-Bedingungen auch dort eine Nachnutzung möglich.
An der University of Suffolk findet unter der «UK Scholarly Communications Licence» die «CC-BY-NC»-Grundform der CC-Lizenz Anwendung.[45] Diese umfasst die Module der «Namensnennung» («BY») und der «nicht kommerziell(en)» («NC») Nutzung. Mögliche Erweiterungen ergeben sich durch die Module der «Weitergabe unter gleichen Bedingungen» («SA») und «keine Bearbeitung» («ND»).[46] Notwendige Voraussetzung jeder Unterform der Nutzung bildet mithin die Namensnennung, d.h. die Zurechnung der Publikation zum Autor.[47]
Die University of Suffolk wendet zudem das Konzept der «moving wall»-Lizenz an. Dabei werden mit der Repositoriumshinterlegung die Metadaten ersichtlich gemacht.[48] Auch bei der UK-SCL sind Sonderfreistellungen vorgesehen. Anders als beim Harvard-Ansatz ist dabei jedoch mehr Spielraum für die Institutionen gegeben, innerhalb dessen Konditionen für die Verweigerung der «waiver» festgelegt werden können.[49] Auch dieses Modell folgt der Annahme, dass das Urheberrecht an einem Werk bei dessen Autor und nicht bei der Universität entsteht.[50]
3. Baden-Württemberg
In Deutschland wurde die OA-Idee von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen[51] wie auch, zum Erstaunen vieler, vom Rechtsausschuss des Bundestags vorangetrieben.[52] Durch den am 1. Januar 2014 eingefügten und in Kraft getretenen § 38 Abs. 4 des deutschen Urheberrechtsgesetzes (UrhG), wurde Wissenschaftlerinnen, welche ihre Arbeit mit überwiegend staatlich finanzierten Drittmitteln finanzieren, bundesweit ein sich - nach einer vertraglich nicht abdingbaren Karenzzeit von einem Jahr - aktivierendes Zweitveröffentlichungsrecht[53] gesichert.[54] In der Gesetzesbegründung[55] des deutschen Gesetzgeber werden erstmals deutlich "zentrale Begründungen des Open-Access-Paradigmas" aufgegriffen.[56] 2017 hat die Bundesregierung sodann den "Entwurf für ein Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG)" beschlossen.[57]
Speziell ausgeprägt ist die OA-Verpflichtung seit dem dritten Hochschulrechtsänderungsgesetz vom 1. April 2014 (3. HRÄG) und mit Erlass des § 44 Abs. 6 Landeshochschulgesetz (LHG) in Baden-Württemberg. Durch Satzung werden Wissenschaftlerinnen verpflichtet, das Zweitveröffentlichungsrecht aus § 38 Abs. 4 UrhG in Anspruch zu nehmen.[58] Damit besteht eine dienstrechtliche Absicherung. Das Recht wird zur Pflicht.[59] Dabei stellt sich die Frage nach der Verfassungskonformität einer solchen Pflicht.[60] Das Bundesverfassungsgericht stellt schon die Entscheidung der Wissenschaftlerin über eine Publikation unter das Grundrecht der Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz, GG).[61] Neben der sich daraus ergebenden Verfassungswidrigkeit widerspricht die Zweitveröffentlichungspflicht auch § 3 Abs. 2 LHG, wo die Forschungsfreiheit ebenfalls verankert ist.[62] Neben diesen inhaltlichen Aspekten kommt die Frage hinzu, ob den Bundesländern die Gesetzgebungskompetenz zusteht. Dies muss verneint werden, sofern in der Bestimmung eine Schranke des Urheberrechts und somit materielles Urheberrecht erblickt wird.[63] Ergibt sich damit aus dem LHG eine Beschwer einzelner Wissenschaftlerinnen? Das Gesetz richtet die Satzungspflicht an die Universtäten, also nicht direkt an Einzelne.[64] Das Gelingen der Einführung einer OA-Verpflichtung, genauso wie das Vorgehen gegen eine solche, hängt somit letztlich von den jeweiligen Satzungen der Universitäten und ihrer Umsetzung ab.[65]
IV. Implementierung in der Schweiz
Die Frage, ob Universitätsangestellte zu OA verpflichtet werden dürfen oder sollen, kann nicht allein aus dem jeweiligen Universitätsrecht heraus beantwortet werden. Vielmehr müssen die bisherigen Rechtsentwicklungen, Umsetzungsansätze und künftigen Herausforderungen in die Abwägung mit einfliessen.[66] Dabei ist insbesondere nicht zu vergessen, dass neben der Konsultation von kantonalem Recht, aufgrund der Trägerschaft von Universitäten[67] im Bundesrecht, auch das Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz (HFKG,[68] vgl. dessen Art. 1 Abs. 1) und das Universitätsförderungsgesetz (UFG)[69] zu berücksichtigen sind.[70]
1. Betroffene Rechtsgebiete
Open Access und eine damit allfällig verbundene Verpflichtung betrifft folglich vielfältige Rechtsgrundlagen. Im Folgenden soll insbesondere auf verfassungs-, urheberrechtliche- und wettbewerbsrechtliche Aspekte eingegangen werden. Unterschieden wird dabei zwischen der Perspektive der Universität und der ihrer wissenschaftlichen Angestellten.
a) Verfassungsrecht
Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist zunächst zu fragen, ob eine OA-Verpflichtung auf die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 27 BV gestützt werden könnte.[71] Die Wissenschaft[72] setzt, als Teil des Meinungsbildungsprozesses, in einem besonders hohen Mass eine institutionelle Einbettung voraus.[73] Für die Universitäten bedeutet das, als Voraussetzung für die Unabhängigkeit der Wissenschaftlerinnen, organisatorische Autonomie.[74] Daraus richtet sich eine programmatische Weisung an den Staat die wissenschaftliche Forschung und die Innovation zu fördern (vgl. Art. 64 Abs. 1 BV).[75] Inhaltlich bedarf es der Klärung, inwiefern die Wissenschaftsfreiheit mit dem OA-Gedanken kompatibel ist.
Grundsätzlich erscheint die Wissenschaftsfreiheit OA-freundlich. Einem Bild der Wissenschaft, deren Hauptfunktion der auf entsprechenden Methoden basierende Erkenntnisgewinn ist,[76] kommt das Ziel der freien Zugänglichkeit von wissenschaftlichen Informationen inhaltlich zu Gute.[77] Denn Teil der Wissenschaft ist auch «deren Verbreitung in einem offenen, rationalen Diskurs».[78] Freies Publizieren bedeutet, neben der Bestimmung des jeweiligen Werks zur Verbreitung, auch die Option zur Wahl des Zeitpunkts und des Kanals.[79] Dieser Aspekt zeigt, dass eine Verpflichtung zur OA-Publikation zur Wissenschaftsfreiheit in einem Spannungsverhältnis steht. Entsprechend ist eine solche Verpflichtung von vornherein nur unter Berücksichtigung von Verhältnismässigkeitserwägungen möglich.[80]
Nicht nur die Forschenden als natürliche Personen, sondern auch juristische Personen können Grundrechtsträger von Art. 27 BV sein. In der Praxis ungeklärt ist die Frage, inwiefern auch Hochschulen miteinzubeziehen sind.[81] Die Wissenschaftsfreiheit gilt, im Zuge der indirekten Drittwirkung der Grundrechte, nicht nur gegenüber dem Staat, sondern muss auch bei der Rechtsauslegung gegenüber Privaten beachtet werden.[82] Im Lichte einer OA-Verpflichtung erscheint privatrechtlich primär die Auslegung des Urheberrechtsgesetzes (URG) relevant. Ob und inwiefern einer grundrechtskonformen Auslegung auch in der Praxis Gewicht zukommt, ist streitig.[83] Dabei schränkt der Sinn und Zweck der Norm eine zu weitreichende Auslegung durchaus ein.[84] Zum anderen ist eine Auslegung nicht schon BV-konform, wenn sie der Wissenschaftsfreiheit entspricht; vielmehr fliessen auch die anderen Verfassungsbestimmungen mit ein.[85] Neben der Wissenschaftsfreiheit wird hier auch die Eigentumsgarantie angeführt.[86] So gelten auch Immaterialgüterrechte als Schutzobjekte der Eigentumsgarantie gemäss Art. 26 BV.[87] Interessant ist dabei, dass sich in den (Grund-)Freiheiten und dem Urheberrecht diametral verschiedene Interessen widerspiegeln. Ein Umstand, welcher durch die Debatten des digitalen Zeitalters verstärkt Einzug in das öffentliche Bewusstsein findet.[88]
b) Urheberrecht und damit assoziierte Fragen
Im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen[89] ermöglicht das Schweizer URG eine flexibel handhabbare Reaktion auf die informationstechnische Entwicklung.[90] Erleichtert wird dies durch die Ausgestaltung der Nutzungsrechte als Generalklausel,[91] verbunden mit Regelbeispielen.[92] Doch ermöglichen sie auch eine Verpflichtung wissenschaftlicher Angestellter zu OA?[93] Urheberrechtlich scheint Einigkeit zu bestehen, dass einer Universität nicht ohne Weiteres die Rechte am Werk der an ihr angestellten Wissenschaftlerinnen zufallen.[94] Eine Publikation eines Werks in einem universitären Repositorium setzt mithin eine explizite Rechteeinräumung voraus.[95] Dies ergibt sich zum einen aus dem Schöpferprinzip des Art. 6 URG,[96] sowie aus Art. 9 Abs. 2 URG,[97] wonach der Urheber darüber entscheiden kann, was er wie, wo und wann veröffentlichen möchte. Entscheidet er sich im Rahmen seiner Vertragsautonomie, mit dem Verlag zu verhandeln, kommt ihm in der Praxis meist eine schwächere Verhandlungsposition als dem Verlag zu.[98] Infolgedessen treten Urheber oftmals auch, z.T. unwissentlich, die entsprechenden «Online-Rechte» ab.[99] Gleichwohl könnten relativ wirkende, einfache Lizenzen[100] die Zurückbehaltung problemlos ermöglichen.[101] Vorlagen für solche Lizenzen bietet etwa SPARC.[102] Diese können dann in einen entsprechenden Vertrag integriert werden.[103]
Ohne Vertragsverhandlungen und Vereinbarungen greift der Gesetzeswortlaut.[104] Dabei ist, wenn auf den Verlagsvertrag schweizerisches Recht anwendbar ist, insbesondere Art. 381 Abs. 1 OR zu beachten, wonach nur diejenigen Rechte übertragen werden, derer es für die Durchführung des Vertrages tatsächlich bedarf.[105] Schliesst der Urheber einen Verlagsvertrag mit einem OA-Verlag oder Repositorium, stehen in der Regel nicht mehr Vervielfältigungs-[106] und Zugangsrechte[107] im Vordergrund, sondern die technischen und vertrieblichen Dienstleistungen des Anbieters.[108] Das Interesse des Urhebers an der Gewährung einer einfachen Lizenz entspricht im Ergebnis auch dem der Universität als Betreiberin des Repositoriums. Letztere hat im Idealfall kein Interesse an einer umfassenden oder gar kommerziellen Rechteverwertung.[109] Aus diesem Grund ergeben sich Probleme insbesondere dann, wenn der Urheber von vornherein durch einen Verlagsvertrag[110] gebunden ist. In diesem Fall erscheinen Verhandlungen zwischen der Universität und dem Verlag als am vielversprechendsten für alle Beteiligten.[111] So wie z.B. in den USA,[112] können kooperierende Verlage öffentlichkeits- und werbewirksam auf der Universitätswebsite hervorgehoben werden.[113]
Insgesamt ist festzustellen, dass das geltende schweizerische URG OA-Publikation zwar ermöglicht, aber nicht fördert. Welche Änderungen zugunsten OA durch den Gesetzgeber oder die Universitäten wären denkbar? Zum einen wird eine Kombination öffentlich-rechtlicher sowie urhebervertragsrechtlicher Regelungen diskutiert.[114] Per zwingender gesetzlicher Anordnung verbliebe dem Urheber gemäss diesem Vorschlag das einfache Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung. Sofort, oder nach Ablauf einer Sperrfrist, könnte oder müsste er die Werke in ein Repositorium hinterlegen[115] Der weitere Vorschlag, Zwangslizenzen einzuführen, erscheint als Relikt eines früheren Urheberrechts und mithin nur bedingt zielführend.[116] Schrankenregelungen[117] zugunsten des Repositoriumbetreibers sind insbesondere am Dreistufentest[118] zu messen und erweisen sich jedenfalls als politisch schwer durchsetzbar, weil sie dem Urheber von vornherein einen Teil seines Urheberrechts entziehen würden.[119] Zu beachten ist, dass die meisten dieser Vorschläge keine OA-Verpflichtung enthalten, sondern den OA-Gedanken anderweitig fördern. Vorschläge für OA-Verpflichtungen betreffen in der Regel nur das Hochschulrecht, sowie jenes von Förderorganisationen wie dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF).
c) Wettbewerbsrecht
Einzelnen Anbietern renommierter Fachjournalen fällt eine quasi-monopolistische Stellung zu. Diese wird durch verschiedene Trends noch verstärkt.[120] Wettbewerbsrechtliche Aspekte sind zudem bei Online-Plattformen mit einem festen Kundenkreis festzustellen. Bieten sie für Kunden einen Mehrwert, erschweren sie zukünftigen Konkurrenten den Markteintritt.[121] Individuell kann diese Situation durch Selbstarchivierung zum Teil vermieden werden. Kollektiv und nachhaltig durch die Schaffung und Bewahrung von OA-Geschäftsmodellen.[122]
Bei der Förderung von Open Access wird regelmässig die kartellrechtliche Preiskontrolle gegenüber den grossen Verlagskonzernen, und damit eine Massnahme zum Erhalt des Wettbewerbs, als Ansatz genannt.[123] Wird nun, im Rahmen der nationalen OA-Agenda, eine Verpflichtung von Wissenschaftlern zur OA-Publikation ihrer Werke in institutionellen Repositorien angestrebt, so erscheinen auch diese Repositorien als weitere Akteure im Wettbewerb, denn sie bilden faktisch einen Teil der Verlagsbranche und vermögen mitunter als potentielle Konkurrenz aufzutreten.[124]
2. Das Beispiel der Universität St. Gallen und des Nationalfonds
Der Wissenschaft ist Selbstregulierung immanent. Sie bestimmt die Formen für Publikation, Kommunikation und Rezeption.[125] Infolgedessen haben auch in der Schweiz zahlreiche Institutionen bereits OA-Server, respektive -Archive, geschaffen.[126]
Von der technischen Umsetzung getrennt zu betrachten sind die verschiedenen OA-Strategien der Universitäten. Diese unterscheiden sich hinsichtlich Form, Inhalt und institutioneller Einbettung.[127] An der Universität St. Gallen besteht z.B. ein OA-Reglement, das verschiedene Aspekte regelt. Die Pflichten der Forschenden umfassen die Bereitstellung bibliographischer Daten, von Volltexten als pre- oder post-print-Version, sowie die Sicherstellung von nicht ausschliesslichen Verwertungsrechten in Verlagsverträgen. Ein höheres Mass an Verbindlichkeit ergibt sich mit den Ausführungsbestimmungen zur Promotionsordnung für das Doktorat vom 2. Mai 2017. Demnach haben die Doktorierenden gemäss Art. 31 Abs. 1 zu erklären, «dass sie der Universität St. Gallen die Rechte übertragen, die Dissertation elektronisch zu speichern, sie in Datennetzen öffentlich zugänglich zu machen sowie bei Bedarf weitere Druckexemplare für die Professorenschaft der Universität St. Gallen herzustellen.»
Allgemein ist in der Schweiz insbesondere der Schweizerische Nationalfonds (SNF) mit Verpflichtungsforderungen aufgefallen. Inhaltlich soll die oben erwähnte Vision 2024 die Einführung und Abstimmung von OA-Politiken, Verhandlungen mit Verlagshäusern (sog. Offset Agreements, auch «Offsetting Way»), ebenso wie die Nutzung alternativer Publikationsformen,[128] die Koordinierung und Zusammenlegung von Ressourcen,[129] die Bildung eines unterstützenden regulatorischen Rahmens, den Aufbau eines nationalen Monitoring-Systems, sowie die Kommunikation und Sensibilisierung im Allgemeinen ermöglichen. Dabei sind verschiedene Szenarien denkbar, welche von der Belassung der jetzigen Situation, über die Berücksichtigung der drei Grundoptionen,[130] bis zu einer Kombination dieser reicht.[131]
Als Mitunterzeichner der Berliner Erklärung versteht sich der SNF als Förderer von OA-Bestrebungen und versucht den politischen Rahmen zu schaffen. Es überrascht somit nicht, dass von den Beitragsempfängerinnen die Zustimmung zur Open-Access-Veröffentlichung verlangt wird.[132]
3. Herausforderungen für die Einführung von OA-Pflichten
Die unterschiedlichen Interessen der beteiligten Akteure, mithin also die Institutionen, die einzelnen Forscher und die Vertreter der Verlagsbranche,[133] sowie der internationale Kontext der OA-Bestrebungen[134] machen die mögliche Einführung von OA-Pflichten zu einem komplexen Unterfangen. Dieser Umstand zeigt sich insbesondere dann, wenn eine funktionierende und bewährte Regelung von OA-Pflichten auf andere Institution übertragen werden soll.[135] Auch für die Schweiz, mit einem dezentralisierten Bildungs- und Forschungssystem,[136] ist dies kaum anders.[137] Die rechtlich-institutionelle Verankerung von OA-Verpflichtungen wäre dabei wichtig für die Umsetzung, aber kein alleiniger Erfolgsgarant. Vielmehr müssen auch die einzelnen Wissenschaftlerinnen von der Idee überzeugt sein.[138] Überzeugung kann insbesondere dann entstehen, wenn mit OA-Publikationen ein vergleichbarer Reputationsgewinn verzeichnet werden kann. Begleitend ist seitens der Universitäten persönliche Überzeugungsarbeit bei Mitarbeitenden zu leisten.[139] Wird bei fremden Forschungsergebnissen oftmals ein weitreichender Zugang gefordert, werden eigene Arbeiten derzeit noch vornehmlich unter Verschluss gehalten.[140]
V. Fazit
Von OA als Vision ist die konkrete Umsetzung zu unterscheiden.[141] Für die Beantwortung der Frage, ob in der Schweiz eine Verpflichtung von Wissenschaftlerinnen zu OA-Publikationen eingeführt werden kann, wären konkretere Rahmenbedingungen wünschenswert. So ist insbesondere zu klären, ob der schweizerische Gesetzgeber in der laufenden Revision des Urheberrechtsgesetzes bereit ist, ein Zweitveröffentlichungsrecht für Wissenschaftlerinnen einzuführen. Weiter besteht hinsichtlich der nur spärlich vorhandenen Rechtsprechung zur Wissenschaftsfreiheit gemäss Art. 20 BV Konkretisierungsbedarf im Hinblick auf die Frage, inwieweit eine OA-Verpflichtung grundrechtskonform wäre.[142]
OA-Strategien und OA-Regelwerke beschlagen als mögliche Grundlagen einer OA-Verpflichtung nicht nur die rechtliche Sphäre, sondern darüber hinaus auch gesellschaftliche und politische Fragen. Gerade zur Innovationsförderung wäre der nachhaltige Austausch zwischen Wissenschaft, Gesellschaft, Wirtschaft und Technik gewinnbringend.[143] Während die Befürworter in einer OA-Verpflichtung einen effektiven Weg zur Verwirklichung der OA-Vision sehen und damit eine zukunftsweisende Ausrichtung der Wissenschaft erblicken,[144] befürchten Gegenstimmen eine Gefährdung des geltenden Rechtsverständnisses, des Verlagswesens, ebenso wie der Buchkultur.[145]
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie eine OA-Verpflichtung gegebenenfalls gesetzgeberisch ausgestaltet werden sollte: Als Zwang oder etwas abgeschwächt als grundsätzlich «verbindliche Option» mit Opt-Out-Möglichkeit?[146] Hier werden insbesondere drei Vorschläge als plausibel betrachtet, die idealerweise kombiniert würden. Möglich ist eine hochschulrechtliche OA-Verpflichtung mit Opt-Out-Möglichkeit nach englischem Vorbild,[147] die Einführung eines Zweitveröffentlichungsrechts wie in der Bundesrepublik Deutschland,[148] sowie eine kartellrechtliche[149] Preiskontrolle hinsichtlich quasi-monopolistischer Verlagskonzerne.[150]